Content uploaded by Almut Jirku
Author content
All content in this area was uploaded by Almut Jirku on Jul 23, 2021
Content may be subject to copyright.
1
Almut Jirku
Konzepte und Ansätze für eine nachhaltige Stadtentwicklung in Berlin
Nach der Wiedervereingung Berlins ab 1989 kamen zwei sehr verschiedene
Stadthälften, von recht unterschiedlichen Ausgangsbedingungen, wieder zusammen.
Beide Stadthälften – West wie Ost – unterlagen nicht den im Westen Deutschlands
üblichen markt- und haushaltswirtschaftlichen Bedingungen sondern hatten hoch
subventionierte Haushalte. Nach der erneuten Konstituierung der Stadt liefen viele
wirtschaftliche Umstrukturierungsprozesse mit den daraus resultierenden
planerischen, ökologischen und sozialen Folgen, für deren Bewältigung andere
Kommunen mehrere Jahrzehnte zur Verfügung hatten, in Berlin im Zeitraffertempo
ab.
Bei der gewaltigen planerischen Aufgabe, die auf die Stadt zukam, konnte zum einen
aufgebaut werden auf den Erkenntnissen, die im Laufe der Internationalen
Bauausstellung (IBA), beendet 1987, gewonnen worden waren. Der Grundsatz der
„behutsamen Stadterneuerung“, Sanierung von Altbauten mit Einbeziehung der
Bewohner statt Abriß und Planung von oben, sowie der „kritischen Rekonstruktion“,
das heißt, Nachverdichtung unter Berücksichtigung historischer und gegenwärtiger
Anforderungen an Stadtgrundriß und Funktionen, dienten auch bei der Sanierung der
ausgedehnten Altbauquartiere im Ostteil der Stadt ab 1990 als Vorbild. Darüber
hinaus waren diese Grundsätze Leitlinien für die Wiedergewinnung der historischen
Innenstadt und lagen auch dem Planwerk Innenstadt (ab 1996) zu Grunde.
Auch der Forschungsstand in bezug auf die Stadtökologie war in Westberlin
besonders hoch. Viele Wissenschaftler machten aus der Not der Insellage eine
Tugend, so daß die Erforschung städtischer Ökosysteme, z.B am Institut für Ökologie
der TU Berlin, einen besonderen Schwerpunkt bildete. Viele Erkenntnisse wurden in
Planungsinstrumenten wie dem Landschaftsprogramm oder dem Umweltatlas
umgesetzt. Neue rechtliche Grundlagen wurden geschaffen, um z.B. die
Bodenversiegelung zu vermindern und neue Standorte für Biotope zu erschließen.
In Ost – Berlin war die Umweltschutzbewegung zum Teil Bestandteil der
Oppositionsbewegung. Viele Bürger waren und sind sehr engagiert im Naturschutz,
während andere Umweltbereiche nicht in gleichen Maße als Problem präsent waren.
2
Erste Planungsschritte
Als die planerischen Überlegungen nach der Wiedervereingung begannen, herrschte
sehr schnell Einvernehmen darüber, daß der Suburbanisierungprozeß, der in vielen
anderen westeuropäischen Städten stattgefunden hatte und in Berlin einerseits durch
die Mauer, andererseits durch staatliche Planung, verhindert worden war, möglichst
auch weiterhin unterbleiben solle. Sehr schnell nach der Wende konstituierte sich die
Planungsgruppe Potsdam des provisorischen Regionalausschusses Berlin –
Brandenburg. In einem ersten Regionalplanungskonzept wurden potentielle
Baugebiete und freizuhaltende Räume festgelegt. In Anlehnung an Achsenmodelle
der 20er Jahre folgten die Baugebiete im wesentlichen den Linien der S-Bahn und
der Regionalbahn. Die Verminderung des motorisierten Individualverkehrs spielte bei
diesen Planungen eine wichtige Rolle. Außerdem waren Wasserschutz, Klima und
der Schutz wertvoller Naherholungs- und Naturschutzgebiete ein wichtiger Faktor bei
der Abgrenzung der potentiellen Baugebiete.
