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Anthropologie
z.
B.
Plessners,
so
wird
man
auch
hier
zwischen
kritischen
Positionen
-
z.
B.
ge
genüber
der
politischen
Anthropologie
Woltmanns
—
und
bestimmten
Problemzonen
unter
scheiden
wollen.
Nicht
nur
naturphilosophische
Grundannahmen
gehören
zum
Problemati
schen,
sondern
auch
die
Anknüpfung
an
das
humanistische
Erbe,
die
sich
z.
B.
in
der
Auszeichnung
des
»europäischen
Prinzips
der
offenen
Immanenz«
geltend
macht,
d.
h.
in
der
Auszeichnung
einer
Zivilisationsstufe
der
»wahrhaft
menschlichen
Bildung«
bzw.
der
»universal
verbindlichen
Position
des
nur
in
ihr
wahrhaft[en]
und
eigentlich
[en]
Mensch-Seins.«
Vgl.
Plessner
1931,
S.
221.
Vgl.
ebd.,
S.
188
f.,
S.
219,
S.
228.
Eine
ausführliche
Diskussion
der
An
thropologie
Plessners
findet
sich
auch
in
Rölli
2011.
Literatur
Barkhaus,
Annette,
etal.
(Hg.)
(1996):
Identität,
Leiblichkeit,
Normativität.
Neue
Horizonte
anthropo
logischen
Denkens.
Frankfurt
a.
M.
Habermas,
Jürgen
(2001):
Die
Zukunft
der
menschlichen
Natur.
Auf
dem
Wegzu
einer
liberalen
Euge
nik?
Frankfurt
a.
M.
Illies,
Christian
(2006):
Philosophische
Anthropologie
im
biologischen
Zeitalter.
Zur
Konvergenz
von
Moral
und
Natur.
Frankfurt
a.
M.
Janich,
Peter
(Hg.)
(2008):
Naturalismus
und
Menschenbild.
Deutsches
Jahrbuch
Philosophie,
Bd.
1.
Hamburg.
Jonas,
Hans
(1987):
Technik,
Medizin
und
Ethik.
Zur
Praxis
des
Prinzips
Verantwortung.
Frankfurt
a.
M.
Latour,
Bruno
(1995):
Wir
sind
nie
modern
gewesen.
Versuch
einer
symmetrischen
Anthropologie
[1991],
übers,
v.
Gustav
Rößler.
Berlin.
—
(2010);
Eine
neue
Soziologie
für
eine
neue
Gesellschaft.
Einführung
in
die
Akteur-Netzwerk-
Theorie
[2005],
übers,
v.
Gustav
Rößler.
Frankfun
a.
M.
Plessner,
Helmuth
(1931):
»Macht
und
menschliche
Natur.
Ein
Versuch
zur
Anthropologie
der
ge
schichtlichen
Weltansicht«,
in:
ders.,
Gesammelte
Schriften,
Bd.
5.
Frankfun
a.
M.
2003,
S.
135-234.
Rabinow,
Paul
(2004a):
Anthropologie
der
Vernunft.
Studien
zu
Wissenschaft
und
Lebensführung,
übers,
u.
hg.
v.
C.
Caduff
u.
T.
Rees.
Frankfiin
a.
M.
—
(2004b):
Was
ist
Anthropologie?,
übers,
u.
hg.
v.
C.
Caduff
u.
T.
Rees.
Frankfiin
a.
M.
Rescher,
Nicholas
(1990):
Human
Interests.
Reflections
on
PhilosophicalAnthropology.
Stanford
UP.
Rölli,
Marc
(2010):
»Die
nicht-anthropologische
Philosophie
des
radikalen
Pragmatismus«,
in:
sic
et
non.
Zeitschrift
für
philosophie
und
kultur.
im
netz.
2010.
http://www.sicetnon.org/con-
tent/pdf/
roelli_anthropologie.pdf
—
(2011):
Kritik
der
anthropologischen
Vernunft.
Berlin
(im
Erscheinen).
Spaemann,
Robert
(2001):
»Gezeugt,
nicht
gemacht.
Die
verbrauchende
Embryonenforschung
ist
ein
Anschlag
auf
die
Menschenwürde«,
in:
Christian
Geyer
(Hg.),
Biopolitik.
Die
Positionen.
Frankfurt
a.
M.
2001,
S.
41-50-
Tugendhat,
Ernst
(2007):
Anthropologie
statt
Metaphysik.
München.
10
J.
PhänomenoL
34/2010
Plessners
parteiliche
Anthropologie.
Aspekte
eines
sperrigen
Verhältnisses
zur
Phänomenologie
Volker
Schürmann
(Köln)
»Und
doch
ist
.das
nicht
die
ganze
Weite
dessen,
was
hier
Natur
bedeutet
und
naturphilosophischer.Ansatz.
Vielmehr:
die
in
und
mit
der
Exzentrizität
gegebe
ne
Irrelevanz
des
Ansatzes
und
der
Untersuchungsrichtung,
die
Primatlosigkeit
in
dieser
Situation,
das
Gefragtsein
jeder
gestellten
Frage.«
(Plessner
[22.2.1928],
in
König/Plessner
1994,
S.
177)
Die
Texte
Plessners
gehören
anerkanntermaßen
in
die
Rubrik
Philosophische
An
thropologie.
Dies
gilt
sowohl
im
Sinne
einer
Teildisziplin
der
Philosophie
-
in
Ab
grenzung
etwa
gegen
Erkenntnistheorie,
Rechtsphilosophie,
Ästhetik
etc.
-
als
auch
im
Sinne
eines
»Denkansatzes«
(Fischer
2008)
—
in
Abgrenzung
etwa
gegen
Neukantianismus,
Hermeneutik,
Kritischer
Rationalismus,
Kritische
Theorie
oder
eben
auch
Phänomenologie.
Im
Sinne
einer Teildisziplin
mag
es
auch
eine
phänomenologisch-philosophische
Anthropologie
geben
-
Kandidaten
wären
Merleau-Ponty
oder
Eugen
Fink;
im Sinne
eines
Denkansatzes
wäre
die
Philoso
phische
Anthropologie
eine
Konkurrenz-Veranstaltung
zur
Phänomenologie
-
zweifellos
mit
erwartbaren
gewichtigen
Gemeinsamkeiten,
letztlich
aber
mit
je
eigenem
spezifischen
Gewicht.
