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Ziele & Methodik der NextSkills Studie

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Die NextSkills Studie verfolgt das Ziel, die unterschiedlichen Forschungsstränge zum Thema Future Skills aufzunehmen und empirisch zu untersuchen, wie diese für Hochschulen nutzbar gemacht werden können. Dafür wurde ein methodisch anspruchsvolles Design konzipiert. In diesem werden Skill Entwicklungen, Anforderungen und Bedarfe an zukünftige Kompetenzen aus der Praxis der Organisationen erhoben, indem umfangreiche qualitative Interviewdaten durch induktive Herangehensweise analysiert wurden.
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Future Skills
Lernen der Zukunft – Hochschule der
Zukunft
Ulf-Daniel Ehlers
Zukunft der Hochschulbildung
Future Higher Education
Zukunft der Hochschulbildung – Future
Higher Education
Hochschulbildung befindet sich weltweit in einem dramatischen Umbruch. Stu-
dienanfängerquoten von über 70 Prozent innerhalb der nächsten 15 Jahre in den
Industrieländern sowie eine drastisch steigende Nachfrage in den Entwicklungs-
und Schwellenländern markieren einen neuen Stellenwert und eine gewandelte
Funktion der Hochschulbildung in Gesellschaften des postmodernen Zeitalters.
Zur gleichen Zeit steigen die Anforderungen an Hochschulen, ihre Absolventinnen
und Absolventen darauf vorzubereiten, eine globale und digitalisierte Welt von
morgen zu gestalten. Die Rolle die der Hochschulbildung für die Umsetzung der
Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals) zukommt,
spricht eine deutliche Sprache: Ohne eine inhaltliche und organisatorisch erneu-
erte Hochschule der Zukunft werden gesellschaftliche Problemlagen wie sie etwa
mit dem Klimawandel verbunden sind, Herausforderungen der zukünftig noch
zunehmenden Migration, Konflikte, die durch populistische Gesellschafts- und
Politikentwürfe entstehen und die damit verbundenen Frage nach der Zukunft
der Demokratie, nicht zu lösen sein. Die Entwicklung eines erneuerten gesell-
schaftlichen Konsenses über die Rolle der Hochschulbildung der Zukunft erfor-
dert es, Foren und Kanäle zu schaffen, in denen die Frage der Hochschulbildung
der Zukunft diskutiert werden kann. Die Reihe „Zukunft der Hochschulbildung“
hat zum Ziel, Beiträge aus der ganzen Breite der wissenschaftlichen und gesell-
schaftspolitischen Themen aufzugreifen und damit die Entwicklung von tragfähi-
gen Konzepten für die Zukunft der Hochschulbildung zu unterstützen.
Die Themen der Reihe spannen sich von tiefgehenden Gesellschaftsanalysen,
der Bedeutung des Wissenschaftssystems und Hochschulbildungssystems in der
Gesellschaft der Zukunft bis hin zu Fragen des zukünftigen Hochschulmanage-
ments. Dabei werden empirische Studien aber auch grundlegende Ansätze zu
Hochschulinnovationsthemen fokussiert, auch zu Detailthemen, wie bspw. alter-
nativen Studienformen, Mikrozertifikaten, der digitalen Transformation, Block-
chain für die Hochschule und anderen Themen.
Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/16452
Ulf-Daniel Ehlers
Future Skills
Lernen der Zukunft – Hochschule der
Zukunft
Ulf-Daniel Ehlers
Karlsruhe, Deutschland
ISSN 2662-5768 ISSN 2662-5776 (electronic)
Zukunft der Hochschulbildung – Future Higher Education
ISBN 978-3-658-29296-6 ISBN 978-3-658-29297-3 (eBook)
https://doi.org/10.1007/978-3-658-29297-3
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V
Zwischen Reiz und Reaktion
gibt es einen Raum.
In diesem Raum haben wir
die Freiheit und die Macht,
unsere Reaktion zu wählen.
Viktor E. Frankl
VII
Vorwort
Auch fordert jedeWirkungeine gleich starke Gegenwir-
kung, jedes Zeugen ein gleich tätiges Empfangen. DieGe-
genwartmuss daher schon auf die Zukun vorbereitet sein.
Wilhelm von Humboldt, Ideen über Staatsverfassung
Der Titel des vor Ihnen liegenden Buches reibt sich. Er nervt!
Zumindest aus bildungswissenschalicher Sicht ist die Beschäigung mit dem
ema Future Skills zunächst ein Paradoxon. Skills, eigentlich also Fähigkeiten
und Kompetenzen, sind schon per se auf die Bewältigung zuküniger Herausfor-
derung gerichtet. Wieso also solch einen Zukunsbegri nochmal mit dem Zusatz
„Future“ imprägnieren?
Bei der Beschä igung mit dem ema Future Skills wird jedoch schnell klar, dass
es um mehr geht. Mehr a ls darum, einen neuen Terminus für Kompetenz zu nden.
Derzeit entstehen überall auf der Welt Future Skill Initiativen, auf die im Buch
noch im Detail eingegangen wird. Sektorale, für Schulen oder Hochschulen, nati-
onale (bspw. Future Skills Canada) und internationale, etwa von der OECD, der EU
oder dem World Economic Forum. Alles Ansätze, die sich damit auseina ndersetzen,
die gewandelten gesellschalichen Bedingungen für Arbeit, Bildung und Leben
zu reektieren und wichtige Future Skills zu analysieren. Viele dieser Konzepte
setzen Schwerpunkte dabei auf die Frage welche Fähigkeiten Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter in einer digitalisierten Welt brauchen. Sie fokussieren sich auf digital
data-bezogene Fähigkeiten, die ihren Ursprung bereits in den 90er und 2000er
Jahren haben und dort als Digital Literacy diskutiert wurden - und nun omals
noch mit wichtigen interkulturellen Kommunikations- und Kooperationsfähig-
keiten angereichert werden.
In anderen Ansätzen und Arbeiten zum ema Future Skills erscheint das ema
als eine konsequente Weiterführung des Konzepts des lebenslangen Lernens, um d ie
Passung zwischen sich ständig wandelnden Anforderungen und den Fähigkeiten des
VIII Vorwort
Einzelnen herzustellen. Vielfach mit starkem Fokus auf den ökonomischen Impetus
der Partizipation von Individuen am Arbeitsmarkt, ma nchmal mit dem Vorhaben
Skills for Life abzubilden. Und tatsächlich nur einige wenige Ansätze versuchen in
noch weiterem Radius einen ganzheitlicheren Bildungsbezug herzustellen. Bereits
diese kurze Analyse zeigt, dass es oenbar um mehr geht als nur eine Renaissance
des Kompetenzbegries.
Es geht um eine tektonische Plattenverschiebung in Gesellscha und Organi-
sationen, die einen tiefgreifenden Wandel im Hochschulbereich nach sich zieht.
Die Frage danach, wie die Hochschule in Zukun bestehen kann und die Frage,
wie die Zukun der Hochschule aussieht.
Wie groß die Aufgabe ist, diese Zukun zu erfassen, drückt sich in der Tatsache
aus, dass das Verständnis der Zukun sich immer weniger aus der Kenntnis der
Vergangenheit ergibt; und in der Erkenntnis, dass sich gesellscha liche, politische
und wirtschaliche Prozesse immer mehr emergent, und damit aus sich selbst he-
raus und omals scheinbar ohne klaren Auslöseimpuls entwickeln. Die Fähigkeit,
in diesen sich immer schneller beschleunigenden Kontexten auch zukünig noch
handlungsfähig zu bleiben, folgt immer weniger dem Paradigma des Wissenser-
werbs anhand vorgefertigter Curricula, sondern bedarf einer radikalen situativen
Wende. Das Konzept des lebenslangen Lernens mit seinen unterschiedlichen
Umsetzungen, die Konzeption der Kompetenzorientierung in Schulen und Hoch-
schulen und das ubiquitär stetig und ständig verfügbare Wissen müssen im Sinne
exibler anschlussfähiger Lernpfade in neuer Weise zusammengebracht werden.
Future Skills fragt nach mehr. Mehr als nach einer Liste von Fähigkeiten, die
etwa Schulen oder Hochschulen ihren Lehrplänen oder Curricular zugrunde legen
könnten, um dann die Lernenden in zukunsfester Weise garantiert und sicher
für alle Eventualitäten vorbereiten zu können. Zwar umfasst die Diskussion um
Future Skills Aspekte wie Kompetenzorientierung und lebenslanges Lernen, aber
sie grei tiefer. Sie grei so tief, dass sie die Grundfesten des Bildungssystems
und die Grundfesten des Umgangs mit Arbeit umfasst. Wir können sehen, dass
in Organisationen die weit entwickelt sind und in denen Future Skills eine große
Rolle spielen, sich o auch Arbeitsabläufe verändern, Verantwortungsstrukturen
und Handlungsmuster verschieben. Das ist aber nur eine Seite des Kontextes in
dem Future Skills sich entwickeln: die sich verändernde Umwelt. Wir können auch
sehen, dass diese verändernde Umwelt immer mehr Fragen daran stellt ob das
Grundkonzept eines Bildungssystems, das sich – zugegebenermaßen überspitzt
formuliert – als Vorbereitungsinstanz für wissensintensive Handlungskontexte
versteht, noch zeitgemäß ist.
Zwar ist über das Konstrukt der Schlüsselkompetenzen in den letzten zwei Jahr
-
zehnten, zumindest in den Hochschulen, der Gedanke eingezogen, dass neben der
IX
IX
Vorwort
Wissensvermittlung noch weitere Aspekte, eben jene Schlüsselkompetenzen, eine
wichtige Rolle zur Vorbereitung auf den Arbeitsma rkt spielen, und auch Konzepte
des Citizenship und der Lebenskompetenzen, aber die vollständige Integration
einer tiefgehenden Kompetenzorientierung im Sinne der Bef ähigung zum Umgang
mit hochermergenten Systemen, Organisationen und Situationen der Zukun, ist
bislang nur wenig erfolgt. Future Skills stellen die Frage danach, wie das erfolgen
kann. Dazu kommt die dramatisch entgegengesetzte Bewegung einer Verberui-
chung der akademischen Ausbildung in einer entstehenden Bildungsgesellscha,
die im Buch noch weiter analysiert werden wird.
Das vorliegende Buch behandelt drei emen: ema 1 ist die Aufarbeitung des
Hintergrundes, des Wandels in Organisationsstrukturen und der Treiber. ema
2 ist die Aufarbeitung von Fähigkeiten anhand unterschiedlicher durch den Autor
durchgeführter empirischer Studien und ema 3 ist die Projektion der Hochschule
in die Zukun. Alle drei emen werden hier anhand empirisch abgesicherter
Konzepte bearbeitet und schließen an, an die internationale Diskussion, die in
diesem Bereich ex istiert und die im Buch aufgearbeitet wird. Das vorliegende Buch
ist damit kein Diskussionsbeitrag, in dem es uns darum geht, die abgeschlossene
nale Liste von Future Skills zu präsentieren, auch wenn im Vergleich vieler bereits
bestehender Konzepte hierbei ein weiterer Schritt gemacht wurde. Dieser besteht
darin, die zugrundeliegenden Strukturen der Future Skills aufzuarbeiten.
Das Buch erarbeitet ein Modell welches beschreibt, welche Strukturen und
Wandlungsprozesse Future Skills zugrunde liegen und arbeitet drei Grundkom-
ponenten heraus, die für die Handlungsfähigkeit in zukünig hochemergenten
Kontexten eine wichtige Rolle spielen. Das so entstehende Triple Helix-Modell ist
in der Lage die für Future Skills wichtigen Bereiche abzubilden und ist insofern
erklärungsmächtiger, als die bislang zu diesem ema vorgelegten einfachen Listen.
Future Skills – Zukun des Lernens – Zukun der Hochschulen“ ist das erste Buch
zum ema Future Skills, ist zugleich die erste empirische Arbeit bildungswissen-
schalicher Ausrichtung zum ema und umfasst nicht nur die Frage nach Future
Skillsr den Arbeitsmarkt, sondern auch nach Future Skills für grundsätzliche
Handlungsfähigkeit.
Ich möchte mich bei allen Beteiligten, die dazu beigetragen haben dieses Buch
zu realisieren, die Studien in die Tat umzusetzen bedanken. Bei meinem Team,
allem voran Sarah Kellermann, mit der wichtige Studien umgesetzt wurden und bei
allen beteiligten Expertinnen und Experten, der Dualen Hochschule Baden-Würt-
temberg und der beteiligten Unternehmen, die für Interviews bereitstanden. Ganz
besonders auch bei den internationalen Expertinnen und Experten, die an der
Delphi Studie teilgenommen haben. Das Buch stellt einen wichtigen Meilenstein
in der Frage dar, wie wir unsere Hochschulen in Zukun weiterentwickeln. Es geht
X Vorwort
über Digitalisierung hinaus, grei Kompetenzorientierung in großer Tiefe auf und
stellt Modelle und Prole für Hochschulentwicklung der nächsten 15 Jahre zur
Diskussion in den Raum.
Ulf-Daniel Ehlers
Karlsruhe, November 2019
XI
Inhalt
I Future Skills – Leitmarken einer neuen Bildungskonzeption
für Hochschulen .................................................. 1
II Der Future Skills Turn ........................................... 13
II.1 Die Relativität des Fachwissens ............................... 16
II.2 Der Future Skills Turn ....................................... 17
II.3 Förderung von Future Skills: Einblicke in die Praxis ............. 19
II.3.1 Kompetenzwerkstatt: Vernetzung und Selbstorganisation
stärken .............................................. 19
II.3.2 Vom Ende des Belehrens: Lernlinge und Studierende als
Expertinnen und Experten ............................ 20
II.3.3 Kreativität in verteilten Teams ......................... 21
II.3.4 Flexibilisierung und Selbstorganisation ................. 21
II.3.5 Freiräume schaen, Perspektiven wechseln, Innovation
und Kreativität ermöglichen ........................... 22
II.3.6 Selbstorganisation und selbstverantwortetes Lernen
stärken .............................................. 23
II.3.7 Persönlichkeiten und Selbstbewusstsein stärken .......... 24
II.3.8 Freiräume schaen ................................... 25
II.3.9 FUSE: Beteiligungsorientierte Strategieentwicklung ...... 25
XII Inhalt
Tei l A
Future Skills für eine Welt von morgen ................................ 29
A.1 Ziele & Methodik der NextSkills Studie ............................ 31
A 1.1 Forschungsziele: Einblick in die NextSkills ..................... 31
A 1.2 Triangulation als methodologisches Leitkonzept ................ 33
A 1.3 Forschungsdesig n ........................................... 36
A 1.3.1 Schritt 1: Identikation von „Future Organisations ...... 36
A 1.3.2 Schritt 2: Interviewstudie .............................. 37
A 1.3.3 Schritt 3: Internationale Delphi-Studie .................. 39
A.2 Das Future Skills Triple Helix-Modell der Handlungsfähigkeit
in emergenten Praxiskontexten ................................... 43
A 2.1 Das Future Skills Triple Helix-Modell .......................... 44
A 2.2 Shi 1 – Weniger Standardisierung und mehr
Selbstorganisation .......................................... 49
A 2.3 Shi 2 – Vom Fachwissen zur Handlungskompetenz ............ 50
A 2.4 Shi 3 – Von hierarchischen zu vernetzten
Organisationskontexten ..................................... 51
A 2.5 Zusammenfassung und Fazit ................................. 52
A.3 Future Skills r die Welt von morgen ............................. 57
A 3.1 Kompetenzfeld I: Individuell-entwicklungsbezogene
Kompetenzen .............................................. 63
A 3.1.1 Future Skill Prol #1: Lernkompetenz ............. 64
A 3.1.2 Future Skill Prol #2: Selbstwirksamkeit ................. 66
A 3.1.3 Future Skill Prol #3: Selbstbestimmtheit ................ 68
A 3.1.4 Future Skill Prol #4: Selbstkompetenz .................. 70
A 3.1.5 Future Skill Prol #5: Reexionskompetenz .............. 72
A 3.1.6 Future Skill Prol #6: Entscheidungskompetenz .......... 73
A 3.1.7 Future Skill Prol #7: Initiativ- und
Leistungskompetenz .................................. 75
A 3.1.8 Future Skill Prol #8: Ambiguitätskompetenz ............ 77
A 3.1.9 Future Skill Prol #9: Ethische Kompetenz .............. 78
A 3.2 Kompetenzfeld II: Individuell objektbezogene Kompetenzen ..... 79
A 3.2.1 Future Skill Prol #10: Design inking-Kompetenz ...... 80
A 3.2.2 Future Skill Prol #11: Innovationskompetenz ............ 82
A 3.2.3 Future Skill Prol #12: Systemkompetenz ................ 83
A 3.2.4 Future Skill Prol #13: Digitalkompetenz ................ 85
XIII
XIII
Inhalt
A 3.3 Kompetenzfeld III: Organisationsbezogene Kompetenzen ........ 86
A 3.3.1 Future Skill Prol #14: Sensemaking .................... 87
A 3.3.2 Future Skill Prol #15: Zukuns- und
Gestaltungskompetenz ................................ 89
A 3.3.3 Future Skill Prol #16: Kooperationskompetenz .......... 90
A 3.3.4 Future Skill Prol #17: Kommunikationskompetenz ...... 92
A.4 Reifegrad von Hochschulen für Future Skills ...................... 101
A 4.1 Reifegrad für subjekt-entwicklungsbezogene Kompetenzen ..... 101
A 4.2 Reifegrad für individuell-objektbezogene Kompetenzen ........ 103
A 4.3 Reifegrad für organisationsbezogene Kompetenzen ............ 105
Tei l B
Forschungsstand, eorie und Organisationsmodelle .................. 109
B.1 Forschungsstand – old bottle, new wine? .......................... 111
B 1.1 Zur Denition und zum Konzept von Future Skills ............. 111
B 1.2 Zum Begrisumfeld des Future Skills Konzeptes ............... 113
B 1.2.1 Bildungsbegriiche und lerntheoretische Einordnung
von Future Skills .................................... 113
B 1.2.2 Der Kompetenzbegri und Future Skills ................ 115
B 1.2.3 Das Konzept der Selbstorganisation ................... 116
B 1.3 Stand der Dinge in der Future Skills Forschung ................ 117
B 1.4 Kritische Analyse bestehender Future Skills Konzeptionen ...... 122
B.2 eoretische Grundlagen für Future Skills oder
die „Dri to Self-Organisation“ .................................. 127
B 2.1 „Dri to Self-Organisation“: Selbstorganisation als
gesellschaliches Leitprinzip ................................ 128
B 2.1.1 Selbstorganisation – Im Spannungsfeld von Struktur
und Wandel ........................................ 128
B 2.1.2 Selbstorganisation als gesellschalicher Trend .......... 130
B 2.1.3 Strategien und Organisationsformen für
Selbstorganisation ................................... 132
B 2.1.4 Self-Management als Vorläufer von Selbstorganisation ... 134
B 2.1.5 Selbstorganisation als Managementphilosophie ......... 136
B 2.2 Kompetenz als Grundlage für selbstorganisiertes Handeln ...... 137
XIV Inhalt
Exkurs: Mythen und Missverständnisse zu Kompetenz
und Kompetenzlernen in der Hochschule ..................... 140
B 2.3 Bildungstheoretische Fundierung des Future Skills Konzepts .... 141
B 2.4 Emergenz und Selbstorganisation ............................ 143
B 2.5 Synergetik und Selbstorganisation ........................... 145
B 2.6 Ko-Evolution und Selbstorganisation: Ökosystemtheoretische
und sozialökologische Erklärungsansätze ..................... 148
B 2.7 Digitalisierung und Selbstorganisation ....................... 152
B 2.8 Autopoiesis und Selbstorganisation .......................... 156
B 2.9 Zusammenfassung und Fazit ................................ 158
B.3 Grundprinzipien von Future Skills ............................... 159
B.4 Future Skills für Future Organisations: Analyse zuküniger
Organisationsmodelle .......................................... 165
B 4.1 Selbstorganisation als Managementprinzip .................... 168
B 4.1.1 Soziokratie in Organisationen ........................ 171
B 4.1.2 Holokratie – Agilität und Verantwortung .............. 172
B 4.1.3 Das demokratische Unternehmen ..................... 173
B 4.2 Self-Management und Agilität in der Praxis?
Zum Stand der Forschung .................................. 173
B 4.3 Fazit zum ema Selbstorganisation als Grundprinzip ......... 179
Tei l C
Zukun der Hochschule, Hochschule der Zukun ..................... 181
C.1 Zehn Sekunden, die über die Zukun der Hochschulen
entscheiden .................................................... 183
C 1.1 Erste Sekunde: Digitalisierung – Hochschulbildung
in einer digitalen Welt ...................................... 184
C 1.1.1 Beschleunigte Innovationszyklen – Wandel als das
neue Normal ....................................... 186
C 1.1.2 Umgedrehte Innovationsrichtung ..................... 189
C 1.1.3 Digital oder analog: Was bildet besser? ................. 190
C 1.1.4 Open Education: Neue digitale Oenheit ............... 193
C 1.1.5 Der Wettlauf zwischen Bildungssystem und
Technologie ........................................ 194
XV
XV
Inhalt
C 1.2 Zweite Sekunde: Hochschulbildung in der (medialen)
Transformationsgesellscha ................................. 196
C 1.3 Dritte Sekunde: Der demographische Wandel ................. 198
C 1.4 Vierte Sekunde: Modernisierung & Flexibilisierung des
Bildungs- und Arbeitsmarkts und ein neues Verständnis
von Employability ......................................... 203
C 1.5 Füne Sekunde: Open Education & Shared knowledge
economy .................................................. 207
C 1.6 Sechste Sekunde: In-Loops und Out-Loops einer lebenslangen
Hochschulbildung ......................................... 209
C 1.7 Siebte Sekunde: Hochschulbildung in der VUCA Welt .......... 210
C 1.8 Achte Sekunde: Von der Steuerungsillusion zur
Ermöglichungslogik ........................................ 214
C 1.9 Neunte Sekunde: Informelles Lernen im Studium .............. 216
C 1.10 Zehnte Sekunde: Badges & Microcredentials .................. 221
C 1.11 Zusammenfassung und Fazit ................................ 222
C.2 Lernen, Lehren und Forschen neu denken:
Eine Agenda für die Hochschule der Zukun ..................... 229
C 2.1 Hochschule der Zukun: Ein Gedankenexperiment ............ 231
C 2.2 Lernen neu denken: Leitkonzepte für das Lernen an der
Hochschule der Zukun .................................... 234
C 2.2.1 Digital, vernetzt und informell ........................ 234
C 2.2.2 Jenseits der Disziplinen .............................. 237
C 2.2.3 Individuelle Studienpfade ............................ 239
C 2.2.4 So Skills als harte Währung ......................... 240
C 2.2.5 Vom defensiven zum expansiven Lernen ............... 242
C 2.2.6 Zukun des Prüfungswesens ......................... 244
C 2.3 Die Hochschulorganisation neu denken:
Eckpfeiler der Hochschule der Zukun ....................... 247
C 2.3.1 Digital: Jenseits der Technisierung ..................... 247
C 2.3.2 Vom Studienfach zur Mission ......................... 247
C 2.3.3 Mehr Anerkennung und Anrechnung ................. 249
C 2.3.4 Microcredentials: Alternative Zertizierungsmethoden .. 250
C 2.3.5 Lebenslanges akademisches Lernen .................... 252
C 2.3.6 Verzahnung und Integration von Praxiserfahrungen .... 256
C 2.3.7 Von der Abschottung zur Durchlässigkeit .............. 257
C 2.4 Zusammenfassung: Die Zukun der Hochschulen kommt
schneller als gedacht ....................................... 259
XVI Inhalt
C.3 Vier Szenarien für die Hochschule der Zukun ................... 263
C 3.1 Entwicklungsrahmen für die Hochschule der Zukun:
Vier Säulen für den Hochschulwandel ........................ 263
C 3.1.1 Säule 1: Future Skills Fokus ........................... 265
C 3.1.2 Säule 2: Multi-institutionelle Studienverläufe ........... 267
C 3.1.3 Säule 3: Personalisierung akademischen Lernens ........ 270
C 3.1.4 Säule 4: Lebenslanges Lernen in Hochschulen ........... 272
C 3.2 Vier Szenarien für die Hochschule der Zukun................ 274
C 3.2.1 Szenario 1: Die Future Skill Universität ................. 279
C 3.2.2 Szenario 2: Die multi-institutionelle Netzwerk
Universität ......................................... 281
C 3.2.3 Szenario 3: Die personalisierte MyCurriculum
Universität ......................................... 286
C 3.2.4 Szenario 4: Die Lifelong Learning University ........... 289
Register ............................................................ 293
Literaturverzeichnis ................................................. 299
XVII
Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen
Abbildungen
Abb. 1 Inhaltlicher Wegweiser: Struktur des Buches im Überblick ........ 9
Abb. 2 Fragestellungen der NextSkills Studie .......................... 33
Abb. 3 Überblick über das Methodologische Design der NextSkills
Studie ..................................................... 36
Abb. 4 Design der Delphi-Studie (Quelle: Ehlers & Kellermann 2019) .... 40
Abb. 5 Dreiteilige Klassizierung von Future Skills .................... 45
Abb. 6 Future Skills Gesamtschau – Zuordnung zu drei Dimensionen .... 46
Abb. 7 Triple Helix-Konzept der Future Skills ......................... 48
Abb. 8 Änderung bei objektbezogenen Kompetenzen .................. 51
Abb. 9 Organisationaler Wandel in Future Organisations .............. 52
Abb. 10 Kopplung von strukturellem Bildungsmodell und
Kompetenzmodell als Erklärungskonzept für Future Skills ....... 55
Abb. 11 Das Future Skills Konzept als Kompetenzkonstrukt
(eigene Darstellung) ......................................... 58
Abb. 12 Future Skills Map – 17 Skills aus drei Kompetenzfeldern
in der Übersicht ............................................ 60
Abb. 13 Handlungsraum für Future Skills ............................. 61
Abb. 14 Future Skill Prole im Überblick .............................. 62
Abb. 15 Subjekt-entwicklungsbezogene Kompetenzen: Wichtigkeit
versus Fähigkeit von Hochschulen Future Skills Entwicklung
zu fördern (N = 46) ........................................ 102
Abb. 16 Diskrepanzwerte für subjekt-entwicklungsbezogene
Kompetenzen zwischen Skill Wichtigkeit und deren Förderung
durch Hochschulen (N = 46) ................................ 103
Abb. 17 Individuell-objektbezogene Kompetenzen: Wichtigkeit
versus Fähigkeit von Hochschulen Future Skills Entwicklung
zu fördern ................................................ 104
XVIII Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen
Abb. 18 Diskrepanzwerte für individuell-objektbezogene Kompetenzen
zwischen Skill Wichtigkeit und deren Förderung durch
Hochschulen (NImportance = 44, NSupport = 45) .................... 105
Abb. 19 Organisationsbezogene Kompetenzen: Wichtigkeit versus
momentane Fähigkeit von Hochschulen Future Skills
Entwicklung zu fördern (N = 45) ............................ 105
Abb. 20 Diskrepanzwerte für organisationsbezogene Kompetenzen
zwischen Skill Wichtigkeit und deren momentaner Förderung
durch Hochschulen (N = 45) ................................ 106
Abb. 21 Stufenmodell professioneller Kompetenz (Quelle: Wildt 2006) ... 139
Abb. 22 Agile, holokratische Strukturen in self-managed Organisations .. 169
Abb. 23 Geschwindigkeit digitaler Entwicklung (inspiriert durch
Ibrahim Evsan 2015) ....................................... 187
Abb. 24 Auswirkung der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt
(Eigene Abbildung nach Daten aus OECD 2019) ............... 188
Abb. 25 Wettlauf zwischen Technologieentwicklung und
Bildungssystem (Quelle: Katz & Goldin 2009) ................. 195
Abb. 26 Studienanngerquote 1990 bis 2015 (Quelle: Gehrke &
Kerst 2018) ................................................ 199
Abb. 27 Prognose Studierendenzahlen in Deutschland bis 2050
(Quelle: von Stuckrad et al. 2017) ............................ 200
Abb. 28 Diversität Studierender (eigene Darstellung nach Dräger 2014) ... 202
Abb. 29 Individuelle Lernerfahrung und Skill Entwicklung ............. 211
Abb. 30 Geschätzte Zeitdauer für die zunehmende Wichtigkeit der
Lernfähigkeit (N = 46) ...................................... 212
Abb. 31 Geschätzte Zeitdauer für die zunehmende Wichtigkeit der
Fähigkeit in emergenten, unsicheren Kontexten handeln
zu können (N = 45) ........................................ 212
Abb. 32 Zusammenhang zwischen Wissen, Handlung und Kompetenz
(eigene Abbildung nach Wildt 2006) ......................... 213
Abb. 33 Der Reective Practitioner (eigene Darstellung nach
Schön 2006) ............................................... 214
Abb. 34 Lehrstrategien (Ehlers 2010; eigene Darstellung nach
Baumgartner 2004) ........................................ 215
Abb. 35 Einussfaktoren auf die Hochschule ......................... 223
Abb. 36 Inter- und transdisziplinäres Lernen ......................... 238
Abb. 37 Geschätzte Zeitdauer für die zunehmende Wichtigkeit von
Future Skills als gleichwertig zu Wissensvermittlung (N = 38) ... 241
XIX
XIX
Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen
Abb. 38 Geschätzte Zeitdauer für die zunehmende Wichtigkeit der
Fähigkeit, in emergenten, komplexen Zukunskontexten
handeln zu können (N = 38) ................................. 241
Abb. 39 Geschätzte Zeitdauer für die zunehmende Wichtigkeit
interaktiver sozio-konstruktiver Lerndesigns (N = 37) .......... 243
Abb. 40 Geschätzte Zeitdauer für die zunehmende Wichtigkeit von
Lerngemeinschaen als Mainstream (N = 38) ................. 243
Abb. 41 Geschätzte Zeitdauer für die zunehmende Wichtigkeit eines
Assessments as Learning (N = 38) ............................ 244
Abb. 42 Geschätzte Zeitdauer für die zunehmende Wichtigkeit von
Peer-Assessment statt traditioneller Abschlussprüfungen
(N = 37) .................................................. 246
Abb. 43 Geschätzte Zeitdauer für die zunehmende Wichtigkeit
multi-institutioneller Studienverläufe & Patchwork-
Studienpfade (N = 38) ...................................... 248
Abb. 44 Geschätzte Zeitdauer für die zunehmende Wichtigkeit von
Microcredentials, und alternativen Zertikatssystemen
(N = 38) .................................................. 251
Abb. 45 Geschätzte Zeitdauer für die zunehmende Wichtigkeit
lebenslanger akademischer Bildung (N = 39) .................. 253
Abb. 46 Geschätzte Zeitdauer für die zunehmende Wichtigkeit
lebenslanger, episodischer Studienerfahrungen (N = 38) ........ 254
Abb. 47 Geschätzte Zeitdauer für die zunehmende Wichtigkeit von
für die Oenheit von Hochschulen für alternative
Studienverläufe (N = 38) .................................... 257
Abb. 48 Entwicklungsgeschwindigkeit für ausgewählte
Hochschulentwicklungen ................................... 260
Abb. 49 Der vier Säulenraum des Delphis für die zukünige
Entwicklung der Hochschulbildung mit Zustimmungswerten
des Samples (N = 46) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
Abb. 50 Geschätzte Zeitdauer für die zunehmende Wichtigkeit eines
Future Skills Fokus für Hochschulbildung (N = 40) ............. 267
Abb. 51 Geschätzte Zeitdauer für die zunehmende Wichtigkeit multi-
institutioneller Studienverläufe (N = 39) ...................... 269
Abb. 52 Geschätzte Zeitdauer für die zunehmende Wichtigkeit
personalisierten akademischen Lernens (N = 39) ............... 271
Abb. 53 Geschätzte Zeitdauer für die zunehmende Wichtigkeit
lebenslanger akademischer Bildung (N = 39) .................. 273
XX Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen
Abb. 54 Überblick über die Zustimmungslevel zu und geschätzte
Zeitdauer potentieller Szenarien für Hochschulbildung aus
Studierendenperspektive (NRund e1 = 46, NRunde2 = 38) ............ 277
Abb. 55 Vier Szenarien für die Hochschule der Zukun im Überblick ... 278
Abb. 56 Geschätzte Zeitdauer für die zunehmende Wichtigkeit des
Future Skill Universität Szenarios (N = 46) .................... 280
Abb. 57 Szenarien multi-Institutioneller Studierpfade
(Quelle: nach Ehlers et al. 2011) .............................. 283
Abb. 58 Geschätzte Zeitdauer für die zunehmende Wichtigkeit des
vernetzten, multi-institutionellen Studienszenarios (N = 46) .... 285
Abb. 59 Geschätzte Zeitdauer für die zunehmende Wichtigkeit des
MyCurriculum Szenarios (N = 46) ........................... 288
Abb. 60 Geschätzte Zeitdauer für die zunehmende Wichtigkeit des
lebenslangen akademischen Lernens (N = 46) ................. 291
Tab elle n
Tab. 1 Future Skills Kompetenzfelder und -prole im Überblick ......... 94
Tab. 2 Vergleichende Analyse bestehender Future Skills Modelle
(Quellen siehe Literaturverzeichnis) .......................... 123
Tab. 3 Eckpunkte der Hochschule der Zukun ...................... 231
Tab. 4 Methode der Szenarioformierung für die momentane und
künige Hochschulbildung aus Studierendenperspektive ....... 276
1
I
Future Skills – Leitmarken einer neuen
Bildungskonzeption für Hochschulen
I Future Skills – Leitmarken einer neuen Bildungskonzeption
#hinführung
#hinführung
Future Skills hat in der öentlichen Diskussion über Hochschulbildungskonzep-
te mittlerweile zu einem entscheidenden Wandel beigetragen, den wir hier als
Future Skills Turn bezeichnen. Diesen Aufzuarbeiten und in seiner Tragweite
für die Konzeption küniger Hochschulbildung zu erfassen, ist der Gegenstand
dieses Buches. Als Begri hat Future Skills einen Einuss gewonnen, wie er in den
siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts von Begrien wie Chancengleichheit
oder Wissenschasorientierung ausgegangen ist. Solche Leitmarken treten nicht
als exakt zugeschnittene und empirisch operationalisierte Konzepte auf, sondern
viel eher als begriiche Verdichtungen breit gefächerter Bündel von Argumenten
und Zielsetzungen.
