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Logopädische Versorgung von mehrsprachigen Kindern mit Migrationshintergrund: Förderung oder Therapie?

Authors:
  • Hochschule Bremen - City University of Applied Sciences

Abstract

Scharff Rethfeldt, W. (2020). Logopädische Versorgung von mehrsprachigen Kindern mit Migrationshintergrund: Förderung oder Therapie? logopädieschweiz, 3, 4-15 . Die Versorgung von mehrsprachigen Kindern und/oder Kindern mit Migrationshintergrund fällt als selbst-verständlicher Bestandteil in den logopädischen Tätigkeitsbereich. Dabei stellt die differenzialdiagnostische Abgrenzung von therapiebedürftigen gegenüber förderbedürftigen Sprech-, Sprach-und Kommunikationsauffälligkeiten Logopädinnen und Logopäden vor besondere Herausforderungen. Der Beitrag gibt einen Einblick in kumulative Risikofaktoren des Mehrspracherwerbs und inwieweit kulturell und linguistisch diverse Kinder von Risiken der Fehlversorgung besonders betroffen sind. Deutlich wird, dass diverse diagnostische Methoden zur Abklärung einer Sprachentwicklungsstörung erforderlich sind und dass Prävention und Gesundheitsförderung stärker in die aktuelle Ausrichtung in der logopädischen Versorgung von Sprech-, Sprach-und der Kommunikationsauffälligkeiten im Zuge des Anspruchs auf Inklusion integriert werden sollten. One aim of speech and language service providers is to allow everyone to have equal access to appropriate intervention resources, including culturally and linguistically diverse (CLD) children who speak languages other than, or in addition to German, as well as migrant children. Language skills in multilingual children are highly varied as a result of the variability in their language experiences. In addition, there may be multilingual children who have speech, language and communication needs (SLCN), or in contrast, some children may present with developmental language disorder (DLD). The identification of DLD in CLD children poses unique challenges for clinicians. Hence, the distinction between differentiating typical from atypical language development may not occur reliably. This places CLD children at risk for misdiagnosis and interventions that may be insufficient. A reconceptualization of language needs/difficulties emphasizes the need to review the problematic of traditional approaches to speech-language assessment and intervention on CLD clients. It is proposed that prevention and intersectoral promotion of health and wellbeing need to inform the concept of SLCN in order to follow the notion of inclusive settings.
03 / September 2020 | logopädieschweiz
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Logopädische Versorgung von mehrsprachigen Kindern mit Migrations-
hintergrund: Förderung oder Therapie?
Prof. Dr. Wiebke Scharff rethfeldt1
1 Hochschule Bremen
Abstract
Die Versorgung von mehrsprachigen Kindern und/oder Kindern mit Migrationshintergrund fällt als selbst-
verständlicher Bestandteil in den logopädischen Tätigkeitsbereich. Dabei stellt die differenzialdiagnostische
Abgrenzung von therapiebedürftigen gegenüber förderbedürftigen Sprech-, Sprach- und Kommunikationsauf-
fälligkeiten Logopädinnen und Logopäden vor besondere Herausforderungen. Der Beitrag gibt einen Einblick in
kumulative Risikofaktoren des Mehrspracherwerbs und inwieweit kulturell und linguistisch diverse Kinder von
Risiken der Fehlversorgung besonders betroffen sind. Deutlich wird, dass diverse diagnostische Methoden zur
Abklärung einer Sprachentwicklungsstörung erforderlich sind und dass Prävention und Gesundheitsförderung
stärker in die aktuelle Ausrichtung in der logopädischen Versorgung von Sprech-, Sprach- und der Kommunika-
tionsauffälligkeiten im Zuge des Anspruchs auf Inklusion integriert werden sollten.
One aim of speech and language service providers is to allow everyone to have equal access to appropriate
intervention resources, including culturally and linguistically diverse (CLD) children who speak languages other
than, or in addition to German, as well as migrant children. Language skills in multilingual children are highly
varied as a result of the variability in their language experiences. In addition, there may be multilingual children
who have speech, language and communication needs (SLCN), or in contrast, some children may present with
developmental language disorder (DLD). The identication of DLD in CLD children poses unique challenges for
clinicians. Hence, the distinction between differentiating typical from atypical language development may not
occur reliably. This places CLD children at risk for misdiagnosis and interventions that may be insufcient. A
reconceptualization of language needs/difculties emphasizes the need to review the problematic of traditional
approaches to speech-language assessment and intervention on CLD clients. It is proposed that prevention and
intersectoral promotion of health and wellbeing need to inform the concept of SLCN in order to follow the notion
of inclusive settings.
1 Einführung
Viele der Studien, die den Mehrspracherwerb von Kin-
dern mit Migrationshintergrund untersuchten, fokus-
sieren vorrangig den Erwerb der Mehrheitssprache
im Vergleich zur einsprachigen Altersnorm (vgl. Para-
diS 2009, chondrogianni & MariniS 2011). Schliesslich
stellt die Beherrschung der Mehrheitssprache eine
einschlägige Voraussetzung für Bildungserfolg und
zukünftige Beschäftigung dar (vgl. guven & iSlaM 2015).
In früheren Studien haben Alterseffekte zur Erklärung
von Unterschieden in der Entwicklung von ein- und
mehrsprachigen Kindern dabei eine besondere Rolle
gespielt (vgl. Montrul 2008). Die Erkenntnisse haben in
den letzten Jahrzehnten die Entwicklung von solchen
Sprachstandsfestellungen und Sprachförderprogram-
men nachhaltig geprägt, deren hoher Anspruch es ist,
Chancengleichheit mit Blick auf den Bildungserfolg
herzustellen. Untersuchungen zur Sprachentwick-
lung in den Herkunftssprachen und damit die Berück-
sichtigung einer ganzheitlichen Sprachentwick-
lung unter den vielfältigen kulturell und linguistisch
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Fachartikel
diversen Bedingungen spielen hingegen noch immer
eine untergeordnete Rolle. Dabei liegen hinreichend
Erkenntnisse vor, die die Bedeutung des Erhalts der
Herkunftssprache für das Wohlbenden und die Iden-
titätsentwicklung eines Individuums sowie für eine
erfolgreiche kognitive und mehrsprachige Entwick-
lung belegen (vgl. de houWer 2015; oh & fuligni 2010;
WinSler et al. 2014; trofiMovich & turuševa 2015). Auch
steht das mehrsprachige Kind mit seinen im mono-
lingualen Vergleich unzureichenden Sprachleistungen
in der Mehrheitssprache im Vordergrund, während die
umweltbezogenen Bedingungen und Voraussetzun-
gen für seine Sprachentwicklung bei der Anwendung
und Umsetzung von Massnahmen im Hintergrund
verbleiben.
Aus logopädischer Sicht ist aber eine ausschliesslich
am Individuum ausgerichtete Massnahme und damit
mangelnde Berücksichtigung von Umweltfaktoren
mit dem Ziel einer adäquaten und nachhaltigen Ver-
sorgung gravierend. Denn die Logopädie, die Beein-
trächtigungen der Kommunikation identiziert und
klassiziert, versteht diese nicht als ausschliesslich
internale, sondern in Wechselwirkung mit externalen
Bedingungen. D. h., was diagnostisch als Beeinträch-
tigung deniert wird, hängt in erheblichem Masse
von gesellschaftlichen Normalitätsvorstellungen ab;
inwieweit therapeutische Interventionen wirksam
sind, unterliegt in erheblichem Masse den alltäg-
lichen sozialen Rahmenbedingungen, unter denen
Kommunikation und Bildungsprozesse stattnden.
Angesichts der mit dem Anspruch einer adäquaten
Versorgung von kulturell und linguistisch diversen
Klientinnen und Klienten verbundenen Herausfor-
derungen stellt sich folglich zunehmend auch in der
Logopädie die Frage nach einer notwendigen kriti-
schen Auseinandersetzung mit ihren konventionel-
len Denkmodellen, die überwiegend auf monolingual
orientierter Theoriebildung und Erkenntnis beruhen.
2 Spracherwerb bei mehrsprachigen vs. ein-
sprachigen Kindern
Grundsätzlich ist sprachgesunden Kindern ein natür-
licher Mehrspracherwerb sehr gut möglich. Unter
Mehrsprachigkeit werden der Erwerb bzw. der Erhalt
kommunikativer Fähigkeiten in mehr als einer Spra-
che verstanden. Dabei handelt es sich um einen kom-
plexen und dynamischen Prozess, sodass diese Fähig-
keiten in einem unterschiedlichen Ausmass erworben
bzw. erhalten werden, um mit den Sprecherinnen und
Sprechern in einer oder mehreren Sprachen innerhalb
der Familie und in der Gesellschaft zu kommunizieren.
Mehrsprachigkeit ist nicht mit gleichen Sprachfähig-
keiten in mehr als einer Sprache zu verwechseln.
