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Multidirektionale Formen des Erinnerns und Vergessens. Das Beispiel einer postkolonialen und postsozialistischen Stadtführung

Authors:

Abstract

Die Bewegungsgeschichte migrantischer und BIPoC communities in Ostdeutschland wird genauso wie das koloniale Erbe der Städte im kollektiven Gedächtnis der BRD weiterhin vernachlässigt. Das Ausblenden dieser Geschichten ist nicht nur auf postsozialistische Prozesse der Abwertung ostdeutscher Erfahrungen zurückzuführen, auch die DDR imaginierte sich als weiße Nation und reproduzierte postkoloniale Prozesse des Fremdmachens. Um vergessene und entinnerte Geschichten sichtbar zu machen, greift der Beitrag auf die Befunde der memory studies sowie auf die post- und dekoloniale Theoriebildung zurück. Aufbauend auf den Erkenntnissen, die im Rahmen des Lehrforschungsprojektes einer postkolonialen und postsozialistischen Stadtführung gewonnen wurden, gibt der Beitrag Impulse zum Überdenken der Verflechtungen zwischen Sozialismus und Kolonialismus. Aufbauend auf Michael Rothbergs (2009) Überlegungen zu multidirectional memory argumentiert der Beitrag, dass verschiedene Formen der Erinnerung nicht kompetitiv, sondern dialogisch wirken können. Über multidirektionale Formen der Erinnerung können Gegennarrative zu rechtsextremen und rassistischen Narrativen hergestellt werden.
ZEITSCHRIFT FÜR SOZIALISATIONSFORSCHUNG
MULTIDIREKTIONALE FORMEN DES ERINNERNS UND
VERGESSENS. DAS BEISPIEL EINER POSTKOLONIALEN
UND POSTSOZIALISTISCHEN STADTFÜHRUNG
Miriam Friz Trzeciak
Brandenburgische Technische Universität Cottbus Senftenberg,
Lehrstuhl Interkulturalität
E-Mail: Miriam.Trzeciak@b-tu.de
URL: https://www.b-tu.de/fg-interkulturalitaet/team/akademisches-team/dr-miriam-
friz-trzeciak
Zitationsvorschlag:
Trzeciak, Miriam Friz (2020): Multidirektionale Formen des Erinnerns und Vergessens.
Das Beispiel einer postkolonialen und postsozialistischen Stadtführung. In: Gesellschaft
Individuum Sozialisation (GISo). Zeitschrift für Sozialisationsforschung, 1 (2). DOI:
10.26043/GISo.2020.2.4
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ZEITSCHRIFT FÜR SOZIALISATIONSFORSCHUNG
MULTIDIREKTIONALE FORMEN DES ERINNERNS UND
VERGESSENS. DAS BEISPIEL EINER POSTKOLONIALEN
UND POSTSOZIALISTISCHEN STADTFÜHRUNG
Miriam Friz Trzeciak
Abstract: Die Bewegungsgeschichte migrantischer und BIPoC communities in Ostdeutschland wird ge-
nauso wie das koloniale Erbe der Städte im kollektiven Gedächtnis der BRD weiterhin vernachlässigt.
Das Ausblenden dieser Geschichten ist nicht nur auf postsozialistische Prozesse der Abwertung ost-
deutscher Erfahrungen zurückzuführen, auch die DDR imaginierte sich als weiße Nation und reprodu-
zierte postkoloniale Prozesse des Fremdmachens. Um vergessene und entinnerte Geschichten sichtbar
zu machen, greift der Beitrag auf die Befunde der memory studies sowie auf die post- und dekoloniale
Theoriebildung zurück. Aufbauend auf den Erkenntnissen, die im Rahmen des Lehrforschungsprojektes
einer postkolonialen und postsozialistischen Stadtführung gewonnen wurden, gibt der Beitrag Impulse
zum Überdenken der Verflechtungen zwischen Sozialismus und Kolonialismus. Aufbauend auf Michael
Rothbergs (2009) Überlegungen zu multidirectional memory argumentiert der Beitrag, dass verschie-
dene Formen der Erinnerung nicht kompetitiv, sondern dialogisch wirken können. Über multidirektionale
Formen der Erinnerung können Gegennarrative zu rechtsextremen und rassistischen Narrativen herge-
stellt werden.
Keywords: DDR, postkoloniale Perspektiven, Postsozialismus, multi-sited ethnography, dekoloniale
Stadtführung, dialogische Forschung, multidirectional memory
1. EINLEITUNG
Die ostdeutsche Stadt Cottbus wird seit Januar
2017 in den Medien als emblematischer Ort von
Konflikten um Migration verhandelt.1 Nach einer
gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen
deutschen und syrischen Jugendlichen geriet die
mittelgroße Stadt in die Schlagzeilen (Trze-
ciak/Schäfer 2019). Viele Medien berichteten
sehr polarisierend über die Ereignisse. In einigen
Darstellungen schien es, als sei die Stadtgesell-
schaft in drei stereotype Lager aufgeteilt: in
rechtsextreme Hooligans, verunsicherte Bür-
ger*innen sowie gewaltbereite und bedrohliche
Geflüchtete (ebd.). In der Tat hat die Stadt wie
viele andere Städte in Deutschland ein Problem
mit Rassismus. Im bundesweiten Vergleich sticht
sie sogar mit beunruhigenden Tendenzen hervor:
Die AfD wurde in der Landtagswahl im
1 Ich danke Judith Lippelt, Christian Obermüller, Franziska Müller und den anonymen Gutachter*innen für hilfreiche
Anmerkungen. Frühere Überlegungen zu diesem Projekt haben Manuel Peters und ich (i. E.) an anderer Stelle ausge-
führt.
2 Der Verein Opferperspektive (2019), der im Land Brandenburg Betroffene von rechter Gewalt und rassistischer Dis-
kriminierung berät, zählte 2019 insgesamt 14 und 2018 35 rechte Gewalttaten in Cottbus.
September 2019 mit 26.8 % der Stimmen die
stärkste Kraft in Cottbus (Stadtverwaltung Cott-
bus 2019). Parallel zur demokratischen Legiti-
mierung rechter und rechtsextremer Positionen
haben seit 2015 rassistisch motivierte Gewaltta-
ten in der Stadt in besorgniserregender Weise
zugenommen.2
Für den spezifischen Rassismus und Rechtsext-
remismus in Ostdeutschland lassen sich aus his-
torischer Perspektive „konkret rekonstruierbare
Ursachen“ (Behrends et al. 2003, 14) angeben
zentral sind u. a. das Fehlen einer starken Zivilge-
sellschaft sowie die Leugnung der Existenz von
Rassismus durch die SED-Führung in der DDR.
Die medialen Darstellungen heute simplifizieren
allerdings häufig die soziale Realität und bedie-
nen ausgehend von den einzelnen Ereignissen
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essentialisierende und rassistische Deutungs-
muster.
In der Berichterstattung über Cottbus kommen
neben rassistischen Stereotypen wie dem Bild
des sexuell aggressiven männlichen Geflüchte-
ten auch räumlich-zeitlich kulturalisierende Topoi
zum Tragen (Heft 2018). Dabei wird Ost-
deutschland im Verhältnis zu einem vermeintlich
progressiveren Westdeutschland als weniger zi-
vilisiert und demokratisch dargestellt. Dies ist
beispielsweise der Fall, wenn Rassismus als ge-
samtgesellschaftliches Problem auf den „brau-
nen“ Osten (ebd.; Kollmorgen/Hans 2011)
verlagert und koloniale (Dis)Kontinuitäten von
Rassismus im Kontext einer postkolonialen und
postnationalsozialistischen Gesellschaft ausge-
blendet werden (Messerschmidt 2008).
Wie aber können alternative, vergessene und
marginalisierte Geschichten im kollektiven Ge-
dächtnis der Stadtgesellschaft sichtbar gemacht
werden? Und wie können auf diese Weise
Grundlagen für multidirektionale und dialogische
Formen der Erinnerung geschaffen werden?
