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Review Symposium
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Chris A. Roe, Wim Kramer & Lisette Coly (Eds.)
Utrecht II: Charting the Future of Parapsychology.
Proceedings of an International Conference, Utrecht, the Netherlands.
New York: Parapsychology Foundation, 2009.
ISBN: 978-1-931747-28-8, xvii+589 Seiten (CD mit digitalisierter Buchversion
und einem 80-seitigen Bildband inliegend), $ 39,95, ca. € 34,00.
Angesichts der – mindestens potenziellen – Bedeutung der Veranstaltung und der resul-
tierenden Proceedings hat die Redaktion ein gutes halbes Dutzend Kollegen eingeladen,
den Tagungsband aus ihrer jeweiligen Sicht zu kommentieren. Vier von ihnen, Michael
Nahm (Freiburg), Renaud Evrard (Rouen), Andreas Hergovich (Wien) und Andreas
Sommer (London), sind unserer Einladung gefolgt. Ihre sehr detaillierten und durchweg
kritisch gestimmten Stellungnahmen, die sich allesamt auch um eine Kontextualisierung
des Ereignisses und der Publikation bemühen, drucken wir nachfolgend ab. Nur einer der
Autoren (Evrard) hat an der Tagung selbst (als “invited observer”) teilgenommen.
Gemäß dem diskussionsorientierten Profil der Zeitschrift für Anomalistik stehen selbst-
verständlich auch alle Beiträge zu diesem „Review Symposium“ für weitergehende Kom-
mentierungen in den folgenden Heften offen. Eben dazu wird hiermit eingeladen.
Gerd H. Hövelmann
Forward ever, backward never?
Betrachtungen zum Tagungsband Charting the Future of
Parapsychology
MICHAEL NAHM1
Die Fachwelt der Parapsychologen, aber auch jeder an der Parapsychologie Interessierte,
hat Grund zur Freude: Mit dem Erscheinen dieses umfangreichen Werkes (über 600 Seiten,
dazu eine CD mit digitalisierten Versionen des Buches sowie eines Fotoalbums) sind nun
1 Dr. Michael Nahm ist Biologe und Forstwissenschaftler mit einem ausgeprägtem Interesse an der
Parapsychologie und ungelösten biologischen Problemen.
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die Beiträge und Diskussionen der im Titel genannten Konferenz veröffentlicht worden.
Ziel dieser Zusammenkunft von ausschließlich geladenen, im Bereich der Parapsychologie
aktiven Personen war es, eine Bilanz über den gegenwärtigen Forschungsstand ihrer
Disziplin zu ziehen und auszuloten, wohin sich die Parapsychologie als Forschungsgemein-
schaft in Zukunft orientieren solle. Diese Konferenz war bereits die dritte größere Tagung
der parapsychologischen Fachwelt in Utrecht, daher wurde in diesem Tagungsband wieder-
holt auf die erste Utrechter Konferenz im Jahr 1953 Bezug genommen. Die Rezension
dieses Buches werde ich der Übersichtlichkeit halber in drei Teile gliedern. Da nicht jeder
an der Parapsychologie Interessierte dieses Werk lesen wird, folgt zunächst eine knappe
Zusammenfassung der einzelnen Beiträge sowie eine erste Beurteilung mancher ihrer Inhal-
te. Danach widme ich zweien dieser Beiträge eine ausführlichere Kritik, und ich schließe
mit eigenen Stellungnahmen zum Thema „Charting the Future of Parapsychology“.
Der Inhalt des Tagungsbandes
Das Buch enthält nebst 18 ausformulierten und mit reichlichen Literaturreferenzen verse-
henen Beiträgen dieser Tagung auch einige Abdrucke von Diskussionsrunden sowie kürze-
re offizielle und umrahmende Stellungnahmen verschiedener Redner. Ich fasse der Reihen-
folge nach die für mich wichtigsten Aspekte dieser Beiträge zusammen.
Im ersten Beitrag der ersten Vortragsstaffel, die experimentellen Ansätzen zur Detekti-
on von anomalen Effekten gewidmet ist, stellt Roger Nelson (Princeton) das „Global
Consciousness Project“ (GCP) vor. In diesem Projekt werden seit vielen Jahren die Daten
von über den gesamten Globus verteilten Zufallsgeneratoren auf die Präsenz von unge-
wöhnlichen Korrelationen untersucht. Offenbar weisen diese Zufallsgeneratoren bei bedeu-
tenden Massenereignissen, welche die Aufmerksamkeit vieler Menschen auf sich ziehen,
wie z.B. am 11.09.2001, tatsächlich signifikante Korrelationen auf, die im Standardbetrieb
normalerweise nicht vorkommen. Sie scheinen daher auf ungeklärte Weise mit dem auf
diese Massenereignisse gerichteten Bewusstsein der Menschenmengen zusammen zu
hängen. Die Analysemethode scheint Fehlerquellen auszuschließen. Nelson ist es auf
lesenwerte Weise gelungen, den Hintergrund und die hauptsächlichen Ergebnisse des Pro-
jekts darzustellen. Seine Folgerung lautet: „Consciousness is real, and it does have direct
effects in the world“ (S. 4). Dennoch fällt es für Laien schwer, sich ein sattelfestes Urteil zu
bilden, denn das GCP ist auch verschiedentlich kritisiert worden (z.B. Etzold, 2003).
Im zweiten Beitrag präsentiert Eva Lobach (Amsterdam) einen interessanten Überblick
über das Forschungsfeld des „Presentiment Research“. Presentiment lässt sich mit „Vor-
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ausgefühl“ umschreiben und unterscheidet sich von der echten Präkognition dadurch, dass
zukünftige Ereignisse sich über unbewusste Änderungen in physiologischen Prozessen
ankündigen können. In bisherigen Untersuchungen wurden u.a. Messungen von Hautwider-
ständen und EEGs oder funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRI) eingesetzt. Es
zeigte sich, dass mit jeder Methode ein solcher Presentiment-Effekt nachgewiesen werden
konnte, wenngleich auch nicht alle Studien erfolgreich verlaufen sind. Lobach diskutiert
die möglichen Gründe hierfür und geht auf verschiedene diskutierte Erklärungsmodelle für
die Ergebnisse ein. Ausgehend vom gegenwärtigen Forschungsstand lässt sich offenbar
spekulieren, dass solche antizipatorischen physiologischen Änderungen im ganzen Körper
nachgewiesen werden könnten (S. 33).
Im dritten und letzten Beitrag der ersten Vortragsstaffel gibt Thilo Hinterberger (Frei-
burg) eine knappe Übersicht über die zahlreichen Experimente, die zur Detektion mögli-
cher direkter physiologischer Korrelation zwischen räumlich entfernten Individuen bzw.
deren Gehirnen durchgeführt worden sind. Einige dieser Studien zeigten signifikante Effek-
te, andere nicht. Mit dem Ziel, das Versuchsdesign derartiger Studien zu optimieren, führte
Hinterberger eigene Untersuchungen unter Verwendung von EEG-basierter Technologie
durch, deren Ergebnisse er hier darstellt. Nach sorgfältiger Auswertung kommt er zu dem
Schluss, dass die Daten zwar einen schwachen Korrelationseffekt aufweisen, doch dass
dieser nicht robust genug erscheint, um als sicheres positives Ergebnis gewertet zu werden.
Diese Vortragssession hinterließ bei mir einen guten Gesamteindruck. Es wird deutlich,
wie viel auf diesen Gebieten bereits geleistet worden ist und auf welchem hohen methodo-
logischen Niveau gearbeitet wird. Obwohl die Interpretation der Ergebnisse nicht immer
einfach ist und man sich gerade in der experimentellen Parapsychologie immer noch mit
notorischen Problemen wie der Replizierbarkeit der Ergebnisse und Experimentator-
Effekten herumplagt, dürfte mittlerweile eines als gesichert gelten: „There is something
there“ (Nelson, S. 64).
