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8GS aktuell 142 • Mai 2018
Thema: Wozu braucht die Grundschule digitale Medien?
omas Irion / Katharina Scheiter
Didaktische Potenziale digitaler Medien
Der Einsatz digitaler Technologien aus
grundschul- und mediendidaktischer Sicht
Die Wirksamkeit digitaler Medien im Grundschulunterricht wird schon seit
dem Multimedia-Boom Mitte der 1990er Jahre heig diskutiert. Waren es da-
mals multimedia- und internetfähige Computer, die völlig neue Lernerfahrun-
gen ermöglichen sollten, sind es heute mobile Technologien, wie Tablets, die zu
erhöhter Motivation und verbesserten Lernleistungen führen sollen. Manche
Grundschullehrpersonen sind begeistert vom Einsatz digitaler Technologien
und blicken voller Unverständnis auf Kolleginnen und Kollegen, die den Ein-
satz digitaler Technologien für gar nicht oder nur sehr eingeschränkt sinnvoll
erachten.
Wenngleich manche Digital-
euphoriker*innen die Not-
wendigkeit empirischer For-
schung oder fachdidaktischer Expertise
ablehnen, muss sich allerdings auch der
Einsatz mobiler Technologien auf den
Prüfstand stellen lassen, sollen didak-
tische Potenziale entfaltet werden. Um
auch weniger technikane Lehrkräe,
aber auch die Bildungspolitik für den
Einsatz digitaler Medien zu überzeu-
gen, ist ein gezieltes Zusammenspiel
von Wissenscha und Praxis unter
Einbezug empirischer Forschungs-
ergebnisse erforderlich. Denn entgegen
der Meinung vieler medienbegeister-
ter Lehrkräe geben Studienergebnisse
keine eindeutige Antwort auf die Fra-
ge nach der Lernwirksamkeit digitaler
Medien: So berichtet die Forschergrup-
pe um Tamim in einer Meta-Analyse 2.
Ordnung basierend auf 1055 Einzelstu-
dien nur von leicht positiven Eekten
digitaler Technologien (Tamim 2011).
Insgesamt wird deutlich, dass Eek-
te digitaler Medien nicht nur von den
Medien selbst, sondern insbesondere
von deren didaktischer Einbettung in
die Unterrichtskontexte abhängig sind
(Mishra & Koehler 2006).
Schultheoretische Modelle können er-
klären, warum eine automatische Ver-
besserung des Unterrichts kaum erwar-
tet werden kann. So wird im Angebot-
Nutzungs-Modell von Andreas Helmke
(vgl. Abb. x) deutlich, dass Lernleis-
tungseekte keinesfalls direkt auf
Unterrichtsangebote (z. B. Unterrichts-
methoden oder -medien) zurückzufüh-
ren sind, sondern immer über die Re-
zeption der Angebote (Nutzung) durch
die Lernenden geltert werden (Helm-
ke 2010). Sowohl Angebot als auch Nut-
zung sind hierbei in Zusammenhang
mit verschiedenen anderen Faktoren
zu sehen. So führt nicht eine bestimm-
te App zum Unterrichtserfolg, sondern
deren Einbettung in das methodisch-
didaktische Konzept der Lehrperson
in Zusammenhang mit der Passung
zu den Schülervoraussetzungen der
Klasse, den Rahmenbedingungen des
Unterrichts usw. Durch die Unterschei-
dung von Sicht- und Tiefenstrukturen
(Kunter/Trautwein 2013) wird erklär-
bar, warum die Präsenz von digitalen
Technologien im Unterricht in ihrer Be-
deutsamkeit häug überbewertet wird.
