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geworden, welches Versuche zur Integration von
Erfahrungen und zur Schaffung einer kohärenten
Grundlage für individuelle und kollektive Identi-
täten verkörpert (O‘Connor 2019). Dementspre-
chend können die Rahmenbedingungen zur Ent-
stehung des kollektiven Gedächtnisses in diesem
Zusammenhang als „cadres mediaux“, als vermit-
telnder Rahmen, bezeichnet werden (Erll 2005).
Darüber hinaus ist die Erinnerungskultur häufig
mit konkreten Orten verbunden, beispielsweise
mit Gedenkstätten wie der Holocaust-Gedenk-
stätte in Berlin (Deutschland) oder Yad Vashem in
Jerusalem (Israel). Hier können Bezüge zu Noras
„lieux de memoire“ oder Orte der Erinnerung
hergestellt werden (François/Schulze 2009), die
Artefakte und Erinnerungsstätten sammeln, an
1 Einführung
Die Vermittlung von Memoria stellt einen wichti-
gen Part zur Herstellung und Wahrung kultureller
Identität dar. In diesem Zusammenhang kann
das kollektive Gedächtnis als ein Wissens- und
Informationsspeicher in den Erinnerungen sozialer
Gruppen definiert werden (Assmann/Czaplicka
1995). Jede Generation hat dabei ihre eigene Art
sich zu erinnern und es herrscht ein fortwährender
Diskurs darüber, in welcher Form erinnert werden
sollte. Durch die zunehmende Speicherung von
Erinnerungen in Medien spielen diese eine be-
deutsame Rolle, insbesondere zur Sicherung des
kulturellen Erbes. Diese mediatisierte Speicherung
ist zu einer Form des kollektiven Gedächtnisses
Soziale Medien als digitale Räume in
der Erinnerung an den Holocaust
Eine Vorstudie zur Twitter-Nutzung von
Holocaust-Museen und Gedenkstätten
Rehm • Manca • Haake
Martin Rehm, Stefania Manca und Susanne Haake
Nur wenige Studien haben bis dato untersucht, wie Holocaust-Orga-
nisationen soziale Medien in ihrer Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit
einsetzen. Diese Studie präsentiert die Resultate einer Literaturrecher-
che zur Nutzung von sozialen Medien für die Holocaust-Gedenkarbeit
und -Erziehung sowie die Ergebnisse einer quantitativen Vorstudie zur
Twitter-Nutzung von sechs Holocaust-Museen und -Organisationen in
Deutschland und Italien.
To date, few studies have investigated social media use in Holocaust or-
ganizations to engage general public and to help expand their knowledge
of the Holocaust. We present an overview of the literature about the
usage of social media for Holocaust memorialisation and education and a
preliminary study on the usage of Twitter in a sample of six Holocaust mu-
seums or organisations in Germany and Italy. Along with the results of a
first quantitative analysis, we also provide indications for future research.
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Rehm • Manca • Haake
denen sich das kollektive Gedächtnis kristallisiert
und akkumuliert.
Trotz nationaler Unterschiede in der Holocaust-
Erinnerungsarbeit, die „unweigerlich mit na-
tionalen Vorstellungen über Staat, Staatsbür-
gerschaft, Moral und Geschichte verbunden
sind“ (Schweber 2011, S. 462), wie auch der
unterschiedlichen Art und Weise, wie diese die
Geschichte, Kultur und Identität einer Nation
und damit auch die Konstruktion des Holocaust-
Gedächtnisses beeinflussen (Stevick/Michaels
2012), kann heute die Tendenz festgestellt wer-
den, dass die Aufarbeitung der Gräueltaten des
Holocausts als Teil der Entwicklung einer kollek-
tiven, transnationalen europäischen Erinnerungs-
kultur betrachtet wird (Levy/Sznaider 2006).
Globale Repräsentationen von Medien tragen
dazu bei, neue „kosmopolitische“ Erinnerungen
zu schaffen, die neue erkenntnistheoretische
Blickwinkel und neue moralisch-politische Inter-
dependenzen bieten (Levy/Sznaider 2006). So
wurde der Umgang mit dem Thema Holocaust
auch als eine Säule des Gedächtnisses hervor-
gehoben, die ethnische und nationale Grenzen
überschreitet (Assman 2010; Macdonald 2008).
Allerdings muss ebenso betont werden, dass das
transnationale Gedächtnis zwei miteinander ver-
knüpfte Dimensionen aufweist: i) eine politische
und ii) eine kulturelle Dimension. Im Kontext der
politischen Dimension wird das Gedächtnis als
„multi-actor commemoration field“ (Bell 2009)
gesehen, welches von verschiedenen politischen
Akteuren mit eigenen Erinnerungsvisionen be-
einflusst wird. Die kulturelle Dimension bezieht
sich auf die Stärke der emotionalen Präsenz
der Geschichten und Erinnerungen von Erin-
nerungsträgern. Eine Auseinandersetzung mit
diesen Erinnerungsträgern, insbesondere ihrer
Handlungen, Ressourcen und zugrundeliegen-
den Motivationen, ermöglicht es wiederum,
Schlussfolgerungen auf die politische Dimension
der transnationalen Erinnerung zu erfassen.
