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Erst Wirtschaft dann Politik? Neuer Name, neue Ausrichtung, bekannte Probleme Stellungnahme zum Kernlehrplan (Entwurf Verbändebeteiligung: 25.02.2019 ) des neuen Fachs „Wirtschaft-Politik“ in NRW

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Abstract

„Das Fach Wirtschaft kommt“, so NRW-Bildungsministerien Gebauer. Doch was verbirgt sich dahinter, welche Wirtschaftsbildung braucht es und welche Rolle spielt die Bezugswissenschaft Ökonomik? Unbestritten ist, dass Schüler_innen vor großen Fragen und Problemen stehen. Ob Wirtschafts- und Finanzkrise, Verteilungsungerechtigkeit, Armut, Globalisierung oder Klimakrise: Bildung muss dazu befähigen, selbst zu urteilen und verantwortet zu handeln, um den Herausforderungen der Gegenwart und denen der Zukunft begegnen zu können. Die geplante Neuausrichtung des Faches Wirtschaft-Politik (früher Politik/Wirtschaft) ist diesbezüglich wenig hilfreich. Eine Verschiebung des Lehrschwerpunktes hin zur Wirtschaftswissenschaft birgt die Gefahr der Beeinflussung und Manipulation von Schüler_innen, der Ausweitung von Lobbyarbeit in Schule und der unreflektierten Vertiefung einer sogenannten ökonomischen Denkweise. Alternativen zum Status quo von Wirtschaft und Wirtschaftstheorie sind kaum vorgesehen. Positiv festzuhalten ist, dass an der Idee eines Integrationsfaches festgehalten wird.
1
Ministerium für Schule und Bildung
Herrn Staatssekretär Mathias Richter
Völklinger Straße 49
40221 Düsseldorf
poststelle@msb.nrw.de
Erst Wirtschaft dann Politik?
Neuer Name, neue Ausrichtung, bekannte Probleme
Stellungnahme zum Kernlehrplan (Entwurf Verbändebeteiligung: 25.02.2019 )
des neuen Fachs „Wirtschaft-Politik“ in NRW
von Marcel Beyer
1. Allgemeines
„Das Fach Wirtschaft kommt“, so NRW-Bildungsministerien Gebauer. Doch was
verbirgt sich dahinter, welche Wirtschaftsbildung braucht es und welche Rolle spielt
die Bezugswissenschaft Ökonomik? Unbestritten ist, dass Schüler_innen vor
großen Fragen und Problemen stehen. Ob Wirtschafts- und Finanzkrise,
Verteilungsungerechtigkeit, Armut, Globalisierung oder Klimakrise: Bildung muss
dazu befähigen, selbst zu urteilen und verantwortet zu handeln, um den
Herausforderungen der Gegenwart und denen der Zukunft begegnen zu können.
Die geplante Neuausrichtung des Faches Wirtschaft-Politik (früher Politik/Wirtschaft)
ist diesbezüglich wenig hilfreich. Eine Verschiebung des Lehrschwerpunktes hin zur
Wirtschaftswissenschaft birgt die Gefahr der Beeinflussung und Manipulation von
Schüler_innen, der Ausweitung von Lobbyarbeit in Schule und der unreflektierten
Vertiefung einer sogenannten ökonomischen Denkweise. Alternativen zum Status
quo von Wirtschaft und Wirtschaftstheorie sind kaum vorgesehen. Positiv
festzuhalten ist, dass an der Idee eines Integrationsfaches festgehalten wird.
Korrespondenzadresse
Marcel Beyer
Cusanus Hochschule
Institut für Ökonomie
Postfach 1146
54461 Bernkastel-Kues
Tel.: +49(0)6531 9724257
Fax.: +49(0)6531 9724258
marcel.beyer@cusanus-
hochschule.de
04. April 2019
https://bildung-wissen.eu
2
2. Grundlagen
2.1 Bezugsdisziplin Wirtschaftswissenschaft in der Krise
Im neuen Fach „Wirtschaft-Politik“ wird dem Ökonomischen mehr Raum gegeben.
Dies geht einher mit der Ausweitung von Inhalten und Methoden der Bezugsdisziplin
Wirtschaftswissenschaft und damit der Orientierung an ökonomischer
Hochschulbildung. „Why did nobody notice it?"
