Content uploaded by Carsten Wegscheider
Author content
All content in this area was uploaded by Carsten Wegscheider on May 25, 2020
Content may be subject to copyright.
107
Reinhard Heinisch
gemeinsam mit Carsten Wegscheider
Zum Verhältnis des Populismus zur
liberalen Demokratie
1 Einleitung
Die jüngsten Erfolge populistischer Kräfte in Europa gehen oftmals
einher mit einem Verfall der politischen Sitten und einer Verrohung
des politischen Diskurses, und die soziale und politische Polarisie-
rung bedroht zunehmend den Zusammenhalt demokratischer Ge-
sellschaften. Politische Gegner werden zu Feinden und Verrätern
des Volkes gestempelt, die es zu vernichten gilt, da sie dem wahren
Volkswillen vermeintlich widersprechen. Ein früher Vertreter dieses
Trends und ehemaliger Vorsitzender der FPÖ, Jörg Haider, sprach
von „roten und schwarzen Filzläusen, die mit Blausäure bekämpft
werden sollten“ (Lackner et al. 1994). Donald Trump rief im ameri-
kanischen Präsidentschaftswahlkampf dazu auf, seine demokratische
Gegenkandidatin Hillary Clinton einzusperren. In unserem Nach-
barland Ungarn geht die Hetze gegen Regierungskritiker sogar von
den höchsten Stellen im Staat aus. Das Jahr 2019 wird in die Ge-
schichte als jenes eingehen, in dem Ungarn als das erste und einzige
Land der Europäischen Union von der renommierten Organisation
Freedom House, welches die Freiheitsrechte weltweit dokumentiert,
als nur teilweise frei („partly free“) eingestuft wird. Die Änderung
dieses Status wird wie folgt begründet:
Hungary’s status declined from Free to Partly Free due to
sustained attacks on the country’s democratic institutions by
Prime Minister Viktor Orbán’s Fidesz party, which has used its
parliamentary supermajority to impose restrictions on or as-
sert control over the opposition, the media, religious groups,
academia, NGOs, the courts, asylum seekers, and the private
sector since 2010. (Freedom House 2019)
108
Reinhard Heinisch
Die ungarische Regierung unter Viktor Orbán geht für mitteleu-
ropäische Verhältnisse mit beispielsloser Härte nicht nur gegen
Nichtregierungsorganisationen, Medien, und wissenschaftlicher
Einrichtungen vor, sondern bedient sich gezielt antisemitischer
und fremdenfeindlicher Vorurteile, um die Bevölkerung im ei-
genen Sinn zu beeinussen. Unter der zunehmenden Hegemonie
der Partei Fidesz ist der Staat nicht mehr länger eine im Grunde
neutrale Einrichtung jenseits der Parteien, sondern längst ein Ins-
trument der Regierungspartei. Dies lässt sich etwa an den Schul-
büchern, die nun die Parteiideologie vertreten, ebenso ablesen, wie
an der Entscheidung des Regierungschefs, ein ganzes ideologisch
unliebsames Universitätsfach, Gender-Studies, einfach abzuschaen
(Oppenheim 2018). Die Macht der Regierung gründet sich auf drei
sukzessive „Verfassungsreformen“, die es der Partei Orbáns erlau-
ben, mit knapp 45 Prozent der Wählerschaft beinahe 67 Prozent
der Sitze im Parlament zu halten. Auch in Polen kam es nach der
Machtübernahme der Partei Recht- und Gerechtigkeit (PiS) zu Ver-
fassungsänderungen und in der Folge zu einem Konikt mit dem
dortigen Verfassungsgerichtshof, den die Regierung mit gefügigen