Obwohl die Vereinigung der Länder Berlin und Brandenburg an der
Volksabstimmung scheiterte, blieb die im Vorgriff darauf gegründete Gemeinsame
Landesplanung (GL) erhalten. Ihren Landesplanungsprogrammen und -plänen
müssen beide Regierungen und Parlamente zustimmen. Für den Bereich rund um
Berlin, der einem besonderen Verwertungsdruck ausgesetzt ist ( der sogenannte
Speckgürtel ), gibt es einen vertiefenden Regionalplan, den Landesentwicklungsplan
engerer Verflechtungsbereich (LEP eV). Zur Sicherung der Landschaftsräume
zwischen den Entwicklungsachsen wurde ein Regionalparkkonzept aufgestellt. Sie
werden von den Mitgliedskreisen und -kommunen auf freiwilliger Basis entwickelt. Mit
ihrer Hilfe sollen diese Räume ein eigenständiges Profil und eine eigene Identität
entfalten, damit sie nicht einfach Zwischenräume bleiben.
Flächennutzungsplan und Landschaftsprogramm
In der Euphorie der ersten Jahre hatte Berlin große Wachstumserwartungen.
Hauptstadtwerdung, Olympia 2000, Entwicklung des Dienstleistungssektors - auf
dieser Basis wurden sehr optimistische Wachstumsprognosen aufgestellt.
Demzufolge wies auch der 1994 zusammen mit dem Landschaftsprogramm
verabschiedete Flächennutzungsplan umfangreiche Flächenreserven aus. Allerdings
wurde eine zeitliche Dimension eingeführt. Als Sicherheit für den Fall, daß sich die
3
Prognosen als unzutreffend erweisen würden, wurden Flächen ausgewiesen, die erst
nachrangig in Anspruch zu nehmen sind.
Die Hauptgesichtspunkte waren:
- sparsamer Flächenverbrauch, Flächenrecycling statt Neubau, Verdichtung der
untergenutzten Innenstadt
- Schutz ökologisch und klimatisch wertvoller bereiche
- Schutz des Grundwassers (Berlin lebt von seinem eigenen Grundwasservorrat,
das soll auch so bleiben)
- Vermeidung von unnötigen Verkehrsströmen, z.B. durch Funktionsmischung wo
möglich
- Plazierung neuer Zentren und Quartiere an Knotenpunkten des ÖPNV
Das Landschaftsprogramm besteht aus vier Themenkarten, in denen für jeden
Aspekt Direktiven für den jeweiligen Landnutzungtyp gegeben werden:
- Naturhaushalt / Umweltschutz
- Biotop und Artenschutz
- Erholung und Freiraumnutzung
- Landschaftsbild
Das Landschaftsprogramm stellt außerdem ein System von Grünringen und -achsen
auf. die aus verschiedenen Parks und Freiräumen bestehen. Manche existieren
bereits, andere müssen noch gebaut werden.
Während am Flächennutzungsplan und anderen übergreifenden Konzepten
gearbeitet wurde, waren etliche Entscheidungen für einzelne Bereiche aufgrund des
Entwicklungsdrucks vorab zu treffen. Damit alle Entscheidungen auf einer möglichst
breiten Diskussionsbasis, getroffen werden konnten, wurde das „Stadtforum“ als ein
Diskussionsforum eingerichtet, in dem Verwaltung, freischaffende Fachleute und
Vertreter von Interessenverbänden regelmäßig wichtige Themen behandelten. Auch
hierin ist ein Beitrag zur Nachhaltigkeit zu sehen, weil so in dieser Zeit des schnellen
Wandels sichergestellt wurde, daß trotzdem gründlich und umfassend das Für und
Wieder von strittigen Punkten erwogen wurde. Auch die Programmatik von
Wettbewerben für wichtige Einzelorte (Potsdamer Platz, Alexanderplatz u.ä.) wurde
in diesem Gremium vordiskutiert.
