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Sozialer Fortschritt 69 (2020) 8 / 9
Sozialer Fortschritt, 69 (2020), 561 – 577
Duncker & Humblot, 12165 Berlin
Geflüchtete, Familien und ihre Kinder.
Warum der Blick auf die Familien und die
Kindertagesbetreuung entscheidend ist1
Martin Bujard*, Claudia Diehl**, Michaela Kreyenfeld***,
Birgit Leyendecker**** und C. Katharina Spieß*****
Zusammenfassung
Seit 2015 viele Menschen mit Fluchthintergrund nach Deutschland gezogen
sind, stand häufig deren Arbeitsmarktintegration im Zentrum des gesellschaft-
lichen, politischen und wissenschaftlichen Interesses. Lebenslagen und Lebens-
formen der geflüchteten Familien wurden hingegen viel weniger thematisiert.
Dieser Beitrag präsentiert familiendemografische Daten für Geflüchtete der
Herkunftsländer Syrien, Afghanistan, Irak und Eritrea und verdeutlicht den
großen Anteil von Familien mit kleinen Kindern unter den nach Deutschland
Geflüchteten. Daten zur Nutzung von Kinderbetreuungseinrichtungen von
Kindern geflüchteter Familien zeigen, dass institutionelle Kinderbetreuung we-
sentlich zur Integration und Bildung beitragen kann. Der Wissenschaftliche
Beirat für Familienfragen des BMFSFJ versucht, diesen für die Integration zen-
tralen Aspekt in den Diskurs zu Flüchtlingen einzubringen und evidenzbasierte
Handlungsempfehlungen zu geben.
*
Bujard, PD Dr. Martin, Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB)/Forschungs-
bereich Familie und Fertilität, Friedrich-Ebert-Allee4, 65185 Wiesbaden, martin.bujard@
bib.bund.de.
** Diehl, Prof. Dr. Claudia, Universität Konstanz, Universitätsstraße 10, 78464 Kon-
stanz, claudia.diehl@uni-konstanz.de.
*** Kreyenfeld, Prof. Dr. Michaela, Hertie School Berlin, Friedrichstraße 180, 10117
Berlin, kreyenfeld@hertie-school.org.
**** Leyendecker, Prof. Dr. Birgit, Ruhr Universität Bochum, Fakultät für Psychologie,
GAFO 04/611, 44780 Bochum, birgit.leyendecker@rub.de.
***** Spieß, Prof. Dr. C. Katharina, DIW Berlin und Freie Universität Berlin, Mohren-
straße 58, 10117 Berlin, kspiess@diw.de.
1 Ein Teildieses Beitrags beruht auf dem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für
Familienfragen zu Familien mit Fluchthintergrund (siehe: Bujard etal. 2019).
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Abstract: Refugees, Families and Their Children
Since 2015, many refugees have moved to Germany. So far, scholarly and po-
litical interests have focused on the possibilities of their labour market integra-
tion. However, the well-being and living arrangements of refugee families have
been less investigated. This paper provides family-demographic data on refu-
gees from Syria, Afghanistan, Iraq and Eritrea, and illustrates the high propor-
tion of families with young children among them. The literature review of refu-
gee families’ usage of public funded day care demonstrates the potential of pos-
itive effects of early childhood education and care services on the integration
and education of refugee children. The Scientific Advisory Board of the Ger-
man Federal Ministry for Family Affairs, Senior Citizens, Women and Youth
aims to bring this important issue for integration into the discourse on refugees
and to provide evidence-based policy advice.
JEL-Klassifizierung: D1, H75, I2, J1
1. Einleitung
In den Jahren 2015 – 2017 sind mehr als 1,5 Millionen Menschen mit Flucht-
hintergrund nach Deutschland gezogen. Dieser immense Zuzug hat zu einer
breiten gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und politischen Debatte geführt,
in der Fragen nach der Begrenzung des Zuzugs von Geflüchteten, der Aufnah-
mekapazitäten der Aufnahmegesellschaft sowie der Kosten und des Nutzens der
Flüchtlingsmigration besondere Aufmerksamkeit erfahren haben. Im Zentrum
der Diskussion stand dabei vor allem die Frage, wie und unter welchen Bedin-
gungen eine Arbeitsmarktintegration der Geflüchteten gelingen kann. Wissen-
schaftliche Studien, die vorgelegt worden sind, waren dabei vor allem auf die
Arbeitsmarktintegration von Männern gerichtet und thematisierten, wenn
überhaupt, nur am Rande die Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen mit Flucht-
hintergrund (z. B. Brücker etal. 2015; Gürtzgen etal. 2017). Diese Orientierung
auf männliche Geflüchtete ist teilweise dem Fokus der Forschung auf „allein“
Geflüchtete geschuldet, unter denen tatsächlich ein hoher Anteil männlichen
Geschlechts ist. Angesichts dieses Sachverhalts geraten der familiale Kontext
und die unterschiedlichen familiären Konstellationen, in denen Geflüchtete mi-
griert sind und derzeit in Deutschland leben, leicht aus dem Blickfeld (siehe je-
doch: Brücker 2017; Kraus/Sauer 2019; Kraus et al. 2019). Der Wissenschaftli-
che Beirat für Familienfragen beim Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (im Folgenden kurz „Beirat für Familienfragen“) hat sich in
seinen vielfachen Aktivitäten– in Form von Gutachten, internen und öffentli-
chen Diskussionen, auch unter Beteiligung des Bundesfamilienministeriums–
darum bemüht, die Perspektive zu erweitern und hervorzuheben, wie wichtig es
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ist, Geflüchtete stärker im Familienkontext zu betrachten (siehe Wissenschaft-
licher Beirat für Familienfragen beim BMFSFJ 2016a, 2016b, 2017; Bujard etal.