Die beiden Dimensionen werden zudem zum
Beispiel in sogenannten “memory wars“ (Stone
2013) gegeneinander ausgespielt. Während bis
vor kurzer Zeit die zentrale Rolle des Holocausts
in der westeuropäischen Identität und Erinne-
rung gesichert schien, werden heute Anzeichen
einer Erinnerungskrise betont (Levy/Sznaider
2006), die aus widersprüchlichen Wahrnehmun-
gen des Holocausts in verschiedenen Regionen
Europas resultiert. So wird in osteuropäischen
Ländern der Prozess der Globalisierung des
Holocaust-Diskurses oft kritisch und als Teil
eines Mechanismus zur weiteren Stärkung der
kulturellen Dominanz des Westens gesehen
(Van der Poel 2019). Zudem kann die osteuro-
päische Erinnerung an den Holocaust als ein Fall
von „multidirektionalem Gedächtnis“ (Rothberg
2009) bezeichnet werden. Kovács (2018) stellt
fest, dass die Erinnerung an den Holocaust als
Archetyp des Völkermords und die Verbrechen
des Kommunismus als rivalisierendes Erinne-
rungsgerüst in Osteuropa gesehen werden. Au-
ßerdem konnten zum Teil scharfe Auseinander-
setzungen in sozialen Medien nachgewiesen
werden, bei denen dasselbe historische Ereignis
von verschiedenen nationalen und ethnischen
Gruppen unterschiedlich erinnert wurde (De
Smale 2020). Es ist somit festzuhalten, dass
Erinnern in sozialen Medien kein homogener
Prozess ist. Stattdessen ist es ein Konzept mit
vielen Facetten, die in der inhaltlichen Ausei-
nandersetzung differenziert betrachtet werden
müssen. Dieser Diskurs steht jedoch nicht im
Fokus dieses Beitrags.
Vielmehr geht es hier um die Fortschritte in der
Kommunikationstechnologie, die neue Formen
der Holocaust-Erziehung und -Erinnerung er-
möglichen. Wie vor kurzem von der International
Holocaust Remembrance Alliance in den neuen
Empfehlungen für das Lehren und Lernen über
den Holocaust (IHRA 2019) betont wurde, kön-
nen soziale Medien einen wichtigen Faktor in der
heutigen Holocaust-Bildungsarbeit einnehmen.
Als Teil eines stärker informellen Unterrichts über
den Holocaust bieten sie Chancen einer anderen
Form der Diskussion über sensible und komplexe
Themen (Gross 2010). Holocaust-Museen mit
ihren pädagogischen Abteilungen, die wertvolle
und reichhaltige Ressourcen für Erinnerungsar-
beit und historisches Wissen anbieten, gewin-
nen in diesem Zusammenhang an Bedeutung
(Polgar 2019). Trotz einer vielfältigen Agen-
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da des Gedenkens sowie der Sensibilisierung
und Einbeziehung ihrer Besucher*innen können
Museen das Verständnis der Öffentlichkeit für
die Vergangenheit prägen und eine Tradierung
von Geschichte schaffen, stärken oder disku-
tieren (Eberle 2015; Agentur der Europäischen
Union für Grundrechte 2011; Gerstenfeld 2009).
In diesem Beitrag wird ein Überblick über die
Literatur zur Nutzung sozialer Medien zur Erin-
nerung und zum Gedenken an den Holocaust
gegeben, zusammen mit einer Vorstudie, die
Twitter-Profile einer Stichprobe italienischer und
deutscher Holocaust-Museen oder Institutionen
untersucht.1
2 Ein Überblick über die Literatur
Holocaust-Gedenkstätten und weitere Institu-
tionen des Gedenkens sind seit geraumer Zeit
im Internet präsent und kuratieren Websites,
Mailinglisten und soziale Medien (Brown/Wa-
terhouse-Watson 2014). Museen nutzen und
produzieren vielfältige Medien zur Vermittlung
und Kommunikation von Gedenkinhalten. Fran-
ken-Wendelstorf, Greisinger und Gries (2019)
erläutern den Wandel des „Lernortes Muse-
um“ und erweitern ihn in den digitalen Raum.
In dieser neuen Erinnerungslandschaft erweisen
sich soziale Medien als immer wertvollere Ins-
trumente, um Gedenkstätten den öffentlichen
Diskurs mit ihrer Zielgruppe zu ermöglichen
und die Kontakte zu vergangenen und zukünfti-
gen Besucher*innen zu pflegen. Facebook-Seiten,
Twitter-Accounts, Instagram-Profile und YouTu-
be-Kanäle stellen heute wichtige Bestandtei-
le des Kommunikationsportfolios verschiedener
Gedenk-Institutionen dar (Gray 2014; Pfanzelter
2016; Wong 2011). Darüber hinaus haben Mu-
seen, Bibliotheken und verwandte Kultureinrich-
tungen begonnen, soziale Medien zum Aufbau
von digital-sozialen Archiven zu nutzen (Bernsen/
Kerber 2017). Folglich sind soziale Medien zu ei-
nem gängigen Kommunikationskanal geworden,
die Museen, Gedenkstätten und Institutionen
zur Wissensverbreitung und Öffentlichkeitsarbeit
nutzen (Burkhardt 2015). Wie Pfanzelter (2016)
in ihrem Beitrag konstatiert: „Das Internet und im
Besonderen die sozialen Netzwerke prägen den
Diskurs entscheidend mit: Die Präsentation, Re-
präsentation und der Diskurs über die Geschichte
des und die Erinnerung an den Holocaust im
Internet ist ein Musterbeispiel für den transkul-
turellen Mediationsprozess zwischen Geschichte
und Erinnerung, zwischen Gedächtnis, Technik
und Kultur” (S. 213).