Denn neben den zahlreichen Faktoren, die auch den
Spracherwerb einsprachig aufwachsender Kinder
beeinussen, sind beim Mehrspracherwerb noch
weitere Faktoren zu berücksichtigen, die sich auf die
Sprachkompetenz auswirken. Angesichts der vielfäl-
tigen personalen und umweltbezogenen Erwerbskon-
stellationen ist mit zunehmendem Alter eines Indivi-
duums von Veränderungen in der Sprachexposition
und damit auch im Sprachgebrauch auszugehen. So
kann es nicht nur zum in der Fachliteratur bereits gut
erklärten Erwerb mit vermehrten Fähigkeiten in einer
weiteren Sprache (vgl. Scharff rethfeldt 2013), son-
dern auch zu einer verringerten Verwendung bis zum
Verlust kommen. Dies trifft vorrangig jene Sprachen,
die im individuellen Alltag nicht mehr wichtig sind und
daher – im doppelten Sinne – nicht mehr gebraucht
werden. Anlässe, eine Sprache nicht mehr zu gebrau-
chen, ergeben sich für Kinder, die ihre Herkunfts-
sprachen innerhalb der Familie erwerben, häug als
Reaktion auf Übergangserfahrungen innerhalb der
Familie und/oder zwischen Familie und Einrichtun-
gen des Bildungssystems (z. B. Trennung der Eltern,
Eintritt in eine Kindertageseinrichtung, eigene sowie
Einschulung älterer Geschwister). Von einem sowohl
quantitativ als auch qualitativ reduzierten Sprachinput
sind sodann solche Kinder ungleich stärker betroffen,
die ihre Herkunftssprache von Eltern erwerben, die
diese ausserhalb der Familie nicht pegen (können).
So kann sich ein eingeschränkter elterlicher Sprach-
gebrauch ähnlich auf den Sprachinput auswirken.
Unterschiede im Spracherwerb von ein- und mehr-
sprachigen Kindern bedeuten jedoch nicht unter-
schiedliche Sprachentwicklungspfade. Denn die ein-
schlägigen Meilensteine der mono- und bilingualen
Sprachentwicklung sind sehr ähnlich. Diese Meilen-
steine sind deniert als das Alter, in dem ein Kind
eine bestimmte, nicht sprachspezische Sprach-
fähigkeit zeigt (z. B. erste Wörter um den 12. Monat,
Zweiwortkombination mit 24 Monaten). Hingegen
wurde die Bedeutung des Alters zum Zeitpunkt, ab
dem ein Kind mit dem Erwerb einer weiteren Spra-
che beginnt (age of onset, AoO), als Gelingensbe-
dingung für einen erfolgreichen Mehrspracherwerb
und damit Voraussetzung für einen erfolgreichen
sog. Zweitspracherwerb (DaZ) in früheren Studien
überschätzt, zumal die Bedingungsfaktoren zum
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jeweiligen Erwerbsbeginn variieren und als konfun-
dierende Variablen unzureichend kontrolliert wurden.
Ansätze, die AoO als entscheidenden Ausgangspunkt
denieren, werden der dynamischen und komplexen
Sprachentwicklung unter kulturell und linguistisch
diversen Bedingungen nicht gerecht. Vielmehr zeigen
neuere empirische Befunde, dass dem Parameter
Sprachexposition und somit dem quantitativen Input
eine wesentlich bedeutsamere Rolle zukommt (vgl.
unSWorth 2016). Ebenfalls von Bedeutung ist das sog.
Timing (vgl. tSiMPli 2014). Folglich hängen die Sprach-
erwerbsrate und mit ihr verbundene Leistungen v. a.
in den Bereichen Lexikon, Morphologie und Syntax
massgeblich von quantitativen Spracherfahrungen
(u. a. Zeitpunkt, Dauer, Häugkeit, Intensität) in den
einzelnen Sprachen und nicht vom Erwerbsbeginn
an sich ab (vgl. hoff et al. 2012). Dabei sind lang-
fristige Auswirkungen wie anhaltende Unterschiede
von Sprachleistungen bei bilingualen Kindern und
Jugendlichen überwiegend auf den frühen sprachli-
chen Input zurückzuführen (hoff & core 2013). Auch
hat sich ein nicht-nativer Sprachinput als wenig för-
derlich erwiesen (unSWorth et al. 2019; Place & hoff
2011); es liegt nahe, dass dies im Zusammenhang mit
einer einhergehenden mangelnden Nutzungsfähigkeit
rhythmisch-prosodischer Informationen steht, welche
eine wichtige Bedingung für die induktive Abstraktion
formal-sprachlicher Regularitäten darstellt. Zu wei-
teren, den Mehrspracherwerb beeinussenden sowie
interagierenden Faktoren zählen die Anzahl der ver-
schiedenen Gesprächspartnerinnen und Gesprächs-
partner, die Familienkonstellation, Transfereffekte,
typologische Ähnlichkeiten und gesellschaftliches
Prestige der beteiligten Sprachen sowie quantitative
und qualitative Aspekte des bilingualen Sprachge-
brauchs von Bezugspersonen. Daneben sind auch die
gleichsam in der monolingualen Sprachentwicklung
als prädiktiv für die späteren Sprachfähigkeiten wir-
kenden Faktoren zu berücksichtigen, z. B. sensitives
und anregendes Interaktionsverhalten von Bezugs-
personen (u. a. beim Vorlesen), der sozioökonomische
Status sowie der bildungsbezogene familiäre Hinter-
grund (insbesondere schulische Bildung der Mutter)
(vgl. Scharff rethfeldt 2013, 125). So zeigen in asym-
metrischen Sprachumgebungen aufwachsende Kin-
der, d. h. die neben ihrer(n) Herkunftssprache(n) die
Mehrheits- bzw. Bildungssprache in nicht-familialen
Kontexten erwerben, auch nach sechs Jahren Beschu-
lung in der Mehrheitssprache oder sogar dauerhaft,
dass sie signikant schlechtere Sprachleistungen
erbringen als die einsprachige Altersgruppe (vgl.
farina & geva 2011, bialyStok et al. 2010; roeSSingh &
elgie 2009), wobei innerhalb der bilingualen Gruppe
jene mit höherem sozioökonomischen Status besser
abschneiden (vgl. calvo & bialyStok 2014).
3 Sprachentwicklungsstörung bei mehr-
sprachigen vs. einsprachigen Kindern
Sprachentwicklung stellt gleichermassen für ein-
sowie mehrsprachig aufwachsende Kinder eine kom-
plexe und störanfällige Aufgabe dar. Dabei ist Mehr-
sprachigkeit bzw. der Erwerb einer weiteren Sprache
jedoch nicht ursächlich für eine SES (vgl. Scharff
rethfeldt 2013; grech & Mcleod 2012; ParadiS 2005).
Empirische Untersuchungen zeigen, dass rund 7,6 %
aller Kinder von einer SES betroffen sind (vgl. norbury
et al. 2016), unabhängig davon, ob sie ein- oder mehr-
sprachig aufwachsen. Die SES ist damit die häugste
Entwicklungsstörung im Kindesalter, die ursächlich
auf ein multifaktorielles Bedingungsgefüge zurück-
geführt wird. Eine SES liegt vor, wenn das Kind solche
Sprachschwierigkeiten zeigen, (a) die die Kommu-
nikation oder das Lernen im Alltag beeinträchtigen
und (b) anzunehmen ist, dass die Sprachschwierig-
keiten auch nach Erreichen des fünften Lebensjahres
bestehen bleiben, und (c) die Sprachschwierigkeiten
nicht direkt mit einer biomedizinischen Ursache in
Verbindung gebracht werden können (z. B. Hirnschä-
digung, neurodegenerative Erkrankung, genetische
oder Chromosomenstörung, Hörstörung, Autismus-
Spektrum-Störung oder geistige Behinderung) (vgl.
Scharff rethfeldt & ebbelS 2019; biShoP et al. 2017;
biShoP et al. 2016). SES führen zu weitreichenden
Kommunikationsstörungen und somit psychosozialen
Belastungen. Ohne frühzeitige Identikation und Ein-
leitung adäquater Massnahmen kann sich eine in Aus-
mass und Schweregrad unterschiedlich auftretende
SES im Schulalter u. a. als Lese-Rechtschreibstörung
manifestieren. Zudem liegen mittlerweile hinreichend
empirische Belege vor, die zeigen, dass Kinder mit
SES einem erhöhten Risiko für Störungen des Sozial-
verhaltens und emotionalen Störungen ausgesetzt
sind (vgl. durkin & conti-raMSden 2010; yeW & o’kear-
ney 2013), und im Erwachsenenalter häuger zu einem
niedrigen Ausbildungsniveau sowie sozialer Exklusion
führen, sodass neben der Lebensqualität auch die
psychische Gesundheit betroffen ist. Die SES und ihre
Folgen stellen damit ein gravierendes Gesundheits-
problem dar, das bis ins Jugend- und Erwachsenen-
alter nachweisbar ist (vgl. Schoon et al. 2010). In Anbe-
tracht ihrer kumulierenden Risikofaktoren kommt der
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Frühdiagnostik sowie nach Indikation der unverzüg-
lichen SES-Therapie somit eine zentrale Bedeutung
zu. Sie ist sowohl für ein- als auch für mehrsprachige
Kinder mit Bezug auf das eigene Wohlergehen und die
gesellschaftliche Teilhabe und somit für gesundheit-
liche und soziale Chancengleichheit entscheidend.