Im Folgenden werde ich am Beispiel der Ent-
wicklung einer postkolonialen und postsozialisti-
schen Stadtführung in Cottbus eine kollaborative
und dialogische Methode zur Rekonstruktion und
Reflexion im kollektiven Gedächtnis marginali-
sierter Geschichten in der Stadtgesellschaft auf-
zeigen. In einem ersten Schritt gebe ich einen
Überblick über verschiedene Etappen der Ein-
wanderung in Cottbus. In einem zweiten Schritt
greife ich auf die Befunde der memory studies
zurück und zeige, dass die Wissensbestände
des kollektiven Gedächtnisses einer (Stadt-)Ge-
sellschaft auf machtvolle und umkämpfte Pro-
zesse der Konstruktion von Erinnerung und
Zugehörigkeit verweisen. Mit Michael Rothberg
(2009) plädiere ich für nicht-kompetitive, d.h. ko-
operierende, und multidirektionale Formen des
Erinnerns, für multidirectional memory. Diese
Überlegungen nehme ich zum Ausgangspunkt,
um in einem dritten Schritt am Beispiel des Lehr-
forschungsprojekts einer postkolonialen und
postsozialistischen Stadtführung eine dialogi-
sche und kollaborative Methode der Geschichts-
aufarbeitung vorzustellen, um marginalisierte
oder vergessene Geschichten in Cottbus sichtbar
zu machen. Anhand von zwei konkreten
Erinnerungsorten gebe ich in einem vierten
Schritt einen Ausblick auf die erinnerungspoliti-
schen Aushandlungsprozesse, die im Kontext
der Stadtführung stattgefunden haben. Ich argu-
mentiere, dass die Prozesse der gemeinsamen
Erinnerungsarbeit nicht nur auf verwobenen
postkolonialen und postsozialistischen Macht-
konstellationen beruhen, sondern dass die dialo-
gische Methode der Stadtführung vielmehr einen
Raum für ambivalente, sich überlagernde For-
men der multidirektionalen Erinnerung herstellen
kann. Ich schließe mit Überlegungen dazu, dass
die Aufarbeitung von postkolonialen und postso-
zialistischen Spuren ostdeutscher Städte dazu
beitragen kann, rassistischen und rechtsextre-
men Narrativen etwas entgegenzusetzen.
2. MULTIDIREKTIONALE ERINNERUNG
Wie die memory studies (Rothberg 2009; Ass-
man 2018) aufgezeigt haben, kann Erinnerung
als Werkzeug verstanden werden, mit dessen
Hilfe das Vergangene in der Gegenwart verhan-
delt wird. Jede Gesellschaft hat eine spezifische
Beziehung zu ihrer Vergangenheit (Harvey
2001, 320). Die Frage, wie diese Vergangenheit
erzählt wird, verweist auf die Konstruktion einer
„national story“, die festlegt, wer zu einer Gesell-
schaft zählt und als erinnerungswürdig gilt (Hall
1999, 4). Die Aushandlungen von Vergangen-
heitsnarrativen, wie sie etwa in nationalen Mu-
seen oder Gedenkveranstaltungen zum Tragen
kommen, stehen im Zusammenhang hegemoni-
aler Kämpfe um die Konstruktion einer offiziellen
Geschichtsschreibung. Sie beeinflussen die
Möglichkeiten gesellschaftlicher Teilhabe und
adressieren Fragen von Identität und Zugehörig-
keit (Rothberg 2009, 5; Rothberg/Yildiz 2011).
Erinnerungen können dementsprechend als
symbolische Repräsentationen der Vergangen-
heit verstanden werden, die in soziale Handlun-
gen eingebunden sind (Confino/Fritzsche 2002,
5). Sie müssen aktiv und teils entgegen erhebli-
cher gesellschaftlicher Widerstände durch Prak-
tiken oder Interventionen erarbeitet werden. Erst
über diese Formen der Arbeit werden Erinnerun-
gen als sozial bedeutsam hergestellt (Rothberg
2009, 4). Folglich bezeichnet Erinnerung kein
neutrales oder zwangsläufiges Unterfangen,
sondern vielmehr einen Prozess, der sich sowohl
auf die verkörperten und gelebten als auch auf
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die sozialen und fabrizierten Aspekte der Bezie-
hung von Individuen, Gruppen und Gesellschaf-
ten zur Vergangenheit bezieht (ebd.).3 Demnach
sagt die Art und Weise, wie und ob Menschen
und ihre Praktiken erinnert werden, mehr über
die gegenwärtigen sozialen Konstellationen und
Verhältnisse aus als über die faktischen Ge-
schehnisse in der Vergangenheit.
Auch wenn es sich bei Erinnerungen um macht-
volle Artikulationen handelt, die auf Kämpfe um
Deutungsmacht und Anerkennung hinweisen, so
argumentiert Michael Rothberg (ebd., 4 ff.), dass
dies nicht zwangsläufig in einer kompetitiven Lo-
gik resultieren muss. Mit seiner programmati-
schen Arbeit zu Formen von multidirectional
memory (multidirektionales Gedächtnis/Erinne-
rung), hinterfragt er die in den memory studies
gängige Verbindung zwischen kollektiver Erin-
nerung und Gruppenidentität. An der Schnitt-
stelle von postkolonialer Forschung und
holocaust studies hebt er die multidirektionalen
und transnationalen Aspekte von Erinnerungen
und kollektivem Gedächtnis hervor. Rothberg
zeigt, wie postkoloniale Autor*innen (wie Aimé
Césaire oder W. E. B. Du Bois) das Gedenken an
den Holocaust produktiv machen und subversiv
nutzen, um daran anknüpfend das Erbe von Ko-
lonialismus und Versklavung sowie die Notwen-
digkeit einer Dekolonisierung zu thematisieren
(ebd., xiii). Die Erinnerung an den Holocaust dient
als Deckerinnerung (screen memory), um andere
Formen der gewaltvollen, genozidalen und trau-
matisierenden Gewalt in der Vergangenheit in
Erinnerung zu rufen und geltend zu machen. Die
Arenen, in denen Erinnerungen zu sich überkreu-
zenden historischen Hintergründen verhandelt
werden, versteht Rothberg (ebd.) somit als dis-
kursive Räume, in denen verschiedene Gruppen
über vergangenheitsbezogene Dialoge und In-
teraktionen in Erscheinung treten. Aus dieser
Sichtweise können Erinnerungen als anhaltende
Prozesse der Verhandlung, des Quer-Verwei-
sens und des Ausleihens beschrieben werden.
Die Aufarbeitung spezifischer Ereignisse in der
3 Jan Assmann (1999) und Aleida Assmann (2018) differenzieren in ihren Überlegungen zum kollektiven Gedächtnis
zwischen einem kommunikativen und einem kulturellen Gedächtnis. Während das kommunikative Gedächtnis auf der
mündlichen Übermittlung von Erinnerungen basiert, wird das kulturelle Gedächtnis über Dokumente, d. h. niederge-
schriebene Erinnerungen, vermittelt (ebd.). Ist das kommunikative Gedächtnis auf Personen angewiesen und erlischt
nach drei Generationen, so konservieren schriftliche Zeugnisse kollektive Erinnerungen und sind an der Konstruktion
eines nationalen Gedächtnisses beteiligt.
Vergangenheit seitens verschiedener sozialer
Gruppen kann als eine Kontakt-Zone fungieren,
entlang derer sich transnationale kulturelle
Räume aufspannen (ebd.). Durch die produkti-
ven, transkulturellen und öffentlichen Eigen-
schaften birgt multidirectional memory das
Potential, die Logik der Konkurrenz um Anerken-
nung zwischen verschiedenen sozialen Gruppen
zu durchbrechen und auf diese Weise Räume für
verschiedene Formen der Erinnerung, aber auch
neue Formen der Solidarität und neue Visionen
von Gerechtigkeit zu schaffen (ebd., 3). Indem
multidirectional memory die Beziehungen zwi-
schen Minderheiten sowie marginalisierten und
hegemonialen Erinnerungen in den Vordergrund
stellt, adressiert das Konzept die produktiven und
überraschenden Begegnungen im Kontext von
(asymmetrischen) Aushandlungen von Erinne-
rung (Attia/Rothberg 2018, 98).