Die zweite Reihe von erneut drei Beiträgen befasst sich mit dem Auftreten von para-
normalen Erfahrungen im alltäglichen Leben, also mit den sog. „Spontanerlebnissen“. Im
ersten Beitrag von Robert L. Van De Castle (Charlottesville) werden in ausführlicher Weise
Träume und ihre Bezüge zu außersinnlicher Wahrnehmung (ASW) behandelt. Sein kennt-
nisreicher und detaillierter Überblick über das Thema ist eine Fundgrube an faszinierenden
und oft wenig bekannten Zusammenhängen sowie Literaturverweisen. Herausgreifen möch-
te ich nur folgende mir wichtig scheinende Punkte: Träume sind ein sehr häufiges, wenn
nicht das häufigste Mittel, worin über ASW spontane Kenntnis über sonst nicht zugäng-
liche Informationen erlangt werden kann. Einen sehr großen Anteil von diesen im Traum
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erworbenen ASW-Kenntnissen nehmen Informationen über den Tod von nahen Angehöri-
gen oder Freunden ein. Nebst anderen Teilgebieten des Traumreiches diskutiert Van De
Castle auch die merkwürdigen und eindrücklichen Träume, die Empfänger von Organtrans-
plantaten manchmal zu erleben scheinen, und die offenbar wahrheitsgemäße Auskünfte
über das Leben der verstorbenen Spenders enthalten – ein möglicherweise sehr lohnens-
wertes Forschungsfeld. Van De Castle spekuliert in diesem Zusammenhang über die
Möglichkeit von „zellulären Erinnerungen“, was mir aus biologischer Sicht jedoch sehr
unwahrscheinlich scheint. Eher würde ich hier an Psychometrie als Weg der Wiederbele-
bung von vermeintlich korrekten Erinnerungen denken (ähnlich urteilt Dossey, 2008). Die
Gegenstände, die zur Psychometrie verwendet werden, sind zumeist unbelebte Objekte und
besitzen noch nicht einmal Zellen. Van De Castle bespricht auch luzide Träume, d.h.
Träume, in denen der Träumende sich dessen bewusst ist, dass er gerade träumt. Dieses
interessante Forschungsfeld birgt einige Faszinosa, von denen zwei bemerkenswerte
Aspekte bislang nur wenig bekannt sind – selbst unter denjenigen, die seit vielen Jahren auf
diesem Gebiet forschen. Die Rede ist zum einen von luziden Träumen, die mit anderen
luziden Träumern geteilt werden, also von gemeinsamen luziden Träumen. Van De Castle
streift das Thema leider nur kurz. Es existiert hierzu bereits einige Literatur, wenngleich
nur in anekdotischer Form und in oftmals schwer zugänglichen Quellen. Eine gute Litera-
turzusammenstellung findet sich in Magallón (1997). Es ist zu hoffen, dass dieses vernach-
lässigte Thema in Zukunft verstärkte Aufmerksamkeit erfährt, denn es ließe sich durchaus
auch im Schlaflabor untersuchen. Vielleicht träfe dies auch auf den zweiten wenig bekann-
ten Aspekt von luziden Träumen zu: Die Möglichkeit, in luziden Träumen mit Personen
wie Medien in telepathischen Kontakt zu treten. Es gibt hierfür bislang nur wenige
Anhaltspunkte, doch diese sind von Kaliber: Der Psychologe Frederik van Eeden, selbst ein
bekannter luzider Träumer und Schöpfer des Begriffs „Luzider Traum“, hatte offenbar
mehrfach telepathischen Kontakt mit dem von der Society for Psychical Research unter-
suchten Medium Mrs. Thompson (van Eeden, 1902). Die Beeinflussung von Medien durch
lebende Akteure stellt ein wichtiges und bis heute vernachlässigtes Forschungsfeld dar
(Nahm, 2010).
Im zweiten Beitrag dieser Staffel diskutiert Fátima Regina Machado (Sao Paulo) Spuk-
und Poltergeistphänomene. Dieser Aufsatz enthält zwar eine beeindruckende Literaturliste
sowie einen flammenden Appell, diese Phänomene mit wissenschaftlicher Methodik zu
untersuchen, ist ansonsten allerdings enttäuschend. Ich werde im zweiten Teil der Buch-
besprechung ausführlich auf diesen Beitrag zurückkommen.
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Im dritten Beitrag fasst Christine Simmonds-Moore (Liverpool) den Kenntnisstand über
die Untersuchung der Persönlichkeitsmerkmale zusammen, die das Erleben von paranorma-
len Erfahrungen zu begünstigen scheinen. Sie spekuliert weiterhin darüber, wie sich das
scheinbar begünstigende Moment, eine ausgeprägte „boundary thinness“, sich im Laufe der
Evolution hat entwickeln und erhalten können.
Die nächsten vier Beiträge der Tagung stehen unter keinem spezifischen Motto. Im
ersten widmet sich Edwin C. May (Palo Alto) einer Darstellung der für ihn wichtigsten
Herausforderungen für die gegenwärtige experimentelle Parapsychologie. Für mich ist
dieser Beitrag einer der wichtigsten des Tagungsbands. May unterscheidet in seinen Aus-
führungen zwischen Schwierigkeiten, die jenseits der Kontrolle der Parapsychologen liegen
(hauptsächlich der chronische Mangel an Geld und damit an gut ausgebildeten Wissen-
schaftlern mit langfristigen Forschungsperspektiven), Schwierigkeiten, die hausgemacht
sind (z.B. Uneinigkeit über die Existenz von Phänomenen und Forschungsprioritäten, Prob-
leme der Replizierbarkeit von Studien, mangelnde Fachkenntnis der verwandten Main-
stream-Literatur in Psychologie oder Physik) sowie technische Schwierigkeiten wie die
Ungreifbarkeit von Psi, die May in der Frage „When, where, and how long does psi
happen?“ zusammenfasst (S. 235). Da gerade in der experimentellen Parapsychologie oft
nicht klar zwischen Präkognition, Hellsehen, Telepathie oder Psychokinese unterschieden
werden kann und da auch gerade hier oft nicht klar ist, wer für etwaige Effekte tatsächlich
verantwortlich ist (die Versuchsperson oder der Leiter des Experiments), sieht May hier
große Probleme, welche die Entwicklung eines angemessenen Verständnisses von Psi in
Praxis und Theorie behindern. Er zieht insgesamt eine sehr pessimistische Bilanz der Para-
psychologie und ihrer nahen Zukunft. In der anschließenden Diskussion kam daher die
Frage auf, warum man nicht häufiger mit Psi-begabten Personen arbeite, um eindeutigere
Aussagen treffen zu können. Obschon auch mit diesem Ansatz verschiedene Probleme
verbunden sind, scheint es auch mir leichtfertig, auf dergleichen Untersuchungen weit-
gehend zu verzichten.
Im zweiten Beitrag stellt Carlos S. Alvarado (Charlottesville) die Inhalte und den Kon-
text der ersten Utrechter Konferenz im Jahr 1953 vor. Im dritten erwägt Deborah L. Dela-
noy (Northampton) die Vor- und Nachteile von Universitäten und von unabhängigen
Forschungsinstitutionen als Basis für parapsychologische Forschung. Im vierten Beitrag
legt Etzel Cardeña (Lund) dar, dass es in der Psychologie, besonders aber auch in der Para-
psychologie, oft an klaren Begriffsdefinitionen fehlt. Dies betrifft besonders den Begriff
„con-sciousness“, der in beiden Disziplinen eine zentrale Rolle spielt. Cardeña verdeutlicht
Probleme, die sich aus dieser fehlenden Präzision ergeben und gibt Anregungen, wie in
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Zukunft mehr Klarheit geschaffen werden könnte. Auf der Tagung hielt weiterhin eines der
Aushängeschilder der akademischen Parapsychologie, der Physiker und Nobelpreisträger
Brian Josephson (Cambridge), einen Vortrag über seine Theorie der sich selbst organisie-
renden Realität. Leider sollte dieser Vortrag nicht mit in den Tagungsband aufgenommen
werden, da Josephson seine Gedanken nicht vorzeitig publizieren mochte (S. 323).
