Content uploaded by Lina Marie Mülder
Author content
All content in this area was uploaded by Lina Marie Mülder on Jul 16, 2021
Content may be subject to copyright.
Content uploaded by Jan Dettmers
Author content
All content in this area was uploaded by Jan Dettmers on Nov 12, 2020
Content may be subject to copyright.
WIRTSCHAFTS-
PSYCHOLOGIE
aktuell
Zeitschrift für Personal und Management
Marktstudie: Zukunft des Coachings ///// Wie Coaching-Plattformunternehmen den
Markt aufrollen ///// Homeoffice: Fluch oder Segen in Corona-Zeiten
www.wirtschaftspsychologie-aktuell.de 3 | 2020
DISRUPTION
Geht
Coaching
online?
CISS
Das Coping-Inventar zum Umgang mit Stress-Situationen
(CISS)
ist die auf 24 Items gekürzte, deutschsprachige Adaptation
des in der Originalversion 48 Items umfassenden Coping Inven-
tory for Stressful Situations. Das Verfahren besitzt eine lange
Forschungs- und Anwendungstradition. Das CISS zeichnet sich
durch seine hohe psychometrische Qualität sowie die einfache
Anwendung aus. Die Fragen sind klar und eindeutig formuliert
und können rasch beantwortet werden.
Coping-Inventar zum Umgang
mit Stress-Situationen
Das Verfahren
• fokussiert sich auf spezifi sche Copingstile
• eignet sich in der Arbeits- & Organisationspsychologie, der
Persönlichkeits- sowie der Gesundheitspsychologie
• bietet eine hohe psychometrische Qualität
• dauert nur 10 bis 15 Minuten in der Durchführung
• ist geeignet ab 16 Jahren
Test komplett bestehend aus:
• Manual
• 20 Fragebogen
• 20 Auswertungs- und Profi lbogen
• Auswertungsschablone
• Mappe
Best.-Nr. 03 116 01
€ 108,00 (115,56 inkl. USt.)
CHF 134.00 (144.32 inkl. MwSt.)
Wolfgang Kälin / Norbert K. Semmer
Coping-
Stile
erkennen
CISS_210x297_4C.indd 1CISS_210x297_4C.indd 1 20.07.2020 14:27:0520.07.2020 14:27:05
Foto: Brooke Cagle/unsplash
Inhaltsverzeichnis
4
WIRTSCHAFTSPSYCHOLOGIE aktuell 3 | 2020
Inhalt
Forum
8
Homeoffice – Von der Notlösung
zur agilen Arbeitskultur
Christian Ernst hat das Phänomen „Homeoffice“ empi-
risch untersucht. War es nur ein Strohfeuer oder die unfrei-
willige Geburtshilfe für das agile Arbeiten der Zukunft?
14
Arbeitsgestaltungskompetenz
im Homeoffice
Durch die Corona-Pandemie mussten viele Beschäftigte
ihren Arbeitsplatz ins Homeoffice verlagern. Doch um
dort nachhaltig effektiv sein zu können, müssen sie ihre
Arbeit eigenständig mitgestalten. Wie erfolgreich und
zufrieden sie damit sind, hängt von ihrer Arbeitsgestal-
tungskompetenz ab.
20
Den Nachwuchs auf den
Geschmack bringen
Der Bachelor-Award zeichnet hervorragende wissen-
schaftliche Arbeiten aus unterschiedlichen Themenfel-
dern aus. Ziel ist es, den Nachwuchs zur Fortführung ihrer
Ausbildung zu motivieren.
24
Corporate Health als Teil des Leistungs-
managements
Soziale Kompetenz erfährt von Arbeitgebenden stärkere
Aufmerksamkeit. Durch die Etablierung verschiedener
gesundheitsförderlicher Maßnahmen lässt sich dieser
Kompetenzgewinn in Unternehmen zunehmend erleben.
3
Editorial
6
News & Trends
62
Welche Bücher mich
beeinflusst haben
Der Diplom-Psychologe und
Change-Berater Winfried Ber-
ner stellt uns die fünf Bücher
vor, die sein Leben am nach-
haltigsten beeinflusst haben.
