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Vermittelte Unmittelbarkeit. Plessners taktvolles Spiel mit der menschlichen Würde

Authors:
Volker
Schürmann
Vermittelte
Unmittelbarkeit
Plessners
taktvolles
Spiel
mit
der
menschlichen
Würde
Das
Geheimnis
legt
eine
Schranke
zwischen
die
Menschen,
zugleich
aber
den
verführerischen
Anreiz,
sie
durch
Ausplaudern
oder
Beichte
zu
durchbrechen
-
der
das
psychische
Leben
des
Geheimnisses
wie
ein
Oberton
begleitet.
Georg
Simmel
1
Das
Thema
>Mitte<
dient
liier
als
Medium,
ein
bestimmtes
Verhältnis
von
philo
sophischer
Anthropologie
und
politischer
Philosophie
hervortreten
zu
lassen.
Dabei
geht
es
um
die
Position
vom
Typus
>Plessner<.
Bei
allen
konstatierbaren
Gemeinsamkeiten
der
Philosophischen
Anthropologie
re
die
hier
herauszu
stellende
Bestimmtheit
jenes
Verhältnisses
auf
der
Basis
etwa
der
Philosophien
Schelers
oder
Gehlens
nicht
begriindbar.
Auch
insofern
ist
der
Verweis
auf
ein
nötiges
»Medium«
nicht
unschuldig:
Es
hat
durchaus
etwas
von
Geisterbe
schwörung,
den
Geist
der
Plessnerschen
Philosophie
herbeizitieren
zu
wollen,
um
systematisch
ein
jetztzeitiges
philosophisches
Problem
zu
verhandeln.
Und
das
gilt
wohl
erst
recht,
wenn
dazu
Kategorien
wie
Takt
oder
Würde
bemüht
werden,
die
einen
eher
antiquierten Eindruck
machen.
2
Dem steht
die
Vermutung
entgegen,
>Würde<
sei
ein
Gegenkonzept
zu
>Moral<,
>Takt<
ein
Gegenkandidat
zu
>Gewissen<.
3
Es
geht
im
Folgenden
um
ernsthafte
Prüfung;
Wären
Würde
und
Takt
notwendigerweise
Kategorien
der
Vonnoderne,
hätte
sich
jene
Vermutung
bereits
erledigt.
*
Georg
Simmel:
Soziologie.
Untersuchungen
über
die
Formen
der
Vergesellschaftung.
11g.
von
Ollhein
Rammstcdt.
Frankfurt
am
Main
2
1995
[Leipzig
1908],
S.
409.
1
Zu
>Würde(
und
insbesondere
zu
den
Gründen,
die
dieses
Konzept
in
die
Defensive
gebracht
haben,
vgl.
Kurt
Bayerlz:
Die
Idee
der
Menschenwürde:
Probleme
und
Paradoxien.
In:
Archiv
für
Rechts-
und
Sozialphilosophie
8
1
(1995),
S.
465-481.
3
Um
die
>Milte<
an
den
>Anfang<
zu
binden
(vgl.
Kurt
Röttgers/Monika
Schmitz-Emans
(Hg.):
Anfänge
und
Übergänge.
Essen
2003):
Moralphilosophie
hat
ihr
Anfangs-Problem
gelöst
und
meint,
klarerweise
von
den
Entscheidungen
der
Individuen
ausgehen
zu
können;-der
Bezug
auf
)Wiirde<
sieht
sicli
nirgends
in
der
Situation,
anfangen
zu
müssen.
Gesucht
ist
eine
»Theorie
ier
Berührung
des
Obergangs«
(Novaiis,
nach
Röttgers,
ebd.,
S.
247).
Vermittelte
Unmittelbarkeit
35
Würde
und
Exzentrizität
Das
»Gesetz
der
vermittelten
Unmittelbarkeit«
ist
das
zweite
von
drei
so
genann
ten
anthropologischen
Grundgesetzen,
in
denen
sich,
so
Plessners
Stufen,
die
ex
zentrische
Positionalität
des
Menschen
manifestiert.
4
Exzentrizität
ist,
formelhaft
gesprochen,
eine
prinzipiell
realisierte,
d.h.
in
seinen
Lebensvollzügen
nicht
nicht
sein
könnende
Abständigkeit
des
Menschen
zu
sich
selbst
in
seinen
(außen-,
innen-,
mit-)
weltlichen
Bezügen.
