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5. November 2020
Jakob Jünger und Chantal Gärtner
Durchgeführt von der
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DIE INHALTE IM ÜBERBLICK
- Telegram ist ein Messenger, in dem unterschiedliche Formen von Online-Kommunikation stattfinden:
interpersonale Kommunikation, der wechselseitige Austausch in Gruppen und die einseitige Ver-
breitung von Mitteilungen an ein potenziell großes Publikum in Kanälen. Telegram eröffnet damit
einen Raum für sozialen Kontakt, kreativen Austausch und öffentliche Meinungsbildung.
- In der überregionalen Berichterstattung und im Forschungsstand wird Telegram unter anderem im
Zusammenhang mit Drogenhandel und mit gesellschaftlich aufgeladenen Themenfeldern wie der
Verbreitung von Extremismus und Verschwörungstheorien genannt.
- Eine explorative Stichprobe von 913 Gruppen und Kanälen wurde einem Screening unterzogen,
die ausgewählten Inhalte wurden in 22 Problemfeldern in den Bereichen Information, Politik,
Ökonomie und Lebenswelt verortet. Die Studie erarbeitet einen exemplarischen Überblick über
Inhalte und Struktur der Angebote.
- Standardverstöße umfassen ein fehlendes Impressum (96 % der geprüften Kanäle). Es werden
außerdem häufig Bilder und Texte geteilt, bei denen der urheberrechtliche Status unklar ist
(42 % der geprüften Angebote).
- Die meisten Rechtsverstöße finden sich in den Bereichen Rechtsextremismus, Drogenhandel,
Dokumentenhandel und Pornografie. Die Felder sind unterschiedlich organisiert. Im extremistischen
Bereich sind besonders Kanäle mit Bezügen zu verbotenen Organisationen und Kennzeichen
auffällig. Illegaler Handel wird vorrangig durch Gruppen organisiert. Angebote mit entwicklungs-
beeinträchtigenden Inhalten sind vergleichsweise weniger aktiv und führen Nutzende zu privaten
Chats oder pornografischen Webseiten außerhalb von Telegram.
- Viele Angebote sind untereinander vernetzt, sodass man leicht von der Diskussion aktueller
Themen über desinformierende und verschwörungstheoretische in extremistische Kontexte gerät.
Hier findet sich teilweise emotional aufgeladene und diskriminierende Kommunikation, in der
dem Mediensystem, dem Staat und anderen Bevölkerungsgruppen misstrauisch bis feindlich
begegnet wird.
- Für die Internetregulierung ergibt sich die Herausforderung, Räume für Meinungsfreiheit sowie
individuelle und ökonomische Entfaltung zu sichern, gleichzeitig jedoch die Mitglieder der Gesell-
schaft vor schädigenden Kommunikationsfolgen zu schützen.
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1. EINLEITUNG UND PROBLEMSTELLUNG
2. TELEGRAM ALS HAFEN DER VERBANNTEN?
2.1 Aufbau und Funktionalität: Telegram als Hybridmedium
2.2 Forschungsstand: Dark Social Media zwischen politischer Befreiung und Zensur
2.3 Telegram in der deutschen Berichterstattung:
Verschwörungstheorien, Desinformation und Extremismus
3. VORGEHENSWEISE: SCREENING VON REGULIERUNGSRELEVANTEN
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INHALTSVERZEICHNIS
UND PROBLEMATISCHEN ANGEBOTEN
3.1 Kategoriensystem der Problemfelder
3.2 Sampling und Datenerhebung
3.2.1 Startpunkte
3.2.2 Datenerhebung
3.2.3 Kodierung der Mitteilungen
4. ANALYSE DER PROBLEMFELDER AUF TELEGRAM
4.1 Struktur der Angebote
4.1.1 Informationsverbreitung über Kanäle und Handel über Gruppen
4.1.2 Reichweitenstarke Angebote primär in problemverschärfenden Feldern
4.1.3 Starke Aktivität in den Feldern Desinformation, Verschwörungstheorien
und Extremismus
4.2 Auffindbarkeit der Angebote
4.3 Problemfelder
4.3.1 Standardverstöße in der Online-Kommunikation
4.3.2 Rechtsverstöße in Kommunikationsinhalten
4.3.3 Emotionalisierend-empathielose Kommunikation in
problemverschärfenden Angeboten
5. LIMITATIONEN
6. ZUSAMMENFASSUNG UND FAZIT
LITERATUR
ANHÄNGE
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1. EINLEITUNG UND PROBLEMSTELLUNG
Online-Kommunikation hat einen hohen Stellenwert für die gesellschaftliche Meinungsbildung und die indivi-
duelle Persönlichkeitsentwicklung eingenommen (siehe z. B. die Beiträge in Schmidt & Taddicken 2017). Dieser
Medialisierungsprozess wird insbesondere in Messengern wie Telegram deutlich. Hier findet die Individualkommuni-
kation innerhalb der Familie, zwischen Bekannten oder Kollegen auf der gleichen Plattform statt wie die Verbreitung
von Nachrichten und Unterhaltungsangeboten publizistischer Anbieter. Dieses Teilen von Inhalten ist dabei nicht auf
journalistische Akteure beschränkt, sondern auch Unternehmen, politische Organisationen und soziale Bewegungen
nutzen Kanäle und Gruppen für ihre Kommunikation.
Die Offenheit dieser Dienste bringt es mit sich, dass in der Online-Kommunikation nicht nur gesellschaftlich funktio-
nale, sondern auch dysfunktionale Kommunikation anzutreffen ist, etwa wenn sich darüber demokratiegefährdende
politische Akteure organisieren, entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte leicht für Kinder und Jugendliche zugänglich
werden sowie menschenrechtsverletzende Bilder und Texte ein Forum finden. Die frühen Hoffnungen auf ein staatlich
unreguliertes Internet (Barlow 1996) haben diese Phänomene nicht nur unzureichend eingerechnet, sondern auch
übersehen, dass globale marktmächtige Anbieter wie Facebook oder Google praktisch eine Regulierung nach eigenen
Kriterien durchsetzen – aus ökonomischer Perspektive gilt es, die Aufmerksamkeit der Nutzenden möglichst lange zu
binden, selbst wenn langfristig schädliche Wirkungen kaum abgeschätzt werden können.
Internetregulierung steht damit vor der Herausforderung, einerseits Räume für Meinungsfreiheit, individuelle und
ökonomische Entfaltung zu sichern, andererseits jedoch die Mitglieder der Gesellschaft vor schädigenden Kommuni-
kationsfolgen zu schützen. Während diese Herausforderung in Bezug auf die großen Social-Media-Plattformen bereits
länger angegangen wird und die Anbieter begonnen haben, z. B. pornografische, rechtsextremistische oder desinfor-
mierende Inhalte zu löschen, ist der Messenger Telegram bislang weniger in die Governance-Strukturen eingebunden.
Das ist auch darauf zurückzuführen, dass der genaue Sitz der Betreiber unbekannt ist und Telegram sich als besonders
sicherer Dienst präsentiert. Eine Weitergabe von Daten an staatliche Stellen wurde nach eigenen Angaben (Telegram
2020b) bislang verweigert, mit dem durchaus nachvollziehbaren Argument, dass Telegram in autoritären Regimen
regierungskritische Kommunikationsmöglichkeiten schafft:
Telegram reguliert dennoch auf Grundlage eigener Standards, nimmt Meldungen von Nutzenden entgegen
(„legitime Anfragen“) und löscht beispielsweise urheberrechtlich geschützte Inhalte, Pornografie oder terroristische
Kanäle (Telegram 2020a). Trotzdem deutet einiges darauf hin, dass sich Akteure einer Regulierung auf anderen Platt-
formen durch Abwanderung in Messenger wie Telegram zu entziehen versuchen (Rogers 2020; Urman & Katz 2020).
In der Berichterstattung wird Telegram etwa im Zusammenhang mit der Verbreitung von Verschwörungstheorien,
rechtsextremen Organisationen und Drogenhandel genannt. Insofern stellt sich für die deutsche Regulierungspraxis
die Frage, welche potenziell rechtsverstoßenden, aber auch darüber hinaus gesellschaftlich problematischen Inhalte
auf Telegram zu finden sind.
„Wenn zum Beispiel Kritik an der Regierung in irgendeinem Land verboten
ist, ist Telegram keinesfalls ein Teil solcher politisch motivierten Zensur. Dies
verstößt gegen die Grundsätze unserer Gründer“ (Telegram 2020a).
1 Wir danken Aaron Jeuther und Lara Lichtenthäler für die vielen hilfreichen Anregungen und die engagierte Mitarbeit an der Studie.
Jakob Jünger und Chantal Gärtner1
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Mit der vorliegenden Analyse gehen wir vor diesem Hintergrund im Auftrag der Landesanstalt für Medien NRW folgen-
den Fragen nach:
- Welche gesellschaftlichen Problemfelder sind mit dem Messenger Telegram verbunden?
- Inwiefern finden sich auf Telegram regulierungsrelevante Inhalte?
- Wie sind entsprechende Angebote auf Telegram organisiert und welche Reichweiten erlangen
deren Inhalte auf Telegram?
In den folgenden Kapiteln wird zunächst der Dienst Telegram vor dem Hintergrund des Forschungsstands und der
Berichterstattung eingeordnet. Die Analyse der überregionalen Berichterstattung im ersten Halbjahr 2020 dient dazu,
Problemfelder und Startpunkte für die weitere Analyse zu gewinnen. Weitere Startpunkte wurden durch eine manu-
elle sowie eine automatisierte Suche identifiziert, um ausgehend von diesen weitere, verlinkte Angebote zu erheben.
Anschließend haben wir ein Screening dieser Angebote auf Telegram durchgeführt. Auf die Darstellung der Vorgehens-
weise folgen die Ergebnisse. Der Bericht schließt mit einer allgemeinen Einordnung der Befunde.
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2. TELEGRAM ALS HAFEN DER VERBANNTEN?
2.1 Aufbau und Funktionalität: Telegram als Hybridmedium
Messenger gehören in Deutschland zu den meistgenutzten Internetanwendungen (Beisch & Schäfer 2020). Der
Messenger Telegram hat laut eigenen Angaben im Jahr 2020 weltweit monatlich 400 Millionen Nutzende erreicht
(Durov 2020) und tritt auch in Deutschland mit einer geschätzten Verbreitung von immerhin rund 10 % innerhalb der
ab 16-jährigen Bevölkerung zunehmend in Konkurrenz zu anderen internetvermittelten Over-the-Top-Diensten wie
WhatsApp oder dem Facebook Messenger (Bundesnetzagentur 2020). Voraussetzung für die Nutzung ist die einmalige
Registrierung mit einer Mobilfunknummer, anschließend lassen sich neben Apps auf Smartphones auch Desktop-
Clients verschiedener Hersteller nutzen.
Telegram weist dabei im Vergleich zu anderen Messengern eine recht spezifische Architektur auf. Auf WhatsApp sind
etwa die Gruppengrößen, Weiterleitungsmöglichkeiten und die Verbreitung von Massennachrichten beschränkt (z. B.
WhatsApp 2019). Facebook trennt den Messenger funktional stärker von Facebook-Seiten und -Gruppen. Auf Telegram
ist dagegen neben der verschlüsselten Kommunikation zwischen einzelnen Personen der wechselseitige Austausch
in Gruppen von bis zu 200.000 Mitgliedern möglich. Hier kann direkt auf vorangegangene Mitteilungen geantwortet
werden und Nutzende sind wechselseitig über ihre Handles ansprechbar. Handles sind selbstgewählte Nutzernamen
und die Mobilfunknummer ist für die gegenseitige Adressierung nicht nötig, sodass pseudonyme Kommunikationssitu-
ationen geschaffen werden. Eine Besonderheit stellt darüber hinaus die Möglichkeit der One-to-many-Kommuni kation
in Kanälen dar, über die von einer unbegrenzten Mitgliederzahl beispielsweise Nachrichtenangebote abonniert werden
können. Gruppen und Kanäle können über eine Suchfunktion oder über weitergegebene Links aufgefunden werden. Die
Administratorinnen und Administratoren steuern mit verschiedenen Einstellungen die Zugänglichkeit der Angebote
und Inhalte. Zu öffentlichen Gruppen und Kanälen können beliebig viele Nutzende beitreten. Zu privaten Gruppen und
Kanälen müssen Nutzende explizit von den Betreibenden hinzugefügt oder über einen Link eingeladen werden. Die
Angebote unterscheiden sich beispielsweise dahingehend, ob bestehende Inhalte bereits vor dem Beitritt oder erst
nach dem Beitritt sichtbar sind, sodass ggf. nur die neuesten Mitteilungen verfolgt werden können. Auch die Berech-
tigungen, wie oft und welche Arten von Nachrichten Mitglieder posten können und welche Einstellungen sie am Chat
vornehmen können, werden durch die Betreibenden geregelt.
Die Basisfunktionalität besteht in allen drei Kommunikationsmodi im Versenden und Empfangen von Mitteilungen,
die neben Text auch Bilder, Videos oder Audioaufnahmen enthalten können. In Gruppen und Kanälen geben Beschrei-
bungen eine Orientierung über die Inhalte und es kann eine Nachricht angepinnt werden, z. B. um Regeln für die
Kommunikation aufzustellen. Nutzende erhalten beim Eingang von Mitteilungen in privaten Chats oder aus abonnier-
ten Kanälen und Gruppen eine Benachrichtigung, sofern sie diese nicht stummschalten. Nicht nur Administratorinnen
und Administratoren von Kanälen und Gruppen, sondern auch Nutzende haben eine hohe Kontrolle über die Sicht-
barkeit ihrer Inhalte, beispielsweise mit anonymen Weiterleitungen oder der Möglichkeit, unverzüglich alle eigenen
Inhalte zu löschen (siehe auch Urman & Katz 2020: 4). Eine wichtige Rolle spielen auf Telegram zudem Bots, welche
von Drittanbietern mittels der Telegram-API entwickelt werden. Bots sind als solche gekennzeichnet, erscheinen in der
Oberfläche wie Nutzende und werden etwa zur automatischen Moderation von Inhalten eingesetzt oder um Kommen-
tarmöglichkeiten zu Beiträgen in Kanälen einzurichten.
