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Philipp Bitzenbauer
Jan-Peter Meyn
FAU Erlangen-Nürnberg
Evaluation eines Unterrichtskonzepts zur Quantenoptik mit
Einzelphotonenexperimenten – Ergebnisse einer Pilotstudie
Das Unterrichtskonzept zur Quantenoptik
Dem Konzept liegt das Experiment aus der
Publikation von Grangier et al. (Grangier, Roger, &
Aspect, 1986) zugrunde, mit dem gleichzeitig die
Unteilbarkeit von Photonen als auch die
Einzelphotoneninterferenz gezeigt werden kann. Die
Ergebnisse dieses Experiments führen dazu, dass die
Vorstellung des Photons als lokalisierbares Teilchen
fallen gelassen werden muss. Gegliedert ist das
Unterrichtskonzept in vier Kapitel, die in insgesamt
vier Schulstunden unterrichtet werden. Am Beispiel
des Quantenobjekts „Photon“ können damit
Wesenszüge der Quantenphysik (Küblbeck &
Müller, 2007) vermittelt werden:
Kapitel 1: Einzelphotonendetektoren
Kapitel 2: Koinzidenzmessung
Kapitel 3: Unteilbarkeit von Photonen
Kapitel 4: Einzelphotoneninterferenz
Details zum Konzept findet man bei Bitzenbauer &
Meyn (2019).
Forschungsdesign und Methodik
Zur Evaluation der entwickelten
Elementarisierungen quantenoptischer
Konzepte wurden Teaching
Experiments mit = 13 Schülerinnen
und Schülern der gymn. Oberstufe
durchgeführt. Dabei zeigte sich, dass
insbesondere die Erklärung der
Funktionsweise von Einzel-
photonendetektoren in Analogie zum
Entstehen und zum Abgang einer
Schneelawine von den Schülerinnen
und Schülern durchweg sehr gut
akzeptiert und als hilfreich empfunden
wurde. Auch die Erläuterungen zur
Koinzidenzmessung als Grundlage von
Einzelphotonenexperimenten sowie die Erklärung zum Antikorrelationsfaktor stießen auf
mittlere bis gute Akzeptanzwerte. Die Paraphrasierungen als Teil der Teaching Experiments
konnten von der überwiegenden Zahl der Schülerinnen und Schülern mit mindestens
zufriedenstellender Qualität widergegeben werden. Mit diesen qualitativen Ergebnissen liegen
Indizien vor, dass die Experimente mit den entwickelten Erklärungen für Schülerinnen und
Schüler verständlich sind und es wurden nur kleinere Änderungen am Konzept vorgenommen.
Die Akzeptanzbefragungen ermöglichen überdies die Untersuchung von
Schülervorstellungen, die durch das neue Konzept gefördert werden.
Abb. 1: Schematische Darstellung des
Experiments von Grangier et al. (1986).
Abb. 2: Übersicht über das Studiendesign.
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Auf Grundlage der Erkenntnisse aus den Teaching Experiments folgt eine summative
Evaluation des Unterrichtskonzepts im Prä-Posttest-Design mit Follow-Up-Test. Zusätzlich
soll mit Hilfe einer Befragung von Lehrkräften die Praxistauglichkeit des Konzepts evaluiert
werden und leitfadengestützte Interviews in der Retrospektive sollen zeigen, inwiefern
Schülerinnen und Schüler ein elaboriertes Verständnis bis hin zu den Wesenszügen der
Quantenphysik erwerben.