Trotz der Empfehlungen einiger Wissen-
schaftler*innen, die dazu auffordern, pädagogi-
sche Vorkehrungen im Zusammenhang mit der
Nutzung von Internettechnologien und sozialen
Medien zu treffen (Gray 2014; Pohl/Schwabe
2018), haben bisher nur wenige Studien die
Nutzung sozialer Medien für das Lehren und
Lernen über den Holocaust untersucht. So „gibt
es [immer noch] einen deutlichen Mangel an
Forschung darüber, wie das Internet und ins-
besondere Social Media das Wissen und Ver-
ständnis von [Jugendlichen] über den Holocaust
beeinflussen und wie sie das Thema in Bezug
auf seine Relevanz und Bedeutung wahrneh-
men“ (Gray 2014, S. 105). Während einige
bewährte Praktiken der Nutzung neuer Medien
im Gedenkkontext im Bereich der Holocaust-
Erziehung zu finden sind (Short/Reed 2017),
in denen Gedenkstätten-Websites, Formen des
Gedenkens in sozialen Medien und Anwendun-
gen im Gedenkstättenkontext für Unterrichtsas-
pekte in schulischen Kontexten beschrieben
werden, gibt es derzeit immer noch wenige
Darstellungen bewährter Praktiken in einem
nicht-pädagogischen Kontext oder in informel-
len Lernsettings (Assmann 2010).
Lazar und Hirsch (2015) analysierten die Inter-
aktionen innerhalb der Yahoo! answers-Gemein-
schaft anhand von Fragen, die von Schüler*innen
gestellt wurden, die Hilfe bei ihren Hausauf-
gaben suchten. Sie stellten fest, dass die hohe
Popularität dieser Internet-Gemeinschaften
Pädagog*innen und Wissenschaftler*innen, die
sich mit der Erziehung zum Gedenken an den
Holocaust beschäftigen, dazu aufforderte, sich
selbst enger mit diesem Medium zu beschäftigen,
da diese Form der Vermittlung eine beträchtliche
Rolle bei der Gestaltung der Art und Weise
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Rehm • Manca • Haake
spielen könnte, wie Schüler*innen an Fragen im
Zusammenhang mit dem Holocaust herangehen.
In einer weiteren Studie über den Einsatz von
Social-Media-Sites wie Facebook und Twitter für
das Lehren und Lernen von Geschichte betont
Burkhardt (2015), dass die Gestaltung eines
kompetenzorientierten Geschichtsunterrichts
unter Verwendung von Inhalten und Input aus
dem Social Web Konstruktionsprozesse von teil-
weise mediatisierten, historischen Erzählungen
erfordert. Im konkreten Fall des Museums und
der KZ-Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau wurde
berichtet, dass die Aktivitäten ihres Twitter-
Profils zwar eine leichte Tendenz zur „Amerika-
nisierung des Holocausts“ in den Reaktionen der
Nutzer*innen zeigen, das Museum aber auch auf
antisemitische und neonazistische Kommentare
reagiert und historisch falsche Daten korrigiert
(Burkhardt 2017). Aus dieser Perspektive scheint
Twitter ein wirksames Medium für die Dekons-
truktion historischer Mythen zu sein, insbeson-
dere, wenn es ein breites Publikum anspricht
und historische Institutionen anzieht, die mit his-
torischen Fakten und Erkenntnissen zur Debatte
beitragen (Burkhardt 2018).
Allerdings berichten Studien in diesem Kontext
ebenso von gegensätzlichen Ergebnissen. So
zeigt eine vorläufige Analyse der Facebook- und
Twitter-Profile von Gedenkstätten ehemaliger
Konzentrations- und Vernichtungslager im All-
gemeinen eine eingeschränkte Aktivität oder ein
geringes Engagement (Manca 2019). Auch Wong
(2011) widmet sich der Frage, wie Holocaust-
Gedenkstätten und Museen soziale Medien
für ihre Zwecke nutzen und Mitarbeiter*innen
hierfür professionalisieren können. Hier werden
Spannungen und Synergien zwischen traditio-
neller und moderner Museumspraxis in der Per-
spektive der Auseinandersetzung mit ethischen
Fragen der Transparenz, Zensur, des Respekts
für die Menschen und des Kontrollverlustes der
Medieninhalte von Museen analysiert. Pfanzelter
(2015) stellt Beispiele aus Facebook und Wikipe-
dia vor und erörtert, wie soziale Medientechno-
logien, digitales Gedächtnis und ihre Darstellun-
gen in den neuen Medien fließend miteinander
verbunden sind und kontroverse Formen des
Holocaust-Gedenkens bieten können. In einer
Folgestudie zeigt Pfanzelter (2016), wie das In-
ternet nicht nur als Mittel der Beschleunigung
den Diskurs beeinflusst, sondern auch ein zen-
trales Instrument der öffentlichen Geschichte ist,
das in Zukunft die Erinnerung an den Holocaust
schrittweise vermitteln, prägen und fortführen
wird. Eine kürzlich erschienene Studie (Manca
2019) liefert schließlich eine erste Analyse darü-
ber, wie eine Auswahl von Gedenkstätten Face-
book und Twitter nutzen, um ihre Öffentlichkeit
sowohl auf inhaltlicher als auch auf relationaler
Ebene einzubinden. Die Ergebnisse zeigen, dass
es große Unterschiede bei der Nutzung der ver-
schiedenen sozialen Mediendienste gibt, wobei
viele von ihnen ein unterschiedliches Maß an
Engagement ihrer Öffentlichkeit in Bezug auf
generierte Inhalte, Interaktivität und Popularität
aufweisen.