Ausgangspunkt für die enorme Karriere des Konzeptes der Future Skills ist die
Diagnose, dass derzeitige Konzepte der Hochschulbildung den drängenden He-
rausforderungen unserer Gesellschaen keine überzeugenden Zukunskonzepte
entgegenstellen. Weder der nachha ltigen Gestaltung unserer Umwelt noch den damit
zusammenhängenden sozialen oder ökonomischen. Während die gesel lschalichen
Problemlagen von einem sich stetig beschleunigenden Globalisierungsprozess und
einem immer schneller werdenden digitalen Fortschritt verschär werden, sind
© Der/die Autor(en) 2020
U.-D. Ehlers, Future Skills, Zukunft der Hochschulbildung – Future
Higher Education, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29297-3_1
2I Future Skills – Leitmarken einer neuen Bildungskonzeption
genau dieses auch die Kräe der Ermöglichung für eine Vielzahl neuer Optionen
für die menschliche Entwicklung. In dieser Situation digitaler Beschleunigung ist
das kennzeichnende Merkma l das der Unsicherheit und die unausweichliche Not-
wendigkeit die der Gestaltungsverantwortung. Denn die Zukun ist unvorhersehbar
und wir können sie nicht prognostizieren, müssen aber bereit sein, sie zu gestalten.
Kinder, die im nächsten Jahr in d ie Grundschulen kommen, werden in zehn bis
zwölf Jahren in eine Berufsausbildung oder ein Studium gehen und in fünfzehn
Jahren diejenigen sein, die als junge Berufstätige beginnen, unsere Gesellscha zu
prägen. Über diese Zukun wissen wir wenig. Im Jahr 2060–2065 werden sie aller
Voraussicht nach ihrer Erwerbstätigkeit beenden. Über diese Zukun wissen wir
nichts. Unsere Schulen müssen sie auf Jobs vorbereiten, die es heute noch nicht
gibt, auf Technologien, Apps und Anwendungen, die heute noch nicht erfunden
worden sind, darauf, in einer Gesellscha zu leben, deren Strukturen wir heute nicht
absehen können, und darauf, mit Herausforderungen umzugehen, die heute noch
nicht erkennbar sind. Es ist unser aller gemeinsame Verantwortung, das Beste aus
den Möglichkeiten zu machen und Wege zu nden, mit dieser ungewissen Zuku n
umzugehen. Dabei geht es um nicht mehr und nicht weniger als den Erhalt unseres
Planeten und unserer Lebensgrundlagen.
Das Lösen der gesellschalichen Problemlagen, wie sie etwa mit dem Klima-
wandel verbunden sind, der Herausforderungen der zukünig noch zunehmenden
Migration, der Konikte, die durch populistische Gesellschas- und Politikentwürfe
entstehen und der damit verbundene Frage nach der Zukun der Demokratie – a ll
dies erfordert die Fähigkeit, neue und bisher unbekannte Ansätze zu entwickeln,
neue Wege zu gehen und bislang Unverbundenes auf neue Weise miteinander
in Beziehung zu setzen. In der Bildung und Wissenscha wird dies nur dann
gelingen, wenn wir im besten Sinne inter- und transdisziplinär daran arbeiten,
die Lösungsbeiträge einer jeden Disziplin und Wissenscha zusammenzutragen,
kritisch zu reektieren und aufeinander zu beziehen. Hochschulen tun sich dabei
schwer – denn sie alle teilen ein gemeinsames Handicap: Die Geschichte der Wis-
senscha, Forschung und damit auch der Hochschulbildung ist eine Geschichte der
Dierenzierung, Spezialisierung und Abgrenzung der Disziplinen – die fast 18.000
Studiengänge, die an deutschen Hochschulen angeboten werden, zeugen davon. Die
Institution Hochschule steht vor der Herausforderung, sich selber neu ernden zu
müssen – und das in einer Zeit, in der sie sich in einem enormen Wachstumsprozess
bendet und weltweit eine Quote von 70 Prozent Studierenden einer Alterskohorte
oder mehr bis ins Jahr 2050 prognostiziert wird. Das ist in etwa so, als müsse man
bei einem Autorennen, mitten in der Steilkurve und während eines gefährlichen
Überholmanövers die Pilotin/ den Piloten wechseln.
#futureskills 3
3
#futureskills
#futureskills
Das Forschungsprojekt NextSkills zielt darauf ab, im Rahmen eines multimetho-
dischen Forschungsdesigns und über internationale Konsultationen Modelle und
Beschreibungen für zukünig relevante Fähigkeiten, sogenannte Future Skills,
zu nden.
1
Dabei sollen Future Skills diejenigen Fähigkeiten sein, die es Hoch
-
schulabsolventinnen und -absolventen ermöglichen, die Herausforderungen der
Zukun bestmöglich zu meistern. In den Ergebnissen zeigt sich: Um mit den
zukünigen Herausforderungen umzugehen, müssen Studierende Neugier entwi-
ckeln, Vorstellungskra, Visionsfähigkeit, Resilienz und Selbstbewusstsein sowie
die Fähigkeit, selbstorganisiert zu handeln. Sie müssen in der Lage sein, die Ideen,
die Perspektiven und die Werte anderer zu verstehen und zu respektieren und sie
müssen mit Fehlern und Rückschritten umgehen können und gleichzeitig achtsam
voranschreiten, auch gegen Schwierigkeiten.
In zahlreichen Gesprächen, Interviews und Analysen wurde uns deutlich, dass
Future Skills auch darauf abzielen müssen, Bewusstsein für lokale und globa le He-
rausforderungen zu befördern; Bewusstsein und Achtsamkeit dafür zu erlangen,
wie sich der Klimawandel auf die Natur und Umwelt auswirkt und wie Studierende
Fähigkeiten erlangen können, in gesellschalichen Zusammenhä ngen mitzuwirken,
um diese Auswirkungen zu reduzieren oder umzukehren. Es geht auch darum,
gesellschaliche emen wie beispielsweise den demographischen Wandel oder
Migrationsherausforderungen zu gestalten.
Future Skills zu fördern bedeutet auch, ein Bildungssystem zu gestalten, welches
die zukünigen Bürgerinnen und Bürger in die Lage versetzt, mit damit verbun-
denen Herausforderungen umzugehen und in der Gesellscha für Kohärenz zu
sorgen, Oenheit, Toleranz, ein Bewusstsein für Unterschiedlichkeit wertzuschätzen
und gerade nicht, populistischen Erklärungen zu erliegen. Es wurde uns deutlich,
dass die Frage, wie junge Leute für die Teilhabe an gesellschalichen Systemen
und Prozessen befähigt werden, und wie wir Frieden, Bewahrung der Schöpfung
und Gemeinscha als Werte in einer zukünigen Gesellscha stärken können,
zukünig über die Relevanz unserer Hochschulen entscheiden.
Dabei wird das heutige Fach- und Expert(inn)enwissen nur noch einen kleinen
Teil darstellen, an dem sich zukünige Generationen auf ihrer Suche nach Lösungen
komplexer Probleme orientieren werden können. Sie werden von mehr angetrieben
werden als von Karriere, einem guten Job und einem hohen Einkommen. Auch um
das Wohl ihrer Freunde und Familien, ihrer Communities und des Planeten als
Ganzem, werden sie sich bemühen müssen. Mitgefühl, Achtsamkeit und Leiden-
1 Mehr zum NextSkills Projekt siehe hier: http://www.NextSkills.org
4I Future Skills – Leitmarken einer neuen Bildungskonzeption
scha werden zu expliziten Bildungszielen der Hochschulen der Zukun werden.
Es wird darum gehen, Bildungskonzepte einzusetzen, die Lernende mit Kra,
Energie und Überzeugung ausstatten und mit der Fähigkeit, diese wertschätzend
zu kommunizieren. Die Kompetenzen, die sie brauchen, müssen sie in die Lage
versetzen, ihr eigenes Leben zu gestalten u nd zum guten Leben anderer beizutragen.
Hochschulen tun gut daran, sich vom Ziel abzuwenden, Wissensbestände zu
vermitteln, in denen es primär um in sich geschlossene und gut prüare Zusam-
menhänge geht, für die es richtige und falsche Antworten gibt. Zukünig wird es
darauf ankommen, anhand von Fragestellungen zu lernen, für die es keine un-
mittelbar richtigen Antworten gibt, sondern bei denen es darum geht abzuwägen,
plausibel zu argumentieren und das Werthaltungen zu vertreten. Um herauszunden,
welche Fähigkeiten dies sind und wie diese am besten entwickelt werden können,
wurde das NextSkills Projekt ins Leben gerufen. Das Ziel dieses Projektes ist es,
Hochschulen, ihren Leitungen und ihren Lehrenden Antworten dafür zu liefern, in
welche Richtung Bildungsziele, Strukturen und Prozesse gestaltet werden müssen.
Im Zentrum stehen 3 Fragen:
1.
Welche Fähigkeiten brauchen Menschen in der Zukun, um ihre Welt und
Umwelt als Bürgerinnen und Bürger in einer globalisierten Welt zu gestalten?
Welche Fähigkeiten brauchen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, um die ständige
Weiterentwicklung und stetige Anpassung an neue Situationen in Organisationen
und im Arbeitsleben zu bewä ltigen? Diese Fähigkeiten nennen w ir Future Skills.
2. Wie können Organisationen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dabei un-
terstützen, diese Fähigkeiten zu erlangen und welche Organisationsformen und
-strukturen werden benötigt, um die dafür optimalen Organisationskulturen
herauszubilden?
3.
Was können Hochschulen tun, um diese Fähigkeiten bei Studierenden zu
fördern? Wie müssen Studium und Lehre gestaltet sein und welche hochschul-
didaktischen Formen eignen sich?
In diesem Buch beschreiben wir die Ergebnisse dieser Arbeit. Die vorgestellten
Konzeptionen sind durch Tiefeninterviews, Expertenbeurteilungen und interna-
tionale Delphi-Studien abgesichert.
Stellt man Future Skills in den Mittelpunkt der Überlegungen für Hochschulbil-
dung, dann zeig t sich an vielen Punkten die Notwendigkeit, die Hochschule als Ort
des Forschens, Lehrens und Lernens neu zu denken. Dabei gilt: All das, was leicht
zu unterrichten ist und leicht geprü werden kann, ist auch leicht zu digitalisieren
– und damit auch zu automatisieren. Future Skills wie Kreativität, Selbstkompe-
tenz, Reexionskompetenz oder Design inking-Kompetenz benötigen jedoch
#bisher 5
5
ausgeklügelte Vermittlungsformen. Es geht also darum, die Frage zu stellen, wie
die Förderung von Future Skills in den Hochschulcurricula verankert werden kann.
Dabei geht es um eine Konzentration auf aktive, gestaltende Lehr- und Lernformen
und Bildungsziele, die komplexe Prüfungsszenarien benötigen und die über reine
Wissensvermittlung hinausgehen und Kompetenzen in den Vordergrund stellen.
#bisher
#bisher
Die NextSkills Studiendet nicht in einem Vakuum statt. Die Frage, welches die
Fähigkeiten sein sollen, die in einem Bildungssystem für zukünige Generationen
den Lernkonzepten zugrunde liegen, ist hoch relevant – und eine bereits vielschich-
tig diskutierte. Nachdem in den achtziger und neunziger Jahren die Forschung
zu Graduate Attributes im Vordergrund stand, gibt es derzeit eine regelrechte
Renaissance an wissenschalichen Arbeiten zu diesem ema. Das sind zum
einen Arbeitsmarktstudien, die sich die Frage stellen wie die Zukun der Arbeit
aussieht, bei denen Digitalisierung einen großen Einuss hat. Das sind zweitens
Studien der Gesellscha, die sich die Frage stellen, wie die Gesellscha im Jahre
2030 oder 2050 aussehen wird. Das sind Fragen wie: Wird Arbeit weiterhin das
sinnstiende Element in unserem Leben sein? Was sind die Risiken, die Individuen
in einer Gesellscha zu bewältigen haben und was sind Strategien zur Bewä ltigung
selbiger? Auch dabei spielt die digitale Durchdringung der gesamten Privatsphäre
eine große Rolle. Und es ergeben sich drittens Fragen in Bezug auf Bildungskon-
zeptionen, die sich damit auseinandersetzen wie Studierende auf unvorhersagbare
Zuküne vorbereitet werden können. Viertens und letztens sind es viele Ansätze,
die im Bereich internationaler Organisationen wie der Europäischen Union (EU),
der Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD) oder der
United Nations Educational, Scientic and Cultural Organization (UNESCO) entste-
hen, die die Frage stellen, wie Gesellscha en zusammen in einer Weise lernen und
leben können, sodass die globalen Herausforderungen angemessen und wirksam
bearbeitet werden können. All diese unterschiedlichen Perspektiven die seit etwa
den neunziger Jahren zunehmend stärker diskutiert werden, rücken in den Fokus
durch internationale Zusammenarbeit, globale Vernetzung und Digitalisierung.
Die Diskussionen schlagen sich in Konzepten wie zum Beispiel den Sustainable
Development Goals (SDG) oder anderen, grenzüberschreitenden Bildungs- und
Gesellschasentwürfen nieder.
Die Frage welche Fähigkeiten junge Menschen der künigen Generationen
benötigen, um mit den beschriebenen Herausforderungen umzugehen, hat also
6I Future Skills – Leitmarken einer neuen Bildungskonzeption
große Konjunktur. Sie wird viel diskutier t und ist derzeit eines der heißen emen,
nicht nur in der Bildungswissenscha, sondern auch in den Wirtschas- und Ar-
beitswissenschaen. Die meisten der Ansätze gehen dabei empirisch analytisch
vor und versuchen, durch die Analyse bestehender Entwicklung die Zukun zu
prognostizieren, indem sie beispielsweise die Entwicklung von neuen Berufen und
Berufsfeldern zugrunde legen oder die Geschwindigkeit der Technologieentwick-
lung und ihrer Anwendung auf die Automatisierung in Arbeitsprozessen (linear)
fortschreiben und so zu neuen Professionsprolen kommen. Aus denen heraus
werden wiederum Qualikationsanforderungen abgeleitet, die dann in Schulen
und Hochschulen zu Kompetenzprolen entwickelt werden.
#emergenz
#emergenz
Dieser Ansatz hat Grenzen, die nun immer absehbarer werden. Es wird deutlich, dass
die Debatte um die Zukunsf ähigkeiten, die benötigt werden, um die gesellscha -
lichen Herausforderungen derzeitiger und zuküniger Generationen zu bewältigen,
vor allem eines berücksichtigen muss: Einen sich immer schneller und nicht-linear
wandelnden Handlungskontext. Dieses Charakteristikum hält in immer mehr
Bildungskonzepte Einzug – zunächst auf einer rein deskriptiven Ebene. Es wird
gefragt, wie damit umzugehen sei, wenn Studierende nicht mehr auf ein bestimmtes
Ziel hin vorbereitet werden können, wei l ein klar denierbares Wissensziel an sich
nicht mehr bekannt ist. In jüngster Zeit kommen systematischere, wissenschaliche
Entwürfe hinzu, in denen die Frage der Unvorhersehbarkeit auf wissenscha-
lich-theoretischer Ebene diskutiert wird. Hierbei sind derzeit die Entwürfe aus
der Ökosystemtheorie, aus der Physik im Bereich der Forschung über emergente
Systeme und Selbstorganisation sowie die Kybernetik in der Verhaltensforschung
und Biologie zu nennen. Ihnen liegt die Erkenntnis zugrunde, dass Entwick lungen
in Systemen o zu neuen Zuständen führen, die sich aus den vorherigen Zuständen
nicht ableiten lassen. Die so bezeichnete emergente Entwicklung hat das Kennzei-
chen der Irreduzibilität, also der Unmöglichkeit des linearen Fortschreibens einer
Entwick lung in eine zukü nige Entwicklung, da sich die zukünige Entw icklung,
als neuer Status nicht mehr auf den vorherigen reduzieren lässt; und zweitens das
Kennzeichen der Unvorhersagbarkeit, also der Unfähigkeit des Prognostizierens
des nächsten, nachfolgenden Zustandes. Übertragen auf gesellschaliche Prozesse,
politische Prozesse und wirtschaliche Prozesse, sowie Prozesse der Kommuni-
kation bedeutet dies, dass Individuen künig mit Situationen umgehen werden
müssen, die sich weder vorhersagen noch berechnen lassen.
#triplehelix 7
7
Die Frage ist, wie man mit dem Unvorhergesehenem umgeht. Beiträge zu Future
Skills müssen Antworten auf diese Frage liefern. Derzeit gibt es nur wenige kon-
kurrierende Ansätze, die sich dieser Frage wirklich systematisch stellen und über
einen reinen Kompetenzbegri hinausgehen. Mit diesem Buch streben w ir an, diese
Lücke zu schließen. In der vorliegenden Arbeit wird ein Modell für Future Skills
entworfen. Es kombiniert bildungst heoretische Aspekte mit Kompetenzkonzepten
und Konzeptionen der Selbstorganisation.
#triplehelix
#triplehelix
Dies ist ein Buch von Übermorgen. Unsere derzeitigen Hochschulbildungskon-
zepte sind noch stark an Wissensvermittlung orientiert. Wissen aufzubauen und
anzuhäufen, um dieses dann in den künigen beruichen Handlungssituationen
abzurufen, ist – pointiert ausgedrückt – das aktuelle Spiel von Hochschulbildung,
Studium und Arbeitsmarkt. Doch es bröckeln die Ränder dieser Entwicklung.
Unsere Studie zeigt, dass insbesondere in solchen Arbeitsfeldern, die als hoch
agil und gleichzeitig wissensintensiv gelten können, zunehmend nicht mehr
abruares Wissen die Währung zukünigen Arbeitsmarkterfolges ist, sondern
Future Skills. Im Rahmen der NextSkills Studie wird dazu das Triple Helix-Modell
der Handlungsfähigkeit in emergenten Kontexten entwickelt und in Kapitel A 2
vorgestellt. Das Triple Helix-Modell zeigt, wie die Wandlungsprozesse mit neuen
Fähigkeitsanforderungen zusammenhängen.
Dabei sehen wir das Hochschulsystem weltweit inmitten eines Transformati-
onsprozesses. Alle industrialisierten Gesellschaen stehen strukturell gesehen am
Rande einer Bildungsgesellscha, in der der Druck zur akademischen Bildung stetig
steigt. Das geht einher mit einer durch Verfügbarkeit von Kommuni kationsmedien
immer stärkeren Vernetzung und einer daraus resultierende Konkurrenz global
verfügbaren Wissens. Die sich daraus ergebende Beschleunigung der Entwick lung
und des Verfalls von Wissensbeständen macht eine ständige lebenslange Aktua-
lisierung des Wissens des Einzelnen notwendig. Wissen ist jedoch nicht genug,
es bildet lediglich die Basis für Future Skills. Während die Skills dabei zwar nicht
immer neu sind, so gibt ihnen jedoch das Ausmaß, in dem die Performa nz in Future
Organisations von ihnen abhängt, eine gänzlich neue Relevanz.
Future Skills ist ein schillernder Begri, dem v ielfältige Verständnisse zugrunde
liegen. Die bestehenden Ansätze erschöpfen sich dabei oma ls in einer Aneinander-
reihung von Begriselementen, die f ür Future Skills wichtig sein könnten. Liste reiht
sich an Liste. Über diese rein additive Sichtweise hinaus gibt es derzeit lediglich die
8I Future Skills – Leitmarken einer neuen Bildungskonzeption
altbeka nnten aber vielfach nicht umgesetzten kompetenzorientierten Lernszenarien.
Dabei wird o betont, dass es letztlich der Bildungswissenscha schon immer um
Future Skills ging. Denn was, wenn nicht zukünige Handlungsfähigkeit sollen
Bildungskonzepte eigentlich zum Inhalt haben? Future Skills ist damit zugegebener
Maßen ein schillernder und populärer Begri, der aus bildungswissenschalicher
Sichtweise sicher bereits Konstruktionsdezite in sich trägt.
Lässt man einmal diese – zugeben gerechtfertigten Dezite – beiseite, so birgt
er aber auch Chancen. Er hebt sich ab von der schon etwas eingefahrenen Debatte
um die Einführung von Kompetenzen als Konstrukte aus Wissen, Fähigkeiten und
Einstellungen, bezieht sich zunächst nicht vordergründig sofort auf die Diskussion
um Schlüsselqualikationen und Kompetenzen und ist international anschlussfä-
hig. Der Begri ist also reizvoll, bedarf aber einer gehörigen Portion begriicher
Schärfung und Abgrenzung.
#aufbau
#aufbau
Mit dem Buch verfolgen wir zwei Hauptzielsetzungen: Zum einen wollen wir
ausführlich über die Ergebnisse des dreijährigen NextSkills Projekts und dessen
Gehalt für die deutsch- und englischsprachige Forschung zum ema Future Skills
berichten. Zum anderen geht es uns darum, mit dem Buch einen theoretischen
Bezugsrahmen für Future Skills in der Hochschulbildung zu legen und bestehende
Forschungen mit Bezug zum ema darin einzuordnen. Die nachfolgend abgebil-
dete Infograk (Abbildung 1) illustriert die dazu konzipierte Struktur des Buches.
Das Buch ist in drei große Teile gegliedert, denen ein einführendes Kapitel zum
Future Skills Turn vorangestellt ist (Kapitel II). Dieser Future Skills Turn wird an-
hand vielfältiger Beispiele beschrieben, die die zunehmende Bedeutung von Future
Skills als künige Leitorientierung für Hochschulbildung aufzeigen. Dabei geht
es nicht etwa um einen neuen Bildungs- oder Kompetenzbegri, sondern um die
Beschreibung derjenigen Kompetenzprole, die als Future Skills unter Beding ungen
von Future Organisations Bedeutung erlangen.
Teil A widmet sich den Future Skills. Dazu wird in Kapitel A 1 zunächst das Stu-
diendesign der NextSkills Studie beschrieben. In Kapitel A 2 wird ein grundlegender
theoretischer Rahmen für Future Skills als Bildungskonzeption entwickelt. Dabei
wird das sogenannte Triple Helix-Modell der Handlungsfähigkeit in emergenten
Praxiskontexten entwickelt. Dem Modell liegen drei Shis zugrunde, drei wesent-
liche Änderungen in der Grundstru ktur der Arbeitswelt, auf denen das Future Skill
Konzept auaut. Innerhalb der Forschung zu Future Skills bietet die NextSkills
#aufbau 9
9
Studie mit dem Triple Helix-Modell für Future Skills als erste Studie überhaupt
einen theoretischen Bezugsrahmen für Future Skills. Im weiteren Verlauf werden
in Kapitel A 3 die siebzehn Future Skills Prole herausgearbeitet, deniert und
beschrieben. Kapitel A 4 analysiert die Ergebnisse der internationalen NextSkills
Delphi-Studie in Bezug auf den Reifegrad derzeitiger Hochschulbildung und deren
Fähigkeit, die Entwicklung von Future Skills bei Studierenden zu unterstützen.
Abb. 1 Inhaltlicher Wegweiser: Struktur des Buches im Überblick
10 I Future Skills – Leitmarken einer neuen Bildungskonzeption
Teil B des Buches widmet sich der Aufgabe, den Forschungsstand der Future Skills
Forschung aufzuarbeiten. Dazu gibt es derzeit weder im deutschsprachigen noch
im englischsprachigen Raum Vorlagen oder Literaturstudien. Kapitel B 1 stellt
den Forschungsstand dar, angefangen bei der verwandten Forschung zum ema
Graduate Attributes. In Kapitel B 2 wird der wesentliche theoretische Bezugsrah-
men für die Future Skills Forschung konstruiert und beschrieben. Dabei spielt die
sogenannte „Dri-to-Self Organisation“ eine besondere Rolle.
Es wird aufgearbeitet, welche Beiträge Bezugstheorien aus einem breiten inter-
disziplinären Spektrum zur Erklärung von Future Skills leisten. Hierfür werden
theoretische Beiträge aus der Systemtheorie, Organisationstheorie, der Organi-
sationssoziologie, der Managementtheorie, der Physik sowie der Bildungstheorie
analysiert. Kapitel B 3 stellt Grundprinzipien dar, die der Konstruktion von Future
Skills zugrunde liegen. Schließlich werden in Kapitel B 4 Organisationsmodelle
analysiert, die die „Dri-to-Self-Organisation“ repräsentieren und deren Releva nz
für die Bedeutung von Future Skills aufgezeigt.
Teil C des Buches widmet sich der Frage, wie die Hochschule der Zukun
aussehen wird. Zunächst werden in Kapitel C 1 die zehn wesentlichen Treiber be-
schrieben und analysiert, wie sie die Entwicklung der Hochschulen beeinussen. In
Kapitel C 2 wird dann sowohl aus hochschuldidaktischer Perspektive als auch aus
organisatorischer Perspektive beschrieben, wie Hochschulen sich auf Basis dieser
Treiber entwickeln werden. Kapitel C 3 formuliert abschließend vier Szenarien für
die Hochschule der Zukun.
Das Buch entwickelt im Glossar ein wichtiges System von Querverweisen für
die teilweise begriich aufwändige Arbeit. Zudem wird eine umfassende Biblio-
graphie der deutsch- und englischsprachigen Literatur zum ema dokumentiert.
11
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Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materi-
als die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.
v (
#aufbau 11
13
II
Der Future Skills Turn
II Der Future Skills Tur n
II Der Future Skil ls Turn
William Ross Ashby wurde am 6. September 1903 in London in England geboren
und starb a m 15. November 1972. Er war ein britischer Psychiater und Pionier in der
Kybernetik, dem Studium komplexer Systeme und gilt als eine der einussreichsten
Personen in den Systemwissenschaen (Klir 1978). Sei ne We rke Einführung in die
Kybernetik (1974) und Design for a Brain (1952) waren seit ihrem Erscheinen in
den 1950er Jahren einussreich in den Wissenschaen von komplexen Systemen,
damals unter dem Schlagwort Kybernetik bekannt. Obwohl er in der Wissenscha
komplexer Systeme so bedeutend war, ist er heute dennoch weitaus weniger bekannt
als etwa Norbert Wiener oder Herbert A. Simon. Ashbys Gesetz träg t seinen Namen
und lieferte die wissenschaliche Grundlage für das homöostatische Prinzip und
die Prinzipien der Selbstorganisation. Das Gesetz von der erforderlichen Varietät
(in Englisch Law of Requisite Variety) gehört zu den zentralen Erkenntnissen der
Kybernetik (Ashby 1974).
Das Gesetz besagt, dass ein System, welches ein anderes steuert, umso mehr
Störungen in dem Steuerungsprozess ausgleichen kann, je größer seine Handlungs-
varietät ist: Je größer die Varietät eines Systems ist, desto mehr kann es die Varietät
seiner Umwelt durch Steuerung vermindern. Daraus folgt, dass die Varietät des
Steuerungssystems mindestens ebenso groß sein muss wie die Varietät der aure-
© Der/die Autor(en) 2020
U.-D. Ehlers, Future Skills, Zukunft der Hochschulbildung – Future
Higher Education, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29297-3_2
14 II Der Future Skills Turn
tenden Störungen, damit es die Steuerung ausführen kann. Folgt man dieser Idee,
so bedeutet das: Wann immer es darum geht, erfolgreich mit hoch komplexen und
dynamischen Situationen umzugehen, muss das handelnde System mindestens die
gleiche Komplexität und Dynamik aufweisen wie das System, in dem gehandelt
wird. Überträgt man diesen Gedanken auf heute, bedeutet dies: Wenn der Markt
sich immer weiter vernetzt, wird es immer wichtiger, freie Vernetzung auch im
eigenen Unternehmen zuzulassen und zu fördern. Ansonsten würde man Gefahr
laufen, abgehängt zu werden.
Wie können Unternehmen nun konkret auf komplexe Systemanforderungen
reagieren? Peter Kruse, Professor und Gründer der Unternehmensberatung next-
practice, weist darauf hin, dass Hierarchie zwar geordnetes und kalkulierbares
Vorgehen sichert, aber keine empfehlenswerte Antwort auf die komplexe Dyna mik
von Netzwerken sei (Kr use 2015). Führung habe dann nicht mehr die Aufgabe, vor-
zudenken oder die Aktivitäten von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu steuern,
sondern dafür zu sorgen, dass die Menschen im Unternehmen die notwendigen
Zukunskompetenzen entwickeln können, um Zusammenhänge zu erkennen
und sich so selbst den Ma rktanforderungen entsprechend organisieren zu können.
Netzwerkbildung ist damit beides, das Problem und die Lösung.
Die Anpassung an eine neue Organisationsrealität durch Lernen wird zu ei-
nem Schlüsselelement. Eine Studie von Peter Kruse (2009) zeigt: 77 Prozent der
befrag ten Führungskräe sind überzeugt, dass es einen grund legenden Wandel im
System von Führung braucht. Weitgehender Konsens herrscht unter den befragten
Führungskräen darüber, dass es immer wichtiger wird, sich auf ergebnisoene
Prozesse einzulassen. Einheitlich wird mehr Mut zu iterativ-testender Agilität
gefordert (Kruse 2015). Somit tritt an die Stelle des traditionellen Managens zwi-
schen Soll und Ist die Auorderung, sich schrittweise ausprobierend und lernend
vorwärtszubewegen. Ziele werden nicht vorgegeben oder ausgehandelt, sondern
gemeinsam immer wieder neu angepasst und entwickelt. Anhand von Kruses
Studien kann das dazugehörige Idealbild von Führung auf drei zentrale Forde-
rungen heruntergebrochen werden: Netzwerkorganisation statt Linienhierarchie,
Selbstorganisation statt Steuerung und Kooperation statt Wettbewerb (ebenda).