66
Vorschau/
Impressum
GENDER-REGELUNG:
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit
verwenden wir bei Personenbezeichnungen
abwechselnd die männliche und die
weibliche Form. Entsprechende Begriffe
gelten im Sinne der Gleichbehandlung
grundsätzlich für alle Geschlechter.
Geht
Coaching
online?
5
WIRTSCHAFTSPSYCHOLOGIE aktuell 3 | 2020
Inhaltsverzeichnis
Foto: Brooke Cagle/unsplash
4
WIRTSCHAFTSPSYCHOLOGIE aktuell 3 | 2020
32
„Ich will aus meinem ganzen Repertoire
schöpfen können“
Elke Berninger-Schäfer ist die Online-Coaching-Pionie-
rin im deutschsprachigen Raum. Im Interview mit ihr
ging es um die Frage: Wie kann Coaching auch online
funktionieren?
38
Disruptive Veränderungen
am Coaching-Markt
Die Anzahl der Anbieter digitaler Coaching-Leistungen
(Digital Coaching Provider) wächst. Eine Umfragereihe
soll erstmalig eine Landkarte dieses Markts erstellen
und Orientierung schaffen.
46
Geht Coaching online?
Professionelle Plattformunternehmen etablieren sich,
Schwerpunkt
die sich als Makler zwischen die Coaches und
Unternehmen drängen. Verändert sich das Coaching-
Geschäft dadurch grundlegend? Ein Streitgespräch.
54
Digital Coaching
Digitales Coaching ist nichts Neues. Doch durch
die Corona-Krise erfährt es einen Aufschwung. Stella
Kanatouri erzählt uns in der Kolumne, wie sie sich
die Zukunft des Coachings vorstellt.
56
Delphi-Studie zur Zukunft
des Coachings
Wie wird Coaching im Jahr 2030 aussehen?
Was wird kommen? Was gehen? Was wird bleiben?
Wir sprachen mit Carsten Schermuly über die ersten
Ergebnisse der Delphi-Studie zum Thema „Zukunft
des Coachings“.
Neuere Studien zeigen, dass die etablierten Akteure
Online-Coaching nicht wollen: Warum etwas ändern,
wenn das Geschäft auch so läuft? Dann kam die Coro-
na-Krise – und plötzlich geht es doch! Die Coaches
müssen sich neu orientieren. Und Coaching-Plattform-
unternehmen rollen unterdessen den Markt mit
Online-Lösungen auf.
Forum
14
WIRTSCHAFTSPSYCHOLOGIE aktuell 3 | 2020
15
WIRTSCHAFTSPSYCHOLOGIE aktuell 3 | 2020
Mit der Flexibilisierung der Arbeit wachsen
die Anforderungen an die Beschäftigten.
Sie müssen ihre Arbeit eigenständig mit-
gestalten, um nachhaltig effektiv tätig
sein zu können. Wie erfolgreich sie darin
sind, hängt von ihrer Arbeitsgestaltungs-
kompetenz ab. Damit sind auch die vielen
Beschäftigten konfrontiert, die im Zuge der
Corona-Pandemie ihren Arbeitsplatz in das
Homeoffice verlagert haben. Eine aktuelle
Studie der Fernuniversität in Hagen unter-
sucht, wie sich die Arbeitsbedingungen und
das Befinden der Beschäftigten durch den
Wechsel ins Homeoffice verändert haben.
Eine wichtige Rolle spielt auch hier die Ar-
beitsgestaltungskompetenz.
Forum
Foto: Oscar Nilsson/unsplash
14
WIRTSCHAFTSPSYCHOLOGIE aktuell 3 | 2020
Arbeits-
gestaltungs-
kompetenz
im Home-
oce
Heute müssen immer mehr Beschäftigte nicht nur
Anweisungen ausführen, sondern sie können
selbst bestimmen, wann und wo sie arbeiten und
wie sie ihre Aufgaben gewichten. Diese Gestaltungsmög-
lichkeiten wirken sich positiv aus, denn durch sie wachsen
die Motivation, die Arbeitszufriedenheit und die Leistung.
Mit den neuen Spielräumen gehen aber auch zusätzliche
Anforderungen einher, die in eine Überforderung mün-
den können. Die Beschäftigten müssen ihre Arbeit
16
WIRTSCHAFTSPSYCHOLOGIE aktuell 3 | 2020
lastungen und Ressourcen ihrer Arbeit modifizieren, um so
eine bessere Passung ihrer Arbeit und eine gesundheitsför-
derliche Gestaltung zu erreichen (Tims & Bakker, 2010).