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2.2 Forschungsstand: Dark Social Media zwischen politischer Befreiung und Zensur
Der Forschungsstand zur Messengerkommunikation ist im Kontrast zur Nutzung und im Vergleich zu anderen Inter-
netanwendungen wie Social Networking Sites eher schwach ausgeprägt (Jünger 2021). In Bezug auf Telegram wird
etwa die journalistische Nutzung untersucht (z. B. Gonzales & Moreno 2020). Daneben spielt Telegram – soweit in eng-
lischsprachigen Veröffentlichungen erkennbar – insbesondere im Iran als einer der meistgenutzten Internetdienste für
die Verbreitung von Informationen eine wichtige Rolle. So beschäftigen sich entsprechende Studien mit der Nutzung
im Vorfeld der Präsidentenwahlen im Jahr 2017 (Ameli & Molaei 2020; Kermani 2020), mit dem Nutzerverhalten in
Gruppen (Hashemi & Zaare Chahooki 2019) oder mit Telegram als Informationskanal für Iraner, die in die USA
immigrieren (Nikkhah et al. 2020).
Gleichzeitig sind staatliche Akteure im Iran wie auch in Russland darum bemüht, mit einer Vielzahl an Maßnahmen
die Nutzung von Telegram zu beschneiden oder zu unterbinden (Akbari & Gabdulhakov 2019). In der Berichterstattung
finden sich zudem immer wieder Hinweise, dass auch westliche Geheimdienstorganisationen darauf hinwirken, Rechts-
grundlagen zum Aushebeln der Verschlüsselung zu erwirken und technische Wege zu entwickeln sowie Know-how
aufzubauen, um über Umwege eine Telekommunikationsüberwachung durchzuführen (z. B. Lipp & Hoppenstedt 2016;
Zeit Online 2020). Ebenso beschäftigt sich die Forschung mit forensischen Analysen von Telegram für die Kriminali-
tätsaufklärung (Satrya et al. 2016).
Über die politische Dimension hinaus steht Telegram besonders in rechtlich problematischen Feldern im Fokus der
Forschung. In einer russischen Studie werden Kanäle und Akteure systematisiert, die über Telegram den Verkauf von
Drogen organisieren (Sukhodolov & Bychkova 2019). In einer ethnografisch ausgerichteten Studie stellen Semenzin
& Bainotti (2020) heraus, dass die Anonymität auf Telegram „gendered power hierarchies“ (ebd.: 4) begünstigt. Sie
untersuchen ausgehend von italienischen Angeboten sexuell-intime Fotos von Frauen, welche ohne deren Einwilligung
durch Männer verbreitet und kommentiert werden.
Methodische Orientierung für die vorliegende Analyse geben Semenzin & Bainotti (2019). Sie testen am Beispiel
links- und rechtsextremer Kanäle aus, welche Erhebungs- und Auswertungsansätze sich für die Untersuchung von
Telegram eignen. Ausgehend von einem Sample von 20 rechtsextremen und 30 linksextremen Kanälen identifizieren
sie über das Nachverfolgen telegraminterner und telegramexterner Links weitere Angebote und illustrieren, dass
Telegram eine attraktive Plattform für extremistische Akteure darstellt, die von anderen Plattformen verbannt wur-
den. Dennoch ist das Tracking von Akteuren auf Telegram insbesondere im extremistischen Bereich komplex, wie
Mazzoni (2018) für das Feld salafistisch-djihadistischer Kommunikation feststellt, da die Namen der Kanäle nicht
immer eindeutig sind, Administratorinnen und Administratoren den Zugang zu privaten Gruppen regulieren und die
besonders relevanten Kanäle eine kurze Lebensdauer haben: „The safest channels, which are of most interest for those
conducting monitoring activity, have an average longevity of approximately three months“ (Mazzoni 2018).
Auf der methodischen Grundlage von Semenzin & Bainotti (2019) untersucht Rogers (2020) die Aktivität prominen-
ter politischer Akteure, die von Social-Media-Plattformen wie Facebook oder YouTube verbannt wurden. Die Verban-
nung prominenter Akteure führt vermutlich zu einer stärkeren öffentlichen Thematisierung alternativer Plattformen
wie Telegram, die daraufhin Nutzende gewinnen: „When deplatformed social media celebrities migrate to alterna-
tive platforms, these sites are given a boost through media attention and increases in user counts“ (Rogers 2020:
214). Die Attraktivität von Telegram rührt laut Rogers unter anderem daher, dass die Privatsphäreeinstellungen eine
starke Kontrolle über den Öffentlichkeitsstatus erlauben, sodass Gruppen über den Grad ihrer öffentlichen Sichtbar-
keit verfügen können (private sociality) (Rogers 2020: 216). Damit löst Telegram das sogenannte „online extremist´s
dilemma“: Die eigene Sicherheit bleibt trotz öffentlicher Reichweite gewahrt (Clifford & Powell 2019). Ausgehend vom
Telegram-Kanal von Martin Sellner, der in Österreich als zentrale Figur der rechtsextremen Identitären Bewegung gilt,
haben Urman & Katz (2020) ein Zitationsnetzwerk (Erwähnungen von Kanälen und Gruppen) auf Telegram untersucht.
Die Befunde deuten ebenfalls darauf hin, dass rechtsextremistische Aktivitäten zu Telegram abwandern (siehe auch
Gartner et al. 2020). Deplatforming – das Löschen von Accounts durch die Plattformen – führt also möglicherweise
nicht dazu, dass die Aktivität der Akteure nachlässt, aber die Publika werden kleiner und die verwendeten Plattformen
vielfältiger (Roger 2020: 226). Auch persönliche Webseiten erfahren für die selbstbestimmte Verbreitung von Inhalten
eine Wiederbelebung (Rogers 2020: 222).
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2.3 Telegram in der deutschen Berichterstattung: Verschwörungstheorien,
Desinformation und Extremismus
Insgesamt fokussiert sich die internationale Forschung über Telegram bislang auf problematische Inhalte wie Porno-
grafie oder Drogenhandel, vor allem aber auf das Spannungsfeld von Meinungsfreiheit und Zensur. Eine Schwierigkeit
besteht in Bezug auf diese gesellschaftspolitische Dimension in der „slippery nature of the topic itself" (Semenzin &
Bainotti 2019). Inwiefern etwa die aktuell stark thematisierte Verbreitung von Verschwörungstheorien tatsächlich
problematisch ist, lässt sich schwer einschätzen. Hier schwingt immer auch der Impetus der Aufklärung mit – zu
unterscheiden wären allerdings mindestens tatsächliche Verschwörungen von Verschwörungstheorien. Gerade aus
verfassungsrechtlicher und demokratietheoretischer Sicht – die Verfassung schützt Individuen vor dem Staat und legt
dem Staat Schutzpflichten auf (Pötzsch 2009) – stellt Meinungsfreiheit ein besonders schützenswertes Gut dar, sodass
auch scharfe Kritik an Regierungsinstitutionen legitim ist.
Regulierungsrelevante Inhalte sind in Bereichen wie Drogenhandel, Pornografie oder Extremismus anhand von Rechts-
grundlagen wie dem Jugendschutz-Staatsvertrag oder dem Strafgesetzbuch teilweise leicht identifizierbar. Auch die
in der internetvermittelten Kommunikation typischen Verstöße gegen Kennzeichnungspflichten (Impressum) oder das
Urheberrecht sind prinzipiell wohldefiniert. Eine Analyse von problematischen Inhalten in einem Messenger wie Tele-
gram kann hier aber nicht enden, wenn sie gesellschaftliche Dysfunktionen und Regulierungsbedarfe erfassen will.
Als Maßstab für problembehaftete Inhalte haben wir deshalb zunächst die Berichterstattung über Telegram gesichtet.
Hierüber wird der hegemoniale Diskurs sichtbar und es können gesellschaftliche Problemfelder abgeleitet werden. Wir
nehmen dabei in Rückgriff auf Theorien der Öffentlichkeit (z. B. Gerhards & Neidhardt 1991) an, dass die überregionale
Berichterstattung widerspiegelt, welchen Stellenwert Telegram in der öffentlichen Wahrnehmung und im politischen
Diskurs einnimmt. Die Betrachtung der Berichterstattung diente außerdem dazu, potenziell rechtsverletzende Angebo-
te und entsprechende Stichwörter als Startpunkte für die Analyse zu gewinnen (siehe Kapitel 3.2.1).
Datengrundlage sind alle Artikel zum Stichwort Telegram im ersten Halbjahr 2020, die in den reichweitenstärksten
überregionalen Medien erschienen sind. Über die Datenbanken WISO und LexisNexis sowie die Online-Archive der
Bild-Zeitung, der FAZ und der Süddeutschen Zeitung haben wir insgesamt 272 Artikel in den Nachrichtenmedien Bild
(n = 18), FAZ (n = 22), Spiegel (n = 65), SZ (n = 37), taz (n = 38), Welt (n = 46) und Zeit (n = 63) recherchiert. Alle darin ent-
haltenen Absätze mit dem Stichwort „Telegram“ wurden einer qualitativ-strukturierenden Inhaltsanalyse unterzogen
(Mayring 2008; Kuckartz 2012). Das heißt, ausgehend von Regulierungsbereichen der Online-Kommunikation wurden
induktiv weitere Kategorien ergänzt und den vier Bereichen Information, Lebenswelt, Politik und Ökonomie zugeordnet
(zum Kategoriensystem siehe Kapitel 3.1). Die Vorgehensweise bei der Analyse ist dahingehend am Framing-Ansatz
orientiert, dass wir in den Artikeln Problemdefinitionen2 identifiziert haben (Entman 1993: 52; Matthes 2014: 11).
In den 272 Artikeln mit dem Stichwort „Telegram“ finden sich 325 Nennungen von Problemfeldern in Bezug auf den
Messengerdienst. Die Berichterstattung von Januar bis Juni 2020 ist insgesamt von der Corona-Pandemie – ausgelöst
durch das Coronavirus SARS-CoV-2 – und ihren weltweiten gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Folgen
geprägt. Dementsprechend wird auch Telegram oft im Zusammenhang mit der Pandemie genannt (z. B. Fuchs et al.
2020; Welt online 2020b; Gäbler 2020). Im Zeitverlauf zeigt sich, dass eine erhöhte Thematisierung von Telegram be-
sonders im Mai (85 von 272 Artikeln) sowie Juni (60 von 272 Artikeln) stattfindet, wobei der Dienst in diesen Monaten
vor allem in Verbindung mit Desinformation und Verschwörungstheorien sowie politischen Problemfeldern wie Extre-
mismus genannt wird. Auffallend ist dabei, dass Informationsthemen besonders seit März in der öffentlichen Bericht-
erstattung aufgegriffen werden – was in etwa den Zeitpunkt markiert, an dem das öffentliche Leben in Deutschland
zum Schutz gegen Corona-Infektionen stark eingeschränkt wurde. Zu diesem Zeitpunkt wird vermehrt über Akteure
wie Attila Hildmann oder die Corona-Rebellen berichtet, die ihren Protest gegen die Corona-Maßnahmen über Telegram
kundtun (z. B. Welt online 2020b; Leber 2020). Die informationsbezogenen und politischen Problemfelder treten dabei
2 Als Problemdefinition haben wir dabei alle Textstellen erfasst, in denen unerfüllte desiderative oder normative Erwartungen thematisiert werden.
Desiderative Erwartungen werden verletzt, wenn insbesondere negative affektive Einstellungen, wie Unwahrheiten oder Hass, über Telegram
verbreitet werden. Normative Erwartungen werden dann nicht erfüllt, wenn sanktionsbewehrte Handlungen wie Straftaten begangen werden
(Jünger 2017: 179; Popitz 1980: 1 ff.).
Basis: 318 Nennungen von gemeinsam aufgetretenen Problemfeldern in 272 Artikeln überregionaler Berichterstattung im Zeitraum
Januar bis Juni 2020. Die Größe der Knoten spiegelt die Anzahl der Nennungen wider; die Stärke der Verbindungen die Häufigkeit,
mit der Problemfelder in mehreren Artikeln gemeinsam auftreten.
Information
Lebenswelt
Ökonomie
Politik
45
66
11
14
9
10
4
2
75
7
61
9
5
Desinformation
Verschwörungs-
theorien
Bedrohung
Diskiminierung
Gewaltver-
herrlichung
Persönlichkei
ts-
verletzung
Drogenhandel
Waffenhandel
Extremismus
Kriegsver-
herrlichung
Politischer
Aktivismus
Propaganda-
mittel
Verbotene
Kennzeichen
Diskriminierung
9
häufig gemeinsam auf (Abbildung 1), was auf eine starke Verbindung zwischen politischem Extremismus und Aktivis-
mus, Desinformation und Verschwörungstheorien hindeutet. Weniger häufig werden Problemfelder aufgegriffen, die
individuelle Lebenswelten betreffen, wie die Bedrohung oder Diskriminierung von Privatpersonen. In einigen wenigen
Artikeln wird der Handel mit Waffen und Drogen thematisiert. Nicht thematisiert wurden Themenfelder wie die Abgren-
zung zwischen redaktionellen Inhalten und Werbung oder Betrug, welche regelmäßig im Zusammenhang mit Internet-
diensten wie YouTube oder E-Mail auftreten.
Wenngleich über Telegram auch im Rahmen positiver Frames berichtet wird – beispielsweise wenn offizielle Informa-
tionskanäle zu Corona zur Sprache kommen (Welt online 2020a) –, wird somit deutlich, dass der Messenger häufig mit
problembehafteten Themen in Verbindung gebracht wird. Wie schon im Forschungsstand wird Telegram teilweise mit
dem Schlagwort „dark social“ assoziiert (z. B. Fuchs et al. 2020; Bovermann 2020).
Telegram ist demnach als Messenger charakterisierbar, der unterschiedlichen Formen der One-to-one- sowie
One-to-many-Kommunikation ermöglicht. Durch die diversen Funktionalitäten von Gruppen und Kanälen haben Admi-
nistratorinnen und Administratoren Kontrollmöglichkeiten, wer ihre Inhalte sehen kann und wie die Kommunikation in
ihren Foren abläuft. Zudem können sie sich verdeckt halten, wenn sie ihre Identität nicht preisgeben wollen. Sowohl
im Forschungsstand als auch in der Berichterstattung spiegelt sich dabei wider, dass Telegram oftmals als Instrument
von regulierungsrelevanten und problematischen Akteuren verwendet wird. Die während der Sichtung der Berichter-
stattung aufgefundenen Problemfelder, Angebote und Stichwörter liefern Startpunkte für das im Folgenden skizzierte
Screening von Angeboten auf Telegram.
