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Neurofeedback bei AD(H)S – mit ILF Neurofeedback die
Aufmerksamkeit verbessern
Autor: Jennifer Mackert, Neurofeedback Netzwerk (www.neurofeedback-netzwerk.org). Dieser Artikel ist im Mai 2020 in der
Vereinszeitschrift “neue AKZENTE” Heft Nr. 115 des ADHS Deutschland e.V. erschienen. Zitation: Mackert, J. (2020).
Neurofeedback bei AD(H)S – mit ILF-Neurofeedback die Aufmerksamkeit verbessern. neue AKZENTE 115(1), 8-12.
Etwa fünf Prozent der Kinder im schulpflichtigen Alter leiden unter AD(H)S. Betroffene und deren Eltern
sind auf der Suche nach effektiven Behandlungsmethoden, insbesondere solchen, die ohne den Einsatz von
Psychopharmaka anhaltende Behandlungserfolge bringen. Da neurologische und psychiatrische
Erkrankungen mit spezifischen Veränderungen in der Gehirnaktivität einhergehen, kann Neurofeedback -
eine nichtinvasive EEG-basierte und computergestützte Therapiemethode - eine sinnvolle
Behandlungsoption sein. Um die Wirksamkeit von Neurofeedback zu untersuchen, wurde eine
multizentrische Beobachtungsstudie mit 251 Kinder und Jugendliche mit AD(H)S-Diagnose durchgeführt.
Diese absolvierten vor und nach einer ambulanten Neurofeedbacktherapie eine Aufmerksamkeitstestung.
Es zeigte sich über alle TeilnehmerInnen eine signifikante Verbesserung der Aufmerksamkeit und
Impulskontrolle sowie eine subjektiv empfundene Verbesserung AD(H)S-typischer Symptome nach der
Neurofeedback-Therapie. Die Ergebnisse sind vielversprechend und unterstützen existierende Fallstudien
und Berichte aus therapeutischer Beobachtung.
Was ist Neurofeedback?
Viele psychiatrische und neurologische Erkrankungen gehen mit Veränderungen in den Aktivitätsmustern
des Gehirns einher (Hammond, 2019). Mit Neurofeedback können dem Patienten bestimmte Komponenten
der eigenen Gehirnaktivität in Echtzeit visualisiert werden. Hierfür werden Elektroden an der
Kopfoberfläche angebracht und mittels Elektroenzephalogramm (EEG) die kortikale Aktivität gemessen.
Eine Software wandelt bestimmte Anteile der Aktivitätsmuster in Animationen auf einem Bildschirm um.
Beispielsweise sehen PatientInnen einen Jetski fahren, dessen Position und Geschwindigkeit von den
augenblicklichen EEG-Signalen abhängen. Somit werden bestimmte Komponenten der Gehirnaktivität
umgewandelt in sichtbare Vorgänge innerhalb einer Animation, das heißt die Geschwindigkeit oder Position
des Jetskis ändert sich.
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Diese visuellen Reize stellen ein Feedback-Signal dar, welches von den optischen Hirnzentren dekodiert
werden kann. Ausgehend von der Visualisierung der Gehirnaktivität, können - je nach Therapieziel -
verschiedene Trainingsmodule ansetzen.
Abbildung 1: Funktionsweise Neurofeedback
Die Aktivität des Gehirns wird als EEG abgeleitet; ein Computer extrahiert aus diesem spezifische Frequenzen und
wandelt diese in Echtzeit in optische, akustische und taktile Signale um, die in multimediale Animationen eingebettet
und so dem Gehirn des Patienten über dessen entsprechende Sinnesorgane zurückgemeldet werden.
In dieser Studie wurde das Infra-Low-Frequency (ILF) Neurofeedback angewendet, welches das Gehirn
insbesondere mit Anteilen seiner Aktivitäten konfrontiert, die im besonders niedrigen Frequenzbereich
liegen. Durch die Platzierung der Elektroden auf der Kopfhaut oberhalb bestimmter assoziativer Hirnareale
können dem Gehirn bis zu 15 verschiedene Parameter der Aktivität rückgemeldet werden, um die
Änderungen seiner inneren Zustände zu spiegeln und die Veränderungsarbeit auf unbewusster Ebene
anzustoßen (Wiedemann, 2015).
Heute wird Neurofeedback bei verschiedenen Erkrankungen erfolgreich als Behandlungsmethode
eingesetzt. Besonders prominent ist der Einsatz von Neurofeedback bei AD(H)S, weitere Einsatzgebiete
sind u.a. Epilepsie, Autismus, Abhängigkeitserkrankungen, Angststörungen, Lernschwierigkeiten,
Depressionen, Schmerzstörungen, Posttraumatische Belastungsstörungen sowie Rehabilitation
beispielsweise nach einem Schlaganfall (Perl & Perl, 2019).