4
Für viele Flächen, deren Nutzung obsolet geworden waren, waren neue
Zweckbestimmungen zu finden. Viele Areale in bester Innenstadtlage, ehemalige
Bahnflächen, Grenzstreifen, Flächen, die von den Alliierten oder von der
Staatssicherheit genutzt worden waren, wie auch ehemalige Industriestandorte,
standen und stehen zur Disposition. Diese untergenutzten Areale sind in aller Regel
gut erschlossen, so daß es nicht nur ökologisch sondern auch ökonomisch sinnvoll
ist, sie für neue Nutzungen in Anspruch zu nehmen.
Stadtentwicklungspläne
Der Flächennutzungsplan wird vertieft in Stadtentwicklungsplänen (StEP) zu
sektoralen Themen, wie z.B. Wohnen, Gewerbe, Zentren und Einzelhandel, Verkehr,
Öffentliche Einrichtungen und Öffentlicher Raum (an den beiden letztgenannten wird
noch gearbeitet). Auch zum Thema Ver- und Entsorgung gibt es einen
Stadtentwicklungsplan, der Maßnahmen und Vorleistungen zur Realisierung von
Standortentwicklungen benennt. Leistungsfähige, wirtschaftliche und umweltgerechte
Systeme zur Versorgung mit Strom, Gas, Wärme und Wasser, der
Abwasserentsorgung, Regenwasserbewirtschaftung u.ä. sind nicht nur
Grundvoraussetzung für Stadtentwicklung schlechthin, sondern ein bedeutender
Standortfaktor für die Wirtschaft. Die Bedingungen zur technischen Erschließung mit
Leistungen der Ver- und Entsorgung für übergeordnete Standorte der
Stadtentwicklung werden identifiziert und bewertet, um Einfluß auf die
Investitionsplanung auszuüben (Prioritätensetzung).
Berlin erfährt gegenwärtig eine Erneuerung seiner technischen Infrastruktur, wie sie
in der Geschichte der Stadt, wahrscheinlich aber auch für die Metropolen Europas
einzigartig ist. Seit der Vereinigung wurden Investitionen in Höhe von etwa 25 Mrd.
DM getätigt. Damit war und ist die Chance gegeben, technisch ( z.B. im Bereich der
Telekommunikation) und auch im Bereich des Umweltschutzes auf den neuesten
Stand zu kommen. Beispielhaft sei hier das neue Heizkraftwerk Mitte genannt,
umwelttechnisch wie architektonisch eine erhebliche Verbesserung für die Stadt.
Der Grundlagenteil des StEPs Ver- und Entsorgung liegt vor, am 2. Abschnitt
„Planungen und Empfehlungen“ wird noch gearbeitet. Im Bereich der
Regenwasserbehandlung sind z.B. sind noch weitere Maßnahmen nötig, in diesem
Bereich kann auch die Stadt- und Landschaftsplanung einiges beitragen. Die
rechtzeitige Berücksichtigung von Flächen für Regenwasserversickerung im
5
Planungsprozeß erleichtert die Integration in neue Baugebiete. Auch gestalterisch
war Neuland zu betreten, damit sich solche Flächen selbstverständlich in eine urbane
und benutzbare Freiraumgestaltung einfügen. Weiterhin waren Probleme der
Unterhaltung und Pflege mit den Tiefbau- und Grünflächenämtern zu klären, die in
der Regel diese Aufgaben nach Abschluß der Entwicklungsmaßnahmen
übernehmen müssen. Inzwischen gibt es einige Beispiele für eine gelungene
Integration von Mulden-Rigolen – Systemen in Baugebiete, z.B. im Bereich
Altglienicke oder in der Rummelsburger Bucht.