Abbildung 1: Problemfelder im Zusammenhang mit Telegram in der Berichterstattung
PROBLEMFELDER
22 Kategorien
BEOBACHTUNGSPUNKTE
6.132 Angebote
MITTEILUNGEN
4.699 Mitteilungen
in 913 Angeboten
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3. VORGEHENSWEISE: SCREENING VON REGULIERUNGS
RELEVANTEN UND PROBLEMATISCHEN ANGEBOTEN
Um einen Überblick über regulierungsrelevante und problematische Angebote auf Telegram zu gewinnen, wurden
zunächst 22 Problemfelder ermittelt, in welchen Rechtsverstöße zu erwarten sind (Abbildung 2). Innerhalb dieser Pro-
blemfelder wurden 6.132 Beobachtungspunkte – Kanäle und Gruppen auf Telegram – festgelegt, von denen ausgehend
entsprechende Inhalte erwartbar sind. Die Beobachtungspunkte stellen somit Angebote dar, in deren thematischem
Kontext potenzielle Rechtsverletzungen oder Problemverschärfungen bestehen können. Für diese Beobachtungspunkte
wurden mittels der Telegram-API – sofern verfügbar – die letzten 100 Mitteilungen und Metadaten erhoben (siehe
Kapitel 3.2.2). Die konkrete Bewertung der Beobachtungspunkte wurde anschließend anhand der einzelnen Mittei-
lungen innerhalb der Angebote vorgenommen. Aus den Beobachtungspunkten wurden 913 Angebote ausgewählt.
Auf Grundlage von insgesamt 4.699 Mitteilungen wurde eingeschätzt, inwiefern die Angebote in den Problemfeldern
zu verorten sind (siehe Kapitel 3.2.3).
Das durchgeführte Verfahren kann als Screening beschrieben werden. Um explorativ möglichst effizient relevante
Angebote in den Problemfeldern herauszufiltern, wurde die Erhebung der Beobachtungspunkte breit angelegt, um
anschließend begründet eine zielführende Auswahl zu treffen. Die dadurch identifizierten Angebote wurden in einer
Ersteinschätzung auf einen Regulierungsbedarf hin geprüft. Dies hat erstens zur Folge, dass die Analyse sich auf eher
problematische Angebote fokussiert, auch wenn Telegram für eine Vielzahl weiterer Zwecke eingesetzt wird. Zweitens
ergibt sich daraus, dass nur ein Ausschnitt in den Blick genommen wird, um die verschiedenen Problemfelder exem-
plarisch zu verdeutlichen.
Abbildung 2: Vorgehensweise zur Analyse von Angeboten auf Telegram
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3.1 Kategoriensystem der Problemfelder
Um die Angebote systematisch und nachvollziehbar zu beschreiben, wurde ein Kategoriensystem erstellt. Dieses
Kategoriensystem wurde kontinuierlich im Projektverlauf weiterentwickelt. Zunächst wurden deduktiv auf Basis von
Rechtsgrundlagen (vor allem JMStV 2016) typische Regulierungsbereiche aufgenommen. Die Kategorien wurden dann
auf Grundlage der Berichterstattung induktiv ergänzt. Insgesamt besteht das finale Kategoriensystem aus 22 Kate-
gorien zur Erfassung von Problemfeldern, die wir vier übergeordneten Kategorien zugeordnet haben (zur Definition
der Unterkategorien siehe Tabelle 1, Anhänge A1 und A2 und Kapitel 4.3.2):
- Die Kategorie Information deckt zunächst Phänomene ab, die problematische kommunikative Konsequenzen her-
vorbringen. Hierzu zählen das Verbreiten von Desinformationen3 und Verschwörungstheorien4, das Verabreden zu
problematischen Versammlungen sowie Verstöße gegen Kennzeichnungspflichten durch fehlendes Impressum.
- Die Kategorie Lebenswelt umfasst Problembereiche, die Auswirkungen auf individuelle Personen haben. Hierzu
zählen Persönlichkeitsverletzungen, Diskriminierung, Bedrohungen, entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte wie
Pornografie oder Selbstverletzung sowie Gewaltverherrlichungen.
- Die Kategorie Politik ist dagegen analytisch auf der gesellschaftlichen Makroebene zu verorten und erfasst
den Gebrauch von verbotenen Kennzeichen und Parolen, das Verbreiten von extremistischen Inhalten, Kriegsver-
herrlichung, die Organisation politischer Aktionen sowie Propaganda.
- Die Kategorie Ökonomie umfasst alle Phänomene, die den Handel mit Waren und Dienstleistungen betreffen. Hier
werden die Produktion und der illegale Handel mit Betäubungsmitteln bzw. Drogen, Waffenhandel unter Umge-
hung rechtlicher Bestimmungen, der Verkauf falscher amtlicher Dokumente, Hehlerei und Betrug erfasst. Ebenfalls
umfasst dieser Bereich die unzulässige Verwertung von fremdem Eigentum wie Marken oder urheberrechtlich
geschützten Werken, einen problematischen Umgang mit Werbung – beispielsweise durch fehlende Kennzeich-
nungen oder erkaufte Reichweite – und unerlaubtes Glücksspiel.
3 Zu Typologien von Desinformation siehe Wardle & Derakhshan (2017) und Zimmermann & Kohring (2018). Ein wesentliches Merkmal ist der
Wahrheitsanspruch für falsche Aussagen, wobei wir keine Überprüfung einzelner Aussagen vorgenommen, sondern die Berichterstattung
(und Metakommunikation über Berichterstattung) als Maßstab herangezogen haben. Desinformation im engeren Sinn ist im Gegensatz zu
Misinformation mit einer Täuschungsabsicht und Malinformation mit schädigender Intention verbunden.
4 Verschwörungstheorien sind Erzählungen, die sich dadurch auszeichnen, dass von einem im Hintergrund agierenden, konspirativen und feindseligen
Netzwerk von Akteuren ausgegangen wird, welches die eigene Lebensweise bedroht (vgl. Bale 2007: 50; siehe auch Hall 2005: 553; Zoll 2015: 126).
INFORMATION
LEBENSWELT
POLITIK
ÖKONOMIE
Kategorie Kategorie Kategorie Kategorie
4.1 Persönlichkeitsverletzung
4.2 Diskriminierung
4.3 Bedrohung
4.4 Entwicklungs-
beeinträchtigung
4.5 Gewaltverherrlichung
Eingriffe in die Lebens- und Freiheitsbereiche von Personen, z. B. durch Mobbing,
Identitätsdiebstahl oder Verbreitung persönlicher Informationen
Diskriminierung von Personen und Gruppen, beispielsweise in Form von
Hassrede
Androhung von Verbrechen gegen einen Menschen oder ihm nahestehende
Personen
Sexuell oder sozialethisch desorientierende oder beängstigende Inhalte
wie Pornografie
Idealisierende Darstellung von Gewalt und Waffen
A4 – LEBENSWELT
3.1 Drogenhandel
3.2 Waffenhandel
3.3 Dokumentenhandel
3.4 Schwarzmarkt
3.5 Werbung
3.6 Verwertungsrecht
3.7 Betrug
3.8 Glücksspiel
Illegaler Handel mit Betäubungsmitteln (Drogen, Medikamente)
mit Gefährdungspotenzial
Handel mit Waffen unter Umgehung rechtlicher Bestimmungen
Handel mit falschen amtlichen Ausweisen und Dokumenten
Illegaler Handel mit Waren, insbesondere Hehlerei, das heißt Handel mit Sachen, die
ein anderer rechtswidrig erworben hat, um sich selbst oder einen Dritten zu bereichern
Fehlende Kennzeichnung von Werbung, erkaufte Bewertungen oder Reichweite
Verletzungen des Urheberrechts und des Markenrechts
Gezieltes Hervorrufen eines Irrtums bei anderen, um sich selbst oder einen
Dritten zu bereichern
Glücksspiel ohne behördliche Genehmigung
A3 – ÖKONOMIE
1.1 Desinformation
1.2 Verschwörungstheorien
1.3 Versammlungen
1.4 Impressum
Verbreitung von falschen Aussagen, ggf. mit der Absicht der Täuschung
Unterstellung verdeckter Wirkmächte und manipulativer Akteure
Verabredung zu rechtlich oder gesellschaftlich problematischen
Versammlungen, z. B. Corona-Partys
Verletzung von Kennzeichnungspflichten, insbesondere fehlendes Impressum
A1 – INFORMATION ERLÄUTERUNG
2.1 Verbotene Kennzeichen
2.2 Extremismus
2.3 Kriegsverherrlichung
2.4 Aktivismus
2.5 Propaganda
Verwendung verbotener Kennzeichen, z. B. von verbotenen Parteien
Verbreitung diskriminierender und staatsfeindlicher Positionen,
z. B. Holocaustleugnung oder Ausländerfeindlichkeit
Relativierende Darstellung von Kriegen
Organisation politischer Veranstaltungen und Aktionen, z. B.
politisch motivierte Gewaltakte
Verbreitung einseitiger ideologischer Ideen und Meinungen, um die
Bevölkerung zu beeinflussen
A2 – POLITIK
12
Tabelle 1: Übersicht über das Kategoriensystem
13
Das Kategoriensystem umfasst damit typische Regulierungsbereiche der Online-Kommunikation und wurde für drei
Zwecke eingesetzt:
- Bei der Sichtung der Berichterstattung wurden Textstellen in die Problemfelder eingeordnet
(siehe Kapitel 2.3). So wurde die öffentliche Wahrnehmung von Telegram eingeschätzt.
- Die Startpunkte für die Datenerhebung wurden kategorisiert. So konnte bei der Erhebung von Beobachtungspunkten
und bei der Auswahl zu prüfender Angebote darauf geachtet werden, alle Kategorien abzudecken (siehe Kapitel 3.2).
- Die Mitteilungen wurden mittels des Kategoriensystems einer standardisierten Inhaltsanalyse
(siehe unter anderem Rössler 2017; Früh 2017) unterzogen.
Die Ergebnisse der Analyse basieren wesentlich auf der Kodierung von Mitteilungen in Gruppen und Kanälen. Bei der
Kodierung wurde zunächst eingeschätzt, ob eine Mitteilung in einem der Problemfelder verortet werden kann, um
irrelevante Mitteilungen auszusortieren. Die Einordnung in die Problemfelder fand anschließend abgestuft statt, wobei
eine Mitteilung mehreren Problemfeldern zugeordnet werden kann. Dabei wurde jeweils entschieden, ob das Angebot
innerhalb des Problemfelds potenzielle Rechtsverstöße umfasst oder zumindest problemverschärfend ist:
- Als regulierungsrelevant wurden Angebote eingestuft, bei denen ein potenzieller Rechtsverstoß in der Mitteilung
(z. B. verbotene Kennzeichen) oder der damit zusammenhängenden Aktivität (z. B. Besuch verbotener Demonstra-
tionen, illegaler Handel) vorliegt. Das Angebot sollte aus unserer Sicht einer Einzelfallprüfung unterzogen werden.
- Problemverschärfende Angebote beinhalten in den Mitteilungen oder den damit verbundenen Handlungen
keine Rechtsverstöße. Die Inhalte erscheinen jedoch – orientiert am hegemonialen gesellschaftlichen Diskurs, wie
er sich in der Berichterstattung widerspiegelt – problemverschärfend. Möglicherweise ist mit Rechtsverstößen in
anderen Mitteilungen des Angebots zu rechnen.
Daneben können Angebote ein Problemfeld auch neutral thematisieren oder zu dessen Problemlösung oder -aufklä-
rung beitragen. Wenngleich solch ein Entgegensteuern während der Kodierung zur Kenntnis genommen wurde, um
entsprechende Fälle auszusortieren, wurde dies nicht systematisch ausgewertet.
Die Kodierung der Mitteilungen wurde nach einer Kodierschulung unter den Projektmitarbeitenden aufgeteilt. Ein
Reliabilitätstest auf Grundlage von 181 Mitteilungen zwischen je zwei Kodierenden weist eine hohe Übereinstimmung
der Kodierung zwischen 78 % und 100 % auf (Anhang A2). Zu bedenken ist allerdings, dass es sich um schwach ausge-
prägte Kategorien handelt, da in der Regel nur sehr wenige Mitteilungen auch Rechtsverstöße enthalten. Die einfache
Übereinstimmung von Kodierungen (Holsti) überschätzt damit ggf. die Reliabilität, während zufallsbereinigte Reliabili-
tätsschätzungen (Krippendorff’s Alpha, Cohen’s Kappa) unter diesen Umständen kaum hilfreiche Reliabilitätswerte bis
in den negativen Bereich liefern. In diesen Fällen wird deshalb Gwet’s AC als Reliabilitätsmaß empfohlen (Gwet 2014:
101; Neuendorf 2017: 178). Alle Kategorien erreichen hierbei sehr gute Werte von über 0,82 bis 1,00. Die geringste
Reliabilität weist das Erkennen von Desinformation auf, was angesichts der Komplexität der nötigen Einschätzung nicht
verwundert. Die beste Reliabilität besteht in Bezug auf die Kategorie Dokumentenhandel, bei der es vergleichsweise
klare Indikatoren gibt: Gefälschte Pässe und Führerscheine sowie Falschgeld werden in den Angeboten explizit als
solche angepriesen. Insgesamt ist somit wie in jeder Inhaltsanalyse zu bedenken, dass einzelne Fälle durchaus nicht
erkannt oder falsch eingeordnet sein können. Diese Unschärfen müssen bei der Interpretation der Befunde und bei der
Einzelfallprüfung berücksichtigt werden. Das Screening zielt auf einen allgemeinen Überblick ab, der hierdurch, soweit
erkennbar, nicht gefährdet ist.
Zu bedenken ist darüber hinaus, dass die Einschätzung als regulierungsrelevant oder problemverschärfend spezifisch
auf die einzelnen Kategorien zugeschnitten ist. So lassen sich etwa desinformierende Inhalte in der Regel nicht als
Rechtsverstoß bewerten, solange es sich z. B. nicht um Verleumdung handelt. Auch bei Standardverstößen im Bereich
Urheberrecht stehen prinzipiell alle zitierten Texte und Bilder zunächst unter Verdacht. Ein Rechtsverstoß müsste
aber erstens mit einer gewissen Schöpfungshöhe einhergehen und zweitens ist ohne Nachfrage bei den Mitteilenden
nicht auszuschließen, dass nicht doch eine Lizenz vorliegt. Dagegen sind verbotene Kennzeichen auf Grundlage von
Verfassungsschutzberichten oder Pornografie vergleichsweise leicht erkennbar.