Insgesamt ist zu beobachten, dass dem einzelnen Individuum eine zunehmend
stärkere Verantwortung in der Organisation zukommt. Dass weniger Verantwor-
tung an zentralehrungsstrukturen abgegeben werden kann. Und dass drittens,
die Frage, welche Future Skills eigentlich wichtig sind und gebraucht werden, um
die jeweiligen Aufgaben in der „Netzwerkorganisation“ erfolgreich bearbeiten zu
können, nur sehr personalisiert und im jeweiligen Kontext beantwortet werden
kann – und das Erlernen dieser eben auch durch das Individuum geschehen muss.
II Der Future Skills Turn 15
15
Geht man gegenwärtig in heutige Institutionen, so zeigt sich dieser Zusammen-
hang sofort. Den Verantwortlichen, die für die Future Skills Studie befragt w urden,
ist klar, dass die Entwicklung der notwendigen Fähigkeiten so volatil und stetig
im Wandel begrien ist, dass 80 Prozent des notwendigen Lernens „on-the-job
statt ndet. Dabei spielt das extern organisierte, formale und explizite Training eine
immer unwichtigere Rolle. Die Reexion, was Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
eigentlich brauchen, und wo sie die notwendigen Kompetenzen erlernen können,
passiert laut Einschätzung zu 90 Prozent aus Eigeninitiative. Die allgemeine Ein-
schätzung ist die, dass es eine zunehmend untergeordnete Rolle spielt, kodiziertes
Wissen abruar parat zu haben. Viel wichtiger ist es, Daten, Information und
Wissen zu suchen und zu diskriminieren, Unterscheidungen treen zu können,
sowie die Validität und Objektivität der jeweils gefundenen Informationen vor
-
nehmen zu können. Beispielsweise auch mit Suchmaschinen wie Google und Co.
Die Fähigkeit, des eigenen individuellen Informationsmanagements ist dabei nicht
nur eine Frage des subjektiven Wissensmanagements, also, wie man etwa seinen
eigenen Wissensbereich organisiert. Sondern es geht auch darum, die Fähigkeit zu
haben, Daten und Informationen zu validieren. Die im Netz vielfach verbreitete
Ansicht, dass Informationen sich durch die Wiedergabe Vieler selbst validieren,
ist dabei nicht immer zutreend, ganz entgegen dem populären Verständnis des
Wisdom of the Crowds.
Eine wichtige Zusatzbedingung hat schon im 18. Jahrhundert der franzö-
sische Philosoph und Mathematiker Marquis de Condorcet aufgezeigt. Das
Condorcet-Jury-eorem besagt: Wenn die Menge des verteilten Wissens in den
Köpfen von der an einer Schätzaufgabe beteiligten Menge von Entscheidern unter
Zufall liegt, dann ist die Treerquote der Gesamtentscheidung extrem gering.2
Liegt das Wissen der Einzelnen dagegen auch nur ein wenig über dem Zufall, dann
schaukelt sich die Gruppe zu einer überraschend hohen Tresicherheit auf. Peter
Kruse, Zukunsforscher, beschrieb diesen Zusammenhang einmal so:
„Wenn Sie bei Günther Jauch sitzen und eine Frage zu den Urlaubsvorlieben eines
Prominenten gestellt bekommen, dann können Sie, weil „Promis“ über die Medien
zu öentlichen Personen werden, davon ausgehen, dass das Wissen der einzelnen
Studiogäste über Zufall liegt. Hier sollten Sie den Publikumsjoker ziehen. Haben
Sie aber eine Fra ge im Bereich Nuklea rphysik, dan n ist die Wahrscheinl ichkeit recht
gering, dass das Wissen über Zufall liegt. Dann können Sie besser gleich würfeln.“
2 Auch a ls Sozialwahltheorie bekannt, d ie Mitte des 20. Jahrhu ndert von Kenneth Ar row
erfunden wurde (Arrow 1963).
16 II Der Future Skills Turn
Bezogen auf Organisationen heißt das, dass das verteilte Wissen durch Informa-
tionsmonopole, Beziehungsnetzwerke oder hierarchische Schwellen prinzipiell
limitiert wird. Eine wichtige Aufgabe ist es also daf ür zu sorgen, dass eben dies nicht
geschieht und Wissen frei verfügbar und ohne die typischen Wissensbeschränkungen
(beispielsweise Informationsmonopole) in der Organisation verfügbar ist. Darüber
hinaus gilt es genau zu überlegen, wie man mit der Validität der Informationen im
Internet umgeht, seien sie auch durch noch so viele andere zitiert und vervielfältigt
(Kruse in Personalwirtscha 2015).
II.1 Die Relativität des Fachwissens
II.1 Die Relativität des Fachwissens
In Bezug auf Fachkompetenz und Wissensbestände zeigt die Future Skills Studie,
dass sich in vielen Organisationen immer mehr die Erkenntnis durchsetzt, dass
die Fähigkeit zur Initiative, und noch pointierter formuliert, zur Selbstinitiative,
also dem Nachgehen und Umsetzen der individuell aus sich heraus entspringenden
Impulse und Ideen und die damit eng verbundene Selbstkompetenz eine gleichwer-
tige, wenn nicht vielleicht sogar wichtigere Rolle spielt als das Fachwissen. In dieser
Polarisierung von Wissen einerseits und Kompetenz andererseits liegt jedoch nur
ein scheinbarer Widerspruch. Denn Wissen ist kein von Kompetenz unabhängiger,
sondern ein geradezu zentraler Baustein für Kompetenz. Kompetenz geht jedoch
weit über Wissen hinaus (siehe dazu auch Kapitel B 1.2.2 Kompetenz). So bezeichnet
Selbstkompetenz beispielsweise die
„Bereitscha und Fä higkeit, als i ndividuelle Persönl ichkeit die Entwic klungschancen,
Anforderungen und Einschrä nkungen in Fami lie, Beruf und öentlichem Leben zu
klären, zu durchdenken und zu beurteilen, eigene Begabungen zu entfalten sowie
Lebenspläne zu fassen und fortzuentwickeln. Sie umfasst Eigenschaen wie Selbst-
ständigkeit, Kr itik fähigkeit, Selbstver trauen, Zuverlässigkeit, Verantwortungs- und
Pichtbe wusstsein. Zu ihr gehören in sbesondere auch die Entw icklung durchda chter
Wertvorstellungen und die selbstbestimmte Bindung an Werte.“ (KMK 2011)
Diese Erkenntnis ist o ema eines scheinbaren Widerspruchs, der in der jüngsten
Debatte um Wissen/ Fachkompetenz vs. Handlungskompetenz und Fähigkeiten
immer wieder auaucht und einer grundlegenden Reexion bedarf. Er drückt
sich in Aussagen großer Tech-Companies (Times Higher Education 2015) über die
Relativierung von formalen Abschlusszeugnissen genauso aus, wie in kontroversen
Debatten von Lehrenden über die Frage, ob Kompetenzen überhaupt ein realisti-
sches Ziel für Lernprozesse seien, wo es doch zunächst so viel Wissen zu erlernen
II.2 Der Future Skills Turn 17
17
gäbe. Insgesamt herrscht omals eine fa lsche Vorstellung über den Zusammenhang
von Kompetenz und Wissen. Wir haben daher diesem ema ein eigenes Kapitel
gewidmet, um zu zeigen, dass wir es heute tatsächlich mit einer Kompetenzwende
zu tun haben (siehe dazu auch Kapitel B 1.2.3 Kompetenz).
In den befrag ten Organisationen wurden die Personalentwicklungsinstrumente
zunehmend darauf ausgerichtet, individuelle Kompetenzentwicklung und insbe-
sondere die Entwicklung von Subjektkompetenzen (siehe Kapitel A 2 Das Future
Skills Triple Helix-Modell der Handlungsfähigkeit in emergenten Praxiskontexten)
zu unterstützen. Dabei kommen vor allem coachingorientierte Methoden zum
Einsatz. Dies stellt wiederum eine erhöhte Anforderung an Führungskräe und
macht in vielen Fällen ein Überdenken der bestehenden Governancestrukturen
der Organisationen notwendig.
Die Interviews zeigen, dass es immer stärker weg vom Vermitteln hin zum
selbstorganisierten Lernen geht. Die Entwicklung des selbstorganisierten Lernens
als die Zukunskompetenz schlechthin erfordert wiederum neue und besondere
Modelle der Ausbildung, Unterstützung und Entwicklung bei Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern. Diese sind für die Personalentwicklung in Organisationen auf
allen Ebenen, sowohl bei der Programmgestaltung, also auch bei der individuellen
Betreuung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, als auch auf didaktischer Ebene
einer einzelnen Fortbildungsveranstaltung von hoher Bedeutung.
In fast allen befragten Organisationen gibt es Instrumente und Methoden zur
Kompetenzerfassung, sowohl zu Beginn von Maßnahmen als auch später, die
darauf abzielen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu unterstützen, die eigene Ent-
wicklung zu reektieren. Führungskräe verstehen sich zunehmend als Coaches,
Lernbegleiterinnen und Lernbegleiter, weniger als diejenigen die Arbeitsvorgänge
vorstrukturieren. Persönliche Dominanz und starke Persönlichkeit sind demnach
out. Eziente Zielerreichung und das Steuern über Kennzahlen werden als unzu-
reichend erachtet. Vor dem Hintergrund wachsender Dynamik und Komplexität
bewerten die Führungskräe die Erfolgskonzepte von gestern intuitiv als Risiko
von morgen.
II.2 Der Future Skills Turn
II.2 Der Future Skills Tu rn
Es ist eine regelrechte Wende in Richtung Future Skills zu beobachten. Diese drückt
sich auch in den Instrumenten aus, die in der Personalentwicklung mehr und mehr
eingesetzt werden. So berichtet ein mittelständisches Unternehmen im Bereich
Medizinprodukte, dass es Feedbackbögen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
18 II Der Future Skills Turn
einsetzt, denen neun Kompetenzen zugrunde liegen, von denen lediglich noch
eine tatsächlich fachlich ist. In der Personalentwicklung wird immer mehr Wert
daraufgelegt, wie Zusammenarbeit und Vernetzung gefördert werden können. So
werden beispielsweise Persönlichkeitsmodel le und -tests eingesetzt, die dabei helfen
zu verstehen, welche Präferenzen bei der Kooperation der Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern vorliegen und wie das gegenseitige Verständnis und die Bereitscha
für Kooperation verbessert werden können (Mittelständische Bank).
Der neue Fokus auf Future Skills zeigt sich auch mit Blick auf Weiterbildungs-
angebote und -maßnahmen. Fortbildungsangebote sind weniger katalogorientiert,
sondern zielen verstärkt auf Netzwerkbildung – und damit auf Selbstorganisation
(siehe dazu auch Kapitel B 2.1 „Dri to Self-Organisation“: Selbstorganisation als
gesellschaliches Leitprinzip). Ganz pra ktisch drückt sich dies beispielsweise darin
aus, dass eine Personalverantwortliche berichtet, es gäbe heute ca. 200 Angebote
der Personalentwicklung pro Jahr, und 80–85 Prozent davon seien als Kollege schult
Kollege organisiert (Mittelständischer Medizinproduktehersteller). In manchen
Organisationen gibt es zudem explizit Abteilungen, die den Stellenwert des Ler-
nens für die Arbeit herausstellen und beide emen miteinander koordinieren,
beispielsweise ein Team Lernen und Arbeit in einer der teilnehmenden Organisa-
tionen (große Drogeriemarktkette).
Die Future Skills-Wende – weg vom Fachwissen hin zu Future Skills – zeigt sich
auch darin, dass neben den traditionellen Personalentwick lungsinstrumenten nun
Coaching, Beratung und Mentoring eine immer größere Rolle spielen. Dabei steht
Coaching für ergebnisoene und lösungsfokussierte Unterstützung der persönlichen
Kontexte, Beratung für ein Format, in dem es vor allem um gezielte Unterstützung
für ein vorliegendes Problem geht, während Mentoring auch zwischen Kolleginnen
und Kollegen unterschiedlicher Expertise stattnden kann. Zukunsweisend dabei
ist die Auösung von Grenzen des Privaten und des Professionellen. In einer der
befrag ten Organisationen können Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch emen
aus ihrem privaten Umfeld mit in ein Coaching einbringen. Das macht insofern
Sinn, als dass gerade beim Coaching als ergebnisoenem Format immer auch Frage-
stellungen aus dem privaten, persönlichen eine Rolle spielen und der professionelle
Kontext nicht immer trennscharf dagegen abgegrenzt werden kann. Voraussetzung
ist dabei das Schaen eines Kontextes, in dem klare Informationsschranken deniert
sind und eine Vertrauenskonstellation aufgebaut wird.
Eine der Organisationen hat, auf dem Mentoring-Format auauend, einen zu-
sätzlichen A nsatz eingeführ t: das Reverse Mentoring. Es wird dabei kein Mentorin-
gangebot deniert, sondern ein Mentoringbedarf formuliert, der dann von Kollegen
– vor allem auch aus anderen Abteilungen oder hierarchischen Kontexten bedient
werden kann. Eine Auszubildende oder ein Auszubildender schult so vielleicht das
II.3 Förderung von Future Skills: Einblicke in die Praxis 19
19
Vorstandsmitglied in einem bestimmten So warethema oder Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter aus dem Vertrieb sind Mentoren für die Expertinnen und Experten
aus der Abteilung Entwicklung (mittelständische Bank).
II.3 Förderung von Future Skills: Einblicke in die Praxis
II.3 Förderung von Future Skills: Einblicke in die Praxis
Wie Organisationsstruktur, Wer te, Führungs- und Kommunikationsstrukturen
zusammenspielen müssen, um eine Organisationskulturr Future Skills aufzu-
bauen, zeigen folgende Beispiele.
II.3.1 Kompetenzwerkstatt: Vernetzung und
Selbstorganisation stärken
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aller Abteilungen und Hierarchiestufen können
sich in eine einjährige Kompetenzwerkstatt einschreiben. Ziel der Kompetenzwerk-
statt ist es, eine persönliche Lern- oder Entwicklungsaufgabe anzugehen. Dazu
können Schulungen, Trainings oder kollegiale Beratung/ Schulung in Anspruch
genommen werden. Wichtig: Es können sowohl emen, die für den professionellen
Arbeitszusammenhang von Bedeutung sind, als auch emen, die aus privatem
Interesse relevant erscheinen, gewählt werden. Zentrales Element der Kompe-
tenzwerkstatt ist die regelmäßig stattndende Reexions- und Sharingwerkstatt.
Hier geht es darum, dass alle Teilnehmenden sich untereinander davon berichten,
was sie bislang gelernt haben, wie es vonstattenging und was als nächstes ansteht.
Schwieriges, Fortschritte, Überraschendes und Unerwartetes stehen im Mittelpunk t
der Kompetenzwerkstatt. Die Veranstaltungen nden außerhalb des eigentlichen
Tagesgeschäes statt und werden moderiert. Die Teilnehmenden reektieren ihren
Lern- und Entwicklungsfortschritt regelmäßig, entwickeln eine Sprache für das
eigene Lernen.
Außerdem dient dieses Format der Vernetzung von Mitarbeitenden innerhalb
der Organisation. Es entsteht ein neues Netzwerk von Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern, das sich durch die Gesamtorganisation zieht und Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter zusammenbringt, die vorher noch keinen Kontakt und keine
Verbindung zueinander hatten. Die oberste Prämisse hierbei lautet: Es darf explizit
sowohl um Privates als auch um Professionelles gehen. Auf diese Weise wird die
Voraussetzung für eine stärkere Selbstorganisation geschaen und verbessert. Den
Abschluss einer jeden Kompetenzwerkstatt bildet eine eintägige Veranstaltung, bei
20 II Der Future Skills Turn
der die jeweils persönlichen Lernreisen erzählt und miteinander geteilt werden.
Auch der Vorstand der Organisation nimmt an diesem besonderen Ereignis teil.
II.3.2 Vom Ende des Belehrens: Lernlinge und Studierende als
Expertinnen und Experten
Bei einer großen Drogeriemarktkette werden Lehrlinge und (duale) Studierende
nicht als Lehrlinge oder Studierende bezeichnet, sondern mit einer neuen kreativen
Wortschöpfung: „Lernlinge“. Dahinter steckt die Auassung, dass Lernen nicht über
Belehren oder Lehren funktioniert, sondern ein eigenaktiver und selbstgesteuerter
Prozess ist. Alle darauf bezogenen Funktionen sind im Konzept entsprechend an-
gepasst: Ausbilderinnen und Ausbilder sind Lernbegleiterinnen und Lernbegleiter,
Zertikate oder Prüfungen werden in einem persönlichen Lernpass dokumentiert,
Lernbegleiterinnen und Lernbegleiter bekommen eine spezielle Ausbildung zur/zum
Lernbegleiterin/Lernbegleiter, die insbesondere auch Lernen als selbstorganisierten
Prozess unterstützen soll. Es gibt Lernveranstaltungen und Lernwerkstätten anstelle
von Lehrveranstaltungen. Das Format der Lernwerkstätten zielt insbesondere auf
die Unterstützung der Fähigkeit zum selbstorganisierten Lernen (siehe dazu auch
Kapitel B 2.1 „Dri to Self-Organisation“: Selbstorganisation als gesellschaliches
Leitprinzip) ab, ematisch-Inhaltliches ist dabei zunächst zweitrangig.
Bei einem Weltmarktführer im IT-Servicebereich wird die Blickrichtung umge-
dreht – nicht mehr Auszubildende und (duale) Studierende sind es, die ausgebildet
und weitergebildet werden müssen, sondern das Unternehmen möchte von den
Sichtweisen der jungen Menschen und deren unverstelltem Blick protieren. So
können sich einzelne Abteilungen mit Projektideen bei den Studierenden bewerben.
Das Studium, die Weiterbildung und die Ausbildung vollziehen sich also nicht wie
ein von vornherein durch das Curriculum festgelegter Prozess, zu dessen Beginn
bereits feststeht, welche Inhalte in welcher Konstellation zu welchem Zeitpunkt
gelernt werden können, sondern sind ein situativ zusammengestel ltes Portfolio an
Erfahrungen. Diese werden reektiert, dokumentiert und auch durch Coaches und
Mentoren betreut. Zentrales Merkma l hierbei ist, dass die Projekte, in denen Studie-
rende eingesetzt werden, authentische Problemkontexte darstellen, also tatsächlich
reale Probleme, die für das Unternehmen relevant sind. In besonderen Fällen geht
dies soweit, dass Studierende als Intrapreneurs in Teams eigene Geschäsideen
entwickeln, die sie dann für das Unternehmen weiterentwickeln und die, bis zur
Geschäsreife getragen, dann eigene neue oder weiterentwickelte Produkte des
Unternehmens bilden können. Auch in die Entwick lung von Zukunst hemen sind
Studierende eingebunden, indem sie aus ihrer Perspektive Analysen und Business
II.3 Förderung von Future Skills: Einblicke in die Praxis 21
21
Cases entwickeln, wie das Unternehmen mit neuen emen am Markt umgehen
kann. Ein Beispiel hierfür ist eine studentische Projektgruppe, die über das ema
Blockchain als Geschäsfeld nachdenkt.
II.3.3 Kreativität in verteilten Teams
In den Interviews mit einem global führenden Technikkonzern weisen die Exper-
tinnen und Experten darauf hin, dass es wichtig sei, als Organisation Kompetenz
dafür aufzubauen, wie Kompetenzen als „shared expertise“ in Abteilungs- und
Projektteams – auch teilweise weltweit – zusammengestellt werden können. Dabei
liegt der Ansatz zugrunde, dass die zukünig wichtigen Future Skills nicht alle als
Fähigkeit bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vorliegen können, sondern dass es
aus Sicht der Organisation gilt, möglichst ein vollständiges Kompetenzspektrum
innerhalb eines Teams verteilt zu haben. Nicht nur Fähigkeiten zur Umsetzung von
Vorhaben oder Expertise zum Bewältigen von denierten Herausforderungen sind
dabei im Fokus, sondern gerade auch die Zusammenstellung von Mitarbeiterpro-
len, die zu einem ma ximalen Grad an shared creativity a ls gemeinsamer K reativität
innerhalb des Teams führen. In vielen Fällen handelt es sich um weltweit verteilte
Teams, die nur kurze Zeit zusammenarbeiten. Aus Sicht der Organisation geht
es dabei darum, dass die vorhandenen Kompetenzen und Erfahrungen bekannt
und dokumentiert sein müssen. Ein solches Talentmanagement aufzubauen ist
eine umfassende Aufgabe des Human Capital Managements (Ehlers et al. 2003)
und nur für Organisationen möglich, die einen besonders hohen Reifegrad an
Personalmanagement implementiert haben. Dazu gehört auch ein hoher Grad
der Formalisierung von Kompetenzen und Kompetenzanforderungen. Zusätzlich
ist das Unterstützen von Kreativität eben genau in dem Spannungsfeld zwischen
Formalisierung und Informalität angesiedelt, den es als Organisation explizit
aufzubauen gilt – und das eher durch Regeln und Kategorien von HCM Systemen
überstrukturiert und dadurch behindert wird.
II.3.4 Flexibilisierung und Selbstorganisation
Lernen und Arbeiten ndet in allen befragten Orga nisationen in Kontexten statt, die
eine Flexibilisierung von Arbeitsabläufen, Rollen sowie Funktionsbeschreibungen
und -denitionen zulassen. Beispiele dazu sind etwa die Arbeitszeitorganisation
am Shopoor oder das Abschaen von Arbeitszeitregelungen (bei einem großen
22 II Der Future Skills Turn
Chemiekonzern). Bei einer teilnehmenden Organisation der Future Skills Stu-
die wurde das Prinzip der Selbstorganisation bei Arbeitszeitregelungen in allen
Filialen deutschlandweit eingeführt. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können
ihre Dienstpläne in Absprache untereinander ohne Genehmigungsverfahren von
Vorgesetzten gestalten. Was hier so einfach klingt, ist bei sehr heterogenen Kon-
texten und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine enorme Herausforderung, die
eben genau solche Future Skills erfordert, welche als Schlüssel für die zukünige
Arbeitswelt angesehen werden, nämlich Selbstorganisation und Metakompetenzen.
II.3.5 Freiräume schaen, Perspektiven wechseln, Innovation
und Kreativität ermöglichen
Wie bekommt man die Mitglieder einer Organisation dazu, über ihre jeweilige
Situation hinaus zu denken und Vorschläge für neue Produkte, neue Geschäsideen
oder Abläufe zu entwickeln? Sogar dazu, die Intelligenz, Erfahrung und Perspektive
aller Mitglieder der Organisation zu nutzen, um die Position des Unternehmens/
der Organisation einmal zu reektieren und sich Ansatzpunkte für eine Positio-
nierung in zehn Jahren zu überlegen?
Der Fall eines Weltmarktführers im Medizinproduktebereich zeigt, wie dies
gehen könnte. Die Organisation hat hierzu einen unternehmensinternen Wettbe-
werb initiiert. Alle Unternehmensangehörigen waren aufgerufen, Vorschläge bei
der Geschäsführung einzureichen, w ie eine neue Unternehmensstrategie aussehen
könnte; Produkte, Marktplatzierung, zukünige Stärken, USPs für die kommende
Dekade waren gefragt. Das Besondere: Jede Einreichung konnte zudem in einem
mündlichen Kurztermin erläutert werden. Alle wurden gehört. Aus allen Vor-
schlägen wurden einige ausgewählt, die besonders weitreichend und divers waren.
Diejenigen, die sie eingebracht hatten, wurden dann als Team zusammen in ein
siebenwöchiges Retreat geschickt. Sie bekamen die Aufgabe, in sieben Wochen in
einer eigenen Umgebung, für die die Geschäsleitung extra Büros angemietet hatte,
die beste Zukunsstrategie zu entwickeln, die ihnen möglich war. Der Clou war
dabei, dass sie alle zusammen an dieser Zukunsaufgabe arbeiten sollten. Menschen
aus ganz unterschiedlichen Unternehmensbereichen, mit ganz unterschiedlichen
Perspektiven und Ideen, die alle zusammen an diesem Großprojekt mitarbeiten
konnten. Die neueste Forschung zum ema Innovation und Kreativität zeigt
eines eindeutig: Das Loslösen aus den Arbeitskontexten und Zusammenkommen
in neuen sozialen Konstellationen fördert das divergente Denken und trägt somit
zur Kreativität bei (Bezmen et al. 2015).
II.3 Förderung von Future Skills: Einblicke in die Praxis 23
23
II.3.6 Selbstorganisation und selbstverantwortetes Lernen
stärken
Ein großer Chemiekonzern hat einen ganz eigenen Ansatz entwickelt, um Lernkom-
petenzen zu stärken. Traditionell bekamen neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
sowie Führungskräe in der Organisation unterschiedliche Trainings angeboten,
die sie teilweise verpichtend, teilweise auch freiwillig absolvieren konnten. Die
Frage war dann, wie kommt man aus der Angebots- in eine Nachfragesituation?
Wie kommt man aus der Rezeptionsmentalität in einen selbstverantworteten
Lernprozess? Die Organisation erkannte, dass es nicht mehr möglich war, sich
vollumfänglich um die Weiterbildung und die Lernbedürfnisse ihrer Mitarbei-
terinnen und Mitarbeiter zu kümmern, da Lernen zum Schlüssel zuküniger
Organisationsgestaltung geworden ist. Zu individuell und divers waren und sind
die Kontexte geworden, in denen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter lernen wollen,
sollen und können. Daher wurde ein neues Konzept entwickelt. Zusammen mit
einer pädagogischen Hochschule besprach das Unternehmen Konzepte für selb-
storganisiertes Lernen und überlegte, wie diese in der Organisation eingebracht
und gestärkt werden könnten. Ein radikaler Wandel, weg vom strukturierten
Präsenzangebot in der Weiterbildung hin zum selbstverantworteten Lernen über
E-Learning in virtuellen Welten wurde eingeleitet. Nicht mehr denierte Anforde-
rungen, sondern reiche Lernwelten wurden den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
angeboten. Zunächst wurden zwölf Module entwickelt, die den Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern zur Verfügung gestellt wurden. Aus ihnen konnten sie ihren
Bedürfnissen entsprechend auswählen, was für sie richtig und passend – gemessen
an ihrem jeweiligen Kontext – war. Immer mehr Module wurden so entwickelt und
eine reichhaltige Lernwelt entstand, die nun den unterschiedlichen Zielgruppen
zur Verfügung steht. Die Zukun liegt darin, dass nicht mehr zentral bestimmt
und gesteuert wird, wer wann was lernt, sondern darin, dass Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter zunehmend selbst zu den Managerinnen, Managern und Gestaltenden
ihrer eigenen Lernerfahrungen werden. Nur sie wissen, was sie zur Stärkung ihrer
jeweiligen Professionalität und welches Wissen und welche Kompetenzen sie für
die Entwicklung ihres eigenen Geschäsbereiches benötigen. Führungskräe sind
dann in einer neuen Rolle. Freiräume schaen und Strukturen für Selbstverant-
wortung und Selbstorganisation ermöglichen. Führungskräe, so die Erfahrung,
müssen Mut machen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf ihrem Weg zu mehr
Selbstverantwortung coachen und Arbeitssituationen exibel gestalten, sodass
Lernen ermöglicht wird.
24 II Der Future Skills Turn
II.3.7 Persönlichkeiten und Selbstbewusstsein stärken
Future Skills können nicht (nur) kognitiv erlernt werden, sondern haben mit der
Entwicklung der Persönlichkeiten und Stärkung der Professionalität zu tun. Dass
die Zukun der Kompetenzorientierung in Organisationen relevant ist, zeigt auch
das Beispiel von Personal- und Organisationsentwicklungsangeboten, in denen es
um die Stärkung der eigenen Persönlichkeit geht. Doch w ie geht das vonstat ten? Wie
kann man Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihrem eigenen Selbstbewusstsein
stärken? Es sind tatsächlich gezielte Coachingmaßnahmen erforderlich, die zu
mehr Selbstorganisationsfähigkeit, Autonomie und Handlungsfähigkeithren,
gerade für Kontexte in denen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter immer mehr mit
Unsicherheit und Ambiguität umgehen müssen. In diesen Kontexten müssen sie
Entscheidungen treen und Verantwortung in Situationen unvollständiger Infor-
mationsverfügbarkeit übernehmen. Omals ein schwieriges Unterfangen. Wie
stärkt man nun ihr Selbstbewusstsein dabei?
Eine an der NextSkills Studie teilnehmende Orga nisation führt zu diesem Zweck
mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beispielsweise eaterworkshops durch.
Die Teilnehmenden, die zum ersten Mal auf der Bühne stehen und dort ihren Part
bewältigen, machen persönliche Erfahrungen, in denen sie sich nicht nur selbst auf
ganz neue und andere Weise erleben, sondern auch ihre Kolleginnen und Kollegen.
Geht es im Alltag vielleicht gerade darum, das, was als Schwäche an der eigenen
Person wahrgenommen w ird, eher vor den Kolleginnen und Kollegen zu verbergen,
so geht es auf der Bühne genau darum, sich zu zeigen, auch und gerade in allem Un-
vermögen. Alle sitzen dabei zunächst im gleichen Boot. Für vermutlich die meisten
ist die Bühnenerfahrung im eaterworkshop eine neue, eine Referenzerfahrung.
Als Trainerin, Trainer und Coach geht es darum, deutlich zu machen, dass nicht
Brillanz oder absolutes Können zählen, sondern darum, Lernen und Entwicklung
zu ermöglichen, sich auf die Situation einzulassen. Ist das verinnerlicht, können
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – so die Idee – miteinander zukünig alle neuen
Herausforderungen ebenso gemeinsam in Teams und in Transparenz ihrer Stärken
und Schwächen bewältigen.
Auch andere Organisationen setzen auf Gruppenerfahrung und Gruppen-
dynamik. Dabei geht es o darum, genau diejenigen in Organisationen zusam-
menzubringen, die sonst nichts miteinander zu tun haben, also abteilungs- oder
geschäsbereichsübergreifend zu agieren und das o in ganz neuen und externen
Umgebungen. Das reicht von Wochenenden im Kloster bis hin zu einem Besuch
im Kletterpark. Future Skills, deren Entwicklung in diesen Trainings im Vorder-
grund steht, sind neben Selbstbewusstsein, Selbstkompetenz und einer Stärkung
des Selbstwerts auch Autonomie und Leistungsmotivation.
II.3 Förderung von Future Skills: Einblicke in die Praxis 25
25
II.3.8 Freiräume schaen
Entwicklung braucht Freiräume, braucht Anerkennung und das Wissen darum, dass
das eigene Engagement auch ankommt, und dass Gestaltungsvorschläge umgesetzt
werden können. Eine der an der NextSkills teilnehmenden Organisationen lebt dies
als praktische Realität. Das betriebliche Vorschlagswesen wird hier ernst genom-
men. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können online ihre Ideen einbringen
und dann über partizipative Auswahlprozesse schrittweise zu einer Realisierung
kommen. Dabei werden beispielsweise Vorschläge dazu eingebracht, wie das
Werksgelände der Zukun aussehen kann. Es geht dann darum, ob das Gelände
auch für einen Teil der Öentlichkeit geönet werden kann, um der Bevölkerung
näherzubringen, was dort erforscht und produziert wird, oder um einfach mehr in
die Community, das Stadtviertel, das Stadtbild integriert zu sein. Die Identität der
einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit ihrem Tun, ihrer Organisation kann
so noch gestärkt werden. Kann beispielsweise eine Gaststätte auf dem Werksgelände
erönet werden? Ist es sinnvoll, eine Wäscherei für die Werksmitarbeiterinnen und
-mitarbeiter direkt auf dem Werksgelände zu erönen? Die Change Agents, deren
größere und kleinere Vorschläge zur Umsetzung ausgewählt werden, bekommen
Freistellungen dafür, diese in die Tat umzusetzen. Das Beispiel zeigt, dass Future
Skills nicht für sich alleinstehen, um wirksam zu werden, sondern idealerweise
durch eine oene, mitarbeiterorientierte Führungskonzeption unterstützt werden.