Die Symptome einer SES können sich in Schwere
und Ausmass sehr unterschiedlich ausprägen. Auf
formal-sprachlicher Ebene zählen u. a. ein geringer
Wortschatzumfang, eingeschränktes Wortwissen,
grammatikalische Abweichungen wie Flexions- und
Kongruenzfehler zu den einschlägigen Symptomen
bei einsprachig aufwachsenden Kindern. Dabei vari-
ieren die SES-Symptome je nach beteiligter Sprache.
Denn Sprachen haben eine unterschiedliche «Sprach-
architektur» und damit auch andere Funktionen und
Regeln. Da derlei Abweichungen zugleich typische
Merkmale einer sog. Lernersprache sind, liegt es
auf der Hand, dass diese zur Identikation einer SES
bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern nicht mit
der gleichen Gültigkeit herangezogen werden kön-
nen (vgl. Synopse möglicher Symptome einer SES in
Scharff rethfeldt 2013). Denn eine ausschliesslich
auf Lexikon, Morphologie und Syntax der produktiven
Sprachleistungen konzentrierte und damit reduzierte
Befunderhebung bei einem vorliegenden Verdacht auf
eine SES bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern,
würde das Risiko möglicher Fehldiagnosen verstärken
(vgl. Scharff rethfeldt 2016; bloM et al. 2013; grech &
dodd 2007) Während bei einsprachigen Kindern eine
SES häug allein anhand der Untersuchung von Lexi-
kon, Syntax und Morphologie diagnostiziert wird, wäre
dies bei mehrsprachigen Kindern daher fahrlässig.
Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Einschrän-
kungen im Wortschatzerwerb und der grammati-
schen Entwicklung auch auf Beeinträchtigungen der
diese Entwicklung steuernden Verarbeitungsprozesse
zurückzuführen sind (vgl. Scharff rethfeldt 2017).
So ist die SES keine isolierte Störung auf linguis-
tischer Ebene, sondern zeigt sich häug auch auf
kognitiver Ebene in Form einer insgesamt verlang-
samten Sprachverarbeitungsgeschwindigkeit sowie
Beeinträchtigung des Kurzzeit- oder Arbeitsgedächt-
nisses (vgl. archibald 2017; leonard et al. 2007). Eher
ist anzunehmen, dass der SES Schwierigkeiten beim
Erwerb automatischer Fähigkeiten inkl. des proze-
duralen Lernens zugrunde liegen (vgl. nicolSon &
faWcett 2007; ullMan 2004). Prozedurales Lernen ist
in der Regel implizit und bezieht sich auf das Lernen
von Fähigkeiten und Strategien; anders als Wissen,
das explizit artikuliert wird. Die Verarbeitungsprob-
leme führen demnach zu geringen Regelkenntnissen,
welche die Ableitung von Strategien zur Verarbeitung
relevanter sprachlicher Informationen erschweren.
Diese äussern sich in Ausmass und Schwere unter-
schiedlich als Beeinträchtigungen in der Aufnahme,
Verarbeitung und Speicherung formal-sprachlicher
Regularitäten zum Verständnis und zur Produktion.
Dies erklärt auch, weshalb sich eine SES bei mehr-
sprachigen Individuen stets in allen beteiligten Spra-
chen und somit auch in der/den zuerst erworbenen
Sprache/n zeigt.
4 Risiken einer Fehlversorgung
Die Sprachfähigkeiten mehrsprachiger Kinder sind
aufgrund der oben angeführten vielfältigen die
Sprachentwicklung beeinussenden und interagie-
renden Faktoren sehr unterschiedlich sowie komplex.
Dies erschwert es Logopädinnen und Logopäden, eine
SES von mangelnden Sprachkenntnissen bei mehr-
sprachigen Kindern zu unterscheiden. So tragen Man-
gel an Wissen, kultursensiblen Handlungskompe-
tenzen, Normdaten sowie Instrumenten vielmehr zu
Fehldiagnosen bei. Insofern sind kulturell und lingu-
istisch diverse Kinder von Risiken der Fehlversorgung
ungleich höher betroffen.
Neuere Studien belegen, dass von einer SES betrof-
fene mehrsprachige Vorschulkinder deutlich später
zur logopädischen Differenzialdiagnostik überwiesen
werden (vgl. Wiefferink et al. 2020; Scharff rethfeldt
2019). Viele mehrsprachige Kinder haben einen Mig-
rationshintergrund. Sie bleiben häuger therapeu-
tisch un- bzw. unterversorgt, da Migrantinnen und
Migranten der Zugang zur medizinischen Versor-
gung wesentlich erschwert ist (vgl. Wylie et al. 2013).
Dies wird vorrangig auf Sprachbarrieren, nanzielle
Aspekte, mangelnde Kenntnisse über das lokale
Gesundheitssystem sowie auf Erwartungen und Vor-
stellungen über die Behandlungsmöglichkeiten der
betreffenden Bevölkerungsgruppe zurückgeführt (vgl.
albarran et al. 2011), sodass insbesondere Familien
mit Migrationshintergrund die Möglichkeiten einer
logopädischen Versorgung nicht bekannt sind (vgl.
grech & cheng 2010). Für zahlreiche mehrsprachig
aufwachsende Kinder ergibt sich ein nicht zu unter-
schätzendes Cluster von Risikofaktoren mit zusätz-
lichen benachteiligenden Faktoren wie Migration,
Armut und Hautfarbe, sodass sie eher von negativen
kognitiven und sozioemotionalen Folgen betroffen
sein können (vgl. evanS et al. 2013).
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Weitere als Barrieren einer adäquaten logopädi-
schen Versorgung wirkende Faktoren sind innerhalb
des Versorgungssystems selbst zu nden. ParadiS
(2005) hebt zwei häuge Fehldiagnosen hervor: mis-
sed identity und mistaken identity. So werden falsch
negative Diagnosen gestellt, die von einer SES betrof-
fene mehrsprachige Kinder nicht der notwendigen
Therapie zuführen, u. a. da die formal-sprachlichen
Auffälligkeiten mit physiologischen Merkmalen einer
Lernersprache im Rahmen des Mehrspracherwerbs
erklärt werden. Oder es werden falsch positive Dia-
gnosen gestellt, die mangelnde Deutschkenntnisse
als therapiebedürftig einstufen und das Sprachver-
halten somit pathologisieren. So kann der Einsatz der
in der logopädischen Praxis etablierten einschlägigen
psychometrischen Tests, nicht zu einer validen Diffe-
renzialdiagnostik bei mehrsprachigen Kindern beitra-
gen, u. a. weil sie am monolingualen Spracherwerbs-
paradigma ausgerichtet sind und/oder sich auf eine
andere Norm beziehen.
Laut bundesdeutscher AWMF-Leitlinie (vgl. de lan-
gen-Müller et al. 2011;2016), die einer anderen
Nomenklatur folgt, ist die klinische Diagnose einer
umschriebenen bzw. spezischen SES (USES/SSES)
als Ausschlussdiagnose zu stellen, wenn die Sprach-
entwicklung als nicht altersgemäss bezeichnet wer-
den kann. So sei laut Autorinnen u. a. eine Intelligenz-
minderung von IQ<85 durch Einsatz eines nonverbalen
Intelligenztests auszuschliessen. Dieses Kriterium ist
im internationalen Diskurs, wie auch die Diagnose-
stellung per Ausschlussprinzip, höchst umstritten,
da der Zusammenhang zwischen nonverbalem IQ
und Sprachfähigkeiten sowohl einer evidenzbasierten
Grundlage entbehrt (vgl. biShoP 2004; leonard 2014)
als auch keinem schlüssigen Konzept folgt (vgl. reilly
et al. 2014). Neben weiteren diagnostischen Krite-
rien wird zur Diagnosestellung zudem vorausgesetzt,
dass die mit einem standardisierten und normier-
ten Test erfassten Sprachfähigkeiten auf mindestens
einer sprachlich-kommunikativen Ebene 1,5 bis 2 SD
unterhalb und damit abweichend von der Altersnorm
liegen. Obgleich der Einsatz von wissenschaftlich
fundierten, standardisierten, normorientierten Test-
verfahren im Rahmen der Befunderhebung mit dem
Ziel einer Überprüfung einer möglichen Abweichung
von der Norm und somit zur logopädischen Urteilsbil-
dung bei einsprachigen Klientinnen und Klienten bei-
tragen kann, trägt der Einsatz der vorliegenden ein-
schlägigen norm-orientierten Testverfahren hingegen
zur Pathologisierung von kulturell und linguistisch
diversen Klientinnen und Klienten bei. Insgesamt
ist der Einsatz von monolingual und monokulturell
normorientierten Verfahren aufgrund von Konstrukt-,
Methoden- und Item-Bias weder ethisch vertretbar,
noch zielführend (vgl. Scharff rethfeldt 2016; caeSar
& kohler 2007; StoW & dodd 2003). Dies gilt auch für
deren Übersetzungen (vgl. bedore & Peña 2008; roSe-
berry Mckibbin 2002) sowie für Verfahren, die eine
heterogene Sprachgruppe als eine Stichprobe zusam-
menfassen (vgl. laing & kaMhi 2003). Dies schliesst den
Test LiSe-DaZ (Schulz & tracy 2011) ein, der für För-
derentscheidungen über ausschliesslich Deutsch als
Zweitsprache erwerbende Kinder am Übergang Pri-
mär-/Sekundärprävention entwickelt wurde und für
differenzialdiagnostische Zielsetzungen mit dem Ziel
der Identikation einer SES ungeeignet ist (vgl. Scharff
rethfeldt 2016). Die Autorinnen der LiSe-DaZ empfeh-
len bei Sprachauffälligkeiten «weitere Gründe für die
festgestellten Erwerbsprobleme ins Auge zu fassen»
und weisen darauf hin, dass das Ergebnis unterdurch-
schnittlicher Sprachleistungen auf das Vorliegen einer
Sprachentwicklungsstörung hinweisen kann, «das
einer logopädischen Überprüfung bedarf» (Schulz &
tracy 2011,19). Da die Autorinnen davon ausgehen,
dass «im Normalfall» einsprachig mit Deutsch auf-
wachsenden Kindern «der Input, der für die weiteren
Erwerbsschritte notwendig ist, kontinuierlich und in
ausreichender Intensität zur Verfügung steht» (Schulz
& tracy 2011, 60), lässt sich mit dem Verfahren ein-
sprachigen Kindern generell kein Förderbedarf attes-
tieren; so selektiert und erlaubt nur der Protokollbo-
gen für mehrsprachige Kinder einen entsprechenden
Vermerk. Aus logopädischer Sicht ist ausserdem
schwierig, dass die Autorinnen den Anwenderinnen
und Anwendern (vorrangig pädagogische Fachkräfte)
empfehlen, den Eltern sprachauffälliger Kinder mit
DaZ eine Auswahl diagnostischer Fragen zu stellen,
«die sich in der Praxis zur Erkennung von Sprach-
störungen bewährt haben» (Schulz & tracy 2011, 59).