14
3.2 Sampling und Datenerhebung
Die Angebote auf Telegram wurden über die Telegram API (Telegram 2020c; Pyrogram 2020) erhoben. Um die
Problemfelder abzudecken, wurden zunächst manuell Startpunkte gesetzt. In insgesamt fünf Wellen wurden anschlie-
ßend, ausgehend von diesen Startpunkten, weitere Kanäle und Gruppen untersucht. Aus dem dadurch entstandenen
Sample wurden mit bewussten Kriterien Beobachtungspunkte für die durchgeführte Analyse ausgewählt (eine
detaillierte Darstellung findet sich in Anhang A).
3.2.1. Startpunkte
Als Startpunkte für die Datenerhebung wurden zunächst manuell 212 Beobachtungspunkte gesammelt, die in der über-
regionalen Berichterstattung erwähnt wurden (siehe Kapitel 2.3) oder im Zuge einer ersten Felderkundung im Messen-
ger Telegram auffindbar waren. Weitere 749 Beobachtungspunkte wurden über die Suchfunktion von Telegram ergänzt.
Dazu wurden insgesamt 2.107 Stichwörter verwendet, die sich vorrangig auf entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte,
Extremismus, Drogenhandel und verbotene Kennzeichen bzw. Organisationen beziehen. Aus der Berichterstattung
wurden Stichwörter unter anderem aus den Feldern Verschwörungstheorien und Desinformation ergänzt.
Bei dieser Zusammenstellung der Startpunkte wurde darauf geachtet, dass mindestens ein Angebot pro Problemfeld
vorhanden war, um garantieren zu können, dass potenziell alle Bereiche durch die Erhebung abgedeckt werden. Dafür
wurden die Angebote in einer ersten Einschätzung mit einer Problemfeldvermutung versehen, welche keine konkrete
Kodierung auf problematische Inhalte darstellt, sondern lediglich als Verortung innerhalb der Kategorien dient.
Während für die Kategorie Bedrohung nur ein Startpunkt gesetzt werden konnte, sind die Bereiche Extremismus mit
247 und entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte mit 243 Startpunkten besonders stark erfasst.
Im Fokus der Analyse stehen Angebote, die sich an deutschsprachige Nutzende richten. Zusätzlich zu deutschsprachi-
gen Angeboten wurden vorerst auch englischsprachige Kanäle und Gruppen berücksichtigt, da diese mitunter deutsche
Nutzende adressieren – z. B., wenn Drogen weltweit verschickt werden, Pornografie mit englischsprachigen Begriffen
beworben wird oder im rechtsextremistischen Bereich eine sprachliche Durchmischung stattfindet. Die sprachliche
Eingrenzung fand mittels automatisierter Spracherkennung statt, wobei die Kanalbeschreibung, die angepinnte Nach-
richt und die letzte versendete Nachricht berücksichtigt wurden. Eine weitere Eingrenzung auf Angebote mit Bezug
zu einem deutschsprachigen Publikum wurde später bei der Kodierung der Mitteilungen vorgenommen (siehe Kapitel
3.2.3).
3.2.2. Datenerhebung
Die Datenerhebung fand in insgesamt fünf Wellen zwischen dem 26. August und dem 22. September 2020 statt. Je
Welle wurden für jedes Angebot die Kanalbeschreibung, die angepinnte Nachricht sowie die letzten 100 Mitteilungen
und – sofern verfügbar – alle Bilder in diesen erhoben. Aus diesen Daten wurden Verlinkungen zu anderen Angeboten
auf Telegram extrahiert, um über diese Verbindungen in nachfolgenden Wellen neue Angebote aufzufinden. Der For-
schungsstand (Kapitel 2.2) weist darauf hin, dass insbesondere die von Social-Media-Plattformen verbannten Akteure
persönliche Webseiten als Ankerpunkt nutzen. Entsprechend wurden alle Verlinkungen zu Webseiten außerhalb von
Telegram erfasst, um dort ebenfalls automatisiert Links zu Telegram zu extrahieren.
Beim Webcrawling werden typischerweise in mehreren Wellen möglichst alle Links zu weiteren Angeboten verfolgt.
Diese Vorgehensweise führt dazu, dass die Anzahl der erhobenen Angebote exponentiell steigt, sodass die Erhebung
häufig nur mit wenigen Startknoten begonnen oder im Prozess auf besonders stark verlinkte Angebote eingeschränkt
wird (z. B. für Telegram siehe Urman & Katz 2020). Da beim Screening von Angeboten weniger die Vollständigkeit als
eine hohe Vielfalt erstrebenswert ist, sind wir von diesem Verfahren abgewichen. Jede der fünf Erhebungswellen wur-
de vielmehr an unterschiedlichen Zielen ausgerichtet, die insgesamt zu einer Stichprobe mit möglichst informativen
Fällen führen (siehe Anhang A).
15
3.2.3 Kodierung der Mitteilungen
Über das zuvor beschriebene Erhebungsverfahren wurden insgesamt 6.132 Angebote und darin 359.058 Mitteilungen
erhoben. Aus dieser breit angelegten Auswahlgesamtheit wurde eine Stichprobe von Kanalbeschreibungen und Mit-
teilungen gezogen, die manuell auf regulierungsrelevante und problemverschärfende Inhalte überprüft wurden. Die
Auswahl zielt entsprechend der Fragestellung der Analyse darauf ab, einerseits relevante und andererseits vielfältige
Inhalte zu identifizieren. Vielfalt ist an dieser Stelle wichtig, da vorab keine Annahmen getroffen werden konnten,
wodurch sich regulierungsrelevante Angebote auszeichnen. Vielmehr ist zu vermuten, dass sich die Felder unterschei-
den. Dementsprechend wurde keine Zufallsstichprobe gezogen, sondern eine bewusste Auswahl getroffen, die iterativ
an den Fortschritt der Kodierung und zwischenzeitig durchgeführte Analysen angepasst wurde (theoretisches Samp-
ling). Dazu wurde schrittweise eine Kombination von strukturellen, netzwerkanalytischen und inhaltlichen Kriterien
angelegt (siehe Anhang A):
- Strukturelle Kriterien umfassen insbesondere die Art des Angebots, unterschieden nach Kanälen und Gruppen.
Es wurde bei der Auswahl darauf geachtet, beide Bereiche abzudecken. Zudem wurden Reichweite, Aktivität und
Aktualität berücksichtigt.
- Netzwerkanalytische Kriterien beziehen sich auf die Auffindbarkeit und die Vernetzung der Angebote, das heißt der
Anzahl der Weiterleitungen, Erwähnungen und Links zu anderen Angeboten.
- Inhaltliche Kriterien berücksichtigen die in den Inhalten gefundenen Stichwörter, die Sprache und die Medialität,
das heißt, ob Text oder auch Bilder enthalten sind.
Auf dieser Grundlage wurde ein zunächst breit angelegtes Sample um spezifische Fälle ergänzt, etwa um eine Auswahl
an Bildern genauer zu untersuchen. Insgesamt ergeben sich 913 Angebote, zusammengesetzt aus 633 Kanälen und
280 Gruppen, in denen 4.699 Mitteilungen kodiert wurden. Die Mitteilungen umfassen sowohl Kanalbeschreibungen
und angepinnte Mitteilungen als auch andere Mitteilungen in den Angeboten.
Bei der Kodierung wurde eine möglichst schnelle Entscheidung forciert, um angesichts begrenzter Ressourcen ein
breites Screening zu gewährleisten. Um damit einhergehende Fehlklassifizierungen zu verringern, wurden bei der
Auswertung der Kodierungen alle kodierten Mitteilungen eines jeden Angebots zusammengefasst. Ein Kanal wurde als
regulierungsrelevant bzw. problemverschärfend eingestuft, sobald einer der kodierten Inhalte in die Problemfelder
fällt.
Zusammenfassend ist die Analyse also nicht repräsentativ, sondern explorativ angelegt und forciert über das Sampling
und den Kodierprozess die Identifizierung exemplarischer Fälle. Die Befunde bilden einen vielfältigen Ausschnitt leicht
auffindbarer, problembehafteter Kommunikation auf Telegram ab.
Basis: 913 überprüfte Angebote. Darstellung ohne die Kategorien Impressum und Verwertungsrechte.
INFORMATIONPOLITIKÖKONOMIELEBENSWELT
Desinformation
Verschwörungstheorien
Versammlungen
Verbotene Kennzeichen
Extremismus
Kriegsverherrlichung
Aktivismus
Propaganda
Drogenhandel
Waffenhandel
Dokumentenhandel
Schwarzmarkt
Werbung
Betrug
Glücksspiel
Persönlichkeitsverletzung
Diskriminierung
Bedrohung
Entwicklungsbeeinträchtigung
Gewaltverherrlichung
Regulierungsrelevant Problemverschärfend
16
4. ANALYSE DER PROBLEMFELDER AUF TELEGRAM
Die Analyse hat zum Ziel, gesellschaftlich dysfunktionale Kommunikation auf Telegram aufzudecken, zu strukturieren
und auf den Regulierungsbedarf hin einzuschätzen. Dafür wurden die 913 ausgewählten Angebote in die zuvor identi-
fizierten Problemfelder eingeordnet (siehe Abbildung 3). Zum einen fanden wir in dieser Kodierung 141 regulierungs-
relevante Angebote, die potenziell Rechtsverstöße in ihren Mitteilungen aufweisen.5 Weitere 576 Angebote haben wir
als problemverschärfend eingeschätzt, da sie zwar keinen eindeutigen Rechtsverstoß aufweisen, jedoch insgesamt auf
gesellschaftlicher Ebene als problematisch eingeschätzt wurden – beispielsweise, wenn sie extremistische Aussagen
verbreiten oder Betrug fördern.6 Wenngleich somit weniger regulierungsrelevante als problemverschärfende Angebo-
te identifiziert wurden, sind letztere besonders aufgrund der großen Menge und der Rolle, die Telegram im Hinblick auf
die individuelle Meinungsbildung einnimmt, bedenklich.
Bevor die inhaltlichen Befunde innerhalb der Kategorien zusammengefasst werden, wird zunächst auf die Struktur
der Angebote eingegangen. Dadurch lassen sich Vermutungen zur Nutzungsweise des Messengers in den Problemfel-
dern aufstellen, die wiederum aus einer Regulierungsperspektive unterschiedliche Reaktionen nahelegen. So werden
konkret die Aufteilung in Kanäle und Gruppen, die Reichweite sowie Aktivität der Angebote beschrieben (siehe Kapitel
4.1). Zudem wird betrachtet, über welche Zugangswege die Angebote auffindbar sind (siehe Kapitel 4.2). Anschließend
werden die Problemfelder differenziert betrachtet: im Hinblick auf gefundene Standardverstöße, Rechtsverstöße und
problemverschärfende Kommunikation.
5 Ohne die Kategorie Impressum.
6 Ohne die Kategorien Impressum und Verwertungsrechte.
Abbildung 3: Anzahl der regulierungsrelevanten und problemverschärfenden Angebote
je Problemfeld
0 10 20 30 40 50 0 100 200 300
Versammlungen
Impressum
Verbotene Kennzeichen
Extremismus
Kriegsverherrlichung
Drogenhandel
Waffenhandel
Dokumentenhandel
Verwertungsrecht
Betrug
Diskriminierung
Entwicklungs-
beeinträchtigung
4
395
16
9
1
14
2
3
0
0
2
44
3
0
5
5
1
24
0
7
3
4
2
8
1.408
363
90
339
634
64
2.644
57
2.416
4.214
2.157
93
4.467
787
899
874
3.653
1.375
292
1.375
2.030
1.394
5,6
1,4
0,4
1,0
0,3
1,7
4,4
1,1
4,8
0,4
2.812
283
221
570
965
315
170
277
95.554
112.854
7.939
25
0
–1
–20
–1
–55
0
–2
0
0
0
0
–14
Kategorie Kanäle Gruppen Mit-
glieder Reich-
weite8Nach-
richten
je Tag9
Nach-
richten
gesamt10
Nach-
richt
Alter
Dargestellt ist jeweils der Median je Kategorie. Einige Kategorien enthalten nur wenige Fälle und die Strukturdaten sollten entsprechend
vorsichtig interpretiert werden. Bei fehlenden Werten lagen keine ausreichenden Daten vor.
17
4.1 Struktur der Angebote
Die Betrachtung der Angebote, die als regulierungsrelevant (siehe Tabelle 2) sowie problemverschärfend (siehe
Tabelle 3) eingeschätzt wurden, offenbart, dass die Problemfelder verschieden strukturiert sind. Die unterschiedlichen
Strukturen lassen dabei Rückschlüsse darauf zu, wie Nutzende in den einzelnen Problemfeldern agieren und welche
Konsequenzen dies für eine Regulierungsperspektive hat. Die Bereiche unterscheiden sich im Hinblick auf:
- den Anteil an Kanälen und Gruppen von identifizierten Angeboten,
- die Aktivität7 – repräsentiert durch die Anzahl der Mitglieder, die Reichweite der einzelnen Nachrichten, die Anzahl
der Nachrichten pro Tag sowie die Summe der Nachrichten insgesamt und dem Alter der letzten Nachricht,
- die Zugänglichkeit (siehe Kapitel 4.2).
7 Die Kennzahlen zu Mitgliedern, Reichweite, Nachrichten pro Tag sowie Nachrichtenalter basieren teilweise auf Hochrechnungen mittels weniger
Mitteilungen und geben damit Tendenzen an. Sie beziehen sich, wo nicht anders angegeben, auf den Median über alle Angebote innerhalb des
Problemfelds. Weitere Kennzahlen zu den Angeboten finden sich in Anhang A4.
8 Die Reichweite wurde nur für Angebote berechnet, bei denen mindestens für zehn Mitteilungen vollständige Angaben der Ansichten vorliegen.
Die tatsächliche Reichweite kann höher sein.
9 Die Nachrichtenfrequenz wurde auf Grundlage des Datums der ersten und letzten erhobenen Mitteilung berechnet. In die Hochrechnung fließen
nur Angebote ein, bei denen mindestens ein Tag abgedeckt wurde. Besonders aktive Angebote fallen dadurch aus der Berechnung heraus, das
heißt, die mittlere Reichweite kann höher sein.