Exzentriker
müssen
ihr
Leben
führen,
aber
solche Lebensführung
ist
(anders
als
bei
Gehlen)
keine
Option,
die
zu
wählen
er
(etwa
aufgrund
mangelnder
Instinktgesichertheit)
genötigt
ist,
was
er
aber
im
Prinzip
auch
lassen
könnte.
Wie
auch
>Dasein<
ist
>Exzenlrizität<
keine
»Laune«
(Heidegger),
sich
zuweilen
exzentrisch
aufzuspielen.
Insofern
ist
>Exzenlrizität<
notwendig
an
eine
antinomische
Struktur
gebunden;
Exzentrische
Lebensfüh
rung
ist,
sich
zu
dem,
was
man
schon
ist,
zu
machen
5
.
In
diesem
Sinne
hat
exzen
trische
Lebensführung
Schauspielcharakter.
Macht
und
menschliche
Natur
macht
dann
zwei
Dinge
klar:
6
Wenn
man
von
so
verstandener
Exzentrizität
ausgeht,
und
nur
wenn
man
von
ihr
ausgeht,
dann
gewährleistet
man
in
konsequenter
Weise
die
»Unergründlichkeit«
des
Men
schen.
Nur
als
Exzentriker
gedachte
Wesen
sind
so
gedacht,
dass
ihre
Lebens
führung
eine
Lebens/iV/mmg
ist,
d.h.
ein
Ergreifen
von
Möglichkeiten
gegen
prinzipiell
bestehende
andere
Möglichkeiten.
Zum anderen
ist
das
Begründungs
verhältnis
gerade
umgekehrt:
Dann
und
nur
dann,
wenn
man
Unergründlichkeit
unterstellt
-
wenn
y>offenh\eihen
[muß],
[...]
wessen
der
Mensch
fähig
ist«
7
dann
gilt
der
Mensch
als
Exzentriker.
Auch
hier
gilt:
»Wir
müssen
ihn
nicht
so
begreifen,
aber
wir
können
es.«
8
Dieses
wechselweise
Bedingungsverhältnis
-
keinen
unbedingten
Grund
der
Philosophie
zu
kennen,
sondern
nur
noch
die
mit
Josef
König
so
genante
»Verschränkung«
9
gegenläufiger
bedingter
Notwendig
4
Vgl.
Helmuth
Plessner:
Die
Stufen
des
Organischen
und
der
Mensch.
Einleitung
in
die
phi
losophische
Anthropologie.
Berlin,
New
York
3
1975
[Berlin
1928],
S.
321
ff.
5
Vgl.
ebd.,
S,
309.
6
Selbstverständlich
in
bestimmter
Plessner-Lesarl;
vgl.
Volker
Schürmanu:
Unergründlich
keit
und
Kritik-Begriff.
Plessners
Politische
Anthropologie
als
Absage
an
die
Schulphilosophie.
In;
Deutsche
Zeitschrift
für
Philosophie
45
(1997),
S.
345-361;
ders.;
Positionierte
Exzentrizi
tät.
ln:
Hans-Peter
Krüger/Gesa
Lindemann
(Hg,):
Philosophische
Anthropologie
heule.
Ein
Streit
über
ihre
Leistungsfähigkeit
.
Berlin
200%.
Informationen
zur
umfangreichen
Plcssner-
Literatur
findet
sich
auf
der
Heimatscitc
der
Plcssner-Gesellscliaft;
hltpVAvww.liclmnth-plcss-
ncr.de/
7
Helmuth
Plessner:
Macht
und
menschliche
Nalttn
Ein
Versuch
zur
Anthropologie
der
geschichtlichen
Wellansichl.
ln;
Gesammelte
Schriften
[GS],
Hg.
von
G.
Dux
u.a.
Frankfurt
am
Main
1980-1985.
Bd.
V
(1981),
135-234,
hier
S.
161.
8
Ebd.,
S.
14S.
Plessner
(Anra.
4),
S.
VI.
9
36
Volker
Schürmann
keilen
-
ist
die
zentrale
Begründungsfigur:
»Unentscheidbarkeit«.
Sie
gilt
als
positive
Charakteristik
des
Sachverhalts,
und
nicht
als
Mangel
an
Einsicht.