3. MIGRATION IN DER POSTKOLONIALEN
UND POSTSOZIALISTISCHEN STADT
Um die (Dis-)Kontinuitäten des Rassismus in
Cottbus besser verstehen zu können, müssen
diese Geschichten und Erfahrungen in den Zu-
sammenhang der Prozesse des Fremdmachens
und der Rassialisierung in einer postfaschisti-
schen, postkolonialen und postsozialistischen
Gesellschaft gesetzt werden (El-Tayeb 2016,
37 ff.). Hier schließe ich an die Arbeiten aus der
postkolonialen Forschung zu Erinnerungspolitik
an, die sowohl für die Herstellung neuer Zu-
kunftsvisionen als auch für die Erarbeitung neuer
Vergangenheitsnarrative plädiert haben (ebd.;
Ha, N. K. 2017; Ha, K. N. 2017). Weiter argu-
mentiere ich mit einer sozialkonstruktivistischen
Perspektive, dass Migration in ihrer Bedeutsam-
keit erst im Zuge gesellschaftlicher Machtkons-
tellationen als machtvolles Bündel von Praktiken
und Diskursen produziert wird. Die Prozesse des
doing migration (Amelina 2017) sind auch dann
wirkmächtig, wenn Formen bereits vergangener
Zugehörigkeit und Teilhabe in der Gegenwart
verhandelt und auf diese Weise ungleich
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gelagerte Formen der Aus- und Abgrenzung von
inferior imaginierten Anderen in der Gegenwart
geschaffen werden (El-Tayeb 2016).
Die Geschichten von marginalisierten, rassiali-
sierten und fremd-gemachten Gruppen (z. B.
migrantischen und/oder BIPoC communities
eine politische Selbstbezeichnung für Black, Indi-
genous und People of Color) sind im kollektiven
Gedächtnis nur wenig präsent, oftmals werden
sie von hegemonialen und essentialistischen
Narrativen der Nation als Volk mit einer gemein-
samen Geschichte, Sprache und Kultur überla-
gert (Attia/Rothberg 2018, 100). In der
Cottbuser Stadtgesellschaft sind diese Ge-
schichten sowie die rassistischen (Dis-)Kontinui-
täten von Ausgrenzung und Gewalt ebenfalls
selten zu hören. Auch wenn die DDR im Ver-
gleich zur BRD ihre koloniale und imperialistische
Vergangenheit teilweise kritischer und aktiver
aufarbeitete, so machten rassistische Bilder und
Praktiken, die aus den Ideologien des Kaiser-
reichs, der Weimarer Republik und des NS-Re-
gimes resultierten, keinen Halt vor den Grenzen
der DDR (Mende 2013, 162; Ha, K. N. 2017,
114 f.). Die staatlich propagierten Politiken des
Antiimperialismus und Antifaschismus sorgten
dafür, dass koloniale und rassistische Denkmus-
ter unproblematisiert blieben, da sie offiziell nicht
existierten (Poutrus 2005a, 2 ff.; Behrends et al.
2003).
Wie an vielen anderen Orten sind BIPoC Teil der
Stadtgeschichte von Cottbus. Zwar hat sich das
Stadtbild mit dem Ankommen von Geflüchteten
nach 2015 verändert und das Thema Migration
scheint in der Stadt präsenter zu sein. Aber be-
reits eine oberflächliche Recherche gibt Hin-
weise darauf, dass Cottbus eine kontinuierliche
Migrationsgeschichte aufweist. So kam es im
Zuge der brutalen Expeditionen und Expansio-
nen der Kolonialmacht Brandenburg im heutigen
Ghana zur gewaltvollen Verschleppung und Ver-
sklavung von Bewohner*innen dieser und an-
grenzender Regionen (Conrad 2008, 18 f.). Auch
wenn der Großteil der versklavten Menschen in
4 Um auf die soziale Konstruktion sowie die hierarchisierende Wirkmächtigkeit von race und Prozessen der Rassiali-
sierung hinzuweisen, schreibe ich weiß klein und kursiv. In Abgrenzung dazu kennzeichne ich Schwarz als politische
Positionierung und Selbstbezeichnung durch Großschreibung (Eggers et al. 2005).
5 1989 betrug der Anteil von Ausländer*innen in der DDR-Bevölkerung 1.1 %, in der westdeutschen Bevölkerung
7.7 % (Goel 2013, 140 f.).
die Karibik gebracht wurde, so gelangten auch
einige von ihnen, häufig als exotisierte Beschäf-
tigte bei Hofe, nach Brandenburg-Preußen
(Theilig 2013). Ein weiteres Beispiel für die un-
freiwillige und unter gewaltvollen Bedingungen
erfolgte Präsenz von BIPoC in der Region ist die
Geschichte von Machbuba, die vermutlich aus
dem heutigen Äthiopien stammte und die Her-
mann Ludwig Heinrich Fürst von Pückler-Mus-
kau 1837 minderjährig auf einem Sklavenmarkt
in Ägypten „kaufte“ und nach Bad Muskau
brachte (Schwachenwald 2019). Während des
1. Weltkrieges wurden Menschen später aus
dem globalen Süden in einem Kriegsgefange-
nenlager in Cottbus interniert und für Propagan-
dazwecke des Deutschen Reiches rassialisiert
(etwa durch Darstellungen auf Postkarten; Dort-
mund Postkolonial 2016). In der Zeit des Natio-
nalsozialismus wurden Jüd*innen, Kommunist-
*innen und weitere soziale Gruppen in der Stadt
verfolgt und deportiert. Tausende Menschen
wurden in den Konzentrationslagern der Region
interniert und/oder als Zwangsarbeiter*innen
ausgebeutet und ermordet (Häfner/Müller 2020).
Auch in der DDR gab es verschiedene Ein- und
Auswanderungsbewegungen. Auch wenn akti-
vistische und akademische Arbeiten begonnen
haben, die Erfahrungen migrantischer und
diasporischer BIPoC communities während und
nach 1989 aufzuarbeiten (Piesche 2019), ist das
Bild eines natio-ethno-kulturell homogenen
DDR-Staates im kollektiven Gedächtnis weiter-
hin vorherrschend (Goel 2013; Ha 2019). Diese
Perspektive schreibt u. a. das auf kolonialen Epis-
temen beruhende Selbstverständnis der DDR als
weiße4 Nation fort (Piesche 2002, 55). Zwar war
mit Ausnahme der Angehörigen russischer Be-
satzungstruppen der Anteil von Ausländer*in-
nen in der DDR-Bevölkerung vergleichsweise
gering (Poutrus 2005a, 6). Während DDR-Bür-
ger*innen massenhaft auswanderten, bildete die
Einreise von Ausländer*innen insgesamt eine
„extreme Ausnahme“ (ebd.).5 Jedoch ist davon
auszugehen, dass verschiedene Formen der Zu-
wanderung die sozialen Realitäten in
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industriellen und urbanen Räumen wie Cottbus,
zu DDR-Zeiten ein bedeutendes Zentrum der
Energie- und Textilwirtschaft, massiv prägten.
Ab den 1980er-Jahren wurden im Zuge des Ar-
beitskräftemangels verstärkt vietnamesische Ar-
beitsmigrant*innen in der Cottbuser
Textilproduktion eingesetzt (Strnad 2011). Wei-
ter kamen einige der 2.000 politischen
Exilant*innen nach dem Militärputsch in Chile
1973 nach Cottbus (Maurin 2005).
Je nachdem ob Menschen aus dem Exil (wie
Griech*innen oder Chilen*innen), als Studierende
(aus sozialistischen oder westlichen Ländern) o-
der als Vertragsarbeiter*innen (aus sozialisti-
schen Staaten wie Vietnam, Mosambik, Angola,
Kuba, Algerien oder Ungarn) in die DDR kamen,
waren ihre Lebensrealitäten sehr unterschiedlich
(Poutrus 2005a, 2005b). Den Umgang mit Mig-
rant*innen in der DDR kennzeichnete, dass diese
nicht über garantierte Rechte verfügten. So
stellte Asyl eine Kann-Regelung dar, die letzt-
endlich den Entscheidungen des Führungska-
ders der SED oblag (Poutrus 2005a, 9). Und auch
wenn Vertragsarbeiter*innen in den 1980er-
Jahren die größte Gruppe von Ausländer*innen
formal ihren deutschen Kolleg*innen in den Be-
trieben gleichgestellt waren, arbeiteten sie oft-
mals in den körperlich anstrengendsten und
niedrigsten Arbeitsbereichen und waren einer
Politik der „staatlich verordneten Abgrenzung“
(ebd., 11) zu den DDR-Bürger*innen ausgesetzt.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Migra-
tion in der DDR unter sehr restriktiven Bedingun-
gen stattfand und im Alltag umfassend
kontrolliert wurde (Mende 2013, 151). Die Pro-
zesse der Klassifizierung, die mit den unter-
schiedlichen Formen des Aufenthaltsstatus
einhergingen, machten Migrant*innen zu Frem-
den und sorgten für marginalisierte Positionen
sowie deren Stabilisierung (Poutrus 2005a,
14 f.).
