Bis zum Jahr 1998 galt im deutschen Strafrecht eine Norm zur Kindstötung. § 217 StGB a. F. lautete damals: »(1) Eine Mutter, welche ihr nichteheliches Kind in oder gleich nach der Geburt tötet, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft. (2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.« Diese Norm stellte eine Privilegierungsvorschrift im Hinblick auf § 212 StGB dar, denn die in Fällen der Tötung eines Menschen gemäß § 212 StGB verwirkte Strafe hätte nicht unter fünf Jahren Freiheitsstrafe betragen.
Eine Schwangerschaft ist, biologisch gesehen, eine Symbiose zwischen Frau und Embryo. In der Antike ging man in der Interpretation dieser Beziehung sogar so weit, den Fötus bis zur Geburt als Teil der mütterlichen Eingeweide zu sehen. Das war jedenfalls die Auffassung der berühmten römischen Rechtssammlung (Corpus Iuris Civilis), die über Jahrhunderte das Rechtsdenken und die Rechtspraxis im Abendland bestimmte. Daraus ergab sich die folgenreiche Annahme, dass das ungeborene Leben, das im Mutterleib heranwuchs, noch nicht als menschliches Wesen aufgefasst werden und damit auch keinen wie auch immer gearteten Rechtsschutz in Anspruch nehmen könne. Die extreme Auffassung des klassischen römischen Rechts wurde alsbald vom Christentum verdrängt und geriet langsam in Vergessenheit. Der Schutz des werdenden Lebens — zu welchem Zeitpunkt man auch immer die Beseelung ansetzte — schien gleichwertig und manchmal sogar noch wichtiger als die Erhaltung des Lebens oder der Gesundheit der Mutter.
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