Während für den Lernerfolg bedeutsa-
me Faktoren wie die Qualität von Feed-
back, die inhaltliche Klarheit oder die
Strategieförderung auf den ersten Blick
kaum im Klassengeschehen erkennbar
sind, ist der Einsatz von digitalen Tech-
nologien wie Tablets sofort ersichtlich
und führt rasch zu Ablehnung oder Be-
geisterung. Zusammenfassend geht die
moderne Lehr-Lern-Forschung in An-
lehnung an Kozma (1991) davon aus,
dass digitale Medien nicht per se den
Unterricht verändern, sondern dass de-
ren Einsatz untrennbar mit der didakti-
schen Methode verwoben ist.
Vor diesem Hintergrund wollen wir
anhand typischer didaktischer Frage-
stellungen der Grundschulpädagogik
Potenziale und Herausforderungen di-
gitaler Technologien für die Tiefen-
strukturen des Grundschulunterrichts
diskutieren.
Potenziale digitaler Technologien
für den Grundschulunterricht
Typische grundschuldidaktische Frage-
stellungen werden in Unterrichtspra-
xis und Lehrerbildung häug entlang
der Begrie Methoden, Prinzipien und
Arbeitsformen (Einsiedler 2015) disku-
tiert. Insbesondere Prinzipien als Leit-
linien von Unterricht werden in ihrer
normativen Setzung von Grundschul-
lehrpersonen allerdings nicht selten
als dogmatische Setzungen interpre-
tiert, die einer kritischen Prüfung nicht
mehr bedürfen. Solche Setzungen sind
aus empirischer Sicht zu hinterfragen,
weshalb wir im Folgenden den Begri
Basisfragestellungen des Grundschul-
unterrichts verwenden. Auf der Grund-
lage grundschuldidaktischer und me-
diendidaktischer Forschung werden
wir die Potenziale digitaler Medien für
drei solcher Basisfragestellungen disku-
tieren: Repräsentationsformen, Indivi-
dualisierung und Kooperation.
A Repräsentationsformen:
Potenziale digitaler Medien zur
Veransc haul ichu ng von Unte rricht s-
inhalten
Lange Zeit war die Annahme leitend,
dass sich multimediale Repräsenta-
tionsformen (also z. B. die Verknüp-
fung von Texten und Bildern) automa-
tisch positiv auf die Behaltensleistung
auswirken würden. Grundlage war die
Vorstellung, dass sich Sinneseindrücke
direkt in der kognitiven Struktur ab-
bilden. Aus Sicht der aktuellen Lern-
forschung muss eine solch passive Ab-
bildungstheorie angesichts der aktiven
Verarbeitungsvorgänge in Lernpro-
zessen abgelehnt werden. Die Eek-
te von Lernprozessen mit multimedia-
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Thema: Wozu braucht die Grundschule digitale Medien?
len Repräsentationen sind unter ande-
rem von der Mediengestaltung (z. B. für
das Lernen mit Film Salomon 1979, für
Text und Bild Mayer 2014) und von den
Lernvoraussetzungen bei den Lernen-
den abhängig (Weidenmann 2006).
Durch die Digitalisierung entstehen be-
sondere didaktische Potenziale für die
Förderung fachlicher Kompetenzen im
Grundschulalter:
Besondere Möglichkeiten ergeben
sich durch die exiblen Einsatzmög-
lichkeiten von Kameras mittels mo-
biler Technologien. Mit diesen ist es
nun möglich, mit geringem Aufwand
Bild-, Bewegtbild- und Tonaufnahmen
zu erstellen, zu bearbeiten und zu dis-
tribuieren. Erklärvideos erlauben Lehr-
kräen und Kindern die anschauliche
Darstellung von Informationen mit
hoher Passung an die Lernsituation der
Kinder, die von diesen dann in ihrem
eigenen Tempo und beliebig o wieder-
holt betrachtet werden können. Doch
auch die eigenständige Produktion
etwa von Ton- oder Filmdokumenten
durch Kinder bietet neue Potenziale. So
erönet die mögliche Verbindung mit
Bildern, Geräuschen und Musik (z. B.
in der App Book Creator) den Kindern
motivierende und bildungswirksame
Gestaltungsmöglichkeiten.