2019; Gambaro et al. 2018). „Migration ist eine Familienangelegenheit“ ist die
Maxime, die der Beirat für Familienfragen in seinen Stellungnahmen und Poli-
tikempfehlungen versucht hat, konsequent zu verfolgen.2
Ein weiteres Anliegen des Beirats für Familienfragen ist es, an der Prämisse
der evidenzbasierten Politikberatung festzuhalten. Die sogenannte „Flüchtlings-
krise“ offenbarte nicht nur gravierende Mängel in der amtlichen Migrationssta-
tistik.3 Zugleich wurde schnell klar, dass belastbare quantitative Daten von Ge-
flüchteten fehlten. Forschung zu Geflüchteten bzw. Asylbewerbern basierte an-
fangs überwiegend auf ethnographisch angelegten, qualitativen Forschungsdaten
(Castles 2003). Quantitativ wurde das Thema weniger beforscht, sieht man von
den groß angelegten Befragungen zu Einstellungen der Mehrheitsbevölkerung
zu Flucht und Asyl ab. Mit der IAB-BAMF-SOEP-Flüchtlingsstichprobe wurde
versucht, die Datenlücke zu schließen (Brücker et al. 2013).4 Während IAB-
BAMF-SOEP-Daten wertvolle Informationen zu Migrationsbiographie und In-
tegrationsprozessen in Bereichen wie Bildung, Arbeits- und Wohnungsmarkt,
soziale Kontakte und Einstellungen zu Deutschland liefern, ermöglichen aktu-
elle Mikrozensusdaten die Sozial- und Familienstruktur von Geflüchteten auf
Basis relativ großer Fallzahlen abzubilden.5
Der Beirat für Familienfragen hatte es sich vor diesem Hintergrund zur Aufga-
be gemacht, der Öffentlichkeit und den politischen Akteuren möglichst zeitnah
2 „Migration is a family matter“ ist ein Zitat, das an Rumbaut (1997) angelehnt ist.
3 Das Ausländerzentralregister (AZR) erfasst den Zuzug von Ausländern nach
Deutschland. Die amtliche Wanderungsstatistik basiert hingegen auf der Einwohnermel-
destatistik. Zudem wird im EASY-System (Erstverteilung der Asylbegehrenden) der Zu-
zug von Asylsuchenden (ohne unbegleitete Minderjährige) erfasst. Der Mikrozensus ist
eine zentrale Datenquelle, mit der der Bevölkerungsbestand nach Migrationshintergrund
erhoben wird. Zwischen den unterschiedlichen Datenquellen haben sich bereits in der
Vergangenheit erhebliche Diskrepanzen ergeben, die in den Jahren der Flüchtlingsmigra-
tion 2015/16 noch deutlicher hervortraten. Insbesondere wurden Mängel in der EASY-
Statistik aufgedeckt. Ziel des Datenaustauschverbesserungsgesetzes aus den Jahren 2016
und 2019 war, u. a. durch einen besseren Austausch der Daten zwischen den Systemen,
die Datenbasis zu verbessern. Zudem wurde der Kranz erfasster Merkmale in den unter-
schiedlichen Datensätzen erweitert.
4 Die IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten basiert auf einer Zufallsstichpro-
be, die aus dem Ausländerzentralregister gezogen wurde. In den ersten Stichproben ent-
halten sind Personen, die zwischen dem 1.Januar 2013 und dem 31.Januar 2016 nach
Deutschland geflüchtet sind und einen formellen Asylantrag beim Bundesamt für Migra-
tion und Flüchtlinge (BAMF) gestellt haben (Kroh etal. 2017).
5 Die hier dargestellten Analysen auf der Basis des Mikrozensus 2017 beschränken
sich auf Personen aus Syrien, Irak, Eritrea und Afghanistan. (Für eine ausführlichere
Darstellung der Abgrenzung der Stichprobe und der Vor- und Nachteile des Mikrozen-
sus siehe: Bujard etal. 2019).
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Informationen zur Familiensituation von Geflüchteten zur Verfügung zu stellen,
die auf Analysen dieser beiden Datensätze beruhen. Letzteres ist aus drei Grün-
den bedeutsam. Erstens beeinflusst die familiale Konstellation, in der Geflüchte-
te leben, den Integrationsprozess. Das Fehlen wichtiger familialer Bezugsperso-
nen und Sorgen um Familienangehörige im Herkunftsland können die Integra-
tion erschweren und verlangsamen. Zweitens ist das Wissen um Zahl und Alter
der in den unterschiedlichen Familienkonstellationen lebenden Kinder eine
wichtige Voraussetzung dafür, sozialpolitische Bedarfe etwa im Bereich der Kin-
derbetreuung zu identifizieren. Deren Abdeckung ist drittens von entscheiden-
der Bedeutung für die Integration der nachwachsenden Einwanderergeneration,
beeinflusst doch etwa ein Besuch einer Kindertageseinrichtung („Kita“) nicht
nur den Spracherwerb, sondern auch die spätere Integration in Bildungssystem
und Arbeitsmarkt positiv, wie wir weiter unten näher ausführen werden.