Das
Verhältnis
der
Konkurrenten
zur
Philosophischen
Anthropologie
kann
etwas
pauschal,
aber
wohl
nicht
falsch,
generell
als
sperrig
bezeichnet
werden.
In
Umgang
und
Beurteilung
dieser
Traditionslinie
werden
die
Finger
in
aller
Regel
spitz
gegenüber
einem
Ansatz,
der
vermeintlich
oder
tatsächlich
ein
»Wesen«
ausmachen
will,
noch
dazu
ein
Wesen
des
Menschen.
Solche
Vorbehalte
sind
mehr
als
berechtigt.
Jedes
Geranne,
das
ernsthaft:
ahistorische
Bestimmungen,
gar
des
Menschen,
in
Anspruch
nimmt,
kann
heute
wohl
nur
noch
als
anachroni
stisch
beurteilt
werden.
Dies
kann
man
an
der
Traditionslinie
der
Anthropologie
besonders
gut
herausarbeiten,
denn
dort
zeigen
sich
die
Folgekosten
von
We
sensphilosophien,
und
zwar
in
der
Form
von
mehr
als
nur
problematischen
Nor
mierungsstrategien.
Jenes
vermeintlich
ahistorische
Wesen
fungiert
dort
als
Maßstab
zur
Beurteilung
empirischer
Unterschiede
von
Menschen.
Typischer
weise
kennt
diese
Anthropologie
eine
»innere
Natur«
des
Menschen,
»die
erstens
noch
nicht
diszipliniert
ist
und
zweitens
diszipliniert
werden
soll
[...]-
innerhalb
eines
Prozesses
der
vernunftgeleiteten
Zivilisierung«
(Rölli
2008,
S.
198).
Zur
Regel
gehört
nun
auch,
dass
die
Philosophie
Plessners
ausdrücklich
mit
unter
diesen
Vorbehalt
gestellt
wird.
Es
ist
zwar
verbal
akzeptiert,
dass
man
die
Philosophische
Anthropologie,
und
insbesondere
die
Philosophie
Plessners,
nicht
umstandslos
als
Naturalisierungsstrategie
begreifen
kann,
aber
eine
»philo
J.
Phänomenol.
34/2010
11
sophische
Biologie«
im
Sinne
Plessners
wird
gleichsam
als
eine
Art
Reparaturyer-
anstaltung,
nicht
aber
als
ein
genereller
Bruch
mit
jener
Wesensanthropologie
angesehen.
»In
der
Ignoranz
gegenüber
der
Geschichte
der philosophischen
An
thropologie
seit
Kant
[verrät
sich]
eine
stillschweigende
Konformität«,
und
der
»spekulative
Ansatz
der
Naturphilosophie«
Plessners
gilt
umstandslos
als
»we-
sensphilosophischefr]
Entwurf,
der
mit
einer
auf
das
Leben
und
den
Menschen
im
Allgemeinen
zielenden
Entwicklungslogik
[...]
operiert«
(ebd.,
S.
214).
Und
diese
Regel
ist
unabhängig
von
der
Bewertung
dieser
Philosophie.
Auch
Fischers
Rede
von
»Denkansatz«,
die
in
der
Sache
zu
anderen
Ergebnissen
kommt,
inso
fern
dort
eher
ein
Bruch
mit
naturalisierenden
Anthropologien
diagnostiziert
wird,
lässt
es
erst
gar
nicht
zu,
qualitativ
unterschiedene
Traditionslinien
inner
halb
dieses
Denkansatzes
auch
nur
zu
vermuten.
Genau
so,
wie
Plessner
gewöhn
lich
in
kritischer
Absicht
in
die
wesensphilosophische
Anthropologie
eingemein
det
wird,
so
wird
er
von
Fischer
positiv
eingemeindet.
Nun
gehört
eine
Kritik
von
Naturalisierungsstrategien
zu
den
fulminanten
Gemeinsamkeiten
von Phänomenologie
und
der
Philosophie
Plessners.
Aus
die
ser
Gemeinsamkeit
resultiert
ein
anders
akzentuierter
Vorbehalt
gegen
die
Philo
sophie
Plessners.
Wer
es
mit
einer
Kritik
an
Naturalisierungsstrategien
ernst
meint,
der
muss
sich
notwendigerweise
schwerer
tun
mit
einer
Kritik
an
jeglicher
Rede
von
»Wesen«
(Schürmann
2002).
Die
phänomenologische
Rede
von
»We
sensschau«
ist
kein
bloßer
Unfall,
der
als
purer
Anachronismus
einfach
ad
acta
gelegt
werden
kann.
Hier
greift
der
Stachel
Hegel:
Was
wäre
denn,
wenn
wir
in
der
Erkenntnissituation
wären,
Wesensannahmen
nicht
nicht
machen
zu
kön
nen,
wenn
und
indem
wir
empirisch
über
Sachverhalte
reden?
Das
Absolute
ist
das
»ganz
Gegenwärtige«,
primär
in den
»Denkbestimmungen
[...],
die
uns
in
je
dem
Satze,
den
wir
sprechen,
zum
Munde
herausgehen«
(Hegel,
WdL
I,
S.
22;
Enz
I,
S.
85).
Es
käme
dann
alles
darauf
an,
solcherart irdischen
Wesen
ihre
ahi-
storische,
gar
transzendente
Weihe
zu
nehmen;
aber
es
wäre
eine
ganz
eigene
Machtstrategie,
in
einer
Pauschalkritik
zis
jeglicher
Rede
von
Wesensannahmen
die
je
eigene
Inanspruchnahme
von
sehr
bestimmten
Wesensannahmen
zu
ver
schleiern.
Diese
Erkenntnissituation
einmal
angenommen,
wäre
ein
Fichteanis
mus
eine
naheliegende
Strategie:
Wesensannahmen
können
wir
nicht
nicht
ma
chen,
aber
»Wesen«
sind
keine
Bestimmungen der
Sache,
sondern
ausschließlich
Bestimmungen
unseres
über
die
Sache
Redens.
Die
Konsequenz
dieses
»aus
schließlich«
ist
eine
Konstitutionsphilosophie:
Die
Sachen
selbst
kommen
gar
nicht
mehr
in
den
Blick,
weil
sie
darin
aufgehen,
durch
ein
Ich
oder
Wir
gesetztes
Nicht-Ich
resp.
Nicht-Wir
zu
sein.