Diese müssen ausprobiert und umgesetzt werden, um die Organisationsstru kturen,
Abläufe und die gesamte Organisation so zu gesta lten, dass die Zukun der Arbeit
mit hoher Identität, Freiräumen für kreatives Umdenken möglich werden.
II.3.9 FUSE: Beteiligungsorientierte Strategieentwicklung
Ein letztes Beispiel – diesmal aus der Hochschulwelt – zeigt, wie wirkliche parti-
zipative Gestaltung von zukünigen Organisationsstrategien aussehen kann, und
warum diese wichtig sind. Die Dublin City Universität in Irland befand sich 2017 in
einer tiefen Restrukturierung. In dieser Situation war der Präsident damit beauf-
tragt, eine neue Fünf-Jahresstrategie zu entwickeln. Die Hochschulgremien pochten
darauf, dass dies unter maximalem Einbezug aller Beteiligten geschehen sollte, um
die Akzeptanz und Durchsetzungsstärke zu erhöhen – und nicht Gefahr zu laufen,
einen bürokratischen Papiertiger zu erschaen. Es wurden zehn Strategiegruppen
eingesetzt, die zu zehn unterschiedlichen emenstellungen Zukunsentw ürfe ent-
wickelten. Das Kernstück der Strategieentw icklung aber trug den Namen „FUSE“.
FUSE war eine Crowdsourcing Initiative der Dublin City University, in der es
26 II Der Future Skills Turn
darum ging, Kernideen für die zukünige Fünf-Jahresstrategie der Hochschule zu
entwickeln – und zwar gemeinsam mit allen Stakeholdern der Hochschule. FUSE
ist als Brainstorming Event konzipiert, in der alle 17.000 Studierenden, 80.000
Alumni und 1.200 Hochschulangehörigen die Möglichkeit hatten, ihre Ideen on-
line beizutragen – 30 Stunden lang. Das FUSE Event wurde von Richard Bruton,
TD, Minister for Education & Skills zusammen mit dem Hochschulpräsidenten
erönet. Es fanden Debattierstunden der Studierenden, der Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter und der Lehrenden statt, Sleep-Ins in der Hochschulbibliothek und
Liveschaltungen aller Hochschulcampus, online TV Zwischenfazits und online
Zuschaltungen der Hochschulpartner, der lokalen Politik und der Unternehmen.
Über 7.500 Posts konnten so gesammelt werden. Diese w urden geclustert, Doppel-
lungen vereinheitlicht, paraphrasiert und zu emenclustern zusammengeführt.
Verschiedene Teams arbeiteten Kernaussagen heraus, sodass der Hochschulleitung
ein reiches Bild an klaren emenprioritäten für die zukünige Strategie präsentiert
werden konnte. Es ist ein Kennzeichen zuküniger Organisationen, Beteiligung a n
der Gestaltung zuzulassen. Dabei geht es vor allem darum, die Identikation der
Organisationsmitglieder mit ihren Organisationen zu erhöhen – nicht nur in der
Arbeitswelt, sondern eben auch in der Bildungs- und Schulwelt.
In Hochschulen dreht dies die Entwicklungsrichtung um. Sind bisher die
Studierenden die Belehrten, die anhand von fest vorgegebenen Curricula zu fest
vorgegebenen Zeiten lernen, so geht es zukünig darum, sie zu befragen, und zu
bitten, ihre Vorschläge für die Hochschulentwicklung einzubringen. Wo soll die
Reise hingehen? Was sind die zukünig wichtigen emen, die Beachtung nden
müssen? Welche Services werden benötigt? Und wie soll Studieren erfahrbar sein?
Partizipation und Beteiligung der Organisationsmitglieder ermöglicht Gesta ltung.
Sie fördert aber auch die Selbstvera ntwortung – als Voraussetzung für Selbstorgani-
sation – und nimmt Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in die Picht. Organisation
wird nicht mehr als etwas extern Vorgegebenes erfahren, Strukturen, die gewis-
sermaßen zwangsweise vorhanden sind und in die jeder seine eigene Kreativität
und Vorstellung einfügen muss, sondern es ist tatsächlich die Struktur, die über
Beteiligung beeinusst werden kann. Die man dadurch auch selbst verantwortet,
mitverantwortet.
Die Gestaltung von gemeinsam getragenen Verantwortungsstrukturen ist eine
der größten Herausforderungen in der zukü nigen Arbeitswelt. Sie ist das wichtigste
Bindeglied in der Kette: Beteiligung – Einuss und Identi kation – Selbstverantwor-
tung – Selbstorganisation. Sie hat Einuss darauf, weil sich Organisationsmitglieder
entwickeln wollen und müssen. Freiräume, Eigenverantwortung, die Fähigkeit zum
Mitteilen, zur Beteiligung, all dies sind zugleich Kennzeichen und Ergebnisse der
neuen Kultur von Arbeit und Lernen.
27
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und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz
beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Kapitel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen eben-
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Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materi-
als die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.
v (
II.3 Förderung von Future Skills: Einblicke in die Praxis 27
29
Teil A
Future Skills für eine Welt von morgen
#in-a-nutshell
Tei l A widmet sich den Future Skills. In Kapitel A 1 wird zunächst das triang ulativ
angelegte methodisch-empirische Studiendesign der NextSkills Studie beschrieben.
Kapitel A 2 konstruiert einen grundlegenden theoret ischen Rahmen für Future Skills
als Bildungskonzeption. Viele Ansätze zu Future Skills beschränken sich darauf,
die zukünig relevanten Fähigkeiten – zumeist in Listenform – zu beschreiben.
Die NextSkills Studie macht einen Schritt darüber hinaus. Dabei wird das sog.
Triple Helix-Modell der Handlungsfähigkeit in emergenten Praxiskontexten ent-
wickelt. Dem Modell liegen drei Shis zugrunde, drei wesentlichen Änderungen
in der Grundstruktur der Arbeitswelt, auf denen das Future Skill Konzept auaut.
Innerhalb der Forschung zu Future Skills bietet die NextSkills Studie mit dem Tr i -
ple Helix-Modell für Future Skills als erste Studie überhaupt einen theoretischen
Bezugsrahmen für Future Skills. Im weiteren Verlauf werden in Kapitel A 3 die
siebzehn Future Skills Prole herausgearbeitet, deniert und beschrieben. Kapitel
A 4 analysiert die Ergebnisse der internationalen NextSkills Delphi-Studie in Bezug
auf den Reifegrad derzeitiger Hochschulbildung in Bezug auf die Fähigkeit, die
Entwicklung von Future Skills bei Studierenden zu unterstützen.
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v (
30 II Der Future Skills Turn
31
A 1
Ziele & Methodik der NextSkills Studie
A 1 Ziele & Methodik der NextSkills Studie
Die NextSkills Studie verfolgt das Ziel, die unterschiedlichen Forschungsstränge
zum ema Future Skills aufzunehmen und empirisch zu untersuchen, wie diese
für Hochschulen nutzbar gemacht werden können. Dafür wurde ein methodisch
anspruchsvolles Design konzipiert. In diesem werden Skill Entwicklungen, Anfor-
derungen und Bedarfe an zukünige Kompetenzen aus der Praxis der Organisa-
tionen erhoben, indem umfangreiche qualitative Interviewdaten durch induktive
Herangehensweise analysiert wurden. Die Ergebnisse, Hinweise auf Future Skills
sowie auf die Anforderungen an eine zukünige Hochschule, wurden dann durch
Expertinnen und Experten aus Wissenscha und Wir tscha validiert. Das Verbinden
von unterschiedlichen Methoden sowie unterschiedlichen Perspektiven verfolgt
dabei das Ziel, Daten von größerer Reichweite und Präzision zu bekommen, die
eine Formulierung der Skill Konstrukte in stärkerer inhaltlicher Tiefe und Gehalt
ermöglichen.
A 1.1 Forschungsziele: Einblick in die NextSkills
A 1.1 Forschungsziele: Einblick in die NextSkills
Der Studie liegt die Erkenntnis zugrunde, dass Organisationen und die Arbeitswelt
sich ändern. Zu einzelnen Bereichen liegen hierzu bereits Analysen vor, die in
der NextSkills Studie erstmals unter dem Fokus zuküniger Skill Anforderungen
zusammengeführt wurde. Sie sind in Kapitel B 2 eoretische Grundlagen für Fu-
ture Skills oder die „Dri to Self-Organisation, Kapitel B 4 Future Skills für Future
Organisationen: Analyse zuküniger Organisationsmodelle sowie Kapitel C 1 Zehn
Sekunden, die über die Zukun der Hochschulen entscheiden dokumentiert und
bilden den Ausgangspunkt der NextSkills Studie. Die sich ständig wandelnde Ar-
© Der/die Autor(en) 2020
U.-D. Ehlers, Future Skills, Zukunft der Hochschulbildung – Future
Higher Education, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29297-3_3
32 A 1 Ziele & Methodik der NextSkills Studie
beits-, Lebens- und Lernkontexte bedingen, dass sich handelnde Akteurinnen und
Akteure in Organisationen stetig weiterentwickeln und eine Anpassungsleistung
vollbringen müssen, um weiterhin erfolgreich handeln zu können. Diese besteht
darin, ihre Fähigkeit, erfolgreich mit ungewissen, komplexen Situationen umgehen
zu können, bestä ndig weiter zu entwickeln, a lso Kompetenzen aufzubauen (Erpen-
beck et al. 2017). Eine Aktualisierung des Fachwissens reicht dabei nicht mehr aus.
Aus der Analyse der vorhandenen Literatur liegen Hinweise vor, dass dem organi-
sationalen Wandeln zu agilen, vernetzten, teamorientierten Organisationen, mit
achen Hierarchien und beteiligungsorientierten Führungsstrukturen eine explizite
Vorstellung eines Mitarbeitertypus vorliegt, der u. a. dadurch gekennzeichnet ist,
dass er Future Skills besitzt. Auf Basis der Literaturstudie wurde dann initial davon
ausgegangen, dass diese u. a. durch folgende Charakteristika gekennzeichnet sind:
ein hohes Maß an Selbstwirksamkeit,
Fähigkeit, selbständig und autonom zu lernen,
hoher Grad an Selbstorganisation in Bezug auf die eigene Arbeit,
Reexionsfähigkeiten zur eigenen Positionierung,
Kommunikative Fähigkeit, eigene Ziele sowie eigene Bedürfnisse zu artikulieren.
Diese Charakteristika bildeten daher den Ausgangspunkt der zunächst qualitativen
Untersuchung, in der weiterhin erfrag t wurde, welche dieser und weiterer Aspekte
für zukünige Fähigkeitsanforderungen als
1. wichtig und relevant wahrgenommen werden,
2.
durch explizite und beschreibbare Maßnahmen umgesetzt und unterstützt
werden, und
3. wo Barrieren und Hindernisse existieren und wie damit umgegangen wird.
In der Untersuchung ging es darum, durch explorative, qualitative Vorgehensweisen
ein Inventar insbesondere solcher Kompetenzen zu ermitteln, die Individuen bei
der Bewältigung von Aufgaben und Gestaltung von Umgebungen in hoch agilen
Arbeitsfeldern von Bedeutung sind. Zweitens, zu ermitteln welche Methoden und
Verfahren aus Sicht der Organisationverantwortlichen sowohl als auch aus Sicht
von Studierenden in Organisationen dazu geeignet sind, diese Fähigkeiten bei
Mitarbeiteri nnen und Mitarbeitern zu fördern
3
. Drittens darum, zu ermitteln, was
Hochschulen dabei für eine Rolle spielen können.
3 In die Interviews wurden neben Personal- und Organisationsverantwortlichen auch
dual Studierende in deren Praxisphase einbezogen.
A 1.2 Triangulation als methodologisches Leitkonzept 33
33
Abbildung 2 zeigt, dass sich die Untersuchung auf drei spezische Fragestel-
lungen konzentriert:
1. Welche Fähigkeiten sind dafür notwendig und wie können diese kompetenz-
theoretisch formuliert werden (Future Skills)?
2.
Wie können Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dabei erfolgreich unterstützt
werden?
3.
Und wie kann die Hochschule diese Fähigkeiten bereits während des Hoch-
schulstudiums unterstützen?
Abb. 2 Fragestellungen der NextSkills Studie
Die Untersuchung konzentriert sich in der empirischen Untersuchung auf sog.
Future Organisations (siehe Kapitel A 1.3.1 Schritt 1: Identikation von „Future
Organisations“). Dies sind Organisationen, die bereits explizite, ausgearbeitete und
entwickelte Konzepte der Personalentwicklung und ein explizites Verständnis der
Förderung der Handlungskompetenz bei ihren Mitgliedern ausgedrückt haben.
Um diese zu identizieren, wurden Organisationen zunächst im Rahmen eines
Wettbewerbs zum ema Kompetenzorientierte Studienkonzepte durch kriterien-
gestützte Expertenevaluationen ausgewählt.
A 1.2 Triangulation als methodologisches Leitkonzept
A 1.2 Triangulation als methodologisches Leitkonzept
Die Kombination von qualitativen und quantitativen Daten folgt dem Konzept
der Triangulation, dass der Studie als methodologisches Leitkonzept zu Grunde
liegt. Unter Triangulation versteht man die Kombination verschiedener Methoden,
34 A 1 Ziele & Methodik der NextSkills Studie
verschiedener Forschender, Untersuchungsgruppen, lokaler und zeitlicher Settings
sowie unterschiedlicher theoretischer Perspektiven in der Untersuchung eines
Phänomens (vgl. Denzin 1978). Die Voraussetzung einer solchen multidimensio-
nalen Forschungsausrichtung ist es, quantitatives Material und qualitativ ermittelte
Deutungen als prinzipiell gleichberechtigt anzusehen.
Denzin (ebenda) weist als einer der ersten darauf hin, dass eine Triangulation
der Methoden bei der Untersuchung des gleichen Forschungsgegenstandes durch
unterschied liche Methoden die Validität durch Ermittlung kongruenter Ergebnisse
betont.4 Dagegen hat die Kritik des Ansatzes von Denzin durch Wilson (1982) und
später Lamnek (1988) den Validierungsaspekt in den Hintergrund treten lassen
(vgl. dazu auch Sohr 1997). Seitdem werden die Ergebnisse triangulativ erhobener
Daten eher als komplementär, das heißt als sich gegenseitig ergänzend, angesehen.
Die ursprüngliche Intention Denzins (1978), mit der Triangulation verlässlichere
und gültigeren Ergebnisse als bei Anwendung einer einzigen Forschungsmethode
zu erzielen („Integrationsthese“, vgl. Treumann 1998 bzw. „Konvergenzmodell“,
vgl. Kelle & Erzberger 1999), ist also von der Einsicht abgelöst worden, dass die Me-
thoden-Triangulation breitere und vielfältigere Erkenntnisse über die untersuchten
Phänomene zu liefern imstande ist („Komplementaritätsthese“, vgl. Treumann 1998).
Sohr (1997) führt aus, dass Denzin (1978) vier Arten eines multimethodischen
Vorgehens unterscheidet: die Datentriangu lation (Nutzung unterschiedlicher Da-
tenquellen für die Analyse), die Beobachtertriangu lation (Einsatz unterschiedlicher
Forschender zur Datenerhebung), die theoretische Triangulation (Anwendung
unterschied licher eorien auf den gleichen Gegenstand) und schließlich die Metho-
dentriang ulation. Diese kann als „within-method“ (zum Beispiel unterschiedliche
Skalierungsverfahren innerhalb eines Methodensettings) und als „across-method“
(als Einsatz unterschiedlicher Methoden bei der Erfassung des gleichen Untersu-
chungsgegenstandes) angewendet werden. Ziel des Vorgehens ist es immer, „that the
sociologist should examine his problem from as many methodologica l perspectives
as possible.“ (ebenda: 297)
Erzberger (1995) vergleicht eine Untersuchung, die eine Verbindung von quanti-
tativen und qualitativen Erhebungsverfahren herzustel len versucht, in anschaulicher
Weise mit dem Bau einer Leiter,
„[…] wobei die beiden Holme die unterschiedlichen Methoden (standardisierte
Erhebung und oenes Interviews) und die damit jeweils produzierten Ergebnisse
darstellen, die durch Sprossen miteinander verbunden werden, und das heißt – soll
4 Ursprünglich stammt das Prinzip der Triangulation aus der Landvermessung, wo die
Bestimmung der exakten Position eines Punktes in der Regel durch Messung aus min-
destens zwei unterschiedlichen Positionen vorgenommen wird.
A 1.2 Triangulation als methodologisches Leitkonzept 35
35
die Leiter tragfähig sein – in beiden Holmen verankert werden müssen. Die Frage,
wie die Sprossen genau aussehen, ob sie – übertragen auf den Forschungsprozess –
eigene Erhebungsschritte erforderlich machen und wo im Fortgang sie eingesetzt
werden, ist nur aufgrund theoretischer Vorüberlegungen bzw. der zu untersuchen-
den Fragestellung zu beantworten. Die die qualitative und quantitative Erhebung
gleichermaßen umfassende Forschungsfrage bildet somit – um im Bild zu bleiben
– den Leim, d er die einzelnen Teile der Leit er zusammenhä lt und diese erst begehbar
macht.“ (ebenda: 43f.)
Das Forschungsdesign der NextSkills Studie (siehe Abbildung 3) ist gemäß dem
methodologischen Leitprinzip der Triangulation als Kombination qualitativer und
quantitativer Methoden konzipiert (siehe Abbildung 3 und Abbildung 4). Durch
die Verknüpfung beider Methodenklassen soll gewährleistet werden, dass sich
breitere, vielfä ltigere und tiefere Erkenntnisse über den untersuchten Gegenstands-
bereich ergeben als bei der Anwendung nur einer einzigen Methode (gemäß der
„Komplementaritätsthese“, vgl. Treumann 1998: 162). In der vorliegenden Arbeit
ist das Konzept der Triangulation als Leitkonzept im Studiendesign verankert.
Im Sinne der Datentriangulation werden sowohl Daten und Ergebnisse aus
Exper tendiskussionen, qualitative Inter viewdaten in Orga nisationen (Face-to-Face
Interviews, unterschiedliche Zielgruppen: Experteninterviews, Interviews mit
Lernenden), Daten aus Gesprächen mit Expertinnen und Experten zur Vali-
dierung und Daten aus der zweistugen NextSkills Delphi-Studie miteinander
triang uliert und zur Analyse eines Gegenstandes herangezogen: Der Entwick lung
von Future Skills, der Denition von Lernmethoden, -prozessen und -konzepten
und der Ermittlung von Ansatzpunkten zur Entwicklung von Hochschulen in
der Zukun. Im Sinne der eorietriangulation wurden für die Betrachtung des
Gegenstandes Future Skills eorien der Bildungsforschung (zum strukturellen
Bildungsbegri, u. a. Meder 2006), der Kompetenzforschung (Denition und
Operationalisierung von Kompetenz nach Erpenbeck et al. 2007), der Organi-
sationsforschung (zur Emergenz Haken 1991 und zur Selbstorganisation Haken
2008) sowie der ökosystemische Ansatz Bronfenbrenners (1976 und 1981) heran-
gezogen (zur Nutzung des ökosystemischen Modellansatzes in der empirischen
Sozialforschung (siehe Epp 2018). Im Sinne der Methodentriangulation werden
schließlich unterschiedliche qualitative Verfahren mit quantitativen Verfahren
– sowohl bei der Datenerhebung als auch bei der Datenauswertung miteinander
verknüp („across method“).
36 A 1 Ziele & Methodik der NextSkills Studie
Abb. 3 Überblick über das Methodologische Design der NextSkills Studie
A 1.3 Forschungsdesign
A 1.3 Forschungsdesign
Das Forschungsvorhaben NextSkills zielt darauf ab, zu analysieren, welche Fähig-
keiten für eine produktive und proaktive Gestaltung zuküniger Arbeitskontexte
benötigt werden, um Anforderungen an Hochschulen abzuleiten (siehe Abbildung 3).
A 1.3.1 Schritt 1: Identikation von „Future Organisations
In einem ersten Schritt war es notwendig, solche Organisationen zu identizieren,
die bereits explizite Erfahrungen bei der Implementierung von Kompetenzmodel-
len, Vorstellung über Future Skills und einen hohen Reifegrad bei der Gestaltung
zuküniger Arbeitskontexte hatten. Dazu wurden sog. Future Organisations iden-
tiziert, die als empirisches Feld geeignete Kontexte zur Ermittlung von Future
Skills ausgeprägt haben. Das Auswahlverfahren fand im Jahr 2015 im Rahmen
eines Wettbewerbs statt, bei dem über 8500 Partnerorganisationen der Dualen
Hochschule Baden-Württemberg angeschrieben wurden und die Möglichkeit hatten,
ihre Personalentwicklungs- und insbesondere ihre Konzeptionen für die Betreuung
A 1.3 Forschungsdesign 37
37
und Förderung von Studierenden einzureichen. An dem Wettbewerb5 beteiligten
sich 124 Organisationen. Alle eingereichten Konzeptionen wurden im Rahmen
eines kriteriengestützten Expertenratings bewertet. Die Kriterien zur Auswahl
bezogen sich insbesondere auf die Analyse der Förderung von Handlungskompe-
tenzen und internationalen Erfahrungen in den eingereichten Konzeptionen. Das
so entstehende Ranking wurde dann im Rahmen einer Expertendiskussion von
15 Expertinnen und Experten diskursiv validiert und 20 Organisationen wurden
im Rahmen einer Shortlist ausgewä hlt. Alle 20 Organisationen wurden eingeladen
an der NextSkills Studie teilzunehmen, 17 reagierten positiv und wurden in das
Interviewpanel eingeschlossen. Die Interviews fanden zwischen Dezember 2016
und Juni 2017 statt.
A 1.3.2 Schritt 2: Interviewstudie
Für die Interviewstudie wurden Leitfragen entwickelt, die zur Orientierung im
Rahmen eines oenen, wenig strukturierten, problemvertiefenden Interviews
eingesetzt wurden und sich auf folgende Aspekte fokussierte:
Frage 1: Bitte erzählen mir Sie, in welcher Weise sich Lernen zukünig in
Organisationen vollzieht und welche Rolle dabei das selbstgesteuerte und
selbstorganisierte, autonom initiierte und verantwortete Lernen, sowie Selbst-
wirksamkeit spielen?
Frage 2: Lassen Sie uns einmal über Lernen nachdenken, wie es ihrer Erfahrung
nach (wirklich) stattndet.
Frage 3: Erzählen Sie mir bitte, mit welchen Maßnahmen Sie Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter dabei unterstützen?
Frage 4: Welche Maßnahmen, Methoden und Lernmodelle eigenen sich dazu?
Frage 5: Bitte erzählen Sie einmal, was Sie von einer Hochschule als Partner
in der (vorbereitenden) Entwicklung und Unterstützung der Fähigkeiten von
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erwarten?
5 Der Wettbewerb war in Kooperation der Dualen Hochschule Baden-Württemberg,
dem Ministerium für Wissenscha Kunst und Kultur Baden-Württemberg und dem
Arbeitsgeberverband Südwestmetall organisiert und als „Dualer Partner Award“ aus-
geschrieben.
38 A 1 Ziele & Methodik der NextSkills Studie
Teilnehmende der Interviews waren die Personalverantwortlichen der Organi-
sationen, und teilweise auch die Studierenden, die im Rahmen von dualen Studi-
engängen dort studierten. Insgesamt wurden 17 vertiefende Interviews geführt,
an denen sich 20 Personen beteiligten und die zu etwa 700 Minuten qualitativem
Interviewmaterial führten. Die Interviews wurden wortgetreu transkribiert und
unter Anwendung der induktiven Kodierungstechnik (Mayring 1996; omas 20 06)
mit Hilfe der Soware MaxQDA (VERBI Soware 2017) von zwei Forschenden
unabhängig kodiert. Passagen, die nicht einheitlich kodiert worden waren, wurden
in einem zweiten Schritt diskutiert, um eine verlässliche Interrater-Reliabilität
herstellen zu können. Ziel dabei war es, solche Konstrukte aus den Interviewdaten
herauszuarbeiten, mit denen Bedingungen, Kontexte, Werte sowie Abläufe und
Abhängigkeiten für zukünig als wichtig erachteten Fähigkeiten bei Individuen
rekonstruiert werden konnten. Zusätzlich wurden Konstrukte analysiert, die
Aufschluss über die sich verändernden Arbeits- und Lernbedingungen in heutigen
und zukünigen Arbeits- und Lernkontexten rekonstruieren ließen. Auf diese
Weise war es möglich, Dimensionen zukünig wichtiger Fähigkeiten zu ermit-
teln, sowie deren Binnenbeziehung festzustellen und auf Basis inhaltlicher Nähe
Fähigkeitsbündel zu sog. Future Skill Prolen zusammen zu stellen. In derselben
Weise erlaubte der Analyseprozess die Rekonstruktion von durch die Befragten
prognostizierten Bedingungen zukünigen Wandels in Organisationsabläufen,
sowie die Verortung von organisationalen Reaktionen, um dadurch entstehende
Spannungen auszugleichen. Schließlich konnten Erwartungen und ausgedrückte
Anforderungen an akademische Qualizierungssysteme, wie Hochschulpartner-
schaen, u. a. auch im dualen Studium, erhoben und zusammengestellt werden.
Dies verschae Einblicke in d ie unterschiedlichen Dimensionen des durch digitale
und vernetzte globale Kollaborationsprozesse ausgelösten Wandels innerhalb von
Organisationen und skizzierte eine Reihe potentieller Szenarienr die künige
Hochschulbildung. Über ein kleines Sample von insgesamt 3 weiteren Interviews
wurden die gewonnenen Konstrukte und die Hauptaussagen sowie die ermittelten
Future Skills noch einmal qualitativ validiert.
A 1.3 Forschungsdesign 39
39
A 1.3.3 Schritt 3: Internationale Delphi-Studie
Um die qualitativ erworbenen Ergebnisse weiter zu verfeinern, sowie zu validieren
wurde eine Delphi-Studie mit einem internationalen Expertenpanel durchgeführt.
Die Delphi-Studie (zur Delphi Methodologie s. Da lkey & Helmer 1963) mit dem Titel
Future Skills – Future Learning and Future Higher Education“ (Ehlers & Keller-
mann 2019) umfasste 2 Befragungsrunden (siehe Abbildung 4). Zur Studie wurden
53 internationale Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Organisationen
und Institutionen zur Teilnahme eingeladen. Diese arbeiteten in Hochschulen, als
Forschende im Bereich Pädagogik, in Netzwerken, die sich mit emen rund um
Lernen, Digita lisierung der Hochschullehre und Skills Entwicklung befassen oder in
Nichtregierungsorganisationen (NGO) (ebenda). Bei der Auswahl der Exper tinnen
und Experten wurde besonderes Augenmerk daraufgelegt, beide Perspektiven –
die der Hochschulen und die der Praxis – zu berücksichtigen. Außerdem wurde
darauf geachtet, innerhalb dieser beiden Teilstichproben – Wissenscha und
Praxis – Expertinnen und Experten zu inkludieren, die verschiedene Positionen
innerhalb ihrer Organisationen besetzen. Hierdurch sollte sichergestellt werden,
dass ein Maximum an Dierenzierung und Pluralität hinsichtlich unterschied-
licher Meinungen bezüglich der emen – Zukun des Lernens, der Skills und
Hochschulbildung – vorherrschte, u m die vollständige Breite des Er fahrungs- und
Meinungsspektrums abzubilden und blind spots soweit wie möglich zu vermeiden.
Insgesamt nahmen 49 Expertinnen und Experten an der ersten Runde und 40 an
der zweiten Runde teil, die aus insgesamt siebzehn Ländern stammten (Australien,
Österreich, Belgien, Kanada, Frankreich, Deutschland, China, Italien, Litauen, den
Niederlanden, Neuseeland, Norwegen, Portugal, Spanien, Schweden, der Schweiz
und dem Vereinigten Königreich).
Die Delphi-Studie wurde in zwei konsekutiv aufeinanderfolgenden Runden
durchgeführt, wobei die zweite Erhebungsrunde mit einem zeit lichen Abstand von
vier Wochen nach der ersten Runde erfolgte. In der ersten Runde lag der Fokus
darauf, auf Basis der Einschätzungen des Samples im Konsens Konzepte, Deniti-
onen und die Terminologie zu schärfen sowie deren Wichtigkeit zu klären. In der
zweiten Runde sollten Expertinnen und Experten dann Einschätzungen abgeben,
wie schnell die in der ersten Runde spezizierten Komponenten im Hochschul-
kontext relevant werden würden.
40 A 1 Ziele & Methodik der NextSkills Studie
Abb. 4 Design der Delphi-Studie (Quelle: Ehlers & Kellermann 2019)
A 1.3 Forschungsdesign 41
41
Abbildung 4 zeig t die Struktur und Logik des Fragebogens, die verschiedenen the
-
matischen Bestandteile der einzelnen Befragungswellen und wie diese aufeinander
auauen. Zentral war in beiden Runden, die Sichtweisen der Teilnehmenden zu
Fähigkeiten, Prozessen, Strategien, Skills und Kompetenzen zu erfragen, welche
künige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer benötigen, um produktiv mit den
sich ständig und immer schneller wandelnden organisationalen Realitäten der
Zukun umgehen zu können. Die qualitativen Kommentare des Samples sowie die
Einschätzungen der Relevanz wurden analysiert und gingen in Form von verbes-
serten und reformulierten, geschären Statements in die zweite Befragungswelle
des Delphis ein (Runde 2).
43
A 2
Das Future Skills Triple Helix-Modell der
Handlungsfähigkeit in emergenten
Praxiskontexten
A 2 Das Future Skills Triple Helix-Modell der Handlungsfähigkeit
Im Design der qualitativen sowie quantitativen Studien, die in die Konstruktion
der Future Skills eingeossen sind, wurden Methoden, eorien und Datenquellen
miteinander t rianguliert, um möglichst reichhaltige Rekonstr uktionen von Future
Skills sowie derjenigen Bedingungen zu ermöglichen, welche sie hervorbringen.
Dabei ging es vor allem darum, das qualitativ Neue aufzuspüren, was das Entstehen
von Future Skills ausmacht.
In der Datenanalyse war es möglich, zusätzlich zur Ermittlung von einzelnen
Future Skills auch diejenigen Faktoren zu identizieren, die den Future Skills zu-
grunde liegen. Zudem zeigen die Daten die unbedingte Notwendigkeit ständigen
Weiterlernens, um den stetigen Anpassungsprozess zu meistern, mit dem Mitarbei-
terinnen und Mitarbeiter in hochemergenten Kontexten von Future Organisations
handlungsfähig werden und bleiben. Eben solchen Organisationen, die bereits ein
weit entwickeltes und explizit formuliertes Verständnis für die Förderung von
Handlungskompetenz aufweisen. Die Ergebnisse erlauben Rückschlüsse auf jene
individuellen Fähigkeiten und Skills zu ziehen, d ie in der Zukun nötig sein werden,
um mit den Herausforderungen der Arbeitswelt umgehen zu können.
Zusätzlich erlauben die Daten auch eine modellhae Rekonstruktion des
Bedingungsgefüges, in welchem Future Skills entstehen. Dabei ging es darum,
regelha Veränderungen und Zusammenhänge zu identizieren, die systemisch
in Organisationen wirken und zu eben den neuen Anforderungen führen, die wir
hier als Future Skills bezeichnen. Aufgrund der dreipoligen Struktur bezeichnen
wir das so entstehende Modell als das „Future Skills Triple Helix-Modell der Hand-
lungsfähigkeit in emergenten Praxiskontexten“.