Vor diesem Hintergrund stellt dieser Beitrag einige zentrale Ergebnisse unse-
rer empirischen Bestandsaufnahme zusammen. Wir konzentrieren uns dabei
auf die Darstellung der Familienstrukturen und Lebensbedingungen von Fami-
lien mit Fluchthintergrund. Da diese Familien vor allem sehr junge Kinder ha-
ben, diskutieren wir etwas ausführlicher die zentrale Bedeutung der institutio-
nellen Kindertagesbetreuung für die Integration von Flüchtlingsfamilien und
für die Chancen der Kinder auf einen frühen Bildungs- und Betreuungsein-
stieg. Der Beitrag schließt mit politischen Handlungsempfehlungen sowie einer
Einordnung von Daten und Diskursen zu Geflüchteten.
2. Familienstrukturen von Personen mit Fluchthintergrund
Eine Besonderheit von Familien mit Migrationshintergrund stellt die Tatsache
dar, dass ein Teilder Familie sich noch im Herkunftsland oder in einem anderen
Land befindet (Baldessar et al. 2014). Frauen und Männer mit Fluchthinter-
grund sind in unterschiedlichem Maße von der „Transnationalität“ von Famili-
en betroffen. Wie aus Tabelle 1 ersichtlich, flüchteten die meisten Männer allein
(53 Prozent), während Frauen mehrheitlich im Familienverband (81 Prozent)
nach Deutschland kamen. Entsprechend unterscheidet sich der Anteil von Frau-
en und Männern mit Ehepartner bzw. Ehepartnerin im Herkunftsland. 38Pro-
zent der verheirateten Männer mit Fluchthintergrund hat eine Ehepartnerin im
Herkunftsland, während das für nur 10 Prozent der geflüchteten und verheira-
teten Frauen zutrifft. Gravierende Unterschiede zwischen den Geschlechtern er-
geben sich auch für Kinder im Ausland bzw. Herkunftsland. Gambaro et al.
(2018) berichten, dass im Jahr 2016 etwa 10 Prozent der geflüchteten Männer
und 5 Prozent der geflüchteten Frauen minderjährige Kinder im Herkunftsland
bzw. im Ausland hatten.6 Transnationale Familien, insbesondere, wenn minder-
jährige Kinder sich noch im Herkunftsland befinden, sind einem erhöhten
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Stress ausgesetzt, was sich nicht zuletzt in massiv beeinträchtigter Lebenszufrie-
denheit äußert, wie Gambaro etal. (2018) exemplarisch gezeigt haben.
Tabelle 1
Migration nach Deutschland, Spaltenprozente
Frauen Männer Insgesamt
Ankunft alleine 13 53 43
Ankunft mit Familienangehörigen 81 32 44
Ankunft mit Freunden, Bekannten etc. 6 15 13
N 1.239 2.147 3.386
Anmerkung: Die Angaben basieren auf Auskunft der Befragten entsprechend der vorgegebenen Kategorien.
Quelle: SOEP, v33.1; Geflüchtete im Alter von 18 bis 49 Jahren (Erhebungszeitpunkt 2016), Gambaro etal. (2018).
Die Unterschiede in den Migrationsmustern zwischen Männern und Frauen
spiegeln sich auch in den Lebensformen wider, in denen Geflüchtete in
Deutschland leben. Die Analysen des Mikrozensus 2017, die in Tabelle 2 dar-
gestellt sind, zeigen, dass die Mehrzahl der Männer mit Fluchthintergrund
zum Befragungszeitpunkt allein (d. h. ohne Partner und Kind(er)) lebte.7 Bei
den Frauen lebte der Großteil mit Partner und Kind(ern) in einem Haushalt
(63 Prozent). Der Anteil Alleinerziehender lag bei den Männern bei sechsPro-
zent, bei den Frauen bei 15 Prozent. Ob diese Alleinerziehenden von dem an-
6 Dazu kommen unbegleitete Minderjährige, die ohne Eltern eingereist sind. Diese
wurden in Gambaro etal. (2018) wie auch in diesem Beitrag nicht thematisiert.
7 Der Mikrozensus erfasst nur die Familienbeziehungen innerhalb eines Haushalts.
Partner*innen, die außerhalb des Haushalts leben, werden nicht erfasst.
Tabelle 2
Lebensform nach Geschlecht, Spaltenprozente
Frauen Männer Insgesamt
Keine Kinder und Partner im Haushalt 12,3 5,6 7,9
Keine Kinder und kein Partner im Haushalt 9,4 57,1 40,9
Kinder und Partner im Haushalt 63,0 31,0 41,9
Kinder und kein Partner im Haushalt 15,2 6,3 9,4
N 1.022 1.773 2.795
Quelle: Mikrozensus 2017; Bevölkerung der Zuwanderungsjahre 2015 bis 2017 der Nationalitäten syrisch, afgha-
nisch, irakisch, eritreisch, Alter 18 bis 65 Jahre, eigene Berechnungen.
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deren Elternteil getrennt waren, ob der Partner bzw. die Partnerin verstorben
war oder noch im Herkunftsland lebte, lässt sich auf Basis des Mikrozensus
nicht feststellen.