Digitale Technologien können auch
Beschränkungen auf die visuelle und
auditive Sinnesmodalität überwinden.
Fingergesten erlauben die Interaktion
mit dem Tablet, Spielekonsolen wie Wii
oder Kinect Controller registrieren die
Bewegungen vor dem Bildschirm und
passen die Informationspräsentation
an den Benutzer an. Diese Möglichkei-
ten kann man sich auch für bestimmte
Lehr-Lern-Prozesse zunutze machen.
Beispielsweise zeigen Untersuchungen
zu mathematischen Basiskompetenzen,
dass die Qualität der internen mentalen
Repräsentation von Zahlen auf einem
inneren Zahlenstrahl mit Rechenleis-
tungen zusammenhängt. Auf diesem
Zahlenstrahl sind in westlichen Kultu-
ren kleine Zahlen links und große Zah-
len rechts repräsentiert. Hier wurden
nun so genannte verkörperlichte Trai-
nings entwickelt, die den Auau des
mentalen Zahlenstrahls unterstützen
sollen (Dackermann et al. 2017). Die-
se Trainings erfordern es, dass Kinder
Teile ihres Körpers (z. B. Finger, Arme)
oder auch den ganzen Körper in Reak-
tion auf eine Zahlenaufgabe (z. B. »Gib
an, ob die Zier 5 kleiner oder größer
als 8 ist«) entsprechend des Zahlen-
strahls bewegen sollen, um die richtige
Antwort zu geben. Im Beispiel müss-
ten sie also eine Wischgeste oder einen
Sprung nach links ausführen, da ›5‹ auf
dem Zahlenstrahl weiter links angeord-
net ist (kleiner ist) als die Zier ›8‹. Di-
gitale Technologien erlauben die Um-
setzung solcher Trainings inklusive der
Vergabe von Feedback. Evaluationen
verkörperlichter Trainings zeigen, dass
diese beispielsweise das Verstehen der
Größe von Zahlen sowie Leistungen
in den Grundrechenarten verbessern
(ebenda). Verkörperlichte Trainings im
Bereich der Mathematik wie oben be-
schrieben sind deswegen lernförderlich,
weil hier eine enge Abstimmung des
Trainingsansatzes auf zugrunde liegen-
de Lernprozesse und Wissensrepräsen-
tationen erfolgt.
Digitale Technologien erönen auch
spezische Potenziale für die Erhöhung
der Authentizität und persönlichen Re-
levanz in Lernprozessen. Diese ergeben
sich durch die vielfältigen Möglich-
keiten der Informationsdarstellung
zwischen Abstraktion (Dekontextua-
lisierung) und Konkretisierung (Kon-
textualisierung) (Lohrmann 2014).
Kinder sollen ausgehend von ihren le-
bensweltlichen Erfahrungen (Kontex-
tualisierung) an Systematisierung und
Abstraktionen (Dekontextualisierung)
herangeführt werden. Dabei muss das
erworbene Wissen anwendungsfähig
bleiben (Rekontextualisierung). Insbe-
sondere der letzte Schritt scheitert im
fachlichen Lernen häug: Es entsteht
träges Wissen, das lediglich im Prü-
fungskontext abgerufen werden kann,
nicht aber im Alltag (Gruber/Mandl/
Renkl 2000). Ein Ansatz zur Überwin-
dung der Klu zwischen Wissen und
Handeln liegt im Ansatz des situier-
ten Lernens (Greeno 1998). Hier sollen
durch gezielte Kontextualisierungen
Transferhandlungen ermöglicht wer-
den. Ein wesentliches Potenzial digita-
ler Technologien in Repräsentationen
ist die Anbindung des schulischen Ler-
nens an die außerschulische Lebenswelt
der Kinder. Beispielsweise können Be-
obachtungen aus der Lebenswelt, aber
auch Exkursionen zu informellen Lern-
orten (Museen, Science Center …) me-
dial dokumentiert und für den Unter-
richt auereitet werden. In den USA
gewinnen zudem so genannte Citizen
Science Projekte an Bedeutung, in
denen Laien aktiv in den Forschungs-
prozess eingebunden werden und wert-
volle Erkenntnisse für die Forschung
liefern. So können Grundschulkinder
beispielsweise Umweltentwicklungen
in ihrem Lebensraum beobachten (z. B.
