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Gebautes Wohlbefinden. Raum- und Naturkonzepte spiritualisierter Wellness, in: Bärbel Beinhauer-Köhler, Edith Franke, Christa Frateantonio, Alexander Nagel (Hg.), Religion, Raum und Natur. Religionswissenschaftliche Erkundungen. Berlin 2017. S. 45-65.

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Warum blickt die Buddha-Statue über das Schwimmbecken? Welche Vorstellungen von Natur und welches Konzept von Raum werden in zeitgenössischen Wellnessthermen und Spas baulich umgesetzt? Mit einem materialbezogenen Ansatz der Religionswissenschaft, unter Zuhilfenahme tourismuswissenschaftlicher Theorien, werden Naturbilder und Raumkonstruktionen in Wellnessangeboten untersucht. Die themenbezogenen Wellnessanlagen und Spas werden oft mit künstlicher Inszenierung assoziiert, welche zunächst im Widerspruch zu den Begriffen der ‚Authentizität‘ und ‚Natürlichkeit‘ zu stehen scheint. Der Artikel zeigt jedoch auf, wie gerade diese Aspekte in dem medialen Selbstbild und der Architektur von Wellnessthermen in Deutschland betont und mit naturbezogenen Metaphern und Wortschöpfungen der Werberhetorik vermittelt werden. In Erlebnislandschaften stellt sich die Frage nach der Definition eines Naturraums neu: In Wechselwirkung von inszenierter Landschaft, werbepsychologisch gesteigerter ‚Natursehnsucht‘ und Wünschen der Besucher*innen überlagern sich fiktiver Raum und realer Ort. Damit wird eine räumliche Situation kreiert, die auf das außeralltägliche Erleben einer spiritualisierten Wellness zielt. Nach der Bäderkrise der 1990er Jahre findet in Deutschland eine Umorientierung vom Sport- und Erlebnisbad zum seit der Mitte der 2000er Jahre entstehenden Freizeit- und Kulturbad statt. Deren Konzepte und Architekturen zitieren internationale Bäderkulturen. Diese Raumcollage kreiert in der Zusammenschau von Images eine Repräsentation verschiedener Reiseziele und ermöglicht eine postmoderne Zitierstrategie: Spolien vervollständigen die Architekturkulisse. Kunstwerke werden neben Kulissen platziert. Benennung und Zitate bilden die Relation zu realen Orten. Diese inszenatorische Raumgestaltung soll, entsprechend der Selbstbetitelungen und thematischen Ausrichtungen der Anlagen, an mehr oder minder religiös definierte Idealvorstellungen von Naturräumen – von ‚Stränden’ über ‚Oasen‘ bis zu ‚Paradiesen‘ – erinnern. Als ästhetische Umsetzung von Weltentwürfen kann dies in Form einer Erlebnislandschaft auch sinnvermittelnde Funktionen übernehmen. In der Vielschichtigkeit der fiktiven, räumlichen und sinnstiftenden Gestaltungselemente und Werbeslogans manifestiert sich der Ansatz einer spiritualisierten Wellness. Der Begriff wird genutzt, um einen fluiden Zwischenraum der religiösen Zitate in der Selbstbezeichnung der kommerziellen Angebote und einer Rezeption als Erholung, Lebensstil oder Sinnsuche zu benennen. Die soziologisch orientierte Freizeitwissenschaft bezeichnet den Trend eines holistischen bis spirituellen Ansatzes der Wellness inzwischen als paradigmatisch für den Wandel von einer Erlebnis- hin zu einer Sinn-Gesellschaft. In dieser Entwicklung wandelt sich das Konzept der Wellness, unter der Selbstbetitelung als ‚Self-ness‘ und ‚Mind-ness‘, zur Optimierung von Konzepten von Geist, Seele oder Persönlichkeit im Einklang mit dem eigenen Körper und der Umwelt. Die kreative Kompetenz dieser ‚Sinnkonstruktion‘ soll dabei nicht auf Konsumismus reduziert, sondern, im Sinn einer Transformation weltanschaulicher Vorstellungen, nach der Selbstdefinition von ‚Natürlichkeit‘ und ‚Authentizität‘ befragt werden. Ein ‚außeralltägliches Erleben‘ der atmosphärischen Gestaltung und der dahinter vermuteten spiritualisierten Wellness bezieht sich damit auch auf das Erfahren eines Mikrokosmos ohne Irritationen. In den Räumen der Wellnessthermen und Spas werden Natur, Orte, Gebäude und weltanschaulicher Hintergrund als Images rekontextualisierbar und reproduzierbar. Sie sind Produkte der Zuschreibung und Rezeption, im Wechselspiel zwischen Marketing-Sehnsüchten und den rezipierenden Blicken. ISBN-10 : 3643125941 ISBN-13 : 978-3643125941 Online: https://bit.ly/2R6nLuF
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Gebautes Wohlbefinden.