Als die BRD nach 1990 die Migrationsabkom-
men und Verträge der DDR nicht übernahm,
wurde ein Großteil der Vertragsarbeiter*innen
arbeitslos und musste das Land verlassen. Eini-
gen gelang es jedoch, den Kampf um Bleiberecht
zu gewinnen, wie nicht zuletzt das aktuelle Bei-
spiel des Vereins der Vietnamesen in Cottbus
und Umland e.V. zeigt (Verein der Vietnamesen
2020).
4. FOLLOW THE MEMORY EINE MULTILO-
KALE, POSTKOLONIALE UND POSTSOZIALIS-
TISCHE SPURENSUCHE
Die zuvor genannten Beispiele verdeutlichen,
dass Einwanderung in die Region rund um Cott-
bus eine lange und zugleich komplexe Ge-
schichte hat. Diese kann nicht losgelöst von der
kolonialen und sozialistischen Vergangenheit der
Stadt verstanden werden. Ferner müssen Ver-
fahren gefunden werden, die dazu beitragen, die
Prozesse der Entinnerung, d. h. des aktiven Ver-
gessens von kolonial geprägten Geschichten und
Bewegungen sichtbar zu machen (Aikins/Hoppe
2011; Ha, K. N. 2017). Auf diese Weise können
Grundlagen für eine kritische Aufarbeitung des
kolonialen Erbes geschaffen werden.
Um hegemoniale Formen des Erinnerns und Ver-
gessen aufzubrechen, bieten sich Geschichts-
werkstätten oder aktivistische Stadtrundgänge
an. Erstere haben im deutschsprachigen Kontext
eine längere Tradition in der Aufarbeitung ver-
schiedener Phasen des Nationalsozialismus
(Berliner Geschichtswerkstatt 1994). Letztere
sind insbesondere im Kontext de- und postkolo-
nialer Initiativen aufgekommen. Diese haben es
sich zur Aufgabe gemacht, die Stadtgeschichte
hinsichtlich kolonialer Gewalt einerseits und den
Möglichkeiten der Dekolonialisierung und des
antikolonialen Widerstandes andererseits aufzu-
arbeiten (Bernhard 2016; Zwischenraum Kollek-
tiv 2017). Beide Ansätze bemühen sich um eine
kritische Aufarbeitung einer urbanen Geschichts-
schreibung von unten und adressieren Möglich-
keiten zur Schaffung epistemischer und sozialer
Gerechtigkeit (Castro Varela/Heinemann 2017;
Matz et al. 2017).
Das Lehrforschungsprojekt der postkolonialen
und postsozialistischen Stadtführung, das in den
Sommersemestern 2018 und 2019 an der Bran-
denburgischen Technischen Universität Cott-
bus-Senftenberg stattfand, knüpfte an diese
Prämissen an. Ziel des Projektes war es, mithilfe
der kritischen Aufarbeitung der Geschichten glo-
balgeschichtlich geprägter Einwanderungen ei-
nerseits die Kolonialität des städtischen Raumes
(Ha, N. K. 2017) zu beleuchten und andererseits
die Realität der Migrationsgesellschaft in der ost-
deutschen Stadt aufzuzeigen (Ha 2019). Neben
dem Fortwirken kolonialer Episteme ging es um
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ZEITSCHRIFT FÜR SOZIALISATIONSFORSCHUNG
die Verwobenheiten der politischen Konfigurati-
onen des Kolonialismus und Sozialismus, die die
Stadt nachhaltig prägen und für verschiedene
Prozesse der Rassialisierung und des Fremdma-
chens sorgen. Aufbauend auf post- und dekolo-
nialen Initiativen strebte das Lehrforschungs-
projekt an, zu einer Dekolonisierung der Stadt
beizutragen, beispielsweise indem es rechtsext-
remen und rassistischen Narrativen etwas ent-
gegensetzt (Trzeciak/Peters i. E.).
Um Teile der entinnerten Stadtgeschichte(n)
sichtbar zu machen und hegemoniale Erinne-
rungsnarrative zu durchbrechen, führten die Teil-
nehmer*innen des Lehrforschungsprojektes eine
multi-sited ethnography (Marcus 1995) in der
Stadt durch. Diese multilokale Form der Ethno-
graphie baut auf den Diskussionen zur writing
culture (Clifford/Marcus 1986) auf. Die Mitte der
1980er-Jahre in der Kulturanthropologie geführ-
ten Debatten stellten die diskursive Verfasstheit
von Wissen und die soziale Konstruktion des
Kulturellen heraus. Neben diesen wichtigen Im-
pulsen für das Überdenken essentialistischer
Kulturkonzepte haben diese methodologischen
Auseinandersetzungen auch zu einer Dekon-
struktion des durch die klassische Ethnographie
betriebenen othering beigetragen, bei dem nicht-
europäische Kulturen als fremd und unterlegen
konstruiert wurden. Indem den klassischen For-
men der Feldforschung und Wissensproduktion
die reflexive Involviertheit der forschenden Per-
son in Kontext und Forschung entgegengehalten
wurde, erfuhr die Ethnographie als erste For-
schungsstrategie empirischer Sozialforschung
„die Ehre einer texttheoretischen Dekonstruk-
tion“ (Hirschauer 2001, 429). Im Anschluss da-
ran stellt multi-sited ethnography ein
sozialkonstruktivistisches Forschungsprogramm
dar, bei dem sich die Forscher*innen auf die
Fährten einer kulturellen Formation begeben und
sich dabei durch verschiedene soziale und kultu-
relle Zusammenhänge bewegen (Marcus 1995,
6 Erinnerungsorte beziehen sich auf materielle, politische, kulturelle oder imaginäre Topoi. Es geht sowohl um Monu-
mente und Artefakte als auch um symbolische und metaphorische Orte, die ihre „Bezüge und […] Stellung[en] inmitten
sich immer neu formierender Konstellationen und Beziehungen [erhalten]“ (François/Schulze 2001, 18; siehe auch
Zimmerer 2013, 12). Damit Erinnerungsorte als „zersprengte Fragmente eines verlorenen oder zerstörten Lebenszu-
sammenhanges“ (Assmann 2018, 309) Bedeutung erlangen, müssen sie über sprachliche Überlieferung gesichert
werden.
7 Während postkoloniale Studien insbesondere in den cultural studies verwurzelt sind und von Diaspora-Wissen-
schaftler*innen aus dem Nahen Osten und Südasien entwickelt wurden, beruhen dekoloniale Perspektiven stärker auf
soziologischen Perspektiven aus dem lateinamerikanischen Raum (Bhambra 2014, 115).
105). Aus dieser Perspektive kann Feldfor-
schung als ein konzeptueller Raum verstanden
werden, der durch die Aushandlungen der Ak-
teur*innen konstruiert wird. Diese Leitlinien er-
weisen sich als gut anschlussfähig an die zuvor
dargelegten Befunde der memory studies. So er-
laubt es die mobile methodische Vorgehens-
weise, die „disparaten Entstehungsorte erin-
nerungskultureller Semantiken und deren Ver-
mittlungswege“ (Spiritova/Götz 2015, 328) in
den Blick zu nehmen. Auf diese Weise können
zum einen die umkämpften und changierenden
Bedeutungen der aufgespürten Erinnerungsorte
beleuchtet werden; zum anderen können die un-
terschiedlichen Positionierungen reflektiert wer-
den, von denen aus die Erinnerungsnarrative
bedeutsam werden.
5. MULTIDIREKTIONALE FORMEN DER ERIN-
NERUNG IM POSTKOLONIALEN UND POST-
SOZIALISTISCHEN KONTEXT
Im Rahmen einer kritischen Stadtführung haben
wir uns in Cottbus auf die Suche nach postkolo-
nialen und postsozialistischen Erinnerungsorten
gemacht.6 Aufbauend auf post- und dekolonia-
len Perspektiven nehmen wir „sowohl den Pro-
zess der Kolonialisierung als auch den einer
fortwährenden Dekolonisierung und Rekoloni-
sierung“ (Castro Varela/Dhawan 2005, 8) in den
Blick und interessieren uns ebenso für materielle
wie für epistemische Formen von kolonialer Ge-
walt respektive der Möglichkeiten des antikoloni-
alen Widerstands.7 Koloniale Praktiken
umfassen ebenso ein System von Herrschafts-
beziehungen (wie die Besetzung und Ausplün-
derung von Territorien) wie auch koloniale
Repräsentations- und Erkenntnissysteme (Hall
1997). Im Mittelpunkt von Prozessen des othe-
ring steht die Imaginierung und Inszenierung ei-
nes kolonialen, inferioren Anderen als Gegenbild
Miriam Friz Trzeciak DOI: https://doi.org/10.26043/GISo.2020.2.4 Seite 7
ZEITSCHRIFT FÜR SOZIALISATIONSFORSCHUNG
eines überlegenen europäischen Selbst (El-
Tayeb 2016).
