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Feministische Geo-RundMail
Informationen rund um feministische Geographie
Nr. 84
|
Dezember 2020
© Maria Arndt
Themenheft:
Pissen* ist politisch:
Feministische und kritisch-geographische Perspektiven
auf Geographien der Notdurft
Feministisches Geo-RundMail Nr. 84, Dezember 2020
2
Liebe Leser*innen,
an einem warmen Sommerabend (im Jahr 2016) treffe ich
mich mit Freund*innen
1
, um bei einem gemeinsamen Getränk
den Feierabend einzuläuten. Wir sitzen in geselliger Runde
auf einem öffentlichen Platz in Köln, doch unsere Gespräche
werden immer wieder von einem „Oh nein Leute, ich muss
schon wieder pinkeln! Kommt wer mit?“ unterbrochen. Quasi
dauerhaft sind mindestens zwei Personen unserer Gruppe
(alle weiblich sozialisiert, weiblich gelesen, Menschen mit
Vulva*, ohne sichtbare körperliche Be_hinderung) unterwegs;
auf der Suche nach einer nicht oder nur wenig einsehbaren
Stelle zum Pinkeln, da der Weg zu einer öffentlichen Toilette
deutlich länger dauern würde. Wir kommen darüber ins
Gespräch, wie zeitaufwändig es doch ist, immer wieder
geeignete (Wild-)Pinkelstellen aufzusuchen, während wir
beobachten, wie sich von uns als männlich gelesene Personen
– vermutlich mit Penis* – einfach an den nächsten Baum
stellen und, nachdem sie sich erleichtert haben, schnell wieder
in die Gruppengespräche einsteigen können.
Zum Hintergrund der Ausgabe
Situationen, wie die von Martine erlebte, haben uns dazu
veranlasst, das Thema aus einer wissenschaftlichen
Perspektive zu betrachten. Nach und nach haben wir uns
über private und universitäre Netzwerke
zusammengefunden und im Januar 2020 das klo:lektiv
gegründet. Aktuell besteht es aus sechs Student*innen und
Nachwuchswissenschaftler*innen der Geographie und der
Soziologie, die sich wissenschaftlich und aktivistisch mit
(öffentlichen) Toiletten und den mit menschlichen
Ausscheidungen im Zusammenhang stehenden Räumen,
Praktiken und Diskursen auseinandersetzen. Als klo: lektiv
möchten wir persönliche Erfahrungen strukturell verorten
und neue Möglichkeitsräume schaffen. Hierbei geht es uns
vor allem um die Zugänglichkeit und Nutzbarkeit für alle!
In dieser Ausgabe der Feministischen GeoRundmail
möchten wir euch die Geographien der Notdurft vorstellen.
Denn wir teilen die Auffassung von Leslie Kern. Sie schreibt:
or the lack of a bathroom generates all
kinds of questions about safety, accessibility, gender,
106). Diese Ausgabe soll einen Anstoß geben, Geographien
1
Wir verwenden im Text den Gender-Sternchen, um zur sprachlichen
Gleichstellung von Frauen* und Männern* beizutragen und der
geschlechtlichen Vielfalt gerecht zu werden.
der Notdurft aus feministischen und kritischen
Perspektiven zu diskutieren.
Wissenschaftliches Tabu: Über den Toilettengang
forscht mensch nicht – wir schon!
Sowohl das Sprechen über den Toilettengang als auch die
Handlung an sich sind im Allgemeinen nicht selten mit
Betretenheit und Peinlichkeit verbunden (vgl. Greed 2003).
Scham und Tabuisierung führen zu einer unterstellten bzw.
vermeintlichen Unwissenschaftlichkeit des Themas. Eine
wissenschaftliche Auseinandersetzung löst bei
Mitmenschen oftmals Belustigung oder Empörung aus. So
wurde Sabine beispielsweise von einer Bekannten eine
emeritierte Professorin davor gewarnt, das Thema in der
Abschlussarbeit zu behandeln. Aus ihrer Sicht erschwere
Sabine sich damit ihren beruflichen Werdegang. Ähnliches
beschreiben auch Olga Gershenson und Barbara Penner: Sie
veröffentlichten 2004 einen Call for Paper für ihren
der in der Wissenschaftsgemeinde kontrovers kommentiert
und sogar von den Mainstream-Medien aufgegriffen wurde.
Die verbalen Angriffe, mit denen sie konfrontiert worden
sind, deuten die Herausgeber*innen als Versuc
unspeakable or
(Gershenson &
objected to our project believe that the mere mention of the
toilet, with its invocation of body, gender, and sexuality,
Penner 2009: 3)
Dabei gehören die Miktion und Defäkation zu den
menschlichen Grundbedürfnissen. Eine
Auseinandersetzung scheint jedoch lediglich im Kontext des
Globalen Südens angemessen zu sein: In der internationalen
Entwicklungspolitik steht das Thema der weltweiten
sanitären Versorgung bereits seit Jahrzehnten auf der
Agenda. Dazu wurde im Jahr 2001 zum Beispiel die World
verdeutlichen, dass Geschlecht sowie Genitalien keine biologischen
Gegebenheiten sind, sondern durch soziale und kulturelle Prozesse
konstituiert wurden und werden.
Pissen* ist politisch: Feministische und kritisch-geographische Perspektiven auf Geographien der Notdurft
3
Toilet Organization gegründet (vgl. worldtoilet 2020). 2004
folgte die German Toilet Organization (vgl. germantoilet
2020). Zudem soll der Welttoilettentag/World Toilet Day am
19. November auf das Thema aufmerksam machen (vgl.
worldtoiletday 2020). Seit zehn Jahren erkennen die
Vereinten Nationen den Zugang zu Sanitärversorgung auch
als Menschenrecht an (vgl. UN 2010) und 2015 wurde der
Zugang zu sanitären Anlagen für alle in die Sustainable
Development Goals der Vereinten Nationen aufgenommen
(vgl. UN 2020).
Problematiken rund um eine adäquate und zugängliche
Sanitärversorgung sowie Hygiene sind jedoch nicht auf den
Kontext des Globalen Südens zu beschränken: Bei der
Betrachtung öffentlicher Räume besonders in Städten
wird deutlich, dass auch im Globalen Norden die Versorgung
mit Sanitäranlagen vielerorts unzureichend ist (vgl. Banks
2020). Fehlende Toilettenanlagen oder eingeschränkter
Zugang zu diesen sowie sogenanntes
medial immer wieder thematisiert (vgl. bspw. Heyse 2020,
Ottersbach 2018, Pinner 2020, Schubert 2016, Spohn 2019,
Sting 2020). Gleichwohl kann argumentiert werden, dass
öffentliche Toiletten wichtige Bestandteile einer inklusiven
und nachhaltigen Stadt sind. Denn sie können den
Aktionsradius von Menschen erhöhen und so die
Möglichkeiten zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben
verbessern (vgl. Greed 2016, Kitchin & Law 2001, Slater &
Jones 2018). Zudem können sie zur Gesundheitsvorsorge
und zur Prävention von Harnwegsinfekten beitragen (vgl.
Greed 1995). Des Weiteren kann die Bereitstellung von
zugänglichen sanitären Anlagen zu einer Abnahme der
Autonutzung in Städten führen, hin zu mehr Fußgängen und
dem Nutzen von öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem
Fahrrad, welche zentrale Aspekte einer nachhaltigen Stadt
sind (vgl. Greed 2003).
Unter Berücksichtigung aktueller gesellschaftlicher
Entwicklungen ist davon auszugehen, dass die Bedeutung
öffentlicher Toiletten zunehmen wird: Durch die anhaltende
- und
erlebnisorientierten Einkauf als Freizeitgestalt
2008: 43) und die verstärkte Touristifizierung haben sich
vor der COVID-19-Pandemie mehr Menschen längere Zeit
im Stadtgebiet aufgehalten. Durch die Pandemie hat sich das
Freizeitverhalten verändert und Aktivitäten werden in
öffentliche Räume verlagert, da viele andere Räume des
sozialen Zusammentreffens wie Cafés, Kinos, Bibliotheken,
Restaurants etc. der Bevölkerung nicht oder nur
eingeschränkt zur Verfügung stehen. Infolgedessen werden
alternative Sanitäranlagen benötigt (vgl. Stokowski 2020,
Wiemann 2020). Ferner wird der Anteil älterer Menschen
an der Gesamtbevölkerung im Zuge des demographischen
Wandels ansteigen (vgl. Destatis 2020). Da gerade in dieser
Personengruppe ein höheres Miktionsbedürfnis zu
beobachten ist als in anderen, kann die Bereitstellung
öffentlicher Toiletten auch als Beitrag zu einer
altersfreundlichen Stadt angesehen werden (vgl. Afacan &
Gurel 2015, Greed 1995).
Geographien der Notdurft…
Bereits 1991 deklarierte die Juristin Taunya Lovell Banks
Wir
denken, dass es an der Zeit ist, die Toilette ebenso als
geographisches Thema wahrzunehmen und zu adressieren.
Sie eignet sich, um gesellschaftliche und räumliche
Machtverhältnisse zu untersuchen, da Toiletten und die
damit im Zusammenhang stehenden Räume, Praktiken und
Diskurse Segregation, Exklusionen und Einschränkungen
(re-)produzieren (vgl. Meyer 2020, Plascow 2008, Stuber
2017). Für entsprechende Analysen stellt die Geographie als
Raumwissenschaft mit ihren Teildisziplinen insbesondere
der Feministischen Geographie, Kritischen Stadtgeographie
und Gesundheitsgeographie geeignete Ansätze und einen
umfassenden Methodenkoffer bereit.
Wir sind keinesfalls die Ersten, die sich dem Thema
wissenschaftlich nähern. Dennoch fällt auf, dass Toiletten in
der deutschsprachigen Geographie bisher eine Leerstelle
sind eine Ausnahme stellt Verena Schreibers Beitrag zu
Schultoiletten dar (vgl. Schreiber 2019). Daher greifen wir
für unsere nachfolgende Einführung in die Geographien der
Notdurft primär auf angelsächsische Literatur und Beiträge
aus nahestehenden Disziplinen zurück.
Feministisches Geo-RundMail Nr. 84, Dezember 2020
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…aus feministischer Perspektive
Westliche Gesellschaften sind durch die Vorstellung von
Zweigeschlechtlichkeit als natürliches und
unveränderliches Merkmal geprägt. Vielmehr ist Geschlecht
als soziale Kategorie mit normativer Macht zu verstehen
(vgl. Wastl-Walter 2010: 9). Dieser Ansatz wird von
verschiedenen Autor*innen aufgeriffen, um anhand von
öffentlichen Toiletten aufzuzeigen, dass Frauen* trotz
jahrhunderte langem Kampf für Gleichberechtigung noch
immer benachteiligt werden.
In diesem Zusammenhang stellen Olga Gershenson &
Barbara Penner heraus, dass öffentliche Toiletten eine der
wenigen Orte sind, die innerhalb westlicher Kulturen
weiterhin geschlechtergetrennt strukturiert sind. Diese
binäre Einteilung wird von der Mehrheitsgesellschaft
vorausgesetzt und erwartet, allerdings ist das Angebot für
Männer* und Frauen* nicht gleichwertig (vgl. Gershenson &
Penner 2009): Mit der geschlechtergetrennten
Strukturierung gehen sowohl kulturell kodierte
Verhaltensregeln als auch Gestaltungsprinzipien für die
Anlagen einher (vgl. Kira 1987, Möllring 2003: 5). So ist
etwa die Haltung beim Urinieren historisch und kulturell
geprägt. Im Alltagsverständnis wird sie jedoch bis heute
naturalisiert und allein mit der Physis begründet. Dieser
Annahme folgend ist die genitale Ausstattung mit einem
bestimmten Geschlecht (Mann* beziehungsweise Frau*)
und somit mit einer bestimmten Miktionshaltung verknüpft.
Konkret bedeutet dies, Männer* haben einen Penis* und
können im Stehen urinieren, wohingegen Frauen* aufgrund
ihrer Vulva* im Sitzen urinieren müssen (vgl. Cavanagh
2010: 129, Möllring 2003: 114). Dieser Vorstellung folgend
werden für Männer* sowohl Sitztoiletten als auch Pissoirs
vorgesehen, während Sanitäranlagen für Frauen* lediglich
mit Sitztoiletten ausgestattet werden. Da Sitztoiletten in der
Regel in Verbindung mit einer Kabine geplant werden,
benötigen sie mehr Fläche als Pissoirs. Diesem Umstand
wird häufig damit begegnet, dass die Anlagen für Frauen*
mit weniger Toiletten ausgestattet werden als die für
Männer* (vgl. für Großbritannien Greed 1995; für die
historische Entwicklung in London Penner 2005; für die
USA Anthony & Dufresne 2007, Banks 1991, Ferguson 2016;
für die Entwicklung in Berlin Knierbein 2010).
Diese Missstände können darauf zurückgeführt werden,
dass viele Branchen, die mit öffentlichen Toiletten im
Zusammenhang stehen Sanitärtechnik, Medizin,
Architektur, Produktdesign und Stadtplanung von
Männern* dominiert werden, wodurch die Bedürfnisse und
Bedarfe von Kindern, älteren Menschen, be_hinderten
Menschen, menstruierenden und schwangeren Personen,
harnwegserkrankten Menschen sowie Menschen mit
Darmerkrankungen bei der Gestaltung des Angebotes
oftmals nicht berücksichtigt werden (vgl. Greed 1995, Kafer
2013, Meyer 2020, Möllring 2003, Slater & Jones 2018,
Stuber 2017). Kathryn Anthony und Meghan Dufresne
sehen darin eine männliche Normierung und Privilegierung,
49) bezeichnen.
restrooms have long discriminated against certain segments
49). Potty privileging wird hier als Symptom von
hegemonialen und patriarchalen Ideologien verstanden, die
dazu führen, dass marginalisierte beziehungsweise nicht-
hegemoniale Gruppen ausgeschlossen werden und dadurch
ihre gesellschaftliche Teilhabe eingeschränkt wird. Ähnlich
argumentieren auch Simone Chess, Alison Kafer, Jessi
Quizar und Mattie Udora Richardson. Im Unterschied zu
Kathryn Anthony und Meghan Dufresne verwenden sie in
diesem Zusa -
et al. 2006: 2016).
…aus queer-feministischer Perspektive
Deutlich wird der Ausschluss von marginalisierte
beziehungsweise nicht-hegemoniale Gruppen auch in
Arbeiten aus queer-feministischer Perspektive. In ihrer
auto-
Erfahrungen als Trans*Frau. Hierbei setzt sie sich unter
anderem mit Toilettenräumen auseinander und
verdeutlicht durch ihre Schilderungen, welche Probleme
Trans*Menschen bei der Nutzung von (öffentlichen)
Toiletten aufgrund der in der Gesellschaft dominierenden
Pissen* ist politisch: Feministische und kritisch-geographische Perspektiven auf Geographien der Notdurft
5
Vorstellung von Zweigeschlechtlichkeit haben (vgl. Doan
Attacken, Belästigungen oder gar körperlicher Gewalt
führen (vgl. Browne 2004, Doan 2010, Kafer 2013). Kath
Browne subsumiert Erlebnisse und Erfahrungen wie die von
Doan (vgl. 2020) unter dem Begriff genderism (Browne
2004). Darunter versteht sie:
reactions to, (Browne 2004:
331). Diese Problematik behandelt auch Cavanagh in ihrer
umfassenden Monographie, die anhand von einhundert
Interviews mit LGBT-Personen deren Alltagserfahrungen in
Bezug auf Toiletten darstellt. Sie spricht sich dafür aus, dass
die Geschlechter- und Sexualpolitiken, die Toiletten-Räume
strukturieren, gesellschaftlich thematisiert werden müssen,
da diese Regeln heterosexistisch sind (vgl. Cavanagh: 2010).
Denn wie Bettina Möllring in ihrer Arbeit zeigt, ist die Art
und Weise des Urinierens nicht biologisch begründbar,
sondern vor allem historisch und kulturell geprägt (vgl.
Möllring 2003).
…und Dis_ability
Dass das Angebot an öffentlichen Toiletten nicht für alle
Bevölkerungsgruppen gleichwertig ist, zeigt sich nicht nur
an der Analysekategorie Geschlecht, sondern ebenso an dem
Aspekt der Be_hinderung. Wie Clara Greed für
Großbritannien gezeigt hat, werden Menschen mit
Be_hinderung durch fehlende oder nicht barrierefrei
gestaltete öffentliche Toiletten in ihrer Mobilität
eingeschränkt oder komplett aus Räumen ausgeschlossen
(vgl. Greed 1995). Zu ähnlichen Er-gebnissen kommen Rob
Kitchin & Robin Law. In ihrer Arbeit haben sie die
Zugänglichkeit von öffentlichen Toiletten in Irland
untersucht. [a]ccessible public toilets
are few and far between; those that do exist are often poorly
designed; and, this lack of provision severely delimits the
2001: 287).
Jen Slater und Charlotte Jones machen darauf aufmerksam,
dass selbst bei Einhaltung gesetzlicher
Mindestanforderungen die Bedürfnisse vieler Menschen
unberücksichtigt bleiben (Slater & Jones 2018). Zum
Beispiel wurde in Deutschland mit der Einführung der DIN-
Norm 18040 für barrierefreies Bauen vermehrt die
Bereitstellung und Implementierung
beziehungsweise barriereärmerer Toiletten in (halb-
)öffentlichen Gebäuden vereinfacht (siehe beispielsweise
Toilettenkonzept der Stadt Köln (Abfallwirtschaftsbetriebe
Köln GmbH & Stadt Köln 2013)). Die definierten Kriterien
orientieren sich allerdings primär an den Bedürfnissen von
Menschen mit Rollstuhl sowie Seh- oder Hörbe_hinderung.
-Norm für barrierefreie
Toiletten, die es auch Menschen mit schweren und
mehrfachen Be_hinderungen ermöglicht, am öffentlichen
Le
beschränkt sich ein barrierefreier Zugang nicht auf einen
ebenerdigen Zugang oder Rampen. Aus ihrer Sicht gehören
höhenverstellbare Pflegeliegen für Erwachsene ebenso zu
einer barrierefreien Toilette wie Entsorgungsmöglichkeiten
medizinischer Produkte (zum Beispiel Katheter, Urinbeutel,
Stomabeutel, Spritzen). Ihre Forderungen kennzeichnen
einen Perspektivwechsel von körperlicher Unfähigkeit hin
zur Unzugänglichkeit des Raums (Chess et al. 2006). Dieser
Annahme folgend ist die entscheidende Determinante für
die (Un-)Möglichkeit sowie für die Art und Weise der
Nutzung nicht der Körper, sondern das Design.
…und die neoliberale Stadt
Auch a
ndlung gesellschaftlicher
Machtverhältnisse. Die Privatisierung und Ökonomisierung
von öffentlichen Toiletten in deutschen Innenstädten steht
im direkten Zusammenhang mit der Diskussion um die
zunehmende Neoliberalisierung von Städten (vgl. Heeg
2012, Heeg & Rosol 2007). Während die Übernahme von
öffentlichen Toiletten durch privatwirtschaftliche
Unternehmen (ab den 1990ern) die Bereitstellung sowie
Instandhaltung zwar oftmals garantiert (übrigens meist im
Tausch gegen riesige Außenwerbeflächen!), wird die
Notdurft jedoch gleichzeitig als Produkt gehandelt, das
mensch sich gegen eine Gebühr leisten können muss (vgl.
Knierbein 2010: 152). Es geht also nicht mehr um das
Feministisches Geo-RundMail Nr. 84, Dezember 2020
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Allgemeinwohl der Menschen, sondern um wirtschaftlichen
Profit. Dieser schließt jedoch gesellschaftliche Gruppen wie
zum Beispiel wohnungslose Menschen, die nicht in das Bild
einer unternehmerischen Stadt passen und gleichzeitig
stärker auf öffentliche Räume angewiesen sind, schnell aus
(vgl. ebd.).
