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Erschienen in: Ebner, M. (2020) Digitales Lernen – kann Lernen digital sein?. In: IJAB Journal. Jg. 14. 1/2020. S. 12-13.
Digitales Lernen – kann Lernen digital sein?
Gerade in diesen Tagen der COVID-19-Krise erfahren Schüler/-innen und Studierende aber
auch Lehrkräfte eine Digitalisierung der Lehre in unvorhersehbarem Ausmaße. Mehr oder
weniger über Nacht wurden Bildungseinrichtungen gezwungen die analoge, traditionelle
Präsenzlehre einzustellen und auf „digitale Formate“ umzusteigen. Was für die formale
Bildung gilt, gilt in diesem Fall auch für die non-formale Bildung sowie für Fort- und
Weiterbildungen von Fachkräften der Jugendarbeit. Gelingen kann der digitale Umstieg nur
mit einer Herangehensweise, die digitale und analoge Komponenten einbezieht.
Martin Ebner
Für die meisten Beteiligten ist die Digitalisierung ein neuer und anstrengender Schritt, hatte
man über viele Jahre hinweg teilweise erfolgreich die zunehmende Digitalisierung und ihren
Einfluss auf Bildung schlichtweg wegdiskutiert. Doch schon früh wurde auf die Bedeutung von
Technologien, eben auch zum Zwecke des Lehrens und Lernens, hingewiesen
1
. Auch das
Forschungsgebiet der Bildungsinformatik zeigt durch zahlreiche Arbeiten rund um den Einsatz
von informatischen Systemen und Werkzeugen die Notwendigkeit der Digitalisierung
2
.
Unbestritten scheint, dass die Welt sich zunehmend digitaler Technologien bedient, diese in
unseren Alltag sich fast selbstverständlich mehr integrieren, doch vor den Mauern der
Bildungsinstitutionen machten sie bis dato halt. Warum? Das liegt daran, dass die Komplexität
von Lehr- und Lernprozessen sehr hoch ist und so der bloße Einsatz von Tablets im Unterricht
zu keiner Lernsteigerung führt, wenn aus didaktischer Sicht diese nicht integriert werden oder
aus informatischer Sicht keine entsprechenden Inhalte vorhanden sind. Oftmals scheitert es
schon daran, dass die vorhandene Infrastruktur nicht reicht, um mehrere Geräte gleichzeitig
in ein WLAN-Netz zu schalten. Kurzum, wir können genau jetzt in dieser COVID-19-Krise
beobachten, woran es scheitert – es wird sichtbar, dass die Themenfelder Medieninformatik,
Mediendidaktik und Medienkompetenz bei weitem nicht ausreichend vorhanden sind, um
einen entsprechenden Unterricht flächendeckend anzubieten. Dies stellt auch den
grundsätzlichen Leitsatz dieses kurzen Artikels dar: Um gute digitale Lehre umsetzen zu
können, ist immer eine ganzheitliche Betrachtung aller Komponenten notwendig – die beste
Infrastruktur nützt nichts, wenn man nicht weiß, wie man didaktisch gut den Unterricht damit
gestalten kann oder wenn jemand noch so kompetent digitale Werkzeuge einsetzen kann, ist
dies nur möglich, wenn auch die Infrastruktur passt. Das ist beliebig austauschbar und führt
dazu, dass eine zunehmende Verwendung digitaler Technologien einfach Zeit braucht, um alle
Einflussfaktoren entsprechend zu bedienen.
1
S. Ebner, M. (2013) E-Learning - Alles nur Technologie?, merz - Zeitschrift für
Medienpädagogik, 57. Jahrgang, Nr.5, S. 39-44
2
Ebner, M., Leitner, P., Ebner, M., Taraghi, B., Grandl, M. (2018) Die Rolle der
Bildungsinformatik für die Hochschule der Zukunft. In: Hochschule der Zukunft. Dittler, U. &
Kreidl, C. (Hrsg). S. 117-128, ISBN 978-3-658- 20402-0
Erschienen in: Ebner, M. (2020) Digitales Lernen – kann Lernen digital sein?. In: IJAB Journal. Jg. 14. 1/2020. S. 12-13.
