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ZUM PROZESS DES AUFWERFENS MATHEMATISCHER
PROBLEME – VALIDIERUNG EINES DESKRIPTIVEN
PROZESSMODELLS
Lukas Baumanns & Benjamin Rott
Universität zu Köln
Unredigierte Manuskriptfassung des Artikels Baumanns, L. & Rott, B. (2020). Zum Prozess des Aufwerfens mathe-
matischer Probleme – Validierung eines deskriptiven Prozessmodells. In: L. Baumanns, J. Dick, A.-C. Söhling, N.
Sturm & B. Rott (Hrsg.), Wat jitt dat, wenn et fädich es? Tagungsband der Herbsttagung des GDM-Arbeitskreises Problemlösen in
Köln 2019 (S. 87–100). Münster: WTM. https://doi.org/10.37626/GA9783959871723.0.05
Schwerpunkt der vorliegenden Studie ist die Entwicklung eines deskriptiven Prozessmodells von
Problem-Posing-Prozessen. Dazu wurden 17 Prozesse erhoben, in denen Lehramtsstudierende in
Paaren neue Probleme zum sogenannten NIM-Spiel aufwerfen sollten. Aus der Analyse dieser
Prozesse wurden fünf inhaltstragende Episodentypen abgeleitet, mit denen sich die Prozesse zeitde-
ckend beschreiben lassen. Diese Episodentypen wurden sowohl induktiv durch die beobachteten Pro-
zesse als auch deduktiv aus der Theorie zum Problem Posing gewonnen. In einem Ausblick werden
Verwendungsmöglichkeiten des deskriptiven Prozessmodells skizziert.
EINLEITUNG
„In re mathematica ars proponendi quaestionem pluris facienda est quam sol-
vendi.“ (Cantor, 1867, p. 26)
In der Mathematik ist die Kunst, eine Frage zu stellen von höherem Wert als sie zu lösen.
Die Tätigkeit des Stellens von Fragen und des Aufwerfens von Aufgaben in der Ma-
thematik, das sogenannte Problem Posing, wird sowohl von Mathematiker*innen
(Hadamard, 1945; Halmos, 1980; Lang, 1989) als auch Mathematikdidaktiker*innen
(Brown & Walter, 1983; Silver, 1994; English, 1997) als zentrale Tätigkeit der Ma-
thematik hervorgehoben. Als wichtiger Begleiter des Problemlösens kann Problem
Posing flexibles Denken fördern, die Problemlösefähigkeiten verbessern und das
Verständnis der Lernenden für mathematische Inhalte schärfen (English, 1997). Da-
bei liegt der Fokus bei der Analyse dieser Tätigkeit zumeist auf den Produkten, also
den entstehenden Aufgaben. Jedoch bleiben die Einblicke in den Prozess des Prob-
lem Posings begrenzt. Die vorliegende Studie konzentriert sich auf die Entwicklung
eines solchen deskriptiven Prozessmodells mit dem Ziel, die Ergebnisse einer frühe-
ren Pilotstudie zu validieren (Baumanns & Rott, 2018).
THEORETISCHER HINTERGRUND
Problem Posing
Es existieren maßgeblich zwei Definitionen für die Tätigkeit des Problem Posings,
die in einem Großteil der Forschungsliteratur herangezogen werden. Zum einen de-
finiert Silver (1994, S. 19) Problem Posing als die Tätigkeit des Generierens neuer
sowie Reformulierens gegebener Aufgaben. Diese Tätigkeit kann vor, während oder
nach dem Lösen einer Aufgabe stattfinden. Zum anderen definieren Stoyanova und
Baumanns & Rott
Ellerton (1996, S. 518) Problem Posing als Prozess, bei dem Lernende auf der
Grundlage ihrer mathematischen Erfahrungen persönliche Interpretationen konkre-
ter Situationen konstruieren und diese als sinnvolle mathematische Aufgaben formu-
lieren. Die entstehenden Aufgaben einer Problem-Posing-Tätigkeit resultieren im
Spektrum zwischen Routineaufgaben und Problemen (vgl. Baumanns & Rott, 2019).
Problem-Posing-Situation
unstrukturiert
1
Pose a problem for a mathematics competition.
(vgl. Kontorovich & Koichu, 2013)
2
Imagine billiard ball Tables like the ones shown below. Suppose a ball is
shot at a 45° angle from the lower left corner (A) of the Table. When the
ball hits a side of the Table, it bounces off at a 45° angle.
In each of the examples shown below, the ball hits the sides several times
and then eventually lands in a corner pocket. In Example 1, the ball travels
on a 6-by-4 table and ends up in pocket D, after 3 hits on the sides. In
Example 2, the ball travels on a 4-by-2 table and ends up in pocket B, after
1 hit on the side.
Look at the examples, think about the situation for tables of other sizes,
and write down any questions or problems that occur to you.
