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Greiser / Frerichs, Ansprüche von Flüchtlingen
SGb 04.18 213
24 %4 bis hin zu 40 %5). In der Allgemeinbevölkerung liegt die
Rate nach einer Studie aus 2014 bei 2,3 %6.
Bei Depressionen stellt sich das Bild ähnlich dar: Auch
hier ist eine Schwankungsbreite vorhanden, aber auch nach der
jeweils niedrigeren Rate liegt eine Überrepräsentation vor, wobei
diese nicht derart stark ist wie bei der PTBS. Teilweise wird bei je-
dem vierten7, teilweise bei jedem achten8 Geflüchteten eine De-
pression diagnostiziert. Nach der zweiten zitierten Studie litt ca.
jeder zehnte Geflüchtete unter schweren Depressionen9. In der
4 Kröger / Frantz / Friel / Heinrichs, Psychotherapie und Psychosomatische
Medizin 2016, 377, 383 (hier allerdings explizit als Verdachtsdiagnose for-
muliert).
5 Gäbel / Ruf / Schauer / Odenwald / Neuner, Zeitschrift für Klinische Psycholo-
gie und Psychotherapie 2008, 12.
6 Jacobi / Höfler / Strehle / Mack / Gerschler / Scholl / Busch / Maske / Hapke /
Gaebel / Maier / Wagner / Zielasek / Wittchen, Nervenarzt 2014, 77, 80. Ob die
Studien in allen Punkten vergleichbar sind, lässt sich nicht abschließend
beantworten. So ist grundsätzlich zwischen Prävalenz (Häufigkeit einer
Krankheit in einer bestimmten Gruppe) und Inzidenz (Anzahl der Neuer-
krankungen in einem bestimmten Zeitraum) zu unterscheiden. Für die vor-
liegende Untersuchung können diese Effekte jedoch außer Acht gelassen
werden.
7 Kröger et al, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin 2016, 377, 383
(ebenfalls als Verdachtsdiagnose formuliert).
8 Richter et al, Gesundheitswesen 2015, 834, 836: ca. 13 % in der Zufalls-
stichprobe. In der Gesamtuntersuchung sind es ca. 22 %.
9 Ca. 9 %: Kröger et al, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin 2016,
377, 383 (ebenfalls Verdachtsdiagnose).
I. Einleitung1
1. Die empirische Ausgangslage
Dass psychische Erkrankungen bei Geflüchteten2 überrepräsen-
tiert vorliegen, lässt sich empirisch belegen: Vor allem das Vorlie-
gen einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) ist bei
Flüchtlingen deutlich häufiger, wobei die Prozentzahlen von Stu-
die zu Studie recht stark schwanken (von ca. 17,5 %3 über ca.
1 Die Autoren danken dem Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psycho-
therapie Dr. med. Edzard Ites, Osnabrück, für eine kritische Durchsicht des
Manuskriptes.
2 Der Begriff Geflüchtete wird im folgenden Aufsatz weit verstanden. Er be-
zieht sich also nicht nur auf Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlings-
konvention, sondern auch auf Asylberechtigte, subsidiär Schutzberechtigte
und Personen, die aus sonstigen (etwa wirtschaftlichen) Gründen ihr Hei-
matland verlassen.
3 Richter / Lehfeld / Niklewski, Gesundheitswesen 2015, 834, 836. Die zitierten
ca. 17,5 % beziehen sich auf die dortige Zufallsstichprobe. Unter Einbezie-
hung der „Selbstzuweiser“ (Asylbewerber, die die psychiatrische Gutachter-
stelle aus Eigeninitiative aufsuchten) liegt die Quote bei der Gesamtunter-
suchung bei ca. 20.5 %.
Johannes Greiser / Konrad Frerichs
Die Behandlung psychischer Erkrankungen von Geflüchteten rückt wegen der
gestiegenen Anzahl von Asylsuchenden seit 2015, einer zunehmenden Sensibili-
sierung gegenüber den Ursachen und Folgen psychischer Erkrankungen und der
Herausforderungen für das Gesundheitswesen verstärkt in den Fokus. Bei Ein-
führung des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) 1993 war dies noch nicht
der Fall. § 4 Abs. 1 AsylbLG, der – seither unverändert – die gesundheitliche Ver-
sorgung von Flüchtlingen regelt, ist auf die Behandlung körperlicher Erkrankun-
gen ausgerichtet. Eine psychotherapeutische Behandlung von psychischen
Leiden ist aber durch Erfahrung von Verfolgung, Flucht und nicht zuletzt die
Un sicherheit über den Verbleib im Bundesgebiet (sog. „Kettenduldungen“) bei
Geflüchteten gerade häufiger notwendig als in der übrigen Bevölkerung. Der
Aufsatz stellt die aktuelle Rechtslage dar auch mit Rücksicht auf unions- und
verfassungsrechtliche Vorgaben.
Der Anspruch
von Flüchtlingen
auf psychotherapeutische
Behandlung
Johannes Greiser,
Richter am SG Osnabrück,
Lehrbeauftragter der Universi-
tät Osnabrück und der Hoch-
schule Fulda
Konrad Frerichs,
Richter am LSG Niedersach-
sen-Bremen
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214 SGb 04.18
Greiser / Frerichs, Ansprüche von Flüchtlingen
gang des Verfahrens, denen das Vorliegen eines Ausreisehinder-
nisses nicht vorgeworfen werden kann. Diese Personengruppen
verfügen über eine elektronische Gesundheitskarte15.
Die Krankenbehandlung umfasst nach § 27 Abs. 1 Satz 2
Nr. 1 SGB V allgemein die ärztliche Behandlung einschließlich
Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behand-
lung. Für Geflüchtete gilt insoweit umfassend eine Inländergleich-
behandlung, die bei anerkannten Flüchtlingen auch unions- und
völkerrechtlich geboten ist (siehe dazu II. 1. a))16. Die mit der
vertragsärztlichen bzw. -psychotherapeutischen Versorgung im
Gesundheitswesen einhergehenden Herausforderungen, insb. die
Ausweitung des Angebots an zugelassenen Ärzten und Psycho-
therapeuten17, sind nicht Gegenstand dieser Abhandlung.
c) PsychKG
Zur Abwendung einer gegenwärtigen erheblichen Gefahr für den
Erkrankten oder andere ist eine Einweisung nach dem PsychKG
möglich, wenn diese Gefahr auf andere Weise nicht abgewendet
werden kann18. Dementsprechend spielt der Nothelferanspruch für
die Erbringung von Krankenbehandlungen durch Krankenhäuser,
niedergelassene Ärzte und Zahnärzte in Notsituationen an Leis-
tungsberechtigte nach § 6a AsylbLG oder § 25 SGB XII im Zusam-
menhang mit psychischen Erkrankungen keine nennenswerte
Rolle.
II. Vorgaben aus Unions- und Verfassungsrecht
1. Unionsrecht
a) Rechtsgrundlagen
Im Zuge der europäischen Harmonisierung des Asyl- und Flücht-
lingsrechts sind für die Versorgung von Flüchtlingen mehrere
EU-Richtlinien erlassen worden. Im Einzelnen sind hervorzuheben
die
♦ Richtlinie Aufnahmebedingungen, EURL 2013/3319
(zuvor EGRL 2003/9),
♦ Qualifikationsrichtlinie, EURL 2011/9520
(zuvor EGRL 2004/83),
♦ Massenzustromrichtlinie, EGRL 2001/5521,
♦ Opferschutzrichtlinie, EURL 2012/2922, und die
♦ Menschenhandelsrichtlinie EURL 2011/3623.
Der Gesetzgeber hat diese leistungsrechtlich einschlägigen
EU-Richtlinien nur eingeschränkt in nationales Recht umgesetzt,
etwa durch die Einführung des § 6 Abs. 2 AsylbLG, der die gem.
Art. 13 Abs. 4 EGRL 2001/55 (Massenzustromrichtlinie) vorgese-
hene Versorgung von Inhabern einer Aufenthaltserlaubnis nach
§ 24 Abs. 1 AufenthG mit besonderen Bedürfnissen betrifft (An-
spruch auf erforderliche medizinische und sonstige Hilfe). Nicht
umgesetzt wurde in dieser Hinsicht die Richtlinie Aufnahmebe-
dingungen (dazu gleich II.1.b)). Weitere Vorgaben für die medizi-
15 Vgl. § 264 Abs. 4 Satz 2 SGB V.
16 Vgl. dazu etwa BVerfG, Beschl. v. 8. 5. 2017 – 2 BvR 157/17.
17 Vgl. hierzu etwa den Standpunkt der BundesPsychotherapeutenKammer:
Psychische Erkrankungen bei Flüchtlingen (Stand: September 2015), abruf-
bar unter: http://www.bptk.de; vgl. auch Böhmig, NDV 2017, 9, 10 ff.
18 In Niedersachsen: § 16 NPsychKG i. V. m. § 2 Nr. 1 Buchst. b und c Nds SOG.
19 ABl.EU L 180 v. 29. 6. 2013, S. 96.
20 ABl.EU L 337 v. 20. 12. 2011, S. 9.
21 ABl.EG L 212 v. 7. 8. 2001, S. 12.
22 ABl.EU L 315 v. 14. 11. 2012, S. 57.
23 ABl.EU L 101 v. 15. 4. 2011, S. 1.
Allgemeinbevölkerung liegt die Quote affektiver Erkrankungen
nach einer Studie aus 2014 insgesamt bei 9,3 %10 .