Fichteaner
reden
nicht
mehr
zur
Sache,
son
dern
nur
noch
darüber,
wie
über
Sachen
geredet
wird.
Und
dagegen
richtet
sich
wohl
die
phänomenologische
Parole,
zurück
zu
den
Sachen
selbst
zu
wollen.
12
J.
Phänomenal,
34/2010
Plessners
Anthropologie
kann
man
unter
den
Verdacht
einer
solchen
Konstitu
tionsphilosophie
stellen.
Seine
»Wesensphilosophie«
wäre
dann
freilich
gerade
nicht
dem
Vorwurf
einer
ahistorischen
Hinterweltlehre
ausgesetzt,
sondern
im
Gegenteil
als
gemeinsamer
Boden
einer
Anti-Naturalisierungsstrategie
akzeptiert
-
die
(z.B.
phänomenologische)
Kritik
richtet
sich
dann
gegen
den
dortigen
Um
gang
mit
einem
notwendigen
Folgeproblem
einer
solchen
Wesensphilosophie.
Formelhaft
kann
die
Konstellation
also
wie
folgt
plakatiert
werden:
An-
ti-Naturalisierungs-Philosophien
können
nicht
mehr
über
die
Dinge
selbst
re
den,
sondern
nur
noch
über
Dinge
wie
sie
sich
uns
zeigen,
mithin
über
Phäno
mene.
Konstitutionsphilosophien
ziehen
daraus
den
Schluss,
gar
keine
Dinge
mehr
zu
sehen,
sondern
nur
noch
sich
selbst
im
Widerschein
dessen,
was
vormals
als
Ding
galt.
Demgegenüber
hält
die
Phänomenologie
an
dem
Anliegen
fest,
die
Dinge
so
nehmen
zu
wollen,
wie
sie
sich
selbst
uns
zeigen,
wobei
sie
versichert,
dass
dies
kein
Zurück
zu
den
Dingen
an
sich
selbst
sei.
Methodisch
resultiert
dar
aus
die
hohe
Dignität
unserer
Alltagserfahrungen.
Fischer
(2008,
S.
583
f.)
macht
demgegenüber
als
Differenz
der
Philosophischen
Anthropologie
geltend,
diese
wolle
»Intentionalität
von
>woanders<
her, außerhalb ihrer
selbst
[..]
fundie
ren«,
und
insofern
werde
die
Lebenswtlt
ihrerseits
in
eine
»Welt
des
Lebendigen,
in
eine[..]
>Lebewelt<
(Scheler)«
eingebettet.
Auch
wenn
man
Fischers
Gleichset
zung
von
Scheler,
Plessner
und
Gehlen
nicht
mitmacht,
kann
man
dem
immer
hin
entnehmen,
dass
die
zu
vermutende
Differenz in
der
Verhältnisbestimmung
von
Kultur-
und
Naturphilosophie
verortet
sein
wird.
Das
Anliegen
ist
im
Folgenden,
Plessners
Anthropologie
im
Hinblick
auf
die
se
Verhältnisbestimmung
zu
porträtieren.
Das
zentrale
Ergebnis
wird
sein,
dass
diese
Verhältnisbestimmung
mit
Plessner
als
Verhältnis
zwischen
lediglich
Zwei
en
nicht
zu
haben
ist,
sondern
wesendich
ein
Drittes
verlangt,
nämlich
eine
poli
tische
Philosophie
(an
der
systematischen
Stelle
vormaliger
Ethik).
Dabei
kann
ganz
und
gar
offen
bleiben,
ob
es
real
existierende
Phänomenologen oder
Phäno-
menologinnen
gibt,
die
nicht
in
diesem
Sinne
Plessnerianer
sind,
Plessners
Phänomenologie-Kritik
Aus
der
Sicht
Plessners
ist
die
Diagnose
eindeutig:
Er
traut
der phänomenologi
schen
Versicherung
nicht.
Was,
bitteschön, bietet
die
Gewähr,
nicht
nur
so
zu
re
den,
dass
ein
Zurück
zu
den
Phänomenen
selbst
kein
Zurück
zu
den
Dingen
an
sich
selbst
sein
möge,
sondern
diese
Differenz
in
der
Sache
tatsächlich
vollziehen
zu
können?
In
dieser
Hinsicht
war
er
angetreten,
»den
Standpunkt
der
Phänome
3.
Phänomenol.
34/2010
13
nologie
[...]
als
den
einzig
kritischen
zu
rechtfertigen;
die
Sache
hat
mich
zu
ei
nem
anderen
Resultat
geführt«
(Plessner
1918,
S.
146).
Der
Punkt,
den
Plessner
geltend
macht,
ist
vergleichsweise
banal:
Dass
die
Dinge
nicht
selbst
sagen,
wie
sie
interpretiert
werden
wollen,
gilt
auch
in
Selbst
anwendung.
Oder
etwas
ausführlicher:
Mit
Kant
kann
man
wissen,
dass
wir
kein
Wissen
von
den
Dingen
an
sich
selbst
haben,
da
unsere
Erkenntnissituation
nicht
diejenige
ist,
unsere
Erkenntnisse
mit
Dingen
selbst
vergleichen
zu
können.
Wir
können
immer
nur
Erkenntnisse
mit
anderen
Erkenntnissen
vergleichen,
und
insofern
haben
wir
bereits
etwas
investiert,
wenn
wir
wissen.
Das
schließt
je
de
direkte
Inanspruchnahme
der
Dinge
an
sich
selbst,
und
folglich
jede
Naturali
sierung
unseres
Wissens
aus.
Es
gibt
keine
wissensunbefleckten
Anfänge
unseres
Wissens.
Der
analoge
Grundsatz
gilt
dann
aber
auch,
so
Plessner,
in
Bezug
auf
die
Dinge
wie
sie
uns
erscheinen:
Auch
die
Phänomene
sind
nicht
derart,
dass
sie
uns
in
ihrem
Erscheinen
gleich
mit
zeigen,
wie
sie
uns
angemessen
erscheinen
-
auch
dafür
haben
wir
bereits
etwas
investiert.
Genau
dies
spricht
gegen
eine
Kon
stitutionsphilosophie,
und/aber
Plessner
kehrt
denselben
Punkt
gegen
die
Phä
nomenologie.