…als Ausdruck gesellschaftlicher Naturverhältnisse
Bislang haben wir uns mehr mit der Zugänglichkeit und
Beschaffenheit von Toiletten und weniger mit den
Ausscheidungen selbst beschäftigt. Und auch wenn wir nicht
(wie 2011) unbedingt behaupten, dass der
unterschiedliche Umgang mit unserer Scheiße die
politischen Grundzüge von Gesellschaften aufzeigt, so
wollen wir doch auf die gesellschaftlichen Naturverhältnisse
aufmerksam machen, die im Umgang mit unseren
Ausscheidungen sichtbar werden. Obwohl auch in der
deutschsprachigen Geographie zunehmend
diskutiert
wird, geht es dabei meist um die Zufuhr von Stoffen in Form
von Ernährung (Hirth 2018: 274, vgl. Strüver 2020). Unsere
Ausscheidungen werden stillschweigend weggespült. Das
Kompostklo beispielsweise
nährstoffreichen Dünger verwandelt, zeigt jedoch ganz
sinnbildlich ein metabolistisches Mensch-Natur-
Verständnis und stellt dabei nicht nur philosophische
Gedanken in den Mittelpunkt, sondern leitet konkrete
Forderungen einer sozial-ökologischen Transformation ab.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Potential
von öffentlichen Toiletten als Baustein für eine nachhaltige,
inklusive und alters- sowie kinderfreundliche Stadt derzeit
nicht ausgeschöpft wird und es an empirischen Studien aus
dem deutschsprachigen Raum mangelt. Daher möchten wir
mit dieser Ausgabe die Geographien der Notdurft in den
wissenschaftlichen Diskurs einbringen und zur
Enttabuisierung des Themas innerhalb der
deutschsprachigen Geographie beitragen. Wir freuen uns
über die zahlreichen Einsendungen und wünschen euch viel
Freude beim Lesen. Die wissenschaftlichen, aktivistischen
und kreativen Beiträge sollen Impulse setzen, Denkanstöße
geben und dazu ermutigen, das Thema in der eigenen Arbeit
aufzugreifen.
Euer klo:lektiv
Kontakt: klolektiv@posteo.de
Wir danken Maria Arndt für die Illustrationen dieser
Ausgabe!
Zur Person: Maria Arndt ist Grafik- und
Kommunikationsdesignerin, Fotografin, Skaterin und seit
2014 in der Frauenförderung im Longboardsport aktiv. Sie
lebt in Bielefeld.
instagram.com/mari_aprilfool
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https://taz.de/Oeffentliche-Klos-und-Corona/!5728868/
(abgerufen am 04.12.2020)
Winkel, R., 2008: Öffentliche Infrastrukturversorgung im
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(abgerufen am 22.11.2020)
worlstoilet, 2020: Our Story. URL:
https://www.worldtoilet.org/who-we-are/our-story/
(abgerufen am 22.11.2020)
. URL:
https://youtu.be/rzXPyCY7jbs (abgerufen am 07.12.2020)
Pissen* ist politisch: Feministische und kritisch-geographische Perspektiven auf Geographien der Notdurft
9
Meine Toilette befindet sich im Spannungsfeld zwischen kommunalen und
privatwirtschaftlichen Interessen. Im Vergleich zur Anzahl an Arbeiten, die sich
aus einer Nutzer*innen-Perspektive mit öffentlichen Toiletten auseinandersetzen,
existieren sehr wenige Beiträge, die untersuchen, auf welche Art und Weise
öffentliche Toiletten in Kommunen bereitgestellt und bewirtschaftet werden. Aus
diesem Grund habe ich in meiner Masterarbeit anhand von Interviews,
Ortsbegehungen und einer Dokumentenanalyse explorativ untersucht, welchen
Herausforderungen Kommunen dabei begegnen und welche (neuen)
Lösungsansätze sie verfolgen. Die Ergebnisse der zwei Fallbeispiele Münster und
Köln zeigen, dass die Bereitstellung und die Bewirtschaftung öffentlicher Toiletten
viele Jahre durch private Unternehmen der Außenwerbebranche ausgeführt
worden sind zum Teil auch noch werden und die Kommunen in diesem Modell
nur über geringe Gestaltungs- und Steuerungsmöglichkeiten verfügen. Dadurch
wird die Qualität des Angebotes an öffentlichen Toiletten stark gemindert. Nach
neuen EU-rechtlichen Bestimmungen ist die bisherige Kopplung von
Außenwerbung und öffentlichen Toiletten nicht mehr möglich. Offen ist jedoch, ob
die Bereitstellung und die Bewirtschaftung öffentlicher Toiletten in Zukunft
verstärkt von kommunalen Eigenbetrieben durchgeführt oder die
Zusammenarbeit mit den Unternehmen aus der Außenwerbebranche
neugestaltet wird. Neben vielen wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit
dem Wohnungsmarkt und der Wasserinfrastruktur, wird auch am Beispiel
öffentlicher Toiletten deutlich, dass neoliberale Stadtentwicklungsprozesse nicht
zum Wohl der Stadtbevölkerung führen, daher sollten Kommunen deren
Bereitstellung und die Bewirtschaftung in die eigene Hand nehmen.
Das klo:lektiv stellt sich vor
Das klo:lektiv ist ein Zusammenschluss von Menschen, die sich zur Aufgabe gemacht haben, das Thema Toiletten stärker in öffentliche
und wissenschaftliche Debatten einzubringen. Immer wieder zeigt sich die Toilette als Brennglas gesellschaftlicher Machtverhältnisse
und Ungerechtigkeiten in (halb-)öffentlichen Räumen. Das klo:lektiv möchte persönliche Erfahrungen strukturell verorten und neue
Möglichkeitsräume schaffen. Hierbei werden vor allem die Zugänglichkeit und die Nutzbarkeit für alle thematisiert.
Christina Peklo
Sabine Bongers-Römer
Meine Toilette steht auf öffentlichen Plätzen in Köln und ist schwer zugänglich
für ältere Menschen. Mit einer alternden Bevölkerung nehmen körperliche
Beeinträchtigungen wie eingeschränkte Gehfähigkeit, Inkontinenz,
Sehschwäche oder Demenz zu. Eine gute Zugänglichkeit zu öffentlichen Toiletten
ist aus medizinischer Sicht besonders wichtig sowohl für die räumliche Mobilität
als auch für die Prävention von Magen-Darm-Krankheiten und urologischen
Problemen wie Harnwegsinfekten ebendieser Bevölkerungsgruppe. Wie
zugänglich ein Ort ist, wird nach Penchansky & Thomas (1981) erweitert von
Butsch (2011) neben physischer Erreichbarkeit über Verfügbarkeit im
Verhältnis zur Nachfrage, Erschwinglichkeit, Entgegenkommen (z.B.
Öffnungszeiten oder Warteschlangen), Akzeptanz (beeinflusst von z.B.
kulturellen Faktoren oder individueller Risikobewertung) und Informiertheit
definiert. Diese Dimensionen können aus gesundheitsgeographischer
Perspektive ebenso auf den Zugang zu öffentlichen Toiletten angewendet
werden. Vor diesem Hintergrund befragte ich im Rahmen meiner Masterarbeit
258 Menschen über 65 Jahren in Köln, weshalb sie eine öffentliche Toilette trotz
Bedarf meiden würden (Mehrfachantworten waren möglich). 60 Prozent gaben
eine mangelnde Hygiene/Instandhaltung als Grund an. 9 Prozent (fast
ausschließlich Frauen) gaben als Grund die Angst vor bedrohlichen Situationen
an dicht gefolgt von Nutzungsgebühren, der mangelnden Barrierefreiheit und
der Nichtinformiertheit, wo es die nächste öffentliche Toilette gebe.
Penchansky, R. & J. W. Thomas, 1981: The concept of access. D efinition and relationship to consumer satisfaction. Med Care 19 (2),
127-140.
Butsch, C.,2011: Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen. Barrieren und Anreize in Pune. Stuttgart: Franz-Steiner Verlag.
© Maria Arndt
© Maria Arndt
Feministisches Geo-RundMail Nr. 84, Dezember 2020
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Meine Toilette verstehe ich als Ausdruck gesellschaftlicher (Natur-
)Verhältnisse. In meinem Dissertationsprojekt setze ich mich aus der
Perspektive der Politischen Ökologie mit dem Kohleabbau und -ausstieg
in Deutschland auseinander. Entsprechend interessiere ich mich vor
allem für die gesellschaftliche Aneignung und Transformation der
Umwelt, die sich in heterogenen Diskursen und Praktiken der Anti-
Kohle-Proteste, Energiekonzerne und politischen Beschlüssen
ausdrücken. Das Klo als gesellschaftliches Produkt spielt dabei zwar nur
eine Nebenrolle, kann aber als Brennglas gesellschaftlicher (Natur-
)Verhältnisse gesehen werden: In welchem Verhältnis stehen
Kompostklos auf den Klimacamps im Rheinland mit der Ablehnung von
Kohle als Energieressource? Inwiefern zeigt sich in der Kloinfrastruktur
- Aktionen die Utopie eines postkapitalistischen
Zeitalters? Mit meinem Interesse an machtvollen Mikropraktiken, die
stillschweigend unsere Alltagsroutinen bestimmen, geraten Toiletten
also immer wieder beispielhaft ins Blickfeld, um die ganz großen Fragen
zu beantworten.
Meine Toilette ist mit dem bloßen Auge schwer zu erkennen, ist
sie doch weniger eine feste Apparatur aus Keramik, Holz oder
Edelstahl als ein Gefüge aus Elementen verschiedenster Art, die
erst in ihrer relationalen Verbundenheit sozial wirkmächtig
werden. Was zunächst nach einer abstrakten
Konzeptualisierung (eines gerade durch seinen
lebensweltlichen Bezug so faszinierenden Phänomens) klingen
mag, erweist sich als theoretisch und methodisch
wirkungsvolles Instrumentarium, um an eine bislang
vornehmlich im Kontext des Globalen Südens geführte Debatte
um gesellschaftliche Teilhabe und städtische In-frastrukturen
anzuknüpfen.
Mit der Anerkennung der prozessualen Konstitution dieser in-
frastrukturellen Gefüge oder assemblages geraten die
individuellen sanitären Erfahrungen und Handlungsspielräume
von Stadtbewohner*innen in den Fokus. Wie meine Forschung
zu öffentlichen Toiletten in Frankfurt am Main gezeigt hat,
ergeben sich diese in dem punktuellen Aufeinandertreffen von
materiellen Artefakten, sozialen Beziehungen und subjektiven
Bedeutungszuschreibungen. Ausführliche Gespräche mit
Reinigungskräften und weitere Begehungen ethnographischer
Art lenken den Blick auf mikropolitische Aushandlungsprozesse
und zeigen, dass Maßnahmen der öffentlichkeitskonformen
Standardisierung räumlicher Praxis in alltäglichen Momenten
infrastruktureller Aneignung ausgehebelt werden:
Insbesondere im Kontext marginalisierter Lebensrealitäten
erweisen sich WC-Anlagen als teilweise existentielle Orte der
körperlichen und psychosozialen Pflege, der Kommunikation
und der Besinnung und kompensieren damit
wohlfahrtsstaatliches Versagen im Kontext städtischer
Entwicklungen.
Rosa Aue
© Maria Arndt
© Maria Arndt
Pissen* ist politisch: Feministische und kritisch-geographische Perspektiven auf Geographien der Notdurft
11
Meine Toilette steht im Zusammenhang mit biopolitischen Strukturen des
öffentlichen Raumes genauer, der (infra-)strukturellen Gestaltung
öffentlicher Toiletten, die nicht an die realen Diversitäten der
Stadtbevölkerung angepasst ist. Die Toilette ist damit mangelhaft und
undemokratisch im öffentlichen Raum vorhanden. An der öffentlichen
Toilette zeigen sich diskriminierende Strukturen entlang von
hegemonialen Logiken. Damit macht das Klo nicht nur gesellschaftliche
Ordnungen sichtbar, die einzig normative Subjektpositionen anerkennen
und einbeziehen, sondern die ganz explizit nicht-hegemoniale und
marginalisierte Gruppen aus dem öffentlichen Raum ausschließen, und
damit deren Zugehörigkeit, Teilhabe und das Recht auf Stadt beschränken.
Mangelnde barrierefreie Toiletten, eine zu kleine Anzahl an Sitztoiletten
und Urinale, die allein Menschen mit Penis dienen, sind Beispiele hierfür.
Die Nutzer*innen meiner Toilette entwickeln daher ständig Praktiken und
Tools, um die infrastrukturelle Mangelhaftigkeit zu reparieren. Hier
werden beispielsweise semi-öffentliche und private Toiletten aber auch
Wild-Pinkel-Spots in die mentale Übersichtskarte von Toiletten in der Stadt
aufgenommen und informell untereinander geteilt, Urinellas benutzt und
Urinale mit Aufsätzen versehen, die auch Menschen mit Vulva die
Möglichkeit geben, dort zu urinieren. Damit wird sich ganz praktisch das
Recht auf Stadt und eine Citizen-Position angeeignet.
Katharina Ciax
Meine Toilette steht für die Gespräche, welche ich im Rahmen
meiner Qualifikationsarbeit mit Alltagsexpert*innen in Köln geführt
habe. Mit Freund*innen (friendship as method) habe ich mich an
ausgewählten Standorten (ethnographische Beobachtung, Go Along)
zu einem Kaltgetränk getroffen. Wir haben zusammen getrunken,
gepinkelt und uns über emotionale Erfahrungen sowie
Alltagspraktiken rund um Ausscheidungsbedürfnisse im
öffentlichen Raum ausgetauscht (interactive interviewing).
Mein Interesse galt der Frage, wie die binäre Geschlechterordnung
die Planung, das Design, die Implementierung, das
geschlechtsspezifische Nutzungsverhalten und die Verrichtung des
Miktionsbedürfnisses im öffentlichen Raum beeinflusst. Im Fokus
stand hierbei die Wechselwirkung von binärer Geschlechter- und
Toilettenordnung, welche ich entlang dreier Themen
herausarbeitete:
Potty Parity: Das Kölner Toilettenangebot ist androzentrisch.
Bedarfe von menstruierenden, schwangeren, be_hinderten,
erkrankten und älteren Menschen werden unzureichend beachtet,
stattdessen werden vor allem kostenlose Uriniermöglichkeiten für
den sonst überall hinpinkelnden Cis-Mann geschaffen.
Wildpinkeln ist performativ: Es sind nicht vermeintliche
Biologismen, die beeinflussen, wer, wie, wann sichtbar im
öffentlichen Raum wildpinkelt, sondern geschlechtsspezifische
soziale Normen, wodurch FLINTQ*-Personen eher dazu neigen sich
zu verstecken.
Miktion als subversive und queere Raumaneignungspraxis:
Auch abled_bodied Menschen mit Vulva* können im Stehen pinkeln
und Urinale nutzen. Der Penis* ist nicht etwa qua Anatomie das
praktischere Pinkelgenital. Ein komplexes Geflecht historischer,
sozialräumlicher und kultureller Faktoren hat Einfluss auf Design,
Kleidung und Haltung, also darauf, wie wir pinkeln.
Martine Kayser
© Maria Arndt
© Maria Arndt
Feministisches Geo-RundMail Nr. 84, Dezember 2020
12
Inhalt
1 Geschlechter, Klopapier & Scheiße __________________________________________________________________________________ 13
Toiletten, Hygienepraktiken und der „Western Gaze“ – Über den Zusammenhang von Postkolonialismus
und Klopapier (Franziska Lengerer) __________________________________________________________________________________ 14
Toiletten: Die Materialisierung eines Wechselgefüges von Raum und Geschlecht (Eva Brauer) _____________ 21
Fieldwork and toilets: Pooping with a view – why following nature’s call in nature is not always easy-
“peezy” (Floreana Miesen) ______________________________________________________________________________________________ 29
Women Don’t Poop! (Carl-Friedrich Richter) _________________________________________________________________________ 34
2 Klotopien ________________________________________________________________________________________________________________ 39
Wie Queercrip-Allianzen um das Klo den feministischen geographischen Blick erweitern (Mélina Germes)
____________________________________________________________________________________________________________________________ 40
Genormte Scheiße? – Warum wir den Wert unserer Fäkalien durch eine DIN-Norm sichtbar machen wollen
(Lisa Häfner & Ariane Krause) __________________________________________________________________________________________ 46
Do It Yourself! Reale Klotopien aus aller Welt (Michel Riechmann) ______________________________________________ 52
Der Gipfel der Klugscheißerei oder ein Pressebericht im Stile Thomas Manns (Michel Riechmann) ________ 54
Das #poopie: Über den gestalterischen Umgang mit Schamhaftigkeit auf öffentlichen Toiletten (Carl-
Friedrich Richter) ________________________________________________________________________________________________________ 55
3 Protest! Aufklärung! Austausch! _____________________________________________________________________________________ 56
Pissen wird behindert! (Ines Eisolt) __________________________________________________________________________________ 57
Peeing in Public: Ein 10-stimmiger Vortrag über das Pinkeln im öffentlichen Raum (Thomas Geiger) ______ 58
Can we still go outside, sir? (Ashley Vandekerckhove) ______________________________________________________________ 62
Betreff: Offener Brief an Pisser*innen (Pina, Maja & Jenny)________________________________________________________ 64
Toilette für alle (Remo Keller) _________________________________________________________________________________________ 66
4 Noch nicht genug?! _____________________________________________________________________________________________________ 67
Unsere Top 11 Klo-Literatur __________________________________________________________________________________________ 67
Forschungsarbeiten zum Themenschwerpunkt ____________________________________________________________________ 67
Links zum Themenschwerpunkt _____________________________________________________________________________________ 67
Sonstiges zum Themenschwerpunkt ________________________________________________________________________________ 68
5 Nächste Feministische GeoRundMail: Ausblick und Aufruf ______________________________________________________ 69
6 Impressum ______________________________________________________________________________________________________________ 70
Pissen* ist politisch: Feministische und kritisch-geographische Perspektiven auf Geographien der Notdurft
13
1 Geschlechter, Klopapier & Scheiße
© Maria Arndt
Feministisches Geo-RundMail Nr. 84, Dezember 2020
14
Toiletten, Hygienepraktiken und der „Western
Gaze“ – Über den Zusammenhang von
Postkolonialismus und Klopapier
Franziska Lengerer (Thünen Institut, Braunschweig)
Zum Thema dieses Beitrags bin ich durch drei zunächst
voneinander unabhängige Erfahrungen gekommen: die
regelmäßige Benutzung von Wasserduschen auf
aserbaidschanischen Toiletten, die für mich spannende
Perspektive eines iranischen Freundes auf Klopapier und das
„Klopapierhamstern“ zu Beginn der Covid-19-Pandemie.
Außerdem erscheint es mir wichtig, etablierte Routinen und
Tabus sichtbar zu machen und daraus resultierende
Bewertungen fremder Praktiken zu hinterfragen.
Vorbemerkung
Beim Schreiben dieses Textes wurde mir unangenehm
bewusst, wie schwer es mir fällt, den verallgemeinerten
sprachlich zu präzisieren und die unter
diesem Deckmantel versteckten Praktiken zu benennen.
umgangssprachlich klingen. In vielen Texten zeigt sich, dass
lediglich als dessen Negation zusammengefasst und nicht
näher beschrieben werden: „Unless you’re just having a pee“
beginnt beispielsweise ein Satz im Handbook for Female
Travellers, ohne die damit gemeinten Praktiken genauer zu
beschreiben (Moss and Moss 1987: 117; zitiert in Moore
2009: 119). Allein die Erkenntnis, nur unzureichend über
diese alltäglichen Praktiken sprechen zu können, ist Anreiz
genug, damit zusammenhängende Tabuisierungen zu
diskutieren. Die Tatsache, dass das Ausscheiden von Blut
und die damit einhergehenden etablierten Rituale auf
Toiletten noch seltener als andere öffentlich diskutiert
werden, wirft zusätzliche Fragen nach
geschlechtsspezifischen Tabus auf.
1
Der eigentliche Anstoß
für diesen Text jedoch ist die Beobachtung der regionalen
Standardisierung von Toiletteninfrastrukturen und -
praktiken und die damit zusammenhängende stille
1
Dieses Thema diskutiert Franka Frei ausführlicher in ihrem Debut Periode
ist politisch, das im März 2020 erschien.