© Der/die Autor(en) 2020
U.-D. Ehlers, Future Skills, Zukunft der Hochschulbildung – Future
Higher Education, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29297-3_4
44 A 2 Das Future Skills Triple Helix-Modell der Handlungsfähigkeit
A 2.1 Das Future Skills Triple Helix-Modell
A 2.1 Das Future Ski lls Triple Helix-Modell
Zunächst muss angemerkt werden, dass Skill ein Terminus ist, der immer eine Be-
ziehung ausdrückt. Skills erhalten Bedeutung dadurch, dass sie etwas in Beziehung
setzen. Kommunikation beispielsweise besteht zunächst nur in der Produktion von
Geräuschen, die omals Sprache darstellen, die für sich allein genommen jedoch
keine Kommunikations-Skills bezeichnen. Erst der Sprechakt, also das in Beziehung
setzen zu einer Situation oder anderen Person mittels Sprache, macht eine Form des
Ausdrucks notwendig, welche wir dann als angemessen oder befähig t wahrnehmen
oder bezeichnen können. Kommunikations-Skills sind also von ihrem reinen Hand-
lungsablauf zunächst nicht bedeutungsvoll. Kommunikationsfä higkeiten einer Person
in einer gekonnten (skillfull) Weise in Relation zu etwas oder jemandem erhalten
erst Bedeutung durch den Kontext ihrer Handlung. Dabei steht – um im Beispiel zu
bleiben – nicht immer nur eine andere Person, etwa eine Dialogpartnerin im Mittel-
punkt. Kommunikation kann durchaus auch Beziehungnahme zu sich selbst und der
eigenen Position oder zu einem bestimmten Gegenstand – etwa dem ema – sein.
In den empirischen Daten der Future Skills Studie lassen sich drei solche Rela-
tionen rekonstruieren: Eine handelnde Person kann Future Skills in Bezug auf sich
selbst entwickeln, kann diese in Bezug auf den Umgang mit einer Aufgabe, einem
ema oder einem Gegenstand, den sie bearbeitet, entwickeln oder in Bezug auf
die organisationale Umwelt, also das soziale System. In der Rekonstruktion der
Daten und mit Rückgri auf die erkenntnistheoretischen Grundpositionen der
Subjekt-Objekt-Spaltung und der Aueilung der Objekt-, der Gegenstandswelt in
eine gegenständliche und eine soziale, attribuieren w ir diesen einen Subjekt-, Objekt-
und (sozialen/ organisationalen) Weltbezug. Es entsteht eine dreipolige Relation,
wobei jeder Pol in Relation zum jeweils anderen steht. In Bezug auf Handlungen in
hochemergenten Kontexten sind damit in jeder beliebigen Handlung immer alle
drei Pole und deren Beziehung untereinander bestimmend. Aufgrund der engen
Verwobenheit aller drei Pole und ihrer aufeinander bezogenen Integration bezeichnen
wir dieses Konzept im Rückgri auf das biologische Konzept der DNA als Tr iple
Helix-Modell der Future Skills, bzw. als Future Skills Triple Helix-Modell. Das so
entstehende Konzept ist geeignet, zur formalen Beschreibung von Handlungen in
hochemergenten Kontexten. Wie gehandelt wird, hängt also ab von der inneren,
eigenen Subjektverfasstheit in Bezug zur Handlung, es hängt zugleich ab von dem
individuellen Fähigkeitskonzept in Bezug auf einen Gegenstand in Bezug zur Hand-
lung und es hängt ab von dem indiv iduell-sozialen Bezug des Handelnden Subjekts
in Bezug zur Handlungssituation. A lle drei Bezüge stehen wiederum in relationalem
Bezug miteinander. Das bedeutet, dass jede Handlung in einem Kontext, in dem
Future Skills zum Tragen kommen, das Resultat des dreifachen Zusammenspiels ist.
A 2.1 Das Future Skills Triple Helix-Modell 45
45
Diese Strukturierung ermöglicht innerhalb der Future Skill Konstrukte, ei ne
Binnenstruktur zu identizieren. Sie erlaubt eine Einteilung von Future Skills in
Bezug auf die Relation, auf die sie sich bezieht. In Beantwortung der Frage, ob es
sich eher um eine subjektive, auf sich selbst bezogene Fähigkeit (beispielsweise
selbstgesteuertes Lernen, Selbstkompetenz), eine auf einen Gegenstand oder
eine Aufgabe bezogene Fähigkeit oder um eine auf die soziale, organisationale
Umwelt bezogene Fähigkeit handelt, lassen sich die Future Skill Konstrukte in
drei Bereiche einteilen und binnendierenzieren. Als Klassizierungsk riterium
dient dabei das Ziel der Relation – ob es auf ein Subjekt (Individuum zu sich
selbst), Objekt (Individuum zu einem bestimmten Objekt, beispielsweise einer
Aufgabe) oder die Umwelt (Individuum zur sozialen Umwelt) – bezogen ist
(siehe Abbildung 5):
1. Beziehung eines Individuums zu sich selbst in der Gegenwart, Vergangenheit
oder Zukun (Subjekt- oder Zeitdimension),6
2.
Beziehung eines Individuums zu einem bestimmten Objekt (Objektdimension) oder
3. Beziehung eines Individuums zu einer Person oder einer Gruppe in der Welt
(soziale Dimension).
Abb. 5 Dreiteilige Klassizierung von Future Skills
6 Der Begri „Zeitdimension“ geht darauf zurück, dass sich Subjekte nur in der Zeit
wahrnehmen können, a lso in Bezug auf et was Vergangenes, etwas gerade Passierendes
oder etwas zukünig Vorgestelltes.
46 A 2 Das Future Skills Triple Helix-Modell der Handlungsfähigkeit
Abb. 6 Future Skills Gesamtschau – Zuordnung zu drei Dimensionen
A 2.1 Das Future Skills Triple Helix-Modell 47
47
Diese dreigliedrige Untertei lung ist in der Philosophie der Bi ldungswissenscha en
tief verankert (z. B. Dewey und Bentley in seinem Aufsatz „Knowing the Known“,
Dewey & Bentley 1949), geht in der Aktualität aber maßgeblich auf Meder (2007,
auch Roth (1971)) zurück, der eine fundamentale, konstitutive Struktur für Bildung
als einer strukturell-dreigliedrigen Beziehung aufstellt. Für das Future Skills Konzept
ergibt sich daraus eine dreidimensionale Aufgliederung: Future Skills beziehen sich
also (1) gemäß der Zeit- oder Subjektdimension entweder auf individuell entwick-
lungsbezogene Aspekte des handelnden Subjekts (beispielsweise die Fähigkeit zur
Selbstreexion in Bezug auf etwas in der Vergangenheit Erlebtes oder ethische
Kompetenz), oder beziehen sich (2) auf den Umgang mit einem Gegensta nd, einem
Objekt, etwa einem ema, einer Aufgabe (beispielsweise Design inking Skil ls)
oder aber (3) auf die soziale Umwelt bzw. die Organisation, in der das Individuum
handelt (beispielsweise Kooperations- oder Kommunik ationskompetenzen). Subjekt,
Objekt oder Welt-/ Organisationsbezug spannen somit die Kompetenzfelder auf,
in denen sich Future Skills verorten lassen. Abbildung 6 zeigt die Aufgliederung
der Future Skills in die unterschiedlichen Kompetenzfelder.
Alle drei Dimensionen stehen wiederum miteinander in Verbindung und be-
einussen sich wechselseitig. So wirkt beispielsweise die Kompetenz zur Selbstre-
exion nicht nur auf die subjektive Entwicklung eines handelnden Individuums,
sondern auch auf die Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit (soziale oder
Organisationsdimension) und wiederum auf die Systemkompetenz eines Indi-
viduums (Objektdimension). Insofern sind an jeder Handlung unterschiedliche
Future Skills gleichermaßen beteiligt (siehe Abbildung 7). Die drei Dimensionen
formen so die Future Skill Triple Helix-DNA in der die drei Skill Dimensionen bei
konkreten Hand lungen zusammenwirken. Sie ermöglichen ein besseres Verständnis
der Faktoren, die zukünige Handlungsfähigkeit ausmachen.
48 A 2 Das Future Skills Triple Helix-Modell der Handlungsfähigkeit
Abb. 7 Triple Helix-Konzept der Future Skills
Das Rückführen der Future Skills auf drei konstitutive Komponenten erlaubt auch
eine Aulärung der Ursachen, die Future Skills so bedeutsam machen. Die empi-
rischen Analysen der Interviewdaten zeigen, dass in jeder der drei Dimensionen
Veränderungsprozesse – im Folgenden als Shi bezeichnet – und Verschiebungen
ablaufen. Dabei wird deutlich, dass sich ein klarer Wandel im Hinblick auf die
Natur derjenigen Fähigkeiten abzeichnet, die für Individuen und deren Handlungs-
fähigkeit in zukünigen Arbeits- und Lebenskontexten bedeutsam sind. Künige
Skill-Anforderungen können somit von denen der Vergangenheit und auch zum
Teil der gegenwärtigen klar unterschieden werden.
A 2.2 Shift 1 – Weniger Standardisierung und mehr Selbstorganisation 49
49
A 2.2 Shift 1 – Weniger Standardisierung und mehr
Selbstorganisation
A 2.2 Shift 1 – Weniger Standardisierung und mehr Selbstorganisation
Die ese von Voß und Pongratz (1998) zum Arbeitskraunternehmer, von
Hitzler und Honer zur Bastelbiographie (1994) und auch von Ulrich Beck (1986)
zur Risikogesellscha legt eine immer geringere Standardisierung von Erwerbs-
biographien nahe. Daraus folgt eine stärkere Selbstkontrolle des Individuums in
Bezug auf ihre/seine Erwerbsbiographie. Diese Selbstkontrolle der Navigation von
einem Job zum nächsten, aber auch von einer Position innerhalb eines Berufes
zur nächsten, bzw. von einem Beruf zum nächsten, zeigt sich in den Future Skills
Daten auch auf einer Mikroebene.7 Auf dieser Ebene lassen sich für die Binnen-
anforderungen innerhalb von Arbeitsprozessen Fähigkeiten rekonstruieren, die
nahelegen, dass es einen Wandel gibt, der weniger vorgegebene Arbeitsstrukturen
und mehr Selbstorganisation erfordert. Diese Betonung von Selbstkompetenzen
drückt sich in der Rekonstruktion der Daten aus, in denen die Befragten betonen,
dass Handlungskontexte in Organisationen sich immer schneller wandeln, sowohl
strukturell (in der Organisation) als auch inhaltlich (im Aufgabenbereich) und
sozial (im Umfeld). Es wird deutlich, dass dabei durch Individuen immer stärkere
individuelle Anpassungsleistungen an neue Handlungskontexte erbracht werden
müssen. Diese entstehen omals im Rahmen von emergenten Prozessen und sind nur
schwer plan- oder vorhersehbar. Die notwendigen Fähigkeiten, die als Future Skills
von den Befrag ten gefordert werden, haben d ie Aufgabe, diese Anpassungsleistung
zu ermöglichen. Dabei wird deutlich, dass ein produktiv-antizipierender Umgang
mit sich wandelnden Handlungskontexten eine immer stärkere Bedeutung erf ährt,
damit nicht kompensatorische Maßnahmen im Vordergrund stehen, die etwa bei
7 Nachtwey (2016) besch reibt den Wandel au f dem Arbeitsmarkt folgendermaß en: Für die
Arbeitnehmerin nen und Arbeitnehmer war mit dem Normalarbeitsverhältnis Vorher-
sehbarkeit des Lebensverlaufes und relative sozia le Sicherheit verbunden. Lediglich ca.
10 % der Beschäigten arbeiteten zu Beg inn der 1970er Jahre in Teilz eit. Dominierte in
den 1970er-Jahren noc h das sichere Normalar beitsverhältni s die ökonomische Szenerie ,
so sind in Deutschland im Jahr 2011 lediglich 28 % der westdeutschen Beschäigten
in privatwirtschalichen Firmen mit Branchentarifverträgen beschäigt (Gundert
& Hohendanner 2011). Im Jahr 1998 waren es noch 39 % (ebenda). Zudem hat sich in
einzel nen Branchen das Lei harbeitsverhält nis von der Ausnahme zu r Regel gewandelt.
In der Lebensmittelindustrie besitzt in Deutschland zurzeit nur jede, bzw. jeder zehn-
te Beschäigte einen regulären Arbeitsvertrag (ebenda). Aber auch im Segment der
Höherqualizierten dreht sich die Deregulierungsspirale mit Auswirkungen für die
Beschä igten. Gerad e bei IT-Spezia listinnen u nd -spezialis ten nehmen die Werkverträ ge
zu und die Praxis des Crowdworkings verdrängt in der Soware- und Autoindustrie
fest denierte Tätigkeiten immer häuger (ebenda).
50 A 2 Das Future Skills Triple Helix-Modell der Handlungsfähigkeit
Verlust der Handlungsfähigkeit aufgrund von sich ändernden Handlungskontexten
darauf abzielen, Handlungsfähigkeit wiederherzustellen. Vielmehr geht es darum,
Akteurinnen und Akteure zu befähigen, bereits im Verlauf der Änderungsprozesse
neue Handlungskontexte produktiv mitgestalten zu können. Future Skills haben
dabei die Aufgabe, Akteurinnen und Akteure zu befähigen, selbstorganisiert
handlungsfähig zu sein. Sogenannte Selbstkompetenzen wie beispielsweise Selbst-
wirksamkeit, Selbstbestimmung, Selbstkompetenz, Reexionskompetenz und
auch das selbstgesteuerte Lernen, ermöglichen es den Individuen, die notwendigen
Anpassungsvorgänge in hochemergenten Kontexten produktiv leisten zu können.
A 2.3 Shift 2 – Vom Fachwissen zur Handlungskompetenz
A 2.3 Shift 2 – Vom Fachwissen zur Handlungs kompetenz
Ein zweiter Shi, der sich aus den Interviewdaten ergibt, ist der Wandel von der
ursprünglich hohen Bedeutung des Fachwissens hin zu einer eher als generisch
beschriebenen Handlungskompetenz. Dabei fassen wir in Anlehnung an Erpenbeck
(2012) Handlungskompetenz grundsätzlich als die Disposition zur zielgerichteten
Handlungsfähigkeit in komplexen und unbekannten Problemsituationen. In Kapitel
B 1.2.3 Kompetenz wird auf die besondere Bedeutung von Handlungskompetenz
ausführlicher eingegangen. In Anlehnung an Baackes et al. (1991) Kompetenzdi-
mensionen, die er wiederum aus dem Konzept der kommunikativen Kompetenz
in Anlehnung an Chomsky (1981) entwickelt und die er für den Bereich der Me-
dienkompetenz ausführt, stehen dabei vier Dimensionen im Mittelpunkt, die den
hier beschriebenen Shi gut veranschaulichen können. Die ursprünglich für den
Bereich der Medienkompetenz und des Umgangs mit Medien entwickelten Kom-
petenzdimensionen (in Anlehnung an Baacke, zitiert nach Vollbrecht 2001: 56)
werden dabei allgemein auf Handlungsf ähigkeit in emergenten Kontexten bezogen,
da sich an ihnen der Shi auch im Kompetenzverständnis gut veranschaulichen
lässt (siehe Abbildung 8):
Die Wissensdimension mit einer informativen und einer instrumentell quali-
katorischen Dimension,
die Dimension der Wissensanwendung mit einer eher rezeptiven und einer eher
interaktiven Komponente,
die Gestaltung von Neuem mit einer innovativen und einer kreativen Kompo-
nente und
die Kritikfähigkeit in Bezug auf einen Wissensbestand mit einer analytischen,
einer reexiven (hier selbstbezogenen) und einer ethischen Komponente.
A 2.4 Shift 3 – Von hierarchischen zu vernetzten Organisationskontexten 51
51
Über die Erkenntnis hinaus, dass Future Skills eher Handlungskompetenz verlangen
und nicht mehr nur reines Fachwissen ausreicht, erlaubt es das Modell wesentlich
präziser zu rekonstruieren, welche Dimensionen von Kompetenz im Future Skills
Modell ausgepräg t sind. Dabei wird in den Interviews deutlich darauf hingewiesen,
dass Future Skills vor allem die Entwicklung der Gestaltungs- und der kritischen
Dimension von Kompetenz notwendig machen, wie in Abbildung 8 veranschau-
licht. Individuen konnten sich in der Vergangenheit darauf beschränken, Wissen,
Methoden und Tools anzuwenden; künig wird es aber zunehmend wichtiger
werden, neues Wissen, Methoden und Tools originell und auf kreative Art und
Weise zu entwickeln.
Abb. 8 Änderung bei objektbezogenen Kompetenzen
A 2.4 Shift 3 – Von hierarchischen zu vernetzten
Organisationskontexten
A 2.4 Shift 3 – Von hierarchischen zu vernetzten Organisationskontexten
Ein dritter Wandel bezieht sich auf ein sich generell wandelndes Organisationsumfeld
von hierarchischen Ablauforganisationen hin zu vernetzten und agilen Organisa-
tionen. Der sich hier vollziehende Wandel wird in den Interviewdaten deutlich be-
schrieben: Während Organisationen in der Vergangenheit in klaren Strukturen und
Managementprozessen organisiert waren, werden die Organisationen der Zukun
in uideren Strukturen organisiert werden, die schnelleren und grundsätzliche-
ren Änderungen unterliegen. Abbildung 9 illustriert, dass dabei konkurrierende
Pole einander gegenüberstehen, bei denen die bisherigen Strukturen und Abläufe
von klar denierten Managementstrukturen zukünig eher durch agile Abläufe
und ein Ermöglichungsmanagement ersetzt werden. Die klassische bisherige Ab-
lauforganisation wird hingegen durch vernetzte Strukturen geprägt sein, in denen
klar denierte Prozesse sich häuger weiterentwickeln und Organigramme und
52 A 2 Das Future Skills Triple Helix-Modell der Handlungsfähigkeit
Zuständigkeiten sich schneller wandeln. Beziehungsmanagement wird dabei ein
zunehmend wichtiger Faktor. Der gesamte Bereich informeller Eigeninitiative ist
ein wichtiger Bestandteil von organisationalem Erfolg und ein wesentlicher Future
Skill ohne den die Steuerung von Organisationen zukünig inezient wird. Die
Befragten drücken aus, dass in Future Organisations zentrale Steuerungsansätze
in Organisationen immer weniger zielführend sind und stattdessen beteiligungs-
orientierte Zielndungsprozesse immer mehr an Bedeutung zunehmen.
Abb. 9 Organisationaler Wandel in Future Organisations
A 2.5 Zusammenfassung und Fazit
A 2.5 Zusammenfassung und Fazit
Abbildung 10 verortet die beschriebenen drei Shis in einer zusammenfassenden
Grak an den drei Dimensionen des Triple Helix-Modells. Alle drei Dimensionen
stehen miteinander in Interaktion und sind keine bloßen Ausdrücke isolierter
Skill-Bereiche. Subjektive Aspekte beeinussen sowohl die Perspektive auf objektive
Aspekte, als auch auf soziale Aspekte, die wiederum Auswirkungen auf subjektive
und objektive Aspekte haben. Das vorgestellte Future Skills Modell geht damit über
ein statisches, Future Skills ledig lich denierendes und aufzählendes Modell hinaus.
Außerdem basiert das Modell zwar auf der Annahme, dass digitale oder technische
Skills künig zweifelsohne eine wichtige Future Skills Zutat sein werden, sieht diese
Skills aber nicht als alleinig ausreichend an. Der w irkliche Wert dieser Skills liegt daher
A 2.5 Zusammenfassung und Fazit 53
53
vor allem in der persönlichen Entwicklung von Dispositionen, die das Individuum
zu selbst-organisiertem Handeln in einer denierten Domäne befähigen können.
Das hier präsentierte Future Skill Konzept basier t auf den folgenden drei unter-
scheidbaren Momenten theoretischer Reexion:
1. Skills werden als relationale Konzepte verstanden, die mittels der dreidimensi-
onalen Struktur analog zum strukturellen Bildungsbegri beschrieben werden
können.
2. Skills werden als Kompetenzen im Sinne Erpenbecks (2010) verstanden und es
wird betont, dass Kompetenzen Dispositionen darstellen, um in komplexen,
unbekannten Zukunskontexten agieren zu können.
3.
Future Skills werden in Bezug zu Verschiebungen innerhalb der unterschiedlichen
Bestandteile des theoretischen Rahmens verstanden und können mithilfe der
17 identizierten Future Skills Prole beschrieben werden.
Mit dieser theoretischen Rahmung wird das vorliegende Future Skill Konzept in
den Bildungswissenschaen verankert. Anstelle einzelne Future Skills in Listenform
additiv zusammenzustellen, gibt der hier gewählte Ansatz eine einheitliche und
präzise Richtung für die Skill-Terminologie vor und erlaubt es, genau zu fassen,
was mit Future Skills gemeint ist.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das Future Skill Modell die
Erklärungskra hat, eine Reihe von Future Skills anhand eines klar strukturierten
und beschreibbaren Dimensionssets abzubilden:
1.
Die erste Future Skill Dimension stellt die subjektive (oder auch Zeit-) Dimension
der Future Skills Prole dar. Diese bezieht sich auf die subjektiven, personalen
Fähigkeiten eines Individuums, sich so anzupassen und zu entwickeln, dass es
produktiv an der Arbeitswelt von morgen teilhaben und diese aktiv mitgestal-
ten sowie sich selbst in Gemeinschaen organisieren kann, um mit künigen
Herausforderungen eektiv umgehen zu können. Diese Dimension beinhaltet
neun Future Skills Prole.
2. Die zweite Future Skill Dimension bezieht sich auf die Fähigkeit von Individuen
in selbst-organisierter Ar t und Weise in Bezug auf ein Objekt, eine Aufgabe oder
eine besti mmte ematik zu handeln. Diese Dimension begrei Wissen weiterhin
als zentral, plädier t aber dafür, es gedanklich auf die nächste Stufe zu heben und
es zusammen mit Motivation, Werten und Absichten zu denken. Damit wird
Wissen mit einer neuen Facette aufgeladen, die die Wichtigkeit selbst-organisier t
in unterschiedlichen Wissensfeldern zu agieren, betont. Es ist nicht mehr allein
die Menge des Wissens, die zählt, sondern vielmehr die Frage, wie mit diesem
54 A 2 Das Future Skills Triple Helix-Modell der Handlungsfähigkeit
Wissen produktiv umgegangen werden kann, um anstelle von Expertise zu
Professionalität zu gelangen. Diese Dimension vereint vier Future Skills Prole.
3. Die dritte Future Skill Dimension bezieht sich auf die Fähigkeiten eines Indivi-
duums im Hinblick auf seine/ ihre soziale und organisationale Umwelt und die
Gesellscha selbstorganisiert zu agieren. Hierbei wird betont, dass auf Individuen
eine Doppelrolle zukommt: Einerseits sind sie Kuratorinnen und Kuratoren ihrer
sozialen Mitglieds-Portfolios in unterschiedlichen organisationalen Sphären,
während sie andererseits und gleichzeitig organisationale Räume selbst kreieren
und organisationale Str ukturen neugesta lten, um sie zu kunsbeständig zu ma-
chen. Vier Future Skill Prole sind unter dieser Dimension zusammengefasst.
Die geänderten Grundbedingungen von Arbeit und Lernen führen zu einer Ver-
schiebung der Zutaten, die für die Fähigkeit erfolgreichen Handelns notwendig sind.
Im Konzept der Future Skills werden drei Bestandteile als wesentliche Bezugspunkte
angesehen, die auf ein relationa les, strukturelles Verständnis von Bildung zurück-
gehen. Darin wirkt der Prozess des Erwerbs von Future Skills in dreifacher Weise:
1.
Bildung und Lernen als Prozess der individuellen Weiterentwicklung und
Selbstbildung (Ausbildung eines Verhältnisses zu sich selbst)
2.
Bildung als Prozess der Aneignung eines bestimmten Gegenstandes, Fachgebie-
tes oder Wissensbestandes (Ausbildung eines Verhältnisses zu einem Objekt)
3.
Bildung als Prozess der Entwicklung der eigenen Position in einer Gemeinscha
(Ausbildung eines Verhältnisses zur Welt).
Grundsätzlich stehen dabei alle drei Elemente dieses Bildungsbegries in einem
Zusammenhang. So beeinusst das eigene Selbstbild, der entwickelte Selbstwert
auch die eigene Bezugnahme zu einem Gegenstand oder zur Welt und vice versa.
In zukünigen Arbeitskontexten, dort also, wo Future Skills immer relevanter
werden, kann nun eine Verschiebung beobachtet werden: Unter Bedingungen grö-
ßerer Selbstorganisation wandeln sich die Bedeutung und Zielrichtungen der drei
Pole des Future Skills Dreiecks (siehe Abbildung 10). Der Prozess der subjektiven
Entwicklung im Sinne der Ausbildung eines Verhältnisses zu sich selbst nimmt
einen neuen Stellenwert ein. Er erfordert, dass solche subjektiven Fähigkeiten neu
in den Fokus rücken, die etwa als Selbstorga nisation, Selbstwert, Selbstkompetenz
usw. beschrieben werden können. Dieser Pol weist einen zentralen Stellenwert als
Steuerungsinstanz für unser Verständnis von Future Skills auf. Der eher objekt-
bezogene Pol hingegen wandelt sich in seiner Bedeutung dahingehend, dass es
zwar auch in zukünigen Lern- und Arbeitsumgebungen notwendig sein wird,
Wissen über Lerngegenstände zu erlangen, dass die subjektive Metadimension
A 2.5 Zusammenfassung und Fazit 55
55
Abb . 10 Kopplung von strukturellem Bildungsmodell und Kompetenzmodell als
Erklärungskonzept für Future Skills
56 A 2 Das Future Skills Triple Helix-Modell der Handlungsfähigkeit
der Aneignung dieser aber über dem tatsächlichen Substrat des Angeeignetseins
steht. Es geht also weniger darum Wissensbestände zu akkumulieren, sondern
vielmehr darum in der Lage zu sein, Wissen zu nden, einzuschätzen, kritisch
zu beurteilen und immer wieder neu den Bezug zur eigenen Position zu reektie-
ren. Trainings, Weiterbildung und Lehrveranstaltungen müssen sich aus dieser
Sichtweise radikal ändern, indem sie zu Reexionslaboratorien im Sinne Donald
Schöns (1983) werden, in welchen nicht das Auswendiglernen und Anhäufen von
Wissen im Vordergrund steht, sondern das Ausbilden eigener Handlungsstrategien
für komplexe Situationen und die Fähigkeit, subjektive Handlungsstrategien zu
reektieren, zu bewerten und neu zu fassen.
Die Ausbildung eines Verhältnisses zur Organisation, als dritter Pol, steht unter
der Zielsetzung, dass das handelnde Subjekt in Bezug auf die Gemeinscha, die
Gruppe, die soziale Struktur, die Organisation und Abteilung bezugsfähig wird. In
der Untersuchung zeigt sich, dass dies ein zweiseitiger Prozess ist. Er fordert einerseits
das handelnde und lernende Subjekt in neuer Weise, da sich Organisationsstruk-
turen schnell ändern; andererseits steht die Organisation unter Änderungsdruck
in Bezug auf neue Organisations- und Führungskonzepte, da das Verständnis von
Organisation nicht mehr länger darin besteht, dass Organisationen überdauernde,
festgefüg te Strukturen haben, die in Linienhierarchie aufgestellt sind, sondern dass
es sich bei Organisationen nun viel mehr um dynamische und komplexe Gebilde
handelt, die uid darauf basieren, dass exible, agile Individuen in ihnen agieren,
die die jeweiligen Strukturen begründen und stetig weiterentwickeln.
57
A 3
Future Skills für die Welt von morgen
A 3 Future Skills für die Welt von morgen
A 3 Future Skills für die Welt von morgen
Die Hochschulbildung der Zukun muss an der Vermittlung von Future Skills
orientiert sein. Das zeigen die Ergebnisse der NextSkills Studie. Auf Basis der
Tiefeninterviews und durch Einschätzung der weltweit befragten Expertinnen
und Experten wurden 17 Skill Prole konstruiert, die für zukünige Hochschul-
absolventinnen und -absolventen Bedeutung haben. Jedes Skill Prol besteht aus
einem Bündel einzelner Kompetenzen – sog. Bezugskompetenzen – und wird in
diesem Kapitel in Form eines Steckbriefs beschrieben. Skill Prole sind gleichsam
Cluster von zukunsrelevanten Fähigkeiten. Sie sind wiederum in drei sog. Kom-
petenzfelder eingeteilt.
Zugleich bildet die Studie die empirische Grundlage, auf der das Triple He -
lix-Modell der Handlungsfähigkeit in emergenten Praxiskontexten konstruiert wurde
(siehe Kapitel A 2 Das Triple Helix-Modell der Handlungsfähigkeit in emergenten
Praxiskontexten). Future Skills sind Teil der Kompetenzwende, des Future Skill
Turn, der an den Hochschulen der Zukun notwendig ist. Sie markieren einen
Turn zu einer Hochschulbildung, die nicht mehr die Funktion der Vorbereitung
durch Wissenstransfer in den Mittelpunkt stellt, sondern die Studierende bei der
Entwicklung von Future Skills, also Handlungsdispositionen und Handlungsbereit-
scha für den Umgang mit komplexen, unbekannten Problemsituationen durch
Reexion, Werte und Haltungen, unterstützt (siehe Abbildung 11) . Future Skills
sind dabei wie folgt deniert:
Denition:
Future Skills sind Kompetenzen, die es Individuen erlauben in
hoch emergenten Handlungskontexten selbstorganisiert komplexe Probleme
zu lösen und (erfolgreich) handlungsfähig zu sein. Sie basieren auf kognitiven,
motivationalen, volitionalen sowie sozialen Ressourcen, sind wertebasiert, und
können in einem Lernprozess angeeignet werden.
© Der/die Autor(en) 2020
U.-D. Ehlers, Future Skills, Zukunft der Hochschulbildung – Future
Higher Education, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29297-3_5
58 A 3 Future Skills für die Welt von morgen
Formuliert man Future Skills kompetenztheoretisch, so wird deutlich, dass es sich
bei Future Skills um Kompetenzkonstrukte mit besonderer inha ltlicher Prolierung
handelt (siehe Abbildung 11). Diese sind dergestalt proliert, dass sie Individuen
ermöglichen, in hochemergenten Kontexten zu handeln. Aus kompetenztheoreti-
scher Perspektive kommt dabei die Fähigkeit zum Handeln (gespeist aus Wissen
und weiterent wickelt zu Fert igkeiten) mit Handlungsdispositonen und -bereitscha
zusammen, die sich vor allem aus Werten, motivationalen und habituellen Faktoren
speist – also Persönlichkeitsmerkmalen.
Ab b. 11 Das Future Skills Konzept als Kompetenzkonstrukt (eigene Darstellung)
Im Begri und im Konzept lassen sich Future Skills von solchen Kompetenzen
abgrenzen, die nicht im besonderen Ma ße zukunsorientiert sind. Als Unterschei-
dungsdimension zwischen aktuellen oder bisherigen Kompetenzanforderungen
und solchen, die insbesondere zukunsrelevant sind, gilt dabei das Konzept der
Emergenz: Insbesondere solche Handlungskontexte, die hochemergente Entwick-
lungen von Lebens-, Arbeits-, Organisations- und Geschäsprozessen aufweisen,
benötigen Future Skills zur Bewältigung der Anforderungen. Emergenz deniert
also die Trennlinie, die bisherige oder traditionelle Arbeitsbereiche und zu künige
Arbeitsbereiche voneinander abgrenzt. Da diese Grenze nicht klar schematisch,
sondern ießend verläu und viele Organisationen sich in Transformationsprozessen
benden, in denen sich schwach emergente Arbeitskontexte zu hochemergenten
A 3 Future Skills für die Welt von morgen 59
59
Arbeitskontexten entwickeln, ist auch die Notwendigkeit von Future Skills ein sich
entwickelnder Bereich, und nicht ein binärer Zustand des entweder-oder.