Richtern zu besetzten gedachte. Ähnliches lässt sich von Venezuela
und Bolivien berichten. Auch dort versuchten populistische Macht-
haber ihre politische Vorherrschaft durch Verfassungsänderungen zu
prolongieren. Doch Versuche konstitutionelle Schranken und recht-
liche Vorgaben auszuhebeln sind nicht nur Kennzeichen junger oder
unreifer Demokratien sondern generell dort manifest, wo Populis-
ten Machtpositionen einnahmen. Angrie auf die Rechtsstaatlich-
keit kennen wir etwa auch von Italiens Innenminister Salvini oder
selbst von seinem österreichischen Pendent, Herbert Kickl, der Teile
der in der Verfassung verankerten Menschenrechtskonvention aus-
setzen möchte. Auch Jörg Haider ist hier hinzuzuzählen, zumal sich
als Kärntener Landeshauptmann weigerte, ein Erkenntnis zu den
zweisprachigen Kärntner Ortstafeln umzusetzen und den Verfas-
sungsgerichtspräsidenten persönlich beschimpfte. Dennoch ist der
Populismus im Gegensatz zu autoritären Bestrebungen per se nicht
antidemokratisch. Populisten rufen an sich weder zur Gewalt noch
boykottieren sie demokratische Entscheidungsprozesse Im Gegenteil
sie fordern oft genug einen Ausbau der direkten Demokratie, da das
Volk quasi immer Recht habe und dessen Entscheidungen können
109
Zum Verhältnis des Populismus zur liberalen Demokratie
nicht von angewählten Institutionen, wie Gerichte oder Medien
hin terfragt oder gar beschränkt werden.
2 Der Populismusbegri
Drei unterschiedliche Populismuskonzeptionen sollten nicht ver-
wechselt werden: der Populismus als Stil (Jagers und Walgrave 2007;
Mot und Tormey 2014), der etwa den Habitus und das Sprach-
verhalten des Stammtisches bezeichnet; der Populismus als Mobili-
sierungsstrategie oder strategischer Diskus (Laclau 2005; Weyland
2001), darunter versteht man stark emotionale Apelle, bewusste
Überzeichnungen, Tabubrüche, und grobe Vereinfachungen, um
auf schrille Weise auf sich oder seine Ziele aufmerksam zu machen;
den Populismus als eine Art Ideologie oder Ideensystem (Mudde
2004; Mudde und Rovira Kaltwasser 2017, Heinisch und Mazzo-
leni 2017). Letzteres deniert sich einerseits durch die ständige Be-
zugnahme auf einen abstrakten und homogenen Volksbegri. In der
Regel wird von einem wahren und rechtschaenen Volk ohne Klas-
senunterschiede und Interessensgegensätze gesprochen. Als Beispiel
sei hier an ein früheres Werbeplakat der FPÖ erinnert, das lautete
„Dem Volk sein Recht“.
Dieser abstrakten und unscharfen Konzeption von Volk sind
auch die typischen im Populismus verwendeten Begrie wie „an-
ständige Österreicher“, „echte Kärntner (wer sind die unechten?)
oder „Heartland Americans“ geschuldet. Zweitens bezieht sich der
ideologische Populismus auf eine dem Volk schadenwollende Elite
oder volksfremde Gruppe. Auch diese Kollektive sind unscharf de-
niert und können nach Belieben geändert werden. Die Elite kann
etwa etablierte Politiker und Parteien („Altparteien“), Bürokraten
(„Apparachiks“), Brüssel („Eurokraten“), Sozialpartner („Privilegien-
Ritter“) Unternehmer („Konzernbosse“), Bankiers („Spekulanten“),
Journalisten („Lügenpresse“), Experten und dergleichen umfassen.