(Silver, Mamona-Downs, Leung & Kenney, 1996, p. 297)
strukturiert
3
Auf dem Tisch liegen 20 Spielsteine. Zwei Spieler A und B nehmen ab-
wechselnd einen oder zwei Steine weg. Es gewinnt, wer den letzten Zug
macht. Kann Spieler A, der beginnt, sicher gewinnen?
Stelle, basierend auf dieser Aufgabe, möglichst viele weitere mathematische
Aufgaben.
(vgl. Schupp, 2002, S. 92)
Tabelle 1: Strukturierte und unstrukturierte Problem-Posing-Situationen
Tätigkeitsaufforderungen, die zur Tätigkeit des Problem Posings anregen, nennt man
Problem-Posing-Situationen. In Anlehnung an Stoyanova und Ellerton (1996) un-
terscheiden wir je nach Grad an gegebenen Informationen zwischen unstrukturierten
und strukturierten Problem-Posing-Situationen (Baumanns & Rott, 2019). Unstruk-
turierte Situationen zeichnen sich durch eine natürliche oder konstruierte Umgebung
aus, bei der restriktionsfrei Aufgaben aufgestellt werden können. Dabei befinden sich
unstrukturierte Situationen auf einem Spektrum zwischen keinen bis wenig gegebe-
nen Informationen (vgl. Tabelle 1, Situation 1) bis zu einer stärker vorgegebenen,
offenen Situation, deren Struktur durch Verwendung mathematischen Wissens und
mathematischer Konzepte exploriert werden muss (vgl. Tabelle 1, Situation 2). Struk-
turierte Situationen bestehen aus einer gegebenen Initialaufgabe, die es zunächst zu
A
(P 1)
I . S
450 (A) . W
, 450 .
I ,
. I E 1,
6--4 D, 3 . I
E 2, 4--2 B,
1 .
D C D C
A S B4B B
L , ,
.
B
(P 2)
[NOTE: T IP ]
L , ,
,
. T , A? W
B? I C? I D?
C
(P 3)
A ,
. I ,
.
F 1. T (BBM) .
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Zum Prozess des Aufwerfens mathematischer Probleme – Validierung eines deskriptiven Prozessmodells
lösen gilt. Anschließend sollen auf der Grundlage dieser Initialaufgabe, z. B. durch
Variation der Bedingungen, neue Aufgaben aufgeworfen werden (vgl. Tabelle 1, Si-
tuation 3). Die im deutschsprachigen Raum im Besonderen durch Schupp (2002)
geprägte Tätigkeit der Aufgabenvariation stellt eine Form des strukturierten Problem
Posings dar.
Neben solchen Situationen werden in der Problem-Posing-Forschung zudem zwei
Aufgabentypen als Problem Posing bezeichnet, die wir zu unserem Verständnis der
Tätigkeit des Problem Posings abgrenzen wollen (Baumanns & Rott, 2019). Bei Auf-
gabe 4 in Tabelle 2 soll ein Kontext zu einem vorgegebenen Diagramm angegeben
werden, wie zum Beispiel: „Die Kosten für das Mieten eines Fahrrads betragen 2 $
Grundgebühr plus 0,50 $ für jeden Tag, an dem es gemietet wurde“ (vgl. Cai u. a.,
2013, S. 65). Dieser Kontext bzw. diese Antwort stellt keine Aufgabe dar, die an-
schließend gelöst werden könnte, und daher wollen wir Aufgabe 4 nicht als Problem-
Posing-Situation bezeichnen. Bei Aufgabe 5 in Tabelle 2 werden Lernende dazu auf-
gefordert, die vorgegebene Aufgabe zu einem gegebenen Kontext zu finden: „Wie
viele Pfund hat Jason von seiner Mutter bekommen?“ Diese Aufgabe hat mit der
vorgegebenen Lösung einen gegebenen Endzustand und wegen der fehlenden Fra-
gestellung einen unbekannten Anfangszustand. Damit handelt es sich bei dieser Auf-
gabe um eine Umkehraufgabe (Bruder, 2000), die wir von einer Problem-Posing-
Tätigkeit abgrenzen wollen.
Aufgabe
4
Use the graph below to answer the following questions.
Write an equation that will produce the above graph when x is greater than or
equal to zero.
Write a real life situation that could be represented by this graph. Be specific.
(Cai u. a., 2013, p. 63)
5
Write a question to the following story so that the answer to the problem is “75
pounds”.
“Jason had 150 pounds. His mother gave him some more. After buying a book
for 25 pounds he had 200 pounds.”
(Christou u. a., 2005, p. 152)
Tabelle 2: Aufgaben, die nicht als Problem-Posing-Situation begriffen werden
Baumanns & Rott
Curriculare Legitimation
In den Bildungsstandards spielt Problem Posing eine untergeordnete Rolle. Während
die Bildungsstandards der Allgemeinen Hochschulreife (KMK, 2015) Erwähnungen
von Problem Posing aussparen, ist ein solcher Aspekt in denen des Mittleren Schul-
abschlusses (KMK, 2004) unter dem Aspekt des Problemlösens gefasst. Dort ist for-
muliert, dass Schüler*innen „selbst formulierte Probleme bearbeiten“ (S. 8) und in-
nerhalb des Anforderungsbereichs II des Herstellens von Zusammenhängen „Prob-
leme selbst formulieren“ (S. 14). Als globales Charakteristikum des Anforderungsbe-
reichs III, dem Verallgemeinern und Reflektieren, ist außerdem festgehalten, dass
komplexe Gegebenheiten unter anderem „mit dem Ziel, zu eigenen Problemformu-
lierungen [...] zu gelangen“ (S. 13), bearbeitet werden sollen.