2. Rechtsgrundlagen für die Behandlung psychischer
Erkrankungen
a) §§ 4, 6 AsylbLG
aa) § 4 AsylbLG
In den ersten 15 Monaten des Aufenthalts in Deutschland – bei
einer rechtsmissbräuchlichen Beeinflussung der Aufenthaltsdauer
auch in der Folgezeit (vgl. § 2 Abs. 1 AsylbLG) – erfolgt die medizi-
nische Versorgung primär nach § 4 Abs. 1 AsylbLG. Der Anspruch
umfasst die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerz-
zustände erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung
einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln so-
wie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung
von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen.
bb) § 6 AsylbLG
Neben § 4 AsylbLG stellt § 6 AsylbLG (auch) in Bezug auf Gesund-
heitsleistungen eine Auffangvorschrift dar. Nach § 6 Abs. 1 AsylbLG
können sonstige Leistungen insbesondere dann gewährt werden,
wenn sie im Einzelfall zur Sicherung des Lebensunterhalts oder
der Gesundheit unerlässlich, zur Deckung besonderer Bedürfnisse
von Kindern geboten oder zur Erfüllung einer verwaltungsrecht-
lichen Mitwirkungspflicht erforderlich sind.
Nach § 6 Abs. 2 AsylbLG wird Personen, die eine Aufent-
haltserlaubnis gemäß § 24 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG)
besitzen und die besondere Bedürfnisse haben, wie beispielsweise
unbegleitete Minderjährige oder Personen, die Folter, Vergewalti-
gung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder
sexueller Gewalt erlitten haben, die erforderliche medizinische
oder sonstige Hilfe gewährt.
b) Gesetzliche Krankenversicherung (GKV)
Einen Behandlungsanspruch auf dem Niveau der GKV haben Ge-
flüchtete zu Beginn des Asylverfahrens regelmäßig nicht, weil
das AsylbLG jedenfalls für den Aufenthalt in Deutschland in den
ersten fünfzehn Monaten11 abweichende Gesundheitsleistungen
vorsieht (§§ 4, 6 AsylbLG, siehe dazu oben I. 2. a)). Mit dem Rechts-
kreiswechsel (SGB II / SGB XII) im Falle einer positiven Entschei-
dung über den Asylantrag richtet sich die Versorgung bei Krank-
heit – bei Bedürftigkeit12 – aber grundsätzlich nach dem SGB V,
für Erwerbsfähige als gesetzlich Versicherte13 und für Leistungsbe-
rechtigte nach dem Dritten bis Neunten Kapitel des SGB XII nach
§ 264 Abs. 2 Satz 1 SGB V mit einer Kostenerstattung durch den
Sozialhilfeträger (sog. Quasiversicherung14). Letzteres gilt auch für
Leistungsberechtigte nach § 2 Abs. 1 AsylbLG, also für diejenigen,
die sich bereits 15 Monate in Deutschland aufhalten, ohne ihre
Aufenthaltsdauer selbst rechtsmissbräuchlich beeinflusst zu ha-
ben. Hierrunter fallen insbesondere Geflüchtete im laufenden
Asylverfahren und Inhaber einer Duldung nach erfolglosem Aus-
10 Jacobi et al, Nervenarzt 2014, 77, 80; zu den affektiven Störungen gehö-
ren dabei auch bipolare Störungen, manische Episoden und andere Erkran-
kungen, die bei den obigen Studien nicht inkludiert sind. Diese Ungenau-
igkeit ist für die vorliegenden Zwecke jedoch nicht relevant.
11 Vgl. § 2 Abs. 1 AsylbLG.
12 Unabhängig hiervon kann eine Versicherungspflicht nach § 5 SGB V aus
einem anderen Grund vorliegen, etwa wegen eines Beschäftigungsverhält-
nisses.
13 § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V.
14 BSG, Urt. v. 27. 5. 2014 – B 8 SO 26/12 R, BSGE 116, 71 ff.
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Greiser / Frerichs, Ansprüche von Flüchtlingen
SGb 04.18 215
nische Versorgung sehen die Opferschutz- und die Menschenhan-
delsrichtlinie vor (vgl. Art. 9 EURL 2012/29 und Art. 11 Abs. 5
EURL 2011/36) sowie die Qualifikationsrichtlinie, wonach aner-
kannte Flüchtlinge den gleichen Anspruch auf medizinische Ver-
sorgung wie Staatsangehörige des aufnehmenden Mitgliedsstaats
haben (Art. 30 EURL 2011/95). Insoweit bestehen allerdings keine
Umsetzungsdefizite (siehe zu anerkannten Flüchtlingen bereits
I. 2. b)). Opfer des Menschenhandels und illegaler Beschäftigung
verfügen in Deutschland über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25
Abs. 4a bzw. 4b AufenthG. Seit der Änderung des persönlichen
Anwendungsbereichs des AsylbLG zum 1. 3. 201524 sind sie nicht
mehr dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem AsylbLG,
sondern nach dem SGB II bzw. SGB XII. Ihre medizinische Versor-
gung richtet sich nach dem Recht der GKV25.
b) Richtlinie Aufnahmebedingungen
aa) Stand der Umsetzung
Die Richtlinie Aufnahmebedingungen ist am 18. 7. 2013 in Kraft
getreten mit einer Umsetzungsfrist bis zum 21. 7. 201526. Von einer
Umsetzung der Vorgaben für die medizinische Versorgung von
Personen mit besonderen Bedürfnissen nach Art. 19 Abs. 2, 21 bis
25 EURL 2013/33 hat der Gesetzgeber abgesehen. Dieses Umset-
zungsdefizit ist in Rechtsprechung und Literatur27 bislang nur
vereinzelt kritisiert und weitgehend als unbedenklich erachtet
worden28.
bb) Personen mit besonderen Bedürfnissen
Die Richtlinie regelt Asylaufnahmebedingungen und gilt nur für
Asylbewerber (bzw. Antragsteller auf internationalen Schutz)
während der Dauer ihres Asyl- bzw. Anerkennungsverfahrens29.
Geduldete können sich auf diese Richtlinie nicht berufen. Die
Richtlinie sieht vor, dass die Mitgliedstaaten die spezielle Situation
von schutzbedürftigen Personen berücksichtigen müssen; hierun-
ter fallen insbesondere30:
♦ Minderjährige31,
♦ unbegleitete Minderjährige32,
♦ Behinderte,
♦ ältere Menschen,
♦ Schwangere,
♦ Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern,
♦ Opfer des Menschenhandels,
♦ Personen mit schweren körperlichen Erkrankungen und
♦ Personen mit psychischen Störungen und
♦ Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere
Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten
haben, wie z. B. Opfer der Verstümmelung weiblicher Genita-
lien33.
24 BGBl. I 2014, S. 2187.
25 Vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V bzw. § 264 Abs. 2 Satz 1 SGB V.
26 Vgl. Art. 32, 33 EURL 2013/33.
27 Vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 27. 2. 2012 – L 20 AY 48/08, Rn. 48;
Schreiber, ZESAR 2010, 107 ff.; Haedrich, ZAR 2010, 227, 231 ff.; Janda /
Wilksch, SGb 2010, 565, 573 f.
28 So etwa Hachmann / Hohm, NVwZ 2008, 33, 34
(zu Art. 7, 9 EGRL 2004/81).
29 Vgl. Art. 3 Abs. 1 EURL 2013/33.
30 Vgl. die Aufzählung in Art. 21 EURL 2013/33.
31 Vgl. auch Art. 23 EURL 2013/33.
32 Vgl. auch Art. 24 EURL 2013/33.
33 Vgl. auch Art. 25 EURL 2013/33.
cc) Fehlendes Anerkennungsverfahren
Zur Beurteilung der besonderen Bedürfnisse schutzbedürftiger
Personen ist nach der Richtlinie Aufnahmebedingungen ein Aner-
kennungsverfahren (sog. Screening- oder Clearingverfahren) vor-
gesehen, das innerhalb einer angemessenen Frist zu Beginn des
Asylverfahrens eingeleitet werden muss (Art. 22 EURL 2013/33).
Ein ähnliches Verfahren sieht auch die Opferschutzrichtlinie vor34.
Ein bundeseinheitliches Anerkennungsverfahren i. S. d. Art. 22
Abs. 1 EURL 2013/33 existiert in Deutschland nicht35. Über die
Anerkennung besonders hilfebedürftiger Personen i. S. d. Art. 21 ff.