Zu den Volksfeinden zählen je nachdem auch Außenseitergruppen
wie Minderheiten, Immigranten, Muslime oder Juden, oder wer
sonst als außerhalb der Volksgemeinschaft stehend wahrgenommen
wird. Um das Volk vor der vermeintlichen Ausbeutung durch Eli-
ten und Volksfeinde zu schützen, vertreten Populisten Maßnahmen,
110
Reinhard Heinisch
die glaubhaft einen radikalen Wandel und die Durchsetzung des
allgemeinen Volkswillens versprechen sollen. Diese werden oft als
Kombination von Feindbildern dargestellt, wie etwa die bedrohliche
Darstellung von Muslimen auf Wahlplakaten rechtspopulistischer
Parteien. Der Antagonismus zwischen einem homogenen, seiner
Souveränität und Würde beraubten Volk auf der einen Seite und
üblen Eliten auf der anderen ist somit das zentrale Wesensmerkmal
des Populismus rechter aber auch linker Prägung. Der grundsätzli-
che Glauben an einen Gegensatz zwischen dem guten Volk und der
üblen und korrupten Elite (Heinisch und Mazzoleni 2017; Mudde
2004) ist das wohl zentrale Charakteristikum des modernen Popu-
lismus.
Mit diesem Zugang ist der Populismus zunächst anti-politisch
und anti-pluralistisch, weil das Volk als geschlossene Einheit mit ei-
ner einheitlichen Meinung dargestellt wird. All diejenigen, die eine
andere Position vertreten, sind erklärte Gegner des Volkes, denen
keine politische Legitimität zugestanden wird. Politische Kompro-
misse gelten als Verrat und politische Gegner werden als Feinde
deklariert, was wiederum die typische Kooperation über Partei-
grenzen hinweg praktisch unmöglich macht und zu dauerhaften
Koalitionen moderater Kräfte führt, weil die Zusammenarbeit mit
den Radikalen schwieriger ist. Eine daraus resultierende Folge ist
die zunehmende Wahl zwischen gefühltem Stillstand und radika-
lem Systemwechsel – ein Zustand, der sich in Österreich vor der
Nationalratswahl 2017 und mittlerweile auch seit einigen Jahren in
Deutschland beobachten lässt.
Da dieses ideologische Konstrukt des Antagonismus zwischen
Volk und Elite im Kern ein sehr einfaches ist und über kein eigenes
Wertesystem oder eigene Lösungen verfügt, muss es sich mit an-
deren Ideologien, so genannten Wirtsideologien, verbinden. Damit
können Populisten die vermeintliche Ursachen der gesellschaftli-
chen Probleme erklären, um dann politisch rechte oder linke Lösun-
gen anzubieten. Der Linkspopulismus sieht in der kapitalistischen
Elite und einem einheitlichen globalen Ausbeutungssystem seine
Feindbilder. Im Gegensatz zur klassischen Linke predigt er jedoch
nicht die Klassenrevolution oder einen neuen Internationalismus
sondern eher nationale Sonderwege und eine Rückbesinnung auf
vielfach idealisierte Ursprünge der eigenen Gesellschaft, ablesbar et-
111
Zum Verhältnis des Populismus zur liberalen Demokratie
wa an den Beschwörungen der Politik Simon Bolivars durch Hugo
Chavez oder den romantisierten Darstellung des präkolumbiani-
schen Boliviens von Evo Morales.
Für Europa stellt jedoch gegenwärtig der Rechtspopulismus die
größere Herausforderung dar. Wie alle radikalen Rechten stellt sich
auch der Rechtspopulismus gegen die Tradition der Aufklärung mit
den Prinzipien des Liberalismus, Universalismus und Humanismus,
und vertritt den Glauben an eine Hierarchie der Menschen auf-
grund biologischer, rassischer oder kultureller Unterschiede. Diesem
Denken liegt eine Vorstellung über die unterschiedliche Wertigkeit
von Menschen zugrunde. Im Gegensatz zur alten Rechten, die ihre
vermeintliche intellektuelle, kulturelle und politische Überlegenheit
über Kolonialismus und Ansprüche auf Lebensraum rechtfertigte,
betont die neue Rechte eine ethno-pluralistische Sichtweise und
damit die kulturelle Autonomie und Selbstbestimmtheit der Völker
(Rydgren 2018). Damit bedient sich auch der Rechtspopulismus
fremdenfeindlicher und kulturrelativistischer Ideen, um ein ideali-
siertes Gesellschaftsbild zu entwerfen, in der die ethnisch und kultu-
rell unverfälschte Bevölkerung harmonisch zusammenlebt.