Normativität, die vor allem Migrant*innen, Geflüchteten und
Reisenden bewusst wird. Ich nutze hier den Begriff stille
Normativität, um auszudrücken, dass die geltenden Normen
kaum öffentlich diskutiert und eingefordert werden.
Stattdessen werden sie in der baulichen Struktur von
Toiletten sichtbar, worin sich in vielen westlichen Ländern
Klopapierhalter anstelle von Wasserschläuchen oder -
behältern befinden, wie in vielen anderen Teilen der Welt.
Der „Western Gaze“: Tourismus und Hygienepraktiken
auf der Toilette
Reisende verlassen ihre Kontexte, in welchen sie die
geltenden Standards und Normen kennen und ihr Handeln
an diesen ausrichten können. Viele Erzählungen über das
Reisen blenden konfliktreiche Konfrontationen mit dem
Fremden und Probleme im Umgang mit vorgefundenen
Unterschieden aus. Besonders in der Tourismusbranche
werden Erfolgsgeschichten von westlichen Reisenden
erzählt, die sich aufmachen, um sich andere Kontexte durch
Geschick und Weltoffenheit anzueignen, wie Leone (2012)
herausstellt. Er kritisiert diesen Fokus als eine
Weiterführung von kolonialen Denkweisen und stellt am
Beispiel von Praktiken des Aufs-Klo-Gehens heraus, wie
Reisende in der Konfrontation mit ungewohnten Praktiken
vor allem auch die Grenzen ihrer Toleranz erleben und sich
der Prägung durch ihr gewohntes Umfeld bewusst werden
(Leone 2012). Ein Blick auf Hygienepraktiken auf der
Toilette, wie unterschiedliche Formen des Waschens oder
Wischens, ist in diesem Zusammenhang interessant, da die
etablierten Standards in vielen westlichen Ländern kaum
hinterfragt werden. Wirft man, wie Alison Moore (2009:
115120), einen Blick in Reiseführer und -blogs, finden sich
besonders in jenen für sozioökonomisch schlechter
gestellte Länder Hinweise zur Beschaffenheit von
Toiletten und zur (Nicht-)Verfügbarkeit von Klopapier vor
Ort. Anstatt Reisenden Erklärungen zu lokalen
Toilettenpraktiken anzubieten, um Anpassung und die
Reflexion der eigenen Gewohnheit zu ermöglichen, wird
erklärt, man sollte sicherheitshalber jederzeit Klopapier bei
Pissen* ist politisch: Feministische und kritisch-geographische Perspektiven auf Geographien der Notdurft
15
sich haben: „Toilet paper is seldom available in public toilets
so keep a stash of your own with you at all times“ (Storey
2001: 66; zitiert in Moore 2009: 115). Die Tatsache, dass
Abflussleitungen nicht überall für langsam zersetzendes
Papier konzipiert sind, wird dabei häufig vernachlässigt.
Mögliche Vorteile lokal etablierter Säuberungspraktiken
werden den Reisenden erst gar nicht zugemutet. In
Blogbeiträgen und Kommentaren in Online-Foren finden
sich darüber hinaus abwertende Äußerungen zur
Benutzung der linken Hand beim Waschen mit Wasser, zu
heruntergekommenen und veralteten Toiletten,
unangenehmen Gerüchen oder Abwassersystemen (vgl.
Moore 2009: 119).
Das Thema Menstruation auf Reisen wird selten in größeren
Foren angesprochen, findet sich aber zum Beispiel in von
menstruierenden Personen verfassten Reiseblogs oder
spezifischen Threads mit Titeln wie Women's stuff (Lonely
Planet Thorn Tree 2007b). Eine Unterhaltung unter dem
Überbegriff Advice for women travellers aus dem Jahr 2007
spiegelt Unwissenheit und Unsicherheit bezüglich Praktiken
der Intimhygiene während der Periode in anderen Ländern
wider:
“I'm after advice on how women deal with
periods in Peru, I've heard that getting hold of
tampons is fine in major cities but not in more
remote areas
−
how readily available are they?
Does anybody favour the mooncup option? I'm
travelling for a year, so I can't just carry around
my own! Also, is getting rid of tampons tricky?”
(Lonely Planet Thorn Tree 2007a, sar202)
Eine sarkastische Antwort enthüllt implizite Annahmen der
Fragenden:
“This may surprise you, but Peruvian woman
[sic!] are actually the same species as women
from Europe, the USA, or wherever it is that you
come from. So, strange as it may seem, their
basic biological functions are quite similar to
your own. This means that amazingly enough
2
Auch innerhalb Europas gibt es Unterschiede in Bezug auf
Toilettenformen, Abflusssysteme und die Beschaffenheit von Klopapier,
sodass genau genommen nicht von einheitlichen Standards gesprochen
werden kann. In der Schweiz oder in Frankreich sind z.B. auch
Hocktoiletten zu finden; Abfalleimer für benutztes Klopapier in
products to deal with that are available for
purchase.” (Lonely Planet Thorn Tree 2007a,
janemarie23)
Wie europäische Standards
2
dennoch immer wieder als
Maßstab herangezogen werden, zeigt sich auch in einem
Blogbeitrag einer Österreicherin auf planetbackpack.de. Sie
schreibt über Tipps im Umgang mit der Periode in
südamerikanischen Ländern und stellt eine direkte
Verbindung zwischen der Benutzung von Tampons und der
„So modern die Frauen auch äußerlich
erscheinen mögen, Tampons verwendet kaum
eine. Wenn du einheimische Frauen um Hilfe
bittest, frag sie um Binden. Sollten noch andere
ausländische, westliche Frauen im Bus sitzen,
hast du bei denen sicher mehr Chancen einen
Tampon zu bekommen“ (Lattner 2014).
Obwohl nicht in allen Fällen klar ist, in welchem Land die
schreibende Person sozialisiert wurde, zeigt sich in allen
der westlich geprägte Blick auf Hygienepraktiken auf der
Toilette. Damit einher gehen Abwertungen und
Diskriminierungen
wird. Aus postkolonialer Perspektive sind diese Formen des
en
damit als Reproduktionen kolonialistischer Denkweisen zu
verstehen (Santos Pinto & Purtschert 2018). Basierend auf
diesen Beobachtungen stellt sich die Frage, wie sich diese
unterschiedlichen Praktiken und Infrastrukturen
entwickelten und wie die damit zusammenhängenden
Zuschreibungen rund um Fortschrittlichkeit und
Modernität aus europäischer Sicht entstanden. Ein weiter
gefasster Blick auf den Begriff Hygiene und historische
Entwicklungen kann dabei helfen, die heutigen Strukturen
zu kontextualisieren und hinterfragen.
Kombination mit engen Abflussleitungen in Ländern wie Italien und
Griechenland. Für einen historischen Blick auf die Vielfalt von
Toilettenkonstruktionen in Europa bis ins 21. Jahrhundert siehe Möllring
(2003).
Feministisches Geo-RundMail Nr. 84, Dezember 2020
16
Exkremente, Körperhygiene und der Prozess der
Zivilisation in Europa
Während individuelle Körperhygiene vor allem im Privaten
stattfindet, deuten Definitionen von Hygiene darauf hin,
dass dieser weitreichendere Bedeutungen zugeschrieben
werden. Der Duden definiert Hygiene auf dreierlei Ebenen:
1) Als einen „Bereich der Medizin, der sich mit der
Erhaltung und Förderung der Gesundheit und ihren
natürlichen und sozialen Vorbedingungen befasst;
Gesundheitslehre“,
2) als „Sauberkeit, Reinlichkeit [und] Maßnahmen zur
Sauberhaltung“,
3) und als „Gesamtheit der Maßnahmen in den
verschiedensten Bereichen zur Erhaltung und
Hebung des Gesundheitsstandes und zur Verhütung
und Bekämpfung von Krankheiten“ (Duden 2020).
Vor allem im dritten Absatz spiegeln sich die Grundannahme
eines Zusammenhangs von Hygienepraktiken im Kleinen
und der Hebung des überindividuellen Gesundheitsstandes
in größeren räumlichen Zusammenhängen ebenso wie ein
Fortschrittsgedanke wider. Dass Hygiene nicht nur
Privatsache ist, fällt auch bei der google-Suche nach Texten
Ratgeberartikel ergibt, die den Lesenden erklären, was
wichtig und richtig ist nicht nur um die eigene Gesundheit,
sondern auch soziale Akzeptanz zu sichern (z.B. Fuhrer
2015). Rauber (2020:
Körperkulturen können demnach auch als Antwort
auf unterschiedliche Differenzordnungen gelesen werden
(ebd.). Beispielsweise werden weibliche, weiße,
wohlhabende Körper oft mit Reinheit und Makellosigkeit
verbunden − Zuschreibungen, die von Menschen mit derlei
Körpern durch sorgfältige Hygienepraktiken entweder
bestätigt oder auch bewusst aufgebrochen werden können.
3
Das Pinkeln eines Mädchens wird nicht erwähnt. Auch wenn das Pinkeln
eines Jungen noch nicht mit Scham besetzt war, kann es für Mädchen
anders ausgesehen haben.
Geruch spielt dabei eine besondere Rolle als Indikator für
Sauberkeit und Körperpflege (vgl. Rauber 2020).
Ein Rückblick auf die Entwicklungen in Europa in den
letzten Jahrhunderten offenbart die sich verändernde
Bedeutung von Exkrementen und Körperhygiene und von
damit zusammenhängenden Normen und Standards. Am
Beispiel von natürlichen Verrichtungen und Entblößung im
öffentlichen Raum zeigt Norbert Elias (2020 [1939])
beispielsweise auf, wie sich die damit verbundenen
Bedeutungen änderten. Während das öffentliche an-eine-
Mauer-Pinkeln eines Jungen im 16. Jahrhundert noch offen
und ohne Aufregung in Schulbüchern thematisiert wird,
3
werden diese Praktiken in den folgenden Jahrhunderten
immer stärker mit Scham besetzt. Zunächst nur gegenüber
den wohlhabenderen Teilen der Bevölkerung, bis sie sich
mit der Zeit für Erwachsene zum unhinterfragten
(Elias 2020 [1939]: 280). Kinder werden dazu erzogen, dies
ebenfalls zu internalisieren (Moore 2009: 108). Die fast
vollständige Verdrängung von Exkrementen aus der
Öffentlichkeit wird in Zusammenspiel mit der
Weiterentwicklung von Toiletten, Spül- und
Abwassersystemen und der Errichtung von öffentlichen
Toiletten erreicht.
4
Zur Körperhygiene auf der Toilette
werden bis ins 17. Jahrhundert Essensreste, Schalen, Blätter
und alte Lumpen verwendet, die dann langsam durch
ausrangiertes Papier und Zeitungen und schließlich durch
industriell gefertigtes Klopapier abgelöst werden. Je
nachdem, ob Techniken des Faltens (wie in Deutschland)
oder des Knüllens (wie in den USA) stärker etabliert sind,
finden sich unterschiedliche Typen von Klopapier bezüglich
ihrer Stärke und Reißfestigkeit (Schachtner 2012). Diese
Prozesse sieht Norbert Elias als eng mit dem verflochten,
was unter Kultur und Zivilisation verstanden wird. Er
definiert den Begriff Zivilisation folgendermaßen:
„[Der Begriff Zivilisation] faßt alles zusammen,
was die abendländische Gesellschaft der letzten
zwei oder drei Jahrhunderte vor früheren oder
4
Dabei sind allerdings Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen
Räumen im Bedarf und der Geschwindigkeit der infrastrukturellen
Entwicklungen zu erwähnen.
Pissen* ist politisch: Feministische und kritisch-geographische Perspektiven auf Geographien der Notdurft
17
vor »primitiveren« zeitgenössischen
Gesellschaften voraus zu haben glaubt. Durch
ihn sucht die abendländische Gesellschaft zu
charakterisieren, was ihre Eigenart ausmacht,
und worauf sie stolz ist: den Stand ihrer
Technik, die Art ihrer Manieren, die
Entwicklung ihrer wissenschaftlichen
Erkenntnis oder ihrer Weltanschauung und
vieles andere mehr.“ (Elias 2020 [1939]: 89–90)
Im deutschen Sprachgebrauch liegt dem Begriff Zivilisation
dabei meist ein prozessualer Gedanke zugrunde, während
der Begriff Kultur eher im Kontext von Bestehendem und
Erreichtem verwendet wird. Wie bereits erwähnt, sieht
Elias Praktiken der Körperhygiene und den Umgang mit
Exkrementen als in diese Prozesse eingebunden. Moore
betont weiterhin, dass die europäische Expansion eine
große Rolle in der Weiterentwicklung der damaligen
Hygienestandards spielte. Ungewohnte klimatische
Bedingungen und Keime wurden für Europäer*innen in den
Kolonien zum Problem, weshalb ihre Art der Hygiene dort
noch strenger gehandhabt wurde (2009: 113).
Hygienepraktiken wurden zum Symbol der Abgrenzung und
Überlegenheit gegenüber kolonialisierten Gesellschaften.
Vermeintlich unangebrachter Umgang mit Exkrementen
galt als Zeichen für Primitivismus, worüber die Stellung der
Kolonialmächte untermauert und Enteignungen von Besitz
und Rechten legitimiert wurden (Moore 2009: 111).
Das Verschwinden von Exkrementen aus dem öffentlichen
Leben hat Leone zufolge nicht nur Vorteile. Er betont, dass
einem gewissen Grad auch das Bewusstsein für natürliche
körperliche Kreisläufe und die Vergänglichkeit des Lebens
not only [for] our bodily waste but also what
it represents: the waste that we essentially are, once the
(Leone 2012: 254). Das
Verstecken von und das Schweigen über grundlegende
körperliche Funktionen trafen menstruierende Personen in
den letzten Jahrhunderten besonders stark. Diese mit der
Periode zusammenhängenden Tabus und Scham werden in
wissenschaftlichen Texten häufig mit religiösen Normen in
Verbindung gebracht, wie hier von Guterman et al. (2007:
1):
“Judaism, Christianity, Islam, Hinduism, and
Buddhism have all made statements about
menstruation and its negative effect on women,
leading to prohibitions about physical intimacy,
cooking, attending places of worship, and
sometimes requiring women to live separately
from men at this time.”
Während diese Regeln je nach Religion unterschiedlich
ausgestaltet sind, haben alle die Betonung der Unreinheit
von menstruierenden Frauen gemein (ebd.). Die
Wissenschaftler*innen betonen auch, dass die genannten
Regeln vor allem noch in hinduistisch, muslimisch und
jüdisch orthodox geprägten Gesellschaften praktiziert
werden. Sie weisen jedoch außerdem darauf hin, dass das
Kaschieren der Monatsblutung durch geruchswirksame
Hygieneartikel in westlichen, hauptsächlich christlich
geprägten Gesellschaften ebenso als auf religiös geprägte
Vorstellungen von (Un-)reinheit zurückgehend gesehen
werden kann. Auch die Demonstration der Saugfähigkeit
von Binden, die in Werbespots mit blauer Flüssigkeit statt
mit rotem Blut dargestellt wird, spiegelt die weiterhin
bestehenden Tabus wider (reporter 2020). Eine weitere
interessante Beobachtung schildert Tomlinson (2018) in
ihrer Dissertation über Repräsentationen des weiblichen
Zyklus in französischen Texten aus Mauritius, Algerien und
Frankreich. Bei ihrer Recherche zu soziologischen und
anthropologischen Studien zu Erfahrungen mit
Menstruation in diesen drei regionalen Kontexten
beobachtet sie, dass die Texte zu Frankreich hauptsächlich
den Zusammenhang zwischen sozio-ökonomischer Lage des
Individuums und Menstruationserfahrungen beleuchten. In
Studien zu Mauritius und Algerien dagegen wird der
religiöse und kulturelle Kontext als Erklärung in den
Vordergrund gestellt (ebd.: 78). So werden westliche
Erfahrungen mit Menstruation, in diesem Fall französische,
als vermeintlich losgelöst von religiösen Entwicklungen,
aber abhängig von materieller Lage und Wissen dargestellt,
während diese in ehemaligen Kolonien als von Religion und
Kultur geprägt produziert werden. Obwohl Tomlinson
darauf hinweist, dass die Autorinnen der Studien in den
jeweiligen Kontexten aufwuchsen, ist der beobachtete
Feministisches Geo-RundMail Nr. 84, Dezember 2020
18
Trend aus meiner Sicht ebenfalls Zeugnis von Prozessen des
Klopapier und westliche Standards in der Kritik
Im Winter 2017 war ich als Couchsurferin zu Gast bei einem
jungen iranischen Mann in Teheran. In der Großstadt war er
als Teil der gehobenen Mittelschicht aufgewachsen. Mit
Ende 20 lebte er nun allein in einer Wohnung etwas
außerhalb und leicht erhöht über der Innenstadt dort, wo
es leiser, die Luft klarer und die Sicht besser ist. Er hatte vor,
für eine Doktorandenstelle nach Wien zu ziehen und war
sehr am Austausch über das Leben in Mitteleuropa
interessiert. Ein Aspekt, der ihn sehr beschäftigte, waren die
Toiletteninfrastrukturen in Österreich. Er hatte bereits
gehört, dass es üblich sei, sich auf der Toilette nur mit Papier
zu säubern. Er ekelte sich bei dieser Vorstellung und fragte
mich, ob ich deshalb nicht mehrmals am Tag das Verlangen
hätte, zu duschen. Er dachte noch weiter darüber nach und
beteuerte ernsthaft, dass er sich in seiner Wohnung in Wien
eine Wasserdusche neben der Kloschüssel anbringen lassen
müsse. Ich war etwas perplex, da ich zum ersten Mal eine
dezidiert kritische Meinung zu Klopapier und
darüberhinaus zu Hygienestandards in einem
mitteleuropäischen Land hörte. Zurück in Deutschland
vermisste ich die Wasserschläuche neben den Toiletten sehr
und dachte oft an dieses Gespräch zurück. Eine ähnliche und
doch andere Perspektive wird in Salman Rushdies Roman
Satanische Verse beschrieben, als eine indisch-muslimische
Mutter ihren Sohn vor einer Reise nach England ermahnt:
änder
wischen sich den Allerwertesten nur mit Papier ab
Die Engländer sind ein
zivilisiertes Volk, was redest du da, Quatsch (1989: 4849).
In diesem Beispiel wird die Beziehung zwischen Zivilisation
und Körperhygiene explizit hergestellt und letztere von als
zivilisiert erachteten Menschen erwartet. Während im
ersten Teil dieses Textes klar wird, dass die (unbewusste)
Einschätzung der Bevölkerung eines Landes als weniger
zivilisiert sehr vorschnell durch vermeintliche Unsauberkeit
5
Ein Gefäß, meist eine kleine Kanne, die mit Wasser gefüllt wird und zur
Reinigung des Hinterns und Intimbereichs nach dem Ausscheiden von
legitimiert wird, funktioniert dies in die andere Richtung
ähnlich auch wenn die tatsächlich praktizierten
Handlungen gar nicht bekannt sind. Ein Text von Bushra
Rehman (2009) zeigt am Beispiel der Benutzung von
Klopapier, wie sehr ein Anpassungsdruck auf
Immigrant*innen in westlichen Ländern lastet. Viele
Eingewanderte fühlen sich nach der Benutzung von Papier
noch nicht sauber und finden stattdessen Wege, sich
weiterhin mithilfe von improvisierten Lotahs
5
mit Wasser
zu waschen. Die Erkenntnis, dass sie dies meist vor
Mitbewohner*innen und sogar Familienmitgliedern
verstecken (Rehman 2009: 191), unterstreicht die anfangs
angesprochene stille Normativität, die mit
Toilettenpraktiken und Vorstellungen von Hygiene
einhergeht.