1
, fragte die britische Queen
Akademiker_innen der London School of Economics nach Ausbruch der Finanz-
und Wirtschaftskrise 2008. Die Antworten fielen mager bis verhalten aus, was einen
Eindruck davon gibt, wie es um diese Disziplin bestellt ist. Es mag überraschen:
Wirtschaftliche Phänomene und reale Problemlagen liegen kaum im Zentrum der
Auseinandersetzung der Wirtschaftswissenschaft. Dies zeigen neben einer Vielzahl
an Erfahrungsberichten einschlägige wissenschaftliche Untersuchungen
2
und die
vehemente Forderung von Studierenden nach einer pluralen Ökonomik. Den
standardisierten Mainstream ökonomischer Theorie zeichnet ein spezifischer
Blickwinkel aus. Nicht der Gegenstandsbereich Wirtschaft, sondern eine Methode
auf die Welt zu schauen sind charakteristisch hierfür. Für Schulunterricht und
universitäre Lehre bedeutet dies, dass in der Lebenswelt von Schüler_innen und
Studierenden gewonnene Erfahrungen eines wirtschaftlichen Handelns zu Gunsten
eines mathematisch-abstrakten Denkens zurückgestellt werden. Warum also
Ökonomie studieren, wenn reale Probleme und Herausforderungen des
Wirtschaftens kaum adressiert werden? Gregory Mankiw, einer der erfolgreichsten
Lehrbuchautoren der Ökonomik, macht seine Position diesbezüglich sehr klar: „The
purpose of this book is to help you learn the economist’s way of thinking“
3
. Es geht
folglich um das Eintrainieren einer sogenannten ökonomischen Denkweise, was mit
der Ausbildung von Mündigkeit absolut nicht in Einklang zu bringen ist. Die
ökonomische Denkweise ist deswegen problematisch, weil Sie ein singuläres wie
kennt und weil sie das, was hiernach als ökonomisch zu fassen ist, auf ein
ökonomisches Handlungsmodell einschränkt. Annahmen der neoklassischen
Ökonomik wie die der Knappheit oder die der Rationalität können hierbei nicht
hinterfragt werden, Alternativen werden Schüler_innen schlicht vorenthalten. Durch
diese „blinden Flecken der Lehrbuchökonomie“
4
wird nicht nur das
Kontroversitätsgebot des Beutelsbacher Konsenses unterlaufen, das freie Denken
an sich steht auf dem Spiel. Was sich hier zeigt, ist die Etablierung eines ganz
bestimmten Menschenbildes. Der berühmte Homo oeconomics als rationaler
Nutzenmaximierer tritt in Erscheinung. Die Dimension von sozialer Verantwortung
bleibt unberücksichtigt.
Die in einer Krise befindliche Wirtschaftswissenschaft ist folglich wenig geeignet,
das Fach „Wirtschaft-Politik“ inhaltlich und fachlich zu strukturieren.
1
https://www.telegraph.co.uk/news/uknews/theroyalfamily/3386353/The-Queen-asks-why-no-one-
saw-the-credit-crunch-coming.html
2
vgl. Pühringer & Bäuerle 2018; für den deutschsprachigen Raum zudem das Netzwerk Plurale
Ökonomik (www.plurale-oekonomik.de)
3
Mankiw 2018, S.20
4
vgl. für weiter Informationen: van Treek & Urban 2016
3
2.2 Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung
Die Ausbildung von Mündigkeit ist als Zielsetzung von politischer, ökonomischer und
sozialwissenschaftlicher Bildung ein unhinterfragter Standard. Dieser wird in der
beschriebenen Bezugsdisziplin mitunter massiv unterlaufen. Die
Wirtschaftswissenschaftlerin Silja Graupe zeigt dies in einer fundierten Studie
präzise auf
5
: Sie fand eine Vielzahl an Techniken, die aus der
Beeinflussungsforschung bekannt sind, in Einführungslehrbüchern der universitären
ökonomischen Bildung wieder. Instrumente der Beeinflussung und Manipulation
fungieren hierbei unterschwellig und adressieren das Unbewusste
6
.
Warum ist das für das Fach „Wirtschaft-Politik“ relevant? Nicht nur Inhalte und
Konzepte, sondern ganze Passagen dieser Lehrbücher finden sich in Schulbüchern
wieder. Vor einer Ausweitung dieser Problematik durch das neue Fach kann nur
gewarnt werden. Erste eigene Untersuchungen von Lehrmitteln der ökonomischen
Bildung an Schulen zeigen, dass sich Beeinflussung und Manipulation auch in
Schulbüchern sowie kostenlosen Lehrmitteln aus dem Internet nachweisen lassen
7
.