Forschungsstand
In der Problem-Posing-Forschung liegt der Fokus bei der Analyse zumeist auf den
Produkten, also den entstehenden Aufgaben (vgl. Bonotto, 2013; Van Harpen &
Sriraman, 2013; Singer, Voica & Pelczer, 2017). Bislang existieren nur wenige An-
sätze, Problem Posing über dessen Prozess zu analysieren (vgl. Pelczer & Rodríguez,
2011). Mangels eines validen Prozessmodells bleiben diese Ansätze explorativ. Dies
mag an fehlenden Erkenntnissen in Bezug auf mögliche wiederkehrende Phasen bei
der Tätigkeit des Problem Posings liegen. Auch Cai u. a. (2015) stellen fest: „[T]here
is not yet a general problem-posing analogue to well-established general frameworks
for problem solving such as Polya’s (1957) four steps“ (S. 14). Pelczer und Gamboa
(2009) argumentieren, dass die Tätigkeit des Problem Posings eines eigenen Prozess-
modells bedarf, das sich von denen des Problemlösens (vgl. Pólya, 1945; Schoenfeld,
1985a; Fernandez, Hadaway & Wilson, 1994; Rott, 2014) unterscheidet: „[D]o we
need a model for problem posing or, in fact, problem posing is ,covered‘ by a prob-
lem solving model. We argue that there is a need for a separate model, since the sub-
processes involved in the stages are different and the knowledge has to be applied in
a distinct way“ (S. 359).
Ein Versuch, den Prozess des Problem Posings in Phasen einzuteilen, stammt von
Pelczer und Gamboa (2009). Sie unterscheiden die fünf Phasen setup, transformation,
formulation, evaluation, und final assessment auf der Grundlage der Analyse von Problem-
Posing-Prozessen bei unstrukturierten Situationen. Die Phase setup umfasst die De-
finition des mathematischen Kontextes einer Situation sowie die Reflexion über das
notwendige Wissen, das man im Rahmen der Situation besitzen muss. Auch das Ab-
rufen eines Theorems oder Problems als Startpunkt für das Problem Posing wird
unter dieser Phase gefasst. Bei der transformation werden die Bedingungen eines abge-
rufenen Problems analysiert und Möglichkeiten der Änderung identifiziert, reflektiert
und ausgeführt. In der formulation werden alle Tätigkeiten zusammengefasst, die mit
der Formulierung einer Aufgabe zusammenhängen. Dazu gehört auch die Betrach-
tung verschiedener Formulierungsmöglichkeiten der Fragestellung sowie eine Be-
wertung dieser Formulierungen. In der evaluation wird ein aufgeworfenes Problem
auf verschiedene Aspekte hin bewertet, beispielsweise ob es die anfangs gestellten
Zum Prozess des Aufwerfens mathematischer Probleme – Validierung eines deskriptiven Prozessmodells
Bedingungen erfüllt oder wie es aufgebaut und formuliert ist. Bei der final assessment
wird sowohl der Prozess des Aufwerfens eines Problems reflektiert als auch das
Problem selbst im Hinblick auf die Schwierigkeit und das Interesse bewertet.
Ramírez (2006) postuliert ein Prozessmodell auf der Grundlage eines Ausbildungs-
programms für Lehrkräfte (vgl. Abbildung 1). Aus diesem Grund stehen diesem Pro-
zessmodell educative needs und die sich daraus ergebenden goals voran. Nachdem ein
solches konkretes Unterrichtsziel festgelegt wurde (1), beginnt die Episode des prob-
lem formulating (2). Diese Episode hat ein Problem als Output, welches anschließend
gelöst wird (3). Sollte es nicht lösbar sein, muss das Problem neu formuliert werden
(4). Ein lösbares Problem wird in der Episode problem improving weiterentwickelt (5).
Dabei wird das Problem in seiner Komplexität an die Lerngruppe angepasst und mit
dem Ziel abgeglichen (6 und 7). Wenn der Vergleich zeigt, dass das Problem nicht
geeignet ist, werden entweder weitere Veränderungen an der Aufgabe vorgenommen
oder die Aufgabe als ungeeignet verworfen (8).