Digital ersetzt nicht analog
Eines der Hauptargumente gegen die Digitalisierung des Unterrichts ist, dass Technologien
niemals die traditionelle, „analoge“ Lehre wird ersetzen können, da der Kontakt mit
Lernenden sehr wesentlich im Lernprozess sei. Und ja, das stimmt. Gerade jetzt sehen wir
wie wichtig es ist, dass Lernende in Gruppen gemeinsam mit Lehrpersonen Dinge erarbeiten.
Aber, ich behaupte gerne unentwegt an dieser Stelle, dass es uns Expert(inn)en niemals
darum ging, etwas zu ersetzen. Wir woll(t)en digitale Technologien immer dazu verwenden,
um den bisherigen Unterricht bestmöglich zu unterstützen, neue innovative Formate
einzuführen oder schlicht und einfach zu helfen, Lernprobleme einfacher oder anschaulicher
darzustellen. Es geht also primär um die Unterstützung durch Technologien genau dort, wo
sie Vorteile bieten, die mit herkömmlichen Medien nicht abdeckbar sind.
Daher stellt sich die Frage, wo liegen denn die Vorteile digitaler Technologien. Dazu kann
man primär drei Bereiche erwähnen:
1. Flexibilität: Mit digitalen Technologien ist es leichter möglich, flexibler zu werden und
zwar in Hinblick auf den Lernort und auf die Lernzeit. Gerade inmitten der COVID-19-
Krise zeigt sich genau dies: Es ist nicht möglich, den Präsenzunterricht zu besuchen.
Mit digitalen Technologien können wir uns trotzdem weiterhin austauschen und
miteinander kommunizieren. Sobald die Notwendigkeit von zeitlichen Unterschieden
oder räumlichen Trennungen vorliegt, scheinen Technologien unterstützen zu
können.
2. Kollaboration: Digitale Technologien ermöglichen über Geräte hinweg
Zusammenarbeit – in vielfältigster Form. So können Texte gemeinsam geschrieben
werden, Whiteboards gemeinsam erstellt werden und in Gruppenchats schnell
gemeinsam Gedanken, Dokumente, Videos getauscht werden. Eine Möglichkeit, die
uns vor 20 Jahren einfach nicht zur Verfügung stand.
3. Anschaulichkeit: Digitale Technologien haben den Vorteil, dass man durch
entsprechende multimediale Umsetzungen Lernprobleme vielleicht anschaulicher
darstellen kann. Durch Videos oder Visualisierungen ist es heute möglich,
Zusammenhänge zu visualisieren. Haben wir vor vielen Jahren versucht textuell
Abläufe zu beschreiben, kann dies durchaus heute durch eine kurze Videosequenz
verständlicher gemacht werden.
Zukunft von digitalen Lehren
Wenn man nun konsequent weiterdenkt und vor allem hinnimmt, dass digitale Technologien
integraler Bestandteil auch im Bereich der Bildung sind, scheint klar, dass jeder neue
Technologiesprung in irgendeiner Weise Berücksichtigung finden wird. So sehen wir heute z.
B., dass virtuelle Realitäten vermehrt Einsatz finden. In Folge werden dafür auch Beispiele in
den Unterricht Einzug finden. Wichtig erscheint aber zu betonen, dass vorrangig die
optimale Ergänzung steht und daher sich zukünftig hybride Formen und hybride didaktische
Konzepte durchsetzen werden. Es geht schlichtweg um den optimalen Mix zwischen
Präsenzunterricht und Online-Sequenzen. Didaktische Innovationen wie Flipped Classroom
und Inverse Blended Learning beschreiben heute die Wege, die wir in einigen Jahren
vermehrt beobachten werden können. Wir werden dort Videokonferenzen einsetzen, wo es
Erschienen in: Ebner, M. (2020) Digitales Lernen – kann Lernen digital sein?. In: IJAB Journal. Jg. 14. 1/2020. S. 12-13.
die Distanz oder die Zeit erfordert und Videos erstellen, wo ein reiner Frontalunterricht
wenig Sinn bietet. Umgekehrt werden wir vor Ort den Diskurs forcieren und gemeinsam
aktiv Lernprobleme lösen. Es geht also nicht darum, dass wir digitale Technologien
zwanghaft in die Lehre bringen, sondern dass Digitalisierung als völlig normal am
Bildungssektor angesehen wird und selbstverständlich zum Einsatz kommt.