>Unentscheidbarkeit<
ist
das
Vehikel,
an
der
Unentscheidbarkeit
von
Macht
und
Ohnmacht
des
Menschen
festzuhalten
-
gegen
philosophisch
legitimierte
Schicksalsergebenheit
einerseits
und Omnipotenzphantasien
andererseits.
Würde
ist
das
Schauspiel
dieser
Unentscheidbarkeit;
»Würde
besitzt
allein
die
gebro
chene
Stärke,
die
zwischen
Macht
und
Ohnmacht
gespannte
zerbrechliche
Lebensform.«
10
Zu
diesem
Verständnis
von
Würde
kann
man
nun
noch
sehr
viel
mehr
sagen.
Aber
man
muss
es
an
dieser
Stelle
nicht
noch
einmal
sagen,
denn
alles
Wesentli
che
dazu
ist
von
Kai
Haucke
herausgestellt
worden;
vor
allem
jener
prinzipiell
(schau-)spielerische
Grundzug
menschlicher
Lebensführung
und
damit
die
»vierte
Gewalt
ziviigesellschaftlicher
Öffentlichkeit«,
gerichtet
gegen
die
Ge
schlossenheit
von
Gesinnungsgemeinschaften.
11
Insofern
geht
es
im
folgenden
nicht direkt
um
Plessners
Würde-Konzept,
sondern
um
dessen
Verödung.
Würde
und
Mitte
Wie
der
Verweis
auf
jenes
anthropologische
Grundgesetz
schon
anzeigt,
lässt
sich
>
Exzentrizität
wesentlich
in
Termini
von
Vennitteltheit
und
von Mitte
fas
sen.
Jene
Bestimmung
von
Würde kommt
Exzentrikern
zu,
und
Exzentriker
ste
hen
bzw.
bewegen
sich
in
Verhältnissen,
die
von
Plessner
als
prinzipiell
vermittelte
Verhältnisse
konzipiert
werden.
Bei
Plessner
ist
jede
Rede
von
Unmittelbarkeit
konsequent
unterlaufen.
Exzentrische
Lebensführung
ist
keine
Auftragsarbeit
im
Dienst
eines
Eigentlichen
oder
Authentischen;
weder
im
ver
gangenen
Paradies
noch
im
zukünftigen
Nirgendwo
noch
im
gegenwärtigen
Augenblick
ist
ein
Heilsein
geborgen,
das
es
nur
zu
finden
gilt.
>Mitte<
ist
hier
also
zunächst
im
Sinne
der
Vennitteltheit
zu
nehmen.
Exzentrisch
positionierte
Wesen
sind
nicht
in
der
Situation,
unmittelbare
Welt-Verhältnisse
zu
leben.
Prin
zipiell
steht
etwas
in
der
Milte,
im
Weg
sozusagen.
Das
ist
der
Kern
der
Plessner-
schen
Rede
von
der
unhintergehbaren
Abständigkeit
des
Exzentrikers;
homo
abscondilus.
Und
das
zieht
sich
mit
geradezu
beängstigender Konsequenz
durch
seine
Texte.
Ein
zweiter Aspekt
hängt
eng
damit
zusammen:
Diese
prinzipielle Vennitteltheit
ist
eine
stets
prekäre;
sie
steht sozusagen
auf
des
Messers
Schneide
und
in
die
sem
Sinne
hängt
sie
daran,
die
Waage
oder
eben
die
Milte
zwischen
Zweien
zu
10
Plessner
GS
VH
(1982)
(Anm.
7),
S.
416.
11
Vgl.
Kai
Haucke:
Das
liberale
Ethos
der
Würde.
Eine
systematisch
orientierte
Problemge
schichte
zu
Nelmuth
Plessners
Begriff
menschlicher
Würde
in
den
>
Grenzen
der
Gemeinschaft.
Würzburg
2003.
Vermittelte
Unmittelbarkeit
37
halten.
Das
ist
der
Kern
jener
Rede
von
prinzipieller
Unentscheidbarkeit.
Dieses
Theorem
der
Unentscheidbarkeit
ist
ein
Nachkomme
der
pyrrhonisch-skepli-
schen
Isosthenie.
Nun
ist
gerade
dieser zweite
Aspekt
(die
Mitte
zwischen
Zweien
zu
hallen)
nicht
besonders
originell,
sondern
geradezu
sprichwörtlich.