Die oben berichteten Studien liefern unterschied-
liche Ergebnisse hinsichtlich des Potenzials und
der Herausforderungen bei der Nutzung sozialer
Medien, um die Nutzer*innen zum Thema Wis-
sensvermittlung über den Holocaust zu befähi-
gen. Sie zeigen ebenso die Notwendigkeit auf,
eine größere Vielfalt von Informationsquellen zu
berücksichtigen, die die digitalen Gewohnheiten
junger Menschen widerspiegeln, wie zum Bei-
spiel soziale Medien, die zu einem „Mainstream“-
Kommunikationskanal geworden sind. Vor diesem
Hintergrund ist weitere Forschung erforderlich,
um zu untersuchen, wie Holocaust-Gedenkstätten
und Museen soziale Medien nutzen, um das Wis-
sen über den Holocaust zu erweitern und das Be-
wusstsein über die vielen Formen der Holocaust-
Verzerrung zu schärfen (Gerstenfeld 2009).
3 Fallstudie: Twitter-Nutzung
von Holocaust-Institutionen in
Deutschland und Italien
In einer Fallstudie wird untersucht, wie sechs Holo-
caust-Institutionen in zwei Ländern, Deutschland
und Italien, über Twitter mit ihrer Öffentlichkeit in
Kontakt treten. Obwohl heute sowohl Deutsch-
land als auch Italien ein gewisses gemeinsames
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Verständnis des Holocausts teilen und zu einer
kollektiven transnationalen europäischen Erin-
nerungskultur beigetragen haben (Levy/Sznaider
2006), gibt es auch Unterschiede. Nach einer lang
anhaltenden kollektiven Amnesie, die bis in die
60er Jahre andauerte, nimmt Deutschland heute
auf offizieller Seite eine klare Haltung zu seiner
Verantwortung gegenüber der dunkelsten Periode
seiner Geschichte ein (Echikson 2019) und hat
sich in einem Prozess des Gedenkens engagiert,
in dessen Verlauf Dutzende von Gedenkstätten
und Museen in ehemaligen Konzentrationslagern
und an anderen Orten im ganzen Land errichtet
wurden. Was die Holocaust-Erziehung anbelangt,
so ist die Auseinandersetzung mit der Nazi-Zeit
in den Bildungsplänen der Schulen verankert und
die meisten Schüler*innen sind mit dem Holo-
caust durch einen öffentlich geführten Diskurs
vertraut (Pingel 2014).
Im Gegensatz hierzu ist die Haltung Italiens zur
Verantwortung, die der italienische Faschismus
für die antijüdischen Gesetze von 1938 hat,
ebenso wie zur Rolle, die Italiener*innen bei
den Verhaftungen und Deportationen der jüdi-
schen Bevölkerung Italiens nach 1943 gespielt
haben, noch nicht so klar (Sarfatti 2018; Sierp
2012). Dies hat einen tiefgreifenden Einfluss
darauf gehabt, wie das italienische kollektive
Gedächtnis an den Zweiten Weltkrieg und den
Holocaust nach dem Krieg konstruiert wurde
(Clifford 2013). So scheint ein Fokus auf der
italienischen Widerstandsbewegung und den
zahlreichen Massakern an Zivilisten, die von den
Deutschen verübt wurden, zu liegen (Echikson
2019). Obwohl das Studium des Holocaust in
allen italienischen Schulen obligatorisch ist, be-
steht nach wie vor ein starker Kontrast zwischen
„Erinnerung“ und „Geschichte“, wobei „Erinne-
rung“ als Alternative zu „Geschichte“ dargestellt
wird, die in Spannung zu ihr steht, anstatt ein
Kernaspekt von ihr zu sein (Eckmann/Stevick/
Ambrosewicz-Jacobs 2017).
Um zu untersuchen, wie die Erinnerungskultur in
sozialen Medien in beiden Ländern sich äußert
und welche Verbindungen hier bestehen, haben
wir in dieser Fallstudie, basierend auf einem
Forschungsprojekt für die International Holocaust
Remembrance Alliance (IHRA), sechs Holocaust-
Institutionen in Deutschland und Italien ausge-
wählt und untersucht, wie diese Twitter für ihre
Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit nutzen. Zu
diesem Zweck haben wir jeweils drei Gedenk-
stätten oder Institutionen aus beiden Ländern
auf Grundlage ihrer Social-Media-Aktivitäten auf
Twitter ausgewählt. Die drei Holocaust-Erinne-
rungsstätten für Italien sind die Fondazione Mu-
seo della Shoah, die Fondazione Fossoli und das
Museo Nazionale dell‘Ebraismo Italiano e della
Shoah; für Deutschland wurden die Gedenkstätte
Bergen-Belsen, das Max Mannheimer Studienzen-
trum Dachau und die KZ-Gedenkstätte Neuen-
gamme ausgewählt. Diese Auswahl dient dabei
als Grundlage für eine erste Erkundung und ein
besseres Verständnis davon, wie soziale Medi-
en herangezogen werden können, um online
Netzwerkstrukturen für die Erinnerungsarbeit zu
erschließen. Des Weiteren können so möglicher-
weise Überschneidungen und Berührungspunkte
zwischen den Aktivitäten dieser Einrichtungen
aufgezeigt werden. Folglich kann diese Arbeit
den ausgewählten Akteur*innen und anderen
Einrichtungen dabei helfen, ihr Bewusstsein für
die Reichweite und die Möglichkeiten von so-
zialen Medien zu erhöhen und somit ihre Fä-
higkeiten fördern, mit ihren Strategien für die
Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit insbesondere
jüngere Generationen anzusprechen.