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AD(H)S und Neurofeedback
Die Hyperkinetische Störung (ADS/ADHS) ist eine typischerweise im Kindesalter auftretende Störung der
Aufmerksamkeit und der Impulskontrolle. Leitsymptome sind Unaufmerksamkeit, Überaktivität und
Impulsivität (DGKJP, 2007). Etwa fünf Prozent der Kinder weltweit und vier Prozent der Kinder in
Deutschland sind betroffen (Banaschewski et al., 2017).
Bereits seit den 80er-Jahren zeigen klinische Studien mit AD(H)S-Patienten, dass sich durch Neurofeedback
verschiedene Parameter der Aufmerksamkeit und Impulskontrolle sowie schulische Leistungen signifikant
verbessern (Lubar & Lubar, 1985; Kaiser & Othmer, 2000; Sasu & Othmer, 2015). Folgestudien bestätigen
zudem eine anhaltende Verbesserung der Aufmerksamkeit und auch der schulischen Leistungen sechs und
24 Monate nach Beendigung der Neurofeedback-Therapie (Gani, Birbaumer & Strehl, 2008; Van Doren et
al., 2018). Dass eine Behandlung mit Neurofeedback dauerhafte und vergleichbare Effekte wie die
Behandlung mit Stimulanzien wie Methylphenidat (Ritalin) bringt, konnte in neueren Arbeiten
nachgewiesen werden (Fuchs et al., 2003.; Monastra et al., 2002; Rossiter, 2004).
Beobachtungsstudie
Konzeption: Ziel dieser multizentrischen Beobachtungsstudie war es zu untersuchen, ob ILF-
Neurofeedback eine therapeutisch relevante Behandlungsoption für Kinder, Jugendliche und junge
Erwachsene mit AD(H)S darstellt. Im Zeitraum von Januar 2015 bis September 2017 wurden 251 Kinder,
Jugendliche und junge Erwachsene (7-21 Jahre) mit einer AD(H)S-Diagnose begleitet, die in einem
Zeitraum von 15 Wochen etwa 30 Sitzungen Neurofeedback erhielten, was der empfohlenen Frequenz von
zwei Sitzungen pro Woche entspricht. Die PatientInnen nahmen jeweils vor und nach der Neurofeedback-
Therapie an einem spezifischen Test zur Erfassung verschiedener Parameter der Aufmerksamkeit und
Impulskontrolle teil und bewerteten zudem auch die Schwere ihrer Symptome.
StudienteilnehmerInnen und Behandlungsorte: In vier psychiatrischen Praxen in München und am
Chiemsee wurden 251 PatientInnen im Alter von 7-21 Jahren und diagnostizierter hyperkinetischer Störung
in die Studie aufgenommen und durch 25 ausgebildete Neurofeedback-TherapeutInnen behandelt.
Methoden & Technik: Für das ILF-Neurofeedback wurden EEG-NeuroAmp®-Systeme der Firma BEE
Medic genutzt. Das angewendete Behandlungsprotokoll entsprach der evidenzbasierten Methode nach
Othmer, bei der die Elektrodenplatzierung und Trainingsfrequenzen (<0.1 Hz) individualisiert festgelegt
werden (Othmer, 2017). Die Testung der Aufmerksamkeit und Impulskontrolle wurde mit dem Continuous-
Performance-Test (QIKtest) durchgeführt; einem 21-minütigen genormtem Testverfahren, das insbesondere
der Erfassung der selektiven Aufmerksamkeit (Reaktionszeit (RT)), der Daueraufmerksamkeit (Variabilität
der Reaktionszeit (VAR))) sowie des impulsiven Verhaltens (Auslassungsfehler (OM) und
Commissionsfehler (CM)) bei Kindern dient.
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Ergebnisse
In die Auswertung wurden die Vorher- und Nachher-Testdaten von n=196 TeilnehmerInnen verglichen. Im
Durchschnitt hatten die PatientInnen ein Alter von 12,06 Jahren. 21% der Teilnehmenden waren weiblich
und 79% männlich. Tabelle 1 zeigt die gemessenen prä-post Werte in den vier Variablen der
Aufmerksamkeitstestung sowie (signifikante) Unterschiede.