Um die Größenordnung der unterschiedlichen Haushaltskonstellationen ein-
schätzen zu können, ist ein Blick auf die absoluten Zahlen hilfreich, die auf Ba-
sis der im Mikrozensus verfügbaren Hochrechnungsfaktoren ermittelt wurden
(siehe Abbildung 1).8 Bezogen auf die 2015 bis 2017 Zugewanderten aus Syrien,
Afghanistan, Irak und Eritrea, leben im Jahr 2017 insgesamt 100.000 Männer
sowie 109.000 Frauen mit Kindern (unter 18 Jahren) zusammen in einem Haus-
halt. Von den Personen mit Kindern haben fast die Hälfte (jeweils 46 Prozent
der Männer und 46 Prozent der Frauen) drei oder mehr Kinder. Abbildung 1
verdeutlicht zudem erneut die großen Geschlechterunterschiede in den Famili-
enstrukturen. Demnach leben im Jahr 2017 153.000 Männer allein, d. h. ohne
Kinder oder Partner*in im selben Haushalt. Bezogen auf alle Männer sind dies
57 Prozent; bei den Frauen sind es nur 13.000, was einem Anteil von 9 Prozent
entspricht (siehe auch Tabelle 1). Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass sich die
Geschlechterverteilungen der Neuzugewanderten über die Zeit verändern. Hin-
tergrund ist der wachsende Anteil der Frauen unter den Geflüchteten. So lag
der Männeranteil bei den 2015 zugewanderten Syrern bei 68,4 Prozent, bei den
2016 und 2017 zugewanderten bei 54,2 und 39,3 Prozent (eigene MZ-2017-Aus-
wertungen). In diesen Werten spiegelt sich zum Teildas geschlechtsspezifische
Migrationsverhalten wider: Wenn Paare getrennt migrieren, ist es zumeist der
8 Die Abgrenzung von Lebensformen erfolgt hier auf Basis des Zusammenlebens im
selben Haushalt.
20
40
60
80
100
120
140
160
kein Kind ein Kind zwei
Kinder
≥ drei
Kinder
Männer
Partner/in im Haushalt
keine Partner/in im Haushalt
20
40
60
80
100
120
140
160
kein Kind ein Kind zwei
Kinder
≥ drei
Kinder
Frauen
Partner/in im Haushalt
keine Partner/in im Haushalt
Abbildung 1: Partnerschaftsstatus und Kinderzahl von Geflüchteten,
hochgerechnete Personenanzahl in 1.000
Quelle: Mikrozensus 2017; Bevölkerung der Zuwanderungsjahre 2015 bis 2017 der Nationalitäten syrisch, afgha-
nisch, irakisch, eritreisch, Alter 18 bis 65 Jahre, eigene Berechnungen.
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Mann, der als erster einreist, die Partnerin kommt häufig erst später nach, was
u. a. vom rechtlichen Status und von familiären Netzwerken abhängig ist (Kraus/
Sauer 2019; Kraus etal. 2019).
Das Alter der Kinder ist aus familienpolitischer Perspektive unter anderem
für die Planung familienpolitischer Infrastruktur von hoher Relevanz. Abbil-
dung 2 zeigt vor diesem Hintergrund die Verteilung der Kinderzahl nach Alter
der Kinder zum Befragungszeitpunkt im Jahr 2017. Die meisten Kinder sind zu
diesem Zeitpunkt unter 10 Jahre alt. Der hohe Anteil von Kindern im Alter von
null oder einem Jahr deutet darauf hin, dass viele Kinder im Jahr der Migration
oder kurz danach geboren wurden. Nur ein kleiner Teil(drei Prozent der Kin-
der) sind 16 oder 17 Jahre alt.
Auch hier verdeutlichen die absoluten Zahlen die Größenordnung: Hochge-
rechnet sind allein von den zwischen 2015 und 2017 Zugewanderten aus den
hier betrachteten vier Ländern 103.000 Kinder unter 6 Jahren, also im Kita-
Alter. 62.000 Kinder sind zwischen 6 und 9 Jahren alt, was etwa dem Grund-
schulalter entspricht, und 85.000 Kinder sind im Alter für höhere Schulklassen,
also 10 bis 17 Jahre. Die Gesamtzahl ist noch deutlich höher, wenn man ge-
flüchtete Kinder aus anderen Herkunftsländern und solche, die seit 2018 nach
Deutschland gekommen sind bzw. danach geboren wurden, hinzuzählt.
0
5
10
15
20
25
30
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17
Anzahl (in 1000)
Alter der Kinder
Abbildung 2: Anzahl der Kinder nach Alter (nur Kinder unter 18 Jahren im Haushalt),
hochgerechnete Werte
Quelle: Mikrozensus 2017; Bevölkerung der Zuwanderungsjahre 2015 bis 2017 der Nationalitäten syrisch, afgha-
nisch, irakisch, eritreisch, Alter 18 bis 65 Jahre; N=2795, eigene Berechnungen.