Bei einer Verbindung mit nationalistischen, nativistischen, ras-
sistischen oder ethnokratischen Vorstellungen entstehen somit
Rechtspopulismus oder bei radikalen sozialen Umverteilungsfor-
derungen gegenüber Eliten im Namen „des Volkes“ der Linkspo-
pulismus. Der Populismus bietet dabei stets das Versprechen einer
radikalen Veränderung.
Daher muss auch betont werden, dass beim Verhältnis zwischen
Populismus und Demokratie für letztere unterschiedliche Bedro-
hungen ausgehen. Es gibt solche, die einer populistischen Logik
entspringen und solche die der linken oder rechten Ideologie ge-
schuldet sind. Selbst wenn man dieses Verhältnis auf den Popu-
lismusbegri reduziert, bieten sich immer noch mindestens drei
Möglichkeiten, wie der Populismus der Demokratie schaden könne:
Erstens durch den Stil, was sich in einer Verrohung der politischen
Kultur und Umgangsformen samt Radikalisierung niederschlägt;
zweitens durch strategische und diskursive Vorgehensweisen, die
den politischen Gegner dämonisieren und die politische Kompro-
missfähigkeit reduzieren; drittens, wie bereits erwähnt durch eine
sukzessive Ausschaltung der verfassungsgemäßen Schranken der
112
Reinhard Heinisch
Volkssouveränität und institutionellen Kontrollen der politischen
Machthaber.
Ungeachtet der ideologischen Gemeinsamkeiten zwischen
Rechts-/ Linkspopulismus und der extremen Rechten/Linken be-
darf es auch der Abgrenzung. So ist beispielsweise der Rechtspopu-
lismus Teil eines des sehr breiten Spektrums der zeitgenössischen
radikalen Rechten, zu dem auch rechtsextreme Gruppierungen wie
die Identitäre Bewegung, Hooligans gegen Salasten (HoGeSa),
Reichsbürger und Neonazis gezählt werden. Im Gegensatz zu diesen
extremistischen Gruppierungen, sind Populisten wie erwähnt in der
Regel nicht gewaltbereit und auch nicht per se anti-demokratisch.
Weshalb auch der Verhältnis des Populismus nicht zur Demokratie
per se sondern zur liberalen Demokratie als zumindest problema-
tisch anzusehen ist. Die Frage, die sich jedoch infolge stellt und hier
noch diskutiert werden wird, ist, ob es überhaupt eine stabile De-
mokratie ohne liberale Dimension geben kann.
3 Der Erfolg der Populisten und die Konsequenzen
für die Demokratie
Das wir uns mit der möglichen Bedrohung auseinandersetzen müs-
sen, welche der Populismus linker oder rechter Ausprägung für die
Demokratie darstellt, ist in erster Linie seinem großen Erfolg in
den letzten Jahren geschuldet. War er einst ein Randphänomen, be-
schränkt auf politische Systeme geprägt von spezischen Problemen
wie öentliche Korruption und überbordender Parteienherrschaft,
haben sich populistische Parteien und Politiker längst in Staaten
durchgesetzt, die etwa für ihre Transparenz und Ezienz bekannt
sind, wie etwa die skandinavischen Länder oder die Schweiz. Auch
alte Demokratien wie die USA oder Großbritannien sind nicht im-
mun, wie die Wahl Donald Trumps oder der Brexit belegen. Über-
haupt fällt auf, dass populistische Politik überall ungeachtet der
institutionellen Voraussetzungen, politischen Spielregeln wie dem
Wahlsystem, oder der geschichtlichen Entwicklung, wenn man
etwa West- ,Nord- und Südeuropa sowie Mittel- und Osteuropa
vergleicht, erfolgreich ist. War anfänglich eine anti-systematische
Partei oder Protestbewegung in einem Staat, so entstehen heute der-
113
Zum Verhältnis des Populismus zur liberalen Demokratie
gleichen mehrere. In Italien sind die beiden größten Parteien, die
Fünf Sterne Bewegung und die Lega Nord, populistische, die jeweils
unterschiedlicher ideologischer Orientierungen anhängen. In Spa-
nien entstehen parallel zur linkspopulistischen Partei Podemos die
rechtspopulistische Vox.