Damit sprechen sie den Anwenderinnen und Anwen-
dern eine fragwürdige diagnostische Kompetenz zu,
unterschätzen die Herausforderung einer SES-Diag-
nostik und verstärken gerade bei mehrsprachig auf-
wachsenden Kindern das Risiko von Fehldiagnosen.
Wichtiger wäre zu vermitteln, dass jedes sprachauf-
fällige Kind logopädisch abgeklärt werden sollte. So
ist festzuhalten, dass das Instrument nicht für den
Einsatz in der Logopädie gedacht ist.
Bislang liegt im deutschsprachigen Raum kein
adäquater Sprachentwicklungstest zur zuverlässigen
Identikation einer SES bei mehrsprachigen Kindern
vor, welcher die einschlägigen Gütekriterien (inklusive
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Sensitivität und Spezität) erfüllt. Denn selbst die vor-
liegenden Adaptionen zur Anwendung bei mehrspra-
chigen Kindern erfüllen notwendige Anforderungen
wie linguistische, funktionale, metrische sowie kultu-
relle Äquivalenz und damit den Anspruch notwendiger
Test-Fairness nicht.
Abzuwarten, bis hinreichend Deutschkenntnisse vor-
liegen, um eine Befunderhebung bspw. mit Einsatz
eines Tests in der Sprache der Therapeutin/des The-
rapeuten zu ermöglichen wäre nicht nur irreführend,
sondern bei Verdacht auf eine vorliegende SES mit
Blick auf die oben angeführten Folgen auch ethisch
problematisch. So ist es unprofessionell zu erwar-
ten, dass im Laufe der Zeit ein mehrsprachiges Kind
mit einsprachigen Peers vergleichbar sei. Schliess-
lich liegen hinreichend Erkenntnisse vor, die zeigen,
dass sich sprachgesund entwickelnde bilinguale von
monolingualen Kindern mit SES auch nach mehre-
ren Jahren mit regelmässigem Sprachkontakt in der
Mehrheitssprache hinsichtlich ihrer rezeptiven (sowie
produktiven) Leistungen in den Bereichen Lexikon,
Morphologie und Syntax nicht deutlich unterschei-
den (vgl. SMolander et al. 2017; ParadiS 2010; Steenge
2006). Auch für Kinder gilt, dass eine bilinguale Per-
son nicht zwei monolinguale Personen in einer ver-
eint – es ist bemerkenswert, dass trotz vielfacher
Zitation, der Kern groSjeanS (1989) Botschaft schein-
bar nur begrenzt verstanden wird, sodass noch heute
bilinguale Personen in ihren jeweiligen Sprachen
mit monolingual normorientierten Tests untersucht
werden.
In der Logopädie stehen eine Reihe von Methoden zur
Verfügung und Logopädinnen und Logopäden sind
darin ausgebildet, diese zielführend einzusetzen. Als
geeignete Alternativen zu normorientierten Verfah-
ren haben sich kriterium-orientierte Verfahren sowie
das Dynamic Assessment als effektive differenzial-
diagnostische Methoden zur Identikation von SES bei
kulturell und linguistisch diversen Kindern gezeigt,
sofern sie mit soziokulturellen Ansätzen kombiniert
werden. Denn sowohl die klinisch zielführende Metho-
denauswahl als auch adäquate Ergebnisinterpretation
in der Befunderhebung erfordern detaillierte ethno-
und sprachbiograsche Informationen. Insbesondere
Aufgaben zum Satzverständnis erscheinen vielver-
sprechend und Arbeitsgedächtnisaufgaben (Zahlen,
Nichtwörter) haben sich nicht nur als geeignet in der
Differenzialdiagnostik bei geringerer Spracherfah-
rung und aufgrund des Zusammenhangs zwischen
zentral exekutiven Funktionen und Sprachleistun-
gen als effektiv erwiesen. Nicht zuletzt erfordert die
klinische Entscheidungsndung interkulturelle Kom-
petenzen der Therapeutin bzw. des Therapeuten (vgl.
Scharff rethfeldt 2017). So kommt im Kontext kultu-
reller und linguistischer Diversität den Logopädinnen
und Logopäden bei der Vermeidung und Verminde-
rung von Versorgungsfehlern besonders im Zuge der
Beratung, Diagnostik und Intervention eine gewich-
tige Rolle zu; zugleich ist die Fachdisziplin gefordert,
einer Verkürzung der logopädischen Sprachentwick-
lungsdiagnostik auf normorientierte Testverfahren
entgegenzuwirken.
5 Versorgungsformen: Sprachförderung vs.
Sprachtherapie
Sprachauffälligkeiten im mehrsprachigen Kontext
erfordern unterschiedlich ausgerichtete Massnahmen
und Aktivitäten primärer, sekundärer und tertiärer
Prävention sowie der Gesundheitsförderung. Letzte-
ren Begriff etablierte die Weltgesundheitsorganisa-
tion (WHO) im Rahmen der Ottawa-Konferenz 1986 als
Ergebnis eines erweiterten Verständnisses der Bedeu-
tung ökonomischer, politischer, kultureller und sozia-
ler Faktoren für die Gesundheit einzelner und ganzer
Bevölkerungsgruppen. Ein Grossteil der Gesundheits-
systeme weist noch immer eine schwerpunktmässige
Ausrichtung auf die kurative Versorgung aus, obgleich
nicht alle Krankheiten bzw. als pathologisch zu klas-
sizierenden Störungen – und dies schliesst Sprech-,
Sprach- und Kommunikationsstörungen ein – tat-
sächlich geheilt werden können. Die demograsche
Entwicklung sowie sich verändernde soziokulturelle
Rahmenbedingungen ziehen zahlreiche gesundheits-
politische, soziale und schliesslich bildungspolitische
Folgen nach sich und stellen die Gesundheitssysteme,
wie auch die Sozial- und Bildungssysteme einzel-
ner Länder vor grosse Herausforderungen, deren
Bewältigung erfordert, dass präventive und gesund-
heitsfördernde Strategien nicht mehr systemisoliert,
sondern kooperativ berücksichtigt werden. So ist es
auch erforderlich, Prävention und Gesundheitsförde-
rung stärker in die aktuelle Ausrichtung in der logo-
pädischen Versorgung von Sprech-, Sprach- und der
Kommunikationsauffälligkeiten zu integrieren. Denn
die Umsetzung von Sprachförderung und sprachlicher
Bildung sowie Sprachtherapie bewegt sich sowohl ins-
titutionell als auch nanziell an den Schnittstellen von
Sozialem, Pädagogik und Gesundheit. Insbesondere
bei Sprachauffälligkeiten in Mehrspracherwerbs- und
Migrationskontexten stellt sich die Frage, ob Mass-
nahmen der Primär- und Sekundärprävention aus-
reichend sind und ab wann die Sprachgesundheit
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betroffen ist, sodass auch sprachtherapeutische
Massnahmen der Tertiärprävention zu ergreifen sind.