EURL 2013/33 entscheidet im Asylverfahren die für die Leistungs-
gewährung nach den §§ 10 ff. AsylbLG zuständige Behörde durch
Verwaltungsakt, mangels gesonderten Anerkennungsverfahrens
also mit Bewilligung der entsprechenden Leistungen. Dieses Um-
setzungsdefizit wiegt besonders schwer, weil durch ein qualifizie-
rendes Screening-Verfahren das Niveau der Sozialleistung mög-
lichst früh gesteuert werden soll und ohne dieses Verfahren
mangelnde Krankheitseinsicht und / oder ungenügende Sprach-
kenntnisse zu einer verspäteten oder zunächst unzureichenden
medizinischen Versorgung führen können36.
dd) Medizinische Versorgung von Personen mit besonderen
Bedürfnissen
Während Art. 19 Abs. 1 EURL 2013/33 zumindest die medizinische
Notversorgung und die unbedingt erforderliche Behandlung von
Krankheiten vorgibt37, sieht Art. 19 Abs. 2 EURL 2013/33 bei Asyl-
bewerbern mit besonderen Bedürfnissen die Gewährung der erfor-
derlichen medizinischen oder sonstiger Hilfe vor, einschließlich
erforderliche und geeignete psychologische Betreuung. Für Opfer
von Folter und Gewalt gewährt Art. 25 Abs. 1 EURL 2013/33 ins-
besondere den Zugang zu einer adäquaten medizinischen und
psychologischen Behandlung oder Betreuung.
Richtet sich die medizinische Versorgung nach dem
Recht der GKV gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG i.V.m. § 264 Abs. 2 SGB V
(sog. Quasiversicherung), ist das von der Richtlinie vorgegebene
Leistungsniveau gewahrt. Zu Beginn des Asylverfahrens bzw.
während der ersten fünfzehn Monate in Deutschland (vgl. § 2
Abs. 1 AsylbLG) ist allerdings die eingeschränkte medizinische
Versorgung nach den §§ 4, 6 Abs. 1 AsylbLG für diesen Personen-
kreis sehr problematisch. Insoweit wird die unmittelbare Anwen-
dung des § 19 Abs. 2 EURL 2013/33 bzw. eine richtlinienkonforme
Auslegung des § 6 AsylbLG befürwortet, auf die später noch ein-
zugehen ist (dazu unter III. 2. d)).
2. Verfassungsrecht
Das Grundgesetz sieht ein Grundrecht auf Gesundheit nicht aus-
drücklich vor. Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist es aber
anerkannt, dass aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Sozialstaatsprin-
zip und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG eine Pflicht des Staates zum Schutz
der Gesundheit und körperlichen Unversehrtheit erwächst. Hieraus
können nicht nur abwehrrechtliche Ansprüche hergeleitet werden,
sondern auch ein Anspruch auf Heilbehandlung bei lebensbedroh-
lichen Krankheiten38. Zudem entfaltet das Leistungsgrundrecht
34 Vgl. Art. 22 EURL 2012/29.
35 Lediglich für unbegleitete bzw. allein reisende minderjährige Flüchtlinge
(UMF) gibt es in allen Bundesländern besondere Regelungen, vgl. dazu
BT-Drucks. 16/13166, S. 37 ff.; vgl. auch Schülle, RP Reha 2017, 21, 22.
36 Vgl. ausführlich Schreiber, ZESAR 2010, 107, 110.
37 Dies entspricht im Wesentlichen dem Leistungsumfang nach den §§ 4, 6
Abs. 1 AsylbLG, siehe dazu unten III.
38 BVerfG, Beschl. v. 6. 12. 2005 – 1 BvR 347/98 (sog. Nikolausbeschluss).
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216 SGb 04.18
Greiser / Frerichs, Ansprüche von Flüchtlingen
und akuter Krankheit medizinisch meist nicht möglich sei46. Diese
Problematik hat der Gesetzgeber bereits bei Einführung des Geset-
zes ebenfalls gesehen, weshalb zur Abgrenzung „konkretisierende
Empfehlungen sinnvoll“ seien47. Solche sind allerdings nicht er-
lassen worden. Trotz Kritik in dem Gesetzgebungsverfahren zur
Umsetzung der Entscheidung des BVerfG zum AsylbLG48 im
Jahr 201449 hat der Gesetzgeber an dieser Unterscheidung festge-
halten.
Bei Depressionserkrankungen ist nach der Internationa-
len Klassifizierung der Erkrankungen (ICD 10) nach einer depressi-
ven Episode (F 32) und rezidivierenden (wiederkehrenden) depres-
siven Störungen (F 33) zu unterscheiden. In beiden Fällen ist
zudem eine Dreiteilung nach leichtgradig, mittelgradig und
schwergradig vorzunehmen (F 32.0-F 32-2 und F 33.0-F 33.2). Bei
der schweren Episode ist zudem danach zu unterscheiden, ob zu-
sätzlich psychotische Symptome vorhanden sind (mit psychoti-
schen Symptomen: F 32.3 und F 33.3). Bei schwerer Depression
und akuter Suizidalität ist eine akute Erkrankung im obigen Sinne
gegeben50. Dann greift aber wohl auch das PsychKG ein51. Auch
bei psychotischen Symptomen dürfte häufig eine akute Erkran-
kung vorliegen. Allerdings ist dies nicht zwingend. Die aufgezeig-
ten Unterscheidungen sind medizinisch gesehen von der Abgren-
zung von akuten und chronischen Erkrankungen unabhängig. Es
ist also auch eine akute, leichte Depression denkbar52. Die Eintei-
lung aus der ICD 10 ist dementsprechend vorrangig bei der Frage
nach der Intensität der Erkrankung, die im Rahmen des § 6
Abs. 1 AsylbLG eine Rolle spielt (siehe dazu unten: III. 2. a)), zu
berücksichtigen. Bei einer mittelgradigen und vor allem bei
einer leichtgradigen Depression ist bei der Prüfung des § 4
Abs. 1 AsylbLG besonderes Augenmerk auf die Erforderlichkeits-
prüfung (siehe dazu näher unten: III. 1. c)) zu richten53.
Ebenfalls schwierig einzuordnen ist die PTBS. Diese ent-
steht als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belas-
tendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer,
mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem
Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen
würde54. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des
Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinne-
rungen, Flashbacks), Träumen oder Albträumen, die vor dem Hin-
tergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotio-
naler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit
gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung
gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und
Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten.
Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigi-
lanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlaf-
46 Classen, Die Finanzierung ambulanter Psychotherapien für Flüchtlinge, ab-
rufbar unter www.fluechtlingsrat-berlin.de; dem folgend: BPtK-Standpunkt:
Psychische Erkrankungen bei Flüchtlingen, S. 13, abrufbar unter:
www.bptk.de.
47 BT-Drucks. 12/4451, S. 9, Zu § 3.
48 BVerfG, Urt. v. 18. 7. 2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11.
49 Zusammenstellung der schriftlichen Stellungnahmen zur Sachverständi-
genanhörung am 3. 11. 2014 u. a. zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung
des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Sozialgerichtsgesetzes –
BT-Drucks. 18/2592, Ausschussdrucksache 18(11)220, 8 f., 29 ff., 84 f.; siehe
auch: Kaltenborn, NZS 2015, 161, 162.
50 Schleswig-Holsteinisches VG, Urt. v. 25. 7. 2006 – 7 A 43/03, Rn. 38.
51 In Niedersachsen: § 16 NPsychKG i. V. m. § 2 Nr. 1 Buchst. b und c Nds SOG.
52 Anders die Beurteilung im konkreten Fall: Thüringer LSG, Beschl.
v. 22. 8. 2005 – L 8 AY 383/05 ER, Rn. 21.
53 So wohl auch: Thüringer LSG, Beschl. v. 22. 8. 2005 – L 8 AY 383/05 ER,
Rn. 21.
54 ICD 10: F 43.1.
auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums
nach Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG bei der Frage der
gesundheitlichen Versorgung von Menschen, die sich im Bundes-
gebiet aufhalten, eine leistungsrechtliche Dimension39.
Welche Bedeutung die Grundsatzentscheidung des
BVerfG zum Leistungsrecht nach dem AsylbLG vom 18. 7. 201240
hierbei einnimmt und ob die einfachgesetzlichen Vorgaben der
medizinischen Versorgung auf niedrigem Niveau nach §§ 4, 6
Abs. 1 AsylbLG für Ausländer in Deutschland ohne rechtlich aner-
kannte Bleibeperspektive mit dem Grundgesetz vereinbar sind,
wird in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich bewertet.
Wohl überwiegend wird vertreten, dass die eingeschränkte medi-
zinische Versorgung nach §§ 4, 6 Abs. 1 AsylbLG keinen durch-
greifenden verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet41, sie aber
an die „Grenze des verfassungsrechtlich noch Vertretbaren“
stößt42. Umstritten ist insoweit, ob auch die Regelungen für die
medizinische Versorgung an den prozeduralen Vorgaben des
BVerfG zur Bemessung von existenzsichernden Leistungen zu
messen sind43. Eine leistungsrechtliche Angleichung an das Recht
der GKV soll danach bei einer Widerlegung eines bloßen Kurzauf-
enthalts in Deutschland (von bis zu zwei Jahren) geboten sein
(siehe dazu unter III. 2. b)).
III. Behandlungsanspruch bei psychischen
Erkrankungen nach §§ 4, 6 AsylbLG
1. § 4 AsylbLG
a) Akute Erkrankung
Unter dem im Gesetz nicht definierten Begriff der akuten Erkran-
kung ist eine plötzlich auftretende, schnell und heftig verlaufende
Erkrankung zu verstehen44. Damit ist die Behandlung chronischer
Erkrankungen nach dieser Normalternative ausgeschlossen, es sei
denn zu der chronischen Erkrankung kommt ein akuter Krank-
heitszustand hinzu45. An dieser Unterscheidung des Gesetzes wird
kritisiert, dass eine strenge Unterscheidung zwischen chronischer
39 BSG, Urt. v. 18. 1. 2011 – B 4 AS 108/10 R, Rn. 33; vgl. etwa Eichenhofer,
ZAR 2013, 169, 174; Frerichs in Schlegel / Voelzke, jurisPK-SGB XII,
2. Aufl. 2014, § 4 AsylbLG, Rn. 22; Langer in GK-AsylbLG, § 4 Rn. 17
(Stand: 9/2017).