Er
macht,
durchaus im
Geiste
der
Phänomenologie,
geltend,
»dass
jedes
Abbrechen
des
Denkens
der
Verhältnisse
und
ein
erneuertes
Reflektieren
auf
das
Denken
(der
Verhältnisse)
ein
durch
und
durch
willkürliches
Beginnen
ist,
weil
der
Gegenstand
des
Denkens
nicht
das
Prinzip
für
die
Besinnung
über
ein
ihn
betreffendes
Denken,
nicht
den
Anweis
zur
Reflexion
auf
sein
Bedacht
werden
enthält«
(ebd.,
S.
156).
Was
gegen
eine
Konstitutionsphilosophie
spricht,
spricht
daher
zugleich
dagegen,
das
Prinzip
des
Bedachtwerdens
gar
nicht
mehr
eigenständig
zu
bedenken:
»Wo
weder
dem
Erkennen
noch
dem
Ge
genstand
echte
Selbständigkeit
voneinander
zugebilligt
sind,
da
hat
die
Frage
nach
Wahrheit
einer
Erkenntnis
jeden
Sinn
verloren.«
(ebd.,
S.
165)
Dies
ist
Plessners
Diagnose
in
Bezug
auf
die
Phänomenologie:
Sie
bestreite
oder
vernachlässige
die
Selbständigkeit
des
Prinzips
des
Bedachtwerdens
der
Phä
nomene,
wodurch
aus
der
zugebilligten
Selbständigkeit
des
bedachten
Gegen
standes
eine
reine
Faktizität
würde.
»Schärfer
kann
keine
Erkenntnistheorie
zu
rückgewiesen
werden,
als
wenn
man
ihr
demonstriert,
daß
es
für
sie
ein
Erkennt
nisproblem
überhaupt
nicht
gibt.
Das
ist
aber
überall
da
der
Fall,
wo
das
unbe-
zweifelbare
Fundament
und
Thema
der
Untersuchung
ein
fix
und
fertiges
Ge
genstandserlebnis
ist.
Hat
man
es
dazu
kommen
lassen,
dann
ist
es
nicht
mehr
möglich,
aufzudecken,
ob
es
gerade
zu
dieser
Konkretion
in
diesem
Gegenstände
kommen
durfte;
dann
fällt
jede
Frage
nach
dem
Recht
und
der
Möglichkeit
der
Gegenständlichkeit
des
Erkennens
und
nach
den
Bedingungen
ihrer
Wahrheit
von
vornherein
als
sinnlos
weg.
[...]
Allgemein
ist
zu
sagen,
daß,
wo
immer
zum
Primum
der
Betrachtung
ein
Zergliedern
und
Versenken
in
gegebene
Tatbestän
14
0.
PhänomenoL.
34/2010
de,
einerlei
ob
empirischer
oder
formal-apriorischer
Natur,
gemacht
ist,
ein
Be
greifen
dieser
Faktizitäten
nie
stattfinden
kann,
weil
die
analytische
Identität
kein
Prinzip
des
Erkennens
von
Verhältnissen
ist.«
(ebd.,
S.
167
f.)
Und
in
die
sem
Sine
sei
auch
und
gerade
die
Phänomenologie
»vom
Gegebenheitsprinzip
beherrscht«;
ihr
größtes
Interesse
gelte
»den
eigentlich
unmittelbaren
Vorfind-
lichkeiten
des
reinen
Erlebens
in der
Statik
ihrer
Bedeutung,
nie
in der
Dynamik
ihres
Sinns«
(ebd.,
S.
171).
Die
entscheidende
Differenz
liegt,
so
Plessner,
in
der
Explizitheit
der
Veror-
tung
des
eigenen
Standortes:
»Das
Verfahren
der
Kritik
hat
ein
eigenes
Apriori,
dessen
Möglichkeit
zu
begründen,
in
den
Kreis
seiner
Aufgaben
mit
hineinge
hört.
Darin
besteht
das
Problem.«
(ebd.,
S.
217,
FN
14)
Wenn
diese
Aufgabe
nicht
erledigt
wird,
ist
eine
Theorie
des
Wissens
»nicht
erkenntniskritisch
und
transzendental,
sondern
ontologische
Reduktion
des
Gegebenen,
d.h.
Phänome
nologie«
(ebd.,
S.
217).
Das
Erledigen
dieser
Aufgabe,
also
die
Selbstbegründung
der
Kritik,
sei
nur
als
»Selbsterzeugung
denkbar«
(ebd.,
FN
14).
Solche
Selbstbe
gründung
kann
sich
zx&VmxztXSi
gegebenen
Grund
berufen
und
ist
in
diesem
Sin
ne
grundlos
(ebd.,
S.
238-242),
sie
ist
»nichts
als
das
Legen
des
Grundes«
(ebd.,
S.
174),
und
»nichts
verbietet
sich
für
diesen
Gedanken
mehr,
als
eine
Substan-
tialisierung
des
Ursprungs
nach
Art
der
Fichteschen
Tathandlung«
(ebd.,
S.242).
Diese
Abgrenzung
von
jeder
Substantialisierung
der
Freiheit
des
kritischen
Verfahrens
bleibt
1918
freilich
noch
Versicherung.
Man
soll
sich
nicht
verführen
lassen,
hier
»an
eine
Emanation
des
Vielen
aus
dem
Ureinen
der
Freiheit
zu
den
ken«
(ebd.,
S.
243).
1931
dann
hält
Plessner
entschieden
an
seiner
Kritik
an
jeder
Form
des
»analytischen
Philosophierens«,
des
Beherrschtseins
vom
Gegeben
heitsprinzips,
fest,
gerichtet
sowohl
gegen
einen
naturalisierenden
Empirismus
als
auch
gegen
jeden
materialen
oder
formalen
Apriorismus,
explizit
gemünzt
auf
Heidegger
(Plessner
1931,
S.
154
—
159).
1
In
dieser
Hinsicht
wiederholt
Plessner
dort
lediglich
das
schon
1918
Ausgeführte:
»Man
kann
also
sagen,
daß
unter
kri
tischem
Gesichtspunkt
eine
vorhandene
Form,
ein
gegebenes
Apriori,
auf
wel
ches
Reflexion
sich
zu
richten
hätte,
keinen
Sinn
besitzt.«
(Plessner
1918,
S.
255)
Aber
1931
bleibt
die
Abgrenzung
von
der
Substantialisierung
eines
Freiheits
grundes,
und
damit
die
Abwehr
eines
Dezisionismus,
nicht
mehr
bloße
Versiche
rung
(vgl.