Als Primärprävention kann eine theoriegestützte
Sprachförderung durch als Sprachvorbild fungie-
rende Personen den Sprachaneignungsprozess aller
Kinder in handlungsrelevanten Alltagssituationen
unterstützen und ggf. nach Vermittlung und Anlei-
tung von sprachförderlichen Verhaltensweisen auch
in Familien gut umgesetzt werden. Sprachförderung
setzt demnach keine Sprachdiagnostik voraus. Im
Vorschulalter kann sie alle sprachgesunden Kinder
unterstützen, ihre Wünsche und Bedürfnisse verbal
zu formulieren, sich mit Gleichaltrigen auszutauschen
und somit Sprache als Mittel zur Reexion inkl. meta-
sprachlicher Funktionen einzusetzen (vgl. füSSenich
2002). Überdies kann Sprachförderung zur sprachli-
chen Bildung dieser Kinder beitragen, indem sie u. a.
das Interesse und den Zugang zur Schriftsprachkul-
tur ermöglicht (vgl. jaMPert et al. 2005). Grundsätzlich
können auch sprachgesunde mehrsprachige Kinder
von einer Sprachförderung protieren, sofern sie ihre
Mehrsprachigkeit unterstützt, d. h. wenn sie in allen
von ihnen verwendeten Sprachen gefördert werden.
Fördermassnahmen der Sekundärprävention richten
sich zusätzlich zum pädagogischen Sprachförderan-
gebot vorrangig an ausgewählte Risikogruppen mit
Verdacht auf ungünstige Entwicklungs- und Bildungs-
verläufe, zu denen häug Kinder in sozialen Problem-
lagen und damit häug auch mit Migrationshinter-
grund gehören. Da mehr als die Hälfte jener Kinder,
die in sozial benachteiligten Räumen aufwachsen,
bereits im Alter von fünf Jahren Kommunikations-
schwierigkeiten erleben, verfolgt ein Grossteil der
Massnahmen ein kompensatorisches Ziel, um den
Anschluss zur Erreichung einer Bildungs- und Chan-
cengleichheit der betroffenen Kinder mit Blick auf
schulische Anforderungen herzustellen. In der Regel
werden die sekundärpräventiven Angebote von päda-
gogischen Fachkräften, teilweise auch von Sprachheil-
pädagoginnen und -pädagogen sowie Logopädinnen
und Logopäden durchgeführt. Um die betreffenden
Risikogruppen zu identizieren sowie die Feststellung
des besonderen Sprachförderbedarfs zu sichern, wer-
den sog. Sprachstandsfeststellungen durchgeführt.
Beide Massnahmen, Feststellung und Durchführung,
werden regions- und länderspezisch sehr unter-
schiedlich umgesetzt; überwiegend handelt es sich
um Verfahren, die nicht für mehrsprachige Kinder
geeignet sind. Die uneinheitlich methodisch imple-
mentierte Feststellung führt die betreffenden Kin-
der häug als Sprachförderprogramme konzipierten
Massnahmen zu. Bislang liegen jedoch keine Evi-
denzen vor, die die Wirksamkeit gezielter Sprach-
förderung bestätigen. Bereits im Jahr 2010 evalu-
ierten rooS et al. die Effektivität der drei linguistisch
orientierten Sprachförderprogramme
Deutsch für
den Schulstart
nach kaltenbacher-klageS,
Kon-Lab
nach Penner und
Frühe Sprachförderung
nach tracy
und konnten keine bemerkenswerten Verbesserun-
gen feststellen. Es folgten Fragen zu Intensität und
Gruppengrössen sowie weitere Untersuchungen und
Nachbesserungen. Dennoch lassen sich bis heute
keine nennenswerten Effekte feststellen, dies betrifft
nicht nur einzelne Programme oder Länder. So fassen
fukkink et al. (2017) als Ergebnis ihrer einschlägigen
Meta-Analyse zusammen, dass gezielte Sprachför-
derprogramme im Vorschulbereich keinen wertvollen
Beitrag leisten. Dies ist besonders schwerwiegend für
Kinder aus sozial schwachen Räumen, in multiplen
Problemlagen, darunter auch mehrsprachige Kinder
mit Migrationshintergrund. Denn zahlreiche Befunde
verdeutlichen eine erhebliche Benachteiligung von
Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund
im deutschen Schulsystem hinsichtlich ihrer Kompe-
tenzentwicklung, die darauf beruht, dass der Migra-
tionshintergrund als solcher im Entwicklungs- und
Bildungsprozess relevant wird (vgl. baader et al. 2011).
Ein Grossteil ihrer Benachteiligung lässt sich neben
einer unzureichenden Beherrschung der deutschen
Sprache ihrer Mütter und mangelndem Systemwissen
vor allem über eine ungünstigere sozialstrukturelle
Position ihrer Eltern erklären, sodass ihre Zugehörig-
keit zu unteren sozialen Schichten eine höhere Bedeu-
tung als die Tatsache des Migrationshintergrundes
selbst hat. Diese primären Herkunftseffekte, d. h. von
sozialer und nationaler Herkunft abhängige Lernvo-
raussetzungen, die ursächlich im Milieu und Eltern-
haus liegen (vgl. becker 2010), tragen nicht nur zu
Bildungsungleichheiten bei; so kann auch die Primar-
schule die sozialen Disparitäten offensichtlich nicht
ausgleichen. Dennoch ist davon auszugehen, dass
zusätzliche Massnahmen sinnvoll sein können. Bei-
spielsweise konnte im Rahmen einer randomisierten
Kontrollstudie gezeigt werden, dass eine Kombina-
tion von Einzel- sowie Kleingruppenintervention (2–4
Kinder) für sprachgesunde, jedoch sprachleistungs-
schwache (expressive Leistungen am 10. Perzentil)
Kinder sowohl vor als auch nach dem Schuleintritt in
England (Alter 3–5 Jahre) durch geschulte Lehrkräfte
zu moderaten Verbesserungen verbalsprachlicher
Fähigkeiten führen kann, wenngleich Unterschiede
zwischen den Leistungsschwachen und Überiegern
11
logopädieschweiz | 03 / September 2020
Fachartikel
bestehen blieben (vgl. fricke et al. 2017). Auch schei-
nen frühzeitig einsetzende spezische Elterntrainings
sowie die individuelle Zusammenarbeit mit Eltern in
Form von Hausbesuchen vielversprechender zu sein,
und dies unabhängig von sozialer und nationaler Her-
kunft (vgl. deSforgeS & abouchaar 2003).
Im Sinne der Tertiärprävention wird eine spezi-
sche, individuell auf ein Kind zugeschnittene Inter-
vention in Form einer logopädischen Therapie erfor-
derlich, wenn es ihm nicht möglich ist, seine Sprech-,
Sprach- und Kommunikationsfähigkeiten – selbst in
einer Sprache bestmöglich anregenden Umwelt – zu
entwickeln, oder wenn Umweltfaktoren im kindlichen
Umfeld eine sprachgesunde Entwicklung gefährden
oder beeinträchtigen. Zweites hat im Rahmen der sich
verstärkenden sozialen Ungleichheiten vor allem in
den vergangenen Jahren zunehmend an Bedeutung
gewonnen. Bei negativen Wechselwirkungen zwi-
schen dem Gesundheitsproblem und den individuel-
len Kontextfaktoren kommt es im Sinne des bio-psy-
cho-sozialen Denkmodells zu einer Beeinträchtigung
der funktionalen Gesundheit, die in der ICF (WHO
2001) bzw. ICF-CY (WHO 2007) als Behinderung, in der
Logopädie häug auch als Störung bezeichnet wird.
Die therapeutische Zielsetzung bei der Behandlung
von Sprech-, Sprach- und Kommunikationsstörungen
variiert daher individuell und wird vorrangig über die
die Gesundheit massgeblich beeinussenden Kompo-
nenten deniert. Dabei kommt der Teilhabe eine über-
wiegende Bedeutung zu, wenngleich sich Teilziele und
einzelne Massnahmen auf alle Komponenten der ICF
beziehen können. Die Teilhabe richtet sich nach den
jeweiligen Einschränkungen, welche ein Individuum
im Alltagsleben subjektiv wahrnimmt. Auch Umwelt-
faktoren, die zur Sprech-, Sprach- und Kommuni-
kationsbeeinträchtigung beitragen, werden aus der
Perspektive des betroffenen Individuums als Förder-
faktoren und Barrieren klassiziert. Hierzu zählen
u. a. materielle, soziale und ideelle Umweltfaktoren
sowie personenbezogene Faktoren. Die Logopädie
hat damit das Potenzial, der individuellen Lebens-
welt, den spezischen Rahmenbedingungen genauso
Rechnung tragen zu können wie den jeweiligen Rol-
len, Funktionen, Gewohnheiten, Erfahrungen und
individuellen Barrieren sowie Ressourcen mit Bezug
auf einen erfolgreichen Entwicklungsprozess. Denn
die auf Selbstbestimmung und Teilhabe am Leben
der Gesellschaft ausgerichtete, übergeordnete Ziel-
setzung der logopädischen Therapie besteht darin, (a)
die der Beeinträchtigung zugrundeliegende Sprech-,
Sprach- oder Kommunikationsstörung zu beseitigen,
ihre Verschlimmerung zu verhindern sowie ihr Aus-
mass und ihre Auswirkungen zu reduzieren, (b) die
funktionsbezogene Aktivität mit Bezug auf die Leis-
tung zu erweitern, (c) Strategien zum Ausgleich der
personenbezogenen oder gesellschaftlichen Benach-
teiligung zu entwickeln, und (d) die Patientin bzw.
den Patienten und die Bezugspersonen während der
Anpassungsphase zu unterstützen (vgl. enderby &
john 2015, 18).