10 Die Gesamtzahl der Nachrichten wurde aus der Nummer der letzten erhobenen Nachricht abgeleitet.
Tabelle 2: Überblick über die Strukturdaten der regulierungsrelevanten Angebote
je Problemfeld
Desinformation
Verschwörungstheorien
Versammlungen
Impressum
Verbotene Kennzeichen
Extremismus
Kriegsverherrlichung
Aktivismus
Propaganda
Drogenhandel
Waffenhandel
Dokumentenhandel
Schwarzmarkt
Werbung
Verwertungsrecht
Betrug
Glücksspiel
Persönlichkeits-
verletzung
Diskriminierung
Bedrohung
Entwicklungs-
beeinträchtigung
Gewaltverherrlichung
251
138
17
98
36
100
11
71
30
6
1
0
0
12
288
3
4
6
28
2
24
5
113
69
8
16
38
1
35
9
4
0
1
6
11
94
3
3
3
15
2
9
3
976
1.123
5.162
3.476
1.052
772
1.257
737
812
137
68
699
2.812
766
479
5.784
102
28
637
150
46
115
2.253
2.407
2.667
2.407
1.771
1.555
2.182
1.452
1.268
530
624
364
1.017
4.291
46
156
1.312
345
422
1.227
5,3
8,4
6,4
3,4
0,9
1,8
0,6
4,6
1,0
6,3
0,5
15,4
4,7
1,9
10,5
1,1
1,4
7,7
6,4
1,1
4,7
1.813
3.322
1.807
1.163
937
1.414
599
1.205
489
1.819
30
15.724
35.104
9.115
617
4.368
1.250
1.817
3.940
951
133
666
0
0
0
0
0
0
–6
0
0
0
–12
0
0
0
0
0
0
0
0
0
–12
0
Kategorie Kanäle Gruppen Mit-
glieder Reich-
weite Nach-
richten
je Tag
Nach-
richten
gesamt
Nach-
richt
Alter
Dargestellt ist jeweils der Median je Kategorie. Zu beachten ist, dass einige Kategorien nur wenige Fälle beinhalten und die Strukturdaten
entsprechend vorsichtig interpretiert werden sollten. Zur Berechnungsgrundlage siehe die Fußnoten zu Tabelle 2.
18
Tabelle 3: Überblick über die Strukturdaten der problemverschärfenden Angebote
je Problemfeld
19
4.1.1 Informationsverbreitung über Kanäle und Handel über Gruppen
Anhand des Verhältnisses zwischen Kanälen und Gruppen lassen sich zunächst Rückschlüsse darauf ziehen, wie
Inhalte auf Telegram zwischen Nutzenden verbreitet werden. Das gesamte kodierte Sample besteht dabei zu über zwei
Dritteln aus Kanälen (633 von 913 kodierten Angeboten) und zu fast einem Drittel aus Gruppen (280 von 913 kodierten
Angeboten). Eine ähnliche Verteilung ist auch in den regulierungsrelevanten Angeboten, zusammengesetzt aus 93 Ka-
nälen und 48 Gruppen, und den problemverschärfenden Angeboten, mit 388 Kanälen und 163 Gruppen, gegeben. Der
überwiegende Anteil von Kanälen zeigt, dass in den von uns erhobenen Angeboten Informationen eher im Stil einer
One-to-many-Kommunikation gestreut werden, als dass gemeinsam über die Inhalte diskutiert wird. Die Angebote
produzieren demnach ähnlich wie journalistische Akteure Beiträge, die von den Nutzenden der Kanäle rezipiert und
somit an ein teilweise großes Publikum verbreitet werden.
Diese Zusammensetzung von Kanälen und Gruppen rührt womöglich daher, dass das kodierte Sample geprägt ist von
Angeboten, die Desinformationen, Verschwörungstheorien oder politische Inhalte verbreiten. Teilweise moderieren
Kanalbetreibende neben ihrem eigenen Kanal zudem eine eigene Gruppe oder Unterstützende dieser Kanäle gründen
solche, um den Austausch zu im Kanal angesprochenen Themen zu ermöglichen.
Lediglich im ökonomischen Bereich, etwa wenn auf Telegram Handel mit gefälschten Dokumenten, Drogen oder
anderen illegalen Waren betrieben wird, ist die Kommunikation stärker über Gruppen organisiert. Über diese Gruppen
haben Kaufende und Verkaufende die Möglichkeit, in Kontakt zu treten und den Handel mit illegalen oder problema-
tischen Waren zu betreiben. Daneben weisen Problemfelder mit wenigen Angeboten oftmals ein ausgewogenes
Verhältnis zwischen Kanälen und Gruppen auf, was darauf hindeutet, dass zu wenige Fälle vorhanden sind, als dass
sich eine Tendenz abzeichnet.
4.1.2 Reichweitenstarke Angebote primär in problemverschärfenden Feldern
Die über Telegram kommunizierten Inhalte erreichen je nach Problemfeld und Einstufung unterschiedlich große Pu-
blika, was wir anhand der Mitgliederzahlen und der Häufigkeit, mit der eine Nachricht angesehen wurde, gemessen
haben. Wenngleich jede Mitteilung zur Meinungsbildung und Realitätskonstruktion von einzelnen Personen beiträgt,
sind gesellschaftliche Auswirkungen besonders durch Angebote zu vermuten, die viele Personen erreichen.
Bei den regulierungsrelevanten Angeboten, deren Auswirkungen grundsätzlich als schwerwiegender einzuschätzen
sind, finden sich in den Feldern Extremismus oder Entwicklungsbeeinträchtigung auch Angebote mit sehr wenigen
Mitgliedern (Min. = 1). Die Angebote mit den meisten Mitgliedern finden sich in den Bereichen Versammlungen
(Max. = 61.242), Diskriminierung (Max. = 56.871) und Extremismus (Max. = 18.226). Die Nachrichten in den regulie-
rungsrelevanten Angeboten werden typischerweise von mindestens fünf Nutzenden (Problemfeld Versammlungen)
und maximal 80.800 Nutzenden (Problemfeld Entwicklungsbeeinträchtigung) gesehen.
Über alle problematischen und regulierungsrelevanten Angebote hinweg werden die meisten Nutzenden im ökono-
mischen Feld des Betrugs erreicht. In diesem werden unter anderem Netflix- sowie Spotify-Accounts oder Fahrkarten
vergünstigt angeboten, wobei Verstöße gegen die Geschäftsbedingungen der jeweiligen Unternehmen naheliegen. Eine
Erklärung der Reichweitenstärke dieser Angebote könnte darin liegen, dass – anders als bei politisch ausgerichteten
Angeboten, deren Unterstützung eine geteilte Ideologie impliziert – potenziell ein breites Publikum angesprochen
wird und sich aus diesen Angeboten monetäre Vorteile ziehen lassen. In den ökonomischen Problemfeldern variieren
die Reichweiten der Angebote und die Mitgliederzahlen. Dabei sind verschiedene Nutzungsweisen zu vermuten, je
nachdem, ob eine große Bandbreite an gehandelten Waren inkludiert ist oder ob es sich um stärker strafrechtlich
regulierte Waren handelt.
Ebenfalls reichweitenstark sind im Mittel die Angebote, die problematische Inhalte in den Bereichen Information (ins-
besondere Desinformation, Verschwörungstheorien und Versammlungen) sowie Politik (speziell verbotene Kennzei-
chen, Extremismus und Kriegsverherrlichung) verbreiten. Diese Tendenz zeichnet sich jedoch nur bei den problem-
verschärfenden Angeboten ab; die Angebote mit regulierungsrelevanten Inhalten weisen weniger starke Reichweiten
auf. Sie agieren demnach weniger öffentlich und verbreiten ihre Inhalte eher an stärker begrenzte Kreise. Lediglich
Mitglieder Reichweite
Basis: 500 Kanäle und 211 Gruppen. Die Reichweite wurde aufgrund des Medians von mindestens zehn Nachrichten bestimmt.
20
im Problemfeld Versammlungen weisen auch regulierungsrelevante Angebote eine hohe Reichweite auf. Diese rührt
jedoch daher, dass die Angebote grundsätzlich in den Bereichen Desinformation und Extremismus zu verorten sind
und dabei durch das Organisieren oder den Aufruf zu illegalen Versammlungen potenziell Rechtsverstöße begehen.
Auffallend ist zudem, dass die Reichweiten der einzelnen Nachrichten im Mittel in Gruppen höher sind als in Kanälen –
obwohl zu Gruppen tendenziell weniger Mitglieder beitreten (siehe Abbildung 4). Auch wenn Gruppen typischerweise
nur um die 200 Mitglieder aufweisen, erreichen die Nachrichten im Median über 2.300 Nutzende. In Gruppen werden
oftmals Nachrichten aus bekannten Kanälen weitergeleitet, welche dementsprechend häufig gesehen werden. Dies
verdeutlicht besonders, dass in Gruppen Inhalte aus diversen Kanälen zusammenfließen und diskutiert werden können
und sich so eine auf viele Angebote verteilte Öffentlichkeit bildet.
Abbildung 4: Hohe Reichweiten in Gruppen durch Weiterleitungen
100.000
10.000
1.000
100
10
1
Kanal KanalGruppe Gruppe
4.1.3 Starke Aktivität in den Feldern Desinformation, Verschwörungstheorien
und Extremismus
Die kodierten Angebote sind größtenteils aktuell, sodass sie die zum Zeitpunkt der Datenerhebung stattfindende
Kommunikation auf Telegram widerspiegeln. So wurden in dem überwiegenden Anteil der Problemfelder noch am Tag
der Erhebung Inhalte gepostet. Dennoch finden sich unter den Angeboten einige nicht mehr genutzte Gruppen und
Kanäle, die aufgrund der zugänglich gemachten Inhalte trotzdem bedeutsam sind. So stammt in einem nationalsozia-
listisch ausgerichteten Kanal die letzte Mitteilung vom 14. August 2017. Wenngleich der Kanal demnach nicht mehr
bespielt wird, weist er dennoch ein verbotenes Kennzeichen auf und ist demnach regulierungsrelevant.
Die kodierten Kanäle und Gruppen sind allgemein aktiv und posten im Median Nachrichten im unteren einstelligen bis
mittleren zweistelligen Bereich pro Tag. Im Mittel ist die Frequenz der Nachrichten im ökonomischen Bereich am höchs-
ten. Dies könnte darin begründet sein, dass in diesen Problemfeldern – besonders im nicht regulierungsrelevanten
Bereich – Gruppen zu finden sind, in denen sich Nutzende untereinander austauschen. Eng damit zusammen hängt
auch, dass im ökonomischen Bereich Gruppen der häufigste Angebotstyp sind. Gruppen sind schon dadurch, dass hier
mehrere Personen schreiben können, tendenziell aktiver als Kanäle.
Auch in als problemverschärfend eingestuften Angeboten in den Bereichen Desinformation, Verschwörungstheorien
und Extremismus sammeln sich im Zeitverlauf sehr viele Nachrichten. So weist eine Gruppe, die in den Problemfeldern
Desinformation und Extremismus verortet wurde, bis zu 993.942 Nachrichten auf. Im Bereich Verschwörungstheorie
Versammlungen
Impressum
Verbotene Kennzeichen
Extremismus
Kriegsverherrlichung
Drogenhandel
Waffenhandel
Dokumentenhandel
Verwertungsrecht
Betrug
Diskriminierung
Entwicklungs-
beeinträchtigung
4
395
16
9
1
14
2
3
0
0
2
44
3
0
5
5
1
24
0
7
3
4
2
8
4
251
18
12
0
10
2
4
2
3
2
48
3
144
3
2
1
26
0
5
1
1
2
3
0
0
0
0
1
2
0
1
0
0
0
1
Kategorie Kanäle Gruppen Suche Crawling Einladung
Für jedes Angebot wurde der Zugangsweg ausgewertet, über den es als Erstes aufgefunden wurde.
21
sind in einer Gruppe bis zu 773.369 Mitteilungen zu finden. Es handelt sich demnach um eine gegenwärtig sehr aktive
Community, die sich über den Austausch von Kommunikation konstituiert und innerhalb der eigenen Kreise legitimiert.
Obwohl die einzelnen Meinungen nicht als regulierungsrelevant, sondern lediglich als problemverschärfend einge-
schätzt wurden, ist die starke Aktivität einer ausgrenzend kommunizierenden Minderheit auf Telegram gesellschaftlich
bedenklich (siehe Kapitel 4.3.3).
4.2 Auffindbarkeit der Angebote
Die analysierten Angebote haben wir entlang der Erhebungswellen über unterschiedliche Zugangswege identifiziert:
a) über eine Vorrecherche von Kanälen vorwiegend mit der Suchfunktion von Telegram, b) durch das Verfolgen von
Verlinkungen in Angeboten mittels Crawling und schließlich c) über Einladungslinks (siehe Kapitel 3.2). Daraus erge-
ben sich Hinweise, wie die regulierungsrelevanten und problematischen Angebote von Nutzenden gefunden werden
können (siehe Tabelle 4 und Tabelle 5).
Tabelle 4: Überblick über die Zugangswege zu regulierungsrelevanten Angeboten
je Problemfeld
Desinformation
Verschwörungstheorien
Versammlungen
Impressum
Verbotene Kennzeichen
Extremismus
Kriegsverherrlichung
Aktivismus
Propaganda
Drogenhandel
Waffenhandel
Dokumentenhandel
Schwarzmarkt
Werbung
Verwertungsrecht
Betrug
Glücksspiel
Persönlichkeitsverletzung
Diskriminierung
Bedrohung
Entwicklungs-
beeinträchtigung
Gewaltverherrlichung
251
138
17
98
36
100
11
71
30
6
1
0
0
12
288
3
4
6
28
2
24
5
113
69
8
0
16
38
1
35
9
4
0
1
6
11
94
3
3
3
15
2
9
3
160
75
6
48
23
71
5
47
12
7
1
0
3
16
233
3
4
6
19
1
24
5
192
125
18
49
25
64
7
55
27
3
0
1
2
6
141
3
1
3
21
3
6
2
12
7
1
1
4
3
0
4
0
0
0
0
1
1
8
0
2
0
3
0
3
1
Für jedes Angebot wurde der Zugangsweg ausgewertet, über den es als Erstes aufgefunden wurde.