Emergenz vs. Submergenz ist somit eine wichtige Grundunterscheidung zur
Erklärung der Bedeutung von Future Skills und daher Bestandteil eines eigenen
Kapitels – Kapitel B 2.4 Emergenz und Selbstorganisation. Die NextSkills Studie zeigt,
dass niedrigemergente (stabile) professionelle Handlungskontexte sich o, schnell
und in hoher Intensität hin zu hochemergenten Handlungskontexten wandeln. Wir
sprechen hier von der Dri-to-Self-Organisation und beschreiben dieses Phänomen
in Kapitel B 2.1 „Dri to Self-Organisation“: Selbstorganisation als gesellschaliches
Leitprinzip. Dieser Wandel entspricht einer Veränderung im Systemzustand von
Organisationen. Er wird durch Veränderungen von Makro-, Meso- und Mikro-
systemen8 ausgelöst, und durch deren interdependente Verschränkung verstärkt.
Im dadurch entstehenden neuen Systemzustand lassen sich die Systemelemente
nicht kausal oder linear auf den vorherigen Zustand zurückführen. Es gilt die
Systembedingung der Irreduzibilität sowie der Unvorhersagbarkeit.
Die in der NextSkills Studie auf Basis von Tiefeninterviews rekonstruierten
Future Skills Prole sind in Tabelle 1 und Abbildung 14 überblicksartig dargestellt.
Future Skills Prole bestehen aus Bündeln einzelner zusammengehörender sog.
Bezugskompetenzen. Insgesamt lassen sich aus den qualitativen Daten 17 solcher
Kompetenzprole rekonstruieren, die im Folgenden dargestellt und beschrieben
werden. Sie sind in die drei Kompetenzfelder des Triple Helix-Modells gegliedert
und in der Skill Map in Abbildung 12 dargestellt.
8 Zur Ökosystemtheorie und dem Zusammenhang zwischen Mikro-, Meso- und Mak-
rosystemen siehe auch Kapitel B 2.6 Ko-Evolution und Selbstorganisation: Ökosystem-
theoretische und sozialökologische Erklärungsansätze.
60 A 3 Future Skills für die Welt von morgen
Ab b. 12 Future Skills Map – 17 Skills aus drei Kompetenzfeldern in der Übersicht
Die Einteilung in drei Kompetenzfelder, die in der Grak a ls drei Straßenbahn-Linien
der Future Skills Map dargestellt sind, folg t der Systematik des Triple Helix-Modells
für Future Skills. Sie basiert auf der Erkenntnis, dass die zur Bewältigung von
Handlungsanforderungen notwendigen Skills sich anhand von drei Dimensionen
A 3 Future Skills für die Welt von morgen 61
61
strukturieren lassen, die zusammenwirken und die im Triple Helix-Modell mit
spezischen Begrien bezeichnet werden:
4.
Individuell-entwicklungsbezogene Future Skills, die sich auf die Entw icklungs-
fähigkeit der eigenen Person beziehen, hier individuell-entwicklungsbezogene
Kompetenzen genannt,
5. solche Future Skills die sich auf den Umgang mit bestimmten Gegenständen,
Arbeitsaufgaben und Problemstellungen beziehen, hier individuell-objektbe-
zogene Kompetenzen genannt, und
6.
solche Future Skills, die sich auf den Umgang mit der sozialen, organisationalen
und institutionellen Umwelt beziehen, hier als organisationsbezogene Kompe-
tenzen bezeichnet.
Innerhalb dieses dreidimensionalen Handlungsraumes können die von den Be-
fragten genannten einzelnen Future Skills konzeptionell verortet werden (siehe
Abbildung 13).
Ab b. 13 Handlungsraum für Future Skills
62 A 3 Future Skills für die Welt von morgen
Future Skill Prole der NextSkills Studie
Ab b. 14 Future Skill Prole im Überblick
A 3.1 Kompetenzfeld I 63
63
A 3.1 Kompetenzfeld I: Individuell-entwicklungsbezogene
Kompetenzen
A 3.1 Kompetenzfeld I
Das Kompetenzfeld I umfasst neun Kompetenzprole9. Es betri solche Fähig-
keiten, die von den Befragten in Future Organisations als besonders relevant für
die zukünige Arbeitsweise herausgestellt wurden und die sich auf das handelnde
Subjekt selbst beziehen. Als Future Skill Prole umfassen sie jeweils weitere Be-
zugskompetenzen. Dabei spiegelt sich in diesem Kompetenzfeld die besondere
Bedeutung der individuell-subjektiven Bezogenheit der Kompetenzformulierungen
wider. Diese bezieht sich auf die personalen Fähigkeiten eines Individuums, sich so
anzupassen und zu entwickeln, dass es produktiv-gestaltend an der Arbeits- und
Lebenswelt von morgen teilhaben und diese aktiv mitgesta lten sowie sich selbst als
Teil von Gemeinschaen organisieren kann, um mit künigen Herausforderungen
eektiv umgehen zu können.
Es geht dabei unter anderem um subjektorientierte Fähig keiten und Dispositio-
nen, die mit Reexion des eigenen Verhaltens zu tun haben, mit Entwicklung und
Lernfähigkeiten, mit Überzeugungen, Werten, mit der Fähigkeit, zu unterscheiden,
zu dierenzieren, selbstbestimmt, selbstbewusst und autonom zu handeln und die
das eigene Leistungsmotiv sowie den Umgang mit Ambiguität und unsicheren
Kontexten thematisieren, aber auch den Bereich der ethischen Kompetenz umfassen.
Anzumerken ist, dass die insgesamt 17 Future Skill Prole nicht trennscharf einem
der drei Bereiche des Triple Helix-Handlungsmodells zugeordnet werden können
und sich daraus dann etwa, einem Bausatz gleich, die entsprechende Performanz
zusammensetzt. Stattdessen handelt es sich hierbei vielmehr um ineinandergreifende
Bereiche und aufeinander bezogene Fähigkeiten. Sie alle zielen darauf ab, einen
Beitrag zur Handlungsfähigkeit in hochemergenten Kontexten zu leisten, haben
dabei jeweils unterschiedliche Anker- oder Ausgangspunkte, aber die erfolgreiche
Handlung als gemeinsames Ziel.
9 Future Skills Prole bestehen aus ein zelnen zusammengehörenden Kompetenzen. Insge-
samt las sen sich aus den qualitat iven Daten 17 solcher Kompetenzprole rekonstru ieren,
die hier da rgestellt und beschrieben werden. Sie sind in die im vorhergehenden Kapitel
entwickelten drei Kompetenzfelder des Triple Helix-Modells gegliedert.
64 A 3 Future Skills für die Welt von morgen
A 3 .1.1 Future Skill Prol #1: Lernkompetenz
Denition: Lernkompetenz ist die Fähigkeit und Bereitscha zum Lernen, insbe-
sondere des selbstgesteuerten Lernens. Sie erstreckt sich auch auf metakognitive
Fähigkeiten. (Mittelwert: 4,5 von 5, Standardabweichung: 0,68)10
Bezugskompetenzen: Selbstgesteuertes Lernen, Metakognitive Fähigkeit
Bedeutung: Lernkompetenz als Future Skill ermöglicht es Individuen in hoche-
mergenten Kontexten die notwendigen Anpassungsleistungen durch Lernen zu
vollziehen, diese zu antizipieren, zu gestalten, wenn diese beispielsweise in stark
dem Wandel unterlegenen Arbeits- oder Lebensumfeldern oder Aufgabengebieten
notwendig sind.
Beschreibung: Lernkompetenz ist deniert als die Fähig keit und Bereitscha zum
selbstgesteuerten Lernen und zur Selbstlernkompetenz. Das umfasst ein Lernen,
10 Im Folgenden wird für jedes Future Skill Prol der Mittelwert (M) und sowie die Stan-
dardabweichung (SD) aus der Delphiumfrage angegeben, mit denen die Expertinnen
und Experten die Relevanz des jeweiligen Future Skills Prols bewerteten.
A 3.1 Kompetenzfeld I 65
65
bei dem die Lernenden ihren Lernprozess im Wesentlichen selbst lenken. Die Ler-
nenden müssen über eine Reihe von Kompetenzen beziehungsweise Lernstrategien
verfügen, die es ihnen ermöglichen, die bestehenden Spielräume für das eigene
Lernen zu nutzen. Erst über den Einsatz von Lernstrategien wird Einuss auf den
Lernprozess genommen. Dazu gehören vier Lernstrategien (Kilius 2002):
Kognitive Lernstrategien – wirken direkt auf die zu erwerbende und zu verar-
beitende Information ein.
Metakognitive Lernstrategien – dienen der Planung, Überwachung und Regu-
lation des Lernprozesses.
Motivationale Lernstrategien – um den Erfolg kognitiver und metakognitiver
Lernstrategien zu sichern, muss der Schüler in der Lage sein, sich optimal zu
motivieren.
Ressourcenbezogene Lernstrategien – das sind die Zeitplanung, das Zusam-
menarbeiten mit Lernpartnerinnen und Lernpartnern oder die Nutzung von
Medien und anderen Hilfsmitteln.
Lernkompetenz a ls Future Skill Prol ermöglicht es der handelnden Akteurin/ dem
handelenden Akteur in hochemergenten Handlungskontexten den notwendigen
Lernbedarf zu analysieren, der für die erfolgreiche Handlung im jeweiligen Kontext
notwendig ist. Die Befragten der NextSkills Studie gaben hierbei vielfach an, dass
ein wesentlicher Aspekt der derzeitigen und der zukünigen Personalentwicklung
darin liege, die Selbstlernkompetenzen der Organisationsmitglieder zu fördern.
Die dafür eingesetzten Konzeptionen und Werkzeuge sind daran orientiert, die
Fähigkeit zum selbstgesteuerten Lernen, die Fähigkeit zum lebenslangen Lernen
und die Bereitscha zum Lernen in Gemeinscha zu fördern. Dabei kann auf In-
strumente zur Organisationsentw icklung verwiesen werden, beispielsweise auf die
Kompetenzwerkstatt in Kapitel II.3.1 Kompetenzwerkstatt: Vernetzung und Selb-
storganisation stärken), in der die genannten Fähigkeiten im Mittelpunkt standen.
66 A 3 Future Skills für die Welt von morgen
A 3.1.2 Future Skill Prol #2: Selbstwirksamkeit
Denition: Selbstwirksamkeit als Future Skill ist die Überzeugung und das (Selbst-)
Bewusstsein dafür, die zu bewältigen Aufgaben mit den eigenen Fähigkeiten umset-
zen zu können, dabei Verantwortung zu übernehmen und Entscheidungen treen
zu können.11 (Mittelwert: 4,4 von 5, Standardabweichung: 0,69)
Bezugskompetenz: Selbstbewusstsein
Bedeutung: Selbstwirksamkeit als Future Skill ermöglicht es einem Individuum
in hochemergenten Kontexten mit der Überzeugung einer Erfolgserwartung im
Bewusstsein der eigenen Fähigkeiten und über die eigenen Bedür fnisse zu agieren.
11 Denition in Anlehnung a n Bandura (1989) „people’s beliefs about their capabilit ies to
exercise control over events that control their lives“ (Bandura 1989, S. 1175). Bandura
(1982 in Frayne 1987) deniert self-ecacy wie folgt: „Perceived self-ecacy refers to
the strength of one’s belief t hat he or she can success fully execute t he behaviors required
(Bandura 1982)“ (in Frayne & Latham 1987).
A 3.1 Kompetenzfeld I 67
67
Beschreibung: Selbstwirksamkeit stellt die Überzeugung dar, die zu bewältigenden
Aufgaben mit den eigenen Fähigkeiten umsetzen zu können, dabei Verantwortung
zu übernehmen und Entscheidungen zu treen. Als weitere Kompetenzen gehört
in dieses Kompetenzfeld Selbstbewusstsein. Selbstbewusstsein ist ein Begri, der in
mehreren Disziplinen verwendet wird. Er wurde zuerst in der Philosophie denier t,
spielt aber auch in der Soziologie, Psychologie oder Geschichtswissenscha eine
bedeutende Rolle. Dabei ist Selbstbewusstsein im Wesentlichen das Erlebnis der
Eigenheit und Einheit der eigenen Person, das Bewusstsein des eigenen Daseins
im Gegensatz zur Außenwelt, zur Welt der Erkenntnis- und Erfahrungsobjekte. In
der Psychologie wird der Begri Selbstbewusstsein vor allem als Selbstwertgefühl
verstanden, das heißt, als Bewusstsein von Bedeutung und Wert der eigenen Per-
sönlichkeit, wobei vordringlich eine emotionale Einschätzung des eigenen Wertes
impliziert wird (Stangl 2019). Das Selbstbewusstsein entsteht durch Beobachtung
und Reexion des Selbst oder anders ausgedrückt: des eigenen Ichs, der eigenen
Persönlichkeit. Die/ der sich selbst Bet rachtende ist hierbei gleichzeitig Objekt und
Subjekt. Die von Karl Jaspers (1953) eingebrachte Spaltung von Subjekt und Objekt
fäl lt in diesem Fall zusammen. Immanuel Kant (1964) drückt dies so aus: „‚Ich bin
mir selbst ein Gegenstand der Anschauung und des Denkens‘ ist ein synthetischer
Satz a priori und der Grundsatz der Transzendentalphilosophie.“ (Kant 1964: 449)
Selbstwirksamkeit ist etwa seit den frühen neunziger Jahren ein eingeführtes
lernpsychologisches Konzept welches gut deniert ist und empirisch stabil beob-
achtet werden kann (Bandura 1989). Unter Selbstwirksamkeit (engl. self-ecacy)
versteht man in der Psychologie die Überzeugung eines Menschen, auch schwierige
Situationen und Herausforderungen aus eigener Kra erfolgreich bewältigen zu
können (ebenda). Das Konzept der allgemeinen Selbstwirksamkeitser wartung fragt
dabei nach der persönlichen Einschätzung der eigenen Kompetenzen, allgemein
mit Schwierigkeiten und Barrieren im täglichen Leben zurechtzukommen. Diese
Überzeugung bezüglich der eigenen Fähigkeiten bestimmt, wie Menschen sich in
einer konkreten Situation fühlen, denken, sich motivieren und auch handeln. Sie
beeinusst die Wahrnehmung und Leistung daher auf unterschiedlichste Art und
Weise. Selbstwirksamkeit bezieht sich also auf die Überzeugung, dass man fähig
ist, etwas zu erlernen oder eine bestimmte Aufgabe auszuführen. Studien zeigen,
dass Menschen, die an ihre eigene Kra glauben, ausdauernder bei der Bewälti-
gung von Aufgaben sind und außerdem ein geringeres Risiko für Angststörungen
entwickeln (Stangl 2019).
Beispiele aus der Future Skills Studie demonstrieren, dass Organisationen
beispielsweise mit eaterworkshops oder Methoden des Coachings arbeiten, um
Selbstwirksamkeit und Selbstbewusstsein zu fördern (siehe beispielsweise Kapitel
II.3 Förderung von Future Skills).
68 A 3 Future Skills für die Welt von morgen
A 3.1.3 Future Skill Prol #3: Selbstbestimmtheit
Denition: Die Fähigkeit zur Selbstbestimmung als Future Skill oder auch Selbst-
bestimmungskompetenz, bezeichnet die Fähigkeit, im Spannungsverhältnis von
Fremd- und Selbstbestimmung produktiv zu agieren und sich Räume zur eigenen
Autonomie und Entwicklung zu schaen, sodass die Befriedigung der eigenen
Bedürfnisse in Freiheit und selbst-bestimmt angestrebt werden kann. (Mittelwert:
4,5 von 5, Standardabweichung: 0,61)
Bezugskompetenz: Autonomie
Bedeutung: Selbstbestimmtheit als Future Skill ist insbesondere für Lern- und
Entwicklungsvorhaben von Bedeutung, da in hochemergenten Organisations-
und Handlungskontexten immer weniger die angemessene und individuell rich-
tige Lernkonzeption vorgegebenen werden kann. Daher spielen Autonomie und
Selbstbestimmung für Lern- und Handlungsvorgänge eine immer größere Rolle.
Beschreibung: Selbstbestimmtheit umfasst die Fähigkeit eines Individuums, sich
selbst Lern kontexte zu schaen in denen wichtige Bezugspersonen Anteil nehmen,
die Befriedigung psychologischer Bedürfnisse ermöglicht wird (beispielsweise Ein-
A 3.1 Kompetenzfeld I 69
69
gebundenheit, Erfolg), Autonomiebestrebungen des Lernenden unterstützt werden
und in denen sie die Möglichkeit haben, ihre individuelle Kompetenz zu erfahren.
Zum Kompetenzfeld Selbstbestimmtheit gehört die Unterkompetenz Autonomie.
Autonomie und Selbstbestimmtheit sind insbesondere für Lern- und Entwick lungs-
vorgänge von Bedeutung, da in hochemergenten Organisations- und Handlungs-
kontexten immer weniger die angemessene und individuell richtige Lernkonzeption
vorgegebenen werden kann und daher Autonomie und Selbstbestimmung für Lern-
vorgänge und Handlungsvorgänge eine immer größere Rolle spielen. Hierbei geht es
nicht nur darum, den Lern- und Aneignungsvorgang, also die eigene Entw icklung,
für sich selber erfolgreich umzusetzen, sondern auch darum, die Wahl der hierfür
geeigneten wichtigen und vielleicht notwendigen Personen und der Gruppenkon-
texte vorzunehmen und die eigenen Bedürfnisse, die für den Entwicklungsprozess
notwendig sind, zu kennen und ausdrücken zu können. Nur durch die Kenntnis
und die Fähigkeit zur eigenständigen selbstbestimmten Handlung, beziehungsweise
Entwicklung, können in hochemergenten Systemen Handlungen erfolgreich voll-
zogen werden – obwohl die Bedingungen unvorhersagbar sind und Handlungen
unter Bedingungen der Unsicherheit vollzogen werden müssen.
70 A 3 Future Skills für die Welt von morgen
A 3.1.4 Future Skill Prol #4: Selbstkompetenz
Denition: Selbstkompetenz als Future Skill ist die Fähigkeit, eigene persönliche
und beruiche Entwicklung weitgehend unabhängig von äußeren Einüssen zu
gestalten (vgl. auch KMK 2015). Dazu gehören weitere Kompetenzen wie zum
Beispiel selbständige Motivation und Planung. Aber auch die Fähigkeit, sich Ziele
zu setzen, das Zeitmanagement, Organisation, Lernfähigkeit und Erfolgskontrolle
durch Feedback. Darüber hinaus auch Cognitive Load Management und eine hohe
Eigenverantwortlichkeit. (Mittelwert: 4,5 von 5, Standardabweichung: 0,82)
Bezugskompetenzen: Selbstmanagement, Selbstorganisationskompetenz, Eigen-
regulation, Cognitive Load Management, Eigenverantwortung
Bedeutung: Selbstkompetenz nimmt im Rahmen der Future Skills eine Sonder-
stellung ein. Da sie sich auf Selbstorganisationsf ähigkeit, Cognitive Load Manage-
ment und Selbst-Regulation bezieht, ist sie für einen produktiv-balancierten und
nachhaltigen Umgang mit Anforderungen im Spannungsfeld zwischen eigenen
Fähigkeiten und Bedürfnisse, den fachlichen sowie auch den organisationalen
Anforderungen wichtig.
A 3.1 Kompetenzfeld I 71
71
Beschreibung: Der Future Skill Selbstkompetenz besteht aus den Kompetenzen
Selbstmanagement, Selbstorganisationskompetenz, Eigen- beziehungsweise Selbst-
regulation, Cognitive Load Management und Eigenverantwortung.
Selbstkompetenz wird dabei als die Fähigkeit bezeichnet, eigene, persönliche
und beruiche Entwicklungen weitgehend unabhängig von äußeren Einüssen
gestalten zu können. Das heißt Selbstkompetenz legt den Fokus darauf, welche
Handlungen und Bedingungen insbesondere durch die persönliche Einuss-
nahme gestaltet und gesteuert werden können. Die dazugehörigen Kompetenzen
wie z. B. selbstständige Motivation, Zielsetzung, Planung, Zeitmanagement,
Organisation, Lernf ähigkeit und Erfolgskontrolle durch Feedback, aber auch das
Cognitive Load Management und Eigenverantwortung sind dafür notwendig.
Selbstmanagement wird dabei deniert als die Fähigkeit zur selbstständigen
Motivation, Zielsetzung, Planung, Zeitmanagement in Bezug auf die vorhan-
denen Tätigkeiten.
Selbstorganisationskompetenz w ird deniert als Fähigkeit, Ordnungsmuster und
Strukturen sowie deren Entstehung selbständig zu verstehen, aufrechtzuerhalten
und zu entwickeln.
Selbstregulation umfasst unter anderem den mentalen Umgang mit den eigenen
Gefühlen und Stimmungen und die Fähigkeit, Absichten durch zielgerichtetes
und realitätsgerechtes Handeln zu verwirklichen. Auch die Fähigkeit, kurzfrist ig
dringende Bedürfnisse längerfristigen Zielen unterzuordnen (Belohnungsauf-
schub), gehört dazu. Eine hohe
Selbstwirksamkeitserwartung
kann dabei unter-
stützend wirken (vgl. hierzu auch Future Skill #2, sowie Baumeister, Vohs 2004).
Cognitive Load Management wird deniert als die Fähigkeit eines Individuums,
mit kognitiven Belastungen im Sinne einer nachhaltigen und produktiven per-
sönlichen Entwicklung und unter Berücksichtigung der eigenen Bedürfnisse
umzugehen (Plass et al. 2010).
Eigenverantwortung ist die Haltung, die Verantwortung für die eigenen Hand-
lungen zu übersehen, zu verstehen und zu übernehmen.
72 A 3 Future Skills für die Welt von morgen
A 3.1.5 Future Skill Prol #5: Reexionskompetenz
Denition: Reexionskompetenz als Future Skill umfasst die Bereitscha und
Fähigkeit zur Reexion, also die Fähigkeit, sich selbst und andere zum Zweck der
konstruktiven Weiterentwick lung hinterfragen zu können sowie zugrundeliegende
Verhaltens-, Denk- und Wertesysteme zu erkennen und deren Konsequenzen für
Handlungen und Entscheidungen holistisch einschätzen zu können. (Mittelwert:
4,5 von 5, Standardabweichung: 0,65)
Bezugskompetenzen: Kritisches Denken, Selbstreexionskompetenz
Bedeutung: Reexionskompetenz als Future Skill ist eine wichtige Voraussetzung
für erfolgreiches Handeln in hochemergenten Handlungskontexten. Es ermöglicht
Individuen, Entwicklungen hinterf ragend und in Bezug zum eigenen Wertekorsett zu
sehen und so Kongruenz oder Divergenz zwischen innerem Bedürfnis und äußerer
Situation wahrzunehmen. Es fördert sowohl das in Distanz setzen zur eigenen Person
(Selbstreexionskompetenz) als auch das Hinterfragen und das Einnehmen einer
anderen kritischen Perspektive in Bezug auf vorliegende identizierte Sachverha lte.
Beschreibung: Reexionskompetenz umfasst die Fähigkeit und Bereitscha zur
Reexion. Dazu gehört die Fähigkeit, sich selbst und andere zum Zweck der kon-
A 3.1 Kompetenzfeld I 73
73
struktiven Weiterentwicklung hinterfragen zu können sowie zugrunde liegende
Verhaltens-, Denk- und Wertesysteme zusammen mit ihren Konsequenzen zu
erkennen; darüber hinaus auch Verhandlungssituationen und Entscheidungen
holistisch, also ganzheitlich einschätzen zu können. In dieses Kompetenzfeld fa llen
die Kompetenzen kritisches Denken und Selbstreexionskompetenz.
Kritisches Denken sowie Selbstreexionskompetenz ermöglichen es, Perspek-
tivwechsel zu vollziehen. Zum einen ermöglichen sie das in Distanz setzen des
eigenen Bewusstseins zur eigenen Person (Selbstreexionskompetenz) und zum
anderen ermöglichen sie das Hinterfragen und Perspektivwechseleinnehmen in
Bezug auf vorliegende identizierte Sachverhalte. In den Organisationen, die an
der NextSkills Studie teilgenommen haben, werden sowohl kritisches Denken, das
Hinterfragen von vorgegebenen Konzeptionen und Organisationsabläufen, als auch
die Selbstreexionskompetenz gefördert.
A 3.1.6 Future Skill Prol #6:
Entscheidungskompetenz
Denition: Entscheidungskompetenz als Future Skill ist die Fähigkeit, Entschei-
dungsnotwendigkeiten wahrzunehmen sowie mögliche alternative Entscheidungen
74 A 3 Future Skills für die Welt von morgen
gegeneinander abzuwägen, eine Entscheidung zu treen und diese zu verantworten.
(Mittelwert: 4,5 von 5, Standardabweichung: 0,71)
Bezugskompetenz: Verantwortungsübernahme
Bedeutung: Die Entwicklung von zentral geführten zu dezentralen und vernetzten
Organisationsstrukturen macht eine Dezentralisierung von Entscheidungskompe-
tenzen notwendig. Dadurch wächst die Bedeutung von Fähigkeiten, Entscheidungen
zu treen und verantworten zu können. Entscheidungskompetenz als Future Skill
in hochemergenten Kontexten ermöglicht einen organisationalen Wandel von
hierarchischen Organisationen zu stärker auf Netzwerkstrukturen basierenden
Organisationen mit dezentralerer Steuerung.
Beschreibung: Entscheidungskompetenz ist die Fähigkeit Entscheidungsnotwendig-
keiten wahrzunehmen sowie mögliche alternative Entscheidungen gegeneinander
abzuwägen, eine Entscheidung zu treen und diese zu verantworten. In dieses
Kompetenzfeld fällt zusätzlich die Kompetenz zur Verantwortungsübernahme.
Entscheidungen treen und Verantwortung übernehmen werden hierbei von den
Befragten als zwei sich gegenseitig bedingende Handlungen beziehungsweise Kom-
petenzen versta nden. Entscheidungen zu treen benötigt die Fähigkeit, kritisch die
eigenen Entscheidungsgrundlagen zu reektieren und die Handlungsparameter, die
in einer gegebenen Situation entscheidungsleitend sind, zu überdenken sowie diese
zu kommunizieren. Verantwortungsübernahme bedeutet außerdem die getroene
Entscheidung vor dem Hintergrund der existierenden Wert- und Normenkons-
tellationen in der jeweiligen Organisationssituation persönlich u nd organisational
sowie auch gesellschalich rechtfertigen zu können.
In Bezug auf Verantwortungsübernahme handelt es sich um die Fähigkeit, Rede
und Antwort stehen zu können. Diesem Verständnis von Verantwortung liegt über
die Vorsilbe ver- ein zweckgerichtetes oder verstärktes dialogisches Prinzip des
Antwortens zugrunde, woraus sich Kommunikationsfähigkeit als erste Verantwor-
tungsbedingung ableiten lässt. Jede Verantwortlich keit stellt in diesem Sinne einen
Kommunikationsakt dar. Um Rede und Antwort für et was stehen zu können, muss
die fragliche Akteurin/ der fragliche Akteur in der Lage sein zu kommunizieren.
Innerhalb des Verantwortungsdiskurses spielt Sprachlich keit als Voraussetzung für
Verantwortung eine große Rolle (vgl. dazu Piepmeier 1995: 86; Schwar tländer 1974:
1580). Da die Objekte einer Verantwortlichkeit Handlungen und Hand lungsfolgen
darstellen, muss das fragliche Subjekt in der Lage sein zu handeln, um Verant-
wortung tragen zu können. Das Rede und Antwort stehen äußert sich in Form von
Handlungen, es stellt eine Weise zu handeln dar. Dabei ist Handlung von bloßem
A 3.1 Kompetenzfeld I 75
75
Verhalten zu dierenzieren, indem in Handlungen immer die Intentionalitäten
betont werden. Insofern werden Handlungen als zielbezogene Aktivitäten, als eine
besondere Art des Verhaltens verstanden. Mit der Beschreibung eines Verhaltens
als Handlung beginnt die Möglichkeit der Verantwortungszuschreibung.
A 3.1.7 Future Skill Prol #7:
Initiativ- und Leistungskompetenz
Denition: Der Future Skill Initiativ- und Leistungskompetenz ist die Fähigkeit
zur Selbstmotivation, eine hohe Aktivitäts- und Umsetzungskompetenz (siehe
auch Studie von Pelz (2017) weiter unten) sowie der Wunsch, etwas beizutragen.
Beharrlichkeit und Zielorientierung formen die Leistungsmotivation. Zusätzlich
spielt ein positives Selbstkonzept eine Rolle, sodass Erfolge und Misserfolge in einer
Weise attribuiert werden, die nicht zur Senkung der Leistungsmotivation führen.
(Mittelwert: 4,1 von 5, Standardabweichung: 0,91)
Bezugskompetenzen: Motivation (intrinsische), Eigenmotivation, Motivations-
fähigkeit, Initiative, Leistungsbereitscha/-wille, Engagement, Beharrlichkeit,
Zielorientierung
76 A 3 Future Skills für die Welt von morgen
Bedeutung: Initiativ- und Leistungskompetenz fungiert wie ein Motor für Future
Skills. Die Befragten der Future Skills Studie gaben an, dass Initiativ- und Leis-
tungskompetenz insbesondere auch die Fähigkeit umfassen sollte, das Ziel von
Handlungen in der Ausübung immer mit zu reektieren und zu überprüfen, ob
das ursprüngliche Handlungsziel noch traghig ist oder es gegebenenfalls um-
zusteuern. Auf diese Weise können in hochemergenten Handlungskontexten auch
bei neugefassten Zielsetzungen weiterhin hohe und auch intrinsische Motivation,
Initiative und Leistungsbereitscha vorherrschen.
Beschreibung: Initiativ- und Leistungskompetenz ist die Fähigkeit zur Selbstmotivation
sowie der Wunsch etwas beizutragen. Es geht zudem um Beharrlichkeit, Zielorientierung
und Leistungsmotivation sowie ein positives Selbstkonzept. Motivation wird dabei
verstanden als Gesamtheit aller Beweggründe, die zu Handlungsbereitscha führen.
Dabei beruht das Streben nach Handlung auf dem Prinzip der Homöostase, im Be-
mühen um einen Ausgleich zwischen den existierenden Bedürf nissen des handelnden
Individuums und der Umwelt (zu Homöostase (siehe auch Kapitel B 3 Grundprinzipien
von Future Skills). Die Umsetzung von Motiven in Handlungen wird als Volition oder
Umsetzungskompetenz, beziehungsweise Aktivitätskompetenz bezeichnet.
Zur Operationalisierung und Validierung von Aktivitäts- und Umsetzungs-
kompetenz (Volition) hat Waldemar Pelz (2017) eine empirische Studie mit 13.302
Teilnehmerinnen und Teilnehmern durchgeführt. Ziel war es, das Phänomen der
Umsetzungskompetenz als menschliche Fähigkeit zu operationalisieren und messbar
zu machen, damit sie praktisch genutzt und trainiert werden kann. Das so entstan-
dene Gießener Inventar der Umsetzungskompetenz hat große Überschneidungsbe-
reiche mit dem hier vorgestellten Future Skill Initiativ- und Leistungskompetenz.
Pelz schlägt fünf Teilkompetenzen vor (ebenda), die auch zur Beschreibung der
Initiativ- und Leistungskompetenz geeignet sind:
1. Aufmerksamkeitssteuerung und Fokussierung: Kann sich die Person voll aufs
Wesentliche konzentrieren, auch wenn Einüsse aureten, die die Motivation
und Aufmerksamkeit beeinträchtigen? Kann sie klare Prioritäten setzen?
2.
Emotions- und Stimmungsmanagement zur Steigerung der persönlichen Energie:
Ist die Person in der Lage, sich selbst und Andere in eine positive Gefühlslage
zu versetzen? Kann sie eigenes und fremdes Verhalten treend
antizipieren
und
somit besser steuern?
3.
Selbstvertrauen und Durchsetzungsstärke:
Ist die Person aufgrund ihrer Er-
fahrungen von den eigenen Fähigkeiten und Erfolgen überzeugt und kann sie
Ziele konstruktiv und umsichtig durchsetzen?