Der Erfolg der Rechts und Linkspopulisten beruht einerseits auf
einer sich allenthalben manifestierenden Legitimationskrise der re-
präsentieren Demokratie. Große Teile der Bevölkerung haben den
Eindruck oder werden davon überzeugt, dass ihre Anliegen von der
Politik nicht mehr entsprechend vertreten werden. Daraus entsteht
ein starker Wunsch nach Veränderung, wobei sich die Populisten
sehr gekonnt als Veränderter und Bruch mit dem Status quo präsen-
tieren. Den Erfolgen rechtspopulistischer Parteien gehen oft Fälle
öentlicher Korruption oder das Empnden eines Kontrollverlustes
angesichts schwindender Grenzen und unsichtbarer globaler Markt-
mechanismen voraus.
Rechtspopulisten haben auf dem politischen Marktplatz gewich-
tige Vorteile gegenüber der Konkurrenz. Im Gegensatz zu den etab-
lierten Parteien können sie sich als Veränderer präsentieren und For-
derungen stellen, die in ihrer Radikalität weit darüber hinausgehen,
was innerhalb der Konventionen der bestehenden Politik möglich
ist. Der Tabubruch und ihr unkonventioneller Politikstil sichert den
Populisten auch eine maximale mediale Aufmerksamkeit. Gleichzei-
tig sind gerade populistische Parteien von einem autoritären Füh-
rungsstil gekennzeichnet, der einerseits die Aufmerksamkeit auf die
Parteiführung lenkt und anderseits verhindert, dass aus der eigenen
Partei Querschüsse kommen. Mainstream Politiker/innen sind hier
im Gegensatz viel stärker der Kritik der eigenen Partei ausgesetzt.
Dennoch sind populistische Parteien nicht rechts oder links extrem.
Das heißt, sie sind in der Lage Wählerkreise anzusprechen, die eine
extremistische Partei nie wählen würden.
Populisten sind in der Regel politisch exibel, ambivalent und
opportunistisch. Popularität damit häug wichtiger als program-
matische Prinzipien. Dadurch gelingt es populistischen Parteien
und Politikern breite Wählergruppen von ganz radikal bis weit ins
bürgerliche Lager und ins Arbeitermilieu anzusprechen. Sie verei-
nen damit all jene, die unzufrieden sind, indem sie jedem etwas ver-
sprechen und bieten ein Bündnis für diejenigen, die sich politisch
114
Reinhard Heinisch
heimatlos fühlen. Für jemanden, der sich einen radikalen Wandel
wünscht, sind Veränderungen wichtiger als die Folgen, die sich da-
raus ergeben.
Die programmatische Widersprüchlichkeit von Populisten ver-
deutlicht sich auch in der Doppelmoral, mit der einige emen be-
handelt werden; mal werden die links-grünen FeministInnen beschul-
digt, Frauen unnatürliche Werte einzureden und einen Genderwahn
zu verfolgen, dann wiederum sind es der Islam und Muslime, die
unsere emanzipierten Frauen und freiheitliche Gesellschaftsordnung
bedrohen. Diese flexible und dünne Programmatik ist zugleich
Schwachpunkt und Stärke der Populisten. Einerseits geraten Po-
pulisten oft in Bedrängnis, wenn sie nach konkreten Vorschlägen
z. B. zur Digitalisierung oder Rentenreform befragt werden, und
versuchen stattdessen, den Diskurs auf ihre Kernthemen wie Mig-
ration, Islam und die Ausbeutung des kleinen Bürgers zu lenken.
Andererseits ermöglicht diese elastische Positionierung den Populis-
ten, möglichst breite Wählergruppen anzusprechen und für Wahlen
zu mobilisieren, was durch die Bereitschaft zu unkonventionellen
Politikformen und Politikern neuen Typs zusätzlich verstärkt wird.