40 BVerfG, Urt. v. 18. 7. 2012 – 1 BvL 10/11, 1 BvL 2/11.
41 SG Landshut, Urt. v. 24. 11. 2015 – S 11 AY 11/14, Rn. 41 ff.; Langer in
Hohm, GK-AsylbLG, (Stand: 9/2017), § 4 Rn. 16, 17,; Adolph in Linhart /
Adolph, SGB II/SGB XII/AsylbLG, (Stand: 10/2017), § 4 Rn. 7; Wahrendorf in
Wahrendorf, AsylbLG, 1. Aufl. 2017, § 4 Rn. 2; krit. aber Kaltenborn,
NZS 2015, 161 ff.; Frerichs in Schlegel / Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl.
2014, § 4 AsylbLG, Rn. 24; Deibel, ZFSH/SGB 2012, 582.
42 So zu Recht Wahrendorf in Wahrendorf, AsylbLG, 1. Aufl. 2017, § 4 Rn. 1.
43 So Eichenhofer, ZAR 2013, 174; Frerichs in Schlegel / Voelzke,
jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 4 AsylbLG, Rn. 22 ff.; a. A. wohl Wahren-
dorf in Wahrendorf, AsylbLG, 1. Aufl. 2017, § 4 Rn. 6.
44 LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 6. 5. 2013 – L 20 AY 145/11, Rn. 52;
Wahrendorf in Wahrendorf, AsylbLG, 1. Aufl. 2016, § 4 Rn. 26; Langer in
Hohm, GK-AsylbLG (Stand: 9/2017), § 4 Rn. 24 und Frerichs in Schlegel /
Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 4 AsylbLG, Rn. 38 jeweils unter
Verweis auf den Pschyrembel; siehe auch: Kaltenborn, NZS 2015, 161, 162.
45 Allgemein: Kaltenborn, NZS 2015, 161, 162; in Bezug auf die zusätzliche
Erkrankung: Wahrendorf in Wahrendorf, AsylbLG, 1. Aufl. 2016, § 4
Rn. 27; Langer in Hohm, GK-AsylbLG (Stand: 9/2017), § 4 Rn. 26; siehe
dazu auch: OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 28. 1. 2004 –
1 O 5/04, Rn. 8; im Ausnahmefall auch eine Behandlung der chronischen
Erkrankung: Frerichs in Schlegel / Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014,
§ 4 AsylbLG, Rn. 39;
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587013053879
Greiser / Frerichs, Ansprüche von Flüchtlingen
SGb 04.18 217
wirkungen vergleichbar sein können63. In der zitierten Entschei-
dung des OVG Lüneburg aus dem Jahr 1999 wird eine ärztliche
Stellungnahme zitiert in der es wie folgt heißt:
„Nach übereinstimmender fachlicher Meinung sind depressive
Leidenszustände in der Regel mindestens ebenso quälend und
beeinträchtigend wie erhebliche körperliche Schmerzen.“
Allerdings wurden in diesem Fall auch körperliche Schmerzen di-
agnostiziert, auch wenn diese nur eine „gewisse Rolle“ spielen
würden. Zudem hat das Gericht letztlich offen gelassen, ob
§ 4 AsylbLG eingreift. Auch in der zweiten Entscheidung hat das
Gericht Leistungen nicht zugesprochen64. Es fehlte an der Erfor-
derlichkeit der Psychotherapie.
Auch wenn die Intensität der Beeinträchtigung durch
psychische Leiden mit Schmerzzuständen vergleichbar ist, so
dürfte die Wortlautgrenze des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG über-
schritten sein, wenn psychische Leiden (bei denen keine Schmerz-
zustände diagnostiziert sind) unter die zweite Variante des § 4
Abs. 1 Satz 1 AsylbLG subsumiert werden. Einer (ggf. aus verfas-
sungsrechtlichen Gründen gebotenen) analogen Anwendung der
Vorschrift bedarf es wegen der Auffangvorschrift des § 6 AsylbLG
nicht (siehe dazu näher unter III. 2. b)).
Anders stellt sich die Problematik dar, wenn mit der psy-
chischen Erkrankung Schmerzzustände einhergehen. Ein Einfluss
psychischer Faktoren bei der Chronifizierung von Schmerzen
dürfte mittlerweile wohl unumstritten sein65. In den vergangenen
30 Jahren wurde, v. a. im Rahmen prospektiver Längsschnittstu-
dien, nachgewiesen, dass zahlreichen psychologischen und psy-
chobiologischen Mechanismen eine bedeutende Rolle im Prozess
der Chronifizierung akuter Schmerzen zukommt66. Hierzu zählen
eine depressive Stimmungslage, ungünstige Formen der emotio-
nalen, kognitiven und verhaltensbezogenen Schmerzverarbeitung
sowie chronische Stressoren im beruflichen und privaten Alltags-
leben67. Verselbstständigt sich der chronische Schmerz kann
es etwa zu einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung
(F 45.40) kommen.
Soweit eine Differenzierung noch möglich ist, ist in
einem solchen Fall allerdings vorrangig die Grunderkrankung zu
behandeln. Im Einzelfall – vor allem bei einer starken psychischen
Überlagerung – kann auch die Behandlung der die Schmerzen be-
einflussenden (oder hervorrufenden) psychischen Erkrankung ge-
boten sein.
c) Erforderlichkeit
Eine Übernahme von Psychotherapiekosten ist nur dann möglich,
wenn eine Behandlung mit Medikamenten nicht gleich erfolgsver-
sprechend ist. § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG gewährleistet nur die je-
weils erforderliche Behandlung, um akute Erkrankungen oder
Schmerzzustände zu lindern. Deshalb besteht bei gleicher Eignung
63 OVG Lüneburg, Beschl. v. 6. 7. 2004 – 12 ME 209/04; OVG Lüneburg,
Beschl. v. 22. 9. 1999 – 4 M 3551/99; zustimmend: Wahrendorf in Wahren-
dorf, AsylbLG, 1. Aufl. 2016, § 4 Rn. 29; Fasselt in Fichtner / Wenzel,
SGB XII, 4. Aufl. 2009, § 4 AsylbLG, Rn. 3; ebenso: Wendtland, ZSR 2007,
423, 434; dem folgend: Janda / Wilksch, SGb 2010, 565, 567; im Ergebnis
ebenso: Herbst, Mergler / Zink, SGB XII und AsylbLG, Band II (Stand:
9/2016), § 4 AsylbLG, Rn. 9, (aber unklar in der Einordnung).
64 OVG Lüneburg, Beschl. v. 6. 7. 2004 – 12 ME 209/04.
65 Siehe dazu etwa: Wurmthaler / Gerbershagen / Dietz / Korb / Nilges / Schillig,
Zeitschrift für Gesundheitspsychologie 1996, 113 ff.
66 Hasenbrink / Pfingsten, Psychologische Schmerztherapie 1999, 99; siehe zu
den einzelnen Schmerzkonzepten und der Entwicklung: Nilges / Trauen,
Verhaltenstherapie & Verhaltensmedizin 2007, 302 ff.
67 Hasenbrink / Pfingsten, Psychologische Schmerztherapie 1999, 99.
störung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten
Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind
nicht selten55. Bei akuter Suizidalität ist die Einordnung wieder
eindeutig, in diesem Fall liegt eine akute Erkrankung vor.
Im Übrigen dürfte grundsätzlich keine akute Erkrankung
i. S. d. § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG vorliegen56. Dabei kann darauf
zurückgegriffenen werden, dass die ICD neben der posttraumati-
schen Belastungsreaktion die akute Belastungsreaktion (ICD 43.0)
als Erkrankung erfasst. Hierunter wird eine vorübergehende
Störung verstanden, die sich bei einem psychisch nicht manifest
gestörten Menschen als Reaktion auf eine außergewöhnliche phy-
sische oder psychische Belastung entwickelt, und die im Allgemei-
nen innerhalb von Stunden oder Tagen abklingt57. Eine Einord-
nung der PTBS als akute Erkrankung dürfte sich auch nicht aus
einer früher abweichenden Einteilung der Erkrankung im ameri-
kanischen Raum ergeben. Das hier vorherrschende Diagnostic and
Statistical Manual of Mental Disorders (DSM) unterteilte die Post-
traumatische Belastungsstörung zwar in seiner IV. Revision in eine
akute und eine chronische Form (wobei sich die akute Form auf
die ersten drei Monate nach Auftreten der Erkrankung bezog)58,
diese Unterscheidung wurde in der V. Revision jedoch aufgege-
ben59.