In einer in 2012 veröffentlichten Studie von Reinhold Hedtke, einem renommierten
Fachdidaktiker der Sozialwissenschaften, wird deutlich, welchen Einfluss
verschiedenste Akteure aus der Wirtschaft auf schulische ökonomische Bildung
nehmen
8
. Während Schulbücher einer Zulassung bedürfen, nutzen diese die
Möglichkeit, über kostenlose Lehrmittel Einfluss auf den Unterricht zu nehmen. Ob
Materialien von Finanzdienstleistern, Banken, Industrieverbänden oder großen
Firmen wie McDonalds: Durch kostenlose Online-Lehrmittel gelangen kommerzielle
Interessen und tendenziöse Lobbyarbeit in den Schutzraum Schule. Einer zu
erwartenden Ausweitung dieser Schieflage im neuen Fach ist mit großer Vorsicht zu
begegnen.
3. Anmerkungen zum Kernlehrplan (KLP)
3.1 Gefahren für Schüler_innen durch das neue Fach
Im Rahmen des neuen Kernlernplanes sind starke Tendenzen einer isolierten
ökonomischen Bildung, wie sie beschrieben wurden, deutlich zu finden. Angelegt ist
genau diese Art der Bildung im herausragend platzierten Inhaltsfeld 1:
„Wirtschaftliches Handeln in der marktwirtschaftlichen Ordnung“. Hier kommen jene
Gefahren der Beeinflussung und Manipulation zum Tragen, die aus der
Hochschulbildung bekannt sind. Es geht laut KLP explizit darum, durch die
„Grundlagen ökonomischen Denkens und Handelns“ das „Verständnis
ökonomischer Zusammenhänge“ zu schulen. Übersetzt meint dies nichts anderes,
als die Etablierung einer problematischen (weil einseitigen) ökonomischen
Denkweise Bahn zu brechen. Als Urteilskompetenz des Inhaltsfeldes 1 wird
5
vgl. Graupe 2017
6
vgl. Graupe 2017
7
Es handelt sich um ein noch unveröffentlichte Lehrbuchanalyse, die im Rahmen der Working-Papers
Serie der Cusanus Hochschule erscheinen wird.
8
vgl. Hedtke 2012
4
angeführt: „Die Schülerinnen und Schüler bewerten die eigenen Konsumwünsche
und -entscheidungen im Hinblick auf Nutzen und zur Verfügung stehenden Mittel“
9
.
Das Bildungsziel hier ist also, dass Schüler_innen die oben beschriebene
ökonomische Denkweise auf ihr eigenes Handeln anwenden. Sie sollen hierbei nicht
fragen, ob ihre „Konsumwünsche“ veränderbar sind, noch ob diese anhand anderer
Kriterien (etwa Gemeinwohl, Nachhaltigkeit, Sozialität) als dem eines Kosten-
Nutzen-Kalküls beurteilt werden können.
Dieser Zugriff soll zudem Denkgrundlage für die Vertiefung in anderen Themen sein,
also das „Verständnis ökonomischer Zusammenhänge auch in anderen
Inhaltsfeldern“
10
anbahnen. Wie in der als Vorbild zu fungieren scheinenden
Ökonomik geht es folglich darum, eine Methode zu etablieren, um auf
unterschiedlichste gesellschaftliche Funktionsbereiche zu blicken, was gemeinhin
als „Ökonomisierung
11
“ bezeichnet wird und abermals dem Bildungsziel der
Mündigkeit entgegensteht. Wird etwa das Handeln von Gewerkschaften im
Inhaltsfeld 6
12
lediglich anhand eines Kosten-Nutzen-Kalküls bewertet, können
weder Machtverhältnisse noch Interessenlagen und moralische Fragen einbezogen
werden.
3.2 Ökonomische Bildung und Politische Bildung nicht gegeneinander
ausspielen
Die einseitige Priorisierung ökonomischer Bildung ist nicht wissenschaftlich, sondern
vielmehr politisch begründet. Umgesetzt wird diese durch eine Kürzung der
Unterrichtszeit im politischen und sozialwissenschaftlichen Bereich. Schon jetzt
sehen die Stundentafeln in NRW jedoch zu wenig Zeit vor, um in angemessenem
Maße auf historische und gesellschaftliche Herausforderungen, wie einen sich
vertiefenden Rechtspopulismus, reagieren zu können oder beispielsweise eine
fundierte Auseinandersetzung mit der Klimakrise leisten zu können.
Die immer wieder eingebrachte Behauptung, dass wirtschaftliche Inhalte an Schulen
in NRW unterrepräsentiert sind, ist schlicht nicht haltbar. Die Sozialwissenschaftler
Mahir Gökbudak und Reinhold Hedtke von der Universität Bielefeld haben in einer
Studie herausgefunden, dass in NRW schon jetzt 56-59% im Fachbereich auf
wirtschaftliche Inhalte und lediglich 20-28% auf politische Inhalte entfallen
13
.