Kategorie Kanäle Gruppen Suche Crawling Einladung
22
Tabelle 5: Überblick über die Zugangswege zu problemverschärfenden Angeboten
je Problemfeld
In den Bereichen Information und Politik sind die meisten regulierungsrelevanten Angebote über die Suche, vereinzelt
auch über Crawling identifiziert worden. Eine Zugänglichkeit über die Suche bedeutet, dass auch Nutzende, die noch
keinen Kontakt zu bestimmten Themenfeldern haben, die Angebote mit entsprechenden Begriffen finden können. Die
problematischen Angebote sind dahingegen etwa genauso oft über Einladungslinks wie über die Suche zugänglich und
demnach vergleichsweise weniger leicht öffentlich zu entdecken. Eine differenzierte Betrachtung der Strukturdaten
macht vor allem deutlich, dass über die Suche zwar viele Angebote, jedoch nicht die reichweitenstärksten, aktivsten
und aktuellsten Angebote auffindbar waren (Abbildung 5). Diese prominent aufgestellten Angebote sind am besten
über das Crawling zu finden. Das bedeutet, dass problematische Angebote auf Telegram zwar leicht sichtbar und
Basis: 913 Angebote. Reichweite der Nachrichten basiert auf dem Median. Nachrichten pro Tag basiert auf Hochrechnungen mit
bis zu 100 Fällen.
ZUGANGSWEGE:
REICHWEITE
X: Reichweite der Nachrichten
Y: Anzahl Mitglieder
1�+01
1�+03
1�+05
1�+02 1�+04 1�+06
�������������
���������������������
�����������
1�����������
2���������
3�������
AKTUALITÄT
X: Älteste Nachricht (Jahr)
Y: Neueste Nachricht (Jahr)
2016
2017
2018
2019
2020
2016 2017 2018 2019 2020
�������������
�������������
�����������
1�����������
2���������
3�������
AKTIVITÄT
X: Anzahl Nachrichten gesamt
Y: Nachrichten pro Tag
1�-02
1�-01
1�+00
1�+01
1�+02
1�+02 1�+04 1�+06
��.�������(��������������)
����������
�����������
1�����������
2���������
3�������
Suche Crawling Einladung
23
zugänglich sind, mitunter allerdings erst „auf den zweiten Blick“. So können Nutzende zunächst Angebote über die
Suche ausfindig machen, um anschließend in einem nächsten Schritt Verlinkungen zu folgen und sich dadurch zu den
aktiveren, aktuelleren und reichweitenstärkeren Angeboten zu bewegen.11 Sofern Nutzende demnach einen Einstieg
in eine entsprechende Community gefunden haben, finden sie schnell weitere, ähnliche Angebote. Diese Möglichkeit,
verdeckt-verteilte Öffentlichkeit aufzubauen, macht Telegram anscheinend attraktiv für Akteure, die von anderen Platt-
formen verbannt wurden (Rogers 2020: 216; siehe Kapitel 2.2).
Im Gegensatz zu politischen oder informationsbasierten Angeboten funktioniert die Auffindbarkeit von Kanälen und
Gruppen im ökonomischen Bereich anders. So sind diese grundsätzlich weniger gut über die Suche, sondern verstärkt
über verlinkte Angebote oder Einladungslinks zu finden. Besonders Angebote, bei denen mit Drogen gehandelt wird,
sind über Verlinkungen zu finden – einzelne Angebote verlinken auf stadtspezifische Ableger (siehe Kapitel 4.3.2).
Zudem unterscheiden sich die Zugänge im entwicklungsbeeinträchtigenden Bereich danach, ob Angebote regulie-
rungsrelevant oder problemverschärfend sind. So sind Angebote mit potenziellen Rechtsverstößen hauptsächlich über
die Suche zu finden. Es handelt sich hier um vergleichsweise alte und wenig aktive Angebote (siehe Kapitel 4.3.2 für
eine detailliertere Beschreibung). Dahingegen haben wir über Einladungslinks häufig problemverschärfende Angebote
aufgefunden.
Abbildung 5: Strukturdaten der erhobenen Angebote nach Zugangsweg
11 Das bedeutet nicht, dass diese Angebote nicht auch über die Suche auffindbar wären, wenn die Kanalnamen oder entsprechende Suchbegriffe
vorab bekannt sind. Die Auffindbarkeit über Links ist auf die starke Vernetzung in den Themenfeldern Verschwörungstheorien, Desinformation
und Extremismus zurückzuführen (siehe Kapitel 5).
1e+05
1e+03
1e+01
1e+02 1e+04 1e+06 1e+02 1e+04 1e+062016 2017 2018 2019 2020
1e+02
1e+01
1e+00
1e-01
1e-02
2020
2019
2018
2017
2016
24
4.3 Problemfelder
Eine inhaltliche Betrachtung der zuvor strukturell beschriebenen Angebote offenbart Rechtsverstöße und problemati-
sche Inhalte, die Handlungsbedarf anzeigen. Dabei lassen sich drei Bereiche unterscheiden: Erstens treten Standardver-
stöße auf, die häufig in der internetvermittelten Kommunikation anzutreffen und deshalb auch in einem Messenger wie
Telegram erwartbar sind. Dazu zählen Verstöße gegen Anbieterkennzeichnungspflichten (Impressum) und die Verwen-
dung potenziell urheberrechtlich geschützter Bilder und Texte ohne Abklärung der Verwertungsrechte (Kapitel 4.3.1).
Davon sind zweitens Rechtsverstöße zu unterscheiden, die inhaltlich problematisch sind. Dazu zählen unter anderem
die Verwendung verbotener Kennzeichen, Holocaustleugnung, Anbahnung von Drogenhandel, Pornografie ohne Alters-
einschränkung und andere vorrangig im Jugendschutz-Staatsvertrag thematisierte Vergehen (Kapitel 4.3.2). Drittens
haben wir eine hohe Anzahl von Angeboten mit problemverschärfender Kommunikation identifiziert. Hier handelt es
sich nicht in erster Linie um Rechtsverstöße, sondern vorrangig um die Verbreitung von Verschwörungstheorien und
mutmaßlich falschen Aussagen. Dieser Bereich weist starke extremistische Züge auf und ist durch emotionalisierend-
empathielose Kommunikation geprägt. Aus gesellschaftlicher Sicht ist ggf. zu diskutieren, inwiefern aufklärend ein-
gegriffen werden sollte, ohne die Meinungsfreiheit zu gefährden (Kapitel 4.3.3).
4.3.1 Standardverstöße in der Online-Kommunikation
Eine Vielzahl der Angebote weist trotz hoher Reichweite kein Impressum auf. Zudem werden häufig Bilder und Texte
verbreitet, bei denen möglicherweise gegen das Urheberrecht verstoßen wird. Wir haben erstere als regulierungs-
relevant eingestuft, weil sie leicht nachweisbar sind, und letztere als problematisch, weil eine Überprüfung hier nur
schwer möglich ist.
In der Kategorie Impressum wurden Angebote erfasst, die gegen Anbieterkennzeichnungspflichten verstoßen. Diesbe-
züglich wurden ausschließlich Kanäle und keine Gruppen überprüft, da in Kanälen eher von einer redaktionellen Ver-
breitung von Inhalten gemäß dem Telemediengesetz ausgegangen werden kann. Dabei weisen 78 % der überprüften
Angebote (498 von 633 Kanälen) keine Kontaktdaten der Anbieter auf. Weitere 17 % (107 von 633 Kanälen) geben zwar
Hinweise auf eine Kontaktperson oder weitere Angebote wie eine eigene Website, beinhalten jedoch kein ausreichendes
Impressum. Demnach sind 96 % der Angebote (605 von 633 Kanälen) vermutlich nicht rechtskonform gekennzeichnet.
Unter den regulierungsrelevanten Kanälen finden sich dabei Angebote mit bis zu 77.129 Nutzenden, wobei die Angebote
im Median 363 Mitglieder und eine mittlere Reichweite von 787 Ansichten pro Nachricht aufweisen. Demnach handelt
es sich durchaus um Angebote, die ein größeres Publikum erreichen. Dies ist zum einen problematisch für die Rezipien-
ten der Nachrichten, da diese die Quellen der Inhalte nicht überprüfen können und somit potenziell getäuscht werden
können. Zum anderen lassen sich die Akteure durch ihre Pseudonymität beim Vorliegen weiterer Rechtsverstöße kaum
identifizieren. Wenngleich Anonymität und Privatheit grundsätzlich produktiv für einen freien Meinungsaustausch sein
können (Rössler 2002: 27 ff.), ist dies besonders bei Verstößen gegen die Menschenwürde bedenklich.
Verstöße gegen das Urheberrecht wurden gemeinsam mit Verstößen gegen das Markenrecht in der Kategorie
Verwertungsrecht erfasst. Drei Angebote enthalten vermutlich Markenrechtsverletzungen (siehe Kapitel 4.3.2 für eine
genauere Beschreibung). Urheberrechtlich problematisch sind 42 % (n = 382) der geprüften Angebote, die wir allerdings
nicht als rechtsverstoßend eingestuft haben, da zunächst eine genauere Prüfung der Schöpfungshöhe und der Lizen-
zierung nötig wäre. Obwohl das viele Angebote betrifft, ist der kreative Umgang mit Werken in der Online-Kommunika-
tion eine Kulturtechnik, bei der weniger ihre Unterbindung als ihre rechtskonforme Umsetzung zielführend erscheint.
Kein Impressum bei 96 % der kodierten Kanäle
Potenzielle Urheberrechtsverletzungen durch Teilen von Bildern, Videos, Texten
25
4.3.2 Rechtsverstöße in Kommunikationsinhalten
Die Rechtsverstöße in den kodierten Mitteilungen haben wir auf Basis entsprechender Rechtsgrundlagen eingeschätzt:
Berücksichtigt wurden:
- Staatsvertrag über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien
(JMStV 2016),
- Strafgesetzbuch (StGB),
- Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG 1896),
- Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (BtMG 1930),
- Gesetz über den Schutz von Marken und sonstigen Kennzeichen (MarkenG, 1995),
- Telemediengesetz (TMG 2007),
- Urheberrechtsgesetz (UrhG),
- Verfassungsschutzbericht 2019 (Bundesamt für Verfassungsschutz 2020) sowie
- Broschüre zu Symbolen, Zeichen und verbotenen Organisationen
(Bundesamt für Verfassungsschutz 2018).
Dadurch besonders eindeutig identifizierbare Verstöße, wie das Verbreiten von altersuneingeschränkter Porno-
grafie, den Handel mit illegalen Betäubungsmitteln oder verbotene Kennzeichen und Organisationen, haben wir zu
den regulierungsrelevanten Angeboten gezählt. Das Screening ersetzt keine Einzelfallprüfung, gibt aber Hinweise
auf die Gesamtlage. Insgesamt wurden 141 Angebote als regulierungsrelevant eingeschätzt, wobei 157 vermutete
Rechtsverstöße (ohne die Kategorie Impressum) in elf Problemfeldern vorliegen. Der Großteil dieser rechtlich zu
überprüfenden Inhalte sind in den Bereichen Politik (Verbotene Kennzeichen, Extremismus), Ökonomie (Drogen-,
Dokumentenhandel) und Lebenswelt (Entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte) angesiedelt. Zu beachten ist dabei, dass
die Rechtsverstöße nicht zwangsläufig von den Beitreibenden der Kanäle begangen werden, sondern auch in weiter-
geleiteten Nachrichten von Gruppenmitgliedern auftreten.
Die wenigsten regulierungsrelevanten Angebote wurden im Bereich Information gefunden. Das Verbreiten von Falsch-
informationen und Verschwörungstheorien ist in der Regel durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Die vier Kanäle und
drei Gruppen, die von uns in diesem Bereich als regulierungsrelevant eingeschätzt wurden, haben zu nicht erlaubten
Versammlungen eingeladen oder aufgerufen. Bei den Versammlungen handelt es sich in allen Angeboten um potenziell
nicht genehmigte Demonstrationen, die unter anderem sowohl gegen die Maßnahmen in Reaktion auf das Coronavirus
als auch gegen das vermeintlich damit zusammenhängende politische System und Gesundheitssystem gerichtet sind:
„Wir werden die Pandemie beenden. Wir werden die Besatzung beenden. Wir werden Deutschland souverän machen!“.
Die Akteure vertreten teilweise den Standpunkt, dass Demonstrationen nicht genehmigt werden müssen, und rufen in
diesem Zusammenhang zur Teilnahme auf: „Eine Demo braucht KEINE Genehmigung, es ist unser GRUNDRECHT, uns
versammeln zu dürfen“ oder „Eine Demo ist Protest. Hier ist es ein Protest der Bevölkerung gegen die Regierung we-
gen der Verbrechen am eigenen Volk! Eine Demo meldet man bestimmt bei den Leuten an gegen die man demonstriert
... Sicherlich nicht! Das wäre ja ein Widerspruch in sich selbst. Lächerlich.“ Andere Angebote rufen indirekt zur Teilnah-
me unter einem anderen Vorwand auf, für den Fall, dass ein Verbot ausgesprochen werden sollte: „Aber selbst wenn
die Demo tatsächlich verboten werden sollte, dann fahren wir TROTZDEM nach Berlin, das kann niemand verbieten.
Dann gehen wir einfach spazieren und warten mal ab, was dann ganz spontan passiert ...“ (Quellen: geprüfte Angebote).
Inwiefern die Versammlungen tatsächlich trotz Verbot stattgefunden haben, würde eine Einzelfallprüfung erfordern.
Die Angebote weisen eine hohe Reichweite und Aktivität auf. Allerdings machen sich diese nicht im Kern zur Aufgabe,
zu illegalen Versammlungen aufzurufen. Stattdessen sind sie eher in den problematischen Bereichen Desinforma-
tion, Verschwörung und Extremismus zu verorten und begehen in diesem Zusammenhang potenzielle Rechtsverstöße.
Ähnlich gelagert sind problembehaftete Inhalte im Feld Persönlichkeitsverletzung. Hier werden Bilder von Demons-
trationsteilnehmenden, Polizistinnen und Polizisten sowie die private Adresse eines Politikers veröffentlicht – diese
Aktivitäten stehen in einem politischen Kontext. Bedenklich ist dabei vor allem, dass sich die Nachrichten gegen
Einzelne richten.