A 3.1 Kompetenzfeld I 77
77
4.
Vorausschauende Planung und kreative Problemlösung: Ist das Handeln gru nd-
sätzlich proa ktiv (statt reaktiv) und zukunsorientier t? Ist die Person auf R isiken
und Probleme gut vorbereitet?
5. Zielbezogene Selbstdisziplin durch Erkennen des tieferen Sinns der Aufgabe:
Verfügt die Person über ein ausgeprägtes Durchhaltevermögen bis Ergebnisse
vorliegen? Erkennt sie den tieferen Sinn in ihrer Tätigkeit? Kann sie mit den
ablehnenden Erwartungen anderer konstruktiv umgehen?
A 3.1.8 Future Skill Prol #8:
Ambiguitätskompetenz
Denition: Ambiguitätskompetenz ist die Fähigkeit, Vieldeutigkeit, Heterogeni-
tät und Unsicherheit zu erkennen, zu verstehen und produktiv gestaltend damit
umgehen zu können sowie in unterschiedlichen und auch konigierenden Rollen
agieren zu können. (Mittelwert: 4,3 von 5, Standardabweichung: 0,92)
Bezugskompetenzen: Umgang mit Kontextunsicherheit, Heterogenität, Fähigkeit,
in unterschiedlichen Rollen zu agieren und mit unterschiedlichen, teilweise auch
konigierenden oder widersprüchlichen Rollenerwartungen produktiv-konstruktiv
agieren zu können.
78 A 3 Future Skills für die Welt von morgen
Bedeutung: In hochemergenten Kontexten spielt die Fähigkeit mit Unschärfe und
Unsicherheiten umgehen zu können oder auch widersprüchliche Informationen
und Signale produktiv umzudeuten, eine wichtige Rolle.
Beschreibung: Ambiguitätskompetenz umfasst den Umgang mit Unsicherheit, und
mit Heterogenität, also unterschiedlichen Teilen in einem Handlungsfeld und die
Fähigkeit in unterschiedlichen Rollen zu agieren. Es geht zudem darum, Vieldeu-
tigkeit, Heterogenität und Unsicherheit zu erkennen, zu verstehen und produktiv
gestaltend damit umgehen zu können.
A 3.1.9 Future Skill Prol #9: Ethische Kompetenz12
Denition: Ethische Kompetenz umfasst die Fähigkeit zur Wahrnehmung eines
Sachverhalts beziehungsweise einer Situation als ethisch relevant einschließlich
seiner/ ihrer begriichen, empirischen und kontextuellen Prüfung (wahrnehmen),
die Fähigkeit zur Formulierung von einschlägigen präskriptiven Prämissen zusam-
men mit der Prüfung ihrer Einschlägigkeit, ihres Gewichts, ihrer Begründung,
ihrer Verbindlichkeit und ihrer Anwendungsbedingungen (bewerten) sowie die
12 Die Ethische Kompetenz wurde in der Delphi-Befragung nicht miterhoben.
A 3.2 Kompetenzfeld II: Individuell objektbezogene Kompetenzen 79
79
Fähigkeit zur Urteilsbildung und der Prüfung ihrer logischen Konsistenz, ihrer
Anwendungsbedingungen und ihrer Alternativen (urteilen).
Bezugskompetenz: ---
Bedeutung: Jede Handlung ist wertgebunden und wertefundiert. Eine Abwägung
von Werten in spezischen Handlungssituationen benötigt daher die Fähigkeit
eines Individuums, ethische Maßstäbe zu verstehen, zu entwickeln und für sich
in eigenen Handlungskonstellationen nutzbar zu machen. Dies ist umso w ichtiger,
wenn es keine oder nur wenig Referenzhand lungen, -maßstäbe und Vorbilder gibt,
wie es in hochemergenten Kontexten der Fall ist.
Beschreibung: Ethische Kompetenz umfasst die Fähigkeit zur Wahrnehmung
eines Sachverhaltes beziehungsweise einer Situation als ethisch relevant. Fernerhin
bedeutet ethische Kompetenz, ethische Positionen (was soll getan werden?) aus
der Abwägung von Werten, Interessen und Folgen für einen gegebenen Hand-
lungskontext zu entwickeln. Ethische Kompetenz umfasst auch, Kommunikation
ethischer Positionen und die Fähigkeit zur Formulierung von Prämissen zusam-
men mit der Prüfung ihrer Einschlägigkeit, ihres Gewichts, ihrer Begründung,
ihrer Verbindlichkeit und ihrer Anwendungsbedingungen (bewerten) sowie die
Fähigkeit zur Urteilsbildung und der Prüfung ihrer logischen Konsistenz, ihrer
Anwendungsbedingungen und ihrer Alternativen (urteilen).
A 3.2 Kompetenzfeld II: Individuell objektbezogene
Kompetenzen
A 3.2 Kompetenzfeld II: Individuell objektbezogene Kompetenzen
In der NextSkills Studie geben die Befragten an, dass sich der Umgang mit den Pro-
dukten, den Verfahren und den Abläufen in Organisationen insgesamt verändert.
Stabilität und Marktstellung ergeben sich demnach aus Agilität, der Fähigkeit zur
Organisation von schnellen Innovationszyklen und Oenheit, auch für neue und
o internationale Kooperationspartner und Allianzen. Daraus folgen auch neue
Anforderungen an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und deren Umgang mit den
emen, Gegenständen, Aufgaben und deren Sichtweise auf Prozesse, Abläufe
und Verfahrensweisen. Die Verantwortlichen in Future Organisations geben an,
dass neben neuen und kreativen Methoden vor allem auch eine oene Haltung
und Innovationszugewandtheit wichtig sei, um die notwendigen nachhaltigen
Innovationsökosysteme zu schaen.
80 A 3 Future Skills für die Welt von morgen
Das zweite Kompetenzfeld beinhaltet insbesondere individuell-objektbezogene
Kompetenzen. Dies sind Fähigkeiten, die sich darauf beziehen in Bezug auf bestimmte
Gegenstände, emen und Aufgabenstellungen kreativ, agil, ana lytisch und mit hohem
Systemverständnis zu agieren und auch unter hochgradig unsicheren unbekannten Be-
dingungen erfolgreich zu handeln. In d ieses Kompetenzfeld fallen v ier Kompetenzpro le,
die sich mit kreativem und innovativem Umgang mit den jeweiligen emenfeldern
des Handlungskontextes auseinandersetzen. Dies sind Design inking-Kompetenzen,
Innovationskompetenzen, Systemkompetenzen und digitale Kompetenzen.
Auch hier ist anzumerken, dass die insgesamt 17 Future Skill Prole nicht trenn-
scharf einem der drei Bereiche des Triple Helix-Handlungsmodells zugeord net werden
können und sich daraus dann, einem Bausatz gleich, die entsprechende Performanz
zusammensetzt, sondern, dass es vielmehr ineinander hineinreichende Formulie-
rungen und aufeinander bezogene Fähigkeiten sind. Sie alle zielen darauf ab, einen
Beitrag zur Handlungsfähigkeit in hochemergenten Kontexten zu leisten, haben
dabei jeweils unterschiedliche Anker- oder Ausgangspunkte aber die erfolgreiche
Handlung als gemeinsames Ziel.
A 3.2.1 Future Skill Prol #10:
Design Thinking-Kompetenz
A 3.2 Kompetenzfeld II: Individuell objektbezogene Kompetenzen 81
81
Denition: Das Future Skill Prol Design inking-Kompetenz umfasst die Fä-
higkeit, konkrete Methoden einzusetzen, um ergebnisoen in Bezug auf gegebene
Problem- und emenstellungen kreative Entwicklungsprozesse durchzuführen
und dabei alle Stakeholder in einen gemeinsamen Prozess zum Problem- und Lö-
sungsdesign mit einzubeziehen.
13
Bezugskompetenzen: Flexibilität und Oenheit, Vielseitigkeit, Fähigkeit zum
Perspektivwechsel, Interdisziplinarität
Bedeutung: Als Innovationsökosysteme sind Future Organisations darauf ange-
wiesen, konkrete Methodenskills einsetzen zu können, die die gegebenen sozialen
Stakeholderkonstellationen in konkrete Problemdenitions- und Lösungsdesigns
miteinbezieht, wie es im Future Skill Prol Design inking-Kompetenz repräsen-
tiert ist.
Beschreibung: Als konkret methodisches Kompetenzprol bezieht sich das Future
Skill Prol Design-inking auf die Fähigkeit, konkrete und kreative Lösungen für
Organisationen, Abläufe oder Produkte zu entwickeln, die in besonderer Weise
Stakeholder bereits im Prozess integrieren und deren Bedürfnisse berücksichti-
gen. Insbesondere diese Klasse von Kreativ- und Innovationsmethoden sind im
Design-inking-Prol zusammengefasst. Neben den konkreten Methodenskills
geht es bei diesem Future Skill Prol zusätzlich darum, die Organisationskultur in
Future Organisations dahingehend fördern und gestalten zu können, dass ziel- und
ergebnisoene Methoden für Kernprozesse in der Entwicklung und der internen
Organisation eingesetzt werden können, ohne zu Glaubwürdigkeitskrisen zu führen.
13 Die Design inking-Kompetenz wurde in der Delphi-Befragung nicht miterhoben.
82 A 3 Future Skills für die Welt von morgen
A 3.2.2 Future Skill Prol #11:
Innovationskompetenz
Denition: Innovationskompetenz als Future Skill Prol umfasst die Bereitscha
Innovation als integralen Bestandteil eines jeden Organisationsgegenstandes,
-themas und -prozesses zu fördern und die Fähigkeit zur Organisation als Inno-
vationsökosystem beizutragen. (Mittelwert: 4,3 von 5, Standardabweichung: 0,75)
Bezugskompetenzen: Kreativität, Innovatives Denken, Experimentierbereitscha
Bedeutung: In Future Organisations ist die Bereitscha zum experimental mind-
set, zum Fail Forward und zur Fehlertoleranz unerlässlich. Darüber hinaus ist es
wichtig, Future Organisations als Innovationsökosysteme zu verstehen und Inno-
vationsprozesse fördern zu können.
Beschreibung: Future Organisations sind Innovationsökosysteme. Innovation träg t
dazu bei, diese zu erhalten und zu entwickeln. Innovationskompetenz bedeute zu-
allererst, hierfür ein umfassendes Verständnis zu entwickeln und eine Oenheit für
die Förderung von Innovationskulturen zu besitzen. In dieses Prol fa llen weniger
methodologische oder operative Kompetenzen zur Förderung von Innovation als
A 3.2 Kompetenzfeld II: Individuell objektbezogene Kompetenzen 83
83
vielmehr die Fähigkeit, den Beitrag von Innovation beziehungsweise Innovation
an sich für den jeweiligen Organisationskontext in nachhaltige Wertschöpfung
zu übersetzen.
A 3.2.3 Future Skill Prol #12: Systemkompetenz
Denition: Systemkompetenz als Future Skill ist die Fähigkeit komplexe perso-
nal-psychische, soziale und technische (Organisations-)systeme sowie deren wechsel-
seitige Einüsse zu erkennen, zu verstehen und darauf abgestimmte Planungs- und
Umsetzungsprozesse für neue Vorhaben im System gestalten und/ oder begleiten
zu können. (Mittelwert: 4,3 von 5, Standardabweichung: 0,73)
Bezugskompetenzen: Systems-inking, Wissen über Wissensstrukturen, Na-
vigationsfähigkeit in Wissensstrukturen, Vernetztes Denken, Analytische Kom-
petenz, Synergieherstellung, Anwendungskompetenz, Problemlösekompetenz,
Anpassungsfähigkeit
84 A 3 Future Skills für die Welt von morgen
Bedeutung: Für die Arbeit in Future Organisations ermöglicht Systemkompetenz
Verständnis für die multipolaren Abhängigkeiten von personal-psychischen,
sozialen und technischen Systemen und ist damit eine Voraussetzung für die
Gestaltungsfähigkeit in und von Future Organisations.
Beschreibung: emen, Gegenstände und Abläufe der alltäglichen Arbeit in Future
Organisations sind zunehmend systemisch miteinander vernetzt. Globalisierte,
interkulturelle Zusammenhänge, die zunehmende Integration von technischen
und sozialen Systemen, wie beispielsweise Articial Intelligence, Decision- oder
Performancesupportsystemen in professionellen und zunehmend auch privaten
Kontexten erfordern es, die wechselseitigen Abhängigkeiten von personal-psychi-
schen, sozialen und technischen Systemen zu kennen, diese zu verstehen und auch
als gestaltbar wahrzunehmen. Systemkompetenz heißt auch, Systemgrenzen und
Teilsysteme zu erkennen. Systemkompetenz als Future Skill setzt die Entwicklung
des Verständnisses voraus, dass Systeme
1.
miteinander vernetzt und integriert sind, also miteinander verbunden sind und
einander in verschiedenem Maß (positiv oder negativ) beeinussen,
2. nur durch eine ganzheitliche Betrachtungsweise erkannt werden können, sich
der Blick dafür auf die Struktur des Gesamtsystems richten muss und dabei
einzelne Teilbereiche unscharf werden,
3. sich zunehmend emergent und nicht-linear entwickeln, o nur geringe kausale
Ursachen-Wirkungszusammenhänge existieren und Verständnis und Fähigkeit
zur Selbstorganisation wichtig sind.
A 3.2 Kompetenzfeld II: Individuell objektbezogene Kompetenzen 85
85
A 3.2.4 Future Skill Prol #13: Digitalkompetenz
Denition: Digitalkompetenz ist die Fähigkeit, digitale Medien zu nutzen, produktiv
gestaltend zu entwickeln, für das eigene Leben einzusetzen und reektorisch, kritisch
und analytisch ihre Wirkungsweise in Bezug auf die Einzelne/ den Einzelnen und
die Gesellscha als Ganzes zu verstehen sowie die Kenntnis über die Potenziale
und Grenzen digitaler Medien und ihrer Wirkungsweisen. (Mittelwert: 4,5 von 5,
Standardabweichung: 0,80)
Bezugskompetenzen: Medienkompetenz, Informationskompetenz
Bedeutung: Digitalkompetenz kann in puncto Wichtigkeit als Future Skill gar
nicht hoch genug eingeschätzt werden. Insbesondere kritisch-reektorische aber
auch die Nutzung- und Gestaltungskompetenzen sind von essentieller Bedeutung
als Future Skill.
Beschreibung: Digitalkompetenz umfasst Medien- und Informationskompetenzen.
Als Future Skill bezieht sie sich vor allem auf a) das Wissen um digitale Medien und
deren (auch gesellschaliche) Wirkungsweisen, b) die Anwendungskompetenz, c)
die Kompetenz, mithilfe digitaler Medien Kommunikation und Zusammenarbeit
86 A 3 Future Skills für die Welt von morgen
zu gestalten sowie d) eine kritische Haltung gegenüber der eigenen Nutzung, der
Gestaltung, der gesellschalichen Bedeutung, der Informationsqualität und e) deren
Bedeutung für das eigene Leben und das der Gesellscha als Ganzes sowie f) den
gesellschalichen Wirkungs- und Machtmechanismen, die Digitalisierung bewirkt.14
A 3.3 Kompetenzfeld III: Organisationsbezogene
Kompetenzen
A 3.3 Kompetenzfeld III: Organisationsbezogene Kompetenzen
Die Befragten der NextSkills Studie sind sich weitgehend einig, dass die Art und
Weise, wie Organisationen sowohl im privaten als auch im öentlichen Umfeld
organisiert sind, in Zukun radikalen und disruptiven Veränderungen unterliegen
wird. Die Treiber, Symptome und Auswirkungen dieser Veränderung sind an anderer
Stelle beschrieben (siehe beispielsweise Kapitel B 4 Future Skillsr Future Organi-
sationen: Analyse zuküniger Organisationsmodelle). Eine der weitreichendsten
Konsequenzen dieser Entwicklung ist dabei ein Wandel von primär hierarchischen
Organisationsformen hin zu primär exiblen Netzwerkstrukturen. Dieser Wan-
del ist in Future Organisations o bereits weitgehend entwickelt oder vollständig
vollzogen. Es ergeben sich ganz neue Anforderungen an die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter, die in den vier Future Skill Prolen, die in diesem Kompetenzfeld
zusammengefasst sind, beschrieben werden.
Das Kompetenzfeld III umfasst damit Future Skill Prole, die sich auf den Umgang
mit der sozialen, organisationalen und institutionellen Umwelt beziehen. Hierzu
gehören Fähigkeiten wie Sinnstiung und Wertbezogenheit, die Fähigkeit Zuküne
gestaltend mitzubestimmen, mit anderen zusammenzuarbeiten und zu kooperie-
ren und in besonderer Weise kommunikationsfähig, kritik- und konsensfähig zu
sein, auch in interkulturellen Zusammenhängen. In den Interviews betonen die
Befrag ten insbesondere die Unvorhersagbarkeit sowie die Unsicherheit von Hand-
lungsbedingungen und somit die Notwendigkeit, Sinnstiung und das Konstruieren
von Zusammenhängen und Bedeutungen auf Seiten der Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter zu unterstützen. Die hierzu notwendigen und praktizierten Lern- und
Entwicklungsansätze sind vor allem im Bereich des Coachings und Mentorings
verortet. Zusätzlich wird auch die Entwicklung organisationsinterner Netzwerke
vorangetrieben, in denen Personengruppen in Organisationen sich untereinander
14 Eine umfassende Denition von digitaler Kompetenz wird im Rahmenkonzept „Di-
giComp“ vorgestellt, welches das derzeit gültige Konzept auf Ebene der europäischen
Kommission ist (Carretero et al. 2017).
A 3.3 Kompetenzfeld III: Organisationsbezogene Kompetenzen 87
87
vernetzen können, um kommunikative Kohärenz und Netzwerk konstellationen zu
schaen, in denen abgestimmtes Verhalten und Agieren auch unter Bedingungen
hoher Unsicherheit möglich ist.
Auch hierbei ist nun anzumerken, dass die insgesamt 17 Future Skill Prole nicht
trennscha rf einem der drei Bereiche des Triple Helix-Handlungsmodells zugeordnet
werden können und sich daraus dann, einem Bausatz gleich, die entsprechende
Performanz zusammensetzt, sondern, dass es vielmehr ineinander hineinreichende
Formulierungen und aufeinander bezogene Fähigkeiten sind. Sie a lle zielen darauf
ab, einen Beitrag zur Handlungsfähigkeit in hochemergenten Kontexten zu leis-
ten, haben dabei jeweils unterschiedliche Anker- oder Ausgangspunkte aber die
erfolgreiche Handlung als gemeinsames Ziel.
A 3.3.1 Future Skill Prol #14: Sensemaking
Denition: Das Future Skill Prol Sensemaking umfasst die Bereitscha und
Fähigkeit, die sich schnell wandelnden Sinnstrukturen von Future Organisations
zu verstehen, bestehende Sinnstrukturen weiterzuentwickeln oder die Entstehung
neuer zu befördern, dort wo sie abhandengekommen sind. (Mittelwert: 4,0 von 5,
Standardabweichung: 0,90)
88 A 3 Future Skills für die Welt von morgen
Bezugskompetenzen: Sinnstiung, Wertebezogenheit
Bedeutung: Sensemaking ist in hochemergenten Handlungskontexten von Bedeu
-
tung, da es Individuen ermöglicht, sich zu orientieren, wenn sich Sinnstrukturen
schnell ändern und weiterentwickeln.
Beschreibung: Sensemaking umfasst Sinnstiung und Wertebezogenheit. Jedes
Handeln und jede Entscheidung ist wertbezogen in zukünig agilen vernetzten und
unvorhersehbaren Handlungskontexten. Die Fähigkeit der einzelnen Individuen aus
sich selbst heraus Sinnsti ung zu entwickeln, ist insofern von höherer Bedeutung als
dass sich die Handlungssituationen vervielfältigen und nicht mehr überdauernde,
von außen durch die Organisation garantierte sinntragende Konstellationen ergeben.
Die Wertgebundenheit von Handlungen, von Entscheidungen, von Interaktionen
muss insofern immer mehr durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den jewei-
ligen Organisationseinheiten übernommen werden. Sensemaking (Sinnstiung)
beschreibt den Prozess, mit dem Menschen, den über die Sinne ungegliedert auf-
genommenen Erlebnisstrom in sinnvolle Einheiten einordnen. Je nach Einordnung
der Erfahrung kann sich ein unterschiedlicher Sinn und damit andere Erklärung
für die aufgenommenen Erlebnisse ergeben. Es ist insbesondere die Fähigkeit in
unterschiedlichen organisationalen Kontexten einerseits Strukturen und Werte
zu erkennen und andererseits Erfahrungen und Wahrnehmungen produktiv und
positiv in für sich sinnvolle Bedeutungen zu gliedern.
A 3.3 Kompetenzfeld III: Organisationsbezogene Kompetenzen 89
89
A 3.3.2 Future Skill Prol #15: Zukunfts- und
Gestaltungskompetenz
Denition: Zukuns- und Gestaltungskompetenz ist die Fähigkeit, mit Mut zum
Neuen, Veränderungsbereitscha und Vorwärtsgewandt heit, die derzeit gegebenen
Situationen in andere, neue und bisher nicht bekannte Zukunsvorstellungen
weiterzuentwickeln und diese gestalterisch anzugehen. (Mittelwert: 4,3 von 5,
Standardabweichung: 0,81)
Bezugskompetenzen: Veränderungsbereitscha, Fähigkeit zur kontinuierlichen
Verbesserung, Zukunsfokus, Mut zu Neuem, Entwicklungsbereitscha, Selbsthe-
rausforderung
Bedeutung: Zukuns- und Gestaltungskompetenzen sind in hochemergenten
Handlungskontexten von Bedeutung, da sie Indiv iduen erlauben, nicht ausschließlich
reaktiv auf Veränderungen zu reagieren, sondern proaktiv und gestaltend Einuss
zu nehmen, Änderungen auch als Herausforderungen zu verstehen und sie mit Mut
zu Neuem produktiv anzugehen.
90 A 3 Future Skills für die Welt von morgen
Beschreibung: Zukunskompetenz bedeutet, dass Individuen sich alternative
Zuküne ausmalen können, diese formulieren und erste Schritte in Richtung ihrer
Realisierung gehen können, sofern gewünscht. Insbesondere die Gestaltungskom
-
petenz ermöglicht es dabei, einen Perspektivwechsel zu vollziehen und von einer
Perspektive der Reaktion in eine Perspektive der Aktion hineinzukommen. Das
Future Skill Prol #15 enthält Kompetenzen wie Veränderungsbereitscha, Fähigkeit
und Oenheit zur kontinuierlichen Verbesserung, Zukunsfokus, Mut zu Neuem,
Entwicklungsbereitscha, Selbstherausforderung.
A 3.3.3 Future Skill Prol #16:
Kooperationskompetenz
Denition: Kooperationskompetenz ist die Fähigkeit zur Zusammenarbeit in Teams,
auch interkulturell, in Präsenzinteraktion oder durch Zuhilfenahme von Medien,
innerhalb oder zwischen Organisationen, Zusammenarbeit so zu gestalten, dass
bestehende Dierenzen in Gemeinsamkeiten überführt werden können. Dabei
spielen soziale Intelligenz, Oenheit und Beratungskompetenz eine wichtige Rolle.
(Mittelwert: 4,6 von 5, Standardabweichung: 0,67)
A 3.3 Kompetenzfeld III: Organisationsbezogene Kompetenzen 91
91
Bezugskompetenzen: Soziale Intelligenz, Teamfähigkeit, Führungsk ra als Coach,
Interkulturelle Kompetenz (Organisationskultur), Beratungskompetenz
Bedeutung: In vernetzten, digitalen, globalen und hochemergenten Handlungskon-
texten sind die Fähigkeiten unerlässlich, Zusammenarbeit mit anderen innerhalb
und außerhalb der eigenen Organisation erfolgreich zu gestalten, als Social Artist
neue Netzwerke zu knüpfen und andere Menschen oen zur Kooperation einzu-
laden, sowohl digital als auch in physischer Präsenz.
Beschreibung: Kooperationskompetenz umfasst Kompetenzen wie soziale und
emotionale Intelligenz, Teamfähigkeit, die Fähigkeit von Führungskräen als
Coach zu agieren, interkulturelle Kompetenzen, die auch die unterschiedlichen
Organisationskulturen mit einbeziehen und Beratungskompetenzen. Damit ist
Kooperationskompetenz im umfassenden Sinne die Fähigkeit zur Zusammen-
arbeit in Teams, auch interkulturell (sowie inter-organisationskulturell) in Prä-
senzinteraktion oder durch Zuhilfenahme von Medien innerhalb oder zwischen
Organisationen, Zusammenarbeit so zu gestalten, dass bestehende Dierenzen in
Gemeinsamkeiten überführt werden können. Dabei spielen soziale Intelligenz,
Oenheit und Beratungskompetenz eine wichtige Rolle.
92 A 3 Future Skills für die Welt von morgen
A 3.3.4 Future Skill Prol #17:
Kommunikationskompetenz
Denition: Kommunikationskompetenz umfasst neben sprachlichen Fähigkeiten
auch Diskurs-, Dialog- und strategische Kommunikationsfähigkeit, um in unter-
schiedlichen Kontexten und Situationen situativ angemessen erfolgreich kommu-
nikativ handlungsfähig zu sein. (Mittelwert: 4,6 von 5, Standardabweichung: 0,68)
Bezugskompetenzen: Sprachkompetenz , Präsentationskompetenz, Dialogfähigkeit,
Kommunikationsbereitscha, Konsensfähigkeit, Kritikfähigkeit
Bedeutung: In allen Interviews der NextSkills Studie haben Expertinnen und
Experten von Future Organisations immer wieder betont, dass die Veränderung
von hierarchischen zu vernetzten und von vorgegebenen zu selbstorganisierten
Strukturen nur dann funktioniert, wenn Organisationsmitglieder in der Lage sind,
bedürfnisorientiert, klar und empathisch zu kommunizieren.
Beschreibung: Kommunikationskompetenz umfasst Kompetenzen wie Sprachkom-
petenz, Präsentationskompetenz, Dialogfähigkeit, Kommunikationsbereitscha,
Konsens- und Kritikfähigkeit. Kommunikationskompetenz beinhaltet neben
A 3.3 Kompetenzfeld III: Organisationsbezogene Kompetenzen 93
93
sprachlichen Fähigkeiten zusätzlich auch Fähigkeiten im Bereich von Diskurs und
Dialog, die das Einnehmen unterschiedlicher Positionen im kommunikativen Mit-
einander erfordern und Akzeptanz sowie Weiterentwicklung befürworten. Dabei
stehen Informationszwecke sowie auch strategische Kommunikationsfähigkeiten
im Mittelpunkt, um in unterschiedlichen Kontexten und Situationen situativ an-
gemessen erfolgreich kommunikativ handlungsfähig zu sein.
Tabelle 1 stellt die einzelnen Future Skill Prole, dazugehörige Bezugskompetenzen
sowie die Beschreibungen der Kompetenzfelder noch einmal im Überblick dar.
94 A 3 Future Skills für die Welt von morgen
Tab . 1 Future Skills Kompetenzfelder und -prole im Überblick
ID Kompetenzfeld/ Future Skill
Prol/ Bezugskompetenzen
Beschreibung
ISubjekt-entwicklungsbezogene
Kompetenzen
Subjekt-entwicklungsbezogene Kompetenzen umfassen die Fähigkeiten im eigenen Profes-
sions-Umfeld subjektiv handlungsfähig und aus sich heraus, selbstgesteuert lernen und sich
entwickeln zu können. Dabei spielen eine hohe Autonomie, Selbstkompetenz, Selbstwirk-
samkeit und Leistungsmotivation eine wichtige Rolle.
1Lernkompetenz Lernkompetenz ist die Fähigkeit und Bereitscha zum Lernen, insbesondere zum selbstge-
steuerten Lernen. Sie erstreckt sich auch auf metakognitive Fähigkeiten.
1a Selbstgesteuertes Lernen
1b Metakognitive Fähigkeit
2Selbstwirksamkeit Selbstwirksamkeit ist die Überzeugung und das (Selbst-)Bewusstsein dafür, die zu bewälti-
genden Aufgaben mit den eignen Fähigkeiten umsetzen zu können, dabei Verantwortung zu
übernehmen und Entscheidungen treen zu können.
2a Selbstbewusstsein
3Selbstbestimmungskompetenz Selbstbestimmungskompetenz bezeichnet die Fähigkeit, im Spannungsverhältnis von Fremd-
und Selbstbestimmung produktiv zu agieren und sich Räume zur eigenen Autonomie und
Entwicklung zu schaen, sodass die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse in Freiheit und
selbstbestimmt angestrebt werden kann.
3a Autonomie
4Selbstkompetenz Selbstkompetenz ist die Fähigkeit, eigene persönliche und beruiche Entwicklung weitge-
hend unabhängig von äußeren Einüssen zu gestalten. Dazu gehören Teilkompetenzen wie
zum Beispiel selbständige Motivation, Zielsetzung, Planung, Zeitmanagement, Organisation,
Lernfähigkeit und Erfolgskontrolle durch Feedback, aber auch Cognitive Load Management
und eine hohe Eigenverantwortlichkeit.
4a Selbstmanagement
4b Selbstorganisationskompetenz
A 3.3 Kompetenzfeld III: Organisationsbezogene Kompetenzen 95
95
ID Kompetenzfeld/ Future Skill
Prol/ Bezugskompetenzen
Beschreibung
4c Eigenregulation
4d Cognitive Load Management
4e Eigenverantwortung
5Reexionskompetenz Reexionskompetenz umfasst die Bereitscha und Fähigkeit zur Reexion, also die Fähig-
keit, sich selbst und andere zum Zweck der konstruktiven Weiterentwicklung hinterfragen
zu können sowie zugrundeliegende Verhaltens-, Denk- und Wertesysteme zu erkennen und
deren Konsequenzen für Handlungen und Entscheidungen holistisch einschätzen können.
5a Kritisches Denken
5b Selbstreexionskompetenz
6Entscheidungskompetenz Entscheidungskompetenz ist die Fähigkeit, Entscheidungsnotwendigkeiten wahrzunehmen
sowie mögliche alternative Entscheidungen gegeneinander abzuwägen, eine Entscheidung zu
treen und diese auch zu verantworten.
6a Verantwortungsübernahme
7 Initiativ- und Leistungskom-
petenz
Initiativ- und Leistungskompetenz ist die Fähigkeit zur Selbstmotivation sowie der Wunsch,
etwas beizutragen. Beharrlichkeit und Zielorientierung formen die Leistungsmotivation. Zu-
sätzlich spielt ein positives Selbstkonzept eine Rolle, sodass Erfolge und Misserfolge in einer
Weise attribuiert werden, die nicht zur Senkung der Leistungsmotivation führen.
7a Motivation (intrinsische)
7b Eigenmotivation
7c Motivationsfähigkeit
7d Initiative
7e Leistungsbereitscha/-wille
96 A 3 Future Skills für die Welt von morgen
ID Kompetenzfeld/ Future Skill
Prol/ Bezugskompetenzen
Beschreibung
7f Engagement
7g Beharrlichkeit
7h Zielorientierung
8Ambiguitätskompetenz Ambiguitätskompetenz ist die Fähigkeit Vieldeutigkeit, Heterogenität und Unsicherheit zu
erkennen, zu verstehen und produktiv gestaltend damit umgehen sowie in unterschiedlichen
Rollen agieren zu können.