Abbildung 1: Prozessmodell des Problem Posings nach Ramírez (2006)
Forschungsfragen
Diese vorgestellten Modelle vermögen die Tätigkeit des Problem Posings innerhalb
bestimmter Gegebenheiten abzubilden, bleiben jedoch aus verschiedenen Gründen
Postulate. Die Phasen bei Pelczer und Gamboa (2009) sind nur oberflächlich be-
schrieben, mäßig trennscharf voneinander und für die Verwendung in unserer Studie
nicht hinreichend operationalisiert. Das Modell von Ramírez (2006) ist speziell für
das Aufwerfen von Aufgaben von Lehrkräften für Schüler*innen konzipiert und da-
her auf Prozesse ohne diesen speziellen Hintergrund nur modifiziert anwendbar. Da-
raus ergibt sich ein Bedarf nach einem allgemein anwendbaren Modell für die Prob-
lem-Posing-Forschung. Aus diesem Forschungsdesiderat heraus haben sich die fol-
genden Forschungsfragen ergeben:
(1) Inwieweit lassen sich beim Prozess des Problem Posings Phasen identifizie-
ren?
(2) Inwieweit lassen sich wiederkehrende Muster der Phasenübergänge identifi-
zieren? Inwieweit lässt sich daraus ein deskriptives Prozessmodell ableiten?
FORSCHUNGSDESIGN
Zur Beantwortung dieser Fragen bedarf es videografierter Prozesse. Die innerhalb
der Studie verwendete strukturierte Problem-Posing-Situation und deren Variations-
potential werden im Folgenden vorgestellt. Anschließend wird die Erhebungs- sowie
die Auswertungsmethode der vorliegenden Studie konkretisiert.
the Teacher Training College mathematics student acquires, it is feasible to
conceptualize the former stages as procedures of the cognitive activity, which are
related to partial reachable goals and are, at the same time, made by a system of
actions and operations that make acting real (see Talizina, 1988, p. 201). Because
of such reasons we could conclude that to elaborate a problem is a human activity
made of three essential procedures: formulating, solving and improving.
This activity works for several needs of the teaching–learning process, related to
the diagnosis, exemplification, systems of exercises, exams, problematic
situations, etc. Each action should be considered in constant interaction with the
rest, whose dialect seems to move in spiral when opening new enigmas after the
clearing out of others. As an approximation to the modeling of the metaproblem,
we propose the following diagram:
Figure 2. The framework of the metaproblem.
For example, suppose that the teacher has a need to establish a problematic
situation, directed to the introduction of the concept «derivative». This poses the
goal to elaborate a mathematical problem (practical or not), related with this
concept (relations 1 and 2). In the first stage, the teacher formulates a problem and
figures out how to solve it (interaction 3–4). At this moment there may occur
regressions, changes of hypothesis, even the teacher may select new objects for
his analysis. So, it is possible to start from the scanning of a function whose graph
motivates the drawing of the tangent at a certain point. Nevertheless, after a
fruitless work, a flexible thought may begin the searching of a practical situation
that demands the calculation of a certain limit of ratio of change. Once the
2
3
4
5
7
6
1 8
GOAL
EDUCATIVE
NEEDS
PROBLEM
FORMULATING
PROBLEM
SOLVING
PROBLEM
IMPROVING
Baumanns & Rott
Problem-Posing-Situation
Für die vorliegende Untersuchung wurde die Problem-Posing-Situation NIM-Spiel
verwendet (vgl. Tabelle 1, Situation 3). In Anlehnung an die Darstellung aus Schupp
(2002, S. 92) soll zunächst eine mögliche Lösung der Aufgabe dargestellt werden (vgl.
Abbildung 2). Man könnte rückwärts überlegen, welche Anzahl an Spielsteinen Spie-
ler A für Spieler B im vorletzten Zug auf dem Tisch liegen lassen müsste, damit
Spieler A sicher gewinnt. Bei drei Spielsteinen kann Spieler B ein oder zwei Steine
entfernen, sodass zwei oder ein Stein auf dem Tisch bleiben. In beiden Möglichkeiten
kann Spieler A den Tisch abräumen und das Spiel gewinnen. Diese Idee lässt sich
fortsetzen. Lässt Spieler A für Spieler B sechs Steine auf dem Tisch übrig, kann Spie-
ler B ein oder zwei Steine entfernen, sodass fünf oder vier Steine auf dem Tisch
bleiben. Spieler A kann diesen Zug ausgleichen, um Spieler B drei Steine auf dem
Tisch übrig zu lassen; eine Situation, bei der Spieler A weiß, dass er sicher gewinnt.
Spieler A kann die Züge von Spieler B also stets derart ausgleichen, dass nach zwei
Zügen drei Spielsteine entfernt wurden. Damit liegt eine sichere Gewinnstrategie für
Spieler A darin, im ersten Zug zwei Steine vom Tisch zu entfernen, sodass 18 Steine
für Spieler B übrig bleiben, und im Folgenden die Züge von Spieler B stets so aus-
zugleichen, dass in zwei Zügen drei Steine entfernt wurden. Dann geht Spieler A
rückwärts die Dreierreihe entlang und gewinnt sicher das Spiel.