Raum- und Naturkonzepte spiritualisierter Wellness
Abstract
Welche Vorstellungen von Natur und welches Konzept von Raum werden in zeitge-
nössischen Wellnessthermen und Spas baulich umgesetzt? Mit einem materialbezo-
genen, religionswissenschaftlichen Ansatz, unter Zuhilfenahme tourismuswissen-
schaftlicher Theorien, werden Naturbilder und Raumkonstruktionen in Wellnessan-
geboten untersucht.
Themenbezogene Wellnessanlagen werden oft mit künstlicher Inszenierung assozi-
iert, welche zunächst im Widerspruch zu den Begriffen der ‚Authentizität‘ und ‚Na-
türlichkeit‘ zu stehen scheint. Der Artikel zeigt jedoch auf, wie gerade diese Aspekte
in dem medialen Selbstbild und der Architektur von Wellnessthermen in Deutschland
betont und mit naturbezogenen Metaphern und Wortschöpfungen der Werberhetorik
vermittelt werden.
In Erlebnislandschaften stellt sich die Frage nach der Definition eines Naturraums
neu: In Wechselwirkung von inszenierter Landschaft, werbepsychologisch gesteiger-
ter ‚Natursehnsucht‘ und Wünschen der Besucher*innen überlagern sich fiktiver
Raum und realer Ort. Damit wird eine räumliche Situation kreiert, die auf das au-
ßeralltägliche Erleben einer spiritualisierten Wellness zielt.
Nach der Bäderkrise der 1990er Jahre findet in Deutschland eine Umorientierung
vom Sport- und Erlebnisbad zum seit der Mitte der 2000er Jahre entstehenden Frei-
zeit- und Kulturbad statt. Deren Konzepte und Architekturen zitieren internationale
Bäderkulturen. Diese Raumcollage kreiert in der Zusammenschau von Images eine
Repräsentation verschiedener Reiseziele und ermöglicht eine postmoderne Zi-
tierstrategie: Spolien vervollständigen die Architekturkulisse. Kunstwerke werden
neben Kulissen platziert. Benennung und Zitate bilden die Relation zu realen Orten.
Die inszenatorische Raumgestaltung soll, entsprechend der Selbstbetitelungen, an
Idealvorstellungen von Naturräumen von ‚Stränden’ über ‚Oasen‘ bis zu ‚Paradie-
sen‘ erinnern. Als ästhetische Umsetzung von Weltentwürfen kann dies in Form
einer Erlebnislandschaft auch sinnvermittelnde Funktionen übernehmen. In der Viel-
schichtigkeit der fiktiven, räumlichen und sinnstiftenden Gestaltungselemente und
Werbeslogans manifestiert sich der Ansatz einer spiritualisierten Wellness. Die so-
ziologisch orientierte Freizeitwissenschaft bezeichnet den Trend eines holistischen
bis spirituellen Ansatzes der Wellness inzwischen als paradigmatisch für den Wandel
von einer Erlebnis- hin zu einer Sinn-Gesellschaft. In dieser Entwicklung wandelt
sich das Konzept der Wellness, unter der Selbstbetitelung als ‚Self-ness‘ und ‚Mind-
ness‘, zur Optimierung von Konzepten von Geist, Seele oder Persönlichkeit im Ein-
klang mit dem eigenen Körper und der Umwelt.
Die kreative Kompetenz dieser ‚Sinnkonstruktion‘ soll dabei nicht auf Konsumismus
reduziert, sondern, im Sinn einer Transformation weltanschaulicher Vorstellungen,
nach der Selbstdefinition von ‚Natürlichkeit‘ und ‚Authentizität‘ befragt werden. In
den Räumen der Wellnessthermen und Spas werden Natur, Orte, Gebäude und welt-
anschaulicher Hintergrund als Images rekontextualisierbar und reproduzierbar. Sie
sind Produkte der Zuschreibung und Rezeption, im Wechselspiel zwischen Marke-
ting-Sehnsüchten und den rezipierenden Blicken.