Verabredung zu mutmaßlich illegalen Versammlungen in informationsbasierten Angeboten
26
Offener Rechtsextremismus auf Telegram
Telegram als Marktplatz für illegale Waren
Im Bereich Extremismus wurden Angebote kodiert, deren Inhalte an den äußeren Rändern des politischen Spektrums
und abseits einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung angesiedelt sind. Dabei wurden neun regulierungsrele-
vante Kanäle und fünf Gruppen identifiziert, die direkt oder indirekt zum Hass und zur Gewalt gegen Teile der Bevöl-
kerung aufrufen.
Die identifizierten Angebote sind ausschließlich dem Rechtsextremismus zuzuordnen. Teilweise veröffentlichten sie
eindeutig extremistische Aussagen wie „Dem Neger muss man eine Kugel durch den Kopf jagen. Er ist unwürdig den
Hitlergruß zu machen“ oder leugnen mit Formulierungen wie „jüdische Märchen von den ‚6 Millionen getöteten Juden‘“
den Holocaust. Andere Angebote wiederum äußern weniger provokant extremistische Inhalte, indem sie nüchtern für
Rassenreinheit plädieren – „Rassismus ist keine Meinung sondern ein NATURGESETZ“ – oder für ethnisch homogenes
Heiraten argumentieren und dies als „erbgesunde Partnerwahl“ deklarieren (Quellen: geprüfte Angebote). Durch ihre
Argumentation rufen sie indirekt zum Hass gegen entsprechende Bevölkerungsteile auf. Ferner wurden zwei Angebote
identifiziert, die das Leiden von Menschen in Kriegen relativieren. Auch diese Angebote sind dem Rechtsextremismus
zuzuordnen und beziehen sich in ihrer Kriegsrelativierung auf den Zweiten Weltkrieg.
Obgleich auch inaktive Gruppen zu finden sind, weisen diese Angebote bis zu 18.226 Mitglieder auf und erreichen im
Median bis zu 8.723 Nutzende pro Nachricht, womit es sich teilweise um reichweitenstarke Angebote handelt. Einige
Angebote und Akteure sind auch außerhalb von Telegram anzutreffen.
Die verbotenen Kennzeichen, Parolen und Organisationen, die im Zuge der Analyse gefunden wurden, sind ebenfalls zu
großen Teilen dem Rechtsextremismus zuzuordnen. Sie teilen sich auf sechzehn Kanäle und fünf Gruppen auf. Domi-
nant sind Hakenkreuzdarstellungen, Parolen wie „Heil Hitler“ oder heroisierende Hitler-Porträts. Daneben finden sich
auch Verweise auf verbotene rechtsextreme Organisationen oder einen verbotenen islamistischen Verein. Auch wenn
diese Angebote vergleichsweise weniger aktiv sind – die Nachrichten sind im Mittel 20 Tage alt – finden verbotene
Kennzeichen, Parolen und Organisationen auf Telegram eine öffentliche Plattform.
Telegram wird als Plattform für den illegalen Handel mit Waren verwendet. Dabei haben wir Angebote entdeckt, in de-
nen Drogen (14 Kanäle und 24 Gruppen), Waffen (zwei Kanäle), Dokumente (drei Kanäle und sieben Gruppen), Replika
bekannter Marken (Verwertungsrecht, drei Gruppen) und verbilligte Accounts (Betrug, vier Gruppen) offeriert werden.
Inwiefern es tatsächlich zum Handel kommt und ob etwa Waffen wirklich ohne entsprechende Genehmigung vertrieben
werden, lässt sich aufgrund der Inhalte nicht eindeutig erkennen. Hier bedarf es Einzelfallprüfungen.
Als regulierungsrelevanter Drogenhandel wurde der Verkauf von Betäubungsmitteln mit Gefährdungspotenzial gemäß
BtMG kodiert. Dabei wurden zum einen Angebote identifiziert, die professionalisierte Lieferdienste anbieten. Unter an-
derem findet sich darunter ein holländisches Unternehmen, das stadtspezifische Ableger für zahlreiche deutsche Groß-
städte betreibt und diese systematisch untereinander verlinkt (Abbildung 6) – wodurch ein Netzwerk aus Drogenku-
rieren entsteht. Zum anderen haben wir „Marktplätze“ aufgefunden, in denen einzelne Nutzende Drogen anbieten und
nachfragen. Dazu zählen Betäubungsmittel wie Koks, MDMA oder Cannabis oder auch rezeptpflichtige Medikamente
wie Modafinil. Ebenso offeriert ein Anbieter gefälschte Privatrezepte, über die sich Nutzende Medikamente verschrei-
ben lassen können, indem sie eine beliebige Adresse und einen Arzt aus der eigenen Stadt angeben.
Auszug aus dem Netzwerk erhobener Angebote – die Linien stellen Weiterleitungen, Erwähnungen
oder Verlinkungen dar.
27
Abbildung 6: Netzwerk zwischen Drogenlieferdiensten auf Telegram
Zwei weitere Kanäle im kodierten Sample verkaufen Waffen, wobei die Vermutung naheliegt, dass dies unter Umge-
hung rechtlicher Bestimmungen geschieht. Die Waffen werden mit Argumenten wie „100 % diskret zu Ihrer Sicherheit
und zu Ihrem Schutz“ oder „Wir handeln mit allen Arten von Schusswaffen. Sie haben das Recht, diese zu besitzen und
in Sicherheit zu bleiben“ beworben (Quellen: geprüfte Angebote). Die Kanäle sind dabei unterschiedlich aufgestellt:
Einer der beiden Kanäle weist über 5.000 Mitglieder und über 200 Nachrichten auf, der zweite lediglich zwei Mitglieder
und 123 Nachrichten. Wenngleich die Angebote unterschiedlich populär sind, bedienen sie beide einen Nischenmarkt.
Ebenfalls im ökonomischen Bereich wurde der Handel mit gefälschten amtlichen Dokumenten, wie Pässen, Führer-
scheinen oder Falschgeld erfasst. Der Handel mit Waren in diesem Problemfeld ist rechtlich gänzlich verboten – an-
ders als beim Handel mit Waffen oder Drogen, welcher zwar reguliert ist, aber teils auch legal stattfinden kann. Drei
der zehn Angebote bieten sämtliche gefälschte Dokumente an – von Führerscheinen, Pässen, Führungszeugnissen
bis hin zu Meldebescheinigungen. Diese drei Angebote weisen lediglich zwischen 7 und 95 Mitglieder auf. Ein viertes
Angebot bietet Falschgeld an und weist knapp 4.500 Mitglieder auf. Der Unterschied bei den Mitgliederzahlen könnte
darin begründet sein, dass das Fälschen von Dokumenten als einmalige Dienstleistung in Anspruch genommen wird,
während der Bezug von Falschgeld auch über einen längeren Zeitraum hinweg für Nutzende interessant sein kann.
Weitere sechs Angebote konzentrieren sich auf Drogen und erwähnen Falschgeld eher beiläufig.
Weiterhin finden sich Gruppen, in denen Produkte auffällig verbilligt angeboten werden. In drei Gruppen werden Re-
plika der Marke Yeezy oder von Luxusuhren wie ROLEX, Audermars Piguet oder Patek Philippe angeboten, bei de-
nen Verletzungen des Markenrechts überprüft werden könnten (Kategorie Verwertungsrecht). Zudem werden in vier
Angeboten vergünstigte Fahrkarten oder Accounts von Musik-, Gaming- oder Streaming-Plattformen angeboten, bei
denen eine Verletzung von Geschäftsbedingungen der betroffenen Unternehmen naheliegt (Kategorie Betrug). Einige
dieser Gruppen bezeichnen sich explizit als Schwarzmarkt. Demnach werden die potenziellen Rechtsverstöße in den
Mitteilungen nicht von den Betreibenden der Angebote, sondern von einzelnen handelnden Personen begangen, die
jeweils auf ihre Produkte spezialisiert sind und die Gruppen als Vertriebsweg nutzen. Auffallend ist über die diversen
Schwarzmarktgruppen hinweg, dass oftmals die gleichen Nachrichten in unterschiedlichen Angeboten verbreitet wer-
den – wodurch auch ohne Weiterleitungen viele potenzielle Käuferinnen und Käufer erreicht werden.
Verbreitung von Desinformation, Verschwörungstheorien und Extremismus
28
Fishing für Pornoangebote
Die meisten regulierungsrelevanten Angebote haben wir im Bereich der entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalte iden-
tifiziert (52 Angebote). Wenngleich wir breit nach Inhalten geschaut haben, welche die Entwicklung von Kindern und
Jugendlichen beeinträchtigen können, beschränken sich die Befunde letztendlich auf Pornografie ohne effektive Alters-
beschränkung. Allerdings ist die von uns geprüfte Stichprobe auf deutschsprachige Inhalte beschränkt. Angebote auf
Telegram weisen jedoch viele internationale Verknüpfungen auf und nur einen Klick weiter finden sich unter anderem
offensive Abbildungen von Selbstverletzungen und verstörende Inhalte, die über die Suchfunktion oder über deutsch-
sprachige Angebote erreicht werden können.
Ein großer Anteil der pornografischen Kanäle ist dabei nach einem ähnlichen Schema aufgebaut. So besteht der Kanal-
titel aus einschlägigen pornografischen oder herabwürdigenden Stichwörtern wie „Anal“, „Fotzen“ oder „Schlampe“
(Quellen: geprüfte Angebote). Dies hat zur Folge, dass die Angebote gut über die Suche auffindbar sind – so haben auch
wir 48 der 52 regulierungsrelevanten Angebote über die Suche erhoben. Versehen sind die Angebote mit Profilbildern
mit freizügigen, körperbetonten Darstellungen. Die Angebote selbst sind dabei weniger aktiv. Sie weisen im Mittel
lediglich 0,4 Nachrichten pro Tag und 25 Nachrichten insgesamt auf und sind im Median bereits 14 Tage alt. Statt dass
die Angebote folglich viele Inhalte über Telegram verbreiten, finden sich in diesen oftmals werbende Bilder, welche mit
externen Links zu Pornowebsites oder zu (vermeintlich) privaten Chats versehen sind. Telegram wird hier demnach
als Mittel genutzt, um Nutzende zu anderen Angeboten zu locken. Der ähnliche Aufbau einiger Angebote weckt den
Verdacht, dass diese Angebote teilweise automatisiert von dem gleichen Akteur erstellt wurden.
4.3.3 Emotionalisierend-empathielose Kommunikation in problemverschärfenden Angeboten
Neben den identifizierbaren Rechtsverstößen finden sich im kodierten Sample zahlreiche Mitteilungen, die zwar nicht
rechtlich einschlägig sind, allerdings in gesellschaftlichen Problembereichen auf unterschiedliche Weise als verschär-
fend einzuschätzen sind. So wurden von den 913 überprüften Angeboten insgesamt 576 Angebote als problematisch
eingestuft – wobei diese gleichzeitig auch regulierungsrelevant sein können. In diesen Angeboten wurden über alle
Problemfelder hinweg insgesamt 1.796 Mitteilungen als problemverschärfend kodiert (ohne Verwertungsrecht und
Impressum).
Innerhalb dieser Problemverschärfungen sind allein 69 % (1.238 von 1.796) in den drei Problemfeldern Desinforma-
tion, Verschwörungstheorie und Extremismus zu finden. Die Mitteilungen in diesen drei Feldern sind auf 424 Angebote
verteilt und umfassen folgende Inhalte:
- Aussagen, die dem hegemonialen Diskurs widersprechen, etwa das Relativieren von Maßnahmen zur
Bekämpfung der Corona-Pandemie,
- Verschwörungstheorien, gekennzeichnet durch die Unterstellung verdeckter, manipulativer Wirkmächte,
- abfällige Äußerungen über Teile der Bevölkerung.
Weitere Inhalte weisen Bezüge zu verbotenen Kennzeichen auf, wie die schwarz-weiß-rote Flagge oder die Zahlen-
kombination 1488, stellen Kriege als legitimes Mittel dar oder werben für menschenrechtlich problematische Positio-
nen. Gerade die Verwendung von Kennzeichen am Rande der Legalität deutet darauf hin, dass die Akteure sich einer
Regulierung bewusst entziehen – „14“ verweist auf eine internationale rechtsextreme Parole, „88“ auf die Parole
„Heil Hitler“. Zudem werden sprachliche und stilistische Mittel wie vage Formulierungen, Fragen, Ironie oder Hed-
ging eingesetzt, um Aussagen abzuschwächen und rechtskonform zu halten – gleichwohl die Botschaften hinter den
Mitteilungen oft eindeutig interpretierbar sind.
Quelle: geprüfte Angebote. Quelle: geprüfte Angebote.
29
Des Weiteren finden sich unter den Angeboten Kanäle, die sich als offiziell ausgeben oder offizielle Kanäle parodie-
ren. So berichtet beispielsweise der Corona-Infokanal des Bundesministeriums für Gesundheit über seinen Telegram-
Kanal über aktuelle Entwicklungen in Bezug auf die Corona-Pandemie (Abbildung 7). Ein anderer Kanal gibt sich
selbst einen ähnlichen Titel, weist aber desinformierende und verschwörungstheoretische Inhalte auf (Abbildung 8).
Das Handle täuscht Nutzende, indem es optisch identisch aussieht – tatsächlich ist der letzte Buchstabe im Wort
„infokanal“ aber ein großgeschriebenes „i“.
Hier wird eine gesellschaftliche Schicht sichtbar, die einerseits dem politischen und medialen System und anderer-
seits Teilen der Bevölkerung misstrauisch gegenübersteht und dies über Telegram laut ausdrückt. Die Angebote wei-
sen bis zu 139.144 (Desinformation) Mitglieder auf und erreichen im Mittel zwischen 1.555 (Extremismus) und 2.407
(Verschwörungstheorien) Nutzende. Damit ist nicht nur die Präsenz, sondern auch die zu vermutende Wirkung der
Angebote (z. B. Bindung von Mitgliedern und Ausbildung kollektiver Identität sozialer Bewegungen) nicht zu unter-
schätzen.
Abbildung 7: Offizieller Kanal Abbildung 8: Schein-offizieller Kanal
Quelle: geprüfte Angebote. Quelle: geprüfte Angebote.