Die dritte themenbezogene Beitragsstaffel mit wiederum drei Referenten behandelt die
Schnittstellen der Parapsychologie mit klinischen und medizinischen Belangen. Im ersten
Beitrag stellt Martina Belz (Bern) einen Überblick über die sog. „Klinische Parapsycholo-
gie“ vor. Wie die Referentin selbst richtig betont, handelt es sich hierbei allerdings nicht
um parapsychologische Forschung, sondern um einen rein psychologischen Ansatz. Hierbei
werden Methoden entwickelt, um die Persönlichkeitsmerkmale und Bedürfnisse von
solchen Personen zu erfassen, die glauben, außergewöhnliche Erfahrungen gemacht zu
haben und die Hilfestellung für den Umgang mit ihren Erfahrungen suchen. An Untersu-
chungen der beschriebenen Phänomene ist man hier nicht interessiert. Vorrangiges Ziel ist
es, die Personen mit ihren Problemen ernst zu nehmen und ihnen das Stigma der Besonder-
heit zu nehmen.
Im zweiten Beitrag referiert Harald Walach (seinerzeit Northampton) über Spiritualität
und deren Bezug zur Parapsychologie. Er versteht Spiritualität hier als „experiential reali-
zation of a transcendent reality“ (S. 377). Walach führt aus, dass er die Entwicklung der
Parapsychologie in den letzten Jahrzehnten für verfehlt hält. Sie decke sich nicht mehr mit
den Zielen der Gründerväter dieser Forschungsdisziplin, habe die ursprünglichen Ziele, die
auch die Legitimierung eines spirituell ausgerichteten Lebensverständnisses umfassten, an
andere Disziplinen wie die Transpersonale Psychologie abgegeben, und habe trotz einiger
Bemühungen nach wie vor keinen Anschluss an die Wissenschaftsdisziplinen des Main-
stream gewinnen können. Als Lösung des Dilemmas schlägt er Erweiterungen von aus der
Physik stammenden Modellen von systemischen Verschränkungen vor, dargestellt in der
„Weak Quantum Theory“ (WQT). Ob dies viel helfen würde, wage ich jedoch zu bezwei-
feln. Auch wenn die WQT ein vielversprechender Ansatz ist und auf manche Bereiche der
Parapsychologie erfolgreich angewendet werden mag, hat sie m.E. nicht mehr und nicht
weniger mit Spiritualität zu tun als manche andere Erklärungsmodelle.
Im schließenden Beitrag fasst die Referentin Jeanne Achterberg (San Francisco) die
Forschungslage zum Thema gezielt induzierter Fernheilung zusammen. Sie berichtet dabei
auch ausführlich über ihre eigenen Arbeiten, die auf fMRI-Untersuchungen basieren. Hier-
bei haben Heiler versucht, ihren Versuchspartnern in der fMRI-Scannerröhre in unregelmä-
ßigen Abständen heilende Gedanken oder „Energien“ zu senden. Achterberg fand teilweise
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hochsignifikante Korrelationen zwischen den „Sendezeiten“ der Heiler und der Aktivierung
bestimmter Hirnregionen bei den Empfängern dieser Heilungsimpulse. Es bleibt auch in
spiritueller Hinsicht als wichtiges Ergebnis der Forschungen von Achterberg festzuhalten,
dass insbesondere Personen, die in enger emotionaler Verbindung stehen, offenbar einen
direkten Einfluss aufeinander ausüben können – ein in der Parapsychologie seit langem
wohldokumentiertes Phänomen. Lehrreich ist auch Achterbergs Diskussion zweier groß
angelegter Studien, in denen der Effekt von Gebeten auf Patienten analysiert werden sollte.
Beide verliefen erfolglos, was angesichts der von Achterberg dargestellten methodologi-
schen Schwachpunkte allerdings nicht weiter verwundern muss.
Die letzte thematische Beitragsreihe ist der Auslotung von theoretischen Ansätzen zur
Erklärung parapsychologischer Phänomene gewidmet. Die drei Themen betreffen das Prob-
lem des Geist-Körper-Verhältnisses, den Bezug der Zeitlichkeit zur Kausalität sowie eine
Untersuchung von verfügbaren Erklärungsmodellen für Psi hinsichtlich der Frage, inwie-
fern physikalische Wirklichkeitsmodelle angesichts der parapsychologischen Phänomene
revidiert werden müssten.
Der Referent Hoyt Edge (Winter Park, Florida) bezieht im ersten Beitrag klar Position
mit der Behauptung, es gebe schlichtweg kein Geist-Körper-Problem in der Parapsycholo-
gie und damit auch keine Notwendigkeit für dualistische Erklärungsmodelle. Die Argumen-
te, die er zur Untermauerung seiner These heranzieht, sind jedoch dürftig. Seinen Beitrag
werde ich im nächsten Abschnitt ausführlicher kommentieren.
Im Beitrag über ein angemessenes Verständnis von Präkognition, Zeit und Kausalität
orientiert sich der Referent Richard Shoup (Los Altos) in erster Linie an den experimentel-
len Studien der jüngeren Parapsychologie. Er vertritt dabei die Meinung, dass die traditio-
nelle Einteilung der parapsychologischen Phänomene in Telephatie, Hellsehen, Präkogniti-
on und Psychokinese antiquiert und irreführend sei, da diese Phänomene nicht voneinander
zu trennen und wahrscheinlich auf den selben „physical mechanism“ zurückzuführen seien
(S. 478). Obwohl dies speziell für den Kontext der experimentellen Parapsychologie und
die dort dokumentierten „Mikro“-Varianten dieser Phänomene vielleicht zutreffen mag,
scheint mir eine derartige Verallgemeinerung für die Makro-Psi-Phänomene nicht zulässig.
Überhaupt leidet Shoups Beitrag unter der Beschränkung auf die experimentelle Parapsy-
chologie. Es scheint mir zweifelhaft, ob das von ihm favorisierte Modell zur Erklärung der
Psi-Phänomene ihrem gesamten Spektrum gerecht wird. Die Annahme von zusätzlichen
Kräften oder Feldern lehnt Shoup ab. Zur Erklärung von Präkognition postuliert Shoup die
Verschränkung zwischen der betreffenden Person und dem Ereignisgenerator über Interak-
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tionen, die erst in der Zukunft stattfinden werden, die aber über „Retrokausalität“ schon
jetzt Auswirkungen zeigen (S. 478).
Im letzten theoretischen Beitrag zu Erklärungsmöglichkeiten von Psi führt York H.
Dobyns (Princeton) aus, was er unter „Physics with an Open Mind“ versteht. Dabei machen
seine Ausführungen dem Beitragstitel alle Ehre. Er geht das Thema mit wohltuender
Offenheit, Ehrlichkeit und Frische an. Dabei beschränkt er sich nicht auf die Diskussion
von Teilbereichen der Parapsychologie, sondern spricht auch wiederholt die z.B. mit
Makro-Psychokinese verbundenen Probleme an. Dobyns ist auch in der Lage, das Wort
„Dualismus“ ohne explizite oder implizite negative Konnotationen zu verwenden und bleibt
damit offen in alle Richtungen, sogar hinsichtlich Theorien, wonach Psi im Wesentlichen
nicht-physikalischer Natur ist. Er diskutiert problematische Aspekte verschiedener Erklä-
rungsmodelle von Psi und weist ebenfalls auf ungelöste Schwierigkeiten der gegenwärtigen
Physik hin, so z.B. auf die derzeit noch fundamentale Unvereinbarkeit ihrer beiden Säulen
Quantenmechanik und allgemeine Relativitätstheorie. Letztlich bleibt festzuhalten, dass
verschiedene gegenwärtig diskutierte Erklärungsmodelle für Psi ihre Schwächen und Stär-
ken haben, aber dass wir heute noch weit davon entfernt sind, eine allgemeingültige Theo-
rie über die Hintergründe und Funktionsweisen von Psi aufstellen zu können. Als Empfeh-
lung für die zukünftige Parapsychologie rät er u. a. zu systematischen Untersuchungen von
Makro-Psychokinese. Dobyns’ Beitrag zählt für mich zu den besten und ausgewogensten
des gesamten Tagungsbandes und bildet einen versöhnlichen Abschluss dieser über weite
Strecken recht biederen Vortragssession.
In der anschließenden Diskussionsrunde steuert Bernard Carr einen wichtigen Gedan-
ken bei, in dem er darauf hinweist, dass immer auch mentale Prozesse beim Erleben von
gewöhnlichen und ungewöhnlichen Erfahrungen eine wichtige Rolle spielen (Carr verweist
z.B. auf Nahtoderfahrungen), und dass diese nicht von der Physik alleine erklärt werden
können. Er verweist weiterhin auf sein Modell einer höherdimensionierten Wirklichkeit,
deren höhere Dimensionen mit mentalen Qualitäten und der Vermittlung von Psi-Effekten
in Zusammenhang stehen könnten (Carr, 2008). Ein sehr ähnliches Modell habe ich an
anderer Stelle vorgestellt (Nahm, 2007).
