Das eigene Auto ist wie kein anderer Alltagsgegenstand ein Symbol von Freiheit und Privatsphäre. Die Bezeichnung „Automobil“ ist abgeleitet von dem griechischen Wort autós und dem lateinischen mobili, und bedeutet zusammengesetzt selbstbeweglich. Damit sollte das Auto von anderen Formen der Mobilität abgegrenzt werden, allem voran von der Kutsche, die sich nicht von selbst bewegte, sondern bekanntlich von Pferden gezogen wurde. Die historische Pferdekutsche hatte zumindest einen Vorteil gegenüber dem Automobil: Es bestand nicht die Notwendigkeit einer ständigen Aufmerksamkeit des Fahrers. Teil des Freiheitsgefühls, das einige hinter dem Steuer ihres Fahrzeugs empfinden, ist sicherlich auch dem Fahrspaß geschuldet. Allerdings gibt es viele Situationen, die als lästig empfunden werden. Gerade für Pendler, die jährlich mehrere tausend Kilometer und etliche Stunden in ihrem Fahrzeug auf dem Weg zur Arbeit und zurück verbringen müssen, ist das Autofahren eher als Last zu bezeichnen. Die Gefahr eines Staus lauert quasi an jeder Autobahnauffahrt.
Die Erfindung autonomer Fahrzeuge, als Weiterentwicklung des konventionellen Autos hin zu einem Fortbewegungsmittel, das nicht mehr der ständigen Aufmerksamkeit des Fahrers bedarf, kann aus vielerlei Gründen als wünschenswert bezeichnet werden. Die Zeit und Aufmerksamkeit, die gewöhnlich zur Steuerung des Fahrzeugs aufgebracht werden muss, kann anderweitig eingesetzt werden. Die oben angesprochenen Pendler könnten beispielsweise bereits während der Fahrt mit ihrer Arbeit beginnen, erste Telefonate führen oder sich einfach zurücklehnen und die Tageszeitung lesen. Lange Autofahrten müssten nicht mehr als Last empfunden werden.
Die Medien berichten zunehmend über die Erfolge der Automobilhersteller bezüglich der Entwicklung von Techniken, die zukünftig ein solches Fahrerlebnis ermöglichen könnten. Man könnte meinen, das autonome Fahrzeug stehe schon fast vor der Haustüre. Beschäftigt man sich aber mit dem aktuellen Forschungsstand, so zeigt sich ein weniger optimistisches Bild. Diese verzerrte Wahrnehmung der Gesellschaft bezüglich des aktuellen Technikstandes ist zum großen Teil einer uneinheitlichen Verwendung des Begriffs des „autonomen Fahrens“ geschuldet. Man muss differenzieren zwischen den verschiedenen Stufen der Automatisierung. Die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) unterscheidet zwischen den vier Graden des assistierten, teil-, hoch- und
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vollautomatisieren Fahrens.1 Die Vorteile des autonomen Fahrens nehmen von Grad zu Grad zu.
Nach Angaben der WHO starben 2010 weltweit 1,24 Millionen Menschen durch Verkehrsunfälle.2 Zwar sind valide Prognosen über zukünftige Techniken nur schwer zu treffen, es ist aber anzunehmen, dass die zunehmende Autonomisierung des Fahrzeugs menschliche Fehlverhalten auffangen und dadurch die Sicherheit im Straßenverkehr erhöhen kann. Zusätzlich ergeben sich durch den Einsatz hoch- und vollautomatisierter Fahrzeuge neue Chancen für den Individualverkehr, insbesondere für Leute, die alters- oder krankheitsbedingt kein Fahrzeug bedienen können oder die temporär nicht fahrtauglich sind. Veränderungen im Güterverkehr, wie die Entlastung von Fernkraftfahrern, sind ebenfalls anzunehmen. Neue Mobilitätskonzepte und Marktmöglichkeiten ergeben sich, die für frisch gegründete wie alte Unternehmen interessant sein könnten, zum Beispiel weiterentwickelte Formen des Carsharings.3 Abschließend sei noch der Vorteil zu nennen, dass sich durch die zunehmende Automatisierung und den Informationsaustausch zwischen den Fahrzeugen neue Möglichkeiten der Verkehrssteuerung sowie der Städteplanung, insbesondere der Gestaltung einer Smart City, ergeben können.4
Allerdings darf man auch die enormen Herausforderungen nicht übersehen. Neben Freiheit steht das Automobil auch für eine potenzielle Gefahr. Die Entwicklung autonomer Fahrzeuge ist zwar in erster Linie eine technische Aufgabe, allerdings eine mit großer Bedeutung für die Gesellschaft. Folglich zeigen sich neben technischen Herausforderungen auch Fragen, die über den Zuständigkeitsbereich von Ingenieuren hinausgehen, beispielsweise die Frage nach dem moralischen Rahmen, innerhalb dessen sich autonome Fahrroboter bewegen dürfen. Wie soll sich der Roboter in einer moralischen Dilemma- Situation entscheiden? Wer ist für das Verhalten einer automatisierten und künstlich intelligenten Maschine verantwortlich? Das sind keine Fragen für Ingenieure, sondern für die angewandte Ethik.