Wie die Foren-Beiträge weiter oben andeuten, zeigt sich der
-Hygienepraktiken oft in
der Unsicherheit, in anderen Ländern die gewohnten
sterilen Wegwerf-Produkte erwerben zu können und
Mülleimer und Klopapier auf Toiletten anzutreffen. Da
negative Auswirkungen besagter Produkte, wie
beispielsweise Hautreizungen und die fehlende
Nachhaltigkeit dieser, in westlichen Kontexten vermehrt
diskutiert werden, rücken Alternativen wie
Fokus. Diese führen wiederum zu neuen Ansprüchen an
Toiletteninfrastrukturen. Ironischerweise können diese
besonders gut mit fließendem Wasser gereinigt werden
also zum Beispiel mithilfe von Wasserduschen oder eben
gibt. Auch in diesem Kontext kann demnach die
Die Covid-19-Krise und das Aufbrechen alter
Denkmuster?
Die besondere Bedeutung von Klopapier in Deutschland hat
sich zu Beginn der Covid-19 Pandemie anhand von
leergefegten Verkaufsregalen gezeigt. Durch die öffentliche
Aufmerksamkeit, die das Produkt in dieser Zeit erfahren hat,
Exkrementen verwendet wird. Wenn nichts anderes zur Hand ist, wird
häufig eine einfache Plastikflasche verwendet (Rehman 2009).
Pissen* ist politisch: Feministische und kritisch-geographische Perspektiven auf Geographien der Notdurft
19
sind aber auch kritische Diskussionen aufgekommen, die die
Verwendung von Klopapier grundlegend hinterfragen und
Alternativen dazu vorschlagen. Besonders interessant ist
dabei eine Entwicklung, die den oben genannten Lotahs sehr
nah kommt. Das Start-up Happy Po produziert seit 2015
kleine Flaschen, die mit Wasser befüllt zuhause neben das
Klo gestellt oder unterwegs für die Reinigung auf
öffentlichen Toiletten mitgenommen werden können
(HappyPo 2020). Mitte März 2020 gaben die beiden
Gründer in einem Interview an, dass sich ihr Umsatz durch
Covid-19 um das Siebenfache erhöht habe (Richter 2020).
(Klassen 2020),
und in westlichen Ländern nun als Innovation angepriesen,
was vor dem Hintergrund der jahrelangen Diskriminierung
ähnlicher Praktiken in anderen Ländern skurril und
anmaßend erscheint. Nichtsdestotrotz könnten
Erfindungen wie diese und dadurch entstehende
Diskussionen − gerade in Zeiten von Klopapiermangel und
erhöhter Sensibilität für Hygienefragen − die lange
unhinterfragte Dominanz des Klopapiers in Relation setzen
und Offenheit und Toleranz für andere Arten des Säuberns
ermöglichen. Abgesehen davon ist dieser Text als Impuls für
die Ref
gedacht. Am Beispiel von Klopapier und Toilettenpraktiken
zeigt sich, dass die Diskriminierung von Gesellschaften oder
Gruppen anhand von etablierten Praktiken meist auf
Unwissen basiert und eine genauere Betrachtung
Widersprüchlichkeiten sichtbar macht.
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Pissen* ist politisch: Feministische und kritisch-geographische Perspektiven auf Geographien der Notdurft
21
Toiletten: Die Materialisierung eines Wechselgefüges
von Raum und Geschlecht
Eva Brauer (FH Fulda)
Mein Interesse zum Thema Raum und Geschlecht im Kontext
öffentlicher Toiletten entstand im Kontext eines
Praktikumsaufenthaltes in Indien und der eigenen Erfahrung
als Frau*, den öffentlichen Raum nicht in der gleichen Weise
nutzen zu können wie Männer*.
Abstract
In räumliche Strukturen sind gesellschaftliche Strukturen
eingeschrieben. Öffentliche Toiletten stellen hierbei
Materialisierungen eines hierarchisch organisierten
Geschlechterarrangements dar. Auf der Grundlage einer
Kontrastierung der Ergebnisse einer durchgeführten
ethnographisch angelegten Studie zu öffentlichen Toiletten
in Frankfurt am Main mit Problemberichten indischer
Organisationen, die die Auswirkungen fehlender
öffentlicher Toiletten aufzeigen, werden Wirkweisen eines
Wechselgefüges von Raum und Geschlecht offengelegt.
Ausdruck dieses Wechselgefüges ist die nach Geschlecht
differierende Gestaltung, Bereitstellung als auch körperliche
Wahrnehmung und Nutzung öffentlicher Toiletten. Die
Thematisierung öffentlicher Toiletten wie auch die damit
verbundenen geschlechterdifferenzierenden
Körperpraktiken sind mit Scham beleget. Das Gefühl der
Scham übernimmt hierbei eine Art Wärter-Funktion, welche
Männern* den öffentlichen Raum zugesteht und Frauen* auf
den privaten Bereich verweist. Die davon betroffenen
Personen nehmen räumlich-soziale Ausgrenzungen auf der
individuellen Ebene wahr und begegnen den daraus
entstehenden Anforderungen ebenso mit individuellen
Problemlösungsstrategien. Die Autorin plädiert für eine
Kenntlichmachung eines strukturellen Zusammenhangs von
1
Als Männer* werden Personen bezeichnet, die sich aus einem kulturell
zuordnen lassen oder sich selbst dieser Kategorie zuordnen.
Männertoiletten sind explizit an diese Personengruppe ausgerichtete
räumliche Angebote. Personen, die sich aus einem Alltagswissen heraus
nicht eindeutig dieser Kategorie zuordnen lassen, ist der Zutritt zu diesem
räumlichen Angebot nicht gestattet, bzw. werden sozial sanktioniert. Die
Autorin ist sich darü
ausgeschlossen werden, die sich innerhalb dieser binären Zuordnung in
keine der beiden Kategorien eingruppieren. Die Bezeichnungen dienen hier
der Verständlichkeit des Textes. Durch die Hinzufügung des Gender-* soll
Raum und Geschlecht und damit einer Befähigung zur
Artikulation um das Recht gleichberechtigter Teilhabe.
Einleitung
Toiletten sind Räume, in denen sich das gesellschaftliche
Geschlechterarrangement widerspiegelt. Nach wie vor sind
Toiletten größtenteils und wie selbstverständlich in
Frauen*- und Männer*toiletten unterteilt (wobei vereinzelt
-
ausgewiesen werden). In ihrer jeweiligen Gestaltung sind
sie natürlicher Bestandteil unseres Alltags. Kaum gibt es
Diskussionen darüber, warum vor Frauen*toiletten die
Schlangen immer länger sind, noch warum für Männer*
1
öffentliche Pissoirs angeboten werden, während Frauen*
2
auf kostenpflichte Toiletten verwiesen werden.
Die Grundlage dieses Beitrages zum Wechselgefüge von
Raum und Geschlecht anhand öffentlicher Toiletten basiert
auf Beobachtungen aus dem Jahr 2013, die ich während
meines studienintegrierten Praktikums in Delhi, Indien
machte. Die Beobachtungen führten zu einem verstärkten
Interesse um den Zusammenhang von Raum und
Geschlecht, den ich im Rahmen meiner diesem Beitrag
zugrundeliegenden Masterarbeit
3
anhand der Thematik
öffentlicher Toiletten nachgezeichnet habe.
Der Zusammenhang von Raum und Geschlecht wurde mir
während meines Aufenthalts regelrecht aufgedrängt. Im
Jahr 2007 ermittelte der Delhi High Court für das
Stadtgebiet die Anzahl von 3192 öffentlichen Toiletten für
Männer* und gerade mal 132 öffentlichen Toiletten für
Frauen* (Sheikh 2008: 4). Diese Zahlen bestätigen meine
Beobachtungen. Während ich als Frau oftmals nach einer
Toilette suchte und, privilegiert durch eine gewisse
ökonomische Stellung und heller Hautfarbe
4
, meist auf die
Herstellung kenntlich gemacht werden.
2
Als Frauen* werden Personen bezeichnet, die sich aus einem kulturell
et
zuordnen lassen oder sich selbst dieser Kategorie zuordnen (siehe oben).
3
Raum und Geschlecht. Doing Gender while
Doing Space rsität Bielefeld im Fachbereich
Gender Studies eingereicht (unveröffentlicht).
4
Eine intersektionale Perspektive, die weitere Strukturkategorien in die
Analyse der Wechselwirkung von Raum und Geschlecht mit einbezieht ist
sowohl anzustreben als auch erkenntnisfördernd. Im Rahmen dieses
Beitrags kann jedoch diesem Anspruch zugunsten einer Fokussierung auf
Feministisches Geo-RundMail Nr. 84, Dezember 2020
22
Möglichkeit der Toilettenbenutzung in Restaurants,
Kaufhäusern oder international vermarkteter Kaffeeketten
zurückgreifen konnte, hatte meine männliche Begleitung nie
Schwierigkeiten hinter der nächsten Ecke ein öffentliches
kostenfreies Pissoir ausfindig zu machen. Daneben zeigt sich
ein klar geschlechterdifferenziertes Bild im öffentlichen
Raum. Straßen und Parks habe ich als eine dominant
männlich besetzte Sphäre wahrgenommen. Während
Männer* oftmals stundenlang auf den Straßen
zusammensitzen, Chai trinken und sich unterhalten, sind die
deutlich unterrepräsentierten Frauen* oftmals zügigen,
zielstrebigen Schrittes unterwegs, machen Besorgungen
oder gehen einer beruflichen Tätigkeit nach (viele indische
Frauen* arbeiten beispielsweise im Bereich des
Straßenbaus). Die fehlenden Toiletten sowie die jeweiligen
gesellschaftlichen Wahrnehmungs- und Gestaltungsmuster
von Toiletten, so meine Überlegung, stellen
Materialisierungen des gesellschaftlichen
Geschlechterverhältnis dar. Am Beispiel öffentlicher
Toiletten in Indien offenbaren sich diskriminierende
Praktiken, welche als ein Knotenpunkt zwischen dem
räumlichen Arrangement und der gesellschaftlichen
Geschlechterordnung in Erscheinung treten. Nun ist es
immer leicht mit dem okzidental erhobenen Zeigefinger auf
Betonung, dass die oben angeführten Zustände ja wohl
dieses Beitrages soll es daher sein, Toiletten aus ihrem
jeweiligen Herstellungspraktiken zu fragen, die Raum und
Geschlecht in wechselseitiger Abhängigkeit zueinander
(re)produzieren. Hierfür beziehe ich mich auf die Daten, die
im Rahmen einer ethnographischen Erhebung
(Beobachtungen/leitfadengestützte Interviews)
öffentlicher Toiletten in Frankfurt a.M. erhoben worden
sind, als auch auf Aussagen aus veröffentlichten
Situationsbeschreibungen indischer Organisationen. Die
Aussagen aus diesen Beschreibungen wurden mit den
die Wechselwirkung von Raum und Geschlecht nicht nachgekommen
werden.
Aussagen der Interviewpartner*innen verglichen und auf
der Grundlage der Grounded Theorie (Strauss & Corbin
1996) analysiert. Im Mittelpunkt stand die Frage nach den
Wechselwirkungen von Raum und Geschlecht.
Konzeptualisierung von Raum und Geschlecht
Spatial segregation is one of the mechanisms
by which a group with greater power
can maintain its advantage over a group with less
power. (Daphne Spain 1992: 15f.)
Sowohl Raum als auch Geschlecht sind Begriffe, die tief in
unserem Alltagsdenken verhaftet sind und hierüber ihre
jeweiligen Zuschreibungen erfahren. Um die räumlichen als
auch gesellschaftlichen Grenzziehungen nachzuzeichnen
und nach den Ein- und Ausschlüssen zu fragen, die hierüber
hergestellt werden, wird eine Perspektive gewählt, die nach
m als auch Geschlecht
fragt. Im Fokus stehen damit soziale Praxen, die sich auf
öffentliche Toiletten beziehen. Raum als auch Geschlecht
erhalten ihre Wirksamkeit entlang und auf der Grundlage
alltäglicher Interaktionen. Eingebunden in die
Theorieperspektive des symbolischen Interaktionismus
wird davon ausgegangen, dass die soziale Wirklichkeit in
der wir zwischen Frauen* und Männern* zu unterscheiden
wissen und Räume definieren in der alltäglichen Praxis
produziert und reproduziert wird. Martina Löw grenzt sich
in ihrer Raumsoziologie (2001) von der Vorstellung eines
-
(2001: 67). Ihre Konzeptionalisierung von Raum entlang der
analytisch zu unterscheidenden Prozesse der
sozialen Handelns zu analysieren. Im Handeln vollziehen
sich wiederum die gesellschaftlichen Strukturkategorien
5
) und schreiben
sich hierbei in die Räume ein. Die Strukturprinzipien
durchziehen alles Handeln und alle Strukturen
5
Hier lassen sich problemlos weitere Strukturkategorien, wie Ethnie,
Disability, Alter, Nation (usw.) integrieren.
Pissen* ist politisch: Feministische und kritisch-geographische Perspektiven auf Geographien der Notdurft
23
gleichermaßen. Raum und Geschlecht können somit
hinlänglich eines wechselseitig aufeinander bezogenen
Herstellun
konstatiert Doris Wastl-
kontextuelle Verankerung und Verortung so wie Raum
durch handelnde Personen vergeschlechtlicht wird. Beides
sind Voraussetzungen für das jeweils andere und gleichsam
Besonders die Postcolonial Studies betonen, dass durch
entsprechende Raumkonstitutionen Unter- als auch
Überordnungsverhältnisse geschaffen werden, durch die,
gerade auch durch die Bezugnahme eines gesellschaftlichen
Geschlechterarrangements Herrschaftsverhältnisse
legitimiert werden (u.a. G.C. Spivak 1993).
Im Folgenden soll die Wechselwirkung von Raum und
Geschlecht entlang einer Gegenüberstellung einer
Situationsdarstellung aus Indien mit der Analyse
öffentlicher Toiletten in Frankfurt a.M. näher erläutert
werden.
Fehlende Toiletten in Indien: Ein Frauen*thema
Toiletten stellen Materialisierungen eines gesellschaftlichen
Geschlechterarrangements dar. Die Bereitstellung
öffentlicher Toiletten für Frauen* ermöglicht die
Anwesenheit in der öffentlichen Sphäre. Ein Fehlen
öffentlicher Toiletten führt umgekehrt zu einem (Selbst?)
Ausschluss von Frauen* im öffentlichen Raum. So sind sie im
Fall, sich erleichtern zu müssen, auf die Möglichkeiten im
Verstärkt wird dieses
räumliche Arrangement durch
geschlechterdifferenzierende Belegungen der
Defäkationspraktiken mit Scham. Während für Männer* das
Urinieren in Öffentlichkeit toleriert wird, gelten urinierende
Frauen* in der Öffentlichkeit als unweiblich, schamlos,
anstandslos. Die Belegung der Defäkationspraxis mit
geschlechterdifferenzierenden Zuschreibungen haben in
Indien vielfältige Auswirkungen in Kumulation zu fehlenden
Toiletten auf die davon betroffenen Frauen*.
Narasimhan beschreibt die Situat
while the men can (and often do) stop to empty their
2002). Auch viele indische Haushalte, vor allem in
ländlichen Regionen und informellen Siedlungen verfügen
nicht immer über eine eigene Toilette. Für Frauen* bedeutet
das nicht selten, dass sie lange Distanzen zurücklegen
müssen und durch die gesellschaftlich vermittelte Scham,
sich vor den Augen anderer zu erleichtern in der
Dunkelheit, in den Stunden vor Sonnenauf oder -untergang,
deshalb Wälder, Zugstrecken oder andere Grün- oder
Freiflächen aufsuchen.
Mangal Sadashiv Kamble, eine Bewohnerin Tatanagars,
berichtet:
For toilets, we had to use the railway tracks. There
were public toilets, but they were some distance away
– about half an hour to walk. They used to be dirty
that we did not feel like using them and there were
such long queues! Instead of using those filthy toilets,
we used to go on the tracks after ten at night or early
in the morning at four or five o’clock. (Bapat &
Agarwal 2003: 77)
Shalini Sadashiv Mohite aus der Omkar Society berichtet:
There is no toilet in this whole area. Men and women
squat along the road. Women do not go after six in
the morning. They wait for the cover of darkness. We
even eat less so that we do not need to relieve
ourselves during the daytime because we do not have
proper toilets. (ebd. 74)
Aufgrund fehlender Toiletten trinken die Frauen* über den
Tag weniger und nehmen keine Nahrung zu sich. Das kann
z.T. schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen für Frauen*
haben als auch zu Beeinträchtigungen der
Leistungsfähigkeit führen. Neben den Auswirkungen dieser
individueller Bewältigungsstrategien führt das Fehlen
öffentlicher Toiletten zu einem Anstieg sexueller Gewalt
gegenüber Frauen*, die im Schutz der Dunkelheit
alternative Defäkationsorte aufsuchen müssen. Diese
Gewalttaten im Zusammenhang fehlender Toiletten
verstärken die Angst und das Unsicherheitsempfinden von
Frauen* im öffentlichen Raum (SHARE 2011).
Die Thematisierung fehlender Toiletten ist in dem Sinne ein
Frauen*thema, da es Männer* aufgrund räumlich-sozialer
Arrangements nicht betrifft.
Feministisches Geo-RundMail Nr. 84, Dezember 2020
24
Ask him if his house has a toilet, and he says it is the
last of his worries. But when the same question was
put to his wife […] she told […] how difficult it is to
manage without a toilet in the house. She has to
either walk to the public toilet, which is at least a
kilometer away, or waits until she reaches K.R.
Market, her workplace, where she can use the public
toilet paying Rs. 5. (Kulkarni 2013)
Die Darstellungen aus Indien, die die Lebensrealität von
benachteiligten Frauen* widerspiegeln, lassen sich auf der
Grundlage differierender sozio-ökonomischer Ressourcen
nicht im gleichen Ausmaß auf den deutschen Kontext
übertragen. Dennoch finden sich hier identische
Wirkmuster einer räumlich-sozialen Konstitution von Raum
und Geschlecht am Beispiel öffentlicher Toiletten.
Die Materialisierung eines Geschlechterverhältnisses:
Der ‚natürliche Vorteil‘ den Mann* hat
Auf der Internetseite des Liegenschaftsamtes Frankfurt a.M.
befinden sich Informationen zu der Geschichte öffentlicher
wird bereits 1348 in den Dokumenten erwähnt
(Liegenschaftsamt Frankfurt 2011). Die ersten sanitären
Installationen im öffentlichen Bereich waren Pissoirs, deren
Benutzung ausschließlich Männern* vorbehalten war
(Möllring 2003: 97). Zunächst schwerlich akzeptiert, sollte
später die öffentliche Toilette ein Erfolgsmodell werden.
zwischen 1904 und 1930 wurden 24
Bedürfnisanstalten und 40 Pissoirs [in Frankfurt a.M.]
setzten sich öffentliche Bedürfnisanlagen, die auch Frauen*
die Möglichkeit des Urinierens im öffentlichen Bereich
ermöglichten, nur zögerlich durch. Die Argumente und die
Diskussionen, die ausschließlich von Männern* in
Kommunalgremien und Stadtverwaltungen geführt wurden,
beliefen sich auf die Punkte: Gestaltung, Kosten und
Unschicklichkeit
solcher Anlagen, und dass sich die Damenwelt schwer damit
2003: 101). Bei der Gestaltung entschloss man sich, auf die
6
u.a. Bettina Möllring & Mandy Schielke (2019)
im privaten Bereich genutzten Sitztoiletten
zurückzugreifen, die von Männern* als auch von Frauen*
genutzt wurden. Möllring verweist auf den Umstand, dass
öffentlichen Raum übertragen wurden (2003: 100). Die
Verwendung von Frauen*urinalen setzte sich trotz
entsprechender Erfahrungen im halb-öffentlichen Bereich
in den europäischen Ländern nicht durch (ebd.: 101). Hier
sei zu erwähnen, dass selbst die Gestaltung der von uns
bekannten Sitztoiletten keineswegs alternativlos war und
ist. Die Auffassung, die Sitztoilette sei das für die weibliche
Anatomie geeignete Gegenstück zum, für die männliche
Anatomie geeigneten Pissoir, ist irrtümlich. So gibt es immer
wieder vereinzelte Versuche Damen-Urinale zu etablieren,
die auch Frauen* das Urinieren im Stehen ermöglichen
6
.