Religion, Raum und Natur. Religionswissenschaftliche Erkundungen.
Marburger Religionswissenschaft im Diskurs Bd. 1.
Hg. v. Bärbel Beinhauer-Köhler, Edith Franke, Christa Frateantonio, Alexander
Nagel (LIT: Berlin 2017)
ISBN-10 : 3643125941 ISBN-13 : 978-3643125941
Autorin
Celica Fitz ist Kunsthistorikerin und Religionswissenschaftlerin, sie forscht zu
religionsbezogener Kunst der Moderne und Gegenwart in aktuellen Kunstaus-
stellungen und ist als Kuratorin und Autorin tätig. Derzeit ist sie Wissenschaftli-
che Mitarbeiterin am Institut für Kirchenbau und kirchliche Kunst der Gegenwart
an der Philipps-Universität Marburg.
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Article
Tourismusräume existieren nicht an sich. Erst die Ausstattung mit touristischer Infrastruktur sowie deren Inanspruchnahme lässt Räume zu Tourismusräumen werden. Als Tourismusräume erlangen sie eine symbolische Aufladung, anhand derer sich Selbst- und Weltverhältnisse ablesen lassen, die bereits in anderen gesellschaftlichen Bereichen anzutreffen sind und nun auf Räume projiziert werden. Touristifizierung ist demnach eine Verräumlichung der mit Selbst- und Weltverhältnissen verbundenen Vorstellungen und Strukturen.
Sieben Welten Therme & Spa Resort (Hg
  • Freizeit-Unternehmensgesellschaft Mbh
  • Künzell
  • Co
  • K G Bäderpark
Freizeit-Unternehmensgesellschaft mbh. Künzell & Co. BäderPark KG. Sieben Welten Therme & Spa Resort (Hg.), Imagefilm [4:49 Min., farbig, o. J., vor 2012], Quelle: www.siebenwelten.de (04.08.2014)
Ein für Europa einzigartiges Wellness-Paradies in Künzell. IN-Fulda, www.in-fulda
  • Esther Gogler
Gogler, Esther (2009), Ein für Europa einzigartiges Wellness-Paradies in Künzell. IN-Fulda, www.in-fulda.de (18.08.2014).
Andere Räume, in: Barck, Karlheinz (Hg.), Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik
  • Michele Foucault
Foucault, Michele (1992), Andere Räume, in: Barck, Karlheinz (Hg.), Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Leipzig 1992, 34 -46.
Jenseitshoffnung -Insel der Seligen und paradiesische Gärten
  • Burkhard Gladigow
Gladigow, Burkhard (2002), Jenseitshoffnung -Insel der Seligen und paradiesische Gärten, in: Hilpert, Konrad; Winterhoff-Spurk, Peter (Hg.), Der Traum vom Glück, Orte der Imagination, St. Ingbert, 19-39.
Aha -Ein Erlebnis! Über Erlebnisinszenierung und Emotionsmanagement
  • Kurt Grötsch
Grötsch, Kurt (2006), Aha -Ein Erlebnis! Über Erlebnisinszenierung und Emotionsmanagement, in: Weiermair, Klaus, Brunner-Sperdin, Alexandra (Hg.), Erlebnisinszenierung im Tourismus. Erfolgreich mit emotionalen Produkten und Dienstleistungen, Berlin. 49-81.
Alternative Spiritualität heute, Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland
  • Hubert Knoblauch
Knoblauch, Hubert (2010), Populäre Spiritualität, in: Mohrmann, Ruth E. (Hg.), Alternative Spiritualität heute, Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland, Münster/New York, 19-35.
Der europäische Blick auf die andere Welt
  • Thomas Koebner
  • Gerhart Pickerodt
Koebner, Thomas, Pickerodt, Gerhart (2000²), Der europäische Blick auf die andere Welt, in: Koebner, Thomas, Pickerodt, Gerhart (Hg.), Die andere Welt. Studien zum Exotismus, Frankfurt am Main, 7-11.