Das Ziel ist es meines Erachtens, autonome Fahrzeuge mit einem moralischen Entscheidungsalgorithmus auszustatten, der es ihnen ermöglicht, auch in moralischen
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BASt 2012, Definitionen sind im Anhang zu finden. http://www.who.int/mediacentre/factsheets/fs358/en/, Tag des letzten Zugriffs: 06. Juli 2016. Vgl. Lenz und Fraedrich: Neue Mobilitätskonzepte und autonomes Fahren: Potenziale der Veränderung, in: Maurer et al. (Hrsg.): Autonomes Fahren: Technische, rechtliche und gesellschaftliche Aspekte, Springer, 2015, 175 – 195.
Vgl. Heinrichs, Dirk: Autonomes Fahren und Stadtstruktur, in: Maurer et al. (2015), 219 – 239.
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Dilemma-Situationen die beste Option zu wählen und auszuführen. Unter der „besten Option“ soll hier nicht die technisch beste Umsetzung der Idee eines autonomen Fahrzeuges gemeint sein. Hier geht es um die Frage, wie der Fahrroboter sich in einer gegebenen Situation verhalten soll. Es ist eine Frage nach der moralisch besten Option, nach dem gesellschaftlich wünschenswerten Verhalten autonomer Fahrzeuge. Gesellschaftliche Akzeptanz spielt eine große Rolle für den Erfolg des ganzen Projekts. Allerdings muss die Diskussion auch mit Hinblick auf eine technische Realisierbarkeit geführt werden, da es wenig bringt, wenn die moralisch beste Option nicht technisch umgesetzt werden kann. Und gerade moralische Dilemmata sind ja durch das Problem gekennzeichnet, dass nicht offensichtlich ist, welche die beste moralische Handlung sein soll. Oft ist ein Sach- oder gar Personenschaden nicht auszuschließen. Dennoch muss sich der Fahrroboter irgendwie entscheiden und möglichst wünschenswert verhalten können. Das ist das Hauptproblem, um das es in dieser Arbeit gehen soll.
In Kapitel 2 werde ich mich generell dem Thema Roboter und Moral widmen. Moralisch relevante Unterschiede zwischen menschlichen und künstlichen Akteuren werden angesprochen. Autonome Roboter sind zwar keine moralischen Akteure, wie wir sie sonst kennen; aber ihr Verhalten wird von anderen Verkehrsteilnehmern und der Gesellschaft durch eine ethische Linse betrachtet und als falsch oder richtig bewertet. In Anlehnung an den Begriff der künstlichen Intelligenz wird die Idee einer künstlichen Moralfähigkeit bei Robotern vorgestellt: die funktionale Moralfähigkeit.
In Kapitel 3 werde ich mich der Frage nach dem oben genannten moralischen Handlungsrahmen5 autonomer Fahrroboter annehmen. Dafür werde ich verschiedene Formen des Trolley-Problems vorstellen und diese in fiktive Situation aus dem Straßenverkehr übertragen. Das Ergebnis meiner Untersuchung wird sein, dass eine Opferung im schwachen Sinne aus pragmatischen Gründen in gewissen Situationen rechtfertigbar sein kann. Das gilt allen voran in Situationen, in denen eine Schädigung unvermeidlich ist, der Roboter aber Einfluss auf die Verteilung und Höhe des Gesamtschadens hat.
In Kapitel 4 wende ich mich explizit der Suche nach einem moralischen Entscheidungsalgorithmus zu. Die Diskussion der vorherigen Kapitel wird aufgegriffen und versucht, in einen skizzierten Algorithmus zu überführen. Ich werde zwei
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Zur sprachlichen Vereinfachung verwende ich in dieser Arbeit den Handlungsbegriff im Kontext von autonomen Robotern in abgeschwächter Form. „Handeln“ kann mit „verhalten“ ausgetauscht werden.
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Möglichkeiten vorstellen und besprechen: Ein Konzept, das in Anlehnung an Rawls auf die Entscheidung kompetenter moralischer Richter baut, sowie eine Hybrid-Lösung, bei der versucht wird, konsequenzialistische und deontologische Überlegungen zu verbinden, und bei der die Kostenoptimierung mit weichen Schranken eine entscheidende Rolle spielt.
Abschließen werde ich mit einem Ausblick und der Vorstellung weiterer moralisch relevanter Fragen, die sich durch die Entwicklung und den Einsatz autonomer Fahrzeuge ergeben, für die allerdings kein Platz in dieser Arbeit war, sowie einer Zusammenfassung der Argumentation dieser Arbeit. Da die Technologie der autonomen Fahrroboter noch relativ am Anfang steht, kann ein abschließendes Urteil zum Thema autonome Fahrzeuge und Moral nicht geboten werden. Ziel ist es, einen Überblick über die grundlegenden Fragen und Probleme der Robotermoral im Kontext autonomer Fahrzeuge aufzuzeigen sowie gegenwärtige Ansätze zu besprechen.