Wie
im
richtigen
Leben,
so
ist
auch
in
der
Geschichte
der
Philosophie
das
Gute
und
Erstrebenswerte,
jedenfalls
das,
was
der
jeweilige
Autor
selbst
vertritt,
in
aller
Regel
in
der
Milte
zwischen
Scylla
und
Charybdis
bzw.
zwischen
Pest
und
Cholera
angesiedelt.
Dieser
Gestus
ist
vor
allem
durch
die
Transzendentalphilosophie
gepflegt
wor
den:
Problematisches
vertreten
immer
nur
die
anderen,
nämlich
die
Dogmatiker
oder
die
Skeptiker,
während
der
Transzendentalphilosoph
die
Mitte
hält
und
Kri
tiker
ist.
Der
Gestus
des
die
Mitte
Haltens
ist
ein
typisch
bürgerlicher,
und
wird
dort
als
goldene
Mitte
geradezu
verklärt.
Entsprechend
treibt
er
auch
kleinbür
gerliche
Stilblüten,
prominent
etwa
bei
den
Philanthropen,
die
in
Wort
und
Tal
die
Parole
pflegen,
dass
alle
Extreme
schlecht
seien
-
und
die
damit
einfach
mei
nen,
dass
der
Mensch
sich
von
allen
Leidenschaften
fern
halten
und
möglichst
nichts
merken
solle.
Damit ihm diese
Kontrolle
über
seinen
Körper
gelingt,
solle
er
gelligst
brav
Gymnastik
treiben:
12
Mitte-Halten
als
Mittelmaß.
Das
ist
jetzt
freilich
nicht
durch
bloße
Ideologiekritik
erledigt,
denn
solche
Mit-
tel-Maß-Parolen
sind
keineswegs
ein
kleinbürgerliches
Privileg.
Die
Grundfigur
ist
viel
älter
und
kann
vielleicht
als
der
Pharisäerzug
unserer
Kultur
gelten;
Gott
zu
danken,
nicht
so
zu
sein,
wie
alle
anderen.
Vor
allem
aber
erinnert
die
Figur
des
Mitte-Haltens
an
die
aristotelische
Bestimmung
der
Tugend.
Dort
wird
eine
Tugend
bekanntlich
in
der
Mitte
zwischen
zwei
anderen
Bestimmungen
plat
ziert;
z.B.
könne
man
Großzügigkeit
als
Mittleres
zwischen
Verschwendung
und
Geiz
ansehen.
Diese Auskunft
kann
man
dann
herrlich karikieren,
denn
nunmehr
kann
man
Trunksucht
als
Mittleres
zwischen
Besinnungslosigkeit
und
trockener
Sprödheit
ansehen.
Was
also
liegt
näher,
als
auch
Plessner
hier
zu
verorlen?
Er
verortet
sich
erklär
termaßen
in
der
Traditionslinie
der
Kantischen
Transzendentalphilosophie;
und
in
Macht
und
menschliche
Natur
ahmt
er
konsequenterweise
den
Gestus
nach:
die
anderen
Menschenwesenbestimmer
sind
entweder
Empiristen
oder
Apriori-
sten,
nur
er
selber
ist
ein
Unergründlicher.
Und
ein
Bürger
ist
Plessner
allemal,
wenn
auch
sicher
kein
Kleinbürger.
12
Das
haben
u.a.
Arbeiten
von
Eugen
König,
Hajo
Bemctt
und
Alfred
Ricliartz
klar
gemacht;
zuletzt
Kätc
Meycr-Drawc:
Hygienische
Imaginationen.
Der
Schrecken
der
Selbstbefleckung
im
Philanlhropinismns
.
In:
Imagination
und
Sexualität.
Pathologien
der
Einbildungskraft
im
medi
zinischen
Diskurs
der
frühen
Neuzeit.
Hg.
von
Stefanie
Zaun.
Frankfurt
am
Main
2004,
S,
209-
223.
38
Volker
Schürmaim
Doch
jene
berechtigte
Kritik
funktioniert
nur
unter
bestimmten
Voraussetzun
gen;
Jene
goldene
Mitte,
die
die
Extreme
vermeiden will,
muss
dazu
eine
eigen
ständige,
für
sich
bestehende dritte
Größe
sein.
Dann
und
nur
dann
kann
man
die
anderen
beiden
Größen
meiden.