Vogelzahl, Panzenverbreitung) und in
digitalen Datenbanken zur Verfügung
stellen. Erste Untersuchungen zeigen,
dass Citizen Science Projekte, die einen
klaren Bezug zum Unterricht aufweisen,
die Lernmotivation und den Lernerfolg
steigern können (Bonney / Phillips / Bal-
lard / Enck 2016). Auch können digitale
Technologien Kindern z. B. in Simula-
tionen Handlungsmöglichkeiten in ge-
schützten Räumen erönen (Herzig /
Grafe 2006). Beispielsweise können
mithilfe von Simulationen Experimen-
te durchgeführt werden, die in der Rea-
lität nicht oder schwer durchführbar
sind (z. B. Experimente in ökologischen
Systemen). Hier zeigt die Lehr-Lern-
Forschung, dass Schülerinnen und
Schüler mit virtuellen Experimenten
ähnlich gute Lernergebnisse erzielen
wie bei der Durchführung realer Ex-
perimente im Unterricht; am erfolg-
versprechendsten erscheint allerdings
eine Kombination aus virtuellen und
Dr. Katharina Scheiter
ist Leiterin der Arbeitsgruppe Multiple
Repräsentationen am Leibniz- Institut
für Wissensmedien (IWM) und
Professorin für Empirische Lehr-Lern-
forschung an der Eberhard Karls
Universität Tübingen. Sie ist Mitglied
des School Boards der Tübingen
School of Education und in deren
Rahmen auch verantwortlich für das
am IWM angesiedelte Tübingen Digital
Teaching Lab (TüDiLab).
Dr. Thomas Irion, s. S. 4
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realen Experimenten, in der die Vortei-
le beider Vorgehensweisen synergetisch
zum Tragen kommen (De Jong / Linn /
Zacharias 2013).
B Individualisierung: Potenziale
digitaler Medien zur Unterstützung
adaptiver Unterrichtsformen
Eine optimale Förderung einzelner
Schülerinnen und Schüler relativ zu
ihrem jeweiligen Wissensstand ist ein
wesentliches Merkmal guten Unter-
richts, welches sich aber im Schulall-
tag omals nur schwer umsetzen lässt.
Voraussetzung für individualisierten
Unterricht ist eine genaue Kenntnis des
Wissensstands jedes Einzelnen sowie
die Möglichkeit, Lernaufgaben, Feed-
back und Erklärungen angepasst an die-
sen Wissensstand darzubieten. Idealer-
weise erhalten Schülerinnen und Schü-
ler auf diese Weise Lernaufgaben mit
einer für sie optimal geeigneten Kom-
plexität. Auf diese Weise kann indivi-
dualisierter Unterricht eine geeignete
kognitive Aktivierung seitens der Ler-
nenden auslösen, welche ihrerseits ein
wesentliches Tiefenstrukturmerkmal
guten Unterrichts darstellt (Kunter /
Trautwein 2013). Digitale Lerntechno-
logien erönen die Möglichkeit, adapti-
ve Förderungen zu realisieren. So kann
sowohl die Diagnostik des Wissens-
stands und Lernverhaltens der Schüle-
rinnen und Schüler als auch die daran
angepasste Zuweisung von Aufgaben
und Erklärungen automatisch vorge-
nommen werden (Aleven et al. 2017).
Entsprechende Systeme erscheinen aus
lehr-lernpsychologischer Sicht äußerst
vielversprechend, existieren aber in für
den Unterricht nutzbarer Form bislang
aufgrund des mit ihnen verbundenen
hohen Entwicklungsaufwands und der
fehlenden Etablierung von standardi-
sierten Publikations- und Produktions-
instrumenten nur relativ selten (vgl.
kognitive Tutoren des LearnLab an
der Carnegie Mellon University in den
USA, Koedinger / Corbett 2006).