In Anlehnung an die Ottawa-Charta beschreibt die
International Association of Communication Sciences
and Disorders zusammenfassend die Verbesserung
der Lebensqualität jener Individuen als das Ziel der
logopädischen Versorgung, die von Störungen der
Stimme, des Sprechens, der Sprache, der Kommu-
nikation, des Schluckens und des Hörens betroffen
sind (IALP 2020). Dies gilt ungeachtet ihrer sprachli-
chen und kulturellen Herkunft. Bei Kindern mit einer
Sprachentwicklungsstörung (SES) lässt sich im Ver-
gleich zu sprachgesunden Kindern bereits im Alter von
vier bis neun Jahren eine deutliche Beeinträchtigung
der individuellen Lebensqualität im Zusammenhang
mit sozial-emotionalen Problemlagen feststellen (vgl.
eadie et al. 2018). Insofern kommt der logopädischen
Frühdiagnostik und -intervention eine nicht zu unter-
schätzende Bedeutung zu. Wenngleich nicht Auslöser
einer SES, können eine Reihe von Umweltfaktoren
eine SES verstärken. Denn wird ein von einer Sprech-,
Sprach- oder Kommunikationsstörung betroffenes
Kind erst mit vier Jahren oder später logopädisch
versorgt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass neben
der Kommunikationsstörung bereits weitere soziale,
emotionale und kognitive Probleme hinzugekommen
sind (vgl. Maggio et al. 2014), die nicht nur die Beein-
trächtigung der funktionalen Gesundheit verstärken,
sondern zudem als konfundierende Variablen sowohl
die logopädische Differenzialdiagnostik und damit
Identikation, als auch die Therapie erschweren. Vor
diesem Hintergrund ist weder eine ausschliesslich
kind- noch symptomorientierte Therapie nachhaltig,
da Ausmass und Auswirkungen einer SES von den
umweltbezogenen Anforderungen abhängig sind, die
sich bis ins Jugend- und Erwachsenenalter ändern
können. So bedarf es unter Berücksichtigung indivi-
dueller Übergangs- und Problemsituationen im Rah-
men einer Verlaufsdiagnostik ggf. sich über mehrere
Jahre erstreckende Therapiephasen, die auf eine Ver-
besserung der (schul-) alltagsorientierten Kommuni-
kationsfähigkeit mit dem Anspruch auf Teilhabe durch
Vermittlung entsprechend problemkompensierender
Strategien zielen.
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6 Konklusion und Konsequenzen
Die Studienlage zeigt, dass die bisherigen im Bildungs-
system verorteten und durchgeführten Massnahmen
der Primär- und Sekundärprävention nicht oder nur
unzureichend die im Zusammenhang mit Mehr-
spracherwerbs- und Migrationskontexten aufgezeig-
ten Unterschiede zur sprachgesunden, einsprachigen
Altersgruppe ausgleichen. So zeigen mehrsprachig in
asymmetrischen Sprachumgebungen und/oder sozia-
len Problemlagen aufwachsende Kinder im Vergleich
zur sprachgesunden einsprachigen Altersgruppe der-
art unterdurchschnittliche Sprachleistungen, die sie
nicht nur nicht aufholen, sondern die geringere Teil-
habechancen weiter verstärken können. Die Qualität
der Beeinträchtigung unterscheidet sich zwar von
einer SES, die Auswirkungen können jedoch ähnlich
sein. Darüber hinaus sind mehrsprachige Kinder mit
SES zweifach betroffen: durch eingeschränkte kog-
nitive (SES) sowie umweltbezogene (Mehrsprachig-
keit) Ursachen (vgl. arMon-loteM 2012; verhoeven et al.
2011). Neben den kumulierenden Faktoren der SES
kann die Exposition gegenüber multiplen Risikofakto-
ren im Migrationskontext die nachteiligen Auswirkun-
gen einzelner Faktoren auf die kindliche Entwicklung
schliesslich übersteigen.
Sprech-, Sprach- und Kommunikationsauffälligkeiten
betreffen demnach nicht nur den Bildungserfolg, son-
dern auch die Gesundheit. Damit fallen sie zugleich in
die Zuständigkeiten unterschiedlicher Versorgungs-
systeme, deren effektive und efziente Kollaboration
nicht unbedingt gegeben ist. Das bedeutet nicht unbe-
dingt, dass die Frage nach einer neuen Indikation für
die Zuführung von Massnahmen der Tertiärprävention
gestellt werden muss. Vielmehr ist es erforderlich, die
Begriffe
Sprachgesundheit
sowie
gesunde Entwick-
lung
zu diskutieren, sofern die Implementation von
Gesundheitsförderung im Rahmen schulischer Inklu-
sion ernsthaft angestrebt wird. Die Umsetzung von
Inklusion in schulischen Kontexten erfordert einen
grundlegenden Paradigmenwechsel und damit mehr
als eine additive Perspektive. In diesem Sinne könnte
das biopsychosoziale Modell gegenwärtig ein geeig-
netes Rahmenkonzept zur Bewältigung des Dilemmas
Förderung oder Therapie?
bieten, da es u. a. aus der
verschiedene wissenschaftliche Disziplinen beein-
ussenden Systemtheorie hervorgegangen ist und
die Medizin als eine der denierten primären wissen-
schaftlichen Bezugswissenschaften der Logopädie, an
den Schnittstellen zu den anderen zentralen Bezugs-
wissenschaften, u. a. der Psychologie und Pädagogik,
kohärent öffnet.
Vor diesem Hintergrund sind barrierefrei zugängli-
che inklusive Versorgungsmodelle vielversprechend,
die orientiert an den individuellen Bedarfen diverse
Massnahmen der Primär-, Sekundär- und Tertiärprä-
vention, individuell passgenau und durchgängig sowie
systemdurchlässig miteinander verbinden. Weiterent-
wicklungen des Response-to-Intervention Ansatzes
(RTI) bzw. Curriculum-based Measurement (CBM)
scheinen hierzu sinnvolle Lösungskonzepte zu bieten
(vgl. deno & fuchS 1987). So umfasst das Konzept des
RTI eine entsprechende Mehrebenenprävention, ein an
den Anforderungen dynamisch und funktional ausge-
richtetes Progress Monitoring, sowie evidenzbasierte
Interventionsmassnahmen. Die erfolgreiche Umset-
zung des RTI setzt neben strukturellen Möglichkeiten

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
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LogopädischeTä.gkeitsbereicheimSchulse7ng
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Koopera.on
Massnahmen

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




Ebene Zielgruppe


Abb. 1: Modell zur Einordnung logopädischer Expertise im Rahmen der Umsetzung des Response-to-Intervention
Ansatzes an Schulen
13
logopädieschweiz | 03 / September 2020
Fachartikel
jedoch die Bereitschaft zu einem multiprofessionellen,
koordinierten Zusammenwirken voraus, die neben
Lehrerinnen und Lehrern gleichsam Logopädinnen
und Logopäden einschliesst. Denn Logopädinnen und
Logopäden können einen entscheidenden Beitrag auf
jeder der drei Präventionsebenen leisten (vgl. Abb. 1)
und differenzialagnostische Kompetenzen zur effekti-
ven und kostenefzienten Steuerung von Zuweisungs-
entscheidungen einsetzen (vgl. ebbelS et al. 2019).
In enger Kooperation mit pädagogischen Fachkräf-
ten lassen sich durch Kenntnisse über Bedarfe und
veränderte Anforderungen sodann gemeinsame Ent-
scheidungen über geeignete Interventionsmassnah-
men (Diagnostik, Beratung, Förderung oder Thera-
pie) sowie über vorhandene Zuständigkeiten treffen
und damit Ressourcen effektiver nutzen. Schliesslich
könnten gemeinsam wesentliche Herausforderungen
wie mangelndes Fachwissen, Personalmangel sowie
räumliche Barrieren bei der Implementierung und
Etablierung von Inklusion ab dem frühen Kindesalter
besser bewältigt werden.
Während in der Bundesrepublik Deutschland (BRD)
systemstrukturelle und gesetzliche Vorgaben eine
entsprechende Etablierung der Logopädie im Bil-
dungssystem noch erschweren, bieten andere Länder,
in denen die Logopädie sowohl im Gesundheits- als
auch im Bildungssystem fest verankert ist, geeigne-
tere Umsetzungsmöglichkeiten. So gehören z. B. im
Kanton Zürich auf Grundlage des Volksschulgesetzes
neben therapeutischen Interventionen auch fachbe-
zogene Interventionen auf den Ebenen Schuleinheit,
Lehrperson oder Klasse ebenso zum Berufsauftrag
von Logopädinnen und Logopäden wie auch therapie-
begleitende Gespräche, Beratung und Zusammen-
arbeit mit den Eltern und beteiligten Fachpersonen.