Entwicklung eines Testinstruments zur Quantenoptik
Damit die Zusammenstellung der Prüfungsfragen die Inhaltsbereiche der Intervention gut
abbildet, wurde zunächst ein Blueprint nach Flateby (2013) entwickelt; dabei handelt es sich
um eine Themenmatrix, die Inhaltsbereiche der Intervention einerseits und die in diesen
Themen zu erreichenden Lernniveaus der Schülerinnen und Schüler andererseits beinhaltet
und nach Relevanz gewichtet (Krebs, 2008). Zu den jeweiligen Inhaltsbereichen wurden
zunächst 21 Items im offenen Format formuliert. Um sinnvolle Distraktoren zu finden, wurden
diese an = 23 Lehramtsstudierende gegeben. Häufig auftauchende Fehler oder solche
Antworten, die inhaltlich nah an der richtigen Lösung sind, können als plausible Distraktoren
für das Testinstrument extrahiert werden; dieses Vorgehen ist in der fachdidaktischen
Forschung verbreitet (Schnell, Hill, & Esser, 2018) – insbesondere wenn keine Befunde zur
Schülervorstellungen vorliegen.
Bei geschlossenen Aufgabenformaten decken die Antwortmöglichkeiten mitunter nicht alle
denkbaren Reaktionen der Probandinnen und Probanden ab, beeinflussen sich gegenseitig
oder entsprechen nicht der natürlichen Antwort der Befragten (ebd.), was sich negativ auf die
Validität auswirken kann (Rost, 2004). Eine gängige Methode zur Überprüfung der Qualität
von Testaufgaben ist die des „Lauten Denkens“, die unabhängig vom Aufgabenformat
eingesetzt werden kann (Hadenfeldt, Repinning, & Neumann, 2014). Im Zuge der Pilotierung
des Testinstruments wurde die Methode des „Lauten Denkens“ vorrangig zur Optimierung der
Aufgabengüte und damit zur Verbesserung der Validität auf Item-Ebene mit = 13
Oberstufenschülerinnen und -schülern durchgeführt. Am Anfang stand eine Instruktion zum
Lauten Denken, die in Anlehnung an Mackensen-Friedrichs (2004) formuliert wurde, um eine
standardisierte Durchführung der Methode sicherzustellen (Sandmann, 2014). Die „Laute
Denken“-Erhebung führte zur sprachlichen Überarbeitung aller Items und drei Items sind
zusätzlich entstanden.
Beim Bearbeiten des Tests ist jeweils zusätzlich zum Kreuz bei der richtigen der drei
Aussagen, die eigene Sicherheit beim Ankreuzen anzugeben. Ein Punkt wird nur vergeben,
wenn die Antwort richtig und der Proband sich mindestens sicher ist. Dadurch soll der
Rateeinfluss minimiert werden und außerdem werden zusätzliche Auswertemöglichkeiten
geschaffen. Mit dem Test wird nicht das Ziel verfolgt „die“ Quantenoptik als Konstrukt zu
messen; stattdessen geht es um zentrale Begriffe zu unterschiedlichen Teilgebieten der
Quantenoptik. Zunächst wird also damit untersucht, inwiefern das entwickelte
Unterrichtskonzept dazu beiträgt, dass Schülerinnen und Schüler sich im Begriffsfeld der
Quantenoptik bewegen können und inwiefern sie sich im Umgang mit den Begriffen sicher
sind. Tiefergehende Verknüpfungen zwischen den Begriffen, Elaborationen und Bezüge zu
den Wesenszügen der Quantenphysik werden in leitfadengestützten Interviews erhoben.
Ausgewählte Ergebnisse der Pilotstudie
Für eine Itemanalyse wurde eine Pilotstudie mit insgesamt = 100 StudienanfängerInnen der
Ingenieurswissenschaften durchgeführt, wobei 86 vollständige Prä-Posttestpaare vorliegen.