Dennoch können digitale Technolo-
gien auch jetzt schon adaptive Unter-
richtsprozesse unterstützen. Im Hin-
blick auf die formative Diagnostik
können beispielsweise automatisch
auswertbare Wissensfragen in Form so-
genannter Rapid Assessments (Kalyuga
2008) in quizförmiger Art dargeboten
werden (z. B. Audience-Response-Sys-
teme wie Clickr vgl. Hunsu / Adesope /
Bayly 2016), deren Ergebnisse der Lehr-
person unmittelbar zurückgemeldet
werden können. Auch können Lehr-
kräe jetzt schon mit geeigneten Sys-
temen wie Classow, Moodle oder So-
crative für den Grundschulunterricht
automatisch auswertbare Multiple-
Choice-Tests realisieren, die von den
Kindern in ihrem eigenen Tempo be-
arbeitet werden können (Maier 2016).
Auch für die Lernenden selbst können
solche Rückmeldefunktionen genutzt
werden, da die eigenen Lernprozesse
dokumentiert werden und die Kinder
selbst individuelle Lernfortschritte bes-
ser nachverfolgen können.
C Kooperation: Potenziale digitaler
Medien zur Unterstützung koope-
rativer Lern- und Arbeitsprozesse
Kooperative Lernformen bieten viel-
fältige Potenziale für kognitive, sozia-
le, motivationale und emotionale Ziel-
setzungen des Grundschulunterrichts
(Borsch 2016). Von besonderer Bedeu-
tung für fachliche Lernprozesse in ko-
operativen Lernsituationen ist, dass
sich jedes Kind in die Arbeitsprozesse
einbringt (Veenman et al. 1999).
Digitale Technologien können koope-
ratives Arbeiten auf vielfältige Wei-
se unterstützen. Sie ermöglichen den
Mitgliedern einer Lerngruppe zeitglei-
ches wie aber auch zeitlich und räum-
lich getrenntes Arbeiten an Produkten,
die z. B. Erfahrungen aus Exkursionen
dokumentieren, den gemeinsam er-
arbeiteten Wissensstand zu einem e-
ma zusammentragen oder verschie-
dene Perspektiven integrieren. Mittels
Apps wie Book Creator können bei-
spielsweise in Arbeitsgruppen erstellte
digitale Bücher der Öentlichkeit be-
reitgestellt werden, sodass Familien-
mitglieder, aber auch andere interes-
sierte Besucher*innen des Bookshops
von den Kindern erstellte Bücher he-
runterladen oder gar käuich erwerben
können. Der amerikanische Medien-
pädagoge Jon Smith berichtet hier bei-
spielsweise in einem Webinar (15.02.18
auf http://live.classroom20.com), wie
begeistert autistische Kinder reagier-
ten, als ihre Bücher von einer Vielzahl
von Personen heruntergeladen wurden.
Zudem können in Book Creator sogar
standortübergreifend Bücher z. B. ge-
meinsam von Kindern unterschiedli-
cher Schulen produziert werden. Viele
dieser Produkte lassen sich mittels digi-
taler Werkzeuge nicht nur einfacher er-
stellen und (durch andere Gruppenmit-
glieder) modizieren, sondern auch der
Spielraum an Repräsentationsformen
erweitert sich durch digitale Techno-
logien deutlich. Beispielsweise können
kooperativ eigene Erklärvideos gedreht
werden, Erfahrungen in Comics aue-
reitet werden, Webseiten oder digitale
Collagen erstellt werden. Auf diese Wei-
se unterstützen digitale Technologien
auch die Umsetzung konstruktivisti-
scher Lernformen (Zahn 2009). Eine
Herausforderung beim Lernen, Arbei-
ten und Diskutieren in Gruppen be-
steht darin, Gruppenprozesse zielfüh-
rend zu gestalten und zu strukturieren.