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3. Nutzung von Kindertageseinrichtungen durch Flüchtlingsfamilien
Die obige Darstellung der Familienstruktur hat darauf verwiesen, dass ge-
flüchtete Personen zumeist sehr kleine Kinder haben. Aufgrund der Alters-
struktur der Geflüchteten und der Tatsache, dass viele der geflüchteten Männer
kinderlos sind, ist davon auszugehen, dass in den kommenden Jahren weitere
Kinder in Deutschland geboren werden. Die Größenordnung des Zuzugs in
Kombination mit der Alters- und Familienstruktur der Geflüchteten stellen
eine Herausforderung für die schulische und vor allem frühkindliche Bildungs-
infrastruktur dar.
Die Herausforderungen sind besonders hoch, da Flucht selten freiwillig und
geplant war und viele Familien Gewalt vor oder während der Flucht erfahren
haben. Dies spiegelt sich in den erhöhten psychosozialen Belastungen geflüch-
teter Eltern und ihrer Kinder wider (Daud etal. 2008; Fazel etal. 2012; Leyen-
decker et al. 2018) sowie in dem engen Zusammenhang zwischen elterlichem
und kindlichem Stress bei geflüchteten Familien (Lembcke etal. 2020; Panter-
Brick et al. 2014). Neben den Fluchterfahrungen scheinen aber auch die unsi-
cheren Lebensbedingungen und die Herausforderungen der Anpassung an eine
neue Kultur zur psychosozialen Belastung der Kinder beizutragen (Buchmüller
etal. 2020). Eltern benötigen Ressourcen, damit sie in der Lage sind, ihre Kin-
der zu beschützen, zu unterstützen und ihre Entwicklung zu fördern. Geflüch-
tete Familien verfügen jedoch zunächst über deutlich geringere soziale, emotio-
nale sowie finanzielle Ressourcen und sind deshalb besonders in der Zeit nach
der Ankunft auf Unterstützung von außen angewiesen. Dem Kinderbetreu-
ungssystem kommt an dieser Stelle eine zentrale Bedeutung zu.
Wie auch in öffentlichen Diskursen um die Integration von Geflüchteten im-
mer wieder betont wird, können Angebote der Kindertagesbetreuung insbeson-
dere für neuzugewanderte Familien von großer Bedeutung sein (z. B. Beauftrag-
te der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration 2019). Auch
empirische Forschungsarbeiten belegen die Bedeutung des Besuchs einer quali-
tativ guten Kindertagesbetreuung für Kinder mit Migrationshintergrund, insbe-
sondere dann, wenn es um Kinder geht, die mit einer anderen Familiensprache
als Deutsch aufwachsen. Allerdings muss dabei auch darauf reagiert werden,
dass sich sozialräumliche Segregationstendenzen in Kindertageseinrichtungen
widerspiegeln, da Eltern häufig wohnortnahe Betreuungsangebote wählen. Dies
erklärt – neben anderen Faktoren–, warum ein Drittel der Kinder mit nicht
deutscher Familiensprache Einrichtungen besucht, in denen die Mehrheit der
anderen Kinder zu Hause ebenfalls wenig Deutsch spricht. Diese Entwicklung
hat sich seit 2006 in einigen Bundesländern sogar verstärkt. Von daher ist es
von großer Bedeutung, dass die pädagogischen Fachkräfte in Einrichtungen
Kindern vielfach die Gelegenheit bieten, die deutsche Sprache zu lernen und zu
praktizieren (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2016; 2018). Die frühe
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Förderung der deutschen Sprache in Kitas ist damit ein zentraler Ansatzpunkt
zur Integration der Kinder. Kindertageseinrichtungen können Kindern mit Mi-
grationshintergrund darüber hinaus frühzeitig Kontakt mit dem deutschen Bil-
dungssystem, zu Mehrheitsangehörigen und mit den kulturellen Gepflogenhei-
ten des Aufnahmelandes ermöglichen. Entsprechende positive Effekte des Kita-
Besuchs sind für Kinder mit Migrationshintergrund belegt (vgl. z. B. Aktionsrat
Bildung 2016; Becker 2006, 2010).
Allerdings kann der Besuch einer Kindertageseinrichtung nicht nur für die
Kinder selbst, sondern auch für ihre Eltern bzw. Familien von hoher Bedeutung
sein. Eltern kommen über die Kita-Nutzung ihrer Kinder direkt mit anderen
Eltern und Kindern der Mehrheitsgesellschaft, deren Werten und kulturellen
Vorstellungen in Kontakt. Dies kann zum einen direkt erfolgen, indem sie mit
anderen Eltern der Einrichtung bei unterschiedlichen täglichen oder unregel-
mäßigen Anlässen zusammenkommen, oder indem sich die Eltern beim Brin-
gen und Abholen der Kinder mit den Fachkräften der Einrichtungen austau-
schen. Der Kita-Besuch des Kindes kann aber auch deshalb für Familien von
hoher Bedeutung sein, da sie über ihre Kinder zu Hause mit der Sprache und
entsprechenden Vorstellungen der Mehrheitsgesellschaft, welche Kinder aus der
Kita „mitbringen“, in Berührung kommen. Außerdem kann der Kita-Besuch
geflüchteten Eltern ermöglichen, an Integrations- oder Deutschkursen teilzu-
nehmen oder– sofern es für sie möglich ist– eine Erwerbsarbeit aufzunehmen,
da ihre Kinder betreut sind. Insofern kann der Besuch einer Kindertagesein-
richtung aus mehreren Gründen zu einer Integration der geflüchteten Eltern
von jungen Kindern beitragen (vgl. u. a. BMFSFJ 2019a). Eine der wenigen em-
pirischen Studien, die diesen Wirkungszusammenhang belegt, ist eine Studie
von Gambaro etal. (2019). In dieser Studie wird ein Index erstellt, der verschie-
dene Aspekte der gesellschaftlichen und sozialen Integration der geflüchteten
Frauen abbildet (wie deutsche Sprachkenntnisse, Arbeitsmarktorientierung
etc.). Auf Basis kausalanalytischer Verfahren wird gezeigt, dass der Kita-Besuch
der Kinder für die Mütter mit Fluchthintergrund einen substantiellen und sig-
nifikanten Einfluss auf die gesellschaftliche Integration ausübt (ebd.).