3.3 Sozioökonomische Bildung als Ausweg: Verzahnung von Politik,
Wirtschaft und Gesellschaft
Zu begrüßen ist, dass trotz der Verengung auf eine ökonomische Sichtweise auch
im neuen Fach „Wirtschaft-Politik“ an einer Integration der sozialwissenschaftlichen
Fächer weitgehend festgehalten werden soll. Die Mehrzahl der im KLP
9
Kernlehrplan, S. 21
10
Kernlehrplan, S. 13
11
Ökonomisierung meint die Vereinnahmen verschiedenster Lebens- und Funktionsbereiche durch
eine ökonomische Logik. Bildungs-, Pflege- oder Gesundheitswesen werden rein nach Kosten-
Nutzen-Kalkül organisiert mit massiven Folgen für die Betroffenen.
12
vgl. Kernlehrplan, S. 15f.
13
vgl. Gökbudak & Hedtke 2018
5
beschriebenen Inhaltsfelder soll demnach aus verschiedenen Perspektiven und
Wissenschaften heraus erarbeitet werden. Zudem werden die meisten Inhaltsfelder
des alten Faches „Politik/ Wirtschaft“ vor allem angepasst, nicht aber verworfen.
Das bedeutet, wir haben es bei dieser Einführung nicht mit einem rein auf Wirtschaft
reduzierten Fach zu tun, was zunächst als positiv zu bewerten ist. Jedoch ist
aufgrund oben ausgeführter Tendenzen Vorsicht geboten, dass sich der inhaltliche
Schwerpunkt des Faches nicht weiter verschiebt.
Diese in Bezug auf die Engführung der „ökonomischen Sichtweise“ widersprüchlich
wirkenden Ausführungen im KLP manifestieren sich in der Beschreibung der
grundlegenden Ziele des neuen Faches. Unterschieden wird zwischen einer
„ökonomischen Mündigkeit“ einerseits und einer „politischen Mündigkeit“
14
anderseits. Eine solche Trennung ist nicht zielführend, da die Erarbeitung von im
Unterricht thematisierten Problemen im Sinne von Kontroversität, Multidisziplinarität
und Ausgewogenheit durch verschiedene Sichtweisen zu leisten ist. Durch die nicht
nachvollziehbare isolierte Betrachtung von Politik und Wirtschaft wird also die
Sichtweise etabliert, dass Wirtschaft ein der politischen Gestaltungsmöglichkeit
entzogener eigener Raum wäre und kein demokratisch gestalteter.
Einen diesbezüglich empfehlenswerten Zugang zu wirtschaftlichen und politischen
Zusammenhängen in der Schule bietet das Konzept der sozioökonomischen
Bildung. Diese verzahnt konsequent Politik-, Gesellschafts- und
Wirtschaftswissenschaften. Wird etwa die Klimakrise im Unterricht behandelt, macht
eine rein ökonomische Analyse schlichtweg wenig Sinn, wenn Macht- und
Gestaltungsfragen (Politik) oder gesellschaftliche Aspekte (Soziologie) nicht
berücksichtigt werden.
3.4 Zukunftsfähige Ökonomien und Alternativen des Wirtschaftens werden nur
gestreift
Bei einer Neukonzeption des Faches mit der Priorisierung von Wirtschaft wäre die
Auseinandersetzung mit dringend notwendigen Alternativen des Wirtschaftens und
alternativen Modellen und Ideen zukunftsfähiger Ökonomien erwartbar gewesen.
Positiv hervorzuheben ist, dass im Inhaltsfeld 3
15
und im Inhaltsfeld 10
16
zumindest
Aspekte einer nachhaltigen Entwicklung anvisiert werden. Ein genauer Blick in das
Inhaltsfeld 3 jedoch zeigt, dass eine nachhaltige Entwicklung vor allem in Form von
„Maßnahmen der Ressourceneffizienz
17
interpretiert wird. Der vielversprechend
klingende inhaltliche Schwerpunkt „alternative Lebens- und Wirtschaftsweisen“ zielt
zwar auf das durchaus wichtige Thema „Lebenssituationen von Kindern in
unterschiedlich entwickelten Regionen der globalisierten Welt“ ab, jedoch lässt es
außer Blick, welche alternativen Wirtschaftsformen (Gemeinwohl-Ökonomie,
Ökonomie des Gemein-Sinns, Commons, Degrowth, Solidarische Landwirtschaft
etc.) sich heute schon entwickeln (und für eine tragfähige/enkeltaugliche Zukunft
14
ebd., S. 7f.