Man
kann
und
muss
in
solchen
Fällen
-
also
dann,
wenn
die
Kritik
funktionieren
soll
immer
auch
in
der
Lage
sein,
die
Mitte
rein
für
sich
zu
beschreiben,
ohne
von
der
Sache
selbst
gezwungen
zu
sein,
auf
die
anderen
beiden
Größen
zu
sprechen
zu
kommen.
In
diesen
Fällen
ist
es
also
so,
dass
die
Abgrenzung von den
Extremen ausschließlich
aus
didaktischen,
aber
nicht
aus
logisch-begrifflichen
Gründen
erfolgt.
Aber
das
ist
eine
bestimmte
Voraussetzung,
und
nichts
Zwingendes.
Bei
korrelativen
Begriffen
etwa
ist
es
so,
dass
man
über
das
eine
nicht
reden
kann,
ohne
schon
das
andere
milgesagt
zu
haben:
links-rechts,
Herr-Knecht
etc.
Warum
also
sollte
es
nicht
Phänomene
geben,
deren
Bedeutung
man
gar
nicht
angeben kann,
ohne
sie
als
logische
Mitte
von
zwei
anderen
Phänomenen
auszusprechen?
13
Das
Spiel
ist
wohl
ein
solches
Phänomen:
Spiel
ist
die
Mitte
von
Spiel
und
Ernst.
Man
kann
ein
Spiel
verderben
sowohl
dann,
wenn
man
nicht
ernsthaft
spielt
als
auch
dann,
wenn
man
zu
ernsthaft
spielt.
In
beiden
Fällen
wird
das
Spielerische
des
Spiels
zerstört.
Schon
sprachlich
gibt
es
ein
Indiz,
dass
dieses
Mittlere
nicht
unabhängig
von
den
beiden Abgegrenzten
Bestand
hat,
denn
man
muss
in dieser
Formel
das
Wort
»Spiel« doppelt
sagen:
Spiel
als
Mitte
von
Spiel
und
Emst.
Nimmt
man
die
Möglichkeit
einer
solchen
dogischen
Mittet
ernst,
dann
ist
nicht
ganz ausgemacht,
dass
jene
Karikatur
der
Tugend
als
Mitte-Halten
auch
sinnvoll
als
Kritik
an
Aristoteles
formuliert
werden
kann.
Erst
recht
aber
ist
klar,
dass
jene
oben
formulierte
Kritik
am
transzendentalphilosophischen
Gestus
nur
ver
mittelt
eine
Kritik
an
Kant
sein
kann.
Kant
unterstellt
ja
gerade
nicht
eine
Konti
nuität
zwischen
Dogmatikern
und
Skeptikern,
so
dass
es
nur
darauf
ankäme,
sich
von
beiden
Polen
gleich
weit
entfernt
zu
halten.
Vielmehr
ist
die
kritische
Philo
sophie
eine
eigene
dritte
Position,
die
es
ermöglicht,
die
anderen
beiden
zu
reflektieren
-
und
in
gewisser
Hinsicht
selbst
genau
dadurch
ermöglicht
wird,
diese
Möglichkeit
der
Beobachtung
zu
schaffen.
Genau
das
unterscheidet
dann
den
Kantischen
Kritik-Begriff
vom
kleinbürgerlichen
Mittelmaß;
weder
liegt
die
Mitte
der
Kritik
einfach
in
der
selben
Dimension
noch
ist
sie
vollständig
unab
hängig
von
dem
Kritisierten.
Gleichwohl
aber
hat
das
kritische
Verfahren
die
Seile,
die
»Extreme
zu
meiden«
es
bleibt
in
gewisser
Hinsicht
ein
Verfahren,
sich
die
Rosinen
aus
dem
Kuchen
zu
picken.
Sowohl
am
Dogmatismus
als
auch
am
Skeptizismus
könne
man
Verfahren
und
Inhalt
fein
säuberlich
trennen,
um
dann
die
je
guten
Verfahren
ins
Töpfchen
zu
tun
und
zur
kritischen
Methode
zu
13
Josef
König
ist
solchen
Phänomenen
mit
einiger
Akribie
nachgegangen
und
hat
für
sie
eine
eigenständige
Begrifflichkeit
entwickelt.
Das
Spiegeln
z.B.
sei
als
Darstellcn
ein
solches
Mittle
res.
Vermittelte
Unmittelbarkeit
39
synthetisieren.