Dies sind einige der entscheidenden Erfolgsfaktoren dieser Parteien.
Dennoch führen die hierbei auftretenden programmatischen Wi-
dersprüche oft zu Problemen, vor allem wenn Populisten in Regie-
rungsverantwortung kommen und diese Versprechungen umsetzen
müssen, womit wir wieder bei den möglichen Gefahren sind, die
populistische Parteien für die Demokratie darstellen.
4 Zum Verhältnis des Populismus zur liberalen
Demokratie
Vor allem in der Frühphase des neuen Populismus war die Ansicht
weitverbreitet, dass der Populismus eine Art Korrektiv des demokra-
tischen Systems sei, um verkrustete Strukturen aufzubrechen und
einen zutiefst unzufriedenen Status Quo zu verändern. Im Zusam-
menhang mit der aufkommenden Diskussion um Parteienkartelle
und Postdemokratie, ist es verständlich, dass der Populismus als
Protestphänomen und Systemreinigung begrien wurde. Auch die
Populismusforschung bietet Belege dafür, dass Populisten es in der
115
Zum Verhältnis des Populismus zur liberalen Demokratie
Oppositionsrolle durchaus in der Lage sind, marginalisierte Wähler-
gruppen anzusprechen oder politisch desillusionierte Bevölkerungs-
gruppen zu mobilisieren (Huber & Schimpf 2016).
Dennoch kann die ese vom Populismus als Korrektiv demo-
kratischer Fehlentwicklungen nicht wirklich aufrechterhalten wer-
den, vor allem nicht unter Bedingungen, in denen Populisten die
Regierung dominieren. Infolge gerät die liberale Demokratie unter
großen Druck. Generell gibt es zwei Möglichkeiten, wie liberale
Demokratien in illiberale Formen wechseln können: das geschieht
einerseits von unten, durch illiberale Strömungen, bei denen durch
Abstimmungen die mobilisierte Mehrheitsmeinung zum alleinigen
Gradmesser der Politik wird und zwar ungeachtet verfassungsmäßi-
ger Beschränkungen. Populisten fordern daher vielfach einen radi-
kalen Wandel von der repräsentativen hin zur direkten Demokratie,
womit die stille Honung verknüpft ist, Rechtsstaat und Medien
in den Gri zu bekommen. Der Populismus stellt sich dabei vor al-
lem gegen demokratische Kontrollmechanismen und -institutionen,
wie Journalisten und unabhängige Medien, Verfassungsgerichte und
eine unabhängige Justiz sowie NGOs und internationale Organisa-
tionen.
Die zweite Form ist die autoritäre Demokratie von oben. Hier-
bei erfolgt die Zurückdrängung des Rechtsstaates und der freiheit-
lichen Grundordnung von oben, wobei staatliches Handeln an die
(vermeintliche) Volksmeinung gebunden sind, die jedoch von der
politischen Führung durch gezielte Kampagnen gesteuert wird. Der
Prozess beginnt mit der systematischen Diskreditierung der freien
Medien und Zivilgesellschaft. In weiterer Folge kommt es zu einer
Aufweichung der Gewaltenteilung, wobei durch politische Interven-
tionen oder Verfassungsänderungen, die Unabhängigkeit der Justiz
kompromittiert wird. Mit der Zeit wird die autoritäre Demokratie
zunehmend exekutivlastig. Der Staat wird ein Agent im parteipo-
litischen und gesellschaftspolitischen Wettbewerb, indem er etwa
gegen bestimmten Bevölkerungsgruppen oder Personen Stimmung
macht. In dieser Situation ist der Staat nicht mehr neutral, sondern
folgt der parteipolitischen Agenda der Führung. So bilden etwa
Schulbücher in Ungarn die ideologische Ausrichtung der herrschen-
den Regierungspartei ab. Ebenfalls ist die Kampagne Viktor Orbáns
und der Fidesz Partei gegen George Soros längst nicht mehr die
116
Reinhard Heinisch
politische Aktion einer Partei, sondern ein Angri des ungarischen
Staates auf bestimmte Personengruppen.