Auch wenn die PTBS grundsätzlich eine chronisch ver-
laufende Krankheit darstellt, ist es allerdings möglich, dass akute
Zustände eintreten, die dann unter § 4 AsylbLG fallen60. In einer
solchen akuten Phase besteht dann grundsätzlich ein Anspruch
auf Psychotherapie.
b) Schmerzzustände
Schmerzzustände werden auch bei chronischen Erkrankungen be-
handelt, da sich das „akut“ im Wortlaut des § 4 Abs. 1 AsylbLG nur
auf „Erkrankung“ und nicht auf „Schmerzzustände“ bezieht61. Un-
ter Rückgriff auf die medizinische Terminologie ist unter einem
Schmerzzustand i. S. d. § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG ein mit einer ak-
tuellen oder potenziellen Gewebsschädigung verknüpfter unange-
nehmer Sinnes- und Gefühlszustand zu verstehen, der aus medizi-
nischen Gründen der ärztlichen oder zahnärztlichen Behandlung
bedarf62.
In Rechtsprechung und Lehre ist es anerkannt, dass de-
pressive Leiden mit Schmerzzuständen in der Intensität der Aus-
55 ICD 10: F 43.1.
56 So ohne Differenzierung: SG Landshut, Urt. v. 24. 11. 2015 – S 11 AY
11/14, Rn. 35; grundsätzlich ebenfalls: Wendtland, ZSR 2007, 423, 434;
Herbst in Mergler / Zink, SGB XII und AsylbLG, Band II (Stand: 9/2016),
§ 4 AsylbLG, Rn. 9.
57 ICD 10: F 43.0; im Einzelfall kann das Abklingen auch Wochen in An-
spruch nehmen.
58 Siehe dazu auch: Koch / Winter, Zeitschrift für Politische Psychologie 2000,
453, 465 f.
59 Siehe dazu: Pai / Suris / North, Posttraumatic Stress Disorder in the DSM-5:
Controversy, Change, and Conceptual Considerations, abrufbar unter:
https://www.ncbi.nlm.
60 Wendtland, ZSR 2007, 423, 434; zur akuten Verschlechterung siehe eben-
falls: Janda / Wilksch, SGb 2010, 565, 567; zu „akuten Leidenszuständen“
während einer PTBS: Herbst in Mergler / Zink, SGB XII und AsylbLG,
Band II (Stand: 9/2016), § 4 AsylbLG, Rn. 9, (allerdings unter Rückgriff
auf Gleichsetzung mit Schmerzzuständen).
61 H. M. Langer in Hohm, GK-AsylbLG (Stand: 9/2017), § 4 Rn. 30 (Stand:
3/2016); Wahrendorf in Wahrendorf, AsylbLG, 1. Aufl. 2016, § 4 Rn. 29;
Hohm in Schellhorn / Hohm / Scheider, SGB XII, 19. Aufl. 2015, § 4 AsylbLG,
Rn. 6; Frerichs in Schlegel / Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 4
AsylbLG, Rn. 43.
62 Hohm in Schellhorn / Hohm / Scheider, SGB XII, 19. Aufl. 2015, § 4 AsylbLG,
Rn. 6; Wahrendorf in Wahrendorf, AsylbLG, 1. Aufl. 2016, § 4 Rn. 29;
Frerichs in Schlegel / Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 4 AsylbLG,
Rn. 42 unter Rückgriff auf die medizinische Definition im Pschyrembel.
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218 SGb 04.18
Greiser / Frerichs, Ansprüche von Flüchtlingen
sprechenden Auslegung des § 4 Abs. 1 AsylbLG75 steht methodisch
entgegen, dass der Inhalt der Norm im Sinne einer Not- bzw.
Akutversorgung nach deren Wortlaut, Entstehungsgeschichte und
Sinn und Zweck eindeutig ist.
bb) Verfassungsrecht
Die Reichweite des Gewährleistungsgehalts des Art. 1 Abs. 1 GG
i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG auf die medizinische Versorgung von
Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG ist in Rechtsprechung
und Literatur noch ungeklärt. Nach der wohl überwiegend vertre-
tenen Auffassung soll die Versorgung nach §§ 4, 6 Abs. 1 AsylbLG
mit der Verfassung vereinbar sein, weil die zu gewährenden Ge-
sundheitsleistungen stets grundrechtlich gebotenen Mindestvor-
aussetzungen entsprechen müssten76, wobei unausgesprochen
bleibt, welcher „Mindestgehalt“ insoweit aus der Verfassung er-
wächst77. Justiziabel kann dies allein nach den Vorgaben des
BVerfG zur Konkretisierung des grundrechtlich fundierten An-
spruchs auf Leistungen zur Gewährleistung eines menschenwürdi-
gen Existenzminimums beantwortet werden. Danach sind diese
Leistungen folgerichtig in einem inhaltlich transparenten und
sachgerechten Verfahren nach dem tatsächlichen und jeweils ak-
tuellen Bedarf, also realitätsgerecht zu bemessen78. Eine unter-
schiedliche Sicherstellung des Existenzminimums verschiedener
Personengruppen setzt danach die Feststellung eines signifikant
von dem anderer Bedürftiger abweichenden Bedarfs an existenz-
notwendigen Leistungen in einem transparenten und nachvoll-
ziehbaren Verfahren voraus, wobei migrationspolitische oder gar
fiskalische Erwägungen unbeachtlich sind79.
Hintergrund der medizinischen Not- bzw. Akutversor-
gung nach § 4 Abs. 1 AsylbLG ist (auch), dass „nicht eindeutig in-
dizierte Behandlungen oder solche langfristiger Natur“ während
des voraussichtlichen Aufenthalts in Deutschland nicht abge-
schlossen werden können80. Die Begrenzung der Gesundheitsleis-
tungen für Personen mit einem bloß vorübergehenden Aufenthalt
im Bundesgebiet kann aus diesem Grund innerhalb des gesetzge-
berischen Gestaltungsspielraums zur Ausgestaltung des men-
schenwürdigen Existenzminimums liegen81. Im Falle einer leis-
tungsrechtlichen Angleichung an das Niveau der Sozialhilfe mit
einer Versorgung auf dem Niveau der GKV
82 gemäß § 2
Abs. 1 AsylbLG bewegt sich eine eingeschränkte medizinische
Versorgung nach §§ 4, 6 Abs. 1 AsylbLG über einen Zeitraum von
fünfzehn Monaten (vgl. § 2 Abs. 1 AsylbLG) wohl in einem vertret-
baren Rahmen83.
Allerdings ist eine dauerhafte medizinische Versorgung
nach §§ 4, 6 Abs. 1 AsylbLG nach den prozeduralen Vorgaben des
BVerfG sehr problematisch. Die Annahme, dass sich der Bedarf an
Gesundheitsleistungen von Leistungsberechtigten nach dem
AsylbLG bei einem längerfristigen Aufenthalt in Deutschland sig-
75 So Langer in GK-AsylbLG (Stand: 9/2017), § 4 Rn. 18.
76 So etwa Adolph in Linhart / Adolph, SGB II/SGB XII/AsylbLG
(Stand: 10/2017), § 4 Rn. 7; Langer in GK-AsylbLG (Stand: 9/2017), § 4
Rn. 17; ähnlich Deibel in GK-AsylbLG (Stand: 9/2017), § 6 Rn. 143.
77 Vgl. zum Schutzgehalt u. a. BSG, Urt. v. 22. 4. 2008 – B 1 KR 10/07 R;
BSG, Urt. v. 18. 1. 2011 – B 4 AS 108/10 R; BSG, Urt. v. 6. 3. 2012 –
B 1 KR 24/10 R.
78 BVerfG, Urt. v. 18. 7. 2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11, Rn. 69 ff.; BVerfG,
Urt. v. 9. 2. 2010 – 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09, Rn. 139.
79 Vgl. BVerfG, Urt. v. 18. 7. 2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11, Rn. 73, 94, 95;
a. A. SG Landshut, Urt. v. 24. 11. 2015 – S 11 AY 11/14, Rn. 42.
80 BT-Drucks. 12/4451, S. 9.
81 Vgl. zu diesem Gestaltungsspielraum BVerfG, Urt. v. 9. 2. 2010 –
1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09, Rn. 138.
82 Vgl. § 264 Abs. 2 SGB V.
83 Vgl. auch Wahrendorf in Wahrendorf, AsylbLG, 1. Aufl. 2017, § 4 Rn. 5.
kein Anspruch auf eine teurere Behandlung68. Erforderlich bedeu-
tet hingegen nicht, dass es sich immer um eine kurative Maß-
nahme zur vollständigen Heilung handeln muss69.
Damit ist vor der Übernahme von Kosten von Psycho-
therapie jeweils zu prüfen, ob die Erkrankung mit Psychophar-
maka ebenso gut behandelt werden kann. Bei Schmerzzuständen
ist zudem zu prüfen, ob eine Behandlung mit Analgetika gleich
effektiv ist. Allerdings scheitert eine Behandlung nicht an der Er-
forderlichkeit, wenn die medikamentöse Behandlung weniger er-
folgsversprechend ist. Die Auswahl im Rahmen der Erforderlich-
keitsprüfung erfolgt nur zwischen gleich geeigneten Mitteln70. § 4
Abs. 1 Satz 1 AsylbLG sieht gerade keine Angemessenheitsprüfung
vor71.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass das
Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V auch im AsylbLG gilt72.