Aufbauend auf postsozialistischen Perspektiven
argumentieren wir, dass die sozialen Kontexte
Ostdeutschlands nach der Wiedervereinigung
nach wie vor von der sozialistischen Vergangen-
heit politisch, wirtschaftlich und kulturell beein-
flusst sind (Stykow 2013, 2). Auch wenn die
meisten sozialistischen und kommunistischen
Regime politisch ihr Ende gefunden haben, so
prägen ihre Spuren weiterhin die Verhältnisse,
Praktiken und Wissensformen der Gegenwart
(ebd.). Ähnlich wie im Falle des Kolonialismus be-
trifft dies sowohl die materielle Ebene (wie die
Abwicklung der Volkseigenen Betriebe (VEB) o-
der die Zerstörung von sozialistischem Kultur-
erbe) als auch die symbolische Ebene (wie die
Abwertung ostdeutscher Praktiken und Wis-
sensbestände; Kollmorgen 2011; Heft 2018).
Obwohl Kolonialismus und Sozialismus als zeitli-
che und politisch verschiedene Hintergründe in
die Gegenwart hineinwirken, können sie hin-
sichtlich ihrer Verschränkungen betrachtet wer-
den. So argumentiert Madina Tlostanova (2012)
mit Verweis auf die Sowjetunion und Russland,
dass die politischen Konfigurationen des Sozia-
lismus, zwar auf andere Weise als in den westli-
chen und kapitalistischen Gesellschaften, ebenso
in eine koloniale Matrix eingelassen waren.8
Auch in der DDR sorgte ein kolonial/modern ge-
prägter Realsozialismus für ein System der sozi-
alen Klassifizierung, das sehr ungleiche
Positionierungen, Rechte und soziale Realitäten
hervorbrachte (Trzeciak/Peters i. E.). Postkoloni-
ale wie postsozialistische Perspektiven erweisen
sich demnach als relevant für den urbanen Raum
Cottbus, weil die Stadt sowohl vor, während, als
auch nach der DDR in koloniale Kontinuitäten
verstrickt war. Gleichzeitig jedoch bargen die re-
alsozialistischen Ideen und Praktiken Potenzial
für die Transformation kolonialrassistischer Ord-
nungen. In der DDR hatte es beispielsweise Um-
benennungen von kolonialen und faschistischen
Straßenamen gegeben. Zudem hatte die DDR
8 Der Begriff „koloniale Matrix“ stammt aus der dekolonialen Theorie. Er beschreibt die Verbindung zwischen Moder-
nität/Kolonialität, die durch die Auferlegung einer rassistischen Klassifizierung der Weltbevölkerung im Zuge der Kolo-
nisierung des amerikanischen Kontinents und der Etablierung einer kapitalistischen Arbeitsteilung ab dem 16.
Jahrhundert entsteht (Quijano 2000).
antikoloniale Befreiungsbewegungen unter-
stützt.
Im Zuge der Spurensuche nach postkolonialen
und postsozialistischen Erinnerungsorten rekon-
struierten wir verschiedene Erinnerungsorte, wo-
bei das Augenmerk auf den Verflechtungen der
sozialhistorischen Konfigurationen im Hinblick
auf koloniale (Dis-)Kontinuitäten lag. Die Erarbei-
tung fand im Zuge von zwei Seminaren in den
Sommersemestern 2018 und 2019 statt, die im
Rahmen des fächerübergreifenden Studiums
von meinem Kollegen Manuel Peters und mir an-
geboten wurden. Dabei wurden verschiedene
Stationen zu dem oben genannten Fokus recher-
chiert und ausgearbeitet. Zu den Teilnehmenden
zählten weiße und PoC-Studierende mit ost- und
westdeutscher Herkunft sowie mit und ohne
Migrationserfahrungen und -erbe, darunter ein
Mitglied des Vereins „Geflüchteten Netzwerk
Cottbus e.V.“, antifaschistische Aktivist*innen
sowie zwei weiße Seniorstudenten, die beide ihr
Leben in der Stadt verbracht haben. Die Alters-
spanne der Seminarteilnehmer*innen bewegte
sich zwischen Mitte 20 und 86 Jahren, die Grup-
pengröße zwischen vier und acht Personen. Als
Ergebnis beider Seminare boten wir jeweils eine
postkoloniale und postsozialistische Stadtfüh-
rung an. Die zweite Stadtführung, deren Erfah-
rungen Ausgangspunkt des vorliegenden
Artikels sind, bewarben wir öffentlich über ver-
schiedene soziale Netzwerke und Kanäle sowie
über einen Artikel in der Lausitzer Rundschau. Es
erschienen insgesamt 46 interessierte Personen.
Nachdem wir sechs Erinnerungsorte besucht
hatten, luden wir die Gruppe in das Kunstmu-
seum Dieselkraftwerk Cottbus und reflektierten
dort mit ca. 25 Personen den erinnerungspoliti-
schen Rundgang im Hinblick auf gegenwärtige
rassistische Kontinuitäten. Aus den Seminaren
ist die erinnerungspolitische Initiative „Cottbus
Postkolonial und Postsozialistisch“ entstanden,
die es sich zum Ziel gemacht hat, die Rundgänge
sukzessive auszuweiten und regelmäßig anzu-
bieten.
Miriam Friz Trzeciak DOI: https://doi.org/10.26043/GISo.2020.2.4 Seite 8
ZEITSCHRIFT FÜR SOZIALISATIONSFORSCHUNG
Zwei der Erinnerungsorte, das 2007 abgerissene
spätsozialistische Gebäude des „Sternchens“ so-
wie der ehemalige VEB Textilkombinat Cottbus
(TKC), in dem auch Vertragsarbeiter*innen be-
schäftigt waren, möchte ich nun genauer in den
Blick nehmen. Daran anschließend zeige ich
exemplarisch am Beispiel der Diskussionen wäh-
rend einer Stadtführung im Juli 2019, wie post-
koloniale und postsozialistische Kontinuitäten
ineinandergreifen und für multidirektionale For-
men der Erinnerung sorgen können.
5.1 Die Zerstörung des sozialistischen Kulturer-
bes in der Cottbuser Innenstadt
Im Stadtzentrum von Cottbus befindet sich eine
umzäunte Brachfläche, die für einen umkämpften
Schauplatz der Stadt steht. Auf dem verwahrlos-
ten Grundstück hatte zuvor der spätsozialistisch
gestaltete Stadtkern gestanden. Im kommunika-
tiven Gedächtnis besonders präsent ist der
sternförmige Bau der Mokka- und Milchbar, der
damals ein beliebter Alltags- und Freizeitort ge-
wesen war (Krauß 2012). Die Geschichte des
„Sternchens“, wie das Gebäude umgangs-
sprachlich bezeichnet wurde, steht exemplarisch
für die Abwertung des sozialistischen Kulturer-
bes und die Missachtung ostdeutscher Soziokul-
turen (Kollmorgen 2011, 325 ff.). Das
architektonisch und kulturell herausragende Ge-
bäude stand seit Beginn der 1990er-Jahre leer,
verfiel und wurde 2007 abgerissen (Krauß
2012). Zugleich verweist die Geschichte des
Sternchens auf den politischen Herrschaftsan-
spruch der DDR. Die futuristische Ästhetik des
1968 erbauten Gebäudes mit seiner sternförmi-
gen, aus sechs Hyparschalen bestehenden
Dachkonstruktion stand für eine neue Gesell-
schaftsform und symbolisierte (real)sozialisti-
schen Fortschritt und Modernität
(Trzeciak/Peters i. E.). Der Name „Kosmos“ sowie
das weltraumbezogene Interieur der Bar (Krauß
2012) verdeutlichten, dass sich die DDR Ende
der 1960er-Jahre zu Zeiten von Mondlandung
und Sputnik-Start gewissermaßen einen Platz im
Weltall imaginierte. Der Anspruch auf Modernität
und Fortschritt, der sich in der Architektur mate-
rialisierte, implizierte aber auch ein Streben nach
Herrschaft. So imaginierte sich die DDR im Ver-
gleich zu sozialistischen Bruderländern aus dem
globalen Süden als fortschrittlicher (Schüle 2003;
Trzeciak/Peters i. E.). Über den Verweis auf die
eigene Spitzenstellung hinter der Sowjetunion
sollte ein nationales Bewusstsein bei der Bevöl-
kerung implementiert werden (Poutrus 2005a,
5).