3.1 Methoden
Im Rahmen dieser Studie wurden Twitter-Daten
von den ausgewählten Einrichtungen in einem
Zeitraum von April 2012 bis April 2020 er-
fasst. Mit Hilfe der Statistiksoftware R und der
Bibliothek rtweet wurden somit 5.604 Tweets
gesammelt.
Für die Auswertung wurde ein Mixed-Methods-
Ansatz verfolgt. Hierbei wurden sowohl soziale
Netzwerkanalysen (SNA) als auch bibliometri-
sche Analysen verwendet. Somit konnte eine
ökologische Perspektive eingenommen werden
(Bronfenbrenner 1979; Bronfenbrenner/Morris
1998). Basierend auf diesem bioökologischen
Entwicklungsmodell wird die menschliche Ent-
wicklung durch die Interaktion zwischen einem
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Individuum und seiner Umwelt geprägt. In die-
sem Modell ist es wichtig, die bidirektionalen
Einflüsse zwischen der Entwicklung des Indivi-
duums und den umgebenden Umweltkontexten
zu verstehen. Im Gegensatz zum traditionellen
„konfirmatorischen“ Ansatz der Hypothesen-
prüfung fordert das bioökologische Modell im
Hinblick auf Forschungsimplikationen „primär
generative“ Forschungsdesigns, die Wechsel-
wirkungen zwischen proximalen Prozessen und
der sich entwickelnden Person, der Umwelt,
der Zeit und dem Entwicklungsergebnis unter-
suchen. Als Weiterentwicklung der Studien von
Bronfenbrenner (1979) haben in jüngerer Zeit
Autor*innen wie Johnson und Puplampu (2008)
das Konzept des „ecological techno-subsystems“
vorgeschlagen. Hierbei wird sowohl die Interak-
tion des Menschen mit lebenden als auch mit
nicht lebenden (z. B. Hardware, Geräte) Elemen-
ten der Kommunikations-, Informations- und
Erholungstechnologien in unmittelbarer oder
direkter Umgebung in Verbindung gebracht.
Im Kontext dieses Artikels werden natürliche
Alltagssituationen beobachtet, bei denen der
wechselseitige interaktionistische Prozess zwi-
schen Akteuren und ihrer (sozialen) Umwelt
analysiert werden kann (Epp 2018). Dieser
Prozess wiederum kann einen Einfluss darauf
haben, wie individuelle Nutzer*innen mit öf-
fentlichen Einrichtungen in Verbindung treten
(McHale/Dotterer/Kim 2009). In diesem Zusam-
menhang bieten SNA eine Perspektive auf die
Makroebene, welche die zugrundeliegenden so-
zialen Netzwerkstrukturen aufzeigen kann (z. B.
Rehm/Notten 2016; Rehm/Cornelissen/Daly
2020; Buccafurri et al. 2015). In dieser Studie
liegt dabei der Schwerpunkt auf der Kartierung
der Netzwerkstrukturen. Als Grundlage hierfür
dienen die Follower (Profile der Nutzer*innen,
die den ausgewählten Einrichtungen auf Twitter
folgen) und Followees (Profile der Nutzer*innen,
denen von den ausgewählten Einrichtungen auf
Twitter gefolgt wird). Darüber hinaus wurde die
Reichweite der Twitter-Profile über geografische
Grenzen hinweg betrachtet. Hierzu wurden die
Profile der Nutzer*Innen untersucht, bei denen
mindestens vier der sechs gewählten Einrich-
tungen entweder als Follower auftauchten oder
gemeinsam einem anderen Profil folgten. Falls
eine solche Überschneidung bestand, wurde
diese qualitativ kodiert in: i) andere Holocaust-
Gedenkstätte, ii) jüdische Organisation, iii) pri-
vates Profil, iv) Weitere. Darüber hinaus wurde
das Herkunftsland der entsprechenden Profile
erfasst.