30
Der Ton in den Mitteilungen ist dabei häufig derbe und die Stimmung skeptisch. So wird gegenüber dem deutschen
Mediensystem die Einstellung ausgedrückt, die „Lügenpresse“ führe die in der BRD lebenden Menschen hinters Licht und
werde von „ungebildeten und gehirngewaschenen Journalisten“ oder „stumpfen Propagandisten“ betrieben. Die BRD
wird ferner als „totalitäres System“ beschrieben, Mitarbeitende des Robert Koch-Instituts als „vorsätzlich handelnde
Schwerstkriminelle“. Vom politischen System gehe eine „große Gefahr“ und „Bedrohung“ aus, welche die „Freiheit
der Menschen“ gefährde. Personen mit anderen politischen Meinungen werden als „Systemlinge“ oder „Dreckspack“
bezeichnet, das „gehirngespült“ und der „Lügenpropaganda“ zum Opfer gefallen sei (Quellen: geprüfte Angebote).
Einige Mitteilungen enthalten lange Texte in sachlicher Sprache, haben jedoch ähnliche Botschaften zum Kern.
Abbildung 9: Emotionalisierung durch
eine Abbildung von Kindern12
Abbildung 10: Empathielose Kommuni-
kation gegenüber geflüchteten Personen
1.680.700 „Flüchtlinge“
leben zur Zeit in Deutschland.
Jeder Mensch in
Deutschland erzeigt 11 t
CO2 im Jahr.
Wenn alle Flüchtlinge
ausgewiesen werden
können wir 18.487.700 t
CO2 einsparen!!
Das sollte uns doch unsere
Umwelt Wert sein!!
12 Die Abbildung findet sich beispielsweise gekennzeichnet als Archivbild vom 9. September 1996 unter http://archiv.rhein-zeitung.de/
on/97/12/16/topnews/kidsnot.html.
Diese problematischen Angebote sind oftmals durch eine Kommunikationsweise gekennzeichnet, die als emotionali-
sierend und empathielos beschrieben werden kann. Dabei wird über emotional aufgeladene Bilder und Sprache eine
Argumentationsstruktur aufgebaut, die den Boden für ausgrenzende Aussagen bereitet.
Beispielsweise findet sich in einem Kanal eine Aufnahme von Kindern, die vermutlich aus den 1990er-Jahren stammt
und womöglich bereits urheberrechtlich und persönlichkeitsrechtlich problematisch ist (Abbildung 9). Das Foto ist mit
der Beschreibung „Diese Kinder sind nicht aus Moria ... !! !! !! !! !!“ versehen. Wenngleich zunächst Mitleid für hungernde
Kinder ausgedrückt wird, schafft das Foto eine emotionale Grundstimmung, in der ein rassistisches Argument plat-
ziert wird: Bisher seien aus Moria „nur gesunde, kräftige Mörder, Kinderschänder und Vergewaltiger“ nach Deutsch-
land geholt worden. In einem weiteren Beispiel wird unter dem nicht nachvollziehbaren Vorwand des Umweltschutzes
argumentiert, dass Flüchtlinge aus Deutschland ausgewiesen werden sollten (Abbildung 10; Quellen: geprüfte Angebote).
Emotionalisierend-empathielose Kommunikationsweisen
Das abgebildete Netzwerk besteht aus 2.362 erhobenen Angeboten, die mittels automatisierter Spracherkennung als deutschsprachig
eingeschätzt wurden. Dazwischen bestehen 17.607 Beziehungen in Form von Verlinkungen, Erwähnungen oder Weiterleitungen der Nach-
richten. Farbig abgegrenzt sind untereinander besonders stark verknüpfte Angebote, wobei der Bereich in der Mitte viele verschwörungs-
theoretische und extremistische Angebote enthält.
31
Abbildung 11: Netzwerk der erhobenen, deutschsprachigen Angebote
Neben den Inhalten und der Kommunikationsweise liegt die Problemhaftigkeit vieler Angebote zudem in den Kommu-
nikationsstrukturen. Die Angebote mit desinformierenden, verschwörungstheoretischen und extremistischen Inhalten
sind über Weiterleitungen und Verlinkungen stark untereinander verknüpft (Abbildung 11). Dies hat zur Folge, dass
sich Inhalte verschiedener Themen (Corona, Medienkritik, Neue Weltordnung, Rechtsextremismus …) vermischen und
Nutzende leicht von unproblematischen über kritische in extremistische Bereiche gelangen.
Über diese Beziehungen sichern die Akteure ihre Kommunikationsfähigkeit. So finden sich beispielsweise Backup-
Kanäle für den Fall, dass der Hauptkanal geschlossen wird – sowohl im ökonomischen Bereich als auch in Bezug auf
soziale Bewegungen. Channel-Guides geben orientierungssuchenden Nutzenden einen Überblick über das Feld und
Vorgruppen sichern ab, dass die Nutzenden erst nach bestandener Authentifizierung Zutritt zu Hauptgruppen erlangen.
Die Vernetzung erstreckt sich auch auf prominente soziale Medien wie Facebook, Twitter, YouTube und Instagram sowie
auf als zensurfrei wahrgenommene Plattformen wie bitchute, truetube oder 4chan-Foren. Insgesamt konstituiert
sich durch die Sicherungsmechanismen und die Wanderung zwischen den Angeboten und Plattformen eine verdeckt-
verteilte Öffentlichkeit.
Vernetzung von Verschwörungstheorien, Desinformationen und Extremismus
32
5. LIMITATIONEN
Limitationen der Studie ergeben sich vorrangig in Bezug auf das Sampling, die Operationalisierung der Kategorien, den
Datenzugang und die Dynamik des Feldes. Diese Einschränkungen müssen bei der Interpretation der Befunde berück-
sichtigt werden und sind an den entsprechenden Stellen benannt.
Sampling: Wir haben ein breit angelegtes exploratives Screening durchgeführt, bei dem wir viele Angebote, aber je-
weils nur wenige Mitteilungen gesichtet haben. Die Auswahl der Startpunkte und der Stichwörter sowie die Umsetzung
der Suchfunktion nehmen Einfluss auf die Zusammensetzung des Samples. Die starke Prägung der Berichterstattung
durch die Corona-Pandemie spiegelt sich auch in den untersuchten Angeboten wider. Themenfelder beispielsweise im
Bereich salafistischer Djihad oder Linksextremismus wurden kaum aufgefunden, auch wenn wir entsprechende Start-
punkte recherchiert haben – was sowohl auf das Sampling als auch auf die Funktionsweise dieser Felder zurückgeführt
werden kann. Die Befunde sind dementsprechend nicht vollständig oder repräsentativ, vielmehr besteht das Ziel im
Verdeutlichen potenzieller Rechtsverstöße.
Operationalisierung: Wir haben die Mitteilungen auf Grundlage von Indikatoren eingeschätzt, die Feststellung von
tatsächlichen Rechtsverstößen erfordert jedoch Einzelfallprüfungen, bei denen der Gesamtkontext einbezogen wird.
Herausforderungen ergeben sich durch lückenhafte Informationen und Aussagen am Rande der Legalität. Zudem kann
die Intention der Akteure und damit die Handlungsabsicht allein aufgrund von Inhalten nicht nachgewiesen werden.
Außerdem ist zu unterscheiden, ob Rechtsverstöße bereits in der Kommunikation (Anbieten von Drogen) oder in An-
schlusshandlungen (Handel mit Drogen) bestehen. Die Einschätzung problemverschärfender Inhalte basiert wesent-
lich auf dem Kontrast zum hegemonialen Diskurs, wie wir ihn in der Berichterstattung wahrgenommen haben. Diese
Einschätzungen sind entsprechend diskutierbar.
Zugang: Einige Gruppen verlangen vor dem Beitritt eine Offenlegung von persönlichen Informationen (Bilder, Namen)
oder ideologische Positionierungen. Zum Schutz der Beteiligten haben wir die Erhebung an diesen Punkten abge-
brochen. Es wurden keine privaten Chats analysiert.
Dynamik: Die Erhebung enthält einen Querschnitt, der über mehrere Wellen verteilt ist. Das Feld verändert sich dabei,
Angebote treten hinzu und fallen weg. Diese Prozesse wurden, wie auch die Diffusion von Nachrichten, nicht ausgewertet.
Die Kenndaten zur Aktivität basieren auf einer Hochrechnung, ausgehend von den bis zu 100 erhobenen Mitteilun-
gen. Die Statistik drückt Tendenzen aus, muss aber im Einzelfall relativiert werden. Einige Angebote verfügen zudem
über geringe Mitgliederzahlen – wir haben sie gleichermaßen wie die reichweitenstarken Angebote in die Analyse
aufgenommen.
33
6. ZUSAMMENFASSUNG UND FAZIT
Telegram ist ein Hybridmedium, in dem sich interpersonale Kommunikation, Austausch in Gruppen und die Verbreitung
von Mitteilungen in Kanälen miteinander vermischen. Durch Weiterleitungen und Verlinkungen zwischen den Angebo-
ten entsteht dabei verteilte Öffentlichkeit. Mit vielfältigen Möglichkeiten lassen sich zudem der Zugang zu Gruppen und
Kanälen und die Sichtbarkeit der Nachrichten steuern. Öffentlichkeit lässt sich deshalb verdeckt aufbauen, beispiels-
weise wenn Gruppen nur über Einladungslinks erreichbar sind. Damit bietet Telegram einen Raum für Akteure, die von
anderen Plattformen wie Facebook oder Twitter verbannt wurden. In der deutschen Berichterstattung – das zeigt eine
Analyse für den Zeitraum Januar bis Juni 2020 – werden diese Bedingungen vor allem dahingehend thematisiert, dass
hier Extremismus, Desinformation und Verschwörungstheorien verbreitet werden.
Dadurch stellt sich die Frage, inwiefern auf Telegram rechtsverstoßende Inhalte zu finden und wie die entsprechenden
Angebote organisiert sind. Ausgehend von der Berichterstattung und über eine Stichwortliste haben wir ein Screening
regulierungsrelevanter und problemverschärfender Angebote durchgeführt. Zunächst wurden Startpunkte festgelegt,
deren Inhalte über die Telegram-API erhoben wurden. Durch das Weiterverfolgen von Verlinkungen und Weiterleitun-
gen haben wir in mehreren Wellen eine explorative Stichprobe mit über 6.000 Angeboten gezogen, innerhalb der wir
etwa 900 Angebote im Hinblick auf 22 Kategorien geprüft haben.
Die meisten Rechtsverstöße finden sich in den Bereichen Rechtsextremismus, Drogenhandel, Dokumentenhandel
und Pornografie. Die Felder sind unterschiedlich organisiert. Im extremistischen Bereich sind besonders Kanäle mit
Bezügen auf verbotene Organisationen und Kennzeichen auffällig. Illegaler Handel wird vorrangig durch Gruppen
organisiert. Angebote mit entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalten sind vergleichsweise weniger aktiv und führen
Nutzende zu privaten Chats oder pornografischen Webseiten außerhalb von Telegram.
Wesentlich stärker vertreten sind in den von uns überprüften Angeboten allerdings Akteure, die dem deutschen
Mediensystem und dem Staat misstrauisch bis feindselig gegenüberstehen. Im Umfeld reichweitenstarker Angebote
konstituieren sich soziale Bewegungen wie QAnon und verbreiten Verschwörungstheorien sowie Falschaussagen. Die
Kommunikation ist emotional aufgeladen, ausgrenzend und bewegt sich teilweise am Rande der Legalität. Eine beson-
dere Herausforderung ergibt sich nicht nur aus den gesellschaftlich problematischen Inhalten, sondern auch aus der
Vernetzung der Akteure. Durch Weiterleitungen werden mitunter hohe Reichweiten generiert und die Angebote ver-
weisen auf internationale Kontexte. Mechanismen wie Vorgruppen und Backup-Kanäle sichern die Kommunikations-
fähigkeit der Kanäle. Aus diesen Phänomenen ergibt sich weiterer Forschungsbedarf, um die Konstitution verdeckt-
verteilter Öffentlichkeit durch problematische soziale Bewegungen besser zu verstehen und entsprechend reagieren
zu können.
In Bezug auf mögliche Regulierungsansätze ergibt sich ein ambivalentes Bild. Während eindeutige Rechtsverstöße
verfolgt werden können, sind viele weitere gesellschaftlich destabilisierende und selbst ausgrenzende Äußerungen
durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Telegram ist wie auch andere Messenger ein Dienst, der nicht nur in Deutschland
für viele Menschen einen Raum für den sozialen Kontakt, kreative Kommunikation und die Entfaltung von Meinungen
und Diskursen bereitstellt. In Bezug auf eine freiheitlich-demokratische Grundordnung könnte es jedoch wünschens-
wert sein, die Verbreitung und Auffindbarkeit diskriminierender Inhalte zu erschweren – auch um Menschen vor
dysfunktionaler Sozialisation zu schützen. Neben staatlichen Regulierungseinrichtungen widmet sich dieser Auf-
gabe eine Vielzahl zivilgesellschaftlicher Initiativen mit kreativen Ansätzen.13 Und auch wenn Telegram sich als
sicherer Messenger präsentiert, etablieren die Betreiber mittlerweile Mechanismen, mit denen z. B. der Einsatz von
Bots begrenzt wird. Telegram löscht Angebote etwa im Bereich salafistischer Djihad und schränkt Kanäle mit Porno-
grafie auf Grundlage von Meldungen durch Nutzende ein. Insofern erscheint, neben der öffentlichen Thematisierung
dieser Phänomene und einer Förderung von Initiativen, eine Kontaktaufnahme mit Telegram angeraten.
13 Siehe https://www.das-nettz.de/initiativen-gegen-hass-im-netz-wer-engagiert-sich-wie (3. November 2020).
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ANHÄNGE
A1 SAMPLING UND DATENERHEBUNG
A2 CODEBÜCHER
A2.1 BERICHTERSTATTUNG
A2.2 MITTEILUNGEN
A3 TABELLE: ANALYSIERTE ANGEBOTE
A4 STRUKTURDATEN DER ANGEBOTE
A4.1 REGULIERUNGSRELEVANTE ANGEBOTE
A4.2 PROBLEMVERSCHÄRFENDE ANGEBOTE
A5 BEISPIELSAMMLUNG
B1 DATEN UND SKRIPTE
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Herausgeberin:
Landesanstalt für Medien NRW
Zollhof 2
40221 Düsseldorf
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www.medienanstalt-nrw.de
Verantwortlich:
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Redaktion:
Dr. Meike Isenberg (Leiterin Forschung)
Autoren:
Jakob Jünger und Chantal Gärtner (Universität Greifswald)
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