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3D-Druck eröffnet Unternehmen ganz neue Möglichkeiten nachhaltig.digital Juli 2020
3D-DRUCK ERÖFFNET UNTERNEHMEN
GANZ NEUE MÖGLICHKEITEN.
Joachim Messemer, Mats Bremer, Adrian Huwer, Michael Wahl, Henrik te Heesen
Hochschule Trier, Umwelt-Campus Birkenfeld, Institut für Betriebs- und Technologiemanagement (IBT),
Campusallee, 55768 Hoppstädten-Weiersbach
Die additive Fertigung erfordert ein vollständiges Umdenken in der gesamten Produktion
– gezeigt wird, wie die Integration in bestehende Produktionsprozesse sowie die ressour-
ceneffiziente Nutzung in KMU gelingen kann.
In der zukunftsweisenden Entwicklung und Konstruktion spielen additive Fertigungsverfahren eine immer wichti-
gere Rolle. Laut einer Umfrage von BITKOM sehen 89 Prozent der Unternehmen die additive Fertigung als eine
wichtige bzw. sehr wichtige Technologie an, die ihre Branche stark verändern wird [BIT2014]. Dies bestätigt auch
eine Studie des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung aus dem Jahr 2016, in der über
60 Prozent der Unternehmen davon ausgehen, dass sich der 3D-Druck in den kommenden fünf bis zehn Jahren
etablieren wird. Laut Sculpteo sahen 2018 bereits 93 Prozent der befragten Unternehmen die Nutzung der additiven
Fertigung als Wettbewerbsvorteil an [SCU2018].
Ein enormes Hindernis für den Einsatz von additiven Fertigungsverfahren ist neben den Investitionskosten die In-
tegration in bestehende Produktionsprozesse sowie die ressourceneffiziente Nutzung. Die generative Fertigung
erfordert ein vollständiges Umdenken im gesamten Produktionsprozess, weshalb auch die Betrachtung insbeson-
dere des Energie- und Ressourcenbedarfs in den Hintergrund rückt. Erste Untersuchungen an mit Kunststoff ge-
druckten Bauteilen [MES2016] zeigen große Optimierungspotenziale sowohl in der Konstruktion als auch an der
Fertigungsmaschine. Des Weiteren können Geometrien und Konstruktionen, die durch konventionelle Produktions-
methoden nicht gefertigt werden konnten, direkt dreidimensional gedruckt sowie bereits vormontiert, mit inte-
grierten Funktionen und unter Berücksichtigung von kraftfluss-orientierten Konstruktionen hergestellt werden.
MEHR ALS NUR EIN TREND – POTENZIALE FÜR NACHHALTIGEN EIN-
SATZ IM UNTERNEHMEN
Der Trend um den 3D-Druck geht somit über den sogenannten Hype-Zyklus hinaus und etabliert sich zunehmend
in den verschiedensten Branchen. Doch für viele Unternehmen wirft die Technologie Fragen auf: “Wie lässt sich
dieses neue Werkzeug sinnvoll oder auch ressourceneffizient einsetzen?” und “Welche Chancen bietet mir die
Technologie?” oder auch “Wo genau ist das nachhaltig, wenn wir doch Kunststoff drucken?”.
Gerade in Bezug auf die Fragen nach dem sinnvollen Einsatz und der Nachhaltigkeit wirkt der langsame Druckpro-
zess mit Kunststoff nicht sehr zukunftsorientiert, doch die Technologie bietet in ganz anderen Bereichen der Pro-
zesskette enormes Potenzial zur Effizienzsteigerung. Insbesondere im Bereich von Rapid-Prototyping und Rapid-
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Tooling sind unterschiedliche Druckverfahren bereits im Einsatz. Beim Rapid-Prototyping ist die „schnelle“ Erstel-
lung von maßstabsgetreuen oder skalierten Modellen des zu konstruierenden Bauteils das primäre Ziel. Die Her-
stellung von Modellen, beispielsweise eines Schmuckrings, eines Maschinenbauteils oder einer Architektur, ist in
der Regel sehr aufwendig und kostenintensiv. Moderne Computertechnologie und Software bieten zwar die Mög-
lichkeit, Objekte zu virtualisieren, jedoch sind im Verlauf eines Entwicklungszyklus haptische Modelle notwendig.