[wenn] schon die Notwendigkeit für die Schaffung von
-
Pissoirs erkannt war, wurde die Entwicklung einer
befriedigenden Gestaltung für öffentlichen Damentoiletten
Erst 15 bis 20 Jahre nach der Installation öffentlicher
Pissoirs wurden in vielen Städten sogenannte
Toiletten für Frauen* und * bereitgestellt. Heute, so steht auf
der Homepage des Liegenschaftsamtes Frankfurt, seien
öffentliche Toiletten vor allem durch Vandalismus bedroht,
weshalb viele öffentliche Toiletten wiederum geschlossen
worden seien und lediglich die Pissoirs für Männer*
weiterhin zur Verfügung stünden
beantwortet das Liegenschaftsamt auf ihrer Homepage
häufig gestellte Fragen. Unter anderem wird hier die Frage
gestellt, warum Frauen* immer für öffentliche Toiletten
zahlen müssen. Das Liegenschaftsamt gibt hier folgende
Antwort:
Die Verfahrensweise der Stadt Frankfurt am Main ist
dem tatsächlichen Verhalten der Männer geschuldet
und beruht auf langjähriger Erfahrung. Ohnehin sind
70 % der Besucher einer öffentlichen Toilette
Pissen* ist politisch: Feministische und kritisch-geographische Perspektiven auf Geographien der Notdurft
25
Männer. Sie üben Berufe aus wie Taxifahrer,
Auslieferungsfahrer, Straßenreiniger, Monteur der
Energieversorger usw. Sicher stehen
Personaltoiletten beim Arbeitgeber zur Verfügung,
doch gehört es zum Arbeitsalltag dieser Berufe dazu,
im Stadtgebiet unterwegs zu sein.
Da für viele Männer das Urinieren im Stehen und in
der Öffentlichkeit eine Selbstverständlichkeit ist,
wird dies auch oft praktiziert. Zumindest an
wichtigen Orten im Stadtgebiet wird deshalb eine
Alternative zum Baum oder zu der Mauernische
angeboten. Dieses Angebot kostenloser Urinale
bewegt viele Männer dazu, auf das „wilde Urinieren"
zu verzichten. Wäre die Urinalnutzung
kostenpflichtig, würde das Angebot nicht so gut
nachgefragt und die Verschmutzungen im
öffentlichen Raum sowie auf privaten Grundstücken
würden zunehmen. (citywc o.J.)
Durch diesen Verweis wird deutlich, dass die räumliche
Gestaltung der Öffentlichkeit an das Geschlechterverhältnis
gekoppelt ist. Das Argument, dass Männer* durch
bestimmte Arbeitsverhältnisse stärker auf das Angebot
öffentlicher Toiletten angewiesen seien, rechtfertig
kostenfreie Pissoirs für Männer* und reproduziert das Bild
ungeachtet der Tatsache, dass sich hier ebenso viele Frauen*
u
notwendig, um Männer* vom Urinieren in der Öffentlichkeit
dem quasi natürlich männlichen Verhalten abhalten zu
können. Die biologistischen Zuschreibung Männer* würden
Sitztoiletten angewiesen seien, schreiben sich in die
räumliche Gestaltung öffentlicher Toiletten ein.
In Indien als auch in Deutschland zeigt sich, dass das
männliche Urinieren im öffentlichen Raum als ein
hierfür keine Möglichkeit geboten, bzw. sie werden, auf
bezahlpflichtige Toiletten verwiesen. Abgesichert wird
dieser natürlich erscheinende Vorteil männlichen
Urinierens durch das Gefühl der Scham. Wie im Folgenden
auf der Grundlage der Analyse eines Interviewausschnittes
gezeigt werden soll, werden die
geschlechterdifferenzierenden Defäkationspraxen mit
divergierenden körperlichen Empfindungen verknüpft.
Frauen empfinden ein weitaus höheres Level an Scham oder
Ekel gegenüber dem Urinieren in der Öffentlichkeit bzw. der
Nutzung öffentlicher Toiletten. Diese Empfindungen führen
zum Selbstausschluss von Frauen* aus der öffentlichen
Sphäre. Das hierarchisch geführte Wechselgefüge von Raum
und Geschlecht wird im Fall öffentlicher Toiletten damit
unsichtbar und auf der Ebene individueller
Lösungsstrategien bearbeitet.
„Ich find’s einfach eklig“: weiblicher* Selbstausschluss
durch die Einschreibung in die Körper
Durch Raumwahrnehmungen werden wiederkehrende
Wahrnehmungsmuster öffentlicher Toiletten an den
vergeschlechtlichten Habitus (Bourdieu 2005) geknüpft. Da
Raum keine objektive Größe darstellt, sondern durch soziale
Güter und Menschen und deren Verknüpfung miteinander
bestimmt ist (Löw 2001) und diese Verknüpfung, im Sinne
einer Synthese, vom jeweiligen (Bildungs-, Klassen- oder
vergeschlechtlichtem) Standpunkt eines Menschen abhängt,
kann die Wahrnehmung von Räumen je nach
geschlechtlicher (Selbst-)Verortung differieren. Die
Atmosphäre als Mittel des Spacings und Element der
Synthese kann (bewusst oder unbewusst genutzt) zu
(Selbst-)Ein- oder Ausschlüssen beitragen.
Die Interviewpartner*innen brachten öffentliche Toiletten,
geschlechtsunabhängig, besonders häufig mit dem
körperlichen Empfinden von Ekel in Verbindung. Es wurde
festgestellt, dass dieses Empfinden sich jedoch
geschlechterdifferenzierend auf das Handeln der
Interviewpartner*innen auswirkt. Vor allem Frauen*
lehnten, bezugnehmend auf das Empfinden von Ekel, das
Aufsuchen öffentlicher Toiletten kategorisch ab.
I: wäre das unangenehm für dich da rein zu gehen?
(w)*X: ja ich geh in sowas generell nich rein.
I: warum? hast du irgendwelche Ängste, oder?
(w)*X: ich find’s einfach ekelig [weil ich] nich weiß wer
da vorher war und ob das
I: [mhm]
(w)*X: sauber[gemacht] wird
Feministisches Geo-RundMail Nr. 84, Dezember 2020
26
Hier zeigt sich, dass Raum-vermeidendes Verhalten als ein
geschlechterdifferenzierendes Charakteristikum
öffentlicher Toiletten zu verstehen ist. Das vermeidende
Verhalten ist dabei auch auf die spezifische Sozialisation von
Mädchen zurückzuführen, deren Körper weitaus häufiger
als die der Jungen mit Hygiene- und Sauberkeitsvorschriften
belegt und einer höheren Kontrolle unterzogen werden
(Bührmann et. al. 2013: 167). Auf diese Weise tragen jene
Dispositionen zu einer erhöhten,
geschlechterdifferenzierenden Reaktion auf der Grundlage
von Ekel, gegenüber der Nutzung öffentlicher Toiletten bei.
In einem Zirkelschluss reproduziert das Verhalten die
räumlichen Strukturen (weniger öffentliche Toiletten für
differenzierten bzw. differenzierenden Räume legitimiert.
Den Ausdruck von Ekel bis hin zum gänzlichen Vermeiden
öffentlicher Toiletten verstehe ich hier im Sinne eines doing
Gender while doing Space (hierzu auch: Gottschalk et. al.
2018). Weiblichkeit wird hierbei durch das vermeidende
Verhalten in Bezug auf die Benutzung öffentlicher Toiletten
markiert, dadurch, dass öffentliche Toiletten zuvor als
unhygienischer und ekliger Raum konstituiert wurden.
Michel Foucault betont in diesem Zusa
erstellt mit ausgeklügelten Bewegungs- und
Aufenthaltshierarchien, was zu einer Machtausübung in
räumlichen Kontexten bzw. zu räumlicher
Machtverstärkung durch Kontrolle führt. Kontrolle über
Körperlichkeit und Räumlichkeit ist elementar für die
-Walter 2010:
77).
Um öffentliche Toiletten zu vermeiden, berichteten einige
der interviewten Frauen*, dass sie auf Flüssigkeit verzichten
würden.
I: Inwieweit passt ihr euer Ess-Trink-Verhalten an, wenn
ihr unterwegs seid?
(w*)X1: oh: ich auf jeden fall ja. Ich trinke dann auch
nichts.
(w*)X2: ich kann nen liter wasser wegtrinken. aber es ist
ne übung auf die toilette zu gehen.
I: und meint ihr männer haben da keine probleme mit?
(w*)X3: die männer müssen doch nicht mals ne toilette
benutzen. die gehen ins gebüsch.
(w*)X1: ich wart bis ich zu hause bin wenn da keine
sauberen toiletten sind.
Hier zeigt sich eine direkte Verbindung zu den oben
genannten Auswirkungen fehlender öffentlicher Toiletten
für indische Frauen*, die auf diese angewiesen sind. Darüber
hinaus beschrieben die Frauen* aus Frankfurt in den
Interviews, dass sie warten würden, bis sie zu Hause seien.
Die Unterscheidung zwischen privater und öffentlicher
Kaufhaustoilette dar, die sich durch einen für die befragten
Frauen* gerade noch annehmbaren hygienischen Zustand
ausweist. Die Privatheit stellt eine Sphäre dar, die mit
höherer Sauberkeit assoziiert wird und in der Frauen* somit
tendenziell eher ihren körperlichen Bedürfnisse
nachkommen können. Die öffentliche Sphäre bietet hierfür
keine Möglichkeit, da zum einen das Urinieren im Freien für
Frauen* mit Scham belegt ist und zum anderen die
Möglichkeiten in Form öffentlicher Toiletten nicht mit den
Hygienevorstellungen vieler Frauen* korrelieren.
Die Sphärentrennung, die zwischen öffentlich und privat
unterscheidet, konstituiert sich mit und durch die Kontrolle
der Frauen*körper. Im Kontrast zu den Männern*, die sich
(zur Not) auch mal in der Öffentlichkeit erleichtern, gestaltet
sich die weibliche Defäkationspraxis kontrollierter und ist
explizit auf die Herstellung einer Privatheit angewiesen sei
es in Form des Schutzes der Dunkelheit, den eigenen vier
Wänden oder einer Toilettenkabine.
Durch die Gestaltung und Positionierung von Objekten und
Menschen konstituieren sich so öffentliche Toiletten
letztlich wie eine eigene kleine Welt, die Frauen* der
separierten Privatheit zuordnen und Männern* eine
öffentliche Sphäre repliziert.
Dieses Wechselgefüge geschlechtlich-räumlicher
Konstitution ist, dadurch, dass den Folgen jeweils
individuell begegnet wird und diese nicht als strukturelle
Diskriminierung wahrgenommen werden, nur schwer zu
Pissen* ist politisch: Feministische und kritisch-geographische Perspektiven auf Geographien der Notdurft
27
durchbrechen. Erschwert wird die Thematisierung, die es
erfordert, Verhältnisse ändern zu können auch hier mit dem
Verweis auf die Schamhaftigkeit der Verübung körperlicher
Bedürfnisse.
Toiletten: (k)ein Thema?
Über das Thema öffentlicher Toiletten zu reden, deren
Zustand oder Ausstattung anzusprechen, ist mit Scham
verbunden, was viele Frauen* daran hindert, ihre
Bedürfnisse zu artikulieren. Narasimhan dokumentiert die
Aussage einer Mutter, die mit ihrer Familie − betroffen von
dem Erdbeben in Gujarat 2001 − in einer Notunterkunft mit
dem Problem konfrontiert wird, aus Scham ihr Bedürfnis
nicht artikulieren zu können:
We can speak boldly about the lack of sheets and
pillows and blankets, but somehow find it difficult to
bring ourselves to mention toilets. That is a subject
we are not supposed to mention, it’s not done. It is
considered improper, unbecoming. Sharam aathi hai
(we feel ashamed). (Narasimhan 2002)
Interessanterweise erfuhr ich bei der Einreichung meiner
Themenwahl für die dem Beitrag zugrundeliegende
Masterarbeit ähnliche Reaktionen von Dozent*innen und
Kommiliton*innen wie die indischen Frauen*, die auch bei
mir ein latentes Gefühl der Scham entstehen ließen. Nicht
selten erhielt ich Hinweise, die mir die Skurrilität, die
Lächerlichkeit bis hin zur Banalität dieses Thema vor Augen
führten. Ich entschloss mich dazu, diese mit Emotionen
verknüpften gesellschaftlichen Grenzmarkierungen zu
übertreten und hielt mich dabei an die Worte der indischen
Toilettennutzung für Frauen* ein. Ihr Engagement in einem
Themenbereich, welches als Tabu-Thema dem Bereich des
Schmutzigen zugeordnet wurde, wurde belächelt oder gar
galt. Dennoch ließ sie sich dadurch nicht beirren:
Initially, this was considered a little frivolous. But we
told the People, ‘No, this is an important issue, and we
want to work on it. (Sheikh in: Yardley 2012: 2)
Fazit
Durch die geschlechterdifferenzierenden Körpernormen ist
die uns heute gängige Gestaltung öffentlicher Toiletten mit
Sitztoiletten für weibliche Besucherinnen*, als auch die
Ergänzung um Pissoirs für männliche* Besucher als
materielles Substrat zu fassen, in das gleichsam eine
Geschlechterhierarchie eingewoben ist. Öffentliche
Toiletten lehnen sich in ihrer Gestaltung deutlich stärker an
den Bedürfnissen von Männern* als an denen von Frauen*
an. Dadurch, dass die meisten öffentlichen Toiletten in dem
für Frauen* wie auch dem für Männer* zugedachten Bereich
Sitztoiletten bereitstellen, Männer*toiletten jedoch oftmals
zusätzlich durch Pissoirs ausgestattet sind, die eigens für
das Urinieren von Männern* in der Öffentlichkeit konzipiert
worden sind, wird das männliche Prinzip bevorzugt. Mit der
Gestaltung und der Platzierung von Sanitärobjekten unter
der besonderen Berücksichtigung männlicher Bedürfnisse
werden nicht nur ungleiche Chancen in Bezug auf die
Raumkonstitution und Handlungsoptionen ausgedrückt
und reproduziert (zu denken ist hier an den
der Grundlage eines erhöhten antizipierten Ekels zugunsten
auch auf der Ebene der körperlichen Wahrnehmung an die
Körper rückgebunden und somit naturalisiert. Die
Einschreibung in die Körper als vergeschlechtlichter
Habitus in Form von Wahrnehmungsschemata führt zu
einer Komplizenschaft hinlänglich dieser räumlichen
Konstitutionsmacht, wenn Frauen* sich aufgrund von Ekel
und Scham aus einem öffentlich konstituierten Raum selbst
exkludieren (siehe hierzu: Bourdieu 2005: 73). Die
besondere Berücksichtigung männlicher Bedürfnisse,
verknüpfend mit der geringeren gesellschaftlichen
Schambelegung männlichen Urinierens im Freien, lassen die
wiederum im
Faktor Geld und dem Faktor Zeit (kostenpflichte Toiletten
müssen erst einmal aufgesucht werden).
Die Analyse öffentlicher Toiletten in Frankfurt a.M. hat
gezeigt, dass die Verknüpfung von Raum und Geschlecht
ähnlichen Strukturierungen folgt und vergleichbare Effekte
Feministisches Geo-RundMail Nr. 84, Dezember 2020
28
hervorbringt wie innerhalb der oben angeführten
Beschreibungen und Aussagen über die Auswirkungen
fehlender Toiletten in Indien auf davon betroffene Frauen*.
Einen mitleidigen Blick auf die Frauen* des globalen Südens
unter gleichzeitiger Betonung eines geschlechtergerechten
fortschrittlichen Deutschlands zu werfen, kann man sich
daher sparen. Nichtsdestotrotz gilt es, sowohl räumlich-
soziale Ausschlüsse als auch die Folgen, die mit der
Konstitution öffentlicher Toiletten verbunden sind und in
die das gesellschaftliche Geschlechterarrangement
eingeschrieben sind, als strukturelle Diskriminierungen zu
betrachten. Abseits individueller Problemlösungsstrategien
ermöglicht eine solche Einordnung die Artikulation eines
Anspruches auf das Recht gleichberechtigter Teilhabe mit
dem Ziel,
156) für alle Menschen zu erweitern.
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Pissen* ist politisch: Feministische und kritisch-geographische Perspektiven auf Geographien der Notdurft
29
Fieldwork and toilets: Pooping with a view – why
following nature’s call in nature is not always easy-
“peezy”
Floreana Miesen (University of Lausanne)
I am a physical geographer, I work in remote environments,
I am a woman, and several times a day − likely everyone else
− I need to go to the toilet. Somehow, this seems to be a
difficult combination. Firstly, being a woman in geosciences
is still not so very common. Secondly, looking more
specifically at geosciences, and, as in my case,
geomorphology, there is a tendency to be intrigued by
meaning scarce landscapes without much vegetation, where
surface. In my case, I have a passion for tree-less
environments, high above the forest, in the mountains, or far
up north, where the tallest woody plant may barely reach
the height of your knee. The remoteness of these often
mostly untouched, wild landscapes is fascinating. However,
there are often no public toilets and there is almost nowhere
to hide.
The freedom of peeing in nature can be quite liberating. How
often can you have the greatest view of a mesmerising
glacier surrounded by some of the highest peak in
Switzerland while relieving yourself? A friend told me how
much she enjoyed this whenever being out for fieldwork:
ressed about finding the next public
bathroom
Things may get complicated and less comfortable for people
who need to squad down to pee, who menstruate and who
are therefore suddenly confronted with a lack of comfort.
Peeing in nature is much less normalised for most of those
people who need to squad down than for those who can pee
standing upright. In my experience, the former are much
more likely to await the next public restroom opportunity
during a normal hike day, than cismen, who are used to
easily relieve themselves, often enough without
complications. Moreover, peeing outside for people who
cannot simply pee standing upright is different from peeing
using a normal toilet. For some cultures, squatting down is
not normal and the body position changes from comfortably
sitting on a porcelain throne to a small workout while
crouching down.
The hiding issue
I first encountered the particular difficulty of peeing
outdoors during fieldwork, when I was assisting a research
project in South America as a young female bachelor student
in an all-male group.
morning on the back of a pick-up van after 45 minutes,
the morning tea had made
the meantime. The guys would just hop off the van, enjoy the
morning sun and pee majestically down the cliff. Meanwhile,
I would be desperately looking for a big boulder to hide
behind, and by the time I found one, the others would
to catch up with them. My position as young, unexperienced
assistant in this hierarchical constellation made the struggle
of dealing with my female way of peeing unique in this
group particularly challenging. More recently, I was
walking down a valley with a male colleague. At some point
Hiding still seems to be the norm for those who need to
squat to pee, while if you stand to pee, you may just stay in
the close vicinity of everyone else. The latter is widely
accepted while hiding when squatting down is widely
expected. Complaints about this logistical unfairness often
lead
suggesting the typically male practise as the norm that
others may be generously granted access to. However, there
is also a social norm for feeling embarrassment when
exposing oneself. Depending on what one wears, squatting
down entails a greater exposure of private body parts, than
In some landscapes, hiding can actually be quite risky.
Imagine having to worry about finding a good hiding spot,
but at the same time also worrying about not encountering
any dangerous animals, such as snakes, grizzlies, polar bears
Feministisches Geo-RundMail Nr. 84, Dezember 2020
30
or being hit by rock fall or falling off a cliff. In these cases,
can be quite essential in terms of safety.
Sometimes, having to go to the toilet can be even more
challenging. A friend recently went to do some fieldwork in
the Arctic, where she spent several hours a day on a small
boat with a little cabin, without a toilet on board (Fig. 1).
While her male colleagues would just pee over the boat rim
directly into the iceberg filled Arctic Ocean, she would have
to ask everyone to leave the cabin to get some privacy, pee
into a bucket, which she would then have to empty out into
the sea. The discomfort in having to expel her colleagues,
perhaps sending them to stand outside on deck in the cold
or even rain, and then having to deal with the steaming
contents of the bucket in front of everyone else was
painstaking for her.