Das Primat der Exekutive vor anderen politischen Institutionen
dient der gewählten politischen Führung, die Macht sukzessive aus-
zubauen. Mangels fehlender politischer Freiräume oder unabhängi-
ger Medien, haben es Oppositionskräfte schwer, sich zu organisieren
oder sich entsprechend Gehör zu verschaen.
Aus der populistischen Freund/Feind-Logik einer Partei wird so-
mit die für uns/gegen uns Logik eine Staates und seiner Ressour-
cen. Das Operieren mit Verschwörungstheorien und Kampagnen
gegen Innen- und Außenfeinden, sowie die Infragestellung von Fak-
ten und die oene Lüge als normaler Teil des politischen Diskurses
sind weitere Manifestationen dieser Form eines populistisch domi-
nierten Staates. Die Radikalisierung des politischen Klimas und die
Verschieben des gesellschaftlichen Konsenses sind eine weitere Folge
dieser Politik. Staatliche Einrichtungen, die sich sonst einer gewissen
Unabhängigkeit erfreuen, etwa Justiz, Rechnungshof, die National-
bank oder Universitäten und andere wissenschaftliche Einrichtungen
werden systematisch geschwächt oder destabilisiert. Die Spaltung
der Gesellschaft wird bewusst in Kaufgenommen, um auf diese Wei-
se die Mehrheit der Bevölkerung in Zugzwang zu bringen, sich zwi-
schen zwei Lagern zu entscheiden. Auf der einen Seite die Regierung,
die viele Vorteile anzubieten vermag und auf der anderen, die Reste
der Opposition und Zivilgesellschaft, die permanent im Verdacht
stehen, mit den Feinden des Staates zusammenzuarbeiten. Ungarn
ist jener Staat der EU, indem dieses Szenario bereits am weitesten
fortgeschritten ist, doch nden sich auch in Polen erste Anzeichen
dieser Entwicklung. Wenn man jedoch die politischen Veränderun-
gen der letzten Jahre in Ungarn betrachtet, stellt sich die prinzipielle
Frage, ob eine illiberale Demokratie überhaupt längerfristig möglich
ist, oder ob es nicht doch nur eine Übergangsform zu einem autori-
tären System ist, wie es sich etwa auch in Venezuela abzeichnete und
wie wir es heute in der Türkei oder Russland vornden.
Es ist schwer vorstellbar, dass eine die Staatsmacht kontrollieren-
de und von einem gewichtigen Teil der Bevölkerung getragene poli-
tische Führung sich selbst beschränken könne und je freiwillig eine
dominante Position aufgeben würde, zumal sie im Falle des Macht-
verlustes mit Repressalien der Gegenseite zu rechnen hat. Selbst im
117
Zum Verhältnis des Populismus zur liberalen Demokratie
Falle eines weniger autoritären Verlaufes populistischer Regierungs-
dominanz drohen mangels ausreichender Kontrolle der kollektive
Irrtum und schwere politische Fehlentwicklungen. Hierbei sei etwa
an die Amtszeit von Landeshauptmannschaft Jörg Haider erinnert,
dessen populistische Politik den nanziellen Ruin des Landes Kärn-
tens zur Folge hatte.
In den meisten Fällen kommt es nach den Erfolgen populisti-
scher Kräfte nicht zu den versprochenen radikalen Veränderungen
zugunsten des kleinen Mannes, sondern in erster Linie zu symboli-
scher Politik. Mit großen Gesten werden Pseudomaßnahmen ergrif-
fen, die scheinbar mit bisherigen Gepogenheiten aufräumen, aber
in der Substanz wenig Wirkung zeigen. So betreen beispielsweise
die Kürzungen der Sozialleistungen für Ausländer und so genann-
ter Sozialschmarotzer vor allem die untere Mittelschicht und damit
viele derjenigen, die populistische Parteien wählen. Sobald jedoch
die Kontrollmechanismen unabhängiger Gerichte, der Medien und
der Oppositionsparteien ausreichend geschwächt sind, gedeiht im
Umfeld populistischer Machteliten ein System von Korruption und
Günstlingswirtschaft, wie ein Blick auf das Ungarn unter Orbán, die
Entwicklungen unter den italienischen Populisten, das Umfeld von
Donald Trump oder das System von Jörg Haider in Kärnten zeigt.