Durch den 3D-Druck können kunststoffbasierte Prototypen, Modelle, Funktionsmodelle aber auch Werkzeuge in
vergleichbar kurzer Zeit kostengünstig hergestellt und über Zusatzgeräte nach der Nutzung sogar nahezu vollstän-
dig sogar direkt im Unternehmen recycelt werden.
RAPID-TOOLING UND RAPID-PROTOTYPING - VORTEILE IM UNTER-
NEHMEN
Letzteres wird beim sogenannten Rapid-Tooling umgesetzt. Häufig werden im Betrieb äußerst spezifische Werk-
zeuge oder auch einfach kleine „Helfer“ benötigt, die schnell und unkompliziert dreidimensional gedruckt werden
können. Durch die Integration von 3D-Druckern zur Werkzeug-, Adapter- oder auch Ersatzteilherstellung entste-
hen zahlreiche Vorteile im Unternehmen. Die Faszination und Flexibilität fördert die Kreativität der Mitarbeiter und
führt in der Regel zu neuen Ideen zur Steigerung der Effizienz im Arbeitsablauf und Produktionsprozess.
Die Ressourceneffizienz in der additiven Fertigung entsteht nicht zwangsläufig im Fertigungsprozess. Beim Rapid-
Prototyping wird die Effizienzsteigerung durch die Substitution von aufwendigen Prozessen erreicht. Beim Rapid-
Tooling und im allgemeinen Betrieb werden durch die gedruckten und maßgefertigten Bauteile Prozesse und Ar-
beitsabläufe unterstützt oder effizienter gestaltet. Weitere Effizienzsteigerung hinsichtlich des Ressourcenver-
brauchs aber auch im Hinblick auf den Energieverbrauch und der dadurch entstehenden Reduktion von CO2-Emis-
sionen können gezielt durch Leichtbau und Funktionsintegration erreicht werden, wobei die Einsparung wiederum
nachrangig in der Prozesskette oder bei der Verwendung des Bauteils erzielt werden. So könnte beispielsweise ein
aus zwölf Einzelteilen mit sechzehn Schrauben und einem externen Kühler ausgestattetes Bauteil durch die In-
Abbildung 1: Dargestellt ist ein einem FDM Dru-
cker erstelltes Gehäuse für einen Mikrocompu-
ter.(links) als Beispiel für das Rapid Prototyping.
Abbildung 2: Das Planetengetriebe zeigt die Funktionsintegra-
tion im 3D Druck.
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tegration von Kühlkanälen und der Fertigungsmöglichkeiten des 3D-Drucks bereits vormontiert hergestellt wer-
den. Durch die Reduktion auf drei Einzelteile und vier Schrauben werden zwei Stunden Montageaufwand einge-
spart. Die Gewichtsersparnis beginnt in der Fertigung und endet bei der Einsparung der externen Kühlung und
Schrauben. Wird dieses Bauteil in einer Fertigungsstraße bewegt, könnte der Roboterarm durch das geringere Ge-
wicht Bewegungen zehn Prozent schneller ausführen und die Motoren werden weniger stark belastet, wodurch
zugleich die Produktionsrate gesteigert und der Energieaufwand reduziert werden kann.
Die verschiedenen Freiheitsgrade in der Konstruktion können im Simulations- und Designprozess gezielt für die
Optimierung und den Leichtbau eingesetzt werden. Sogenannte „Lattice Structures“ sind feine Gitterstrukturen,
die im Inneren von Körpern für Stabilität und Festigkeit sorgen.
Abbildung 3: Ein Greifer und eine Werkzeugaufnahme
(grün) gedruckt aus PLA Kunststoff.
Abbildung 4: Dargestellt sind verschiedene Schnell-
wechselplatten für die Anbindung von Greifern an ei-
nem Roboterarm
Abbildung 5 und 6: Sichtbar sind verschiedene Gitterstrukturen durch die Vollmaterial in Volumenkörpern ersetzt
werden können.
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NEUES DENKEN FÜR DIE NEUEN TECHNOLOGISCHEN MÖGLICHKEITEN
Eine weitere Konstruktionsmethode zur Einsparung von Rohstoffen und der direkt davon abhängigen Fertigungs-
zeit ist die Topologieoptimierung der Bauteile. Hierbei werden die Bauteile bereits im Simulationsprozess mit den
wirkenden Kräften belegt. [HEE2020] Die Software berechnet über den resultierenden Kraftfluss die notwendigen
Strukturen und Materialstärken.