Das hat überwiegend positive Konsequenzen für die Be-
schäftigten und ihre Organisationen.
Was die Job-Crafting-Ansätze wenig berücksichtigen,
ist die Frage, wie kompetent Beschäftigte darin sind, gute
Arbeitsbedingungen zu gestalten. Gerade selbstständig Ar-
beitende wählen häufig ungünstige Arbeitszeiten und -or-
te oder sind bei der Wahl des Vorgehens überfordert. Wer
sich täglich diesen Herausforderungen stellt, muss über ei-
ne bestimmte Kompetenz verfügen, um ihnen individuell
begegnen zu können: Die sogenannte Arbeitsgestaltungs-
kompetenz ist hierbei eine zentrale Ressource. Arbeitsge-
staltungskompetenz meint dabei das Verfügen über Strate-
gien und Fertigkeiten, um die Anforderung, die Arbeits-
aufgaben eigenständig zu gestalten, zu bewältigen. Sie ist
definiert als „das Wissen um die günstige Gestaltung der
Arbeitsbedingungen, die eine effektive Bewältigung der
eigenständig planen und strukturieren sowie die soziale
Interaktion arrangieren. So gerät die Autonomie zur An-
forderung, permanent schwierige Entscheidungen über
Arbeitsaufgaben und Vorgehensweisen zu treffen (Warr,
1994). Dadurch kann neben den Kernaufgaben ein Zu-
satzaufwand entstehen (Bredehöft et al., 2015).
Gestaltungskompetenz zur Bewältigung von
Gestaltungsanforderungen
Dass Beschäftigte einen aktiven Anteil an der Gestaltung ih-
rer Arbeit haben, ist in Studien zum sogenannten „Job Craf-
ting“ untersucht worden. So zeigen Wrzesniewski und Dut-
ton (2001), dass Beschäftigte unabhängig von Vorgaben und
Vorgesetzten proaktiv Anzahl und Arten ihrer Aufgaben an
die eigenen Präferenzen anpassen, die soziale Interaktion bei
der Arbeit nach ihren Vorlieben steuern und sich kognitiv
anpassen, um ihrer Arbeit mehr Bedeutsamkeit zu verleihen.
Außerdem zeigte sich, dass Arbeitende proaktiv Fehlbe-
Forum
Foto: Christina Wocintechchat/unsplash
17
WIRTSCHAFTSPSYCHOLOGIE aktuell 3 | 2020
16
WIRTSCHAFTSPSYCHOLOGIE aktuell 3 | 2020
eigenen Arbeitsaufgaben ermöglicht, gleichzeitig die Mo-
tivation fördert und Belastungen reduziert. Die Kompe-
tenz basiert auf Erfahrungen und schließt Fertigkeiten
und Strategien ein, wie die eigene Arbeit im Kontext der
spezifischen Rahmenbedingungen gestaltet werden kann.
Schließlich beinhaltet die Arbeitsgestaltungskompetenz
das Wissen um die Gestaltungsspielräume, die den Be-
schäftigten in ihrer Arbeitssituation gegeben sind“ (Dett-
mers & Clauß, 2018).
Homeoffice als Gestaltungsanforderung
Gerade im Homeoffice müssen Beschäftigte einen Groß-
teil ihrer Tätigkeits- und Umgebungsbedingungen in der
eigenen häuslichen Situation selbst gestalten. Entsprechend
sollte die Arbeitsgestaltungskompetenz ein wichtiger Fak-
tor für das Gelingen der Arbeit im Homeoffice sein.
Die Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten, hat
während der Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-
19-Pandemie eine massive Ausbreitung erfahren – selbst
in Berufen, in denen das bislang nicht typisch war. In der
Vergangenheit diente das Homeoffice zur mitarbeiterori-
entierten Flexibilisierung, damit Beschäftigte Beruf und
Privatleben besser vereinbaren können oder um allgemein
die Attraktivität eines Arbeitsplatzes zu erhöhen.