Vielfach wird zu viel Zeit auf die Ko-
ordination der Gruppe, die Aueilung
von Arbeitsaufgaben sowie nicht-auf-
gabenrelevante Aspekte verwendet, so-
dass das Classroom Management – als
wesentliches Tiefenstrukturmerkmal
eektiven Unterrichts – gefährdet wird.
Darüber hinaus ergibt sich sowohl bei
der Arbeit in Kleingruppen als auch in
Klassendiskussionen omals das Pro-
blem einer ungleichen Beteiligung, in-
dem manche Gruppenmitglieder auf
Kosten aderer nur wenig an der Errei-
chung gemeinsamer Ziele mitarbeiten
oder aber die Meinungsführerscha
übernehmen, sodass (schwächere)
Gruppenmitglieder dominiert werden.
Beide Aspekte stehen einem unterstüt-
zenden Lernklima als weiterem Tie-
fenstrukturmerkmal eektiven Unter-
richts entgegen. Digitale Technologien
erlauben es, Gruppenprozesse durch
klare Rollenzuweisungen zu strukturie-
ren und die Fokussierung auf die Auf-
gabe für alle Gruppenmitglieder sicher-
zustellen (Scripting, Vogel / Wecker /
Kollar / Fischer 2017).
Herausforderungen
Die Diskussion der Potenziale digitaler
Medien für den (Grundschul-)Unter-
richt zeigt, dass diese erst dann wirk-
sam werden, wenn Technologien und
zu erreichende pädagogische Funktio-
nen gut aufeinander abgestimmt sind.
Dabei müssen Technologien sinnvoll
in das sonstige Unterrichtsgeschehen
eingebunden werden. Entscheidend ist
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Thema: Wozu braucht die Grundschule digitale Medien?
also nicht die Nutzung von Technologie
per se, sondern die Abstimmung digi-
taler und analoger Herangehensweisen
auf didaktische Zielsetzungen, um ein
harmonisches Gesamtkonzept zu er-
zielen (Orchestrierung, Prieto / Holen-
ko Dlab / Gutiérrez / Abdulwahed / Balid
2011). Diese Fähigkeit zur Orchestrie-
rung digitaler Medien setzt sogenanntes
technologisch- pädagogisches Inhalts-
wissen seitens der Lehrpersonen voraus
(Mishra / Koehler 2006). Es resultiert
aus der Verknüpfung von technologie-
bezogenem Wissen, inhaltsbezogenem
und pädagogischem Wissen, welches in
einem bestimmten Unterrichtskontext
zum Einsatz gebracht werden muss.
International vergleichende Studien zu
Mediennutzung und medienbezogenen
Kompetenzen von Lehrkräen wie die
International Computer Information
Literacy Study (ICILS 2013, Bos et al.
2014) zeigen, dass Lehrkräe deutscher
Schulen sich nur in geringem Ausmaß
in der Lage sehen, eine Orchestrierung
digitaler Medien im Unterricht zu leis-
ten. Als eine wesentliche Ursache wird
dabei immer wieder die mangelnde
Vorbereitung auf das Unterrichten mit
Technologien im Rahmen der verschie-
denen Phasen der Lehrerbildung mo-
niert. Darüber hinaus stellt die man-
gelnde Verfügbarkeit von Hardware in
den Schulen und der zu geringe techni-
sche Support nach wie vor ein wesentli-
ches Hindernis für die Mediennutzung
an deutschen Schulen dar.
Im Rahmen dieses Artikels haben wir
aus grundschuldidaktischer und me-
diendidaktischer Perspektive einerseits
die Bedeutung empirischer Eviden-
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raussetzung dieser und weiterer Unter-
richtskonzepte bildet für uns aber eine
sinnvolle Einführung digitaler Tech-
nologien in der Grundschule, wie sie
durch die Forderungen des Grund-
schulverbands im vorausgehenden Ar-
tikel angestrebt wird.