Schürmann
1997,
insbes.
S.
354
—
356).
Bis
1931
ist
das
kritische
Ver
fahren
anthropologisch
konkretisiert
und
naturphilosophisch
eingebettet
(Pless
ner
1923,
Plessner
1928);
vor
allem
weiß
sich
das
»Legen
des
Grundes«
nunmehr
als
politische
Anthropologie
(Plessner
1931).
1918
soll
es
nicht
so
sein,
aber
1931
ist
es
nicht
mehr
die
Vernunft,
die
das
Legen
ihres
eigenen
Grundes
bewerkstel
ligt.
Dass
das
Verfahren
der
Kritik
ein
eigenes
Apriori
hat
(s.o.),
heißt
nunmehr
auch
explizit,
dass
jeder
Grund
eines
bestimmten
kritischen
Verfahrens
andere
J.
PhänomenoL
34/2010
15
Götter
neben
sich
hat
-
»wir
müssen
ihn
[den
Menschen]
nicht
so
[als
exzentri
sches
Wesen]
begreifen,
aber
wir
können
es«
(Plessner
1931,
S.
148).
Das
wieder
um
heißt,
dass
das
Legen
des
Grundes
ein
Prozess
des
politischen
Aushandelns
auf
der
Basis
einer
geschichdich
gegebenen,
vorfmdlichen
Festlegung
ist
-
heute:
das
sich
wechselseitig
Anerkannthaben
als
Personen
gleicher
Rechte.
Der
»abso
lute
Sprung«
(Plessner
1918,
S.
240),
den
das
Verfahren
der
Kritik
»im
Anfang«
vollzieht,
ist
kein
Sprung
aus
dem
Nichts
eines
Nullpunktes,
sondern
seinerseits
eine
bedingte
Absolutheit.
Die
Freiheit
der
Grundlosigkeit
ist
keine
kriterienlose
Willkürfreiheit,
mithin
keine
pure
Dezision,
sondern
die
Freiheit
»eines
Festhal
tens
an
einer
schon
getroffenen
Festlegung
oder
eines
Revoltierens
gegen
sie«,
hat
»also
geschichtlich
relevanten
Charakter«
(Plessner
1931,
S.
192).
Um
es
wiederum
auf
eine
Formel
zu
bringen;
Die
Plessnersche
»Wesensbe
stimmung«
des
Mensch-seins
-
exzentrische
Positionalität
-
ist
nicht
das
Ergeb
nis
reiner
Analyse
eines
Gegebenen,
sondern
hat
Eigenes
in
diese
Bestimmung
investiert;
sie
ist
also
ihrerseits
positioniert,
mithin
normativ
gehaltvoll.
Positio
nierte
Exzentrizität
(Schürmann
2006)
ist
eine
parteiliche
Auszeichnung (Schür
mann
2010)
eines
bestimmten
Mensch-seins,
nämlich
die
Verbindlichkeitserklä
rung
der
Unergründlichkeit
des
Mensch-seins.
Anthropologie
als
Metaphysik-Kritik
Die
konsequente
Selbstdepotenzierung,
die
Plessners
Anthropologie
in
ihrem
Kern
charakterisiert,
macht
eine
entscheidende
Voraussetzung.
Die
Rede
von
»Grundlosigkeit«
ist
nämlich
topologisch
singulär:
Im
je
gegebenen
philosophi
schen
Ansatz
gibt
es
nur
einen
einzigen
argumentativen
Ort,
an
dem
dieser
Joker
der
Grundlosigkeit
gespielt
werden
kann.
»Grundlosigkeit«
ist
die
Antwort
auf
die
Frage
nach
dem
Grund
des
gegebenen
philosophischen
Ansatzes
als
solchem
-
als
Antwort
auf
die
Frage
etwa
nach
dem
Grund
der
mit
diesem
Ansatz
ver
knüpften
Erkenntnistheorie,
Rechtsphilosophie,
Ästhetik,
Anthropologie
(jetzt
verstanden
als
Teildisziplin)
wäre
der
Verweis
auf
»Grundlosigkeit«
im
Sinne
Plessners
sachlich
falsch
resp.
Ausdruck
eines
sich
selbst
missverstehenden
Skep
tizismus.
Anders
gesagt:
Insofern
Plessner
darauf
beharrt,
dass
Exzentrizität
und
Grundlosigkeit
des
kritischen Verfahrens
korrelativ
sind,
tritt
Exzentrizität
hier
in
der
Rolle
der
Grundbestimmung
der
prima
philosophia
des
Denkansatzes
der
Philosophischen
Anthropologie
auf.
Weder
in
den
gängigen
Vorbehalten
gegen
die
philosophische
Anthropologie
als
einer
vermeintlichen
Wesensphilosophie
des
Menschen
noch
in
Fischers
Zweiteilung
von
Teildisziplin
und
Denkansatz
hat
diese
Rolle
einer
philosophi
schen
Anthropologie
irgendeinen
Platz.
Das
ist
schon
ganz
äußerlich
daran
sicht-
16
J.
Phänomenot.
34/2010
bar,
dass
dort
die
Anthropologie
Feuerbachs
gänzlich
als
toter
Hund
behandelt
wird.
Und
auch
umgekehrt:
Dort,
wo
es
eine
ernsthafte
Auseinandersetzung
mit
der
Verwwnjikonzeption
Feuerbachs
gibt
-
etwa
in
den
Arbeiten
von
Mey-
er-Drawe
—
dort
ist
auch
das
Verhältnis
zur
Philosophischen
Anthropologie
ent
spannter.
Mit
Feuerbach
auf
Anthropologie
zu
setzen,
besagt
zunächst
und
vor
allem
nicht
mehr,
aber
auch
nicht
weniger,
als
gegen
die
Tradition
daraufzu
insistie
ren,
dass
14rH««yrdie
Vernunft
endlicher, in
der
Welt
verankerter
Wesen
ist,
und
dass
es
nicht
so sei,
dass
unsere
Vernunft
eine
beschränkt-göttliche,
und
in
diesem
Sinne
endliche,
Vernunft
sei.
Auch
noch
gegen
Kants
Maßnehmen
an
einem in-
tellectus
archetypus
bleibt
Feuerbach
irdisch.