Einmal mehr wird hier deutlich, dass zum effizienten Einsatz der generativen Fertigungstechnologie hohe Anfor-
derungen an die genutzte Software, aber auch an die Konstrukteure gestellt werden. Um der additiven Fertigungs-
technologie gerecht zu werden müssen Konstruktionsroutinen angepasst und erweitert werden - in der Konstruk-
tion muss sozusagen additiv statt subtraktiv gedacht werden.
WIE ADDITIV IST DIE FERTIGUNG DER ZUKUNFT?
Eine weitere zentrale Bedeutung bekommt die generative Fertigung zusätzlich durch die Digitalisierung hin zur
Industrie 4.0. Die schnelle und werkzeuglose Produktion kann mittelfristig die Lagerhaltung von Produkten oder
Abbildung 7: Entwicklungsschritte bei der Konstruktion und der Topologieoptimierung eines Flaschenöffners (Fla-
schenöffner 01-05)
Abbildung 8: Vergleich der Prozessketten zwischen der konventionellen Fertigung und der additiven Fertigung. Prin-
zipiell sind vergleichbare Schritte notwendig.
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Ersatzteilen ersetzen und erhöht zudem den Individualisierungsgrad - das Endprodukt kann somit „On Demand“
hergestellt werden [GEB 2019]. Dies bietet, bedingt durch die Corona-Pandemie und dem damit verbundenen Ein-
bruch des globalen Handels, Unternehmen neue Möglichkeiten in der Produktentwicklung und -fertigung. Die Plat-
zierung von 3D-Druckern beim Kunden kann eine verzögerte Lieferung von Teilen und Ersatzteilen durch die On-
Demand-Fertigung eines „Übergangsteils“ überbrücken und somit Ausfallzeiten beim Kunden reduzieren.
Durch den Einsatz von hochpräzisen 3D-Scannern können nicht mehr lieferbare Bauteile digitalisiert und reprodu-
ziert werden. Hierbei wird die gesamte Oberfläche gescannt und in der Software als Punktwolke abgebildet. Aus
der erzeugten Punktwolke kann unter Verwendung einer geeigneten Software ein CAD-Körper erstellt und in ver-
schiedenen Formaten ausgegeben werden. Dieser Prozess wird als Reverse-Engineering bezeichnet.
Auch können individuell und präzise angepasste Bauteile speziell für den vorgesehenen Anwendungsfall konstru-
iert und hergestellt werden. Der hohe Individualisierungsgrad kann selbst innerhalb von Baureihen oder kunden-
spezifisch eingesetzt werden. Durch diese Digitalisierung ist ein Vorhalten von Ersatzteilen oder den Werkzeugen
zur Fertigung dieser kann durch eine Datenbank ersetzt werden.
Ein weiterer Schritt in der Zukunft ist die Anwendung der Richtlinien für die Industrie 4.0, in der Informationen zum
gesamte Produktlebenszyklus in Form von QR-Codes oder Datenchips direkt auf das generativ gefertigte Bauteil
aufgebracht werden.
LITERATUR
[BIT2014] N. Paulsen. (2014). Von 3D-Drucker: Erwartungen steigen. Bitkom e.V. https://www.bitkom.org/
[EAR2015] A. Earls (2015). The road ahead for 3-D printers. In: PwC. The Future of 3-D Printing
[GEB2019] A. Gebhardt, J. Kessler, A. Schwarz (2019). Produktgestaltung für die additive Fertigung. Hanser,
München
[HEE2020] H. te Heesen, M. Wahl, M. Bremer, A. Huwer, J. Messemer (2020). Heterogene Einsatzfelder der
generativen Fertigung. Industrie 4.0 Management. 5/2020. DOI: 10.30844/i40m_20-4_s25-25
[MES2016] J. Messemer, T. Kaufmann, C. Martin, M. Neises, A. Schmidt, H. te Heesen (2016). Untersuchung
der Zugfestigkeit von FLM-Zugproben aus PLA bei Variation von Schichtdicke und Füllgrad.
RTeJournal - Fachforum für Rapid Technologie, Vol. 2016. Iss. 1
[SCU2018] Sculpteo (2018). The state of 3D printing. Paris
Abbildung 9: Der Ablauf eines Reverse Engineering Prozesses