5.2 Vertragsarbeit im VEB TKC
Der VEB TKC, der 1969 gegründet wurde und
die bereits bestehende Textilindustrie in der
Stadt zentralisierte, kann exemplarisch herange-
zogen werden, um die Regulierung von Arbeits-
mobilität in der DDR im Falle der Leichtindustrie
aufzuzeigen (Strnad 2011). Der VEB TKC war
der größte Arbeitgeber in Cottbus und einer der
größten Textilhersteller in der DDR. Ohne die Ar-
beitskraft der Vertragsarbeiter*innen hätte das
TKC seine Textilproduktion nicht aufrechterhal-
ten können. Anders als in der BRD, in der von
1953 bis 1973 Gastarbeiter*innen angeworben
wurden, begann der Einsatz von Arbeitsmig-
rant*innen in der DDR erst Anfang der 1970er-
Jahre. Insbesondere Näherinnen aus Polen, spä-
ter Kuba und Vietnam verrichteten die körperlich
schwere Arbeit in den Bereichen der Konfektion
und der textilen Produktion (ebd.). Die Anwer-
bung von ausländischen Arbeiter*innen war in
den Plänen der DDR zunächst nicht vorgesehen,
denn Gastarbeit stellte in den Augen der DDR-
Funktionär*innen eine Fortführung der NS-
Zwangsarbeit dar (Mende 2013, 152). Allerdings
begann der SED-Staat im Zuge des zunehmen-
den Arbeitskräftemangels und der wirtschaftli-
chen Krisenerscheinungen die Konditionen für
Arbeitsmigration neu auszurichten. Ab den
1980er-Jahren wurden vorwiegend Menschen
aus Vietnam und Mosambik angeworben, um
den Bedarf zur Erhöhung bzw. Aufrechterhal-
tung der Produktion zu decken. Anders als die
Gastarbeit in Westdeutschland war Arbeitsmig-
ration in der DDR wenn auch zeitlich begrenzt
als Einsatz vorgesehen, der mit der Möglichkeit
auf Ausbildung verbunden und an die allgemein
geltenden arbeits- und sozialrechtlichen Bedin-
gungen geknüpft war (ebd., 153). Die Kopplung
von Ausbildung und Vertragsarbeit sorgte dafür,
dass Arbeitsmigration mit den Politiken der anti-
imperialistischen Solidarität vereinbart werden
konnte (ebd., 156). Dennoch waren die Bezie-
hungen zwischen DDR-Bürger*innen und den
Genoss*innen aus anderen sozialistischen Bru-
derstaaten nicht auf Augenhöhe angelegt. Dies
belegen neben den ausbeuterischen Vertrags-
Miriam Friz Trzeciak DOI: https://doi.org/10.26043/GISo.2020.2.4 Seite 9
ZEITSCHRIFT FÜR SOZIALISATIONSFORSCHUNG
bedingungen für die Arbeitsmigration aus ehe-
maligen Kolonialstaaten auch die Vorstellungen
von nationaler Differenz und Überlegenheit sei-
tens der DDR-deutschen Kommunist*innen
(Poutrus 2005b, 231).
5.3 Diskussion: Wie sollen die koloniale und so-
zialistische Vergangenheit der Stadt erinnert
werden?
Im Zuge der Stadtführung wurde deutlich, dass
die Erinnerungsorte aus der jüngeren Stadtge-
schichte im kommunikativen Gedächtnis der Be-
völkerung verankert und für viele der älteren
Besucher*innen mit emotionaler und biographi-
scher Bedeutung verbunden sind. Sie konnten
sich mit dem Sternchen identifizieren, denn sie
hatten dort in der Vergangenheit Eis gegessen,
Kaffee und Cocktails getrunken, in der Disko ge-
tanzt und Ausstellungen besucht (Feldnotizen,
16.07.2019). Darüber hinaus stand der Gebäu-
dekomplex rund um das Sternchen für einen
prestigeträchtigen Erinnerungsort in Cottbus, der
über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt war
und der die Bedeutung von Cottbus als Zentrum
der Energie- und Textilindustrie reflektierte. Der
Abriss des Sternchens stellt eine schmerzhafte
Erinnerung dar und symbolisiert eine Missach-
tung des sozialistischen Kulturerbes. Seine Zer-
störung nahm den Menschen die Materialität
eines konkreten Erinnerungsortes.
Zugleich stellt das Sternchen einen Erinnerungs-
ort dar, an dem sich verschiedene Erinnerungs-
narrative überlagern. Einerseits konnten die
Folgen und die symbolische sowie materielle Ab-
wertung des DDR-Kulturerbes, die sich auch in
den Lebenserfahrungen der Cottbuser Bevölke-
rung widerspiegelt, zur Sprache kommen (Koll-
morgen 2011; Heft 2018). Andererseits kamen,
als es um die Aspekte der kolonialen Verstrickun-
gen der sozialistischen Modernität ging, die blin-
den Flecken der Erinnerung zum Vorschein.
Vielen der Teilnehmenden fiel es zunächst
schwer, das Überlegenheitsdenken gegenüber
anderen sozialistischen Bruderstaaten, das sich
in der futuristischen Architektur des Gebäudes
widerspiegelte, zu reflektieren.
Nachdem wir mit dem Sternchen einen Erinne-
rungsort behandelt hatten, der sich mit Abwer-
tung der Lebensgeschichten der weißen und
älteren ostdeutschen Teilnehmer*innen befasste
und diese anerkannte, schien es einfacher, über
die ambivalenten Aspekte der DDR-Geschichte
zu sprechen. So thematisierten wir im Anschluss
daran die sozialen Realitäten, die durch das Mig-
rationsregime in der DDR produziert worden wa-
ren, am Beispiel des VEB Textilkombinats
Cottbus (TKC). Die Thematisierung der Ausgren-
zung und des Fremdmachens von Vertragsar-
beiter*innen entlang einer kolonialen Matrix
entfachte eine Debatte darüber, wie die DDR er-
innert werden sollte. Nicht alle der weißen Teil-
nehmer*innen der Stadtführung waren mit der
Thematisierung von Rassismus und sozialer
Segregation einverstanden, die das DDR-Migra-
tionsregime charakterisiert hatte. Während ei-
nige auf die Vertragsbedingungen des Migra-
tionsregimes hinwiesen und die Prozesse der
rassistischen Hierarchisierung von Vertragsar-
beiter*innen anhand von Erinnerungen aus den
VEBs, in denen sie gearbeitet hatten, illustrierten,
wiederholten andere das offizielle Narrativ, dass
Rassismus in der DDR weniger virulent als in
Westdeutschland gewesen sei (Feldnotizen,
16.07.2019). In diesem Kontext betonte ein wei-
ßer Seminarteilnehmer, dass das Leben in der
DDR für die Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft
weniger durch die politischen Imperative des Re-
alsozialismus als durch ein Leben in materieller
und sozialer Sicherheit geprägt gewesen war,
eine Perspektive, die er im kollektiven Gedächtnis
der BRD missrepräsentiert sieht (ebd.). Die kon-
krete Erinnerung an migrantische Kolleg*innen,
die nach 1990 größtenteils in ihre Herkunftslän-
der zurückkehrten, stellte wiederum einen Raum
für transkulturelle Bezüge zur aktuellen Situation
von Geflüchteten in Cottbus her. Gleichzeitig
blieb es schwierig, die Kontinuitäten von rassisti-
scher Ausgrenzung in der Stadt mit der Verleug-
nung von Rassismus in der DDR zusammen zu
bringen.