Die bibliometrischen Analysen bildeten eine
Meso-Ebene und verwendeten die SNA-Ergeb-
nisse als eine Art Filter, um eine fundiertere,
zweite Analyse durchzuführen. Bibliometrische
Analysen ermöglichen es uns, mit großen Text-
mengen umzugehen, welche, unter anderem,
in sozialen Medien produziert werden. Dieser
Ansatz wird dabei zunehmend als wertvoller
methodischer Ansatz angesehen, um darstellen
zu können, welche Beiträge und Informationen
von Nutzer*innen in sozialen Medien geteilt
werden (Alsumait et al. 2010). Um möglicher-
weise einen Teil der Gründe erklären zu können,
warum es vielleicht Überschneidungen zwischen
den Aktivitäten der gewählten Einrichtungen
über geografische Grenzen hinweg gab, wurde
außerdem die verwendete Sprache der gesam-
melten Tweets qualitativ kodiert. Wir verwende-
ten zudem latente semantische Analysen (LSA)
(Deerwester et al. 1990). LSA ist eine Tech-
nik der natürlichen Sprachverarbeitung, welche
Beziehungen zwischen Wörtern analysiert. Im
Rahmen dieser Arbeit wurde die Methode ge-
nutzt, um festzustellen, welche Hashtags in den
gesammelten Tweets am häufigsten verwendet
wurden, um die thematische Struktur der Kom-
munikation zu bestimmen.
3.2 Resultate
3.2.1 Demografische Angaben zu den Profilen der
Nutzer*Innen der ausgewählten Einrichtungen
Tabelle 1 gibt einen Überblick über die grund-
legenden Informationen zu den sechs unter-
suchten Twitter-Profilen. Wie zu sehen ist, gibt
es eine beträchtliche Varianz in der Anzahl der
Follower und Followees, sowie im Verhältnis
Followee/Followers zwischen den sechs Pro-
filen. Die durchschnittliche Anzahl Followers
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liegt bei 2.325,8 (StAbw = 1.823,6), während
die durchschnittliche Anzahl der Followees 438
(StAbw = 357,1) beträgt. Betrachtet man die Un-
terschiede zwischen den beiden Ländern, so be-
trägt die durchschnittliche Zahl der Follower für
die deutschen Profile 3.319,3 (StAbw = 2.146,4)
und die durchschnittliche Zahl der Followees
510,3 (StAbw=492,6), während die Zahlen für
die italienischen Profile 1.332,3 (SD=863,4)
bzw. 365,7 (SD=246,1) betragen.
Während für alle Einrichtungen das Verhältnis
Followee/Followers unter 1 liegt, was für diese
Art von Konten typisch ist (Zafiropoulos/Vrana/
Antoniadis 2015), gibt es zudem eine beträcht-
liche Varianz in dieser Variable, mit einem
Maximum von 0,05 für die Gedenkstätte Bergen-
Belsen und einem Maximum von 0,30 für die
Fondazione Museo della Shoah.
3.2.2 Soziale Netzwerkanalyse
Abbildung 1 zeigt ein Soziogramm der Twitter-
Netzwerkstrukturen für die ausgewählten Ein-
richtungen. Während die Einrichtungen inner-
halb ihres Herkunftslandes gut vernetzt waren,
suggeriert Abbildung 1 auch, dass die deutschen
Einrichtungen anscheinend eine größere Anzahl
von Followern, dargestellt durch die größer wir-
kenden Punkt-Wolken um die entsprechenden
Twitter-Profile, angezogen haben als die italieni-
schen Institutionen.
Zudem ist zu erkennen, dass es auch eine Reihe
von Nutzer*innen gibt, die über die geogra-
fischen Grenzen hinweg bestimmten Einrich-
tungen folgen oder denen gefolgt wird. Diese
Nutzer*innen befinden sich in der Mitte von
Abbildung 1. Um nuancierte Informationen über
diese Konten zu bekommen, wurden die Art
des Kontos und ihr Herkunftsland kodiert. Im
Kontext der Follower waren die meisten Konten
entweder private Profile (43,33 %) oder andere
Holocaust-Institutionen (36,67 %). Beispielhaft
in der Kategorie der anderen Holocaust-Insti-
tutionen sind das Staatliche Museum Auschwitz-
Birkenau, das United States Holocaust Memorial
Museum – USHMM, das Mémorial de la Shoah,
Yad Vashem und die International Holocaust Re-
membrance Alliance. Mit Blick auf die möglichen
Herkunftsländer kamen die meisten Follower
Tabelle 1: Demografische Angaben zu den sechs ausgewählten Profilen der Nutzer*Innen
Abbildung 1: Soziogramm der Twitter-Netzwerk-
strukturen
Name Twitter Name Grün-
dungs-
datum
Follo-
wers Follo-
wees
Follo-
wee/
Follo-
wer
Anzahl
Tweets
(Allge-
mein)
analysierte
Tweets
Total in %
Gedenkstätte Bergen-Belsen belsenmemorial Nov 17 3202 163 0,05 7053 1000 14,18
Max Mannheimer Studienzentrum
Dachau MMSZ_Dachau Jun 13 1234 294 0,24 1146 998 87,09
KZ-Gedenkstätte Neuengamme MGedenkstaet-
teNG Okt 14 5522 1074 0,19 618 998 161,49
Fondazione Museo della Shoah MuseodellaShoah Feb 12 878 339 0,39 628 608 96,82
Fondazione Fossoli excampofossoli Jan 11 791 134 0,17 1527 1572 102,95
Museo Nazionale dell`Ebraismo
Italiano e della Shoah meis_museum Jan 10 2328 624 0,27 3118 1000 32,07
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Rehm • Manca • Haake
entweder aus Deutschland (33,33 %) oder
Frankreich (16,67 %).
Betrachtet man die Kategorie der Followees, also
wem die Einrichtungen folgten, so waren die meis-
ten dieser Profile andere Holocaust-Institutionen
(78,13 %) oder jüdische Organisationen (15,63 %).