While it is widely acknowledged that some people will hide
in order to not be seen, there seems to be less awareness
about the fact that many similarly don't want to see others
doing their business. In a discussion with members of the
times, when colleagues of mine have stepped slightly aside,
while carrying on a conversation, and when I turn from what
it was I'm doing, I realise they are peeing with their back to
me, so they weren't flashing me, but it was startling to
Privacy is thus not only about not exposing oneself to others,
but also about not unwillingly being pushed into someone
field trip, we found ourselves entrenched in a small minibus,
driving down an incredibly straight road in the drylands of
North West Argentina. There was no service station,
nowhere to hide, until we reached a little dam on the side of
the road. Because everyone felt a little pressure on their
in the ditc
both quite happy to finally relieve ourselves, but also feeling
incredibly awkward. I remember concentrating hard not to
look anywhere else but only at the spot right in front of my
feet, because I felt too ashamed to watch the others pee. The
unanimous giggling told me straight away that this was also
weird and uncomfortable for everyone else. Why so?
Women, and many trans and/or non-binary people, are not
used to, and for that matter, not socialised to see each other
pee. Different to public toilets for upright standing peeing
else pee. There is privacy. There are walls between you and
the other person. There is no lining up along urinals while
having a nice chat together. This means that people that
need to crouch down in order to pee are not only much less
used to other people seeing them do that as they expose
themselves much more. They are also much less used to
seeing other people do the same thing. Finally, organising
-manner is
also problematic in terms of inclusiveness and gender
diversity. Normalising and homogenising field toilets, asking
everyone to use the same toilet spot at all times avoids
simplified binary identification.
Sometimes, fieldwork required specific clothing, which in
many cases is primarily designed for male anatomy (cf. Nash
et al. 2019). During our fieldwork in a glacier-fed river, dry
suits kept us safe from getting soaked with ice-cold water.
However, many dry suits come with a so-
abdomen, designed for quick pee breaks without having to
are available with a butt flap to ease crouching down, but
1 There is no toilet on this boat in the Arctic – just a bucket. (private)
Pissen* ist politisch: Feministische und kritisch-geographische Perspektiven auf Geographien der Notdurft
31
these are less common and likely not the standard in any
gear room. Lily Cohen, a researcher from Alaska, shares her
experience of struggling with overall-suits while working in
the colUnfortunately, most [overalls] are designed
-consuming fumble of
taking off your parka before pulling down your [overall],
squatting, and reversing; all of which means losing a lot of
glaciers or other terrain that requires being secured by
ropes, typically encourages holding in instead of taking a pee
break.
There is some good advice around, if you look for it. Often
which likely
undermines the awareness of these challenges among other
individuals that do not feel addressed. Several blog post and
tweets provide comprehensible advice on how to pee in the
field, ranging from different squatting techniques such as
facing downhill to beware of the back splash and to avoid
getting wet feet; to how to deal with menstruation in the
field or how to find the best hiding spot. Many people
familiar with the issue will probably recommend helpful
devices, such as peeing funnels, antibacterial, re-usable pee-
cloths or menstruation cups. However, these solutions may
not be on the radar of unexperienced field participants. As
Kitty Jenkin, a rainforest explorer wrote in a post for the
socialised with, can be quite challenging. Having to use these
techniques for the first time in the field and not immediately
mastering them would likely add to the discomfort already
experienced with the issue of peeing in the first place. Again,
Lily Cohen reports in her
the directions that came with the pink rubber funnel, willed
myself to relax enough to pee while standing up, and let go.
A golden trickle came out of the funnel but it mostly ran
over my hand, down my legs and into my socks. I wish I
could explain to my male colleagues the combined feelings
of failure and humiliation that accompany walking
peeing on myself; i
Because it is so much more complicated to pee during
fieldwork for some people, there is not only a tendency to
ter in order to
were the hardest part of my degree - after a couple of
sarcastic comments by staff I simply refused to drink
especially over several weeks, can be quite dangerous, and
experience in these types of landscapes anyway dry air,
high altitude, and intense sun radiation wear you down (cf.
Mendez 2019).
Pooping versus peeing and why it’s not the same trouble
When it comes to pooping outside, one might think that the
issue is equally uncomfortable for all genders. As we
generally poop less often than we urinate, the chances of
having to take an extended toilet break on a normal Sunday
stroll in the forest are much lower and hence, we are all not
very used to pooping outside.
One of my first field camps was likely the worst example for
how to deal with pooping outside. At an altitude of 3000m
above sea-level (no trees in sight), we had no proper shelter
except for the car and our personal tents. There was no
designated toilet spot. After the morning porridge, everyone
would just grab a toilet paper roll and somehow disappear
in the bushes. How stressful to find a spot, that was both well
hidden, not already overused, and at the same time, making
sure that no one of the others would accidentally start
walking into my direction. Stress famously affects many
-
pooping-challe
environmentally insensible to simply leave toilet paper
behind instead of deeply burying or simply taking it to the
trash, as it decomposes only very slowly.
Designated toilet spots are therefore a very good idea. In my
latest field camp, we dug a big hole downstream of the camp,
Feministisches Geo-RundMail Nr. 84, Dezember 2020
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where poo and toilet paper would get buried (Fig. 2). Every
couple of days, or weeks, depending on the amount of people
at camp, a new hole had to be dug. There was a system of
telling other people that the toilet was busy, by placing a
shovel with a toilet paper roll around it on a rock in the base
camp, that one would pick up to go to the toilet. When the
shovel was gone, the toilet was occupied. This worked quite
well. However, some people never used those common
toilets. Notably some male colleagues preferred finding
their very own private pooping spot. This surprised me as
There was also a misconception of how frequently and for
which purposes this toilet was used. I delighted that a young
male student at camp respectfully asked whether it was
generally okay to pee somewhere else but in the
pit. Next thing, I was taken aback when my colleague then
dent
noticed some of the female students queueing for the shovel
in the evening, to have one last pee before crawling into the
sleeping bag, while the guys would just step to the side and
pee while watching the beautiful sun set.
In other environments, the trace of human activity must be
kept at an even lower level. In the dry valleys in Antarctica,
for example, Dawn Sumner, a US-American scientist and
blogger reports. Poo buckets, which also serve as the official
toilet when a toilet seat is attached, need to be flown back to
the US for disposal (Fig. 3). Pee has to be strictly separated,
collected in bottles, processed and disposed in the ocean.
Where dealing with human waste needs to follow strict
protocols, potentially clearer norms for toilets may be
established and gender inequity reduced.
Even the amount of toilet paper needed varies among
gender. People who need to squat are much more likely to
use toilet paper when they pee, than people who stand to
pee. Again, coming back to the camp in Argentina, I was
fighting for a second pack of toilet paper, because yes, I need
to dry myself after peeing. Toilet paper is a very precious
thing in the field. Never leave your toilet paper out in the
rain bad idea (Fig. 4). When I do field work, the pockets of
my trousers usually become bulged quickly from the many
layers of toilet paper that I carry around to always be on the
safe side. In some environments, especially dry area, it can
be environmentally insensitive to bury toilet paper, so many
outdoor lovers advocate either burning toilet paper or
simply taking it back home.
Hygienic concerns
Typically, with the lack of a proper toilet comes a lack of
hygiene. Pee-related health issues and yeast infections are
much more common among people with short urinary tracts
than those with long ones - especially in the field.
Disinfection gels and sprays can be quite useful, especially
when there is not running water nearby. However, after
inserting a tampon, a hand sanitizing spray will not really
2 The toilet pit in the Swiss Alps
with a view uphill towards the
glacier. Including a bin, small
plastic bags and spare toi-let
paper. (Floreana Miesen)
3 A pop-up toilet tent with a
bucket in a dry valley in
Antarctica.
(http://cyanobacterialadventu
res.blogspot.com/)
4 Toilet paper is precious – a soaked and frozen roll on the toilet
shovel after a snowstorm. (Floreana Miesen)
Pissen* ist politisch: Feministische und kritisch-geographische Perspektiven auf Geographien der Notdurft
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make you The fact that some colleagues will likely
menstruate during fieldwork is still rarely talked about. At
the latest field camp, I had to explain why I wanted bin to be
put directly next to the toilet pit something that hadn
existed at that camp before: Avoiding the humiliation of
carrying your menstruation product across the entire camp
to the only other bin in the kitchen tent. When away from
the basecamp, dealing with periods can be quite
troublesome, when used tampons or pads should to be
packed out and later be disposed. Emily Graslie, a YouTube
blogger and Chief Curiosity Correspondent for the Field
Museum in Chicago, shared her experience on twitter,
throw away my
For other people, hygiene is not only a matter of personal
comfort. Staying clean may also have high importance for
religious reasons. For example, Muslim participants may
wish to wash themselves regularly before prayer, which can
be difficult in the field.
Communication issues
Talking about toilet issues is not easy for everyone. I have
worked with guys that like to brag about the size of their
dump, or about not washing their hands. As a woman, this
easily creates some discomfort and when similarly, openly
talking about these topics, a fragile threshold persists
between being celebrated for a certain coolness or amiable
cheekiness, and an intimidating awkwardness. Notably, in
physical geographers, gender sensitive language has not at
all reached the same level of normality as it has among
human geographers.
As a female field technician running a basecamp in the Alps
for a mixed gender team, I put a lot of thought into the issue
of field toilets, likely more than the male colleagues who had
been entrusted with the same task before me. I have found
it challenging to phrase guidelines for toilet routines in the
field that will raise some awareness about potential
discomfort and guide people on how to be respectful with
each other. Phrasing my ideas in a way that they are rather
encouraging than accusatory remains to a struggle. Talking
openly about anatomy-specific concerns when conducting
fieldwork in remote terrain should be on the agenda of every
research campaign. Otherwise, geoscience may remain with
its gender imbalance. As Frances Butcher wrote in a Twitter
scheduled toilet stops or consideration for those with
additional needs. Every time it happens, I question whether
I'm cut out for this career. I dread to think how much talent
Acknowledgements: I would like to thank Carmen Braun of
the University of Tromsø for their helpful advice on this text.
References
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Prevention. URL: https://www.wfa.net/blog/dehydration-
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Nash, M., H. E. F. Nielsen, J. Shaw, M. King, M.-A. Lea & N. Bax,
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fieldwork. PLoSONE 14/1: e0209983. URL:
https://doi.org/10.1371/journal.pone.0209983
(02.12.2020)
Feministisches Geo-RundMail Nr. 84, Dezember 2020
34
Women Don’t Poop!
Carl-Friedrich Richter (Designer und Künstler, Potsdam)
Ich bin Carl-Friedrich Richter (29) – kurz Friedrichter,
Designer und Künstler aus Potsdam. Als Gestalter für visuelle
Kommunikation und Transformation, bewege ich mich bei
meiner Arbeit häufig an den Schnittstellen zwischen Kunst,
Design und Wissenschaft. Dabei schaffe ich auf der einen Seite
ganz praktische, angewandte Problemlösungen. Auf der
anderen Seite erkunde ich wie sich die Methoden des Designs
dazu nutzen lassen die gesellschaftlichen Herausforderungen
von Heute und Morgen in einen Diskurs zu überführen.
Es ist fünf vor Sex: Ein elegant gekleidetes Paar, die beiden
könnten just der letzten Bambi Verleihung entflohen sein,
scheint die Nacht mit einem erotischen Abenteuer
verkürzen zu wollen. Barry White trällert irgendwo aus dem
Off seine Soulschnulze Just the Way You Are, während sich
das Paar zielstrebig Richtung Bett bewegt. Als schließlich
die ersten Hüllen fallen, stößt sie ihn sanft, aber bestimmt
flüstert sie ihm zu. Verheißungsvolle Blicke
werden ausgetauscht, bevor sie sich auf den Weg Richtung
Badezimmer macht. Noch einmal wendet sie sich ihm zu:
ist härter als die
-Zeitung erscheint.
So inszenieren Jung von Matt (2011) mit ihrem Clip
Hotelzimmer die Bild-Zeitung als tabufreie Presse, als
diejenige, die Unaussprechliches ausspricht. Doch was
macht derartige Gestaltung mit der Gesellschaft? Nun
könnte man sich fragen: Was soll an dieser Stelle die harte,
unaussprechliche Wahrheit sein? Etwa, dass Frauen auch
kacken? Wer hätte das gedacht!
Die harte Wahrheit ist hier wohl eher die, dass sich die
patriarchalische Sichtweise, Frauen hätten nicht über
Derartiges zu sprechen, irgendwie über die Jahrhunderte bis
in die heutige Zeit retten konnte. Es braucht keine
Expert*innen, um zu erkennen, dass dies wohl nicht die
Kernbotschaft war, die die preisgekrönte Werbeagentur
hier im Sinn hatte. Denn das Bild der kackenden Frau ist ein
Bild, von dem nicht einmal das so vermeidlich liberale 21.
Jahrhundert etwas wissen will.
Während sich in Deutschland der kleine Maulwurf darüber
wundert, wer ihm auf den Kopf gekackt hat ja, das ist
tatsächlich der Inhalt eines beliebten Kinderbuchs zum
Thema Toilettenerziehung (vgl. Holzwarth 1997) ,
versucht in Japan, Spanien und dem englischsprachigen
Raum der Kinderbuchklassiker Everybody Poops, zuletzt
2016 neu aufgelegt, die Kinder dieser Welt zu mehr
Offenheit gegenüber der Scheiße zu erziehen. Die klare
Botschaft des von Taro Gomi liebevoll illustrierten Buchs
lautet: Schau her, jeder, ob Mann oder Maus, ja auch die
Schildkröte, muss irgendwann einmal kacken hab keine
Angst, schäme dich deiner nicht.
Die Abbildung einer Frau auf dem Klo sucht man zwischen
all der bunten, kotenden Vielfalt jedoch vergebens.
Auch dank des kanadischen Unternehmens Scentsible LLC
(Poo~Pourri o.J.).
Man
vermarktet äußerst erfolgreich Duftwässer der Marke
PooPourri. In einem unterhaltsamen zweiminütigen
Werbefilm mit dem Titel Girls don’t poop berichtet eine
elegant, im 70er Jahre Chic gekleidete junge Frau, auf dem
Klo sitzend, äußerst bildhaft über den riesigen Haufen, den
sie soeben in die Keramik gedrückt hat. Man würde ihr, so
sagt sie, ohnehin nicht glauben und so solle es ihrer Meinung
nach auch bleiben. Schließlich gäbe es nichts Peinlicheres
und Schlimmeres als die Gemeinschaftstoilette auf der
Arbeit oder das Klo des Partners zu verpesten. Wer kennt
das nicht?
Während sie vor immer wechselnden Szenerien auf der
Toilettenschüssel hockt, als wäre nichts gewesen, plaudert
sie liebenswürdig nonchalant über die Beseitigung
sämtlicher Beweise ihres unglaublich gro
course, flushing removes the graphic evidence. Maybe two
or three flushes, if your skid marks are as tenacious as mine.
But what can be done of that subtle scent of a 300-cow dairy
do
Die Antwort ist direkt gefunden: PooPourri
go to toilet spray that is proven to trap those embarrassing
Pissen* ist politisch: Feministische und kritisch-geographische Perspektiven auf Geographien der Notdurft
35
(ebd.). Das Video wurde bis heute über 42 Millionen Mal
gesehen und um zahlreiche ähnliche Clips auf dem YouTube-
Kanal des Unternehmens erweitert. Zwar tauchen seit 2016
vereinzelt auch Männer in den Videos auf, jedoch scheint die
Hauptzielgruppe weiblich zu sein. Die Gestaltung der
Produktwelt spricht in dieser Hinsicht Bände. Neben einer
klischeelastigen, äußerst blumigen Bildsprache in
Webdesign und Packaging sind nicht nur die
Protagonist*innen der Videos und Produktbilder
überwiegend weiblichen Geschlechts und wenden sich
sprachlich mit dem adressierten Problem an Frauen, auch
die auf der Website aufgeführten Testimonials tragen
nahezu ausschließlich weibliche Vornamen. Wenn wir über
die Zielgruppe dieser Gestaltung sprechen, sprechen wir
von Frauen und vereinzelt Männern, denen derartige, wenn
auch mit einem Augenzwinkern durchaus provokante,
Werbekampagnen immer wieder vor Augen führen, wie
peinlich und schlimm es sei, mitzubekommen, wenn sie auf
der Toilette sind.
Als letztes Beispiel sei an dieser Stelle die Otohime, auf
80er Jahre die Hardware- und seit kurzem auch Software-
Wassersparlösung aus Japan. Otohime ist für Menschen
gedacht, die sich auf der Toilette ihrer Geräusche schämen
und die Spülung nutzen, um ihr Pupsen, Plätschern und
Plumpsen zu übertönen. Dass dieses, insbesondere unter
japanischen Frauen, weit verbreitete Verhalten sich
gravierend auf den Wasserverbrauch auswirken kann,
verwundert nicht. Der kleine graue Kasten verspricht hier
Abhilfe. Auf Knopfdruck simuliert er das Geräusch der
Klospülung. Der Hersteller Toto spricht auf seiner Website
von einer Wasserersparnis von bis zu 38 Liter pro Tag und
Kopf, die sie nach der Installation der Otohime auf jeder der
27 Frauentoiletten des Firmencampus erzielen konnten
(Keiko 2009).
Mittlerweile sind die Otohime und vergleichbare Geräte zu
einem weit verbreiteten Standard in Japans Frauentoiletten
geworden. Fast 80% der ca. 1600 befragten berufstätigen
Japanerinnen zwischen 20 und 40 Jahre gaben in einer
Umfrage des Unternehmens Toto an, das Gerät zu
verwenden oder verwenden zu wollen, wenn es auf einer
Toilette vorhanden ist (ebd.). Der Schritt zu tragbaren
Geräten für die Handtasche, wie der eco hime oder der App
Eco Lady, war von diesem Standpunkt aus nicht weit.
Design für Komfort ist ein zweischneidiges Schwert…
der Toilette geht. Das Klo ist für die Mehrzahl der Menschen
ein Ort der Privatsphäre, den sie nur ungerne teilen. Selbst
in intimen Partnerschaften gaben laut einer Umfrage des
Marktforschungsunternehmens GfK 43% der Befragten an,
während des großen oder kleinen Geschäfts lieber auf die
Anwesenheit des Partners oder der Partnerin zu verzichten
(dpa/sv 2010) Ganze 72% aller Deutschen wollen
unabhängig von Beziehung und Partnerschaft absolute Ruhe
auf der Toilette. Das ermittelte das
Marktforschungsunternehmen Zukunftsinstitut im Rahmen
einer Trendstudie im Auftrag des
Sanitärprodukteherstellers Geberit (Steinle et al. 2013: 10).
Fakt ist, Unsere moralische Liberalität deckt sich heutzutage
nicht mit der Einstellung zu unserem Körper. Hier tut die
Konsumkultur ihr übriges, die Ablehnung gegen alles, was
nicht schlank, straff, haar- oder geruchlos ist zu befeuern.
Konstant kreieren wir Leitbilder versiegelter Wesen, die frei
von Natürlichkeit und Körperlichkeit sind. Um diesem Bild
gerecht zu werden, benötigen wir versiegelte Räume, um
unsere Notdurft zu verrichten (Barcan 2010: 28f).
Gestalter*innen reagieren ihrerseits mit Mechanismen des
Einschließens, Verblendens und Übertünchens. Heutige
Standards wie Toilettenkabinen, Sicht- und
Spritzschutzmaßnahmen zwischen Pissoirs, Duftspender
und deren Produktwelten sowie pseudosterile
Raumgestaltung, können genau als derartige Mechanismen
und somit als direkte Reaktionen auf Schamschwellen und
Ängste der Benutzer*innen verstanden werden. Oft sind es
jedoch genau diese Reaktionen, die unerfüllbare
Erwartungshaltungen erzeugen, die ihrerseits zu mehr und
neuen Ängsten führen.