Die Politik der einfachen Lösungen und des Bauchgefühls er-
weist sich in der Regel nicht als zielführend. Das zeigt die Ankündi-
gung von Donald Trump, dass Handelskriege etwas Gutes seien und
leicht zu gewinnen sind, oder das Versprechen der Brexit-Befürwor-
ter, dass die Briten zukünftig 350 Millionen Pfund an wöchentli-
chen Beiträgen an die EU einsparen würden. Um von diesem poli-
tischen Scheitern abzulenken, mobilisieren Populisten gegen innere
und äußere Feinde. und wettern wie im Fall Donald Trump sogar
gegen die eigenen Behörden.
In jedem Fall sind populistische Parteien und Bewegungen dabei,
sich in die Zentren der politischen Macht zu bewegen. Ihr Stim-
menanteil steigt von Wahl zu Wahl an und man rechnet damit, dass
im nächsten Europäischen Parlament mehr als 25 Prozent der Sit-
ze von euroskeptischen und populistischen Parteien eingenommen
werden. Daher sollte die von Populisten ausgehende Bedrohung für
die liberale Demokratie als eine Bedrohung für die Demokratie in
jeder Form angesehen werden.
118
Reinhard Heinisch
Literatur
Freedom House. 2019. Freedom in the World – Hungary. https://freedom-
house.org/report/freedom-world/2019/hungary
Heinisch, Reinhard, und Oscar Mazzoleni. 2017. „Analysing and Explain-
ing Populism: Bringing Frame, Actor and Context back in“. Political
Populism. A Handbook, Hrsg. Reinhard Heinisch, Christina Holtz-
Bacha, und Oscar Mazzoleni, 105–122. Baden-Baden: Nomos.
Huber, Robert A., and Christian H. Schimpf. 2016. „A Drunken Guest in
Europe?: e Inuence of Populist Radical Right Parties on Demo-
cratic Quality.“ Zeitschrift Für Vergleichende Politikwissenschaft 10
(2): 103–29.
Lackner, Herbert, Andreas Weber, und Christa Zöckling. 1994. „Wir sind
nicht aufzuhalten“, prol, Nr. 17.
Laclau, Ernesto. 2005. On Populist Reason. London: Verso.
Jagers, Jan und Stefaan Walgrave. 2007. „Populism as political communi-
cation style: An empirical study of political parties’ discourse in Bel-
gium“, European Journal of Political Research, 46(3): 319–45.
Mot, Benjamin, und Simon Tormey. 2014. „Rethinking Populism: Poli-
tics, Mediatisation and Political Style“, Political Studies, 62(2): 381–
97.
Mudde, Cas. 2004. „e Populist Zeitgeist“, Government and Opposition,
39(4): 541–63.
Mudde, Cas, und Christóbal Rovira Kaltwasser. 2017. Populism: A Very
Short Introduction. Oxford: Oxford University Press.
Oppenheim, Maya. 2018. „Hungarian Prime Minister Viktor Orban bans
gender studies programmes“. e Independent 24 October. https://
www.independent.co.uk/news/world/europe/hungary-bans-gen-
der-studies-programmes-viktor-orban-central-european-universi-
ty-budapest-a8599796.html
Rydgren, Jens. 2018. „e Radical Right: An Introduction“. e Oxford
Handbook of the Radical Right, Hrsg. Jens Rydgren, 1–14. New York:
Oxford University Press.
Weyland, Kurt. 2001. „Clarifying a Contested Concept: Populism in the
Study of Latin American Politics“, Comparative Politics, 34(1): 1–22.