Abbildung 2: Lösungsstrategie des NIM-Spiels nach Schupp (2002, S. 92)
Schupp (ebd., S. 92 ff.) stellt zahlreiche Variationsmöglichkeiten des Spiels dar, die
an dieser Stelle in Teilen aufgeführt werden sollen, um das Problem-Posing-Potenzial
dieser Situation zu verdeutlichen. So könnte man sich fragen, ob Spieler A auch bei
19 oder 21 Spielsteinen sicher gewinnen kann. Oder was mit der Gewinnwahrschein-
lichkeit geschieht, wenn man nicht ein oder zwei, sondern ein bis drei oder gar ein
bis n Spielsteine vom Tisch entfernen darf. Wie stehen die Chancen für Spieler A,
wenn auch noch ein dritter Spieler Steine vom Tisch entfernen darf? Wie muss sich
die Strategie ändern, wenn man die Steine auf zwei Haufen aufteilt und man in sei-
nem Zug nur von einem Steine entfernen darf? Diese und weitere Aufgaben wurden
von den Proband*innen der vorliegenden Studie unter anderem aufgeworfen.
Erhebungsmethoden
Da diese explorative Studie der Hypothesen- und Theorienbildung dient, bot sich
ein weniger strukturiertes, qualitatives Vorgehen an, das offen gegenüber unerwarte-
ten Befunden ist (vgl. Döring & Bortz, 2016, S. 192). Ein solches Vorgehen wird
durch aufgabenbasierte Interviews realisiert. Diese werden im Besonderen in der
Problemlöseforschung für die Analyse kognitiver Prozesse verwendet (Maher &
20 18
A
17
16
B
15
A B A A A B A B A
14
13
12 9 6
5
4
3
2
1
0
Zum Prozess des Aufwerfens mathematischer Probleme – Validierung eines deskriptiven Prozessmodells
Sigley, 2014). Während bei der Pilotstudie (Baumanns & Rott, 2018) Einzelinter-
views durchgeführt wurden, fiel die methodische Entscheidung bei der vorliegenden
Validierung auf Partnerinterviews. Dadurch wurde eine natürlichere Kommunikati-
onssituation geschaffen (vgl. Philipp, 2013, S. 57) und der konstruierte Druck, etwas
Mathematisches für den Forschenden zu produzieren (vgl. Schoenfeld, 1985b,
S. 178) entfiel. Bei den 16 Paaren handelte es sich um Studierende des Lehramts für
das Fach Mathematik. Sieben Studierende besuchten eine Veranstaltung für das
3. Fachsemester im Master für das Lehramt an Gymnasien und Gesamtschulen, vier
eine Veranstaltung für das 3. Fachsemester im Master für das Lehramt an Haupt-,
Real- und Gesamtschulen und fünf eine Veranstaltung für das 1. Fachsemester im
Bachelor für das Lehramt für sonderpädagogische Förderung und das Lehramt an
Grundschulen. Die Studierenden haben im Rahmen einer Übungsgruppensitzung
Situation 2 aus Tabelle 1 zwischen 9 und 25 Minuten bearbeitet. Die Prozesse wur-
den jeweils dann beendet, wenn die Teilnehmenden äußerten, keine neuen Ideen
mehr generieren zu können. Zusätzlich wurde in derselben Sitzung eine weitere, un-
strukturierte Situation gestellt, die im Rahmen des vorliegenden Beitrags aus Platz-
gründen jedoch nicht thematisiert wird. Alle Studierendenpaare befanden sich in
demselben Raum unter authentischen Bedingungen einer Übungsgruppensitzung.
Für die Videographie wurde gegenüber der Studierendenpaare eine Kamera positio-
niert. Um sie an die natürliche Kommunikation vor der Kamera zu gewöhnen, wurde
vor den beiden Problem-Posing-Situationen kurze Knobeleien wie Streichholzrätsel
gestellt. Zur Dokumentation der Aufgaben- und Lösungsideen wurden Stift und Pa-
pier ausgeteilt.
Auswertungsmethoden
Bei der Pilotstudie wurde zunächst kein bestehendes Prozessmodell zugrunde gelegt.
Die Prozessmodelle des Problemlösens eigneten sich nicht für die Kodierung, da
sich die Teilprozesse beim Problem Posing von denen des Problemlösens unter-
scheiden (Pelczer & Gamboa, 2009). Auch die vorhandenen Prozessmodelle des
Problem Posings wurden nicht verwendet, da sie zum einen für einen spezifischen
Zweck entwickelt wurden (vgl. Ramírez, 2006) oder bestimmte Teiltätigkeiten der
beobachteten Prozesse nicht erfassen konnten (vgl. Pelczer & Gamboa, 2009). Da-
her wurden bei der Pilotstudie im Sinne einer qualitativen Inhaltsanalyse induktiv
Kategorien in Form von Episodentypen gebildet. Die von Rott (2014) angepasste
Verbal Protocol Analysis Schoenfelds (1985a) wurde hierzu für die Tätigkeit des Prob-
lem Posings adaptiert. Die Kodierung fand am Videomaterial statt, da ein Transkript
keinen Vorteil für eine an einer makroskopischen Perspektive orientierten Kodie-
rung liefert.