Hieraus ergibt sich auch im Krankenversicherungsrecht etwa im
Bereich der Versorgung mit Hilfsmitteln zum unmittelbaren Be-
hinderungsausgleich grundsätzlich keine über die Erforderlich-
keitsprüfung hinausgehende Einschränkung73. Hiermit ist die hier
vorliegende Erforderlichkeitsprüfung vergleichbar. Wegen des oh-
nehin begrenzten Spektrums der Leistungsgewährung bei Krank-
heit im Rahmen des AsylbLG führt das Wirtschaftlichkeitsgebot
nicht zu der Möglichkeit, den Leistungsbezieher auf weniger ge-
eignete Maßnahmen zu verweisen.
d) Vereinbarkeit mit Unions- und Verfassungsrecht
aa) Unionsrecht
Die von der Europäischen Union erlassenen Richtlinien über sozi-
ale Mindeststandards für Asylsuchende und Flüchtlinge sehen im
Hinblick auf Gesundheitsleistungen grundsätzlich (nur) eine me-
dizinische Notversorgung vor. So gibt die Richtlinie Aufnahmebe-
dingungen in Art. 19 Abs. 1 EURL 2013/33 grundsätzlich nur die
„unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten und
schweren psychischen Störungen“ vor, ein Leistungsniveau, das
durch die medizinische Versorgung nach §§ 4, 6 AsylbLG sicher-
gestellt ist74. Problematischer ist hingegen die fehlende Umset-
zung der Vorgaben für die Versorgung von Asylbewerbern mit
besonderen Bedürfnissen nach Art. 19 Abs. 2 EURL 2013/3344,
nach dem diesen Personen „die erforderliche medizinische oder
sonstige Hilfe, einschließlich erforderlichenfalls einer geeigneten
psychologischen Betreuung“ zu gewähren ist. Insoweit kann
im Einzelfall eine richtlinienkonforme Auslegung § 6 Abs. 1
Satz 1 AsylbLG geboten sein (siehe dazu unter III. 2. d)). Einer ent-
68 OVG Lüneburg, Beschl. v. 6. 7. 2004 – 12 ME 209/04; SG Düsseldorf,
Urt. v. 17. 5. 2011 – S 42 (19, 44, 7) AY 2/05, Rn. 38; siehe zu diesem
Rechtsgedanken auch die Rechtsprechung des BSG zur Hilfsmittelversor-
gung im SGB V: BSG, Urt. v. 30. 9. 2015 – B 3 KR 14/14 R, Rn. 18 mit wei-
teren Nachweisen aus der Rechtsprechung.
69 SG Düsseldorf, Urt. v. 17. 5. 2011 – S 42 AY 2/05, Rn. 38.
70 Siehe dazu die Rechtsprechung des BSG zu Hilfsmitteln beim unmittelba-
ren Behinderungsausgleich, etwa: BSG, Urt. v. 21. 3. 2013 – B 3 KR 3/12 R,
Rn. 12.
71 Unklar insoweit: Hohm in Schellhorn / Hohm / Scheider, SGB XII, 19. Aufl.
2015, § 4 AsylbLG, Rn. 6: Erforderlichkeit als Bindeglied zwischen der In-
tensität der Erkrankung und der Möglichkeit der Veränderung.
72 Siehe zur Geltung des Wirtschaftlichkeitsgebots im AsylbLG: Hohm in
Schellhorn / Hohm / Scheider, SGB XII, 19. Aufl. 2015, § 4 AsylbLG, Rn. 8;
Frerichs in Schlegel / Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 4 AsylbLG,
Rn. 45.
73 BSG, Urt. v. 21. 3. 2013 – B 3 KR 3/12 R, Rn. 12.
74 Vgl. Bericht der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament
über die Anwendung der EGRL 2003/9 vom 26.11.2007, KOM(2007)745,
S. 8; a. A. Janda, ZAR 2013, 175, 181; krit. auch Kaltenborn, NZS 2015,
161, 164.
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587013053879
Greiser / Frerichs, Ansprüche von Flüchtlingen
SGb 04.18 219
nifikant von dem anderer Bedürftiger unterscheidet, entbehrt je-
der Grundlage (siehe dazu auch unter III. 2. b)). Die von der re-
gulären medizinischen Versorgung nach dem Recht der GKV
abweichenden Vorgaben aus §§ 4, 6 Abs. 1 AsylbLG können auch
nicht damit gerechtfertigt werden, dass entsprechend § 4
Abs. 1 AsylbLG eingeschränkte Leistungen84 auch im Falle eines
abgemahnten Rückstands von Krankenversicherungsbeiträgen
nach § 16 Abs. 3a Satz 2 SGB V oder § 178a Abs. 8 Satz 6 VVG vor-
gesehen sind85. Dieses Leistungsniveau gilt ausdrücklich nicht im
Falle von Bedürftigkeit (vgl. § 16 Abs. 3a Satz 4 SGB V und § 178a
Abs. 8 Satz 5 VVG), weil es ansonsten zu nicht zumutbaren, ver-
fassungsrechtlich nicht hinnehmbaren Belastungen der Betroffe-
nen führen würde86. Die Möglichkeit der eingeschränkten Leis-
tungsgewährung bei Beitragsrückständen kann deshalb für eine
abweichende Bedarfsbemessung in einem eigenständigen Siche-
rungssystem nicht als Rechtfertigung herangezogen werden.
Einem längeren Aufenthalt von Leistungsberechtigten
nach dem AsylbLG ist aus methodischen Gründen (siehe dazu be-
reits unter III. 1. d) aa)) durch eine verfassungskonforme Ausle-
gung des § 6 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG zu begegnen, auf die noch
zurückzukommen sein wird (siehe dazu unter III. 2. b)).
2. § 6 AsylbLG
a) Gesundheitsleistungen nach § 6 Abs. 1 AsylbLG
Nach dieser Vorschrift können sonstige Leistungen u. a. gewährt
werden, wenn sie im Einzelfall zur Sicherung der Gesundheit un-
erlässlich sind. Sie betrifft regelmäßig die über den Leistungsum-
fang nach § 4 Abs. 1 AsylbLG (Akutversorgung) hinausgehende
medizinische Versorgung des Leistungsberechtigten, insbesondere
wegen chronischer Erkrankungen. Nach der Wertung aus § 4
Abs. 1 AsylbLG und dem gesetzgeberischen Willen, allein eine
medizinische Notversorgung zu gewährleisten87, kommt ein ent-
sprechender Leistungsanspruch jedenfalls in den ersten fünfzehn
Monaten in Deutschland nur im Ausnahmefall in Betracht (siehe
hierzu schon III. 1. d)).
Die Beurteilung, ob medizinische Leistungen unerläss-
lich i. S. d. § 6 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. AsylbLG sind, ist im konkreten
Einzelfall vorzunehmen. Es gibt – wie bei § 4 AsylbLG – keine
Empfehlungen und keinen Leistungskatalog. Die Praxis ist inso-
weit (was die Unbestimmheit angeht) in besonderer Weise von
einer Kasuistik geprägt88, die Zweifel an der Bestimmtheit der
Norm zulassen89. Das BVerfG setzt insoweit aber hohe Anforde-
rungen. Es muss erkennbar sein, dass eine ausreichende Konkreti-
sierung des Regelungsgehalts der Vorschrift im Wege der juristi-
schen Auslegungsmethode nicht möglich ist90. Zumindest nach
der Rechtsprechung des BSG zu dem Begriff des „unabweisbar
Gebotenen“ i. S. d. § 1a AsylbLG91 dürften die verfassungsrechtli-
chen Bedenken wegen der (mangelnden) Bestimmtheit der Norm
wohl nicht durchgreifen.
84 Vgl. Bericht des Ausschusses für Gesundheit vom 1. 2. 2007 zu dem
GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz, BT-Drucks. 16/4247, S. 31, 68.
85 So aber SG Landshut, Urt. v. 24. 11. 2015 – S 11 AY 11/14, Rn. 42.
86 BSG, Urt. v. 8. 3. 2016 – B 1 KR 31/15 R, Rn. 13.
87 BT-Drucks. 12/4451, S. 9; BT-Drucks. 12/5008, S. 14.
88 Vgl. nur die Einzelfälle bei Deibel in GK-AsylbLG (Stand: 9/2017), § 6
Rn. 152–185.
89 Zum Bestimmtheitsgebot im Sozialrecht vgl. Köhler, VSSR 2009, 61, 71 f.
m. w. N.
90 BVerfG, Beschl. v. 6. 10. 2017 – 1 BvL 2/15, 1 BvL 5/15, Rn. 14.
91 BSG, Urt. v. 12. 5. 2017 – B 7 AY 1/16 R, Rn. 35, 36: „Dabei ist der Begriff
des unabweisbar Gebotenen aus sich heraus verständlich und der Aus-
legung und Kontrolle durch die Gerichte zugänglich.“
Gleichwohl wird nicht viel Rechtsklarheit gewonnen, wenn mit
Blick auf die Sicherstellung eines menschenwürdigen Existenzmi-
nimums auf Synonyme wie „unumgänglich“, „unverzichtbar“,
„unabweisbar“ oder „nicht unbedingt erforderlich“ zurückgegrif-
fen wird92. Im Einzelfall sind für die Beurteilung, welche medizini-
schen Leistungen „unerlässlich“ i. S. d. § 6 Abs. 1 Satz 1 2. Alt.