Wir
wissen
und
handeln
nicht,
als
ob
wir
beschränkte
Götter
wären
-
das
wäre
»eine
sehr
falsche
christliche
Demut
und
Bescheidenheit«
(Hegel,
VGPh
III,
S.
362;
vgl.
ebd.,
S.
370-372)
-
sondern
unser
Wissen
und
Handeln
«r
wahrhaft
das
Wissen
und
Handeln
endlicher,
wie
wohl
weltoffener
Wesen.
Anders
und
zugespitzt
formuliert:
Feuerbach
weiß
nicht
schon
von
woanders
her,
was
Vernunft
wohl
sei,
um
dann,
logisch
sekun
där,
daraus
eine
Anthropologie
durch
Anwendung
dieser
Vernunft
auf
»Men
schen«
zu
basteln,
sondern
Feuerbachs
Anthropologie
ist
topologisch
äquivalent
zur
vormaligen
Metaphysik,
weil
sie
in
der
Sache
das
direkte
Gegenteil
dieser
Metaphysik
konzipiert.
Anthropologie
als
prima
philosophia
zu
konzipieren
heißt
dies,
und
nur
dies:
Philosophie
kann
Vernunft
nicht
nicht
bestimmen,
und
die
Vernunft,
die
ihr
je
schon
zugrundeliegt,
ist
eine
Vernunft
von
»Menschen«,
nicht
aber
eine
Ver
nunft
von
Kreaturen,
die
nicht
eigentlich
an
Göttlichkeit
-
an
den
Blick
auf
die
Welt
von außerhalb
der
Welt
—
heranreichen.
Die
Vernunft,
die
wir
nun
einmal
haben,
ist
leibhaftige
Vernunft.
-
Manche
bestehen
dann
darauf,
dass
ein
solches
Unternehmen
nicht
»Anthropologie«
heißen
soll,
sondern
etwa
»Daseinsontolo
gie«.
Meinetwegen;
meinetwegen
auch
»Sprachphilosophie«,
»Sozialphiloso
phie«,
»Kulturphilosophie«
-
egal.
Die
Namen
stehen
für
verschiedene
Akzent
setzungen,
falls
in
der
Sache
Einigkeit
besteht:
Philosophie
kann
nicht
nicht
me
taphysisch
sein,
aber
sie
sollte
nicht
im
vormaligen
Sinne
Metaphysik
betreiben,
denn
wir
sollten
uns
nicht
ohne
Not
auch
noch
philosophisch
ins
irdische
Jam
mertal
katapultieren
-
als
ob
die
»Freiheit
über
den
Wolken
wohl
grenzenlos«
wäre.
Falls
nun
hier
Einigkeit
zwischen
Existenzphilosophie,
Hermeneutik,
Phäno
menologie,
Philosophischer
Anthropologie,
Kritischer
Theorie,
Kulturphiloso
phie,
Sprachanalytik,
Machtanalytik,
Dekonstruktivismus
besteht,
dann
ist,
in
der
Tat,
die
Philosophische
Anthropologie
innerhalb
dieser
Gemeinsamkeit
ein
Konkurrenzunternehmen,
denn
man
kann
sehr
unterschiedlicher
Meinung
sein,
J.
Phänomenol.
34/2010
17
worin
genau
die
Endlichkeit
weltoffener
Wesen
besteht.
Die
Philosophische
An
thropologie
Plessners
setzt
hier
im
Geiste
Feuerbachs
darauf,
dass
Philosophie
nur
als
Naturphilosophie
zu
haben
ist
(Schürmann
2005)-
Dies
richtet
sich,
schon
zeitgenössisch,
vor
allem
gegen
die
Reduktion
von
Philosophie
auf
Kuitur-
philosophie
(vgl.
Plessner
1928,
S.
63).
»Naturphilosophie«
steht
dort
für
eine
doppelte
Abgrenzung:
Gegen
eine
Konstitutionsphilosophie
hält
seine
Natur
philosophie
an
der
Bedingtheit
jedes
Setzens
von
Subjekten
fest
-
Feuerbach
klagte
ein
»passives
Prinzip«
in
Bezug
auf
den
Menschen
ein;
aber
weil
und
inso
fern
diese
Naturphilosophie
als
politische
Anthropologie
konzipiert
ist,
unter
läuft
sie
das
»Gegebenheitsprinzip«
und
weiß
sich
selbst
als
durch
den
Ort
be
dingt,
von
dem
aus
sie
entworfen
ist.
Plessners
Anthropologie
ist
dann,
formelhaft,
in
einem
dreifachen
Sinne
Welt-Philosophie;
i)
Weil
Exzenmzität
normativ
gehaltvoll
ist,
nicht
aber
Abbild
eines
naturalen
Tatbestandes,
genannt
Gattungswesen
Mensch,
ist
diese
Philoso
phie
in
der
Welt
der
Gesellschaft
verankert;
ii)
weil
Exzentrizität
leiblich
verfasst
ist,
ist
sie
in
der
Welt
der
Natur/des
Kosmos
verankert;
iii)
weil
diese
Anthropolo
gie
sich
selbst
als
exzentrisch
verfasst
weiß,
ist
sie
Weltphilosophie:
reflektierte
Grundlosigkeit
schützt
ihre
leidenschaftliche
Vernünftigkeit
vor
jedem
Welt
bild-Imperialismus.
Erklärtermaßen
ist
es
dieser
dritte
Aspekt,
der
»die
ganze
Weite«
des
naturphilosophischen
Ansatzes
bestimmt
—
und
dies
in
pointierter
Entgegensetzung:
»Und
daß
dies
«/e/rmännisch,
reif
und
wohl
die
wahre
Er-
kenntnishaltung
ist,
davon
spürt
man
bei
Heidegger
gar
nichts.
Es
ist
ernst
inner
lich
-
und
weltlos.
Eine
Philosophie,
die
den
Geist der
Schwere
heute
nicht
ein
mal
in
Frage
stellen
kann
-
nach
Nietzsche
-
bleibt
Schulphilosophie.«
(Plessner
[22.2.1928],
in
König/Plessner
1994,
S.
179
f.)
Der
naturphilosophische
Ansatz
hat
also
ein
spezifisches
Gewicht.
Das
heißt
selbstverständlich
nicht,
dass
Plessners
Philosophie
einzigartig
ist.
»Es
wird
in
der
Welt
mehr
gedacht,
als
man
denkt«
(Plessner
1928,
S.