In der BRD ausgebildete Sprachheillehrerinnen und
-lehrer kommen zudem nicht in Betracht, denn sie
verfügen anders als klinisch-therapeutisch ausgebil-
dete Logopädinnen und Logopäden «nur noch selten
über die notwendige sprachtherapeutische Quali-
kation, da vor dem Hintergrund des Bologna-Dekrets
vom 19.06.1999 in den meisten Studienstätten eine
deutliche Absenkung der fachspezischen Anteile im
Lehramtsstudium erfolgte und sprachtherapeutische
Inhalte nicht mehr in dem erforderlichen Ausmass
angeboten werden» (grohnfeldt & lüdtke 2013,118).
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Sprache
als einen der Entwicklungsbereiche identiziert, der
nicht nur mit frühem Lernen, sondern auch über die
gesamte Lebensspanne mit wirtschaftlicher Teilhabe
und Gesundheit verbunden ist (vgl. Siddiqi & hertzMan
2007). So bildet nicht mehr ausschliesslich die Ursa-
che, Art und Schwere einer Sprech-, Sprach- und
Kommunikationsbeeinträchtigung, sondern auch die
Art und Ausprägung der Beeinträchtigung von Teil-
habe die Indikation für den Anspruch auf logopädi-
sche Leistungen im Früh-, Vorschul-, Primar- und
Sekundarbereich. Die perspektivische Verbindung
von Gesundheitsförderung und Inklusion unter Ein-
bindung logopädischer Kompetenzen könnte auch für
mehrsprachig in asymmetrischen Sprachumgebun-
gen und/oder sozialen Problemlagen mit/ohne SES
aufwachsende Kinder zumindest institutionell ein
Wegstück zur Chancengleichheit ebnen.
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logopädieschweiz | 03 / September 2020
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... Ebenso abweichend vom logopädischen Verständnis ist der Einsatz der Verfahren so konzipiert, dass anhand von Testergebnissen und nicht anhand der Urteilsfähigkeit kompetenter Fachkräfte über "die Einordnung in die Kategorien förderbedürftig, nicht förderbedürftig, gut" (Konak & Duindam, 2020, S. 11) entschieden wird. Verfahren zur Sprachstandserhebung dienen in pädagogischen Kontexten damit nicht nur dem Vergleich mit einer einheitlichen Norm, sondern auch der Selektion, dem Labeln und dem Aussortieren von mehrsprachigen Kindern mit weitreichenden Konsequenzen (Scharff Rethfeldt, 2020;Kracht, 2003). Ihr routinierter Einsatz hat nicht nur eine pädagogische Funktion, sondern er nützt auch bildungspolitischen Zielen. ...
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Kulturell divers und mehrsprachig aufwachsende Kinder sind ungleich höher von sprachdiagnostischen Fehldiagnosen betroffen als einsprachig aufwachsende Kinder. Neben Zugangsbarrieren zur logopädischen Versorgung tragen vor allem eine mangelnde Berücksichtigung der Einflussfaktoren des sowie die Anwendung unzureichend kultursensitiver und normorientierter Testverfahren und/oder deren Übersetzung zu falschen Diagnosen bei. Auch können Forschungsvorhaben zu einer Fehlversorgung beitragen, wenn diagnostische Verfahren zum Einsatz kommen, die nicht für mehrsprachige Kinder geeignet sind. Der vorliegende Beitrag zeigt anhand ausgewählter Beispiele, dass sowohl Sprachstanderhebungen als auch normorientierte Tests zur Beurteilung der Sprachfähigkeiten bei kulturell und linguistisch diversen Kindern sowohl im Gesundheits- als auch im Bildungssystem zu Fehlentscheidungen beitragen können.
... Aufgrund des geringen Angebots an Diagnostikverfahren für mehrsprachige Kinder nutzen viele Therapeut*innen deutschsprachige standardisierte Testverfahren mit monolingualen Normierungsgruppen zur Diagnosestellung (Lüke & Ritterfeld, 2011;Scharff Rethfeldt, 2020). Diese können allerdings weder die unterschiedlichen Sprachprofile/Sprachkompetenzen in den jeweiligen Erstsprachen (L1) erfassen, noch die Sprachkompetenzen in der Zweitsprache (L2) angemessen beurteilen. ...
... Solche Unterschiede in der Versorgung mögen zu einem gewissen Grad in der besseren Zugänglichkeit des Gesundheitssystems bzw. im besseren Systemverständnis bei Familien ohne Migrationshintergrund begründet sein [15]. ...
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Zusammenfassung Hintergrund Eine verspätete Erkennung bzw. versäumte Intervention bei Sprachentwicklungsstörungen beeinträchtigen den schulischen und beruflichen Werdegang. Aufgrund ungünstiger soziodemografischer Bedingungen (mangelhafte Deutschkenntnisse der Eltern, niedriges familiäres Einkommen etc.) sowie medizinischer Auffälligkeiten sind zunehmend viele Kinder in ihrer Sprachentwicklung gefährdet. Ziel der Arbeit Im Rahmen einer hessischen Sprachstanderfassungsstudie wurde geprüft, inwiefern 4‑jährige Kinder mit (KMM) und ohne Migrationshintergrund (KOM) sprachtherapeutisch versorgt wurden, und wie diese Therapien motiviert waren. Material und Methoden Vierjährige Kindergartenkinder ( n = 1384) wurden mit dem Sprachtest KiSS.2 untersucht. Beide Untergruppen (KMM und KOM) wurden hinsichtlich sprachbezogener Störungsbilder und sprachtherapeutischer Versorgung verglichen. Ergebnisse Insgesamt nahmen 8 % aller Kinder an Sprachtherapien teil. KMM waren fast doppelt so häufig klinisch abklärungsbedürftig wie KOM (21 % vs. 11 %). Bei KOM wurden dagegen mehr sprachbezogene Störungsbilder (z. B. häufige Mittelohrentzündungen) bereits vor der Studienteilnahme diagnostiziert. Klinisch abklärungsbedürftige KOM befanden sich daher häufiger in einer Sprachtherapie als KMM (37 % vs. 23 %). Diskussion Es fanden sich Hinweise für Diskrepanzen zwischen Sprachtherapiebedarf und sprachtherapeutischer Versorgung von bestimmten Untergruppen der 4‑jährigen Kinder. Evidenzbasierte, flächendeckende Sprachstanderfassungsprogramme können dazu beitragen, dass bei der Einteilung der Kinder in sprachförder- und sprachtherapiebedürftige weniger falsch-positive bzw. -negative Ergebnisse erzielt werden.
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Background Early detection and remediation of language disorders are important in helping children to establish appropriate communicative and social behaviour and acquire additional information about the world through the use of language. In the Netherlands, children with (a suspicion of) language disorders are referred to speech and hearing centres for multidisciplinary assessment. Reliable data are needed on the nature of language disorders, as well as the age and source of referral, and the effects of cultural and socioeconomic profiles of the population served in order to plan speech and language therapy service provision. Aims To provide a detailed description of caseload characteristics of children referred with a possible language disorder by generating more understanding of factors that might influence early identification. Methods & Procedures A database of 11,450 children was analysed consisting of data on children, aged 2–7 years (70% boys, 30% girls), visiting Dutch speech and hearing centres. The factors analysed were age of referral, ratio of boys to girls, mono‐ and bilingualism, nature of the language delay, and language profile of the children. Outcomes & Results Results revealed an age bias in the referral of children with language disorders. On average, boys were referred 5 months earlier than girls, and monolingual children were referred 3 months earlier than bilingual children. In addition, bilingual children seemed to have more complex problems at referral than monolingual children. They more often had both a disorder in both receptive and expressive language, and a language disorder with additional (developmental) problems. Conclusions & Implications This study revealed a bias in age of referral of young children with language disorders. The results implicate the need for objective language screening instruments and the need to increase the awareness of staff in primary child healthcare of red flags in language development of girls and multilingual children aiming at earlier identification of language disorders in these children. What this paper adds What is already known on the subject • Identifying language disorders before children enter school can foster the initiation of early interventions before these problems interfere with formal education and behavioural adjustment. Information on caseload characteristics is important to plan speech and language therapy service provision. There are only a few studies on the caseload characteristics of children at first referral for language assessment. What this paper adds to existing knowledge • This study provides a detailed description of the caseload characteristics of children referred to Dutch speech and hearing centres. The results reveal an age bias in referral: boys were referred earlier than girls, and monolingual children were revealed earlier than bilingual children. On top of that, bilingual children seemed to have more complex problems at referral. What are the potential or actual clinical implications of this work? • This study indicates that it is important to be aware of bias in the age of referral of subgroups of children with language disorders. Solutions might be to implement a language screening instrument designed for use by non‐speech–language therapists, and training in early recognition of girls and multilingual children with (less complex) language disorders for health professionals in key positions in child healthcare. In addition, it might be worthwhile to assign speech and language therapists with diverse ethnic and language backgrounds and/or with experience with bilingual/cultural children in a regional mentoring function to support referral agents and parents.