AsylbLG sind, vielmehr Kriterien93 miteinzubeziehen, wie etwa
♦ das Ausmaß und die Intensität der Erkrankung,
♦ drohende Gesundheitsfolgen bei Ablehnung der Behandlung,
♦ die bisherige und voraussichtliche Aufenthaltsdauer des Aus-
länders in Deutschland,
♦ ggf. eine zeitnah eintretende Leistungsprivilegierung
(z. B. nach § 2 Abs. 1 AsylbLG),
♦ und die Frage nach gleichwertigen, kostengünstigeren Be-
handlungsalternativen.
Hier ist bei depressiven Erkrankungen, was die Intensität der Er-
krankung angeht, ein Rückgriff auf die oben dargestellte Dreitei-
lung (leichtgradig / mittelgradig / schwergradig) möglich.
Neben dem konkreten medizinischen Sachverhalt ist die
bisherige und voraussichtliche Aufenthaltsdauer des Ausländers
in Deutschland von entscheidender Bedeutung. Steht eine Auf-
enthaltsbeendigung unmittelbar bevor oder kann die begehrte
Behandlung während des voraussichtlichen Aufenthalts in
Deutschland nicht abgeschlossen werden, scheidet eine Leistungs-
gewährung – dies gilt in besonderer Weise für die Psychothera-
pie – in aller Regel aus94.
b) Verfassungskonforme Auslegung des § 6 Abs. 1 AsylbLG
Wie bereits oben (siehe unter III. 1. d) bb)) dargelegt, begegnet eine
dauerhafte medizinische Versorgung nach §§ 4, 6 AsylbLG nach
den prozeduralen Vorgaben des BVerfG durchgreifenden verfas-
sungsrechtlichen Bedenken. Hiervon betroffen sind Personen, die
ihre Aufenthaltsdauer in Deutschland i. S. d. § 2 Abs. 1 AsylbLG
rechtsmissbräuchlich beeinflusst haben, z. B. durch eine Identi-
tätstäuschung oder mangelnde Mitwirkung bei der Passbeschaf-
fung95. Nach der Rechtsprechung des BSG sind diese Personen von
der leistungsrechtlichen Angleichung auf das Niveau der Sozial-
hilfe dauerhaft ausgeschlossen96. Aus einem rechtsmissbräuchli-
chen Verhalten i. S. d. § 2 Abs. 1 AsylbLG lässt sich aber nicht ab-
leiten, dass der Bedarf dieser Personen an Gesundheitsleistungen
(typisierend) von demjenigen anderer Bedürftiger signifikant ab-
weicht. Für den Ausschluss ist es unerheblich, ob das rechtsmiss-
bräuchliche Verhalten aktuell andauert; es kann weit in der Ver-
gangenheit liegen, evtl. sogar vor der Einreise in das Bundesgebiet
(z. B. Vernichtung von Pässen)97. Aus diesem Grund ist die An-
92 Vgl. etwa LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 11. 1. 2007 – L 7 AY 6025/06
PKH-B, Rn. 6; LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 19. 5. 2014 – L 20 AY
90/13, Rn. 40; Wahrendorf in Wahrendorf, AsylbLG, 1. Aufl. 2017, § 2
Rn. 18; Deibel in GK-AsylbLG (Stand: 9/2017), § 6 Rn. 145.
93 Vgl. dazu Frerichs in Schlegel / Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014,
§ 6 Rn. 41 und 64.
94 Vgl. nur BT-Drucks. 12/4451, S. 9; LSG Baden-Württemberg, Beschl.
v. 11. 1. 2007 – L 7 AY 6025/06 PKH-B, Rn. 5; LSG Nordrhein-Westfalen,
Urt. v. 6. 5. 2013 – L 20 AY 145/11, Rn. 67.
95 Grundlegend zum Rechtsmissbrauch i. S. d. § 2 AsylbLG: BSG, Urt. v.
17. 6. 2008 – B 8/9b AY 1/07 R.
96 BSG, Urt. v. 17. 6. 2008 – B 8/9b AY 1/07 R, Rn. 41, 46, 48; in der Literatur
mehren sich aber die Stimmen, dass der Ausschluss im Einzelfall aus Ver-
hältnismäßigkeitsgründen nicht dauerhaft gelten soll, so Oppermann in
Schlegel / Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 2 AsylbLG, 1. Überar-
beitung Rn. 86; Wahrendorf in Wahrendorf, AsylbLG, 1. Aufl. 2017, § 2
Rn. 33; Deibel in GK-AsylbLG (Stand: 9/2017), § 2 Rn. 135 ff.
97 BSG, Urt. v. 17. 6. 2008 – B 8/9b AY 1/07 R, Rn. 40, 41.
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220 SGb 04.18
Greiser / Frerichs, Ansprüche von Flüchtlingen
c) Privilegierte Versorgung nach § 6 Abs. 2 AsylbLG
§ 6 Abs. 2 AsylbLG dient allein der Umsetzung der Massenzu-
stromrichtlinie, insb. von Art. 13 Abs. 4 EGRL 2001/55, und sieht
eine über den Leistungsumfang der §§ 4, 6 Abs. 1 AsylbLG hinaus-
gehende Versorgung für Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach
§ 24 Abs. 1 AufenthG vor. Die privilegierte Versorgung gilt aller-
dings nur für Personen mit besonderen Bedürfnissen, wie unbe-
gleitete Minderjährige oder Personen, die Folter, Vergewaltigung
oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexu-
eller Gewalt erlitten haben.
Die Leistungen für diesen Personenkreis erstrecken sich
auf die erforderlichen medizinischen oder sonstigen Hilfen und
betreffen insbesondere die medizinische Behandlung von physi-
schen und psychischen Langzeitfolgen einer Verfolgung, die sich
nicht bereits als akute Erkrankung oder akuter Schmerzzustand
äußern105, also grundsätzlich auch eine Psychotherapie.
Seit Einführung der Vorschrift im Jahr 2005106 und Be-
richtigung im Jahr 2010107 hat sie für ihren unmittelbaren Anwen-
dungsbereich keine praktische Relevanz. Eine Aufnahme von
Flüchtlingen aufgrund der Massenzustromrichtlinie hat bislang
nicht stattgefunden.
d) Richtlinienkonforme Auslegung für Asylsuchende mit
besonderen Bedürfnissen
Seit Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie Aufnahmebedin-
gungen zum 21. 7. 2015 wird nach der h.M. eine richtlinienkon-
forme Auslegung des § 6 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG befürwortet108,
nach der Asylsuchenden mit besonderen Bedürfnissen die nach
Art. 19 Abs. 2 EURL 2013/33 vorgesehene medizinische Versor-
gung zukommt, also die Gewährung der erforderlichen medizini-
schen oder sonstiger Hilfe, einschließlich erforderliche und geeig-
nete psychologische Betreuung. Die Leistungsmaßstäbe des § 6
Abs. 2 AsylbLG (Anspruch auf erforderliche medizinische und
sonstige Hilfe) gelten damit für diesen Personenkreis entspre-
chend109.
IV. Dolmetscherkosten
Dolmetscherkosten stellen nach der Rechtsprechung des BSG
keine Leistung der GKV dar110 . Für Geflüchtete kommt eine Über-
nahme dieser Kosten aber dennoch in Betracht. Für die ersten
15 Monate des Aufenthalts ist dabei ein Rückgriff auf § 6 Abs. 1
Satz 1 Alt. 2 AsylbLG möglich111. Notwendig für eine Übernahme
105 Vgl. BT-Drucks. 15/4173, S. 28.
106 BGBl. I 2005, S. 721, 726 f.
107 BGBl. I 2010, S. 1358.
108 Wahrendorf in Wahrendorf, AsylbLG, 1. Aufl. 2017, § 4 Rn. 1; Herbst
in Mergler / Zink, SGB XII / AsylbLG, (Stand: 7/2017), § 6 AsylbLG, Rn. 31;
vgl. auch Frerichs in Schlegel / Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014,
§ 6 AsylbLG, Rn. 25 m. w. N.; so auch der Standpunkt der Bundesregie-
rung in BT-Drucks. 18/7831, S. 5 und BT-Drucks. 18/9009, S. 3; im Er-
gebnis ebenso im Wege einer direkten Anwendung des Art. 19 Abs. 2
EURL 2013/33 Kanalen, VSSR 2016, 161, 188 ff., 191 ff.; a. A. SG Lands-
hut, Urt. v. 24. 11. 2015 – S 11 AY 11/14, Rn. 47 (zu Art. 15 Abs. 2, 17
Abs. 1 EGRL 2003/9).
109 So auch Herbst in Mergler / Zink, SGB XII/AsylbLG (Stand: 7/2017), § 6
AsylbLG, Rn. 31.
110 BSG, Urt. v. 10. 5. 1995 – 1 RK 20/94.
111 Falk, RP-Reha 2017, 30, 35; Böhmig, NDV 2017, 9, 12; Schwarz, KH
2015, 1168, 1170; unter Rückgriff auf §§ 4, 6 AsylbLG: Steffen in Mün-
chener Anwaltshandbuch Sozialrecht, 5. Aufl. 2018, § 36 Rn. 26; unter
Rückgriff auf § 4 AsylbLG: Hohm in Schellhorn / Hohm / Scheider, SGB XII,
19. Aufl. 2015, § 4 AsylbLG, Rn. 14, 15; Deibel in GK-AsylbLG
(Stand 9/2017), § 6 Rn. 180; Langer in GK-AsylbLG (Stand: 9/2017),
§ 4 Rn. 88–91.
nahme nicht gerechtfertigt, die Betroffenen würden sich nur vorü-
bergehend in Deutschland aufhalten – das Gegenteil ist oft der
Fall – oder deren Aufenthaltsbeendigung stehe unmittelbar bevor.