Die letzen beiden inhaltlich wichtigen Beträge umfassen das persönliche Resümee des
Moderators der Tagung, Chris Roe (Northampton), sowie einen knappen Ausblick auf die
nächsten Schritte für die Realisierung des zentralen Themas „Charting the Future of
Parapsychology“ von Gerd Hövelmann (Marburg). Beide Referenten betonen die Wichtig-
keit einer „Normalisation“ der parapsychologischen Phänomene, was im Wesentlichen
durch die Angleichung der parapsychologischen Forschungsmethoden an diejenigen des
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Mainstreams erreicht werden soll. Nur dann, so scheint es Roe und Hövelmann, wird die
Parapsychologie sich als ernst zu nehmende Wissenschaftsdisziplin Respekt verschaffen
und behaupten können.
Kritik an ausgewählten Beiträgen
Wie die bisherige Rundschau über die Inhalte der Tagung gezeigt hat, wurde hier eine the-
matisch vielseitige und ansprechende Mischung aus aktuellen Forschungsschwerpunkten
der Parapsychologie präsentiert. Besonders die Beiträge über die experimentelle Parapsy-
chologie haben auf mich einen sehr positiven und professionellen Eindruck gemacht, und
ich bin sicher, dass die jeweiligen Forschungsgebiete trotz der vielfältigen Probleme hier in
sehr guten Händen sind. Anders scheint es mir jedoch um die Erforschung der Spontanphä-
nomene und den Bereich der Theoriebildung zu stehen. Deshalb möchte ich hier als advo-
catus diaboli einige Kritik üben. Bevor ich zu allgemeinen Kommentaren und Empfehlun-
gen zum Thema „Charting the Future of Parapsychology“ übergehe, widme ich mich daher
zunächst zwei Beiträgen, in denen zwei Problemkreise von außerordentlicher Bedeutung
für die Parapsychologie auf nur schwachem Niveau behandelt worden sind. Ich beginne mit
Fátima Machados Abhandlung über Spuk- und Poltergeistphänomene und schließe eine
Kritik an Hoyt Edges Ausführungen zum Geist-Körper-Problem an.
Machados Ansatz zur Erforschung der Spukphänomene lässt sich knapp zusammenfas-
sen: Zeugenaussagen sind grundsätzlich unzuverlässig, da man objektive und subjektive
Aspekte der Berichte kaum voneinander trennen kann. Man muss daher zunächst die Per-
sönlichkeitsmerkmale der Berichtenden mit psychologischem Rüstzeug untersuchen. Gege-
benenfalls kann man dann mit technischer Ausrüstung an den Ort des vermeintlichen Spuks
zurückkehren, um physikalische Anomalien zu detektieren. Diese Überlegungen haben
einige Berechtigung. Die Art und Weise, wie Machado sie jedoch präsentiert, halte ich in
zweierlei Hinsicht für unbefriedigend. Und zwar (1) hinsichtlich der Form und Sprachwahl
ihres Beitrags und (2) hinsichtlich dessen, was sie dabei an wichtigen inhaltlichen
Gesichtspunkten unberücksichtigt lässt. Auf beide Aspekte gehe ich der Reihe nach ein.
Zunächst empfinde es als bedauerlich, dass Machado von Beginn an auf eine Polarisie-
rung der Parapsychologie in „gute“ und „schlechte“ Forschungsansätze hingearbeitet hat.
Polarisierungsansätze finden sich auch in anderen Tagungsbeiträgen, jedoch nirgendwo so
ausgeprägt wie bei ihr. Vermutlich ist dies durch die brasilianische Herkunft Machados
bedingt, da in Brasilien der Spiritismus nach wie vor eine große Rolle im Leben der Bevöl-
kerung spielt und auch vieles Abstruse blind geglaubt wird. Jedenfalls folgt Machados
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Methode der Polarisierung der auch bei Skeptikern üblichen Methode. Dabei wird derjenige
Ansatz, der einem nicht liegt, als „unwissenschaftlich“ oder „pseudowissenschaftlich“
bezeichnet, der eigene Ansatz hingegen als „wissenschaftlich“ – und das, obwohl es in der
akademischen Wissenschaftstheorie seit einiger Zeit als erwiesen gilt, dass derartige Beg-
riffszuweisungen keine objektiv greifbare Grundlage besitzen. Der Wissenschaftsforscher
Michael Hagner (2008) schreibt beispielsweise zur Demarkation „pseudowissenschaftlich“:
„Eine solche Zuschreibung nehmen immer nur die anderen vor, und zwar in pejorativer
Absicht, um eine bestimmte Lehre oder Praxis zu isolieren, sie aus dem wissenschaftlichen
Bezirk auszugrenzen. Insofern ist Pseudowissenschaft ein politischer Kampfbegriff, der die
Vertrauenswürdigkeit einer bestimmten Lehre und derer, die sie vertreten, in Misskredit
bringen soll, um dagegen eine wie auch immer definierte Reinheit, Unabhängigkeit und
Nicht-Kontaminierbarkeit der Wissenschaften zu behaupten“ (S. 22). Solche Ansätze sind
somit obsolet und man sollte davon absehen, Gebrauch von ihnen zu machen. Machado
aber lässt schon im ersten Absatz keinen Zweifel daran, was aus ihrer Sicht von einem
„supernaturalist approach“, der spiritualistischen Auffassung, wonach Spuk und Poltergeis-
ter auch von entkörperten Wesen bewirkt werden können, zu halten ist (S. 115). Schon die
Wortwahl „supernaturalist“ impliziert eine abwertende Konnotation. Für Machado bezie-
hen sich Vertreter des „supernaturalist approach“ zumeist auf „religious, religious-like or
pseudo-scientific doctrines“ (S. 115). Der „naturalist“ hingegen würde nach „patterns, clues
and permanent answers“ suchen (S. 115) und sich der „scientific method“ bedienen, um
„natural explanations“ zu finden (S. 126). Und wenn ein „supernaturalist“ behauptet, Spuk-
erscheinungen könnten nicht durch empirische Untersuchungen erklärt werden, so hält
Machado einen solchen Denkansatz für glaubensgesteuert, unwissenschaftlich und aufklä-
rungsbehindernd. Allerdings verfällt Machado auch selbst in diese Denkhaltung, indem sie
nämlich in exakter Analogie behauptet, dass die Frage nach dem Überleben des Todes
grundsätzlich nicht mit wissenschaftlichen Mitteln geklärt werden könne, da sie nicht empi-
risch getestet werden könne (S. 140). Abgesehen von der Unrichtigkeit der Auffassung,
Wissenschaft könne ausschließlich mittels empirischer Tests betrieben werden, offenbart
sich hier eine augenfällige Doppelmoral.
Zudem stellt Machado immer wieder irreführende Behauptungen auf, die spiritualisti-
sche Ansätze diskreditieren sollen. Ein Beispiel: Sie behauptet, nur die nicht-
spiritualistischen Spukforscher des 19. Jahrhunderts hätten ihre Meinung auf der wissen-
schaftlichen Methode begründet (S. 126). Tatsächlich haben sehr viele der spiritualistischen
Forscher wissenschaftlich gearbeitet und hier sogar Standards gesetzt. Im deutschen
Sprachraum sei hier nur der Arzt Justinus Kerner (1786-1862) genannt, der bei der Doku-
mentation seiner Fälle stets Wert auf das Sammeln von möglichst vielen zeitnahen und
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unterzeichneten Zeugenberichten gelegt hat und der mit seinen somnambulen Patienten
oder den vermeintlichen Spukagenten auch experimentell gearbeitet hat. Besonders seine
Abhandlung Eine Erscheinung aus dem Nachtgebiete der Natur (Kerner, 1836) stellt ein
mustergültiges Spukdokument dar, das in meinen Augen bis heute zu den best beurkunde-
ten und lesenswertesten Zeugnissen dieses Forschungsfeldes zählt. Kerner ist damals in
seiner Funktion als Gerichtsarzt in Weinsberg mit der Untersuchung der massiven Spuk-
und Poltergeistphänomene innerhalb eines sehr gut gesicherten Gefängnisses beauftragt
worden, eines „Gefängniß im Gefängnisse“, und stellt in diesem Buch seine Ergebnisse dar.