Untersuchungen ergaben, dass die Ermöglichung des
Arbeitens im Homeoffice die Autonomie, die wahrge-
nommene Wertschätzung und die Arbeitszufriedenheit
steigern kann. Aber auch negative Auswirkungen werden
sichtbar: Erwerbsarbeit und andere Lebensbereiche lassen
sich beim Homeoffice schwerer voneinander abgrenzen,
was die Erholung einschränkt, da das mentale Abschalten
von der Arbeit schlechter gelingt. Außerdem droht eine
Wie sich die Arbeit im
Homeoce auswirkt, hängt
von der Gestaltung ab.
Forum
soziale Isolation, weil der direkte Kontakt mit Kolleginnen
fehlt. Auch ergonomische Belastungen können auftreten,
wenn der Arbeitsplatz zu Hause unzureichend gestaltet ist.
Die überwiegende Zahl von Studien zeigt, dass sich die
Einführung von Homeoffice positiv auswirkt, und das so-
wohl auf die Produktivität als auch auf die Zufriedenheit
und das Wohlbefinden (z. B. Wendt et al., 2019). Dennoch
gibt es eine große Varianz, und die tatsächliche Wirkung
hängt von der konkreten Gestaltung ab.
Homeoffice im Zuge der COVID-19-Pandemie
Vor der COVID-19-Pandemie gaben 11 % der deutschen
Erwerbstätigen an, dass sie für gewöhnlich oder manchmal
im Homeoffice arbeiten (Crößmann, Mischke & Hoff-
mann, 2018). Zudem war es zuvor üblich, ein bis zwei
Tage im Homeoffice zu arbeiten. Im Zuge der Maßnah-
men zur Eindämmung der Pandemie wurde diese Praxis
jedoch massiv ausgeweitet. Viele Unternehmen mussten
sich ad hoc auf die neue Situation einstellen und Arbeits-
plätze quasi von einem Tag zum nächsten vom Büro in
die private Umgebung der Beschäftigten verlegen.
Neben den grundsätzlichen Gestaltungsanforderungen
im Homeoffice kommen weitere hinzu. So müssen
Beschäftigte mit den unzureichend vorbereiteten Arbeits-
bedingungen und der teilweise fehlenden technischen
Infrastruktur umgehen. Außerdem können zu betreuende
Kinder, die Pflege von Angehörigen und die Koordination
mit den Lebenspartnern eine Doppelbelastung bedeuten.
Entsprechend war anzunehmen, dass die Arbeitsgestal-
tungskompetenz ein zentraler Faktor für das Gelingen
dieses Homeoffice-Experiments sein müsse.
Aktuelle Studie
Aufbauend auf einer bereits laufenden Studie wurde an
der Fernuniversität in Hagen ab März 2020 eine Studie
zu den Auswirkungen der Einführung oder Ausweitung
der Homeoffice-Praxis auf die Beschäftigten aufgesetzt.
Hierzu wurden 649 Beschäftigte aus unterschiedlichen
Branchen einbezogen, die bereits vorher an einer Längs-
schnittstudie zur Wirkung von Arbeitsbedingungen
Foto: Christina Wocintechchat/unsplash
18
WIRTSCHAFTSPSYCHOLOGIE aktuell 3 | 2020
Foto: Parham Khorrami (oben), Studioline (unten)
teilgenommen hatten. Die Beschäftigten wurden zu drei
Zeitpunkten befragt. Die erste Welle (T1) erfolgte zwi-
schen dem 3. und 6. März 2020, als noch keine der soge-
nannten Lockdown-Maßnahmen in Deutschland erfolg-
ten. Die zweite Befragungswelle (T2) fand vom 25. bis
zum 29. März, etwa zwei Wochen nach Einführung des
Lockdowns am 13. März, und die dritte Welle (T3) vier
bis fünf Wochen später, zwischen dem 22. und 27. April
statt. Von den Teilnehmenden der Studie gingen nach Ein-
führung des Lockdowns 32 % vollständig ins Homeoffice,
12 % an drei bis vier Tagen und weitere 10 % an ein bis
zwei Tagen. 46 % der Befragten verblieben dagegen an ih-
rem regulären Arbeitsplatz. Von denen, die ins Homeoffice
gingen, hatten 59 % bislang keine Erfahrung damit, und
33 % der nun neu im Homeoffice Arbeitenden sagten, ihr
Arbeitsplatz sei dafür eigentlich nicht geeignet. Auch die
häusliche Situation war bei vielen wenig angepasst an die
Homeoffice-Arbeit. So hatten nur 46 % der Befragten ein
eigenes Arbeitszimmer, etwa 26 % fehlte ein eigener
Schreibtisch. 40 % der Befragten gaben zudem an, tech-
nisch eher schlecht ausgestattet zu sein. Trotzdem sagten
zu T1 75 % der Beschäftigten an, mit der Homeoffice-
Situation eher oder sehr zufrieden zu sein. Auch sagten
64 % der Befragten, sie seien mindestens zu 75 % so pro-
duktiv wie an ihrem regulären Arbeitsplatz.