34)
-
und
weltphilosophi
sche
Einsichten
findet
man
auch
andernorts.
»Nichts
ist
dem
Intellektuellen,
der
zu
leisten
sich
vornimmt,
was
früher
Philosophie
hieß,
unangemessener,
als
in
der
Diskussion,
und
fast
möchte
man
sagen
in
der
Beweisführung,
recht
behalten
zu
wollen.
Das
Rechtbehaltenwollen
selber,
bis
in
seine
subtilste
logische
Refle
xionsform
hinein,
ist
Ausdruck
jenes
Geistes
von
Selbsterhaltung,
den
aufzulösen
das
Anliegen
von
Philosophie
gerade
ausmacht.«
(Adorno
1951,
85)
Der
Stachel
Plessner
Die
Grundlosigkeit einer
im
Plessnerschen
Sinne kritischen
Philosophie
macht,
dass
diese
um
sich
selbst
als
bedingte
weiß.
Insofern
ist
Exzentrizität
nicht
ledig
18
J.
PhänomenoL
34/2010
lieh
Abbild
eines
naturalen
Tatbestandes,
sei
dieser
empirischer,
material-
oder
formal-apriorischer
Natur.
Exzentrizität
ist
vielmehr
Ausdruck
einer
ausgehan
delten
Beurteilungspraxis
von
etwas
als
exzentrisch.
In
diesem
Sinne
ist
Exzentri
zität
ein
Titel
für
den
normativ
signifikanten
Sachverhalt,
gewisse
Naturkörper
typischerweise
als
exzentrisch
positioniert
angesprochen
und
behandelt
zu
haben
und
weiterhin
mit
dieser
gemeinsam
geteilten
Praxis
fortfahren
zu
wollen.
Weni
ger
technisch
ausgedrückt;
Exzentrizität
ist
gerade
nicht
eine
Strukturbestim
mung
des
Menschen
als
Gattungswesen,
sondern
die
Auszeichnung
von
Persona
lität.
Exzentrizität
präsentiert
sich
nicht
als
einzig
angemessener
Ausdruck
eines
naturalen
Wahrmachers,
»so
dass
in
natürlicher
und
kultureller
Hinsicht
fest
stellbare
Verschiedenheiten
auf
ein
Wesen
des
Menschlichen
zu
beziehen«
wären
(so
Rölli
2008,
S.
197).
Und
folglich
»wiederholt
sich«
hier
nicht
nur
nicht
»die
normalisierungstheoretische
Funktion
des
anthropologischen
Denkens«,
son
dern
hier
entspringt
genau
dazu
die
Gegenbewegung.
Mit
Plessner
geht
es
ent
schieden
nicht
darum,
»im
Kontinuum
des
Lebens
Unterscheidungen
einzutra
gen,
die
die
Würde
des
Menschen
als
solche
anhand
empirischer
Bestimmungen
relativiert«
(ebd.,
S.
214);
vielmehr
wf
Exzentrizität
die
normative
Auszeichnung
kategorisch
geltender
Würde
von
exzentrisch
positionierten
Naturkörpern
(Haucke
2003;
Schürmann
2007).
Dieser
Plessner
ist
in
einer
Traditionslinie
von
Anthropologie
beheimatet,
die
mit
Herder
und
Feuerbach
entsprungen
ist,
und
die
derjenigen
Traditionslinie
diametral
entgegengesetzt
ist,
die,
auch
und
gerade
unter
dem
Tix&\philosophische
Anthropologie,
jene
von
Rölli
so
exakt
analysierte
naturalisierend-norma-
lisierende
Rolle
gespielt
hat.
Selbstredend
ist
dieser
fundamentale
Unterschied
weder
bei
Herder
noch
bei
Feuerbach
klar
herausgestellt,
weil
er
sich
dort
aller
erst
zu
artikulieren
beginnt.
Rezeptionsgeschichtlich
fiel
es
daher
leicht,
Feuer
bachs
Rede
von
einem
-
pars
pro
toto
-
»spekulativen
Leib«
durch
Nichtbeach
tung
zu
strafen
oder
als
Ausweis
philosophischen
Unsinns
abzustrafen.
Selbst
bei
Plessner
ist
jener
fundamentale
Unterschied
keineswegs
unverrückbar
festge
schrieben.
Es
gibt
Formulierungen
zuhauf,
die
beinahe
gar
nicht
anders
lesbar
sind,
als
bezeichne
Positionalität
und
Exzentrizität
naturale
Tatbestände.
Inso
fern
hat
es
seine
partielle
Berechtigung,
dass
Einige
(etwa
Gutmann,
Rölli,
Wein
garten)
Plessner
(in
kritischer
Absicht)
nur
so
lesen
können.
Plessner
selbst
wuss
te
darum,
dass
vor
allem
die
Stufen
diese
Lesart
zulassen.
Aber
man
kann
auch
wissen,
dass
dies
nur
der
halbe
Plessner
ist.
Zwar
ist
auch
eine
Selbstauskunft
nichts,
was
selbst
sagt,
wie
sie
interpretiert
sein
will,
gar,
ob
sie
zurecht
besteht,
aber
in
diesem
Fall
bleiben
nicht
allzuviele
Optionen,
denke
ich:
»Und
ich
glau
be,
daß
Sie
—
sicher
nicht
ganz
mit
Unrecht
—
mich
zunächst
so
als
Gegenspieler
Heideggers
sehen;
kein
Primat
des
Ontologischen
vor
dem
Chmschen,
sondern
3.
PhänomenoL
34/2010
19
des
Ontischen
vor
dem
Ontologischen;
darum
quasi
unbekümmerte
Direktheit
in
der
Wendung
zur
äußeren
>Natur<anschauung,
bewußtes
Überspringen
des
angeblich
(und
ja
trotzdem
auch
wirklich)
sich
vorgelagerten
Existenzsubjekts!
Und
doch
ist
das
nicht
die
ganze
Weite
dessen,
was
hier
Natur
bedeutet
und
na
turphilosophischer
Ansatz.
Vielmehr:
die
in
und
mit
der
Exzentrizität
gegebene
Irrelevanz
des
Ansatzes
und
der
Untersuchungsrichtung,
die
Primatlosigkeit
in
dieser
Situation,
das
Gefragtsein
jeder
Frage.«
(Plessner
[22.2.1928],
in
König/Plessner
1994,
S.