Kantische
Kritik
ist
zweifellos
auch
durch
das
je
Kritisierte
ermöglicht
-
und
insofern
ist
der
Bezug
auf
Skeptiker
und
Dogmatiker
nicht
nur
didaktischer Art
,
aber
keineswegs
ist
sie
nur
durch
Bezugnahme
auf
das
Kriti
sierte
das,
was
sie
ist.
Jene
Kontinuität
der
abgrenzendeti
Pole
zu
brechen
und
in
einer
eigenen
Dimension
angesiedelt
zu
sein,
heißt
bei
Kant,
dass
man
Wesentli
ches
zu
dieser
dritten
Position
sagen
kann
und
muss,
ohne
dazu
Bezug
auf
das
Kritisierte
nehmen
zu
können.
Die
Kantische
dritte
Position
verortet
sich
über
dem
Kampfplatz
der
Streitigkeiten
und
nimmt
für
sich
Neutralität
in
Anspruch:
sie streite
gerade
nicht
mit,
sondern
sei
in
dieser
Hinsicht
etwas
ganz
anderes
als
die
umstrittene
Sache.
Es
ist
diese
in
Anspruch
genommene
Neutralität,
die
nach
Kant
ins
Taumeln
gerät.
Marx
wird
beiläufig
von
einer
»Kritik
im
Handgemenge«
reden,
und
was
bei
Chladenius
explizit
zu
werden
scheint,
ist
bei
Plessner
endgültig
vollzogen:
die
Absage
an
die
Möglichkeit,
den
Ort
der
Kritik
als
neutralen
zu
fingieren,
»Warum
zugleich
eine
neutrale
Position
gegenüber
diesem
Kampf
nicht
möglich
ist,
son
dern
jede
Position
schon
im
Kampffelde
liegt,
so
daß
es
keine
indifferente
Wesensbetrach
tung
des
Menschen
gibt,
die
sich
nicht
schon
im
Ansatz
ihrer
Frage
für
eine
bestimmte
Auf
fassung
entschieden
hätte.«
14
Das
nimmt
nicht
die
Reflexivität
der
Kritik
zurück,
und
insofern
wird
hier
jetzt
nicht
wieder
vorkantisch
unterstellt,
dass
die
dritte
Position
auch
nur
eine
weitere
andere
ist;
aber
gekündigt
ist
der
Annahme,
man
könne
und
müsse
die
kritische
Position
auch
außerhalb
der
Streitsache
formulieren.
Auch
eine
Reflexion
des
Streits
ist
noch
Mitstreiter.
In
solchen
Fällen
spricht
König
davon,
A
sei
»nichts
als«
(das
Verhältnis
von)
B
und
C.
>Nichts
als<
ist
das
Gegenkonzept
zu
rnichls
anderes
als«
A
ist
nicht reduzierbar
auf
B
und
C,
sondern
durchaus
ein
Eigenes.
Aber
das,
was
A
als
Eigenes
ausmacht,
ist
es
nur
durch
Bezugnahme
auf
B
und
C,
und
nicht
auch
als
ein
ganz
Eigenständiges,
Noch
von
einer
anderen
Seite
her
kann
man
einen
Zusammenhang
von
>Mitte<
und
>Exzentrizität<
hersteilen.
Es
gibt
mindestens
zwei
grundlegende
Bedeutun
gen
von
>Mitte<,
nämlich
die
des
>in
der
Mitte
zwischen
(zwei
oder
mehreren)
Anderem,
und
die
des
>Mediums<
(Lebenselement).
Eine
Vermittlung
durch
ein
Mittel
ist
optional:
man
kann
es
einsetzen
oder
es
auch
lassen
-
zur
Not
kommt
man
auch
ohne
Leiter
auf
das
Dach
-
eine
Vermittlung
durch
ein
Medium
dage
gen
kann
nicht
nicht
sein.
Wenn
ich
recht
sehe,
hält
Plessners
Bedeutung
von
Vermitllung
die
Mitte
zwischen
diesen
beiden
Bedeutungen.
Exzentriker
sind
sozusagen
kulturelle
Amphibien:
sie
leben
immer
in
irgendeinem
Medium
(und
niemals
unmittelbar),
könnten
aber immer
auch
in
einem
ganz
anderen
leben.
14
Plessner
(Anm.
7),
S.
221.