Homeoffice und
Arbeitsgestaltungskompetenz
Mit Blick auf die Veränderungen im Zeitverlauf zeigte
sich bei den Beschäftigten im Homeoffice eine Erhöhung
der Erschöpfung nach dessen Einführung, aber auch eine
Erhöhung des Arbeitsengagements. Im Vergleich zu den
Beschäftigten, die am regulären Arbeitsplatz blieben, zeig-
ten sich bei den Beschäftigten im Homeoffice eine Stei-
gerung in der Autonomie und eine Reduktion von Belas-
tungen, wie etwa durch Kunden sowie Umgebungsbelas-
tungen. Gleichzeitig gab es eine deutliche Steigerung an
wahrgenommenen Kommunikationsmängeln und insge-
samt höhere Informationsmängel.
Auffällig bei den analysierten Effekten der Einführung
des Homeoffice war, dass es zwischen den Beschäftigten
im Homeoffice unterschiedliche Verläufe und Niveaus der
Prof. Dr. Jan Dettmers,
Dipl.-Psych., Professor für Arbeits- und
Organisationspsychologie an der Fern-
universität in Hagen.
jan.dettmers@FernUni-Hagen.de
Lina Marie Mülder,
M.Sc. Psychologie, wissenschaftliche
Mitarbeiterin an der Johannes-Guten-
berg-Universität Mainz.
lmuelder@uni-mainz.de
DIE AUTOREN:
Belastungen gab – jeweils in Abhängigkeit von der Ar-
beitsgestaltungskompetenz, die in der vorliegenden Studie
erfasst wird als wahrgenommene Fähigkeit, die eigenen
Aufgaben zu strukturieren, Fehlbelastungen zu vermeiden
und die eigene Motivation aufrechtzuerhalten. Nicht nur
die selbst eingeschätzte Produktivität und Zufriedenheit
mit der Homeoffice-Arbeit waren bei den Personen mit
hoher Gestaltungskompetenz höher ausgeprägt, sondern
auch die Verläufe und Unterschiede zwischen Homeof-
fice-Beschäftigten und regulären Beschäftigten. Insbeson-
dere im Hinblick auf typische Regulationshindernisse wie
Informationsmängel zeigte sich, dass Beschäftigte im
Homeoffice mit hoher Arbeitsgestaltungskompetenz deut-
lich weniger belastet waren als solche mit geringer Ar-
beitsgestaltungskompetenz. Bei Beschäftigten am regulären
Arbeitsplatz machte die Arbeitsgestaltungskompetenz dies-
bezüglich keinen Unterschied. Gleiches gilt für die wahr-
genommenen Kommunikationsmängel, die bei den
Beschäftigten im Homeoffice mit niedriger Arbeitsgestal-
tungskompetenz höher ausgeprägt waren, während die
Beschäftigten im Homeoffice mit hoher Arbeitsgestal-
tungskompetenz über ausreichend Kommunikation be-
richteten. Noch deutlicher zeigen sich die Effekte bei den
Umgebungsbelastungen. Diese hingen in der Studie stär-
ker mit der individuellen Arbeitsgestaltungskompetenz
Forum
Beschäftigte mit hoher Arbeitsgestaltungskompetenz
waren deutlich weniger belastet und erschöpft.
18
WIRTSCHAFTSPSYCHOLOGIE aktuell 3 | 2020
19
WIRTSCHAFTSPSYCHOLOGIE aktuell 3 | 2020
Foto: Parham Khorrami (oben), Studioline (unten)
LITERATUR:
Bredehöft, F., Dettmers, J., Hoppe, A. & Janneck, M. (2015).
Individual work design as a job demand:
The double-edged sword of autonomy.