Zu den wohl bekanntesten dieser Profile gehören
das Anne Frank Haus, das Staatliche Museum
Auschwitz-Birkenau, das United States Holocaust
Memorial Museum – USHMM, das Mémorial de la
Shoah, die USC Shoah Foundation und Yad Vashem.
Die Herkunftsländer sind überwiegend europäi-
sche Länder (34,38 %), Nordamerika (31,25 %)
oder das Vereinigte Königreich (25,00 %).
Die Symbole der Knoten basieren auf dem Her-
kunftsland der Einrichtungen (Dreieck: Italien;
Kreis: Deutschland). Die Größe der Knoten-
punkte und die Größe der Beschriftung richtet
sich nach dem Grad ihrer Zentralität. Das Layout
wurde mit Hilfe des ForceAtlas2 Algorithmus
(Jacomy et al., 2011) erstellt.
3.3 Bibliometrische Analyse
Die Verteilung der verwendeten Sprachen in den
gesammelten Tweets wird in Tabelle 2 zusam-
mengefasst. Wie zu erwarten, wurde bei den
italienischen Profilen hauptsächlich Italienisch und
bei den deutschen Profilen Deutsch verwendet.
Die Verwendung englischsprachiger Tweets war
in fast allen Profilen weit verbreitet. Allerdings fällt
in diesem Rahmen insbesondere die Gedenkstätte
Bergen-Belsen auf, da sowohl Niederländisch,
Französisch als auch Spanisch, wenn auch in ei-
nem weit geringeren Maß, verwendet wurden.
Abbildung 2 zeigt eine Wortwolke der am
häufigsten verwendeten Hashtags in den ge-
sammelten Tweets. Neben kontextspezifischen
Hashtags, wie zum Beispiel #meis, #fondazione-
fossoli, #dachau und #bergenbelsen, fanden sich
auch Hashtags, die sich auf andere Holocaust-
Institutionen (z. B. #auschwitz) bezogen. Darü-
ber hinaus wurden von den sechs untersuchten
Einrichtungen auch Hashtags wie #weremember
und #memorialwalk verwendet, die auf inter-
nationale Initiativen zu verschiedenen Aspekten
des Holocaust-Gedenkens hinweisen.
4 Zusammenfassung
Diese Studie präsentierte die Resultate einer
Literaturrecherche zur Nutzung von sozialen
Medien für die Holocaust-Gedenkarbeit und
-Erziehung sowie die Ergebnisse einer quan-
titativen Vorstudie zur Twitter-Nutzung von
sechs Holocaust-Museen und Institutionen in
Tabelle 2: Verteilung der verwendeten Sprachen
Abbildung 2: Wortwolke der häufigsten Hashtags
Twitter Name Deutsch Italienisch Englisch Nieder-
ländisch Französisch Spanisch Polnisch
Total in % Total in % Total in % Total in % Total in % Total in % Total in %
belsenmemorial 505 50,50 0 0,00 476 47,60 16 1,60 3 0,30 0 0,00 0 0,00
MMSZ_Dachau 942 94,39 0 0,00 53 5,31 0 0,00 0 0,00 3 0,30 0 0,00
MGedenk-
staetteNG 637 63,83 1 0,10 303 30,36 15 1,50 17 1,70 22 2,20 3 0,30
MuseodellaShoah 0 0,00 571 93,91 36 5,92 0 0,00 0 0,00 1 0,16 0 0,00
excampofossoli 0 0,00 957 60,88 41 2,61 0 0,00 1 0,06 1 0,06 0 0,00
meis_museum 0 0,00 899 89,90 96 9,60 0 0,00 1 0,10 4 0,40 0 0,00
Total 2084 37,19 2428 43,33 1005 17,93 31 0,55 22 0,39 31 0,55 3 0,05
merz wissenschaft
70
Deutschland und Italien. Wir konnten zeigen,
dass die sechs ausgewählten Holocaust-Museen
und -Institutionen auf Twitter recht aktiv sind,
wenn auch in unterschiedlichem Maße, um
andere Twitter-Nutzer*innen als Follower zu
gewinnen und mit ihnen in Kontakt zu treten.
Das Gründungsdatum der Twitter-Profile scheint
dabei keinen Einfluss auf die Fähigkeit gehabt
zu haben, Follower anzuziehen oder Inhalte
zu produzieren. Insgesamt scheinen die deut-
schen Profile eher in der Lage zu sein, höhere
Reichweiten und Aktivitätsniveaus zu erreichen.