Aus rein wirtschaftlicher Sicht mag es durchaus Sinn
ergeben, reflexartig aus Ängsten geborene Bedürfnisse mit
einer einfachen Lösung zu versehen. Schnell einen
Sichtschutz um die Schüssel gezimmert, ein Störgeräusch
Feministisches Geo-RundMail Nr. 84, Dezember 2020
36
eingespielt oder einen Duft drüber gesprüht und schon
scheint das Problem gebannt. Die Verkaufszahlen, etwa von
Poo-Pourri, sprechen für sich. Allein 2018 verkaufte das
kanadische Unternehmen rund 13 Millionen Flaschen seines
Toilettendufts und nahm damit laut forbes.com 63 Millionen
Dollar ein (Berg 2019).
Vor dem sozialen Hintergrund gleichen die genannten
Beispiele jedoch eher der symptomatischen Behandlung
eines Krebsgeschwürs mit einem starken Schmerzmittel.
Die Scham ist für den Moment gebannt, doch langfristig
findet kein Gewinn statt. Das schamhafte oder ängstliche
Verhalten wird dabei nicht an der Wurzel gepackt. Eine
Auseinandersetzung mit sich selbst und dem schwierigen
Thema der eignen Körperlichkeit findet nicht statt.
Natürlich mag es im ersten Moment Sinn ergeben, den
Konsument*innen eine einfache Lösung ihres Problems
anzubieten. Doch sollte dabei immer im Hinterkopf behalten
werden, was für transformatorische Prozesse damit auf
gesellschaftlicher Ebene angestoßen werden. Bestätigt und
bestärkt man Menschen fortwährend in ihrem affektierten
Verhalten, scheint es im Rahmen des Möglichen, dass weder
ein gesellschaftlicher Dialog stattfindet noch eine positive
Veränderung des Problems erzielt wird. Möglicherweise
trägt die genannte Bestärkung am Ende sogar dazu bei,
unrealistische und unerfüllbare Standards, etwa in Bezug
auf Hygienevorstellungen und Natürlichkeits- und
Körperlichkeitsdenken, zu etablieren, Entkörperlichung
voranzutreiben und/oder eben auch Schamschwellen, auf
unerwünschte Art und Weise, zu verschieben.
So beschreibt auch Ruth Barcan in ihrem Paper Separation,
Concealment, and Shame in the Public Toilet das Element der
Toilettenkabinen, insbesondere vor dem Hintergrund der
Einsamkeit, eine zeitraubende Auferlegung, ein Schutz vor
Barcan 2010: 32) und als einen möglichen Motor
für die Entstehung von Schamhaftigkeit. Die Toilettenkabine
stelle, so Barcan, eine Trennung zwischen natürlichen
Körperfunktionen, Privatheit und der Öffentlichkeit dar. Sie
würde so direkt unsere Idee von Natürlichkeit und dem
Sozialen beeinflussen. Solange dieses Gestaltungskonzept
alternativlos sei, stelle es einen Zwang zur Separation
voneinander dar, was sich direkt auf das Verhalten der
Nutzer*innen auswirke (ebd.).
„The Critical Loo“ – Ein Appell an Gestalter*innen
Fest steht, wir alle werden geboren und müssen irgendwann
einmal sterben. In der Zwischenzeit wird unser Leben, ob
wir wollen oder nicht, von einer Vielzahl natürlicher
Rhythmen und Kreisläufe diktiert vom Aufwachen am
Morgen bis zum Einschlafen am Abend. Wir essen, wir
trinken und schließlich überkommt uns das dringende
Bedürfnis, all die Dinge, die unser Körper nicht verwerten
konnte, wieder loszuwerden. Der Gang auf die Toilette ist
unser täglicher Begleiter, doch über das, was und wie wir es
dort tun, bewahren wir in aller Regel Stillschweigen.
Das stille Örtchen schafft es, die Gesellschaft im kleinsten
gemeinsamen Nenner gleichzeitig zu einen und in vielerlei
Hinsicht zu spalten. Die Toilette polarisiert und täglich
bewegt man sich an diesem Ort im Spannungsfeld sozialer
Regeln und Normen. Hier kollidieren evidenzbasierte
Fakten mit postindustriellen Sozialkonstrukten von
Natürlichkeit, Sauberkeit und Reinheit.
Während die Wirtschaft die in diesem Bereich
vorherrschenden Schamgefühle und Ängste längst als
profitable Cashcow erschlossen hat, gewinnt in Teilen der
Bevölkerung die Diskussion über soziale Ungleichheit, etwa
zwischen den Geschlechtern, immer mehr an Fahrt. Das
Verhalten auf der Toilette wird zum Brennglas sozialer
Phänomene und erlaubt direkte Rückschlüsse auf die
Funktionalität der Gesellschaft. Wer denkt, hier ginge es nur
um das Verschwindenlassen übelriechender Stoffwechsel-
Endprodukte, verkennt dabei die Vielschichtigkeitdieses
Themas.
Insbesondere frei zugängliche Toiletten erfahren oft
heftigste Stigmatisierung. In weiten Teilen der Gesellschaft
sind sie umstrittene Orte, geradezu No-Go-Areas, die
vielfach nur dann aufgesucht werden, wenn es keine
Alternative mehr gibt. Zahlreich sind die Mechanismen von
Angst, Ekel und Scham, die dabei eine Rolle spielen und
dafür sorgen, dass der Gang zur Toilette für manche zum
Spießrutenlauf wird. Wirtschaftlich wird mit Gestaltung
Pissen* ist politisch: Feministische und kritisch-geographische Perspektiven auf Geographien der Notdurft
37
reagiert, die diese Formen oft irrationalen Unbehagens
symptomatisch behandelt. Ursächlich ändert dies nichts
daran, dass sich zahlreiche Menschen etwa ihrer
Ausscheidungen und Körpergeräusche schämen. Im
Gegenteil: Glaubt man etwa den Ausführungen des
Soziologen Norbert Elias, sei davon auszugehen, dass sich
Schamschwellen in Zukunft noch weiter verschieben
werden. Elias beschreibt diesen Prozess innerhalb seiner
zivilisatorischen Evolutionstheorie als stetiges Vorrücken
von Scham- und Peinlichkeitsschwellen, vor dem
Hintergrund wachsender Rationalisierung,
Reglementierung und Normierung innerhalb des
gesellschaftlichen Entwicklungs- und Wandlungsprozesses
(Elias 1982: 397ff). So gesehen stünden wir heute auf dem
Gipfel dieser Entwicklung. Und tatsächlich verwundert der
heutige, tabubehaftete Umgang mit den menschlichen
Stoffwechselendprodukten im Vergleich zu aktuellen
liberalen Werten. Man könnte meinen, wir befänden uns
inmitten eines Trends der Entkörperlichung, einer Abkehr
von unserer Natur.
Als Designer für visuelle Kommunikation und
Transformation habe ich es mir im Rahmen meiner
Abschlussarbeit zur Aufgabe gemacht, diesen Phänomenen
auf den Grund zu gehen. In meiner Forschungsarbeit The
Critical Loo betrachte ich öffentliche Toiletten auf einer
designtheoretischen Ebene als Ort und Gegenstand der
Kommunikation und Missverständnisse. Ausgehend davon
habe ich mich mit den Bedürfnissen, Problemen und
Ängsten der Toiletten-Nutzer*innen auseinandergesetzt. Im
Vordergrund stand für mich die Frage nach der Rolle von
Gestaltung in diesem Kontext. Wie gehen wir als
Designer*innen mit einem Thema um, das voller
Redeverbote und Tabus steckt? Und was kann Design auf
der Toilette leisten, wenn es darum geht, mit Scham und
Ängsten umzugehen?
Mir wurde klar: eine ganze Menge! Meiner Ansicht nach ist
es hier jedoch von entscheidender Bedeutung, dass an den
richtigen Stellen angesetzt wird. Anstatt die Mittel und
Methoden, die Design bietet, dazu zu nutzen, Probleme zu
übertünchen, sollten wir als Gestalter*innen verstärkt
unsere Problemlösekompetenzen einsetzen, um für ein
besseres Verständnis des Menschen und ein positives
Zusammenleben einzutreten.
In erster Linie können wir dies durch Forschung und gut
präsentierte sowie erlebbare Information leisten. Hierbei
sind vor allem die Bereiche Ausstellungsdesign,
Grafikdesign und Experience Design gefragt. Alle Forschung
nutzt nichts, wenn sie nur von einer Handvoll Personen
gelesen wird, ihre Blase also nicht verlassen kann. Hier ist
eine Transferleistung von Nöten, Forschung für jede*n
zugänglich zu machen.
Des Weiteren geht es darum, einen Diskurs darüber
anzustoßen, inwieweit sich der Umgang mit unserer
Körperlichkeit mit unseren sonst so liberalen Werten deckt,
und wo die Diskrepanzen liegen. Insbesondere auf der
Toilette zeigt sich, dass Tabuisierung und Sprechverbote
nicht nur zu einer Einschränkung der Lebensqualität
Einzelner führen, sondern auch zu einer Stagnation in der
Gestaltung. Wollen wir tatsächliche Innovation, müssen
diese Tabus aufgeweicht werden.
Was könnte dafür besser geeignet sein, als mit Design zu
provozieren, zu kritisieren und unser Weltbild
kontinuierlich zu hinterfragen?
Wir können auf diese Weise als Gestalter*innen dazu
beitragen, mit festgefahrenen, toxischen Denk- und
Verhaltensweisen der Gesellschaft zu brechen. Ein Anfang
könnte die Botschaft sein: Women do poop – so do men
and any other living beeing!
Die vollständige Arbeit findet sich unter
friedrichter.de/criticalloo sowie unter
https://www.researchgate.net/publication/338966575_The_
Critical_Loo_-
_Gestalterischer_Umgang_mit_Schamhaftigkeit_am_Beispiel_
offentlicher_Toiletten.
Literatur
Barcan, R., 2010: Separation, Concealment, and Shame in the
Public Toilet. S. 2542 in: Molotch, H. & L. Norén (Hrsg.):
Toilet: Public Restrooms and the Politics of Sharing, New
York: New York University Press.
Berg, M., 2019: How A Twice-Bankrupt Entrepreneur
Turned Poo-Pourri Toilet Spray into A $240 Million Fortune.
Forbes Magazine (2019). URL:
https://www.forbes.com/sites/maddieberg/2019/06/25/
Feministisches Geo-RundMail Nr. 84, Dezember 2020
38
how-a-twice-bankrupt-entrepreneur-turned-poo-pourri-
toilet-spray-into-a-240-million-fortune/#43f87a037b7e
(abgerufen am 19.12.2019).
Elias, N., 1982: Über den Prozess der Zivilisation.
Soziogenetische und psychogenetische untersuchungen.
Zweiter Band. Wandlungen der Gesellschaft. Entwurf zu
einer Theorie der Ziviisation. Frankfurt am Main: Surkamp
Verlag.
Holzwarth, W., 1997: Vom kleinen Maulwurf, der wissen
wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat. Wuppertal: Peter
Hammer Verlag.
Jung von Matt, 2014: TV-Spot Hotelzimmer. Bildzeitung.
meedia.de. URL: https://meedia.de/2014/12/04/diese-
print-werbung-wirkte-legendaere-jung-von-matt-arbeiten-
fuer-die-bild/ (abgerufen am: 19.12.2019).
Keiko, H., 2009: The Secrets of Girls Toilets. ITmedia.
Makoto. URL:
https://www.itmedia.co.jp/bizid/articles/0907/30/news0
47.html (aufgerufen am 19.12.2019).
Poo~Pourri, o.J. - PooPourri.com.
Werbefilm. URL:
https://www.youtube.com/watch?v=ZKLnhuzh9uY
(abgerufen am 19.12.2019).
Steinle, A., F. Bender, C. Friedemann & N. Steffen, 2013:
Körperbewusstsein und Hygiene im Wandel. Perspektiven
für das Dusch-WC. Zukunftstinstitut. Geberit. URL:
https://www.zukunftsinstitut.de/fileadmin/user_upload/P
ublikationen/Studien_und_Reports/Trendstudie_Geberit.p
df (abgerufen am 17.12.2019).
dpa/sv, 2010: Deutsche Paare gehen gemeinsam auf die
Toilette. Welt online (27.01.2010). URL:
https://www.welt.de/vermischtes/article5999998/Deutsc
he-Paare-gehen-gemeinsam-auf-die-Toilette.html
(abgerufen am 17.12.2019).
Pissen* ist politisch: Feministische und kritisch-geographische Perspektiven auf Geographien der Notdurft
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2 Klotopien
© Maria Arndt
Feministisches Geo-RundMail Nr. 84, Dezember 2020
40
Wie Queercrip-Allianzen um das Klo den
feministischen geographischen Blick erweitern
Mélina Germes (Centre National de la Recherche
Scientifique, Bordeaux & Berlin)
Mélina Germes forscht am Centre National de la Recherche
Scientifique (CNRS) in Bordeaux und Berlin in den Bereichen
Stadtforschung, Kritische Kartographie, Drogenpolitik sowie
Ableismus und Be_hinderung - und findet zu selten geeignete
Orte, um sich vom Lärm und Trubel der Welt zu erholen.
Toiletten gibt es überall aber nicht für alle. Frauen trauen
sich selten, in öffentliche Pissoirs oder gegen eine Wand in
der Öffentlichkeit zu pissen und warten lieber, bis sie im
Privaten angekommen sind. Trans* Personen laufen Gefahr
in binär gegenderten Toiletten bedroht zu werden und
müssen ihre Wege am Tag sorgfältig planen sowie auch
be_hinderte
1
Menschen mit Rollstuhl, nicht wegen einer
Gefahr, sondern der Unzugänglichkeit der Toilette.
Obdachlose Menschen sind wegen der Öffnungszeiten von
Hilfeeinrichtungen oft auf Grünanlagen angewiesen.
Kleinkinder, die noch Windeln brauchen, werden
beschimpft, während alternde Menschen spüren, wie sie zur
Last fallen, wenn sie wieder Windeln brauchen. Kranke
Menschen schämen sich, irgendwo zu erbrechen, auch wenn
ihnen der Zugang zur Toilette verweigert worden ist.
Wie können wir uns eine Toilette für alle vorstellen? Dieser
Text
2
soll die feministische (hauptsächlich
deutschsprachige) Geographie hinterfragen, vorrangig aus
dem Blickwinkel der Critical Disability Studies und der Crip
und Queer theories. Darüber hinaus möchte ich den
Vorstellungen darüber, welche Toilette den Bedürfnissen
aller gerecht werden könnte, freien Lauf lassen.
Wessen feministischer Blick?
Wenn wir von Feminismus hören oder sprechen, müssen
wir immer nachfragen: Von welchem Feminismus ist hier
die Rede? Die sogenannte dritte Welle der feministischen
Bewegung möchte Klasse und race mitdenken.
1
Diese Schreibweise wird von Mika Murstein so gerechtfertigt: um das
be_hindert werden durch die Gesellschaft zu betonen (Murstein 2018: 9)
2
Dieser Text wird (leider) in/für den gegenwärtigen westeuropäischen
Kontext geschrieben und berücksichtigt weder Umweltfragen noch Fragen
des (nicht-)Beschäftigungsverhältnisses der Personen, die die Toiletten
putzen. Beide sind doch so wesentlich.
Intersektionale Ansätze vermehren sich. Die Offenheit für
nicht-binäres und nicht-cis Denken und die
Miteinbeziehung queerer Ansätze wächst. Mit diesen
anderen Erfahrungen und Gedankengut kann Sexismus
vielfältiger begriffen und bekämpft werden. Doch ist den
Wenigsten bewusst, dass auch Ableismus mitgedacht
werden muss; wenn es Erwähnung findet, wird seine
Reichweite sehr unterschätzt. Nicht selten sind
feministische Kämpfe und/oder Theorien an der
Reproduktion von Ableismus beteiligt.
Exkurs: Was heißt Ableismus?
Ableismus ist eine Eindeutschung von „ableism“, der
Substantivierung des englischen Adjektivs „able“ (fähig,
geeignet, kompetent), dem Gegenteil von „disabled“
(behindert, versehrt, unfähig, invalid). Mika Murstein
definiert Ableismus so: „Ableismus ist weit mehr als
Be_hindertenfeindlichkeit. Das Wort bezeichnet sowohl eine
Unterdrückungsstruktur als auch ein Wertesystem in der
Leistungs-, Verwertungs- und Nützlichkeitsgesellschaft“
(Murstein 2018: 9). Ableismus richtet sich gegen eine Reihe
von Menschen, die wegen fehlender Anpassung der
Gesellschaft an ihren Körper und Geist strukturell
ausgeschlossen werden und/oder die ohne Grund
pathologisiert werden und/oder die krank sind, obwohl ihre
Symptome ignoriert werden. Ableismus ist neben Rassismus,
Sexismus und Klassismus eine grundlegende
Unterdrückungsstruktur, welche in institutioneller,
persönlicher und symbolischer Gewalt ihren Ausdruck findet.
Genauso wie Rassismus und Sexismus basiert Ableismus aus
„Othering“
3
der Betroffenen, die als Objekte aber selten als
Subjekte wahrgenommen werden.
Feminist*innen haben es geschafft, aus Care-Arbeit eine
wichtige gesellschaftliche Frage zu machen. Dabei haben
Care bislang kaum bis gar nicht beachtet die Menschen, die
Subjekte, für welche gesorgt werden muss, weil sie alleine
für ihre eigene alltägliche Reproduktion nicht sorgen
können. Somit reproduzieren diese Ansätze die
Machtverhältnisse, die den Care-Beziehungen
innenwohnen. Care (als individuelle oder institutionelle
3
Othering ist ein Prozess, in dem Differenzen zwischen Gruppen
hervorgehoben werden. Der eigenen Gruppe wird dabei Mehrwert und
positive Eigenschaften zugeschrieben; im Gegenteil werden anderen
Gruppe abgewertet bis zu der Verneinung der Existenzberechtigung. Dieses
Konzept erklärt z.B. wie Rassismus funktioniert.
Pissen* ist politisch: Feministische und kritisch-geographische Perspektiven auf Geographien der Notdurft
41
Praxis) ist oft ein Ort der Gewalt gegenüber alten, jungen,
be_hinderten und kranken Menschen: A disability
perspective nuances feminist theory’s consideration of the
ethic of care by examining the power relations between the
givers and receivers of care (Garland-Thomson 2011: 29).
Diese Menschen werden gerade aus der Perspektive dieser
feministischen Theorien und Praktiken kaum als politische
Subjekte (oder auch caregivers) verstanden.
Feminist*innen haben damals zurecht den in der
Wissenschaft und insbesondere in der Geographie
ihr befindlichen Körper untersucht und denunziert. Nun
möchte ich mit diesem Beitrag zeigen, wie der heutige
Feminismus, auch innerhalb der deutschsprachigen
Geographie, eine machtvolle Perspektive gegenüber
anderen Gruppen einnimmt und damit Ableismus
reproduziert. Der feministisch-geographische Blick soll
erweitert und besser positioniert werden, und dies ganz
besonders, was Ableismus angeht.
Wessen feministischer Blick vermittelt diesen Text? Ich bin
verbeamtete Forscher*in, tätig zwischen Bordeaux und
Berlin, seit längerem chronisch krank. Seit 2016 verstehe ich
mich als disabled und bin Aktivist*in in disability
movements.
Ableismus sehen und krank sein dürfen
Ableismus ist so stark verinnerlicht, dass wir ihn meistens
überhaupt nicht bemerken. Unsere gesellschaftlichen
Normen und Erwartungen sind von Ableismus geprägt: wie
wir laufen müssen; 40 Stunden pro Woche arbeiten;
Schulprüfungen bestehen; die nächste Haltestelle erreichen;
in d
Ableismus hat unseren Blick auf Be_hinderung so gestaltet,
dass es sie unsichtbar, unerkennbar, un-anerkennbar
macht. In diesem Text möchte ich insbesondere auf
unsichtbar gemachte Be_hinderungen eingehen.
Oft sehen wir selbst nicht, wenn wir von Ableismus
betroffen sind, wenn wir nicht dem typischen Bild einer
4
Neurodivergent/Neurodivergenz beschreibt die Tatsache, dass nicht alle
Menschen dasselbe neurologische System besitzen und schließt sehr
be_hinderten Person entsprechen sichtbare, richtige,
anerkannte Be_hinderung. Wir verstoßen vielleicht
tagtäglich gegen die Normen, reißen uns zusammen und
spüren, wie wir langsam daran zerbrechen.