Psychology of Everyday Activity, 8(2), 12–24.
Crößmann, A., Mischke, J. & Hoffmann, J. (2018).
Arbeitsmarkt auf einen Blick: Deutschland und Europa.
Wiesbaden: Statistisches Bundesamt.
Dettmers, J. & Clauß, E. (2018).
Arbeitsgestaltungskompetenzen für flexible und
selbstgestaltete Arbeitsbedingungen.
In M. Janneck & A. Hoppe (Hrsg.),
Gestaltungskompetenzen für gesundes Arbeiten
Berlin: Springer.
Dettmers, J. & Mülder, L.M. (2020).
Lernen, die eigenen Arbeitsbedingungen zu gestalten.
Erwachsenenbildung, 68(3).
Tims, M. & Bakker, A.B. (2010).
Job Crafting: Towards a new model of individual job redesign.
SA Journal of Industrial Psychology, 36(2), 1–9.
Warr, P. (1994).
A conceptual framework for the study of work and mental health.
Work & Stress, 8(2), 84–97.
Wendt, C., Dettmers, J., Czaya, A. & Matiaske, W. (2019).
Vertrauensarbeitszeit erfolgreich umsetzen:
Kritische Gestaltungsmerkmale und Effekte
auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Zeitpolitisches Magazin 16(35).
Wrzesniewski, A. & Dutton, J. E. (2001).
Crafting a job: Revisioning employees
as active crafters of their work.
Academy of management review, 26(2), 179–201.
zusammen als mit der Frage, ob im Homeoffice oder am
regulären Arbeitsplatz gearbeitet wurde. Auch bei Stressfol-
gen macht sich die Arbeitsgestaltungskompetenz bemerk-
bar. So steigt die Erschöpfung bei Personen mit geringer
Arbeitsgestaltungskompetenz beim Eintritt in die Home-
office-Arbeit an und verbleibt dann auf höherem Niveau,
während sie bei Personen mit hoher Arbeitsgestaltungs-
kompetenz konstant gering bleibt oder sogar absinkt.
Diskussion und Fazit
Die Ergebnisse der vorgestellten Studie zeigen, dass trotz
der eher prekären Bedingungen der Homeoffice-Arbeit
die Zufriedenheit und Produktivität eher hoch einge-
schätzt werden. Gleichwohl gibt es unterschiedliche Aus-
wirkungen auf die Arbeitsbedingungen im Sinne der psy-
chischen Belastungen bei der Arbeit – wobei sich einige
verbessern und andere verschlechtern. Die dargestellten
Effekte unterscheiden sich jedoch individuell stark. Ne-
ben objektiv unterschiedlichen Bedingungen wie z. B. in
der häuslichen Situation, der technischen Ausstattung
und ggfs. der Doppelbelastung durch Kundenbetreuung,
kann die Ausprägung der Arbeitsgestaltungskompetenz
einzelne dieser Unterschiede aufklären. So zeigen sich
deutlich positivere Entwicklungen durch die Einführung
des Homeoffice bei denjenigen, die über eine hohe Ar-
beitsgestaltungskompetenz verfügen.