ERGEBNISSE
Ableitung der Episodentypen
Im Folgenden werden die Episodentypen beschrieben sowie mittels Ankerbeispielen
der Proband*innen Xanthippe (S1) und Yasmin (S2) (3. Mastersemester für das
Baumanns & Rott
Lehramt an Haupt-, Real- und Gesamtschulen) sowie Noam (S3) und Oskar (S4)
(3. Mastersemester für das Lehramt an Gymnasien und Gesamtschulen) dargelegt.
Die Namen sind jeweils anonymisiert.
Bei der Analyse erfassen die Proband*innen einzelne oder mehrere Bedin-
gungen der Initialaufgabe. Dabei wird zumeist assoziativ analysiert, welche Bedin-
gungen sich inwieweit eignen, um durch Variation oder Generierung zu neuen Aufga-
ben zu gelangen. Zudem wird das nachträgliche Erkunden der Lösungsstruktur der
Initialaufgabe unter diesem Episodentyp gefasst.
S2 Gibt’s noch irgendwelche Möglichkeiten, also … Variablen, die sich hierbei be-
einflussen lassen, wären wirklich die Spieleranzahl, Anzahl der Steine (…) und
wie viele nimmt man weg.
S1 Menge der Schritte.
S2 Genau.
S1 Ja das einzige ist, was man jetzt noch machen könnte, ist halt, das auf’n anderen
Bezug übertragen, ne? Auf’n anderen Alltagsbezug.
S2 Und das war’s eigentlich auch. Wir haben jetzt so alles Wichtige mein ich auch
zusammengefasst.
Bei der Variation werden einzelne oder mehrere Bedingungen der Initia-
laufgabe oder einer zuvor im Prozess aufgeworfenen Aufgabe abgeändert oder ver-
worfen. So hat die Situation NIM-Spiel mindestens die Bedingungen (1) 20 Steine, (2)
zwei Spieler, (3) abwechselnde Spielzüge, (4) ein oder zwei Spielsteine, die entfernt
werden dürfen, (5) Gewinnbedingung des leeren Tisches. Tätigkeiten, bei denen ein-
zelne oder mehrere dieser Bedingungen verändert oder verworfen werden, werden
als Variation kodiert. Zudem ist das Aufschreiben und Formulieren der jeweiligen
Aufgabenstellung unter diesem Episodentyp gefasst.
S3 Ich überlege, wenn man 1–3 Steine wegnehmen darf.
S4 Ja oder genau, wenn man die Anzahl der Steine, die man wegnehmen darf erhöht
... oder 4.
Bei der Generierung werden Aufgaben aufgeworfen, indem im Be-
sonderen neue Bedingungen zur gegebenen Initialaufgabe oder einer zuvor im Pro-
zess aufgeworfenen Aufgabe hinzu konstruiert werden. Andere Bedingungen kön-
nen unverändert bleiben. Durch die möglicherweise entstandene Änderung der Auf-
gabenstruktur findet bei den Proband*innenpaaren häufig eine Erläuterung der
neuen Aufgabe statt. Zudem ist das Aufschreiben und Formulieren der jeweiligen
Aufgabenstellung unter diesem Episodentyp gefasst.
S4 Oder ich fänd halt die Idee echt ganz cool, wenn man irgendwie ne Form hat
[baut in etwa eine quadratische Pyramide] und man muss quasi wie bei Memory
Pärchen finden, aber man darf nur die Steine nehmen, die quasi frei liegen, also
auf einer höheren Ebene liegen. Ich glaub, das ist gar nicht so dumm das Spiel,
ehm. Man darf meinetwegen bis zu 3 Steine wegnehmen, aber nicht Steine aus
verschiedenen Ebenen, also du darfst nur Steine aus einer Ebene nehmen. Das
Zum Prozess des Aufwerfens mathematischer Probleme – Validierung eines deskriptiven Prozessmodells
heißt der erste Zug ist mit einem vorgegeben und beim nächsten kannst du ent-
scheiden, ob du einen oder zwei nimmst [beide Züge ergeben sich aus dem Auf-
bau seiner Pyramide].
S3 Und wer gewinnt? Wer den letzten Zug macht?
S4 Wer den letzten Zug macht. Ich glaub das ist gar nicht so doof, weil da muss man
auch bei 9 Steinen überlegen, ok. Wie viel Steine darf man nehmen? Bis zu 3.
Die Episode Problemlösen beschreibt die Tätigkeit, in der Pro-
band*innen eine aufgeworfene Aufgabe lösen. Wurde ein Problem aufgeworfen,
durchlaufen die Proband*innen einen verkürzten Problemlöseprozess, in dem maß-
geblich die Phasen des Ausdenkens und Ausführens des Plans (vgl. Pólya, 1949, S. 22 ff.)
fokussiert werden. Zum Teil lassen Proband*innen die Ausführung des Plans aus,
wenn der Plan bereits hinreichende Aussagen über die Lösbarkeit und Komplexität
des aufgeworfenen Problems zulässt. Längere Phasen des Lösens von Routineaufga-
ben werden auch als Problemlösen kodiert.