Im Allgemeinen zeigen alle Profile eine länder-
spezifische Struktur ihrer Follower, was wahr-
scheinlich mit der verwendeten Sprache der
Tweets zusammenhängt. Dieses Ergebnis steht
im Einklang mit früheren Studien, die eine Prä-
valenz von Nationalsprachen auf Facebook- und
Twitter-Profilen (Manca 2019) und eine globale
Tendenz zur Kultivierung einer Atmosphäre der
„nationalen Intimität“ (de Bruyn 2010; Imre
2009) aufgezeigt haben. Die Analyse der Profile,
die eine „Brücke“ zwischen den beiden Ländern
bilden, hat gezeigt, dass ihnen hauptsächlich
private Nutzer*innen und andere Holocaust-In-
stitutionen folgen. Des Weiteren konnte gezeigt
werden, dass die Einrichtungen alle einer Reihe
von internationalen Holocaust-Institutionen fol-
gen. Eine mögliche Begründung hierfür könnte
sein, dass sie auf dem Laufenden bleiben,
Querverweise herstellen und ein Netzwerk von
Holocaust-Institutionen aufbauen wollen. Diese
letztgenannte Erkenntnis legt nahe, dass die Ge-
meinschaftsbildung und Kooperation zwischen
Holocaust-Institutionen über soziale Medien
bereits genutzt wird und Potenzial zur weiteren
Kultivierung und Aktivierung bietet. So könnte
zum Beispiel angeregt werden, verstärkt über
solche Kanäle zu kooperieren und gemeinschaft-
liche Strategien zu entwickeln. Dies wiederum
könnte die Ziele der Institutionen unterstützen,
um Holocaust-Gedenkveranstaltungen anzubie-
ten und einer Verzerrung des Holocaust entge-
genzuwirken (Gerstenfeld 2009).
Die Studie lässt aber natürlich noch Fragen
offen, die künftig angegangen werden sollten,
um Schlussfolgerungen darüber zu ziehen, wie
soziale Medien verschiedene Erinnerungskultu-
ren unterstützen. So sollte beispielsweise un-
tersucht werden, inwiefern es (grundlegende)
Unterschiede in der Konzeption und Umsetzung
von Holocaust-Gedenkstätten und Museen in
Italien und Deutschland gibt (z. B. Dekel 2013).
Dies würde erlauben, mögliche Differenzen zu
evaluieren und Relationen zur entsprechenden
Erinnerungskultur aufzuzeigen (Minerbi/Sarfatti
2007). Da diese Studie darüber hinaus nur eine
erste quantitative Analyse der sozialen Medien
als Kommunikationsmittel liefert, ist eine einge-
hende Untersuchung der inhaltlichen Aspekte
erforderlich, um zu verstehen, wie und warum
die Gedenkstätten mit ihrer Öffentlichkeit in
Kontakt treten und wie sich dieses Engagement
auf Erinnerungskulturen, den Umgang mit der
NS-Geschichte und Bildungsansätze auswirkt.
Ein weiterer Anhaltspunkt für weiterführende
Studien ist die unterstrichene Zentralität des
Begriffs Auschwitz sowohl als Schreckensbild der
ehemaligen NS-Vernichtungslager, als auch als
breiteres Thema im Holocaust-Diskurs. Dieses
Ergebnis sollte weiter erforscht werden, um
seine Rolle weiter zu beleuchten (Pettigrew/Ka-
rayianni 2019). Zudem könnte der Frage nach-
gegangen werden, inwieweit das Holocaust-
Gedächtnis ein multidirektionales Gedächtnis
(Rothberg 2009) und ein globalisiertes Gedächt-
nis (Levy/Sznaider 2006) im Hinblick auf die in
sozialen Medien umgesetzten Erinnerungspoliti-
ken der beiden Länder darstellt.
Zukünftige Studien sollten sich zudem dezi-
dierter mit den Implikationen solcher Untersu-
chungen für die Bildungsarbeit auseinanderset-
zen. So hat auch Gray (2014) festgestellt, dass
„es [immer noch] einen deutlichen Mangel an
Forschung darüber gibt, wie das Internet und
insbesondere die sozialen Medien das Wissen
und Verständnis der Schüler*innen über den
Holocaust beeinflussen und wie sie das Thema
im Hinblick auf seine Relevanz und Bedeutung
wahrnehmen“ (S. 105). Hierzu bedarf es noch
mehr empirischer Belege, um die Potenziale von
sozialen Medien für die Holocaust-Erziehung
noch besser zu eruieren. (Demantowsky/Pallas-
ke 2014; Manfra/Stoddard 2008).
merz wissenschaft
71
Rehm • Manca • Haake
Schließlich ist im Hinblick auf mögliche nächste
Schritte in der Erforschung der Thematik zu
betonen, dass der Fokus dieser Studie auf Twit-
ter zwar eine erste explorative Analyse erlaubt,
die Untersuchung des digitalen Gedächtnisses
des Holocaust allerdings eine größere Vielfalt an
plattformspezifischen Formaten und Praktiken
erfordert, da sie durch spezifische Bedingungen,
Regeln und Besonderheiten gekennzeichnet
sind (Makhortykh 2019). Sie bestimmen, wie
digitale Erinnerungsstücke veröffentlicht und ge-
speichert werden und wie mit ihnen interagiert
wird. Zukünftige Forschung sollte deswegen
eine breitere Palette von sozialen Medien, wie
zum Beispiel Facebook oder Instagram, mit ein-
beziehen, um zu untersuchen, wie das kulturelle
Gedächtnis in den verschiedenen Medien umge-
setzt wird (van Dijck 2004).
Anmerkung
1 Die Studie ist Teil des Forschungsprojekts von Stefania
Manca: “Teaching and learning about the Holocaust with
social media: A learning ecologies perspective” – Doctoral
programme in “Education and ICT (e-learning)”, Universat
Oberta de Catalunya, Spain. Zudem wurde die Arbeit
möglich gemacht durch den IHRA-Grant Nr. 2020-792
“Countering Holocaust Distortion on Social Media. Pro-
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teaching and learning about the Holocaust”.
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