Bei der Interpretation der hier dargestellten Ergebnis-
se ist zu berücksichtigen, dass es sich um den vorläufigen
Stand einer kürzlich abgeschlossenen Studie handelt. Zur
Absicherung bedarf es weiterer Analysen und insbeson-
dere der Berücksichtigung von Kontrollvariablen. So ist
zu vermerken, dass die hier betrachteten Auswirkungen
des Arbeitens im Homeoffice, aber auch die Arbeitsge-
staltungskompetenz selbst, durch Selbsteinschätzungen
gemessen wurden, sodass bei den dargestellten Zusam-
menhängen auch übergreifende Bewertungsmaßstäbe mit
einfließen können. Dennoch spricht schon die Plausibili-
tät für die bedeutsame Rolle von Arbeitsgestaltungskom-
petenz, insbesondere im Homeoffice. Weiter ist zu be-
denken, dass die in dieser Studie verwendete Operationa-
lisierung, angelehnt an die Studie von Dettmers und
Clauß (2018), nur einzelne Aspekte der Gestaltungsanfor-
derungen berücksichtigt (Aufgabenstrukturierung, Schaf-
fung motivierender Bedingungen). Besonders für das
Homeoffice wären jedoch auch soziale Aspekte der Ar-
beitsgestaltung relevant. Zukünftige Studien sollten an ei-
ner umfassenderen Operationalisierung von Arbeitsge-
staltungskompetenz arbeiten und diese bestenfalls auch
durch Fremdeinschätzungen oder durch objektive
Bewertungsstandards geprägte Leistungstests operationali-
sieren. Angesichts der Entwicklungen in der Arbeitswelt
lohnt sich die weitere Beschäftigung mit dem Konzept
der Arbeitsgestaltungskompetenz. Die Auswirkungen der
Pandemie sind bereits jetzt außerordentlich, und es ist zu
erwarten, dass Strukturen und Möglichkeiten des Home-
office auch in Zukunft erhalten bleiben. Sofern in Orga-
nisationen aus der Not- eine Dauerlösung wird, sollten
sie diesen Wandel bewusst gestalten. Priorität sollte dabei
stets die systematische „Arbeitsgestaltung von oben“ ha-
ben, denn Organisationen stehen nach wie vor in der
Verantwortung, Arbeit auf eine gesundheitsförderliche
und leistungsermöglichende Weise zu gestalten. Die indi-
viduelle, proaktive „Arbeitsgestaltung von unten“ durch
die Beschäftigten wird jedoch eine wachsende Rolle ein-
nehmen. Es ist daher geboten, Beschäftigte durch eine
systematische Förderung der Arbeitsgestaltungskompe-
tenz zu kompetenten Gestaltern ihrer Aufgaben zu ma-
chen (vgl. Dettmers & Mülder, 2020).
Forum
11020 1
WIRTSCHAFTS-
PSYCHOLOGIE
aktuell
Zeitschrift für Personal und Management
CISS
Das Coping-Inventar zum Umgang mit Stress-Situationen
(CISS)
ist die auf 24 Items gekürzte, deutschsprachige Adaptation
des in der Originalversion 48 Items umfassenden Coping Inven-
tory for Stressful Situations. Das Verfahren besitzt eine lange
Forschungs- und Anwendungstradition. Das CISS zeichnet sich
durch seine hohe psychometrische Qualität sowie die einfache
Anwendung aus. Die Fragen sind klar und eindeutig formuliert
und können rasch beantwortet werden.
Coping-Inventar zum Umgang
mit Stress-Situationen
Das Verfahren
• fokussiert sich auf spezifische Copingstile
• eignet sich in der Arbeits- & Organisationspsychologie, der
Persönlichkeits- sowie der Gesundheitspsychologie
• bietet eine hohe psychometrische Qualität
• dauert nur 10 bis 15 Minuten in der Durchführung
• ist geeignet ab 16 Jahren
Test komplett bestehend aus:
• Manual
• 20 Fragebogen
• 20 Auswertungs- und Profilbogen
• Auswertungsschablone
• Mappe
Best.-Nr. 03 116 01
€ 108,00 (115,56 inkl. USt.)
CHF 134.00 (144.32 inkl. MwSt.)
Wolfgang Kälin / Norbert K. Semmer
Coping-
Stile
erkennen
CISS_210x297_4C.indd 1CISS_210x297_4C.indd 1 20.07.2020 14:27:0520.07.2020 14:27:05
Deutscher Psychologen Verlag GmbH · Am Köllnischen Park 2 · 10179 Berlin
Tel. 030 - 209 166 411 · Fax 030 - 209 166 413 · wp@psychologenverlag.de · www.wirtschaftspsychologie-aktuell.de
Interessieren Sie sich für aktuelle, unternehmensrelevante
Themen aus der Wirtschaftspsychologie?
Dann ist das Schnupper-Abo der Wirtschaftspsychologie aktuell
genau richtig für Sie!
Bestellen Sie gleich hier
ihr Schnupper-Abo
Ihre Vorteile:
● Profitieren Sie von fundierten,
wissenschaftlichen Erkenntnissen
zu aktuellen Themen, die Sie in
der Praxis anwenden können.
● Erhalten Sie Hintergrundwissen
zu Personal- und Wirtschafts-
psychologie.
● Lesen Sie die Hefte über
die App zu jeder Zeit und
von jedem Ort aus.
Über
26 %
sparen