[Im Folgenden erarbeiten die Proband*innen eine Lösung für ihre Variation
des NIM-Spiels mit 21 Spielsteinen und 1–3 Steinen, die entfernt werden dürfen]
S4 Ok dann bring ich’s auf 20, ich fang an [S1 beginnt und entfernt einen Spielstein].
Ich glaub, es klappt [...] Du hast einen weggenommen. 19. [S1 entfernt drei Spiel-
steine] 16. [S2 entfernt 3 Spielsteine] Ich will, dass du 4 Steine da liegen hast, ja
[S1 entfernt einen Spielstein. S2 entfernt drei Spielsteine] … Wie viele hast du
genommen?
S3 3.
S4 Ich hab sie dir schon dahin gelegt.
S3 Danke, nett von dir, dann nehm ich mir nochmal zwei davon. Ja, dann ist es so.
Also man gewinnt immer, wenn man den anderen auf ne durch … die nächsthö-
here Zahl bringt.
S4 Die 0 modulo der Zahl ist, die man also, wenn man n Steine wegnehmen darf,
dann muss man dem n+1 Steine dahin legen und das heißt man muss immer 0
modulo n+1.
S3 Ja ist richtig.
S4 Also, wenn n die Anzahl der Steine ist, die man wegnehmen darf.
Bei der Evaluation bewerten die Proband*innen die aufgeworfene(n)
Aufgaben auf der Grundlage individuell angelegter Kriterien. In den beobachteten
Prozessen wurde zumeist die sinnvolle Lösbarkeit, die Vollständigkeit, die Ähnlich-
keit der Fragestellung oder der Lösungsstruktur zur Initialaufgabe, die Angemessen-
heit für eine bestimmte Zielgruppe sowie das Lösungsinteresse als Bewertungskate-
gorie herangezogen. Auf der Grundlage dieser Evaluation wird die gestellte Aufgabe
anschließend als angemessen akzeptiert oder verworfen.
[Im Folgenden die Evaluation des im Ankerbeispiel zur Generierung aufgewor-
fenen Problems.]
S4 Aber jetzt muss man halt überlegen, ok möchte man ... am Ende liegen ja 16
Steine, möchte man damit beginnen oder nicht? Dann liegen darüber 9 Steine,
ok. Dann muss man halt dann entscheiden ok, liegen da 9 Steine, möchte man
Baumanns & Rott
damit beginnen oder nicht. Das find ich aber eigentlich cool. Weil dann muss
man das immer noch mit der Anzahl an Steinen überlegen. Das ist eigentlich ein
cooles Spiel, weil da muss man halt die Regeln nochmal verschieden anwenden.
S3 Ja. Ist wirklich gut.
S4 Kann man machen, oder?
Episoden, die keinen inhaltlichen Fort-
schritt zum Prozess beitragen, werden als Sonstiges kodiert. Hierzu gehören unter an-
derem das Lesen des Situationstextes, das Aufschreiben eines zuvor ausgearbeiteten
Aufgabentextes oder abschweifende Gespräche über situationsferne Themen.
Neben den Episoden werden zudem die aufgeworfenen Aufgaben kodiert. Wird
während einer Variation bzw. einer Generierung eine Aufgabe aufgeworfen, wird die
Aufgabe mit dem Zeitpunkt, zu dem sie aufgeworfen wurde, in einer separaten Ta-
belle festgehalten. Im Diagramm (vgl. Abbildung 3) wird das Aufwerfen einer Auf-
gabe in der Zeile Variation bzw. Generierung durch einen senkrechten Strich (|) ge-
kennzeichnet. Handelt es sich bei der aufgeworfenen Aufgabe um eine Modifikation
einer bereits vorher aufgeworfenen Aufgabe, wird dies mit einem gestrichelten senk-
rechten Strich (⁞) gekennzeichnet. Bei einer aufgeworfenen Aufgabe handelt es sich
um eine Modifikation, wenn durch die Proband*innen konstatiert wird, dass die zu-
nächst aufgeworfene Aufgabe z. B. nicht vollständig oder nicht lösbar ist und deshalb
die Bedingungen angepasst werden.