Grundsätzlich gilt auch für in Deutschland lebende Kinder von Geflüchteten,
dass sie einen Rechtsanspruch auf einen Platz in einer Kindertagesbetreuung ab
dem vollendeten ersten Lebensjahr haben– wenn von einem „gewöhnlichen
Aufenthalt“ in Deutschland ausgegangen werden kann (vgl. Meysen etal. 2016;
Baisch etal. 2017). Es lassen sich allerdings unterschiedliche regionale Regelun-
gen finden (Deutsches Institut für Menschenrechte 2019). Auf der Basis der
IAB-BAMF-SOEP-Stichprobe Geflüchteter in Deutschland kann für das Mittel
der Jahre 2016 und 2017 berechnet werden, wie viele Kinder mit Fluchthinter-
grund tatsächlich eine Kindertageseinrichtung besuchten (siehe Tabelle 3). Bei
Kindern im zweiten Lebensjahr waren es 7 Prozent, während es bei Kindern im
dritten Lebensjahr immerhin fast jedes vierte Kind war. Im Alter von drei Jah-
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ren besuchten nahezu 60 Prozent eine Kindertageseinrichtung und in den bei-
den älteren Altersgruppen waren es etwas mehr als 70 Prozent. Wie ein Ver-
gleich mit dem Mittelwert aller Kinder in West- bzw. Gesamtdeutschland zeigt,
waren die Nutzungsquoten in allen Altersgruppen bei geflüchteten Kindern
deutlich geringer. Diese Muster zeigen sich auch– wenn auch in geringerem
Ausmaß– für Kinder, von denen beide Eltern einen Migrations-, aber nicht un-
bedingt Fluchthintergrund haben. Bemerkenswert ist in diesem Zusammen-
hang, dass dies nicht auf Kinder zutrifft, von denen nur ein Elternteil einen Mi-
grationshintergrund hat (vgl. Jessen etal. 2018).
Tabelle 3
Anteil der Kinder mit Fluchthintergrund und Anteil aller Kinder
in Kindertageseinrichtungena 2016/2017b (nach Alter, Zeilenprozente)
Alter Nur Kinder mit
Fluchthintergrundc
Kinder
in Westdeutschland
Kinder
in Deutschland
1 Jahr 7 22 29
2 Jahre 24 49 55
3 Jahre 58 87 88
4 Jahre 72 94 94
5 Jahre 72 97 97
a Ohne Kinder in der Kindertagespflege.
b Daten der Kinder mit Fluchthintergrund beziehen sich auf 2016/2017, alle anderen auf 2017.
c In den jeweiligen Altersgruppen machen 4 – 8 Prozent der Befragten keine Angaben zum Kita-Besuch ihres
Kindes.
Quelle: IAB-BAMF-SOEP-Befragung Geflüchteter in Deutschland 2016/2017, vgl. Gambaro et al. (2019) und
Autorengruppe Bildungsbericht (2018).
Obwohl der Besuch einer Kindertageseinrichtung grundsätzlich für Kinder
mit Fluchthintergrund und deren Familien vielfache Vorteile verspricht, sind
diese Kinder – unabhängig von Platzansprüchen– im Vergleich zu Familien
ohne Fluchthintergrund in Kindertageseinrichtungen unterrepräsentiert. Ent-
sprechend sollte– vor dem Hintergrund einer besseren Integration der Kinder,
der Eltern und der Familien als Ganzes– daran angesetzt werden, Familien mit
Fluchthintergrund frühzeitig über die potenziellen Chancen des Besuchs einer
Kindertageseinrichtung zu informieren und entsprechend viele Plätze bereitzu-
stellen. Es bedarf dazu der Anstrengung der beteiligten Akteure auf allen Ebe-
nen: Dabei kann an öffentlich finanzierte Programme gedacht werden, wie sie
z. B. vom Bundesfamilienministerium gefördert werden, die das Ziel haben, Zu-
gangshürden zur Kindertagesbetreuung abzubauen. Das Bundesprogramm „Ki-
ta-Einstieg: Brücken bauen in frühe Bildung“ (BMFSFJ 2019b) sowie Brücken-
projekte wie z. B. in Nordrhein-Westfalen (Busch etal. 2018) setzen hier an: Es
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werden niedrigschwellige Angebote in Gemeinschaftsunterkünften, in Famili-
enzentren, in Nachbarschaftszentren oder direkt in Kindertageseinrichtungen
erprobt, die den Zugang zur Kindertagesbetreuung vorbereiten und unterstüt-
zend begleiten. Sofern die Familien den Weg in eine Einrichtung gefunden ha-
ben, sollten sie intensiv begleitet und gefördert werden. Hierbei ist auch der
Sachverhalt zu berücksichtigen, dass viele geflüchtete Kinder und auch ihre Fa-
milien spezifische Bedürfnisse haben, die durch potenziell traumatische Erfah-
rungen, welche von ihnen selbst oder ihren Familien im Herkunftsland oder
auch auf der Flucht gemacht wurden, entstanden sind (siehe z. B. Wissenschaft-
licher Beirat für Familienfragen 2017).