Er konnte sich persönlich von der Echtheit der Phänomene überzeugen und veröffentlicht
hier die Berichte von rund 50 namentlich genannten Augenzeugen – von Gefängnisinsassen
bis zum Oberamtsrichter und Pfarrer – und enthält sich explizit einer Deutung der Phäno-
mene.
Was aber hat Machados Beitrag inhaltlich zu bieten? Auch hier folgt Ernüchterung.
Machado kann sich nirgendwo zu eindeutigen Aussagen über kritische Themen durchrin-
gen und man fühlt sich am Ende der Lektüre trotz der vielen Literaturangaben genauso
schlau wie zu Beginn. Ich vermisse z.B. die Erörterung einer zentralen Frage der Spuk- und
Poltergeistforschung, die Frage nach der Objektivität von Spukerscheinungen. Sind diese
Phänomene etwa nur Halluzinationen oder haftet ihnen zumindest teilweise ein objektiver
Charakter an? Machado kündigt an, diese Frage anhand von neuen Daten und Informatio-
nen in einem gesonderten Abschnitt „in more detail“ behandeln zu wollen (S. 125).
Tatsächlich findet man aber keinen derartigen Abschnitt in ihrem Aufsatz. Immerhin sind
hier und da vereinzelte Sätze zur Objektivitätsfrage eingestreut. Der letzte seiner Art lautet:
„Even the use of sophisticated technological devices in contemporary field research cannot
provide answers to questions related to objective aspects of the phenomena“ (S. 136). Spä-
testens an dieser Stelle muss man sich fragen, warum Machado nirgendwo die klassischen
Argumentationslinien der Spukforschung aufgenommen und diskutiert hat, und zwar auf
Basis der teilweise sehr gut dokumentierten Zeugen- und Untersuchungsberichte. Wahr-
scheinlich hat sie es nicht getan, weil sie Zeugenaussagen grundsätzlich für bedenklich hält,
da sie durch persönliche und kulturelle Glaubenssysteme beeinträchtigt werden können (S.
122). Das mag zwar stimmen, aber sie scheint hier die Interpretation von Phänomenen mit
deren Beschreibung zu verwechseln. Es ist im Gegenteil in hohem Maße erstaunlich, wie
exakt Spuk- und Poltergeistbeschreibungen aus allen Kulturkreisen der Erde übereinstim-
men – bis hin zu solchen ungewöhnlichen Details wie der Wärme von apportierten Steinen.
Allerdings liefert Machado dann aber selbst eine auf Beobachtungen basierende Charakte-
risierung von Spukerscheinungen (S. 122) – sind Zeugenaussagen also vielleicht doch
brauchbar? Dann aber hätte man sie durchaus auch zur Erörterung der Objektivitätsfrage
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heranziehen können. Man hätte z.B. fragen können: Wie lassen sich übereinstimmende
Beschreibungen von kollektiv wahrgenommenen Spuk-Erscheinungen beurteilen und ein-
ordnen? Inwiefern sind kollektive Spontanhalluzinationen, die auch Tiere mit einschließen
können, in der gegenwärtigen Psychologie nachgewiesen oder abgesichert? Wie steht es
mit den vielfach beschriebenen extremen Reaktionen von Tieren, die manchmal an den
Folgen der Begegnung mit einem Spuk sogar gestorben sein sollen (z.B. eine Katze in Ker-
ner, 1836)? Oder mit speziell solchen Fällen, in denen die Erscheinung eines Sterbenden
oder eines gerade Verstorbenen von Tieren noch vor den ebenfalls anwesenden Menschen
bemerkt worden ist (z.B. Mattiesen, 1936-1939)? Können Spukerscheinungen auch physi-
sche Objekte bewegen, z.B. Türen? Und wie steht es mit den oftmals von den Phantomen
dargestellten Erscheinungsmotiven oder Kommunikationsinhalten? In welcher Beziehung
hierzu stehen die Motive der die Erscheinungen wahrnehmenden Personen, solche Phanto-
me halluzinieren zu wollen? Welche Beziehungen von physikalischen Energien zu ortsge-
bundenem Spuk sind denkbar, speziell mit solchen Formen, wobei in regelmäßigen zeitli-
chen Abständen immer wieder übereinstimmend Spukerscheinungen von unterschiedlichen
Personen wahrgenommen worden sind, die von den vorhergehenden Sichtungen nichts
wussten? Zahlreiche weitere für eine Beurteilung des Sachverhalts wichtige Fragen ließen
sich formulieren, darunter solche nach möglichen Zusammenhängen mit den Phänomenen
des physikalischen Mediumismus (Braude, 1997), mit Spukerscheinungen von lebenden
Menschen (Gurney, Myers, & Podmore, 1886), oder mit den vielfältigen Merkwürdigkei-
ten, die seit Jahrhunderten als um die Todesstunde stattfindend berichtet werden und erst
kürzlich wieder verstärkt in den Mittelpunkt wissenschaftlichen Interesses gerückt sind
(Fenwick, Lovelace & Brayne, in press; Nahm, 2009).
Der deutschsprachige Leser hat das Glück, mit dem dreibändigen Monolith von Emil
Mattiesen (1936-1939) ein auch im internationalen Vergleich bislang unerreicht detaillier-
tes Grundlagenwerk zu derartigen Fragen studieren zu können. Dabei muss man Mattiesen
nicht in allen Interpretationen der Phänomene folgen. Aber Mattiesen zeigt unmissverständ-
lich, dass mit allgemeinen Überlegungen oder Vorabqualifikationen nichts gewonnen wer-
den kann, sondern dass einzig und allein die sorgfältige Analyse von einzelnen Fallberich-
ten – und zwar idealer Weise der jeweils aussagekräftigsten und bestdokumentierten –
gepaart mit einer differenzierten Nachverfolgung verschiedener Argumentationslinien dazu
führen kann, eine kompetente Meinungsbildung über das Gesamtforschungsfeld des Spuks
zu erlauben.
Doch nicht nur eine Referenz zu Mattiesens Klassiker fehlt in Machados Abhandlung,
sondern auch zu weiteren wichtigen Grundlagenwerken wie dem „Steckbrief des Spuks“
Review Symposium
228
(Huesmann & Schriever, 1989) oder dem Modell der Pragmatischen Information (MPI, z.B.
Lucadou & Zahradnik, 2004). Es ist wahrscheinlich, dass die Sprachbarriere für Machado
das Studium dieser Literatur oft behindert hat, doch die letztgenannte Publikation ist in
englischer Sprache verfasst und im Internet frei verfügbar. Die Zukunft der Spuk- und
Poltergeistphänomene sollte jedenfalls eine möglichst umfassende Berücksichtigung ver-
schiedener theoretischer Ansätze bieten. Dazu gehört nicht zuletzt ein weiterer Faktor, der
sowohl von Machado als auch von vielen weiteren Spukforschern nicht berücksichtigt wird.
Bereits im Jahr 1888 hatte Carl du Prel betont, dass man auch zum Verständnis von Spuk-
erscheinungen zunächst zwischen „conditio“ (Bedingung) und „causa“ (Ursache) unter-
scheiden müsse (du Prel, 1888/1971). Zu den Bedingungen, welche die Erfahrung eines
Spukerlebnisses begünstigen können, müssten etwaige physikalische Kraft- oder Feld-
anomalien gerechnet werden, eine ausgeprägte „boundary thinness“ der Perzipienten, und
die systemischen Verquickungen, die im MPI angenommen werden. Die eigentliche Ursa-
che einer Geistererscheinung oder eines Poltergeist-Ausbruchs mag aber dennoch voll-
kommen unabhängig von diesen Bedingungen sein, sondern in diesen nur einen Kanal
finden, sich leichter, häufiger und effizienter zu manifestieren. Die bloße Korrelation von
physikalischen Anomalien mit Spukerscheinungen sagt möglicherweise wenig über deren
wahre Ursachen aus.