Neurodivergenz
4
und chronische Krankheiten können und
sollten als Be_hinderungen verstanden werden, weil dieses
Befinden den ableistischen Normen und Idealen
widerspricht, weil wir diesen Widerspruch in unseren
Körper alltäglich spüren, und wir uns gegen medizinische
und psychiatrische Praktiken wehren müssen obwohl wir
Behandlungen brauchen.
In linken Kreisen gibt es beispielsweise den Reflex, aus der
Antipsychiatriebewegung übernommen, den Begriff
als Eigenschaft einer Person (und nicht als
vorübergehenden Zustand) als diskriminierend abzulehnen.
Bevorzugt wird der Fokus auf die (kapitalistische und
neoliberale) Gesellschaft gelegt, die uns physisch und
psychisch zerstört und unzumutbare Leistungserwartungen
hat: Kranksein sei daher (nur) ein Konstrukt. Die
die Selbstbezeichnung als krank bzw. be_hindert. Unsere
Schmerzen, Fatigue, Visionen sind real existierenden
Phänomene, die uns so oder so beeinträchtigen, die wir
nicht übersehen können, die uns eigen sind und die zu der
Natur gehören viele von uns sind einfach so geboren
geworden. Die gesellschaftlichen Bedingungen tragen nicht
immer die Verantwortung für unsere Zustände, doch trägt
unser Umfeld die Verantwortung für die Anpassungen an
diese, beispielsweise durch vielseitige Barrierefreiheit.
den Eingriff der Medizin, eine gewisse Entmündigung sowie
einen Ausschluss der Gesellschaft. Dass dies dennoch
geschieht, liegt jedoch in den Misshandlungen der Medizin
dem Disability-Aktivismus sowie aus den unterschiedlichen
Strängen der Critical Disability Studies lernen wir, dass
dauerhaftes Kranksein nicht als Abnormalität kategorisiert
werden darf. Kranksein gehört zur Vielfalt der Existenzen.
unterschiedliche Konditionen mit ein, von Autismus zu
Kognitionsschwierigkeiten.
Feministisches Geo-RundMail Nr. 84, Dezember 2020
42
Das Problem der medizinischen und gesellschaftlichen
Behandlung von kranken Menschen liegt in individuellen
und strukturellen (unsichtbaren) Ausschlüssen,
Stigmatisierungen, Leistungsstandards, der Verweigerung
von Behandlungen bis hin zum Töten oder Sterbenlassen
und dieses Problem heißt: Ableismus.
Viele von uns sind von Ableismus betroffen und leiden still
darunter, was sie als eigenen Mangel, Fehler und Schwäche
deuten. Ich habe zwanzig Jahren gebraucht, um mich selbst
als be_hindert zu bezeichnen. Zwar hatte ich dauerhafte
Symptome und wachsende Schmerzen, habe aber keine
Anpassungen oder Anerkennung erfahren, weder im
Studium noch in der Forschung. Oft war ich nicht fähig, an
einer Konferenz, einer Reise oder einem Treffen
teilzunehmen, manchmal musste ich leise und stumm
verzichten. Dafür habe ich mich geschämt und schuldig
gefühlt. Selbstverständlich ist es mir vorgeworfen worden
und ich wurde dadurch abgewertet. Ich weiß, dass es vielen
Leser*innen ähnlich geht. Wie ist es denn bei Dir?
Mittlerweile fordere ich Anpassungen aktiv ein und
verzichte nicht mehr stillschweigend. Mein
Beschäftigungsverhältnis ermöglicht es mir; doch eigentlich
sollte es für alle möglich sein.
Es ist von größter Wichtigkeit und Dringlichkeit, Ableismus
im (Queer-)Feminismus sowie in der Geographie immer
wieder zu thematisieren. Die Ignoranz, was Ableismus ist
und wie es sich auswirkt, ist ein Schweigen, das oft die
Grundlage für die Reproduktion der Unsichtbarmachung,
des Ausschlusses und der Unterdrückung ist. Mit diesem
Beitrag möchte ich die (geographische) Frage nach dem
Zugang zu Toiletten um eine anti-ableistische, queer-
feministische Perspektive erweitern.
Queercrip-Allianzen nach Alison Kafer
Dabei baue ich auf der Arbeit von Alison Kafer auf, die
Möglichkeiten von Queercrip-Allianzen auslotet. Mit ihrem
wesentlichen Beitrag zu den Disability Studies, indem sie
5
emanzipatorische Wiederaneignung (Selbstaneignung) eines abwertenden
Begriffs/eines Schimpfwortes.
eine Kultur- und Gesellschaftskritik um das Konzept von
Crip
5
Futures entwickelt. Von der Perspektive der Crip
Theory ausgehend, stützt sie sich auf Feministische und
Queere Debatten und kritisiert sie zugleich. Sie zeigt, wie
sehr in Kultur und Praxis die Idee verankert ist, dass
be_hinderte Menschen keine Zukunft haben sollten
anhand zahlreicher Beispiele aus dem US-Amerikanischen
Kontext, die in ähnlicher Art und Weise in westlichen
Kontexten zu finden sind: Eine ideale utopische
feministische Zukunft schließt Be_hinderung ausdrücklich
aus. Nicht nur unser Begriff von Normalität, sondern auch
unser Denken von Zukunft ist ableistisch: es sollen lieber
keine kranken (oder taube) Kinder geboren werden oder
wenn, dann sollen sie lieber ewig asexualisiert und nicht zu
selbstbestimmten Erwachsenen werden, die Assistenz
brauchen. Behinderung existiert nur, um überwunden zu
werden und dadurch als Anregung für nicht-behinderte
Menschen, ihre eigenen Grenzen zu überwinden. Letztes
Beispiel: Im Namen einer unantastbaren Natur verhindern
Umweltschützer*innen die Barrierefreiheit eines
Wanderpfades. Kafer zeigt, wie tief Ableismus verankert ist,
auch in feministischen, auch in queeren Ansätzen. Im
kunft,
Allianzen zu bilden, nach Herausforderungen des Ableismus
in anderen sozialen Bewegungen. All diese Bewegungen
können im Sinne von coalition politics (Reagon 1983)
zusammenarbeiten.
‚Calling all Restroom Revolutionaries!’
Restroom Revolutionaries! Coalescing around Bodies in
Der Zugang zu passenden
Toiletten ist eine Bedingung für die Teilnahme an sozialem
Leben und Toiletten werden daher zu umkämpften Orten.
Kafer erinnert in dem Abschnitt an die feministischen
Kämpfe für Toiletten, die nicht ausschließlich für Männer
gedacht sind. Sie erinnert an die US-amerikanische
Pissen* ist politisch: Feministische und kritisch-geographische Perspektiven auf Geographien der Notdurft
43
Segregation, während derer Schwarze keinen Zugang zu
Toiletten für Weiße hatten; und wie Toiletten zunehmend
sind und zur Verdrängung obdachloser und armen
Menschen beitragen. Die Zugänglichkeit von Toiletten ist
kein intimes Detail, sondern eine politische Aussage
darüber, wer wo und wann Präsenz zeigen darf.
Kafer erkennt die Möglichkeit eines queercrip-Bündnisses
um die Toilette als Raum (s. West 2010, Slater et al. 2018).
Queer, weil cis und nicht binäre Personen oft kein Klo finden
bzw. Aggressionen ausgesetzt sind. Crip, weil sehr wenige
Toiletten tatsächlich zugänglich und barrierefrei sind. Zum
Beispiel ermöglichen die zunehmend barrierearmen
Familien-Toiletten zwar primär Kindern und Menschen in
Begleitung genügend Platz und passende Ausstattung. Von
Kafer werden sie aber dennoch begrüßt, weil sie nicht-
binären Menschen einen genderneutralen Toilettengang
ermöglichen. Gerade da, wo die problematische
Entsexualisierung von be_hinderten Menschen zu einer
Überwindung der Binarität geführt hat, soll für Kafer
angesetzt werden, um mehr Räume für Trans* und Inter*
Personen zu schaffen. Die Toilette ist ein Ort der Koalition
zwischen queeren und be_hinderten Kämpfen.
Illustration 1 – Beispiele für inklusive Toilettenschilder
(Quelle: Eigene Abbildung)
Das von Kafer mit-initiierte PISSAR-Project (People In
Search of Safe and Accessible Restrooms) im Jahr 2003
bestand daraus, zugängliche Toilette für Trans* und
be_hinderte Personen auf dem Campus der University of
California zu rezensieren und zu kartieren. Das zweiseitige
Englisch ermöglicht, sich davon inspirieren zu lassen und
kritische Kartierungen zusammen zu tun.
Doch das Formular übersieht viele Nutzungen von Klos, die
weiteren Formen von Be_hinderung sowie queere Praktiken
entsprechen. Klos sind nicht nur Orte der Notdurft, sondern
Orte, wo weitere soziale Bedürfnisse einen letzten Raum
finden können.
Exkurs
−
wenn die Notdurft nicht auf ein Klo warten kann
Die Unfähigkeit, den eigenen Harn oder Stuhl zu halten, stellt
für viele Menschen eine Bedrohung dar, die eigene „Würde“ zu
verlieren. Oft hören wir: „Ich würde lieber sterben, als für den
Rest meines Lebens auf mich selbst zu pissen.“ Diese sehr
verbreitete Vorstellung basiert auf der ableistischen Ignoranz
der Lebensumstände vieler be_hinderter Personen, die im
Alltag sehr gut mit Inkontinenz umgehen. Manche
erwachsene be_hinderte Menschen tragen lieber eine Windel
als ihren Tagesablauf von der Erreichbarkeit einer
barrierefreien Toilette abhängig zu machen. Sie tragen diese
auch, weil sie keine Kontrolle über die Körperfunktion der
Ausscheidung haben. Andere tragen Urintaschen oder
Kolostomiebeutel. Das, was für viele nicht-be_hinderte und
junge Menschen einen Alptraum darstellt, ist für andere Alltag
und Routine. Wir verabscheuen Exkremente, die nicht direkt
aus dem Körper ins Abwassersystem gehen. Als ob es keine
anderen Wege gäbe. Als ob Windeln für Erwachsen nicht
hilfreich sein könnten. Als ob Urin und Kot nicht abwaschbar
wären. Als ob wir einander in solch überraschenden oder auch
erwartbaren Situationen nicht helfen könnten. Die
Vorstellung von Selbstständigkeit, die uns mit dem
„Sauberwerden“ vermittelt wird, vermittelt auch, dass ein
Leben ohne selbstständigen Toilettengang unwürdig wäre.
Viele be_hinderte Aktivist*innen erzählen hingegen, dass sie,
mit der notwendigen Ausstattung und Assistenz, ihr Leben
einwandfrei leben können. Doch bleibt die Frage offen, wer
(finanziellen) Zugang hat zu den vielen teuren Windeln, zu
den medizinischen Behandlungen und die ständige
Versorgung mit weiteren Ausscheidungshilfen und zu allen
sonstigen Maßnahmen die notwendig sind.
Klos für vielfältige Bedürfnisse
Daher möchte ich die Queercrip-Allianz ums Klo erweitern.
Auch wenn es nicht primär um die Notdurft geht sind Klos
für (andere) Crips und Queers auch wesentliche Orte in
vielen Räumen des sozialen Lebens.
Die Erfahrungen chronisch kranker Menschen zeigt, dass
Toiletten als Raum für Behandlungen, Rückzug, Erholung
und Hygiene notwendig sind.
Feministisches Geo-RundMail Nr. 84, Dezember 2020
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Medikation, auch wenn es nur um das Schlucken von
Tabletten geht, ist etwas Privates wer vor den Augen
anderer Menschen Tabletten schluckt, setzt sich immer der
Gefahr des Nachfragens (Was, Warum, Wie, Wie oft, etc.)
und Rechtfertigungsdruck aus. Umso mehr, wenn es um das
Injizieren oder Einsalben geht. Dafür ist mehr als eine
Kloschüssel hinter einer absperrbaren Tür notwendig. Auch
ein Waschbecken mit Trinkwasser und Behälter sowie
spritzengerechte Mülleimer sind notwendig. Sie können für
den Konsum von illegalisierten Substanzen genutzt werden,
die sonst nur draußen in der Stadt stattfinden.
Der Rückzug aus einer belastenden Situation ist oft das Ziel
des Toilettengangs für alle, die Erholung von Schmerzen,
Überempfindlichkeiten oder komplexen Zuständen
brauchen. Ein paar Minuten zum Ausatmen, zum Sitzen, in
der Stille und Dunkelheit neue Kraft schöpfen, vielleicht
manchmal auch weinen und zurückgehaltenen Emotionen
freien Lauf lassen. Das alles wird durch
Unterhaltungsmusik, automatische Lichtschalter oder
Parfüms, die Allergien triggern, verhindert. Toiletten sollten
auch als Orte der Erholung gestaltet werden.
Nicht nur an Flughäfen und Bahnhöfen ziehen sich
Menschen in Toiletten um weil sie ihr Aussehen verändern
auf ihrer Kleidung haben oder weil sie eine Katzenwäsche
machen wollen: hierfür werden ausreichend Garderoben-
Aufhänger sowie Tücher und entsprechende Mülleimer
gebraucht. Zum Passing gehört auch die Möglichkeit, sich zu
schminken ein Spiegel und gutes Licht werden gebraucht.
Ebenfalls, statt Hygienepapier sollen Wasserbehälter für die
Intimreinigung zu Verfügung stehen.
Da Toiletten solche wichtigen, sensiblen Orte sind, sollen sie
auch so erscheinen: diskriminierende Sprüche auf Wänden
sollen zugunsten von wichtigen Informationen für
verschiedene Arten von Notsituationen ersetzt werden.
Zuletzt sollten Toiletten unbedingt einfach zu finden sein
auch für blinde und sehbe_hinderte Menschen. Sie müssen
einfach im Stadtraum existieren und in geschlossenen
Räumen universal zugänglich sein.
Den feministischen Blick erweitern
Hier am Beispiel des Raumes Klo habe ich mit Hilfe Alison
Kafers gezeigt, wie sehr sich unser Denken und unsere
Vorstellungen um Räume erweitern können, wenn wir der
Vielfalt der anti-ableistischen Stimmen und nicht-
normierter Körper ernst nehmen. Klos sind nicht nur
politische Orte, für die unterschiedliche Gruppen in der
Geschichte gekämpft haben und immer noch kämpfen. Klos
können viel mehr als das werden: Orte für erweiterte
Koalitionen und Allianzen
Rund um das Klo werden die Grenzen feministischer
Kämpfe und Ansätze sichtbar. Der feministische Blick auf
das Klo fokussiert auf Geschlechteridentitäten und vergisst
die Vielfalt der queeren und be_hinderten Körper und ihre
besonderen Bedürfnisse. Dieser Blick nimmt (cis-hetero)
Maskulinität in den Fokus und vergisst, was im Schatten
übrigbleibt. Frauen und queere Personen sind Ableismus
ausgesetzt: Sexismus und Cis-Heteronormativität haben mit
Rassismus die Pathologisierung des Anders-Seins
gemeinsam, die in Vorurteile, Diskriminierungen und
Misshandlungen mündet. Abgesehen von der
Krankzuschreibung sind viele von uns auch be_hindert
weil unsere Körper einfach krank und anders sind oder weil
wir durch gesellschaftliche Verhältnisse krank gemacht
wurden. Im Schatten bleiben auch die Menschen, deren
Körper Gegenstand von Sorgearbeit sind, und sehr selten als
Subjekte wahrgenommen werden, die der Macht ihrer
Pfleger*innen ausgesetzt sind. Bei solchen Themen hat
Feminismus noch viel zu lernen (Teppo 2009, Kelly 2013,
Winance et al. 2015).
Ableismus wohnt dem Feminismus inne, wohnt der
Geographie inne. Eine akribische Reflexivität über
Alltagspraktiken, Routinen, Konzepte und Theorien ist
notwendig, um Ableismus weniger zu reproduzieren. Dabei
vertiefte und vielfältige feministische Reflexivität der
(deutschsprachigen) Geographie genutzt werden. Ein Blick,
Standpunkt schaut, sondern herumschweifend und in sich
hinein: akademische Bildung, Forschungspraktiken,
Aktivismus, (verpflichtende) Exkursionen, etc. Ein Blick, der
Pissen* ist politisch: Feministische und kritisch-geographische Perspektiven auf Geographien der Notdurft
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sich weigert, die Medizin, nicht nur was Geschlecht angeht,
als Disziplinierungsinstanz und Diskriminierungsmaschine
für kranke Menschen anzuerkennen.
Ein erster Schritt für die Erweiterung der feministischen
Kritik in der Geographie könnte lokale Koalitionen für eine
gemeinsame und erweiterte Kartierung zugänglicher
Toiletten bzw. für neue Toilettenkonzepte zum
Ausgangspunkt nehmen auf dem Campus, innerhalb
aktivistischer Orte, in den Städten.
Literatur
Garland-Thomson, R., 2011:
-48 in: Hall, K. Q.
(Hrsg.): Feminist Disability Studies. Bloomington: Indiana
University Press.
Hutson, C., 2014:
Schwarze Perspektive auf Verwobenheiten zwischen
S. 61-72 in: Jacob, J., S. Köbsell & E.
Wollrad (Hrsg.): Gendering Disability. Transcipt: Bielefeld.
Kafer, A., 2013: Feminist, Queer, Crip. Bloomington: Indiana
University Press.
Kelly, C., 2013:
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Hypatia A Journal of Feminist Philosophy 28/4: 784-800.
Kröger, T., 2009: y studies:
Critical Social Policy 29/3: 398-420.
Murstein, M., 2018: I'm a queerfeminist cyborg, that's okay:
Gedankensammlung zu Anti/Ableismus. Münster: Edition
Assemblage.
Slater, J., C. Jones & L. Procter, 2018:
.
Gender and Education 30/8: 951-965.
West, I., 2010:
. Communication and Critical/Cultural Studies 7/2,
156-175.
Winance, M., A. Damamme & E. Fillion, 2015: Thinking the
aid and care relationship from the standpoint of disability:
Stakes and ambiguities. Alter 9/3: 163-168.
.
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Genormte Scheiße? – Warum wir den Wert unserer
Fäkalien durch eine DIN-Norm sichtbar machen wollen
Lisa Häfner & Ariane Krause (Kollektiv KanTe, Berlin)
Wir, Lisa Häfner und Ariane Krause, sind Umwelt- bzw.
Wirtschafts-Ingenieurinnen und Teil des Kollektivs für
angepasste Technik – genannt: KanTe. Wir bauen und basteln,
vermitteln und forschen zu den Themen Nährstoffrecycling,
Kompostklos und weiteren Themen und Dingen. Wenn ihr
mehr dazu wissen wollt, was wir machen: https://kante.info
„Fäkalien zu Dünger“ steht für Rebellion gegen die
Ausbeutung der Natur und für ihren Schutz zugleich und ist
für uns Symbol für die Verortung des Menschen innerhalb der
Natur - denn die Natur kennt keinen Abfall. Da Fäkalien aber
im Moment in Deutschland noch nicht Dünger sein dürfen, ist
die Veränderung dieses Zustands (und des rechtlichen
Rahmens dafür) ein politisches Ziel, für das wir arbeiten.
In diesem Artikel berichten wir über einen, wir glauben ganz
wichtigen Schritt, den wir dabei gegangen sind. Im Text geht
es zunächst allgemeiner um (technische) Normen und
Normierung. Anschließend beschreiben wir die
Recyclingdünger-Norm light, die wir für Dünger aus Inhalten
aus Trockentoiletten erarbeitet haben.
Zweierlei Norm?
Wir leben in einer Welt voller Normen.
Soziale Normen sagen uns, wie wir aussehen sollen, wo wir
sein können, wie wir sprechen sollen, wie wir fühlen und
wen wir lieben sollen. So weisen Normen uns zum Beispiel
gesellschaftliche Rollen zu, die einher gehen mit
Erwartungen an unsere Verhaltens-, Denk- und Fühlweisen.
Abweichung wird bestraft. So werden beispielsweise
Aussehen, Kleidung oder