Abbildung 3: Darstellung des Problem-Posing-Prozesses Noams und Oskars
Ableitung des Prozessmodells
Bei der Analyse der Prozessstrukturen auf einer Metaebene haben sich verschiedene
Muster gezeigt. Zum einen beginnen die Prozesse zumeist mit einer Analyse, bevor
anschließend die Initialaufgabe variiert bzw. generiert wird. Häufig werden die aufge-
worfenen Aufgaben anschließend gelöst und gleichsam mit der Problemlösung evalu-
iert. Eine trennscharfe Kodierung der Episoden Problemlösen und Evaluation war in
einigen Fälle nicht möglich, da sich die Bewertungskriterien der Evaluation auf eine
Einschätzung der Problemlöseschwierigkeit berufen hat. Das deskriptive Prozess-
modell berücksichtigt diese Beobachtung und erlaubt eine gleichzeitige Kodierung
Zum Prozess des Aufwerfens mathematischer Probleme – Validierung eines deskriptiven Prozessmodells
beider Episoden. Zudem wurden sämtliche Episodenübergänge bis auf eine Aus-
nahme (von Evaluation nach Problemlösen) beobachtet. Auch dieser fehlende Übergang
ist theoretisch vorstellbar und würde bei hinreichend großer Stichprobe mutmaßlich
auftauchen, weshalb sich auch dieser Übergangspfeil im Modell befindet. Aus diesen
Beobachtungen hat sich das in Abbildung 4 dargestellte deskriptive Prozessmodell
des Problem Posings bei strukturierten Situationen ergeben.
Abbildung 4: Deskriptives Prozessmodell des Problem Posings
DISKUSSION & FAZIT
Über alle kodierten Prozesse hinweg wurde die Zeit, die die Proband*innen in den
verschiedenen Episoden verbracht haben, kumuliert und der Anteil dieser Zeit an
der Gesamtzeit aller Prozesse bestimmt. Bei dieser quantitativen Auswertung kam
heraus, dass die Proband*innen mit etwa 43 % der Zeit einen Großteil der Prozess-
dauer mit dem Problemlösen verbringen. Mit etwa 23 % der Gesamtzeit wird zudem
viel Zeit für die Variation aufgewendet. Auch die nicht-inhaltstragenden Episoden
nehmen mit etwa 15 % einen hohen Anteil ein. Etwa 8 % der Zeit wird mit der
Generierung neuer Probleme sowie der Evaluation aufgeworfener Probleme verbracht.
Die restlichen 3 % der Zeit widmen sich die Proband*innen der Analyse. In Abbil-
dung 5 ist diese quantitative Auswertung zusammengefasst.
Abbildung 5: Durchschnittliche quantitative Verteilung der Episoden
Im Vergleich zu den zuvor vorgestellten Prozessmodellen des Problem Posings leis-
tet das Modell in Abbildung 4 die Trennung zwischen Variation und Generierung,
die Silver (1994) bereits in der Definition der Tätigkeit anlegt und die sich auch em-
pirisch auffinden lässt. Dafür wurde eine Operationalisierung erarbeitet, die eine
möglichst objektive Kodierung ermöglicht. Zudem ermöglicht das Prozessmodell
eine Charakterisierung unterschiedlicher Problem-Posing-Typen.
Problemlösen
Evaluation
Problemlösen
Evaluation
Strukturierte oder unstrukturierte Situation
Analyse
Variation Generierung
Akzeptierte oder verworfene Aufgabe
. . .
Analyse
Variation Generierung
Akzeptierte oder verworfene Aufgabe
Sonstiges
(~15 %)
Evalu-
ation
(~8 %)
Problemlösen
(~43 %)
Gene-
rierung
(~23 %)
Variation
(~23 %)
Analyse (~3 %)
Baumanns & Rott
Dieses Modell wurde bislang in sechs studentischen Abschlussarbeiten erfolgreich
auf seine Anwendbarkeit überprüft und damit validiert. Dabei wurden neben dem
NIM-Spiel auch weitere Situationen verwendet sowie Prozesse bei Schüler*innen
und Lehrkräften erhoben. Auch die Anwendung der Episodentypen bei Prozessen,
die auf unstrukturierten Situationen beruhen, war mit wenigen inhaltlichen Anpas-
sungen der Charakteristika der Episodentypen erfolgreich. Dabei kam im Gegensatz
zur quantitativen Auswertung in Abbildung 5 heraus, dass bei unstrukturierten Situ-
ationen die Analyse sowie die Generierung einen im Vergleich zur Variation weitaus
größeren zeitlichen Raum eingenommen hat. Die Überprüfung der Interrater-Über-
einstimmung findet aktuell im Rahmen einer weiteren Abschlussarbeit statt.
In der Problem-Posing-Forschung liegt der Fokus zumeist auf den Produkten, die
im Vergleich zu Prozessen zugänglicher für Beobachtungen und Analysen sind. Das
im vorliegenden Beitrag entwickelte Prozessmodell ignoriert Produkte bewusst, um
den Fokus auf den Prozess zu richten. Das Prozessmodell macht nun auch die Pro-
zesse des Problem Posing einer objektiven Kodierung und Analyse zugänglich. So
wäre es Anlehnung an die Prozessforschung zum Problemlösen (vgl. Rott, 2014)
denkbar, dass der Prozess des Aufwerfens von Routineaufgaben anders verläuft als
der Prozess des Aufwerfens von Problemen. Zudem bietet sich analog zur Prob-
lemlöseforschung (vgl. Schoenfeld, 1985) ein Vergleich zwischen Expert*innen und
Noviz*innen an.
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