Ein weiteres spezifisches Bedürfnis ist die gezielte Sprachförderung der Kin-
der. Diese wird z. B. im Bundesprogramm „Sprach-Kitas“ (BMFSFJ 2019c) auf-
genommen. Zusätzlich sind Ansätze wichtig, welche darüber hinaus Kindern
und auch deren Familien eine Integration in die deutsche Gesellschaft erleich-
tern. Kindertageseinrichtungen bieten dazu einen zentralen Ansatzpunkt, da sie
mehrheitlich als wichtige Infrastruktur für Kinder, Eltern und Familien be-
trachtet werden (vgl. auch den Beitrag von Spieß in diesem Heft). Der Erwerb
der deutschen Sprache ist auch für die Kinder relevant, deren Familien viel-
leicht nur wenige Jahre in Deutschland bleiben werden, denn deutsche Sprach-
kompetenzen sind eine wichtige Voraussetzung für die Bildungspartizipation
(Kempert etal. 2016) und für die Teilhabe am Alltagsleben. Von hoher Bedeu-
tung ist hier, dass es sich nicht nur um befristete Programme − beispielsweise
vielfach öffentlich geförderte Modellprojekte − handelt, sondern dass Program-
me nachhaltig angelegt sind. Erst sie erlauben es, mittel- bis langfristig pädago-
gisches Fachpersonal in diesen Bereichen fortzubilden, weiterzuqualifizieren
und dann auch entsprechend weiterzubeschäftigen.9
Zu beachten ist auch, dass die Neuzuwanderung seit 2014 regional zu einer
Veränderung der Zusammensetzung der sogenannten „Ankunftsquartiere“ ge-
führt hat (Helbig/Jähnen 2019). Die Prozentzahl der zugewanderten Familien
der zweiten oder dritten Generation nimmt ab zugunsten von Familien, die im
Ausland geboren wurden und günstigen Wohnraum suchen. Dies führt zu regi-
onalen Unterschieden in der Anzahl von Kindern, die betreut werden müssen
und stellt Kitas (bzw. die Kommunen) vor erhebliche Herausforderungen im
Hinblick auf erforderliche Integrationsleistungen, Personal, Räumlichkeiten
und Finanzen. Positiv betrachtet heißt das aber auch, dass sich hier die Mög-
lichkeit bietet, aus den Fehlern sowie aus den Erfolgen der letzten Jahrzehnte zu
lernen, in diese Wohnquartiere mehr zu investieren und Kinder und ihre Fami-
lien durch gezielte Interventionsmaßnahmen zu fördern (siehe Textbox für
konkrete Interventionsstrategien).
9 Die Laufzeit der beiden erwähnten Bundesprogramme endet z. B. im Jahr 2020.
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Exkurs: Beispiele gezielter Interventionsstrategien für geflüchtete Familien
Interventionsmaßnahmen für geflüchtete Familien sollten drei Aspekte berücksich-
tigen– den Einbezug von zwei Generationen, frühe Betreuungsmöglichkeiten sowie
eine gute und kultursensible Betreuungsqualität. Zum Einbezug von Kindern und
Eltern gibt es mittlerweile viele Studien, die überzeugend zeigen, dass dies entschei-
dende Vorteile bringt (Überblick: Tet i etal. 2017). Dies kann über Familienzentren
geleistet werden, die an Kitas, Grundschulen, Gemeindezentren oder anderem mehr
angesiedelt sein können. Wichtig ist, dass sie einen niedrigschwelligen Zugang bie-
ten und Kindern und Eltern nicht nur während einer kurzen Altersspanne als An-
laufstelle dienen, sondern altersübergreifend arbeiten, dass sie Eltern unterstützen
und ihnen auch Gelegenheit geben, sich untereinander zu vernetzen.
Ein Good-Practice-Beispiel für eine Verknüpfung von früher Betreuung von ge-
flüchteten Kindern, qualitativ guter Betreuung und dem Einbezug von Kindern und
Eltern sind die sogenannten „Kinderstuben“, die im Ruhrgebiet zunächst von der
Stadt Dortmund eingerichtet wurden, dann aber von weiteren Kommunen über-
nommen wurden und den Übergang in die Kita vorbereiten. Es handelt sich hierbei
um Großtagespflegestellen im Sinne des SGB VIII mit einem besonderen Profil
(RuhrFutur 2017; 2019). Der Betreuungsschlüssel von 1:3 erlaubt sowohl eine inten-
sive Betreuung der Kinder als auch den engen Kontakt und Austausch mit den El-
tern. Die zeitweise Anwesenheit der Eltern ist Teildes Betreuungskonzeptes. Eltern
werden als Experten für ihre Kinder betrachtet, erhalten aber auch Unterstützung
und Beratung. Nach einem Jahr intensiver Betreuung sprechen die Kinder ausrei-
chend Deutsch und besuchen eine reguläre Kita, zudem haben Eltern einen guten
Einblick in das deutsche Bildungssystem bekommen.