Erweist sich jedoch die Prognose eines nur vorüberge-
henden Aufenthalts des Ausländers in Deutschland auf Grundlage
des Aufenthaltsstatus als falsch, ist es nach der Rechtsprechung
des BVerfG nicht mehr gerechtfertigt, von einem nur kurzen Auf-
enthalt mit möglicherweise spezifisch niedrigem Bedarf auszuge-
hen98. Bei einer Widerlegung eines Kurzaufenthalts aufgrund der
faktischen Verhältnisse ist eine verfassungskonforme Auslegung
des § 6 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG – nach anderer Ansicht des § 4
Abs. 1 AsylbLG99 – geboten, nach der das Niveau der Gesundheits-
leistungen nach §§ 4, 6 AsylbLG grundsätzlich dem Recht der GKV
nach dem SGB V entspricht (vgl. auch die §§ 47-52 SGB XII)10 0.
Dies kann mit Rücksicht auf die Frist in § 2 Abs. 1 AsylbLG nach
einem Aufenthalt im Bundesgebiet von 15 Monaten unterstellt
werden101. Dabei kann wegen der existenziellen Bedeutung der
Gesundheit nicht darauf abgestellt werden darf, ob der Verbleib in
Deutschland der Sphäre des Betroffenen zuzuschreiben ist, weil er
etwa ein Abschiebungshindernis selbst zu vertreten hat oder die
freiwillige Rückkehr in sein Heimatland verweigert102. Diesen sub-
jektiven Kriterien wird bereits durch Leistungseinschränkungen
nach § 1a AsylbLG – mit einer auf Rechtsfolgenseite ggf. einge-
schränkten medizinischen Versorgung103 – und die Gewährung
von sog. Analog-Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG hinreichend
Rechnung getragen. Nur in Ausnahmefällen kann eine fehlende
Aufenthaltsperspektive in die Leistungsentscheidung miteinbezo-
gen werden, etwa wenn eine Abschiebung unmittelbar bevorsteht
und aus diesem Grund eine Therapie nicht mehr abgeschlossen
werden kann.
Einer verfassungskonformen Auslegung des § 6 Abs. 1
Satz 1 AsylbLG in diesem Sinne steht die Rechtsprechung des
BVerfG, nach der diese Norm als Ausnahmebestimung für den
atypischen Bedarfsfall nicht geeignet ist, strukturelle Leistungsde-
fizite zu kompensieren104, nicht generell entgegen. Diese Recht-
sprechung bezieht sich in erster Linie auf die Höhe pauschalierter
Geldleistungen im Regelungsbereich des § 3 AsylbLG und ist auf
die stets einzelfallbezogene medizinische Versorgung nach §§ 4,
6 AsylbLG nicht ohne Weiteres zu übertragen.
98 BVerfG, Urt. v. 18. 7. 2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11, Rn. 93.
99 Deibel, Sozialrecht aktuell 2013, 103, 105; Deibel, ZFSH/SGB 2012, 582,
585.
100 A. A. SG Landshut, Urt. v. 24. 11. 2015 – S 11 AY 11/14, Rn. 41 ff.
101 Vgl. auch Frerichs in Schlegel / Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014,
§ 4 Rn. 24 (dort noch mit einer Frist von 24 Monaten nach der im ersten
Referentenentwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des AsylbLG vor-
gesehenen, aber nicht Gesetz gewordenen Aufenthaltsdauer i. S. d. § 2
Abs. 1 AsylbLG).
102 Zur freiwilligen Ausreise als (keine) zumutbare Selbsthilfe nach § 2
SGB XII vgl. BSG, Urt. v. 20. 1. 2016 – B 14 AS 35/15 R, Rn. 42.
103 Nach der Rechtsfolge des § 1a Abs. 2 AsylbLG, die aufgrund Verweisung
auch für die Tatbestände der Absätze 3 bis 5 des § 1a AsylbLG gilt, be-
steht während einer Leistungseinschränkung u. a. kein Anspruch nach § 6
AsylbLG; ob diese Leistungseinschränkungen mit dem Grundrecht auf
Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nach Art. 1
Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG zu vereinbaren ist, wird in Rechtspre-
chung und Literatur unterschiedlich beurteilt: bejahend: Bayerisches LSG,
Beschl. v. 11. 11. 2016 – L 8 AY 29/16 B ER, Rn. 52; SG Osnabrück,
Beschl. v. 25. 9. 2017 – S 44 AY 13/17 ER, Rn. 44 ff.; Hohm in
GK-AsylbLG (Stand: 3/2016), § 1a Rn. 27 ff., 33; Deibel, ZFSH/SGB 2015,
704, 710; krit. Oppermann in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 1a
AsylbLG, 2. Überarbeitung (Stand: 29. 5. 2017), Rn. 154-156; verneinend:
Brings / Oehl, ZAR 2016, 22 ff.; Frerichs in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014,
§ 5 AsylbLG, Rn. 65.3 ff.; zu § 5 Abs. 4 Satz 2 AsylbLG i. V. m. § 1a Abs. 2
AsylbLG.
104 BVerfG, Urt. v. 18. 7. 2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11, Rn. 89.
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Greiser / Frerichs, Ansprüche von Flüchtlingen
SGb 04.18 221
der Kosten ist dabei, dass die Gesundheitsleistungen ohne Sprach-
mittler nicht erbracht werden können112 , was bei nicht hinreichen-
den Sprachkenntnissen im Falle einer Psychotherapie regelmä-
ßig der Fall sein dürfte113 . Für Leistungsberechtigte nach § 2
Abs. 1 AsylbLG und nach dem SGB II und SGB XII ergibt sich die
Möglichkeit der Übernahme der Kosten aus § 73 SGB XII (Hilfe in
sonstigen Lebenslagen)114 . Eine Kostenerstattung aus § 48 SGB XII
(Hilfe bei Krankheit) ist nicht möglich, da dieser Anspruch nicht
weiter geht, als der Anspruch aus der GKV115.
V. Zusammenfassung
Der Behandlung psychischer Erkrankungen Geflüchteter kommt
in der Praxis (schon) wegen der überrepräsentativen Betroffenheit
dieser Personengruppe eine besondere Bedeutung zu. Die nur ein-
geschränkte medizinische Versorgung nach §§ 4, 6 AsylbLG in den
ersten 15 Monaten des Aufenthalts in Deutschland ist wegen
der (noch) ungewissen Aufenthaltsperspektive und der Dauer
von Psychotherapien verfassungsrechtlich vertretbar; besonders
112 Falk, RP-Reha 2017, 30, 35.
113 Eine Ausnahme liegt natürlich vor, wenn ein muttersprachlicher Leis-
tungserbringer gefunden werden kann; zum Einsatz von Dolmetschern in
der psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgung von Geflüchteten
vgl. etwa Haenel, ASUMed 2016, 836 ff.
114 SG Hildesheim, Urt. v. 1. 12. 2011 – S 34 SO 217/10, Rn. 18; Böhmig,
NDV 2017, 9, 12; Schwarz, KH 2015, 1168, 1171; ähnlich: Falk, RP-Reha
2017, 30, 34 unter Rückgriff auf Verfassungs- und Unionsrecht.
115 SG Hildesheim, Urt. v. 1. 12. 2011 – S 34 SO 217/10, Rn. 18; a. A. zur Vor-
gängervorschrift im BSHG: BVerwG, Urt. v. 25. 1. 1996 – 5 C 20/95.
schutzbedürftige Asylsuchende, etwa mit psychischen Störungen
oder Opfer von Folter, Vergewaltigung oder sonstigen schweren
Formen von Gewalt, haben ohnehin aufgrund der EU-Richtlinie
Aufnahmebedingungen einen Anspruch auf die erforderliche und
geeignete psychologische Betreuung.
Bei einer längeren Aufenthaltsdauer richtet sich die me-
dizinische Versorgung regelmäßig nach dem Recht der GKV, ins-
besondere bei einem erfolgreichen Asylverfahren oder wegen
einer leistungsrechtlichen Angleichung auf das Niveau der Sozial-
hilfe nach § 2 Abs. 1 AsylbLG. Aber auch bei einer dauerhaften
medizinischen Versorgung nach §§ 4, 6 AsylbLG aufgrund einer
rechtsmissbräuchlichen Beeinflussung der Aufenthaltsdauer in
Deutschland i. S. d. § 2 Abs. 1 AsylbLG ist den faktischen Verhält-
nissen einer Aufenthaltsverfestigung aus verfassungsrechtlichen
Gründen Rechnung zu tragen und die medizinische Versorgung
grundsätzlich an das Niveau der GKV anzugleichen. Hiervon kann
nur im Ausnahmefall abgewichen werden, insbesondere wenn
eine Aufenthaltsbeendigung unmittelbar bevorsteht.
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