Doch nach so viel Grundsatzkritik stimme ich Machado in jedenfalls einem Punkt un-
eingeschränkt zu: Die beschriebenen Phänomene sind außerordentlich bedeutungsvoll und
verdienen es, im Kontext der parapsychologischen Forschungsgemeinschaft intensiv
erforscht zu werden. Und zwar mit seriöser wissenschaftlicher Methodik, neutraler Abwä-
gung von einzelnen Indizien und vor allem frei von einschränkenden weltanschaulichen
Vorurteilen. Machado regt sogar die Bildung eines Netzwerkes zur Spukforschung an, eine
sehr gute Idee, die ich gerne in die Praxis umgesetzt sehen würde. Mein Gesamtfazit aus
Machados Beitrag lautet: Ihr Ansatz mag zwar im Zuge der vielfach angestrebten „Norma-
lisation“ der Parapsychologie angebracht und empfehlenswert sein – besonders wenn es
darum geht, die moderne Spuk- und Poltergeistforschung nach außen zu präsentieren. Aber
die vollständige Reduktion der parapsychologischen Spukforschung auf diese Herange-
hensweise sehe ich als einen unangemessenen Rückschritt an, der in absehbarer Zukunft
auch keinen nennenswerten Erkenntnisgewinn mit sich bringen wird.
Ich komme nun zur Kritik an Hoyt Edges Beitrag über das angeblich nicht existente
Geist-Körper-Problem in der Parapsychologie. Zunächst ist festzuhalten, dass Edges
Gleichsetzung von Dualismus mit dem historischen Cartesianischen Dualismus und seinen
Derivaten eine Simplifizierung darstellt, die den verschiedenen philosophischen, mysti-
Review Symposium
229
schen und auch vitalistischen Konzepten von Dualismus nicht gerecht wird. Den Cartesia-
nischen Dualismus versucht Edge sodann mittels theoretischer Überlegungen zu seiner
Entwicklungsgeschichte und philosophischen Spekulationen zu entkräften, wobei er die
eigentlichen Probleme, die heute vorwiegend auf empirischen Beobachtungen beruhen,
jedoch vollständig außer Acht lässt (z.B. Kelly et al., 2007). Viele dieser Probleme stam-
men nicht einmal aus dem Bereich der Parapsychologie, wodurch außerdem deutlich wird,
dass das Geist-Körper-Problem keineswegs trivial ist und auch in anderen Disziplinen nach
wie vor Bestand hat.
Ein Aufsatz mit dem Anspruch, die Dualismus-Frage auf professionellem Niveau zu
diskutieren, sollte in der heutigen Zeit zumindest die folgenden Problembereiche erörtern:
verschiedene ungeklärte Aspekte von Nahtod-Erfahrungen (Holden, Greyson & James,
2009), darunter konkrete und sehr gut dokumentierte Fälle (Sabom, 1998; Smit, 2008a,
2008b); die Frage, wieso selbst bei massiven Gehirnverletzungen (für Literaturreferenzen
siehe Nahm, 2009) und sogar bei der operativen Entnahme kompletter Gehirnhemisphären
das Erinnerungsvermögen und die Persönlichkeitsmerkmale der Betroffenen unverändert
erhalten bleiben können (Bell & Karnosh, 1949); oder die Tatsache, dass selbst scheinbar
einfache mentale Fähigkeiten wie das Abspeichern und Abrufen von Erinnerungen sowohl
unter philosophischen (Braude, 2006) als auch neurophysiologischen Gesichtspunkten
(Gauld, 2007) bis heute ungeklärt sind. Es gibt heute durchaus gewichtige Anhaltspunkte
dafür, dass zwischen Geist und Gehirn kein simples 1:1-Verhältnis besteht, was gewisse
Schwierigkeiten für den Epiphänomenalismus und andere nicht-dualistische Bewusst-
seinsmodelle mit sich bringt. Und auch wenn Edge der Meinung ist, dass die Survival-
Frage wahrscheinlich mit der alternativen Super-Psi-Hypothese beigelegt werden kann, so
legt auch gerade die Super-Psi-Hypothese vielfach den traditionellen Ansatz des „Mind
over Matter“ als natürlichste Erklärung gewisser Phänomene nahe. Das gilt z.B. für gezielt
vorgenommene Makro-Psychokinese und (De-)Materialisationen; gute Einführungen in die
Thematik liefern Hasted (1981) und Braude (1997). Auch Ian Stevensons Hauptwerk
(1997) darf bei zeitgemäßen Diskussionen des Dualismus nicht fehlen. Sich in all diesen
Fällen auf nichtlokale Verschränkungseffekte zu beschränken scheint mir der fein verästel-
ten Komplexität all dieser Phänomene nicht gerecht zu werden. Weitere Gründe, die auch
aus kritischer biologischer Sicht für ein zumindest teilweise dualistisches Lebensverständ-
nis sprechen, habe ich andernorts erörtert (Nahm, 2007).
Eine ergänzende Bemerkung sei hier noch angebracht. Auch wenn Edge dies hier nicht
tut, so werden manchmal dualistische Ansätze schon a priori abgelehnt, da nicht vorstellbar
sei, wie denn das nicht-physische Etwas mit dem physischen Körper interagieren könne.
Review Symposium
230
Derlei Vorabqualifikationen lassen echten Forschergeist vermissen und sind außerdem
wertlos. Denn wer weiß schon, was wir in 100 oder 500 Jahren darüber wissen? Und viel-
leicht eröffnet gerade die vieldiskutierte Verschränkung hier sogar ein erstes Fenster für
beginnendes Verständnis. Denn wenn man über entsprechende organisatorische Geschlos-
senheit die Bestandteile eines jeden Systems miteinander verschränken können soll, sogar
über erst in der Zukunft stattfindende Ereignisse: Warum sollte dann das geistige, feinstoff-
liche oder energetische Etwas, das in den verschiedenen Varianten des Dualismus postuliert
wird, nicht auch mit seinem physischen Korrelat verschränkt werden können? Die viel-
zitierte „spukhafte Fernwirkung“, die ohne kausal beziehungsweise materiell nachvollzieh-
bare Prozesse bei Verschränkungen in Kraft treten soll: Könnte sie nicht hier ganz genauso
zum Tragen kommen? Könnte nicht der Alkohol, sobald er das Gehirn erreicht und
affiziert, mittels genau dieser Verschränkungseffekte „den Geist“ beeinflussen? Und umge-
kehrt die hypnotische Suggestion, auf einem Arm liege ein Stück glühende Kohle, über
Verschränkung mit der Körperphysiologie die Brandblase hervorrufen? Könnte nicht der
wesentliche Mechanismus der Interaktion zwischen Geist und Körper über wechselseitige
Verschränkungen etabliert werden? Oder anders gefragt: Was würde aus theoretischer Sicht
in der heutigen Zeit des „Verschränkungs-Booms“ gegen eine solche Möglichkeit sprechen?
Man sollte des weiteren immer auch spezifizieren, auf welche Systemebenen man sich
bei der jeweiligen Argumentation bezieht. So könnte es beispielsweise sinnvoll sein, (a) bei
der Aufklärung linearer biochemischer Reaktionsketten von einem reduktionistischen Ma-
terialismus auszugehen, (b) auf der Ebene der Untersuchung des wohlkoordinierten
Zusammenspiels verschiedener biochemischer Reaktionsketten, Organe oder auch Lebe-
wesen von einem systemischen Ansatz inklusive Selbstorganisationsprozessen und nicht-
lokalen Verschränkungen auszugehen, (c) bei der Untersuchung von gewissen Aspekten
des menschlichen Bewusstseins oder in der Parapsychologie einen Dualismus ebenfalls mit
einzuschließen, und (d) bei der Betrachtung der fundamentalen Seinsebene, die allem Sein
zugrund liegt, von einem holistischen Standpunkt auszugehen, worin organische und anor-
ganische Materie, aber auch Geist und Materie „an sich“ als komplementäre Aspekte einer
einheitlichen geistig-energetischen Seinsform aufgefasst werden, die sich wechselseitig
durchdringen und keine ontologisch unvereinbaren Qualitäten besitzen (Nahm, 2007). Ein
solcher Ansatz wäre mit vielen mystischen, besonders östlichen Traditionen vereinbar.