n = 196
Prä
(vor Neurofeedback Therapie)
Post
(nach Neurofeedback Therapie)
absolute
Differenz
Signifikanz
Reaktionszeit (RT)
457 ± 88 ms
436 ± 85 ms
-21 ms
<.0001*
Variabilität der
Reaktionszeit
(VAR)
122 ± 31 ms
104 ± 30 ms
-18 ms
<.0001*
Ommissionsfehler
(OM)
9.6 ± 15.1
5.0 ± 9.3
-4.6
<.0001**
Commissionsfehler
(CM)
19.1 ± 17.2
9.0 ± 9.0
-10.1
<.0001**
* = Students t-Test; **= Wilcoxon signed rank test
Tabelle 1: Vergleich der prä-/post-Daten der Aufmerksamkeitstestung (QIK-Test)
Die Auswertungen des Aufmerksamkeitstests zeigt eine signifikante Verbesserung aller vier Parameter nach
der Neurofeedback Therapie. Dies lässt darauf schließen, dass jene zu einer verbesserten Selbstregulation
des Gehirns beiträgt. Im Schnitt reagierten die PatientInnen 21 ms schneller auf einen Go-Task und zwar
bei einer um 18 ms geringeren Variabilität der Reaktionszeit. Auch die Anzahl der Fehler ging signifikant
zurück. Eine besonders große absolute Veränderung zeigt sich bei den Commissionsfehlern: so machten die
Teilnehmenden nach der Neurofeedback Therapie im Mittel 10 Fehler weniger. Sie zeigten also signifikant
seltener ein impulsives Antwortverhalten.
Eine Verbesserung zeigt sich auch im Symptom Tracking. 97% der PatientInnen berichten subjektiv von
einer Verbesserung von Symptomen nach der Neurofeedback Behandlung. Nur 3% der PatientInnen gaben
an, im Vorher-Nachher-Vergleich keine Verbesserung in den Symptomen wahrgenommen zu haben. Eine
detaillierte Auswertung der Bewertung von ADHS-spezifischen Symptome vor und nach der
Neurofeedback Behandlung zeigt Abbildung 2.
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Abbildung 2: Prä/Post- Bewertung von ADHS-Symptomen im Symptom Tracking (n=43)
Die Symptome Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität wurden von n=43 PatientInnen vor und
nach der Neurofeedback Therapie hinsichtlich ihrer Schwere auf einer Skala von 0 - 10 bewertet. Es wird
deutlich, dass die Symptome nach der Neurofeedback Therapie als weniger stark bewertet werden.
Besonders starke Veränderungen in der Bewertung zeigen sich bei den Symptomen Hyperaktivität und
Unaufmerksamkeit. Diese werden von den PatientInnen nach der Neurofeedback Therapie deutlich weniger
schwer bewertet.
Diskussion
Die Ergebnisse legen nahe, dass sich nach etwa 30 Neurofeedback Sitzungen Aufmerksamkeit,
Daueraufmerksamkeit und Impulskontrolle der PatientInnen signifikant verbessert hatten. Ebenso konnte
die wahrgenommene Stärke der Symptome stark reduziert werden. Der therapeutische Nutzen des ILF-
Neurofeedback kann basierend auf diesen Ergebnissen als sehr gut bewertet werden. Dies spricht dafür, dass
eine ILF-Neurofeedback Therapie bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit AD(H)S ein
sinnvoller Therapiebaustein sein kann. Die Rückmeldungen von Seiten der PatientInnen sowie deren Eltern
waren durchweg positiv. Auch die behandelnden TherapeutInnen bewerten die Behandlungsmethode sowie
die Veränderungen ihrer PatientInnen als sehr positiv.
Diese vielversprechenden Ergebnisse motivieren zu weiterer Forschung zu ILF-Neurofeedback in der
Behandlung von AD(H)S. Insbesondere solche, die über die Limitation dieser Beobachtungsstudie
hinausgehen und beispielsweise interventionellen Charakter haben, eine Kontrollgruppe und weitere
validierte Erhebungsinstrumente zu Parametern von Aufmerksamkeit, Impulskontrolle et. - auch als
Validitätskriterien- umfassen. Studien, die Neurofeedback vergleichend zu anderen Therapieverfahren
und/oder die Langzeitwirkung der Effekte einer Neurofeedback Therapie untersuchen, wären ebenfalls
interessant.
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Zusammenfassung
Obwohl die Ergebnisse aus der vorliegenden Beobachtungsstudie nur begrenzt generalisierbar sind, so
zeigen sie anhand einer recht großen Stichprobe, dass eine subjektive und behaviorale Verbesserung von
Symptomen durch die ILF-Neurofeedback Therapie bei Kindern und Jugendlichen mit AD(H)S möglich
ist. ILF-Neurofeedback kann dabei als nichtmedikamentöse, nicht-invasive und schmerzfreie
Behandlungsoption die Therapiemöglichkeiten bei AD(H)S, bereichern.
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