Rummelsburger Bucht – dezentrales Expo – Projekt
Das städtebauliche Entwicklungsgebiet „Rummelsburger Bucht“ umfasst 130 ha. Zu
Beginn des Projektes (etwa 1992) wohnten in diesem landschaftlich sehr reizvollen,
recht zentral gelegenem Bereich nur 700 Einwohner, es gab 1800 Arbeitsplätze. Auf
der Grundlage des städtebaulichen Konzeptes des Architekten Klaus Theo Brenner
und des Landschaftsarchitekten Karl Thomanek werden neun attraktive Quartiere
entstehen. Im Laufe der Zeit hat sich das Programm von Sozialwohnungen zu frei
finanzierten Wohnungen erschoben, die Umweltziele sind gleich geblieben. Trotz
einer Zielgröße von 13.500 Einwohnern und 12.000 Arbeitsplätzen wird die
Umweltbilanz am Ende positiv ausfallen. Ein Teil der Planungsgewinne wird z.B dafür
verwandt, Altlasten im Boden sowie in der Schlammschicht der Bucht zu beseitigen,
die Trinkwasservorräte gefährden. Es entsteht nach und nach ein sehr attraktives
Wohngebiet mit einem ebenso ansprechenden Umfeld.
Konsolidierungsphase ab 1995
Ab 1995 wurde deutlich, daß sich die Wachstumserwartungen der ersten
Nachwendejahre nicht im vorausgesagten Umfang erfüllen würden. Der Abbau von
Industriearbeitsplätzen (ca. 250.000) wurde durch den Zuwachs an
Dienstleistungsarbeitsplätzen (ca. 150.000 ) nicht ausreichend kompensiert. Die
Nachfrage nach Flächen für Büros und Dienstleistungen ist geringer als das
Angebot. Und auch die Einnahmen aus selbst erwirtschafteten Steuern konnten mit
dem Abbau der Subventionen nicht schritthalten, so daß eine radikale
Haushaltskonsolidierung eingeleitet werden mußte. Deswegen wurden viele Projekte
überprüft und gestreckt, der Finanzierungsanteil aus öffentlichen Mitteln zugunsten
von privaten verringert.
6
Der abnehmende Entwicklungsdruck bot jedoch auch die Chance, die Entwicklungen
der letzten Jahre zu reflektieren und erkannte Defizite in Angriff zu nehmen. Damit
war die Chance gegeben, die vielen nebeneinander entstandenen Einzelprojekte in
einen Zusammenhang zu bringen und daraus ein verbindliches Programm für die
weitere Entwicklung abzuleiten. Dies geschah in mehreren Planwerken, für den Süd-
Ost-Raum, den Westraum und vor allem für die Innenstadt.
Planwerk Innenstadt
Das Planwerk Innenstadt beherrschte die stadtplanerische Diskussion der letzten vier
Jahre. Ziel war es, die realen und die unsichtbaren Grenzen der jahrzehntelang
geteilten Stadt zu überwinden und ein gleichermaßen anschauliches wie
einheitliches Gesamtbild des historischen Zentrums wie der City West aufzuzeigen.
Eins der Hauptanliegen ist es, die Berliner dazu zu bringen, daß sie sich mit der
ganzen Stadt identifizieren und nicht nur mit der Hälfte, aus der sie kommen.
Im ersten Schritt ging es darum, der Berliner Öffentlichkeit den zerrissenen Ist-
Zustand des Zentrums mit seinen Autobahnfragmenten, Mauerstreifen, überbreiten
Magistralen, undefinierten Freiräumen und den unterschiedlichen Fragmenten der
städtebaulichen Moderne als Problem nahe zu bringen. Das war nicht einfach. Die
Tatsache, daß es gelungen ist, die städtischen Perspektiven zu verändern, das
Bewußtsein für die Qualitäten zu wecken, die in der historischen Stadt existiert haben
und die durch Krieg und Nachkriegsentwicklungen verloren gegangen sind, ist ein
Erfolg der Arbeitsweise des Planwerks.