176
f.)
v.schuermann
@dshs-koeln.
de
Anmerkungen
1
Informativ
und
aufschlussreich
ist
in
diesen
Fragen,
und
vor
allem
zur
Verhäitnisbestimmung
von
Plessners
Stufen
und
seiner
Machtschrift
von
1931,
der
Briefwechsel
mit
Josef
König.
Zum
Beispiel:
Die
Anthropologie
»ist
überhaupt
nicht
ausgezeichnet
dem
Range
nach
oder
der
einzig
legitime
Ansatz
zur
Philosophie,
auch
sie
selbst
erfährt
an
sich
das
Schicksal
der
Exzentrizität.
Hier
finde
ich
den
eigentlich
schwachen
Punkt
Heideggers,
der
noch
an
einen
ausgezeichneten
Weg
(der
Ontologie)
glaubt
[...].
Also
ich
unterschreibe
ihr
Urteil:
er
[Heidegger]
steht
hoch
über
dem
heute
Üblichen
—
aber,
aber
Husserl
ist
doch
der
Initiator
und
über
Husserl
kommt
er
nicht
hinaus;
nur
in
der
Verve,
im
Stil,
in
der
menschlich-totalen Geladenheit,
im
Sprachschöp
ferischen.
Er
bleibt
-
Phänomenologe.«
(Plessner
[22.2.1928],
in
König/
Plessner
1994,
S.
176-181)
Literatur
Adorno,
Theodor
W.
(1951):
Minima
Moralia.
Reflexionen
aus
dem
beschädigten
Leben,
Frankfurt
a.
M.
1988.
Fischer,
Joachim
(2008):
Philosophische
Anthropologe.
Eine
Denkrichtung
des
20.
Jahrhunderts,
Frei-
burg
'
Haucke,
Kai
(2003):
Das
liberale
Ethos
der
Würde.
Eine
systematisch
orientierte
Problemgeschichte
zu
Helmuth
Plessners
Begriffmenschlicher
Würde
in
den
>Grenzen
der
Gemeinschaft*,
Würzburg.
Hegel,
Georg
Wilhelm
Friedrich
(HW):
Werke
in
20
Bänden.
Frankfurt
a.
M.
1986.
—
(WdLI-II):
Wissenschaft
der
Logik
I
—
II
[1831
—
1813/16],
in:
G.W.F.
Hegel
(HW),
Bd.
5-6.
—
(Enz
I
—
III):
Enzyklopädie
der
philosophischen
Wissenschaften
im
Grundrisse
[1830]
I
—
III,
in:
G.W.F.
Hegel
(HW),
Bd.
8-10.
—
(VGPh
I-III):
Vorlesungen
über
die
Geschichte
der
Philosophie
}
—
III,
in:
G.W.F,
Hegel
(HW),
Bd.
18-20.
König,
Josef
&
Plessner,
Helmuth
(1994):
Briefwechsel
1923
—
1933.
Mit
einem
Briefessay
von
Josef
König
über
Helmuth
Plessners
>Die
Einheit
der
Sinne<,
hg.
v.
H.-U.
Lessing
&
A.
Mutzenbe
cher.
Freiburg,
München.
Plessner,
Helmuth
(GS):
Gesammelte
Schriften.
10
Bände,
hg.
v.
G.
Dux
er
al.
Frankfurt
a.
M.
1980-1985.
—
(1918):
Krisis
der
transzendentalen
Wahrheit
im
Anfang,
in:
H.
Plessner
(GS),
Bd.
1
(1980),
S.
143-310.
—
(1923):
Die
Einheit
der
Sinne.
Grundlinien
einerÄsthesiologie
des
Geistes,
in:
H.
Plessner
(GS),
Bd.
3
(1980),
S.
7-315.
20
J.
PhänomenoL
34/2010
—
(1928):
Die
Stufen
des
Organischen
und
der
Mensch.
Einleitungin
diephilosophische
Anthropologie,
in:
H.
Plessner
(GS),
Bd,
4
(1981).
—
(
1931
):
Macht
und
menschliche
Natur.
Ein
Versuch
zur
Anthropologie
der
geschichtlichen
Weltansicht,
in:
H.
Plessner
(GS),
Bd.
5
(1981),
S.
135-234.
Rölli,
Marc
(2008):
»Anthropologische
Machtverhältnisse«,
in:
R.
Krause,
M.
Rölli
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Macht.
Be
griff
und
Wirkung
in
der
politischen
Philosophie
der
Gegenwart.
Bielefeld,
S.
193
—
220.
Schürmann,
Volker
(1997):
»Unergründlichkeit
und
Kritik-Begriff.
Plessners
Politische
Anthropolo
gie
als
Absage
an
die
Schulphilosophie«,
in:
Deutsche
Zeitschrift
Jur
Philosophie
45
(1997)
3,
S.
345-361.
—
(2002):
»Das
Wesen
des
Menschen
als
Politikum.
Was
philosophische
Anthropologie
sein
könnte«,
in:
M.
Koßler
&
R.
Zecher
(Hg.),
Von
der
Perspektive
der
Philosophie.
Beiträge
zur
Bestimmmig
eines
philosophischen
Standpunkts
in
einer
von
den
Naturwissenschafteft
geprägten
Zeit.
Hamburg,
S.
83-99.
—
(2005):
»Natur
als
Fremdes«,
in:
G.
Gamm, M.
Gutmann,
A.
Manzei
(Hg.),
Zwischen
Anthropolo
gie
und
Gesellschaftschaftstheorie.
Zur
Renaissance
Helmuth
Plessners
im
Kontext
der
modernen
Le
benswissenschaften.
Bielefeld,
S.
33-52.
—
(2006):
»Positionierte
Exzentrizität«,
in:
H.-P.
Krüger,
G.
Lindemann
(Hg.),
Philosophische
Anthro
pologe
im
21.
Jahrhundert.
Berlin,
S.
83-102.
—
(2007):
»Personen
der
Würde«,
in;
F.
Kannetzky,
H.
Tegtmeyer
(Hg.),
Persoftalität.
Studien
zu
einem
Schlüsselbegiffder
Philosophie.
Leipzig,
S.
165
—
185.
—
(2010):
»Parteilichkeit«,
in:
J.
J.
Sandkühler
(Hg.),
Enzyklopädie
Philosophie,
in
drei
Bänden
mit
einer
CD-ROM.
Hamburg,
S.
1912-1916.
J.
PhänomenoL
34/2010
21