73 der Teilnehmer waren männlich. Items mit einer Itemschwierigkeit < .2 bzw. > .8 wurden
genauso eliminiert, wie Items mit Trennschärfen unter .3 (Neuhaus & Braun, 2007). Übrig
bleibt ein Itemset bestehend aus 13 Items. Alle haben Trennschärfen oberhalb von. 3, teilweise
liegen diese sogar im guten Bereich > .5 (Fisseni, 2004). Cronbach’s Alpha als Maß für die
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interne Konsistenz des Testinstruments beträgt = .78. Die Split-Half-Reliabilität liegt bei
= .71. Ein Argument für Kriteriumsvalidität sind signifikante Korrelationen des
Posttestergebnisses mit den Außenkriterien „Durchschnittsnote Physik“ mit = ( <
0.01) sowie dem „Interesse an Quantenphysik“ mit = ( < 0.01). Eine
konfirmatorische Faktorenanalyse bestätigt die dreifaktorielle Struktur des Testinstruments,
sodass die drei Subskalen „Einzelphotonenexperimente“ (= .53), „Photonen“ (= .61)
und „Theoretische Aspekte“ (= .61) empirisch trennbar sind (/ = 0.83, <
0.001, = 1.00, = 0.00, = 0.063). Die Inhaltsvalidität wurde neben einer
Lehrplananalyse mittels eines Expertenratings ( = 8) gesichert.
Zum Vergleich von Prätestergebnis ( = 3.12;
) und Posttestergebnis (
= 3.15) wurde ein nichtparametrischer
Wilcoxon-Test für verbundene Stichproben
gerechnet. Dieser zeigt einen signifikanten
Lernzuwachs mit großer Effektstärke (( =
< .001, = 3.73). Teilt man die
Stichprobe nach Leistungsterzilen (abhängig
vom Prätestergebnis) auf, so zeigt eine Analyse
des absoluten Lernzuwachses, dass dieser für die
leistungsstärkeren Probanden ( = 2.21, =
2.17) niedriger ist als für Leistungsschwächere
( = 3.00, = 2.66), sodass ein höherer
Lernzuwachs nicht auf ein höheres Vorwissen zurückzuführen ist.
Beim Ankreuzen im Posttest sind die ProbandInnen signifikant sicherer als im Prätest (( =
< 0.001, ); insbesondere werden sie bei allen Items im Posttest
signifikant sicherer, bis auf bei einem Item, bei dem mit dem atomaren Energieübergang ein
Inhalt abgefragt wird, der nicht explizit Teil des Unterrichtskonzepts ist;
geschlechterspezifische Unterschiede sind nach einem Mann-Whitney-U-Test nicht statistisch
signifikant ( = 663.00, = 0.76). Es zeigt sich ein hoch signifikanter Zusammenhang
zwischen der mittleren Sicherheit der Probanden im Posttest und ihrer Durchschnittsnote in
Physik ( = .33, = .002).
Untersucht man den absoluten Lernzuwachs in Abhängigkeit vom angegebenen Interesse an
Quantenphysik, so zeigt sich, dass die (sehr) interessierten ProbandInnen im Mittel einen
höheren Lernzuwachs vorweisen, als die weniger Interessierten. Überraschend ist aber, dass
die nicht und gar nicht Interessierten einen ebenso hohen Lernzuwachs zeigen, wie die sehr
Interessierten. Hier ist in der Hauptuntersuchung die Frage zu klären, ob mit dem qualitativen
Konzept insbesondere die an Physik weniger Interessierten und leistungsschwächeren
Schülerinnen und Schüler erreicht werden.
Abbildung 4: Lernzuwachs in Abhängigkeit vom Interesse an Quantenphysik.
0
5
10
15
20
0246810 12
Häufigkeit
Erreichte Punktzahl
Prätest Posttest
Abbildung 3: Testergebnisse im Prä-
Posttestvergleich.
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Literatur
Bitzenbauer, P., & Meyn, J.-P. (2019). Quantenphysik greifbar unterrichten. Plus Lucis.
Fisseni, H.-J. (2004). Lehrbuch der psychologischen Diagnostik. Hogrefe.
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Küblbeck, J., & Müller, R. (2007). Die Wesenszüge der Quantenphysik. Aulis.
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Springer .
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