Obwohl es nachvollziehbar ist, auch für den Menschen ein möglichst einheitliches bzw.
monistisches Beschreibungsmodell zu entwickeln um dualistische Anschauungsformen zu
überwinden, muss man für diesen Fall stichhaltige und ins Detail gehende Argumente
liefern können, die auch Erklärungsalternativen für problematische empirische Befunde
Review Symposium
231
enthalten. Der Beitrag von Edge lässt dies vermissen und besitzt daher zumindest für mich
keine Überzeugungskraft.
Allgemeine Reflexionen und Empfehlungen
Abschließend möchte ich einige allgemeine Bemerkungen und Empfehlungen zum Thema
“Charting the Future of Parapsychology“ beisteuern. Es sollte in Utrecht eine wechselseiti-
ge Übereinkunft darüber erzielt werden, wie sich der gegenwärtige Stand der Parapsycho-
logie darstellt, und es sollten generelle Entscheidungen darüber getroffen werden, wohin
der mögliche weitere Weg führen solle (S. 560). Gerd Hövelmann stellt am Ende des Bu-
ches sehr nützliche Anregungen zusammen, die er aus den Beiträgen und Diskussionen der
Tagung herausdestilliert hat (S. 564ff). Als besonders wichtig wurde die Notwendigkeit
von engerer Zusammenarbeit und die Abstimmung von Forschungsprojekten hervorgeho-
ben; auch aufgabenbezogene Arbeitsgruppen sollen gebildet werden. Dies wäre in der Tat
sehr zu begrüßen und ich bin gespannt, inwiefern dies in die Tat umgesetzt wird. Dennoch
hinterließ der Tagungsband als Ganzes in dieser Hinsicht auf mich einen zu unscharfen
Eindruck. So ist z.B. die erwähnte Übereinkunft bezüglich des gegenwärtigen Status der
Parapsychologie weder explizit angesteuert noch festgehalten worden, noch sind konkrete
zukunftsweisende Entscheidungen getroffen worden.
Obwohl viele Vortragende im Rahmen ihrer Themenschwerpunkte auf Rückblicke,
Standortbestimmungen und Zukunftsaussichten eingegangen sind, fehlt in meinen Augen
der Versuch eines disziplinübergreifenden Ansatzes. So wäre es angesichts der Bezug-
nahmen auf die erste Utrechter Konferenz im Jahr 1953 wichtig gewesen, überhaupt einmal
herauszuarbeiten, in welchen parapsychologischen Forschungsbereichen welche Fortschrit-
te im Laufe der 55 dazwischen liegenden Jahre erzielt worden sind, in welchen Bereichen
eher eine Stagnation stattgefunden hat, in welchen Bereichen es sogar Rückentwicklungen
gegeben hat, oder welche Forschungsbereiche neu dazugekommen sind. Fragen wie „Was
ist Parapsychologie in der heutigen Zeit?“, „Welche Forschungs- und Bildungsaufträge hat
sie?“, „Warum hat sie ausgerechnet diese Forschungsaufträge?“, „Wo sind die Grenzen der
Parapsychologie?“ oder „Wie soll es konkret weitergehen?“ wurden nicht in eigens dafür
geschaffenen Foren erörtert, was mich angesichts des im Titel getragenen Themas der
Tagung verwundert hat. Die abgedruckten Aussagen zur Positionsbestimmung und Zukunft
der Parapsychologie machten auf mich eher den Eindruck von Stückwerk, das sich spontan
aus den Einzelbeiträgen über spezifische gegenwärtige Forschungsgebiete sowie den
anschließenden Diskussionen ergeben hat. Für eine neuerliche Tagung namens „Charting
Review Symposium
232
the Future of Parapsychology“ würde ich mir dieses Thema jedoch als expliziten Tagungs-
schwerpunkt mit eigens dafür eingerichteten Präsentationen und Foren wünschen.
Weiterhin frage ich mich, ob die Referenten der Tagung einen repräsentativen Quer-
schnitt der gegenwärtigen Parapsychologie gebildet haben. Viele Referenten hatten einen
ausgeprägten Hang zur „Normalisation“ bzw. „Mainstreamisation“ oder auch „Psychologi-
sation“ der Parapsychologie, was wahrscheinlich mit ihren Interessen und Anbindungen an
akademische Forschungseinrichtungen zu begründen ist. Es ist daher nicht verwunderlich,
dass auch in den Zukunftsperspektiven diese „Normalisation“ häufig als erstrebenswert
erachtet wurde. Aber bestand und besteht denn die Parapsychologie nur aus der Tätigkeit
an akademisch verankerten Instituten und Universitäten? Und selbst hier existier(t)en zahl-
reiche weitere interessante parapsychologische Forschungszweige, die während der Konfe-
renz nicht einmal erwähnt worden sind, ich erinnere nur an die Arbeiten von Ian Stevenson
(z.B. Stevenson, 1997). Ich möchte hier nicht die „Normalisation“ der Parapsychologie
kritisieren, im Gegenteil. Ich finde sie wichtig, richtig und habe mich auch selbst an ent-
sprechender Stelle bewusst auf die Präsentation der relativ unverfänglichen Mikro-Psi-
Phänomene beschränkt (Nahm, 2007). Allerdings möchte ich vor zuviel Einseitigkeit
warnen – besonders angesichts der verschiedenen Schwierigkeiten, die Edwin C. May in
seinem Beitrag zur experimentellen Parapsychologie erläutert hat. Die Arbeit mit Personen,
die besondere ASW-Fähigkeiten (z.B. Beischel & Rock, 2009) oder psychokinetische
Fähigkeiten besitzen sollen (z.B. Braude, 1997; Hasted, 1981) halte ich für einen ebenso
wichtigen Forschungszweig, genau wie die inhaltliche und phänomenologische Untersu-
chung von Spontanerlebnissen (z.B. Haraldsson, 2009). Der anvisierte Erfolg der „normali-
sierten“ Parapsychologie scheint mir nicht gesichert, ganz zu schweigen von der erhofften
Akzeptanz im wissenschaftlichen Mainstream. Letztlich bedarf es in meinen Augen eines
ausgewogenen Ansatzes zwischen der „Normalisation“ und den traditionellen Kernkompe-
tenzen der Parapsychologie, die, wie die Vergangenheit gelehrt hat, gerade auch unabhän-
gig vom Mainstream wichtige Erkenntnisse zu einem tieferen Verständnis der menschli-
chen Psyche und der Interaktion mit ihrer Umwelt beitragen können.
Ich möchte hier nochmals betonen, dass dies kein Vorwurf an die Befürworter der
„Normalisation“ ist. Gerade wenn man an Universitäten tätig ist, muss man in vieler Hin-
sicht darauf achten, seinen Ruf und damit den Zugang zu zukünftigen Forschungsmitteln
nicht aufs Spiel zu setzen. Die Beschäftigung mit Mikro-Psi ist hier oft schon heikel genug,
und jeder, der dies im universitären Umfeld tut, verdient dafür den höchsten Respekt.
Allerdings möchte ich anmahnen, dass die Befürworter der „Normalisation“ die eher tradi-
Review Symposium
233
tionell oder unkonventionell arbeitenden Parapsychologen nicht marginalisieren sollten,
sondern sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten unterstützen und mit im Boot belassen sollten.
Zur Gewinnung eines möglicherweise repräsentativeren Querschnitts aus Meinungen
und Vorstellungen gegenwärtiger Parapsychologen sowie einer disziplinübergreifenden
Übereinkunft wäre es denkbar, den Vorschlag von May aufzugreifen, in maßgeblichen
Organisationen wie der Parapsychological Association Umfragen dazu durchzuführen,
inwiefern man in der Parapsychologie von der Realität welcher Psi-Phänomene überzeugt
ist und wie die Parapsychologen hier die Forschungsprioritäten einschätzen (S. 230f).