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Background Paediatric speech and language therapist (SLT) roles often involve planning individualized intervention for specific children, working collaboratively with families and education staff, providing advice, training and coaching and raising awareness. A tiered approach to service delivery is currently recommended whereby services become increasingly specialized and individualized for children with greater needs. Aims To stimulate discussion regarding delivery of SLT services by examining evidence regarding the effectiveness of (1) intervention for children with language disorders at different tiers and (2) SLT roles within these tiers; and to propose an evidence‐based model of SLT service delivery and a flowchart to aid clinical decision‐making. Methods & Procedures Meta‐analyses and systematic reviews, together with controlled, peer‐reviewed group studies where recent systematic reviews were not available, of interventions for children with language disorders are discussed, alongside the differing roles SLTs play in these interventions. Gaps in the evidence base are highlighted. Main Contribution The service‐delivery model presented resembles the tiered model commonly used in education services, but divides individualized (Tier 3) services into Tier 3A: indirect intervention delivered by non‐SLTs, and Tier 3B: direct intervention by an SLT. We report evidence for intervention effectiveness, which children might best be served by each tier, the role SLTs could take within each tier and the effectiveness of these roles. Regarding universal interventions provided to all children (Tier 1) and those targeted at children with language weaknesses or vulnerabilities (Tier 2), there is growing evidence that approaches led by education services can be effective when staff are highly trained and well supported. There is currently limited evidence regarding additional benefit of SLT‐specific roles at Tiers 1 and 2. With regard to individualized intervention (Tier 3), children with complex or pervasive language disorders can progress following direct individualized intervention (Tier 3B), whereas children with milder or less pervasive difficulties can make progress when intervention is managed by an SLT, but delivered indirectly by others (Tier 3A), provided they are well trained and supported, and closely monitored. Conclusions & Implications SLTs have a contribution to make at all tiers, but where prioritization for clinical services is a necessity, we need to establish the relative benefits and cost‐effectiveness at each tier. Good evidence exists for SLTs delivering direct individualized intervention and we should ensure that this is available to children with pervasive and/or complex language disorders. In cases where service models are being provided which lack evidence, we strongly recommend that SLTs investigate the effectiveness of their approaches.
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Following on from successful early intervention programs abroad, the Netherlands also introduced a number of different programs to tackle educational disadvantage in preschool and early years education. Studies that investigate the effects of Dutch early childhood interventions have been published since 2000. This meta-analytic review study summarizes the findings from 21 experimental comparisons which study some 50,000 children in the period between 2000–2015, with a total of 165 outcome measures. The aggregate effect of early childhood interventions compared with standard preschool and early years groups is not statistically significant. The disappointing results indicate that special early childhood education programs currently offer no added value for the development of young children in the Dutch context over and above regular preschool and early years groups. A focus for Dutch policy is to improve future practice based on scientific evidence around effective approaches to ECEC. Further, the implementation of study designs with more experimental control would strengthen the current knowledge base.
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Background: Oral language skills are a critical foundation for literacy and more generally for educational success. The current study shows that oral language skills can be improved by providing suitable additional help to children with language difficulties in the early stages of formal education. Methods: We conducted a randomized controlled trial with 394 children in England, comparing a 30-week oral language intervention programme starting in nursery (N = 132) with a 20-week version of the same programme starting in Reception (N = 133). The intervention groups were compared to an untreated waiting control group (N = 129). The programmes were delivered by trained teaching assistants (TAs) working in the children's schools/nurseries. All testers were blind to group allocation. Results: Both the 20- and 30-week programmes produced improvements on primary outcome measures of oral language skill compared to the untreated control group. Effect sizes were small to moderate (20-week programme: d = .21; 30-week programme: d = .30) immediately following the intervention and were maintained at follow-up 6 months later. The difference in improvement between the 20-week and 30-week programmes was not statistically significant. Neither programme produced statistically significant improvements in children's early word reading or reading comprehension skills (secondary outcome measures). Conclusions: This study provides further evidence that oral language interventions can be delivered successfully by trained TAs to children with oral language difficulties in nursery and Reception classes. The methods evaluated have potentially important policy implications for early education.
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p>The goal of this paper is to describe the current state, needs and values of migrants with a focus on relevant global issues and Malta as a case study. It also aims to review services offered to these migrants, identify aspects that require attention and draw up a framework that could be applied to enhance services to the culturally diverse populations, particularly speech therapy. The health care services offered to migrants are reviewed in the light of attitudes and expectations. Professional perceptions and competences to work with these populations are also discussed and perceptions of migrants about services offered to them are taken into consideration. Issues related to equitable professional practice and the training of health care professionals to address needs of the cultural diverse community are discussed. Strategies to implement the conceptual framework are suggested.</p
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This paper explores whether there is evidence for age and/or input effects in child L2 acquisition across three different linguistic domains, namely morphosyntax, vocabulary, and syntax-semantics. More specifically, it compares data from English-speaking children whose age of onset to L2 Dutch was between one and three years with data from children whose age of onset was between four and seven years in their acquisition of verb morphology, verb placement, vocabulary, and direct object scrambling. The main findings were that there were no significant differences between the two groups in any of these areas and, with the exception of scrambling, current amount of exposure was the only factor significantly related to children's scores. The paper discusses the theoretical significance of these findings with respect to the role of input in the language acquisition process and the claim that there is a critical period ending within (early) childhood.
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Background Developmental language disorder (DLD) is common in children, but little is known about its association with quality of life (QoL) in middle childhood. QoL is a complex construct, aligning with an individual's sense of well‐being and is related to functional limitations associated with DLD. Biopsychosocial models of disability account for both the extent and functional limitations of the impairment; however, the DLD literature rarely reports on both aspects. Studies are required that detail QoL in children with and without DLD. Aims To investigate the association between DLD, identified at 4 years and persisting at 7 years, and QoL over 4, 7 and 9 years; to compare QoL for children whose DLD was mild to moderate and severe at 7 years; and to investigate how variables known to impact on language development (e.g., maternal vocabulary), as well as social–emotional behaviours at 4 and 7 years contribute to QoL at 9 years. Methods & Procedures The analyses included 872 children who participated in the 4‐, 7‐ and 9‐year data collection of the Early Language in Victoria Study (ELVS). We compared the parent‐reported QoL profiles at 4, 7 and 9 years for children with and without DLD, and those with mild to moderate and severe DLD using the Pediatric Quality of Life Inventory (PedsQL). We conducted regression analyses to estimate how child, family and environmental factors predicted QoL at 9 years, including social–emotional behaviours measured using the Strengths & Difficulties Questionnaire (SDQ) at 4 and 7 years. Outcome & Results Children with DLD (n = 70) had lower parent‐reported QoL at 9 years than typically developing children (n = 802), with mean scores of 74.9 and 83.9 respectively. There was no evidence of differences in QoL between those with severe (n = 14) or mild to moderate (n = 56) DLD. In contrast to their peers, children with DLD had a profile of declining QoL between 4 and 9 years. For all children, language skills at 7 years predicted QoL at 9 years. For children with DLD, emotional symptoms and peer problems at 4 years plus SDQ Total Difficulties at 7 years were predictive of lower QoL at 9 years. Conclusions & Implications Children with DLD had a lower QoL than their typical peers at 9 years and, contrary to previous studies, differences in QoL were not observed with DLD severity. Co‐occurring social–emotional problems appear to play an important role in contributing to the lower QoL experienced by children with DLD. Consideration of associated functional limitations is required to support the communication and social development of all young children with DLD.
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Background: Diagnosis of 'specific' language impairment traditionally required nonverbal IQ to be within normal limits, often resulting in restricted access to clinical services for children with lower NVIQ. Changes to DSM-5 criteria for language disorder removed this NVIQ requirement. This study sought to delineate the impact of varying NVIQ criteria on prevalence, clinical presentation and functional impact of language disorder in the first UK population study of language impairment at school entry. Methods: A population-based survey design with sample weighting procedures was used to estimate population prevalence. We surveyed state-maintained reception classrooms (n = 161 or 61% of eligible schools) in Surrey, England. From a total population of 12,398 children (ages 4-5 years), 7,267 (59%) were screened. A stratified subsample (n = 529) received comprehensive assessment of language, NVIQ, social, emotional and behavioural problems, and academic attainment. Results: The total population prevalence estimate of language disorder was 9.92% (95% CI 7.38, 13.20). The prevalence of language disorder of unknown origin was estimated to be 7.58% (95% CI 5.33, 10.66), while the prevalence of language impairment associated with intellectual disability and/or existing medical diagnosis was 2.34% (95% CI 1.40, 3.91). Children with language disorder displayed elevated symptoms of social, emotional and behavioural problems relative to peers, F(1, 466) = 7.88, p = .05, and 88% did not make expected academic progress. There were no differences between those with average and low-average NVIQ scores in severity of language deficit, social, emotional and behavioural problems, or educational attainment. In contrast, children with language impairments associated with known medical diagnosis and/or intellectual disability displayed more severe deficits on multiple measures. Conclusions: At school entry, approximately two children in every class of 30 pupils will experience language disorder severe enough to hinder academic progress. Access to specialist clinical services should not depend on NVIQ.