Wiederum zeigten die Besucher*innen der
Stadtführung weniger Verwunderung, als es um
die Spuren der deutschen Kolonialgeschichte in
Cottbus ging, die wir anhand von Epitaphien in
der Cottbuser Oberkirche für die in kolonialen
Kriegen in Deutsch-dwest-Afrika und China
gestorbenen Soldaten illustrierten. Im Gespräch
betonten einige der älteren Besucher*innen, die
zu DDR-Zeiten in der Stadt gelebt und gearbeitet
hatten, dass sie sich während ihrer Schulzeit in
Miriam Friz Trzeciak DOI: https://doi.org/10.26043/GISo.2020.2.4 Seite 10
ZEITSCHRIFT FÜR SOZIALISATIONSFORSCHUNG
der DDR kritisch mit der Geschichte des deut-
schen Imperialismus auseinandergesetzt hatten
(Feldnotizen, 16.07.2019). Sie vermuteten, dass
sich die offiziellen Erinnerungsnarrative des anti-
imperialistischen SED-Staates über den deut-
schen Kolonialismus und Imperialismus
wesentlich von denjenigen Westdeutschlands
unterschieden (ebd.; siehe auch Ha, K. N. 2017,
114 ff.). Auch war ihnen die Forderung und Not-
wendigkeit einer dekolonialen Intervention im ur-
banen Raum nicht neu (Feldnotizen,
16.07.2019).
Deutlich wurde, dass die Verwobenheit zwi-
schen postkolonialen und postsozialistischen
Spuren verschiedene Vergangenheitsnarrative
zum Vorschein brachte. Je nach sozialer Positio-
nierung rekonstruierten die Besucher*innen der
Stadtführung die spezifischen Erinnerungsorte
sehr unterschiedlich. Die Kontroverse darüber,
wie die kolonialen und sozialistischen Spuren in
Cottbus erinnert werden sollten, eröffnete einen
produktiven Raum zur Reflexion und Verhand-
lung weiterer, marginalisierter Geschichten. Über
die vergangenheitsbezogenen Dialoge konnten
verschiedene soziale Gruppen in Erscheinung
treten. So sprachen Mitglieder einer antifaschis-
tischen Initiative während der gemeinsamen Dis-
kussion über die Kontinuitäten des Rassismus
sowie rechtsextremer Mobilisierung vor und
nach 1989, die sie in den Zusammenhang der
derzeitigen Wahlerfolge der AfD stellten (ebd.).
Diese Erzählungen nahmen wiederum Mitglieder
des „Geflüchteten Netzwerk Cottbus e.V.“ zum
Ausgangspunkt, um verschiedene Formen ras-
sistischer Ausgrenzung, aber auch um Formen
der Allianz und der Solidarität in der Gegenwart
darzulegen (ebd.).
Das konkrete Aufzeigen der spezifischen Pro-
zesse und Positionierungen, von denen aus die
koloniale und sozialistische Stadtgeschichte erin-
nert oder vergessen wurden, verwies auf das
umkämpfte Feld der Erinnerungspolitik. Der dis-
kursive Verhandlungsraum war bedeutsam, um
einen multidirektionalen Dialog über verschie-
dene Formen der Erinnerung zu initiieren. So ent-
stand eine Begegnungszone, die verschiedene
(asymmetrische) Formen der Ausgrenzung, der
Abwertung und des Fremdmachens anerkannte,
ohne diese in eine Logik der Konkurrenz zu stel-
len. Indem aufbauend auf der kritischen
Auseinandersetzung mit dem kolonialen Erbe
der Stadt verschiedene multidirektionale Formen
des Erinnerns produktiv wurden, konnten Fragen
nach sozialer und epistemischer Gerechtigkeit
adressiert werden.
Multidirektionale Prozesse des Dialoges in einer
Stadt wie Cottbus sind wichtig, um Grundlagen
für ein solidarisches Miteinander zwischen ver-
schiedenen, marginalisierten und hegemonialen
Gruppen zu schaffen. Auch wenn die Aushand-
lungen von Erinnerungen nicht notwendiger-
weise Solidarisierungseffekte mit sich bringen,
so können sie einen Beitrag zur Störung und Un-
terbrechung rechter Narrative sowie Impulse für
eine rassismuskritische Sensibilisierung leisten.
In diesem Sinne sind erinnerungspolitische Initi-
ativen wie das Stadtführungsprojekt, die kritische
Lern- und Reflexionsorte zur Auseinanderset-
zung mit dem kolonialen Erbe der Gesellschaft
anbieten, erst der Anfang von weitreichenderen
Maßnahmen der Dekolonisierung von Städten,
die nicht nur Fragen der Zugehörigkeit und Teil-
habe, sondern auch der Wiedergutmachung be-
treffen.
6. Fazit
In diesem Beitrag bin ich der Frage nachgegan-
gen, wie entinnerte und marginalisierte Ge-
schichten durch dialogische und multipers-
pektivische Methoden der Erinnerungsarbeit
sichtbar gemacht werden können. Aufbauend
auf Befunden der dekolonialen und postkolonia-
len Forschung sowie der memory studies habe
ich argumentiert, dass Erinnerungen machtvolle
Werkzeuge darstellen, mit denen die Vergan-
genheit in der Gegenwart bearbeitet und kon-
struiert wird (Rothberg 2009).
Am Beispiel des Lehrforschungsprojektes einer
postkolonialen und postsozialistischen Stadtfüh-
rung in der ostdeutschen Stadt Cottbus habe ich
gezeigt, wie sich Erinnerungen an koloniale und
realsozialistische Spuren überlagern und dabei
verschiedene Bedeutungen und Konstellationen
produzieren. Zwar bringen die Überlagerungen
der Hinterlassenschaften von Kolonialismus und
Sozialismus ungleiche und diverse Formen der
Erinnerung hervor. So scheint die Thematisie-
rung kolonialer Spuren auf den ersten Blick we-
niger umkämpft als die Verwobenheiten von
Miriam Friz Trzeciak DOI: https://doi.org/10.26043/GISo.2020.2.4 Seite 11
ZEITSCHRIFT FÜR SOZIALISATIONSFORSCHUNG
Kolonialismus und Realsozialismus. Wie ich mit
Rothberg (ebd.) beleuchtet habe, müssen die
umkämpften Formen der Erinnerung jedoch nicht
notwendigerweise eine Logik der Konkurrenz um
Anerkennung zwischen verschiedenen sozialen
Gruppen reproduzieren. Über das Sichtbarma-
chen verschiedener Erfahrungen des Fremdma-
chens und der symbolischen und materiellen
Missachtung von kollektiven Erfahrungen kön-
nen auch Formen multidirektionaler Erinnerung
entstehen, die das Potenzial für neue Formen der
Solidarität und neue Visionen von Gerechtigkeit
herstellen. Die kritische Aufarbeitung des Nach-
wirkens des kolonialen Erbes kann einen Beitrag
leisten, um rassistischen und rechtsextremen
Mobilisierungen und Narrativen entgegenzuwir-
ken.
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Zum*zur Autor*in
Miriam Friz Trzeciak ist wissenschaftliche*r Mitarbeiter*in an der BTU Cottbus-Senftenberg. Ihre*seine
Forschungsinteressen sind kritische Migrationsforschung, Geschlechterforschung und Queer Theory,
Post- und dekoloniale Studien, postsozialistische Studien sowie qualitative und aktivistische/dialogische
Forschungsmethoden.
Kontakt
Dr. Miriam Friz Trzeciak
Fakultät 5 Lehrstuhl Interkulturalität
Erich-Weinert-Str. 1
LG 10, Raum 206a
D-03046 Cottbus
Tel.: +49 355 69 34 85
E-Mail: Miriam.Trzeciak@b-tu.de
URL: https://www.b-tu.de/fg-interkulturalitaet/team/akademisches-team/dr-miriam-friz-trzeciak
... A special type of such a critical guided walking tour is that of the postcolonial city walk. In Germany, postcolonial initiatives regularly use city walks to sensitize interested audiences to coloniality in urban spaces (Bauche, 2010;Trzeciak, 2020). While tourist settings often resort to narratives that make use of processes of 'othering' (Said, 1978), the aim of postcolonial guided walking tours explicitly is to deconstruct these processes. ...
Article
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In various ways, postcolonial initiatives in Germany contribute to the formation of ‘national cultures of remembrance’ and to the debate about Europe’s responsibility for the negative effects of colonial expansion that can still be felt today. One approach, which the activist groups use in their educational and activist work, is that of the guided walking tour – a method that allows them to sensitize an interested audience to colonially contoured spaces in German cities. Interestingly, the postcolonial initiatives do not see themselves as providers of tourist services, even though they use the rather fundamental touristic form of the ‘city walk’. As this discrepancy in perception allows discussions about tourism in a more general, conceptual sense, this paper examines the tours at the nexus of activism, education, and tourism. Thereby, it asks what constitutes the walks and discusses their relation to urban tourism. To do so, the article first explains relevant concepts of tourism geographies and postcolonial studies and then connects them to insights gained from the qualitative and quantitative analysis of empirical data collected in a field phase in Germany in 2022.