Man könnte in diesem Zusammenhang auch eine Liste von parapsychologischen
„Pflichtlektüren“ oder Standardreferenzwerken ausgeben und diese diskutieren. Noch bes-
ser wäre es, wenn sich sogar Mittel und Möglichkeiten finden ließen, solche Publikationen
erstmals zu erstellen und wichtige nicht-englische Publikationen auf Englisch zusammen-
zufassen, um die bestehenden Sprachbarrieren zu überwinden. Manchmal scheint es mir,
dass in keiner anderen Wissenschaftsdisziplin so wenig gemeinsame Standardliteratur stu-
diert wird wie in der Parapsychologie. Viele Parapsychologen scheinen nur zu lesen, was
sie persönlich interessiert, wobei sie dennoch mit Urteilen über für sie weniger interessante
Aspekte der Parapsychologie nicht geizen. Das führt dazu, dass selbst in elementaren Fra-
gen unter Parapsychologen keine Einigkeit besteht, dass längst überholte Spekulationen
erneut aufgestellt werden, und dass Argumente ohne Berücksichtigung der entscheidenden
Gegenargumente aufgestellt werden – womit sie letztlich fruchtlos oder sogar kontra-
produktiv sind. Beispiele hierfür finden sich auch in diesem Buch, doch ich schließe mich
selbst durchaus in diese Kritik mit ein. Noch vor wenigen Jahren habe ich Meinungen ver-
treten, die ich heute nach der Lektüre bestimmter Publikationen nicht mehr vertrete. Ich
würde besonders im Bereich der Theoriebildung ein solches Standartreferenzwerk begrü-
ßen. Man findet z.B. in diesem Tagungsband einige Verweise auf die Plausibilität einer
Theorie namens „Decision Augmentation Theory“, aber auch die Behauptung, diese Theo-
rie stehe im Widerspruch zu bestimmten Daten. Was soll man nun glauben, und wie stich-
haltig sind die jeweiligen Argumente pro und contra? Eine explizite Erörterung der
Vor- und Nachteile des MPI scheint mir auf internationaler Ebene bis heute ebenfalls nicht
erfolgt zu sein. Daran schließt sich die grundsätzliche Frage nach der Realität von Makro-
Psychokinese und Apporten an. Es scheint nach über hundert Jahren parapsychologischer
Forschung immer noch kein Konsens unter den Parapsychologen darüber zu bestehen, ob
dergleichen nun existiert oder nicht – ein für mich unverständliches und gravierendes
„hausgemachtes Problem“, um mit May zu sprechen. Denn es liegt auf der Hand, dass
Review Symposium
234
Makro-Psychokinese und Apporte herausragende Bedeutung für die parapsychologische
Theoriebildung besitzen.
Ähnliches gilt von den Studien Ian Stevensons über Kinder, die behaupten sich an
frühere Leben zu erinnern. Obwohl immer wieder knappe Interpretationen seiner Ergebnis-
se von Parapsychologen zum Besten gegeben werden, scheinen nur sehr wenige sein wich-
tigstes Werk Reincarnation and Biology (1997) tatsächlich gelesen zu haben. Dieses geht
weit über die bloße Dokumentation von vermeintlichen Erinnerungen an vorherige Leben
hinaus. Angesichts dieser Missstände ist es kaum verwunderlich, dass in der parapsycho-
logischen Theoriebildung kaum ein wirklicher Fortschritt zu verzeichnen ist. Ich bin mir
der Begrenztheit der finanziellen Mittel und Arbeitszeiten der Parapsychologen schmerz-
lich bewusst. Dennoch besitzt die Lösung der angesprochenen Probleme für mich einen
zentralen Stellenwert. Speziell im Kontext einer disziplinübergreifenden Positions- und
Zukunftsbestimmung würde ich Standardreferenzwerke für wichtig erachten. Diese sollten
von mehreren maßgeblichen Autoren der jeweiligen Forschungsfelder unter expliziter Dar-
stellung und Diskussion der Probleme verfasst werden, nicht nur von Einzelautoren, die ein
Forschungsfeld aus ihrer Sicht reflektieren.
Weiterhin möchte ich empfehlen, nicht nur den Kontakt zur Mainstream-Psychologie zu
suchen. Wie Harald Walach richtig betont hat, hat die Parapsychologie einen Teil ihrer
ursprünglichen Forschungsinteressen an die Transpersonale Psychologie abgegeben. Weite-
re ehemals wichtige parapsychologische Forschungsinteressen umfassten Nahtoderfahrun-
gen und andere ungewöhnliche Erfahrungen in Todesnähe, sog. Lebensende-Erfahrungen.
Auch diese Forschungsbereiche wurden praktisch aufgegeben. Besonders auffällig ist dies
im Bereich der Nahtoderfahrungen. Diese stellen immerhin die reichhaltigste Quelle von
scheinbar wahrheitsgetreuen außerkörperlichen Erfahrungen dar und werden mittlerweile
von einer eigenen Gilde von Wissenschaftlern untersucht. Obwohl einzelne Autoren wie
Carlos Alvarado immer wieder Brücken zwischen Nahtodforschung und Parapsychologie
schlagen, laufen beide Bereiche seit Jahrzehnten ohne echte Kommunikation und Koopera-
tion nebeneinander her. Und es sind die Mediziner, die heute die Diskussion um außerkör-
perliche Erfahrungen in der Öffentlichkeit bestimmen und Projekte wie die AWARE-Studie
an über 20 Krankenhäusern ins Leben gerufen haben. Sollte diese Studie erfolgreich verlau-
fen, wäre es kein unrealistisches Szenario, dass die Erforschung der außersinnlichen Wahr-
nehmung in medizinischen Kreisen auf ein gänzlich neues Niveau gehoben werden würde
und dass die Parapsychologie im Schlepptau erfolgreicher klinischer OBE-Studien mit-
diskutiert werden würde. Alleine schon deshalb empfehle ich eine gründliche Kenntnis der
aktuellen Literatur über Nahtoderfahrungen (Holden, Greyson, & James, 2009).
Review Symposium
235
Weitere Berührungspunkte der Parapsychologie mit der etablierten Medizin könnten
sich über Studien zu Lebensende-Erfahrungen (Fenwick, Lovelace, & Brayne, in press;
Nahm, 2009, Nahm & Greyson, 2009) oder ungewöhnlichen Heilungsprozessen und orga-
nischen Modifikationen ergeben (Cranston, 1988; Hirshberg & Barasch, 1995; Kelly, 2007;
Nahm, 2009). Auch die Nachverfolgung von ungewöhnlichen Erfahrungen im Zusammen-
hang von Organtransplantationen könnten sich hier anschließen – siehe den Beitrag von
Van De Castle in diesem Tagungsband sowie Braude (2003) oder Dossey (2008). Vielleicht
wäre es mittelfristig möglich, in diesen Bereichen eine „Klinische Parapsychologie“ zu
etablieren, die diesen Namen zu Recht trüge.
Mit diesen Überlegungen möchte ich nun zum Ende kommen. Mein abschließendes
Fazit zum Tagungsband lautet: Die Parapsychologen haben im Laufe der letzten Jahrzehnte
beeindruckende Arbeit geleistet, besonders gemessen an den mehr als dürftigen
Forschungsmitteln. Sie können und sollten stolz auf sich sein. Auch heute existieren trotz
widriger finanzieller Umstände noch vielfältige Möglichkeiten, weiterhin erfolgreiche For-
schung in den Grenzbereichen des Wissens zu betreiben. Ich bin zuversichtlich, dass auch
in den kommenden Jahren viele interessante Entwicklungen stattfinden werden. Ich habe
versucht, diesbezügliche Möglichkeiten aufzuzeigen. Und ich hoffe, dass die kommenden
Entwicklungen sich nicht nur auf den Prozess der „Normalisation“ der Parapsychologie
beschränken werden, sondern dass auch abseits hiervon weiter gestaunt und geforscht wird.
Charting the Future of Parapsychology ist ein begrüßenswerter Schritt in die Richtung eines
disziplinübergreifenden Forschungsansatzes und Selbstverständnis. Er ist jedoch ausbau-
fähig, und man darf gespannt auf das Kommende sein.
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Die Utrecht-II-Konferenz und ihr Tagungsband präsentieren eine vorzügliche, von
Parapsychologen selbst vorgelegte “diagnostische und prospektive” (Hövelmann, 2009:
560) Darstellung ihrer Arbeit. Meine Rezension wird sich um einen Überblick über die
während der Tagung deutlich gewordenen Probleme der Parapsychologie bemühen. Sie
orientiert sich dabei an George Hansens Überlegungen, die er in seinem Buch The Trickster
2 Renaud Evrard ist Doktorand im Fachbereich Psychologie, Universität Rouen, Frankreich. Zugleich
ist er als klinischer Psychologe am Centre d’Information, de Recherche et de Consultation sur les
Expériences Exceptionnelles (www.circee.org) tätig.