Das Planwerk Innenstadt versteht sich nicht als Masterplan im klassischen Sinn
sondern eher als inhaltlich orientierter Plan, der Bestandteil einer Strategie zur
Wiedergewinnung der Innenstadt als Zentrum einer europäischen Metropole ist.
Wiewohl oft unterstellt, geht es dem Planwerk nicht um eine uniforme Sicht der Stadt.
Vielmehr was es das Ziel, einen Dialog zwischen verschiedenen Positionen in Gang
zu setzen, mit dem Begriff „Stadt“ als gemeinsame Ausgangsbasis.
Das leitende Prinzip der Arbeit bestand darin, daß jeder sektorale Anspruch sich
relativieren lassen mußte, wo er den gemeinsamen Gegenstand des Städtischen in
Frage stellt. Dies betraf alle sektoralen Planungen, in besonderem Maße aber die
Verkehrsplanung mit ihren maßlosen Flächenansprüchen auf der Basis einer
überholten Stadtauffassung.
Die wichtigsten Ziele des Planwerks Innenstadt sind:
7
1. Nachhaltige Stadtentwicklung durch Innenverdichtung und durch Aktivierung
innerstädtischer Entwicklungspotentiale.
2. Umsetzung der politischen Beschlüsse zum Innenstadtverkehr durch Verlagerung
des nicht innenstadtbezogenen motorisierten Individualverkehrs (MIV) auf einen
entsprechend leistungsfähig zu gestaltenden Straßenring bei gleichzeitigem
Ausbau des ÖPNV.
3. Qualifizierung des öffentlichen Raums durch Reurbanisierung und
Nutzungsmischung entsprechend dem Leitbild der europäischen Stadt.
4. Qualifizierung von innerstädtischen Grün- und Freiflächen durch Verbesserung
ihrer Aufenthalts-, Nutzungs- und Gestaltqualität.
5. Stärkung der Innenstadt als Wohnort durch Modernisierung und
Bestandsergänzung durch Neubau, insbesondere durch eigentumsfähige
Typologien.
6. Stadtdialog und Neuformulierung der Berliner Stadtgestalt in einer gemeinsamen
identifikationsstiftenden Innenstadt unter kritischer Berücksichtigung aller
historischen Schichten der Stadtentwicklung.
7. Verflechtung von Einzelplanungen durch die Herstellung überbezirklicher
städtebaulich-stadtgestalterischer Zusammenhänge.
8. Umsetzung dieses Städtebaus durch vorrangige Aktivierung kommunaler
Grundstücke für selbstnutzende Bauherren und Bauherrngemeinschaften.
9. Realisierung des Planwerkkonzeptes durch sich in der Regel selbst tragende
Stadtwirtschafts- und Umsetzungsstrategien.
Verkehr
Mit Bezug auf die Nachhaltigkeit ist neben Flächenrecycling und Nachverdichtung die
Verkehrsreduzierung einer der wichtigsten Aspekte des Planwerks. Durch
anschauliche Darstellungen soll deutlich gemacht werden, daß die Nachteile, die wir
uns mit dem MIV einhandeln, erheblich sind, nicht nur in Bezug auf Lärm und
Luftverschmutzung sondern auch in Bezug auf die Schäden am Stadtbild.
Während in allen anderen Umweltbereichen sich die Bedingungen in den letzten
zehn Jahren erheblich verbessert haben, bleibt die Verkehrsbelastung ein Problem.
8
Sowohl die Anzahl der Fahrzeuge in der Stadt wie auch die der von außen
hineinkommenden hat erheblich zugenommen. Deswegen ist die „Zivilisierung“ des
Verkehrs eine Herausforderung an alle, die innerstädtische Lebensqualität erhalten
bzw. verbessern möchten.