40
Volker
Schürmann
Würde
und
Menschenrechte
Die
Fonnulierung
unseres
Grundgesetzes,
dass
die
Würde
des
Menschen
»unan
tastbar«
sei,
scheint
eine
Plessnersche
Fonnulierung
zu
sein.
15
Dass
die
Würde
des
Menschen
unantastbar
sei,
scheint
sich heutzutage
in
letzter
Konsequenz
nur
noch
mit
Ralzinger
sagen
zu
lassen
-
und
schon
Habermas
gerät
ins
Zwielicht,
weil
er
sich
so
seltsam
gut
mit
dem
Kardinal
verstanden
habe.
Und
wenn
man
dann
statt
Habermas
auch
noch
den
längst
vergangenen
Plessner
bemüht,
dann
scheint
das
nichts
anderes
sein
zu
können
als
die
Karikatur
einer
berühmten
Schlagzeile;
»Wir
waren
Benedikt«.
Es
ist
also
sehr ernsthaft die
Frage,
ob
Plessner
in
irgendeiner
zumutbaren
Weise
ein
zeitgemäßer Autor
sein
kann,
oder
ob
die
heutige
Renaissance
seiner
Philo
sophie
nicht
vielmehr
ein
nostalgischer
Gestus
ist,
den
man
bestenfalls
ironisch
erträgt.
Jedenfalls
gibt
es
mindestens
die
folgende
Liste
ernsthafter
Verdachts
momente:
>Würde<
ist
ein
Begriff
der
Renaissance.
Was
soll
das
heute?
Der
Begriff
ist
durch
die
Figur
der
Ebenbildlichkeit
Gottes
belastet;
und
die
Alternativen
sind
systematisch
auch
nicht
attraktiver,
nämlich Würde
entweder
im
Naturrecht
oder
in
der
Einen
Vernunft
wurzeln
zu
lassen.
>Würde<
scheint
traditionell
ohne
eine
ahistorische
oder
ohne
eine
zutiefst
ethnozentrische
Fundierung
nicht
zu
haben
zu
sein.
Plessner
redet
allen
Ernstes
von
der
»Hygiene
des
Taktes«.
16
Also
Sauberkeit
und
Anstand
der
höfischen
Gesellschaft?
Die
Spezialisten
der
Aufklärung
gen
noch
so
sehr
Fehldeutungen
diagnostizieren;
Tatsache
ist,
dass
der
Knigge,
bezeichnenderweise
verfasst
von
einem
Freiherm
von,
als
Anstands-
und
Be
nimmbuch
Karriere
gemacht
hat.
Das sst
konzeptionelle
Aktualität,
gar
Attrak
tivität
genauso
wenig
erwarten wie
Gadamers
Versuch,
Takt
durch Einbindung
in
das
humanistische
Bildungsideal
für
die
Hermeneutik
zu
retten;
17
selbst
wenn
man
das
alles
wohlwollend
nimmt,
und
Plessner
als
einen
Autor
der
Aufklärung
und
Moderne
liest
-
immerhin
ist
der
Begriff
der
Würde
ein
Begriff
der
Men-
schenrechtserklärung
und
unserer
noch
gültigen
Verfassung
-,
dann
wird
man
aus
der
anderen
Richtung enttäuscht,
bzw.
neu
bestätigt;
gerade
ein
emphatischer
Aufklärer
wird
mit
Plessner
nichts
anfangen
können,
denn
der
Gestus
der
Auf
15
Vgl.
Claudia
Schmölders:
Das
Gesicht
der
Würde.
Helmuth
Flessners
Physiognomik
zwei
ten
Grades,
ln;
Flessners
>Grenzen
der
Gemeinschaft
<.
Eine
Debatte.
Hg.
von
Wolfgang
bach
u.a.
Frankfurt
am
Main
2002,
S.
212;
Hauckc
(Aura.
11),
S.
14.
16
HclimUh
Plessner:
Grenzen
der
Gemeinschaft.
Eine
Kritik
des
sozialen
Radikalismus
[1924],
In:
GS
V
(Anm.
7),
S,
7-133,
hier
S.
95
ff.
17
Vgl,
Hans-Georg
Gadamcr:
Wahrheit
und
Methode.
Grundzüge
einer
philosophischen
Her
meneutik.
Tübingen
5
1986
[I960],
S.
7-39,
insbes.
12ff.;
vgl.
auch
Hakt«
in;
Historisches
Wör
terbuch
der
Philosophie.
Bd.
10
(1998),
Sp.