15
Inhaltsfeld 3: Nachhaltige Entwicklung in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft
16
Inhaltsfeld 10: Globalisierte Strukturen und Prozesse in der Wirtschaft
17
Kernlehrplan, S. 23
6
entwickeln müssen), um globalen Ungerechtigkeiten entgegenzuwirken und somit
sozioökonomische Problemlagen an ihrer Wurzel zu packen.
Wie können Schüler_innen sich ein begründetes Urteil darüber bilden, was
zukunftsfähige Ökonomien ausmacht, wenn die Beschäftigung hiermit wenn
überhaupt nur rudimentär vorgesehen ist?
4. Desiderate und Folgerungen
Der vorgesehene Zuschnitt des KLP in Bezug auf den Gegenstandsbereich
Wirtschaft ist mit erheblichen Gefahren für Schüler_innen verbunden. Eine
Umsetzung des Bildungszieles Mündigkeit und der in der sozialwissenschaftlichen
Fächerdomäne bedarf der Kontroversität, Multiperspektivität und
Multiparadigmatizität. Die damit verbundene Integration von Politikwissenschaften,
Soziologie und Wirtschaftswissenschaften ist anzuraten. Das fachwissenschaftlich
und fachdidaktisch fundierte Konzept der sozioökonomischen Bildung sollte
konsequent im KLP umgesetzt werden.
4.1 Das Inhaltsfeld 1 bedarf einer grundlegenden Überarbeitung. Es sollte nicht an
der Bezugsdisziplin Wirtschaftswissenschaft ausgerichtet sein, da so
Minimalstandards von Bildung unterlaufen werden. Zudem nimmt die Standard-
Ökonomik nicht den Gegenstandsbereich Wirtschaft mit realen Problemen und
Herausforderungen in den Blick, sondern vermittelt eine einseitige Denkweise und
ein problematisches Menschenbild. Darüber hinaus fehlen Zugänge einer pluralen
Ökonomik und Aspekte sozialer Verantwortung in diesem Inhaltsfeld.
4.2 Die sogenannte ökonomische Denkweise ist nicht geeignet um, wie im KLP
vorgesehen, isoliert andere Inhaltsfelder zu verstehen. Gestrichen werden sollte der
Hinweis, dass diese Denkweise „das Verständnis ökonomischer Zusammenhänge
auch in anderen Inhaltsfeldern“
18
anbahne.
4.3 Alternative Modelle der Ökonomik, Ideen zukunftsfähiger Ökonomien und
Alternativen des Wirtschaftens sollten gründlich in den Lehrplan eingearbeitet
werden.
4.4 Politische Bildung darf nicht auf Kosten von ökonomischer Bildung reduziert
werden. Dringende gesellschaftliche Herausforderungen wie der zunehmende
Rechtspopulismus oder die Klimakrise können schon jetzt kaum ausreichend im
Unterricht behandelt werden. Zudem nimmt ökonomische Bildung auch aktuell einen
erheblichen Teil der sozialwissenschaftlichen Bildung an Schulen ein.
4.5 Die Umbenennung des Faches ist aus wissenschaftlicher Sicht nicht zu
begründen. Mit der Voranstellung von „Wirtschaft“ birgt sie die Gefahr, dass der
Schutzraum Schule noch weiter von Lobbyinteressen und tendenziösen Lehrmitteln
durchzogen wird.
18
ebd., S.13
7
Literatur:
Gökbudak, Mahir& Hedtke, Reinhold (2018): Politische Bildung an
allgemeinbildenden Schulen der Sekundarstufe I. Bielefeld: Didaktik der
Sozialwissenschaften.
Hedtke, Reinhold (2012): Die Wirtschaft in der Schule: Agendasetting, Akeure,
Aktivitäten. Universität Bielefeld Fakultät für Soziologie Didaktik der
Sozialwissenschaften Working Paper Nr. 3.
Mankiw, Gregory N. (2018): Principles of Economics. (8. Auflage). Boston:
Cengage Learning.
Pühringer, Stephan& Bäuerle, Lukas (2018): What economics education is
missing: the real world. In: International Journal of Social Economics Vol. 45 (10).
Van Treek, Till & Urban, Janina (2016): Wirtschaft neu denken. Blinde Flecken der
Lehrbuchökonomie. Berlin: iRights.Media.
Graupe, Silja (2017): Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen
Bildung. Hintergründe und Beispiele. FGW-Studie Neues ökonomisches Denken 05.
Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen (2019):
Kernlehrplan für die Sekundarstufe I. Gymnasien in Nordrhein-Westfalen.
Wirtschaft-Politik. (Entwurf Verbändebeteiligung: 25.02.2019)
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