4. Zusammenfassung und Diskussion
Vor dem Hintergrund des Zuzugs von Geflüchteten der letzten Jahre zeigt
der Beitrag auf Basis neuester Daten des Mikrozensus und des IAB-BAMF-
SOEP-Samples für Geflüchtete, dass diese häufig sehr junge Kinder haben. Al-
leine Geflüchtete der Herkunftsländer Syrien, Afghanistan, Irak und Eritrea,
die zwischen 2015 und 2017 nach Deutschland gekommen sind, haben etwa
250.000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, dabei über 100.000 Kinder
unter 6 Jahren. Allerdings besuchen Kinder in Flüchtlingsfamilien deutlich sel-
tener Kindertageseinrichtungen als andere Kinder. Für die Bildungschancen,
den Spracherwerb und die Integration und Teilhabe dieser Kinder, aber auch
für die Integration ihrer Eltern, sind frühkindliche Bildungsangebote jedoch
essentiell. Neben der Förderung der Kinder und Familien können diese Bil-
dungs- und Betreuungsangebote auch langfristig zu besseren Bildungsabschlüs-
sen und Berufsperspektiven beitragen, wovon die Gesellschaft profitiert. Dabei
übersteigt dieser Nutzen die Kosten der Bildungs- und Betreuungsangebote
(Spieß 2013).
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In der medialen und politischen Debatte zur „Flüchtlingskrise“ ist die Bedeu-
tung von Familie bislang unterbelichtet geblieben. Die psychologische For-
schung zeigt jedoch, dass gerade bei Geflüchteten der Verlust der Familie die
mentale Gesundheit negativ beeinflusst (vgl. z. B. Miller etal. 2018), während
der Familienzusammenhalt in geflüchteten Familien positive Auswirkungen
zeigt (vgl. z. B. Nam etal. 2016; Panter-Brick etal. 2014; Weine etal. 2014). Da-
bei stellt das Erlernen der Sprache des Aufnahmelandes eine wichtige Grund-
voraussetzung für die Integration der Familien und den Zugang zu Bildung und
Arbeitsmarkt dar (Kempert etal. 2016).
Angesichts der politischen und humanitären Lage in Syrien, Afghanistan,
Irak und Eritrea ist davon auszugehen, dass ein großer Teil der Geflüchteten
aus diesen Ländern langfristig in Deutschland bleiben wird. Während für Kin-
der über 6 Jahren durch die allgemeine Schulpflicht Behörden zum Handeln
gezwungen sind, ist dies für Kinder im Kita-Alter weniger der Fall, denn hier
gibt es zwar ein Recht auf einen Kitaplatz, aber dieses Recht lässt sich in Regi-
onen, in denen Mangel an Kitaplätzen herrscht, von geflüchteten Familien
vielfach nicht leicht einfordern. Dabei zeigt evidenzbasierte Forschung deut-
lich, dass die Investitionen in die Bildung junger Kinder besonders effektiv
und kosteneffizient sind (z. B. Engle et al. 2011; Shonkoff etal. 2017; Cunha/
Heckman 2008). Wenn Kinder also keine Kita besuchen, kann sich dies auf ih-
re spätere Bildungslaufbahn tendenziell negativ auswirken. Unsere Analysen
zeigen, dass ein Teil der Kinder der Geflüchteten bald nach der Ankunft in
Deutschland zur Welt gekommen ist. Dies bietet aus der Perspektive der Mig-
rationsforschung insofern eine große Chance, als diese Kinder die Möglichkeit
haben, bei entsprechenden Rahmenbedingungen besonders mühelos Sprach-
kenntnisse auf muttersprachlichem Niveau zu erwerben, mit potenziell positi-
ven Auswirkungen auf ihren weiteren schulischen und beruflichen Lebens-
weg.10
Der Beirat für Familienfragen hat anhand mehrerer Gutachten, Veranstaltun-
gen und Gespräche mit Politiker*Innen auf die Bedeutung der Familie für den
Integrationsprozess hingewiesen (siehe Wissenschaftlicher Beirat für Familien-
fragen beim BMFSFJ 2016a, 2016b, 2017). Auch wenn die Einflussnahme eines
wissenschaftlichen Beirats ihre Grenzen hat, kann er auf drei unterschiedliche
Dimensionen Empfehlungen geben: Er kann– wie andere Akteure auch– auf
die Bedeutung eines Themas hinweisen, evidenzbasierte und aktuelle Hand-
lungsempfehlungen formulieren und Datenbedarf identifizieren. Im Kontext
der hohen Zahl an Geflüchteten hat sich der Beirat für Familienfragen in dieser
10 Auch wenn Kinder im Kita-Alter bei der Sprachentwicklung in besonderem Maße
profitieren, so ist auch für Schulkinder der Spracherwerb zentral und altersabhängig.
Studien zufolge ist der akzentfreie Zweitspracherwerb bei jüngeren Kindern vor der Pu-
bertät vielen problemlos möglich; dies scheint sich später zu ändern (Esser 2006).
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Hinsicht mehrfach zu Wort gemeldet und wird den Integrationsprozess der Zu-
gewanderten aus Syrien, Afghanistan, Irak, Eritrea und anderen Ländern auch
künftig entsprechend begleiten.
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