... Die Großschreibung der Begriffe demonstriert, dass es sich eher um politische Identifizierungen und Positionierungen aufgrund konstruierter Zuordnungen handelt, die historisch bedingt sind. Gleiches gilt für den Begriff Weiß, der die gesellschaftliche Position einer Person ausdrückt, die nicht aufgrund von Rassismus benachteiligt wird und dadurch Privilegien hat (Lerch, 2019;Mohseni, 2018;Trzeciak, 2020). Der Gebrauch der Begriffe in diesem Beitrag basiert auf diesen Verständnissen. ...
... Dies gilt vorwiegend für die urbanen ( Da die Erinnerungsorte nicht im kulturellen Gedächtnis der Stadtgesellschaft präsent sind, mussten wir uns zunächst auf die Suche nach solchen Orten machen. In Anlehnung an die Methodologie der Multi-Sited Ethnography (Marcus 1995) und im Sinne eines "follow the memory" verstanden wir das Stadtführungsprojekt als einen konzeptuellen Raum, der durch die Aushandlungen seiner Teilnehmenden konstruiert wurde (Trzeciak 2020 Ein weiterer Aspekt der Kolonialität des (real)sozialistischen städtischen Raumes, wie sie im Sternchen zum Ausdruck kommt, verweist auf koloniale Produktionsketten zwischen der DDR und Ländern des Globalen Südens. Im Sternchen konnten die Besucher*innen Genussmittel wie Kaff ee oder Kakao konsumieren. ...
Article
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Der vorliegende Artikel unternimmt eine dekolonisierende Spurensuche im post(real)sozialistischen Raum Cottbus. Inspiriert durch post- und dekoloniale Städteinitiativen lokalisieren wir verschiedene Erinnerungsorte in der Stadt. Wir zeigen, wie der post(real)sozialistische urbane Raum, der aus der DDR hervorgegangen ist, auf ambivalente Weise in eine koloniale Matrix eingebunden ist. Wir rekonstruieren, wie diese spezifische Kolonialität/Modernität zur sozialen Hierarchisierung von sozialen, ökonomischen und epistemischen Beziehungen führte. Die ambivalente Positionierung der DDR, die einerseits koloniale Machtverhältnisse fortsetzte, diesen gleichzeitig entgegentrat sowie selbst von Prozessen der Abwertung betroffen war, konzeptualisieren wir als urbane imperiale Differenz. Wir argumentieren, dass die Aufarbeitung der Prozesse von Rassialisierung im (real)sozialistischen urbanen Raum wichtig ist, um gegenwärtige rechtsextreme, zuwanderungsfeindliche und rassistische Bewegungen besser verstehen zu können.
Article
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The article presents the main conceptual intersections and differences between postcolonial studies as a product of the anglophone world, of the history of relations between the British Empire and its colonies, and a critical analysis of post-Soviet discourses and processes, particularly in relation to Russia/USSR and its ex-colonies. This complicates the dichotomous scheme west versus east, north versus south, reflecting the difference between historical colonialisms and the phenomenon of global coloniality, which has assumed a specific guise in Russian/Soviet versions of modernity, marked by external imperial difference.
Article
Today, Prince Hermann von Pückler-Muskau (1785–1871) is known either as a landscape planner, as an eccentric bon vivant, or as a flavor of ice-cream. Discourses today represent him as an early example of German worldliness, juxtaposing him with the Humboldt brothers and Johann W. Goethe. These representations blur the complex asymmetric power relations that lie behind his construction as a historical subject. His subjectivity emerges through processes of knowledge production on the world, nature, art, humans, and objects. While German colonial history is often considered as having consisted of a short episode from the 1880s to 1920, this article sets out to unlearn these assumptions: the aim is not to rewrite German colonial history, but to investigate in which way colonialism as a fragmentation of the world naturalizes and maintains hierarchical knowledge systems through abstraction, aestheticization, and subject-creation. First, this paper investigates the dominant narratives in Pückler’s Andeutungen über Landschaftsgärtnerei (1834), Aus Mehemed Ali’s Reich (1844), and his gardens in Muskau and Branitz as constructions of the world as ideal nature. Second, this paper analyzes the contradictory historiography on Pückler, from the propagation of ice-cream recipes during the German Empire, to National-Socialist ideas on German landscapes, to contemporary representations of Pückler as a cosmopolitan creator of UNESCO World Heritage sites. Finally, the paper critically examines the relations of humans, objects, and aesthetics within Pückler’s ecological thought. Here, the focus lies on silenced narratives and the entanglements of his understandings of nature and slavery, with a particular focus on Machbuba/Ajiamé/Bilillee, a group of enslaved women who traveled with Pückler through North Africa and the Middle East between 1834 and 1840.
Chapter
In decrying the lack of any full, or even remotely accepted, theorisation of the heritage concept, Larkham questions whether heritage is simply ‘all things to all people’.¹ Certainly there seem to be as many definitions of the heritage concept as there are heritage practitioners, while many commentators simply leave the definition as broad and malleable as possible. Johnson & Thomas, for instance, simply note that heritage is ‘virtually anything by which some kind of link, however tenuous or false, may be forged with the past’, while Lowenthal seems to revel in his claim that ‘heritage today all but defies definition’.² This in itself raises the question of whether we really need a tight definition at all, let alone a comprehensive ‘manifesto’ of what heritage studies is all about. However, without wanting to delve into the inconclusiveness (and ultimate aridity) that some of such debates have led us to in the past, we do at least need to consider the ‘scope’ of heritage studies as a discipline. This is particularly important with regard to the theorisation of temporality that its very ‘presentness’ seems to imply. In short, many contemporary studies of heritage issues have failed fully to explore the historical scope that the concept really implies, and have rather been too preoccupied with certain manifestations of heritage’s recent trajectory. I certainly do not intend to prescribe a narrowly defined heritage manifesto, nor to denigrate any recent heritage work. Rather, I wish to make space for a longer historical analysis of the development of heritage practices. Consequently, by providing a longer historical narrative of ‘heritageisation’ as a process, I am seeking to situate the myriad of multiply-connected interdisciplinary research that makes up the terrain of heritage studies today. © 2019 selection and editorial matter, Sheila Watson, Amy Jane Barnes and Katy Bunning; individual chapters, the contributors.
Article
The globalization of the world is, in the first place, the culmination of a process that began with the constitution of America and world capitalism as a Euro-centered colonial/modern world power. One of the foundations of that pattern of power was the social classification of the world population upon the base of the idea of race, a mental construct that expresses colonial experience and that pervades the most important dimensions of world power, including its specific rationality: Eurocentrism. This article discusses some implications of that coloniality of power in Latin American history.
Article
This review surveys an emergent methodological trend in anthropological research that concerns the adaptation of long-standing modes of ethnographic practices to more complex objects of study. Ethnography moves from its conventional single-site location, contextualized by macro-constructions of a larger social order, such as the capitalist world system, to multiple sites of observation and participation that cross-cut dichotomies such as the “local” and the “global,” the “lifeworld” and the “system.” Resulting ethnographies are therefore both in and out of the world system. The anxieties to which this methodological shift gives rise are considered in terms of testing the limits of ethnography, attenuating the power of fieldwork, and losing the perspective of the subaltern. The emergence of multi-sited ethnography is located within new spheres of interdisciplinary work, including media studies, science and technology studies, and cultural studies broadly. Several “tracking” strategies that shape multi-site...
Article
This article treats one of the problems of ethnographic methodology. It spells out description as a fundamental sociological practice. The paper focusses on working out the main problem which is solved by descriptions: the verbalization of the "silent" dimension of the social. First, ethnographic writing is introduced as a documentary procedure. It has been devalued by more advanced recording techniques which have set a naturalistic standard with respect to the reification and decontextualization of "data". This standard is discussed in the perpective of the sociology of knowledge. Subsequently, the article elaborates on those problems which are left untouched by all empirical procedures that rely on primordial verbalizations of informants: interviews, discourse-analysis, and conversation-analysis. Ethnographic writing has to solve the problems of the voiceless, the mute, the unspeakable, the prelinguistic, and the indescribable. Ethnography puts something into words which did not previously exist in language. To fulfill this task of shifting the limits of articulation descriptions have to turn away from the logic of recording and develop into theory-oriented research practice, which must be assessed not in terms of its documentary accuracy, but in terms of its analytical performance.