Insbesondere ist es erforderlich, den Durchgangsverkehr aus der Innenstadt heraus
zu halten. Dazu ist eine weitgehende Einführung von Tempo 30 wie auch der
Rückbau überdimensionierter Verkehrsschneisen beabsichtigt. In welchem Maße
dadurch städtische Qualitäten, aber auch Bauland, zurückgewonnen werden können,
zeigt das Beispiel Molkenmarkt.
Soziale Stadt und öffentlicher Raum
Ein wesentliches Ziel Berliner Politik ist es, die Mittelschichten in der Stadt zu halten.
Dies nicht nur aus fiskalischen Gründen, sondern auch deswegen, weil eine gute
Bevölkerungsmischung das Abgleiten ganzer Stadtteile zu Problemquartieren am
besten verhindert. Durch den Mauerfall gibt es seit zehn Jahren die Möglichkeit, in
das Umland zu ziehen; Berlin hat in der letzten Dekade Einwohner verloren und nicht
wie prognostiziert gewonnen.
Ein wesentlicher Faktor für die Wahl des Wohnstandorts ist das Wohnumfeld.
Deswegen werden die wenigen vorhandenen öffentlichen Mittel auf die Qualifizierung
der öffentlichen Räume konzentriert, in den Zentren, den innenstädtischen
Sanierungsgebieten wie auch in den Großsiedlungen am Stadtrand. Die
Einbeziehung der Bürger in die Neugestaltung von Freiflächen ist ein wichtiger
Faktor, um die Identifikation mit ihnen zu erhöhen und damit hoffentlich dem
Vandalismus zu begegnen. Begleitend wird dies vom Quartiersmanagement im
Rahmen des Programms „Soziale Stadt“. Quartiersmanager dienen in den sozialen
Problemgebieten als Kontaktpersonen, Anlaufstelle und vermittelnde Instanz
zwischen einzelnen Bürgern, verschiedenen Initiativen, Gewerbetreibenden und
Verwaltungen in ihren vielfältigen Formen. Dadurch sollen Netzwerke aufgebaut,
Synergien erzeugt und durch Kommunikation bestehende Möglichkeiten besser
ausgenutzt werden.
Alles in allem ist auch im Wohnumfeld das Verkehrsproblem gravierend. Die
erfolgreiche Zivilisierung des Verkehrs würde sich in viele Richtungen positiv
auswirken. Bei der Neustrukturierung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung
wurden deswegen Stadt- und Verkehrsplaner in einer Abteilung integriert, damit
9
durch den direkten täglichen Austausch die Überwindung rein sektoraler
Betrachtungsweisen überwunden wird und die Beziehungen zwischen
Verkehrsplanung und innerstädtischer Lebensqualität besser berücksichtigt werden.
Dadurch wird die Planung für eine ökologisch, ökonomisch und sozial ausgewogene
und nachhaltige Entwicklung in Zukunft hoffentlich leichter fallen. Vieles hat sich in
den letzten zehn Jahren getan, doch bleibt auch weiterhin viel zu tun.
Zusammenfassung
Seit der Wiedervereingung wurde in Berlin mit erheblichem planerischen und
finanziellen Aufwand an der nachhaltigen Entwicklung der Stadt gearbeitet.
Verdichtung gut erschlossener untergenutzter Gebiete, Flächenrecycling,
Reduzierung des innerstädtischen Verkehrs, Verbesserung der Umweltbedingungen
sowie eine sozial ausgewogene Bevölkerungsstruktur sind Ziele der
Stadtentwicklung.
Angaben zur Autorin
Dipl.Ing. Almut Jirku, Landschaftsplanerin. Seit 1992 in der Senatsverwaltung für
Stadtentwicklung, Koordinatorin für Wettbewerbe.
Veröffentlicht in:
Konzepte und Ansätze für eine nachhaltige Stadtentwicklung in Berlin.
in: Wasser und Abfall 2 (2000), H. 10, S. 10 –14.