8a Umgang mit Unsicherheit
8b Umgang mit Heterogenität
8c Fähigkeit, in unterschiedlichen Rollen
zu agieren
9Ethische Kompetenz Ethische Kompetenz umfasst die Fähigkeit zur Wahrnehmung eines Sachverhalts bezie-
hungsweise einer Situation als ethisch relevant einschließlich ihrer begriichen, empirischen
und kontextuellen Prüfung (wahrnehmen), die Fähigkeit zur Formulierung von einschlä-
gigen präskriptiven Prämissen zusammen mit der Prüfung ihrer Einschlägigkeit, ihres
Gewichts, ihrer Begründung, ihrer Verbindlichkeit und ihrer Anwendungsbedingungen
(bewerten) sowie die Fähigkeit zur Urteilsbildung und der Prüfung ihrer logischen Konsis-
tenz, ihrer Anwendungsbedingungen und ihrer Alternativen (urteilen).
II Individuell-objektbezogene
Kompetenzen
In einer zweiten Gruppe von Kompetenzen benden sich sogenannte individuell-objektbe-
zogene Fähigkeiten. Dies sind Fähigkeiten, die sich darauf beziehen in Bezug auf bestimmte
Gegenstände, emen und Aufgabenstellungen kreativ, agil, analytisch und mit hohem
Systemverständnis zu agieren, auch unter hochgradig unsicheren und unbekannten Bedin-
gungen.
A 3.3 Kompetenzfeld III: Organisationsbezogene Kompetenzen 97
97
ID Kompetenzfeld/ Future Skill
Prol/ Bezugskompetenzen
Beschreibung
10 Design inking-Kompetenz Design inking-Kompetenz ist die Fähigkeit in einem gegebenen Kontext und in Bezug
auf einen bestimmten gegebenen Gegenstand (Objekt) kreativ Veränderungen anzustreben,
Rahmenbedingungen und Anforderungen des jeweiligen Kontexts wahrzunehmen und zu
analysieren, daraus Ideen zu generieren und Handlungen abzuleiten. Dabei spielen Interdis-
ziplinarität, die Fähigkeit zum Perspektivwechsel und Flexibilität in der Lösungssuche sowie
Oenheit verschiedenen Ansätzen gegenüber einer besonders wichtigen Rolle.
10a Flexibilität & Oenheit
10b Vielseitigkeit
10c Fähigkeit zum Perspektivwechsel
10d Interdisziplinarität
11 Innovationskompetenz Innovationskompetenz ist die Fähigkeit und Bereitscha zu experimentieren, und dabei
kreativ Neues und vorher Unbekanntes zu schaen, indem Assoziation, Dekonstruktion und
Konstruktion genutzt werden.
11a Kreativität
11b Innovatives Denken
11c Experimentierbereitscha
12 Systemkompetenz Systemkompetenz ist die Fähigkeit und Bereitscha, einzelne Phänomene als einem größeren
System zugehörig zu erkennen, Systemgrenzen und Teilsysteme sowohl zu identizieren als
auch sinnvoll zu bilden, die Funktionsweise von Systemen zu verstehen und aufgrund der
Kenntnis der Veränderungen einzelner Systemkomponenten Vorhersagen über die weitere
Entwicklung des Systems zu machen sowie deren Umsetzung und Anwendung in verschiede-
nen Situationen und Kontexten. Dazu gehört auch die Fähigkeit sich an Systembedingungen
anpassen zu können, um in einem System in gewünschtem Maße agieren zu können.
98 A 3 Future Skills für die Welt von morgen
ID Kompetenzfeld/ Future Skill
Prol/ Bezugskompetenzen
Beschreibung
12a Systems-inking
12b
Wissen über Wissensstrukturen
12c Navigationsfähigkeit in Wissensstruk-
turen
12d Vernetztes Denken
12e Analytische Kompetenz
12f Synergieherstellung
12g Anwendungskompetenz
12h Problemlösekompetenz
12i Anpassungsfähigkeit
13 Digitalkompetenz Digitalkompetenz ist die Fähigkeit, digitale Medien zu nutzen, produktiv gestaltend zu ent-
wickeln, für das eigene Leben einzusetzen und reektorisch analytisch ihre Wirkungsweise
zu verstehen sowie die Kenntnis über die Potenziale und Grenzen digitaler Medien und ihrer
Wirkungsweisen.
13a Medienkompetenz
13b Informationskompetenz
III Organisationsbezogene Kom-
petenzen
In einer dritten Gruppe benden sich Kompetenzen, die sich auf den Umgang mit der sozia-
len, organisationalen und institutionellen Umwelt beziehen. Hierzu gehören Fähigkeiten wie
Sinnstiung und Wertebezogenheit, die Fähigkeit, Zuküne gestaltend mitzubestimmen,
mit anderen zusammenzuarbeiten und zu kooperieren und in besonderer Weise kommuni-
kationsfähig, kritik- und konsensfähig zu sein.
A 3.3 Kompetenzfeld III: Organisationsbezogene Kompetenzen 99
99
ID Kompetenzfeld/ Future Skill
Prol/ Bezugskompetenzen
Beschreibung
14 Sensemaking Sensemaking (Sinnstiung) beschreibt den Prozess, mit dem Menschen, den über die Sinne
ungegliedert aufgenommenen Erlebnisstrom in sinnvolle Einheiten einordnen. Je nach
Einordnung der Erfahrung kann sich ein unterschiedlicher Sinn und damit eine andere
Erklärung für die aufgenommenen Erlebnisse ergeben. Es ist insbesondere die Fähigkeit, in
unterschiedlichen (organisationalen) Kontexten einerseits Strukturen und Werte zu erken-
nen und andererseits Erfahrungen und Wahrnehmungen produktiv und positiv in für sich
sinnvolle Bedeutungen zu gliedern.
14a Sinnstiung
14b Wertebezogenheit
15 Zukuns- und Gestaltungs-
kompetenz
Zukunskompetenz ist die Fähigkeit mit Mut zum Neuen, Veränderungsbereitscha und
Vorwärtsgewandtheit die derzeit gegebenen Situationen in andere, neue und bisher nicht
bekannte Zukunsvorstellungen weiterzuentwickeln und diese gestalterisch anzugehen.
15a Veränderungsbereitscha
15b Fähigkeit zur kontinuierlichen Verbes-
serung
15c Zukunsfokus
15d Mut zu Neuem
15e Entwicklungsbereitscha
15f Selbstherausforderung
16
Kooperationskompetenz Kooperationskompetenz ist die Fähigkeit zur Zusammenarbeit in Teams, auch interkulturell,
in Präsenzinteraktion oder durch Zuhilfenahme von Medien, innerhalb oder zwischen Or-
ganisationen, Zusammenarbeit so zu gestalten, dass bestehende Dierenzen in Gemeinsam-
keiten überführt werden können. Dabei spielen soziale Intelligenz, Oenheit und Beratungs-
kompetenz eine wichtige Rolle.
100 A 3 Future Skills für die Welt von morgen
ID Kompetenzfeld/ Future Skill
Prol/ Bezugskompetenzen
Beschreibung
16a Soziale Intelligenz
16b Teamfähigkeit
16c hrungskra als Coach
16d Interkulturelle Kompetenz (Organisa-
tionskultur)
16e Beratungskompetenz
17 Kommunikationskompetenz Kommunikationskompetenz umfasst neben sprachlichen Fähigkeiten auch Diskurs-, Dialog-
und strategische Kommunikationsfähigkeit, um in unterschiedlichen Kontexten und Situati-
onen situativ angemessen erfolgreich kommunikativ handlungsfähig zu sein.
17a Sprachkompetenz
17b Präsentationskompetenz
17c Dialogfähigkeit
17d Kommunikationsbereitscha
17e Konsensfähigkeit
17f Kritikfähigkeit
101
A 4
Reifegrad von Hochschulen
für Future Skills
A 4 Reifegrad von Hochschulen für Future Skills
Wie gut schaen es Hochschulen bereits heute, ihre Studierenden bei der Entwick-
lung von Future Skills zu unterstützen? In der NextSkills Stud ie wurden Expertinnen
und Experten befragt, wie t Hochschulen im Bereich der Future Skills sind. Die
Delphi-Befrag ten erhielten dazu eine Liste a ller Future Skills inklusive ihrer Beschrei-
bungen und wurden gebeten, deren Wichtigkeit für zukünige Hochschulbildung
einzuschätzen. Ferner sollten sie angeben, inwieweit Hochschulen derzeit in der
Lage seien, diese Skil ls bei ihren Studierenden zu fördern. Beide Variablen wurden
jeweils auf einer 5-stugen Likert-Skala erhoben, die zur Messung der Wichtigkeit
von 5 = „sehr wichtig“ bis 1 = „unwichtig“ und für die momentane Fähigkeit der
Hochschulen diese Skil ls auszubilden von 5 = „sehr gut“ bis 1 = „sehr gering“ reichte.
Um einen Überblick über die möglichen Diskrepanzen zwischen Wichtigkeit eines
Skills und Reifegrad dessen aktueller Förderung durch Hochschulen zu erhalten,
wurde das Delta der beiden Mittelwerte dieser Variablen berechnet.
A 4.1 Reifegrad für subjekt-entwicklungsbezogene
Kompetenzen
A 4.1 Reifegrad für subjekt-entwicklungsbezogene Kompetenzen
Unter subjekt-entwicklungsbezogenen Kompetenzen werden diejenigen Skills
verstanden, die ein Individuum dazu befähigen, auf Sachverhalte zu reagieren,
die mit ihm/ ihr selbst zu tun haben – so beispielsweise Reexion, Autonomie,
Selbstwirksamkeit, etc. Alle subjekt-entwicklungsbezogenen Kompetenzen wurden
vom Sample der Befragten als wichtig eingestu, wobei Autonomie (Selbstbestim-
mungskompetenz) und die Fähigkeit zur Reexion (Reexionskompetenz) als sogar
sehr wichtig erachtet wurden (M
Autonomy
= 4,53, SD
Autonomy
= 0,62; M
Ability to reect
= 4.50,
SDAbility to reect = 0,67). Außerdem zeigten die Daten, dass die Reexionskompetenz,
zusammen mit Selbstwirksamkeit und Leistungsbereitscha/-wille (Initiativ- und
© Der/die Autor(en) 2020
U.-D. Ehlers, Future Skills, Zukunft der Hochschulbildung – Future
Higher Education, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29297-3_6
102 A 4 Reifegrad von Hochschulen für Future Skills
Leistungskompetenz) – im Vergleich zu den a nderen subjekt-entwicklungsbezoge-
nen Kompetenzen – die momentan am besten durch die Hochschulen geförderten
Future Skills darstellen. Die Future Skill Prole Lernkompetenz (M = 4,48, SD =
0,69) und Entscheidungskompetenz (M = 4,46, SD = 0,72) belegten Platz zwei und
drei im Ranking der Wichtigkeit. Dies kontrastiert jedoch in hohem Maße mit der
Einschätzung zum Reifegrad der Hochschulen, diese Sk ills bei ihren Studierenden
zu fördern: Das hierfür berechnete Delta (siehe Abbildungen 15 und 16) zeigt, dass
sich die höchste Diskrepanz zwischen Wichtigkeit und momentanem Förderlevel
für die Lernkompetenz (Δ = 1,83) und die Selbstbestimmungskompetenz (Δ = 1,81)
ergeben – zwei derjenigen Skills, die als mit am wichtigsten eingestu worden waren.
Im Unterschied hierzu wurde die Initiativ- und Leistungskompetenz sowohl als
wichtig bewertet (M = 4,13, SD = 0,89), als auch dass ihre Förderung laut Meinung
der Expertinnen und Experten in akzeptablem Maße durch die Hochschulen
gefördert (M = 3,07, SD = 0,93).
Abb. 15 Subjekt-entwicklungsbezogene Kompetenzen: Wichtigkeit versus Fähigkeit von
Hochschulen Future Skills Entwicklung zu fördern (N = 46)15
15 Die ebenfalls zu den subjekt-entwicklungsbezogenen Kompetenzen gehörige ethische
Kompetenz wurde im Rahmen der Delphi-Studie nicht erfasst.
A 4.2 Reifegrad für individuell-objektbezogene Kompetenzen 103
103
Ein Blick auf die Diskrepanzen – dargestellt in Abbildung 16 – gibt Hinweise auf
den Grad der Dringlichkeit, mit der Konzepte entwickelt werden müssen, um die
Kompetenzentwicklung voranzutreiben. Die Kreise, welche die höchsten Deltas
ausweisen zeigen gleichermaßen das Maß der höchsten Dringlichkeit auf (Abbil-
dung 16 links), wohingegen die k leineren Deltas (Abbildung 16 rechts) auf weniger
dringliche Aspekte schließen lassen.
Abb. 16 Diskrepanzwerte für subjekt-entwicklungsbezogene Kompetenzen zwischen
Skill Wichtigkeit und deren Förderung durch Hochschulen (N = 46)16
A 4.2 Reifegrad für individuell-objektbezogene
Kompetenzen
A 4.2 Reifegrad für individuell-objektbezogene Kompetenzen
Individuell-objektbezogene Kompetenzen sind diejenigen Skills, die auf Fähigkeiten
des Individuums basieren, in unbekannten zukünigen Kontexten zu agieren, bei
denen aber nicht das Individuum selbst den Bezugspunkt darstellt, sondern ein
bestimmtes Objekt, auf welches sich die Handlung bezieht – beispielsweise eine
bestimmte Aufgabe.
16 Die ebenfalls zu den subjekt-entwicklungsbezogenen Kompetenzen gehörige Ethische
Kompetenz wurde im Rahmen der Delphi-Studie nicht erfasst.
104 A 4 Reifegrad von Hochschulen für Future Skills
Ab b. 17 Individuell-objektbezogene Kompetenzen: Wichtigkeit versus Fähigkeit von
Hochschulen Future Skills Entwicklung zu fördern17
Das Expert(inn)ensample bewertete alle Skills dieser Kategorie als wichtig. Am
wenigsten von Hochschulen gefördert werden – wie aus Abbildung 17 ersichtlich
– nach Meinung der Expertinnen und Experten Agilität (Systemkompetenz) (M =
2,53, SD = 0,87) und Kreat ivität (Innovationskompetenz) (M = 2,52, SD = 0,85). Dies
schlägt sich für beide Kompetenzen in Form der höchsten Diskrepanz zwischen
ihrer Wichtigkeit einerseits und der Förderung dieser Skills durch Hochschulen
andererseits nieder (siehe Abbildung 18).
Die Delphi-Befragten bewerteten die Digitalkompetenz als in akzeptablem
Maße gefördert (M = 2,93, SD = 1,03). Mit Blick auf die Häugkeitsverteilungen
zeigt sich jedoch, dass immerhin 40 Prozent der Expertinnen und Experten den
Reifegrad von Hochschulen diesen Skill bei ihren Absolventinnen und Absolventen
erfolgreich auszubilden, als gering oder sogar sehr gering einschätzten. Dagegen
halten 37,8 Prozent die Fähigkeit der Hochschulen in diesem Punkt für (sehr) gut.
17 Die ebenfalls zu den individuell-objektbezogenen Kompetenzen gehörige Design
inking-Kompetenz wurde im Rahmen der Delphi-Studie nicht erfasst.
A 4.3 Reifegrad für organisationsbezogene Kompetenzen 105
105
Abb. 18 Diskrepanzwerte für individuell-objektbezogene Kompetenzen zwischen
Skill Wichtigkeit und deren Förderung durch Hochschulen (NImportance = 44,
NSupport = 45)
A 4.3 Reifegrad für organisationsbezogene Kompetenzen
A 4.3 Reifegrad für organisationsbezogene Kompetenzen
Unter organisationsbezogenen Kompetenzen werden solche Skills gruppiert, die
dazu benötigt werden, um in organisationalen und sozialen Umwelten erfolgreich
agieren zu können.
Abb. 19 Organisationsbezogene Kompetenzen: Wichtigkeit (dunkelblaue Balken) versus
momentane Fähigkeit von Hochschulen Future Skills Entwicklung zu fördern
(hellblaue Balken) (N = 45)
106 A 4 Reifegrad von Hochschulen für Future Skills
Auch in dieser Sektion bewertete das internationale Expert(inn)ensample alle
Skills auf einem hohen Niveau als wichtig, wobei die Kooperationskompetenz mit
einem Mittelwert von 4,59 (SD = 0,67) und die Kommunikationskompetenz mit
einem Mittelwert von 4,67 (SD = 0,67) sogar als sehr wichtig eingestu wurden
(siehe Abbildung 19). Zudem schätzten die Expertinnen und Experten alle Skills
in dieser Kategorie als in akzeptablem Maße durch die Hochschulen gefördert ein,
wobei die beiden als am wichtigsten erachteten Skills – die Kooperations- und die
Kommunikationskompetenz – gleichzeitig auch als die am besten geförderten
Future Skills überhaupt eingeschätzt wurden.
Abb. 20 Diskrepanzwerte für organisationsbezogene Kompetenzen zwischen Skill
Wichtigkeit und deren momentaner Förderung durch Hochschulen (N = 45)
Die Expertinnen und Experten betonten, dass der Grad der Förderung von Future
Skills zwischen den Hochschulen, den unterschiedlichen Hochschularten und auch
in Abhängigkeit von Studiengängen und Lehrstilen Unterschiede aufweise. Auch
Studierende seien in Abhängigkeit von Alter, Persönlichkeit und Einstellung un-
terschiedlich bereit zur Entwicklung von Future Skills. In einer vom Stierverband
beauragten Studie zum ema Future Skills werden strategische Potenziale für
Hochschulen herausgestellt, mit denen die Dezite bei der Integration von Future
Skills in die Hochschullehre verbessert werden sollen (Meyer-Guckel et al. 2019):
Demnach stehen Hochschulen vor der Herausforderung, alle ihre Studierenden
auf eine digitalisierte Arbeitswelt vorzubereiten. Das erfordert von Hochschulen
neue Bildungsstrategien und erönet ihnen eine Reihe strategischer Potenzia le.
Derzeit mangelt es vor allem an Bildungsangeboten, die Zukunskompetenzen
vermitteln.
Bei der Vermittlung von Zukunskompetenzen werden Hochschulen für Un-
ternehmen immer bedeutender: Schon heute arbeitet laut Stierverband jedes
vierte Unternehmen mit Hochschulen zusammen, um seine Kompetenzbedarfe
zu decken. Tendenz steigend.
A 4.3 Reifegrad für organisationsbezogene Kompetenzen 107
107
Hochschulen brauchen Innovationen und mehr Ressourcen in ganz unter-
schiedlichen Bereichen. Dazu zählen die Konzipierung neuer Studiengänge,
die Weiterentwicklung bestehender Curricula, Vermittlung von Future Skills,
die Schaung neuer Lernumgebungen und agiler Innovationsräume sowie die
Positionierung von Hochschulen als Weiterbildungsanbieter für lebenslange
Lernprozesse.
109
Teil B
Forschungsstand, Theorie und
Organisationsmodelle
#in-a-nutshell
Tei l B des Buches widmet sich der Aufgabe, den Forschungsstand der Future Skills
Forschung aufzuarbeiten. Dazu gibt es derzeit weder im deutschsprachigen noch im
englischsprachigen Raum Vorlagen oder Literaturstudien. Kapitel B 1 stellt den For-
schungsstand dar, angefangen bei der verwandten Forschung zum ema Graduate
Attributes. In Kapitel B 2 wird der wesentliche theoretische Bezugsrahmen für die
Future Skills Forschung konstruiert und beschrieben. Dabei spielt die sog. „Dri-to-
Self Organisation“ eine besondere Rolle. Es wird erstma ls systematisch aufgearbeitet,
welche Beiträge Bezugstheorien aus einem breiten interdisziplinären Spektrum zur
Erklärung von Future Skills leisten. Hierfür werden theoretische Beiträge aus der System
-
theorie, Organisationstheorie, der Orga nisationssoziolog ie, der Managementtheorie,
der Physik sowie der Bildungstheorie analysiert. Kapitel B 3 stellt Grundprinzipien
dar, die der Konstruktion von Future Skills zugrunde liegen. Schließlich werden in
Kapitel B 4 Organisationsmodelle analysiert, die den „Dri-to-Self-Organisation
repräsentieren und deren Relevanz für die Bedeutung von Future Skills aufgezeigt.
110 A 4 Reifegrad von Hochschulen für Future Skills
Open Access Dieses Kapitel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0
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v (
111
B 1
Forschungsstand – old bottle, new wine?
B 1 Forschungsstand – old bottle, new wine?
In diesem Kapitel geht es darum, wie Future Skills deniert sind, was bestehende
Future Skills Ansätze umfassen, wie der Forschungsstand zu Future Skills und zu
wichtigen Begrien und Konzepten aussieht. Sind Future Skills etwas Neues oder
nur new wine in old bottles? „Old bottle, new wine“ ist der Titel eines Jazz Albums
vom Komponisten, Arrangeur und Pianisten Gil Evans aus dem Jahr 1958, in dem
er mit seiner Band berühmte Jazzstücke wie beispielsweise „Bird Feathers“ von
Charlie Parker neu interpretiert. Der Titel spielt mit der Idee, Altbekanntes noch
einmal in neuer Verpackung zu präsentieren. Auch bei dem Konzept der Future
Skills stellt sich die Frage: Was ist eigentlich dran, an dem neuen, populä ren Begri?
Was ist der wirkliche Gehalt des Konzeptes und was ist daran neu?
B 1.1 Zur Denition und zum Konzept von Future Skills
B 1.1 Zur Denition und zum Konzept von Future Skills
#Future Skills sind deniert als Kompetenzen, die es Individuen erlauben in hoch-
emergenten Organisations- und Praxiskontexten selbstorganisiert (erfolgreich)
handlungsfähig zu sein. Damit sind Future Skills im eigentliche Sinne Kompeten-
zen. Sie sind eingebettet in den Diskurs um das Ziel von Hochschulbildung und
Employability als Ziel jeglichen Bildungsprozess, der auf Beruichkeit jeglicher
Art hinzielt. Grundsätzlich gibt es zwei sich herausbildende Verständnisse und
Verwendungsweisen des Begries Future Skills: Eine additiv-anreicherungsori-
entierte, die Future Skills als Zusatzkomponenten für Bildungsprozesse versteht,
mit denen die eigentlichen Wissensvermittlungsvorgänge angereichert werden
müssten, damit Studierende für zukünige Tätigkeitsbereiches gut qualiziert
sind. Diese Sichtweise betont etwa die Bedeutung von digitalen Kompetenzen
oder auch sog. So-Skills wie Kommunikation oder Präsentationsfähigkeiten. In
der Diskussion um die Bedeutung dieser Fähigkeiten als zum bestehenden Cur-
© Der/die Autor(en) 2020
U.-D. Ehlers, Future Skills, Zukunft der Hochschulbildung – Future
Higher Education, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29297-3_7
112 B 1 Forschungsstand – old bottle, new wine?
riculum zusätzlich hinzuzufügende Fähigkeiten haben sich in den Hochschulen
in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts viele Zentren und Programme für
Schlüsselqualikationen gebildet. Vertreter dieser Sichtweise auf Future Skills in
Deutschland sind beispielsweise der Stierverband der Deutschen Wissenscha
mit der Future Skills Initiative.18
Zu dieser Sichtweise tritt in den letzten zehn Jahre verstärkt eine zweite Sicht-
weise, die der ersten mittlerweile konkurrierend gegenübersteht. In dieser zwei-
ten Sichtweise werden Future Skills in einer integrativen Weise aufgefasst. Dabei
wird eher der Bildungsprozess als Ganzes in den Blick genommen. In diesem
Verständnis zielt das Konzept der Future Skills darauf, Bildungsprozesse so zu
gestalten, dass Wissensvermittlung und die Entwicklung von Skills nicht als zwei
Additive, sondern als ein integratives Konzept gesehen wird. In dieser Sichtweise
sind Bildungsprozesse so zu gestalten, dass in Hochschullehrveranstaltungen
grundsätzlich die Entwicklung von Kompetenzen und nicht nur die Vermittlung
von Wissen angestrebt werden soll. Vertreter dieser Sichtweise auf Future Skills
sind, im Ausland die Universität Toronto mit einer kanadischen Future Skills
Initiative19, das World Economic Forum (WEF) mit einer Initiative zu „Skills for
the Future“20 oder die Organisation for Economic Co-operation and Development
(OECD) mit der Initiative Future of Education and Skills 203021. Unterschieden wird
hierbei omals noch in domänenspezische Kompetenzen und generische oder
domänenübergreifende Kompetenzen (siehe hierzu beispielsweise Villa Sánchez
& Poblete Ruiz 2008). Jedoch ist der Fokus dieser Sichtweise auf Future Skills die
Handlung eines Individuums, bzw. eines zukün igen Professionals. Handlung a ls
Bezugspunkt integriert dabei immer Bestände von Wissen, Motivation, Willen,
Haltung und Wertvorstellungen in ein komplexes Gefüge von Dispositionen, die
dann in einer Handlung als Performanz Ausdruck nden können.
Das NextSkills Projekt nimmt seinen Ausgang im zweiten der beschriebenen
Auassungen von Future Skills. Future Skills werden aufgefasst als Handlungsdis-
positionen, die sich in komplexen und unvorbereiteten zukünigen Handlungssi-
tuationen als (erfolgreiche) kompetente Handlung manifestiert.
Unabhängig von der Sichtweise ndet das Konzept der Future Skills in Hoch-
schulen eine ständig steigende Relevanz. Diese hat mit den bereits beschriebenen
Faktoren zu tun, und zusätzlich damit, dass Berufsausbildungen sich weltweit
zunehmend akademisieren und das Hochschulstudium daher in immer größerer
18 https://www.stierverband.org/future-skills
19 https://futureskillscanada.com
20 https://www.weforum.org/focus/skills-for-your-future
21 https://www.oecd.org/education/2030-project/
B 1.2 Zum Begrisumfeld des Future Skills Konzeptes 113
113
Weise gefragt ist, Employability und Fähigkeiten für einen gestaltenden Umgang
mit einer immer komplexer werdenden Umwelt zu vermitteln.
B 1.2 Zum Begrisumfeld des Future Skills Konzeptes
B 1.2 Zum Begrisumfeld des Future Skills Konzeptes
Der BegriFuture Skills ist ein neuer Kunstbegri, der so nicht im erziehungswis-
senschalichen oder organisationssoziologischen Umfeld verankert ist, weder in
der Lernpsychologischen Forschung noch in der Managementlehre auaucht. In
den folgenden Abschnitten wollen wir ihn begriich konstituieren und anhand
der Konzepte Bildung, Lernen, Kompetenz und Selbstorganisation bestimmen.
B 1.2.1 Bildungsbegriiche und lerntheoretische Einordnung
von Future Skills
Bildung und Lernen spielen im Future Skills Konzept eine konstitutive Rolle. Ler-
nen wird als eigenaktiver Prozess verstanden, der in sozial-ökologischen Räumen
statt ndet und durch diese gleichermaßen ermöglicht und begrenzt ist. Dabei wird
Lernen auch an den Ha ndlungsbegri gekoppelt verstanden und a ls Aktivität auf-
gefasst, die dazu dient, subjektiv empfundene Handlungsbarrieren zu überwinden,
eben durch Lernaktivitäten (Holzkamp 1993). Extern- bzw. fremdorganisiertem
Lernen (etwa durch vorgegebene, nicht unmittelbar subjektiv relevante) Curricula
können auch zu lernen führen, jedoch wird dieses mit Holzkamps (ebenda) sub-
jektiver Lerntheorie eher als defensives Lernen verstanden.
Klaus Holzkamps subjekt wissenschaliche Grundlegung des Lernens (1993) geht
von einer Analyse bisheriger lernpsychologischer eorien aus und kommt dabei zu
dem Schluss, dass das Subjekt in bisherigen Ansätzen nicht in ausreichendem Maße
als selbstgesteuertes Individuum repräsentiert ist. Er analysiert die bisherigen (psy-
chologischen) Herangehensweisen an das Konzept des Lernens a ls „Gleichsetzung
mit fremdkontrolliertem“ Lernen – und bezieht sich dabei auf behavioristische und
kognitivistische Lerntheorien. So ist nach Holzkamp die Vorstellung, das Subjekt
könnte ein Lebensinteresse am Lernen haben, in den von ihm analysierten Lern-
theorien nicht zu nden. Das zu Grunde liegende Problem ist nach Holzkamp der
„[…] Umstand, dass das Lernen als Problem vom wissenschalichen Standpunkt
des Lernsubjekts in den traditionellen Lerntheorien nicht vorkommt“ (Holzkamp
1993: 14). Es liegt nahe, dass hierin auch ein Grund dafür liegt, dass eorien zur
pädagogischen Qualität, die vom Lernsubjekt ausgehen, fehlen.
114 B 1 Forschungsstand – old bottle, new wine?
Auf diese Analyse auauend schlüsselt Holzkamp das Lernen vom Subjekt her
auf: Menschen erschließen sich demnach ihre Welt perspektivisch und mit inten-
tionalem Bezug; die Wirklichkeit wird dabei vom Subjekt im Zusammenhang mit
seinen Erfahrungen und Absichten gedeutet (vgl. Holzkamp 1993: 21). Das Subjekt
stellt damit ein „Intentionalitätszentrum“ dar, „das von seinem Standpunkt aus
auch andere Menschen als Intentionalitätszentren mit deren jeweils standpunkt-
abhängiger Perspektive/ Intentionalität erfährt“ (ebenda). Die Welt wird vom je
eigenen Standpunkt aus als bedeutungsvoll wahrgenommen. Diese Bedeutungen
werden zu Handlungsprämissen, auf deren Grundlage jeder Mensch aus für sich
vernünigen Gründen handelt (vgl. Holzkamp 1993: 26). Lernen wird als eine Art
von Handlung dargestellt, die sich von anderen Handlungen durch das Ziel, die
eigenen Verfügungsmöglichkeiten zu erweitern, unterscheidet.
Lernen ist ein f ür Bildung wichtiger und konstitutiver Prozess, der den Bildungs-
prozess unterstützen kann. Dabei wird Lernen nicht verstanden als hochschulisches
Lernen im Sinne eines vorgegebenen Curriculums, sondern als Aktivität des sich
bildenden Subjekts, d ie auch im Sinne von Sozialisation oder Entw icklung verstanden
werden kann. Bei beiden Vorgängen kann auch von Lernen gesprochen werden,
welches den Bildungsprozess befördert. Bildung in einem ganzheitlichen Sinne
wird dabei verstanden als das Bemühen, ein dreifaches Verhältnis auszubilden, zu
mir selber, zu einem Gegenstand und zur sozialen Umwelt. Es geht dabei darum,
dass ich als mich Bildender ein Verhältnis zu mir selber ausbilde und insofern in
eine kritische Distanz zu mir trete. Zweitens besteht es darin, dass ich in Bezug
auf einen Gegenstand, oder ein Fach ein Verhältnis ausbilde, es mir beispielsweise
aneigne, mich schlau mache, Wissen dazu erwerbe, mich qualiziere. Drittens geht
es um die Ausbildung eines Verhältnisses zwischen mir und der Umwelt, die sich
omals auch als engere Umwelt, also andere Menschen und soziale System in die
ich eingebunden bin darstellt. Oder die weitere Umwelt, meinen Arbeitsplatz, die
Organisation in der ich arbeite oder die Gesellscha. Keines dieser Pole steht für
sich alleine oder kann gesondert betrachtet werden, denn meine Fähigkeit, in der
jeweiligen Umwelt zu agieren wird wiederum durch meine Fähigkeiten in Bezug
auf einen Wissensbestand oder bestimmte Fertigkeiten geformt, und auch dadurch,
wie ich selber zu mir stehe, beispielsweise im Hinblick auf mein Selbstkonzept. Alle
drei Pole stehen also in einem Verhältnis miteinander. Der so gefasste Bildungsbe-
gri liefert eine Struktur mit drei Polen, die in Verhältnissen untereinanderstehen.
Diese Struktur entlässt uns jedoch nicht davon, uns die Pole, den Gegenstand, das
Selbst/ die Persönlichkeit, und die Umwelt/ Gesellscha selber anzusehen. Zwar
beeinussen sie sich alle gegenseitig im Bildungsverständnis und im Bildungsge-
schehen, jedoch ist es hilfreich, sich die drei Pole und die Entwicklungen dort in
den Blick zu nehmen.
B 1.2 Zum Begrisumfeld des Future Skills Konzeptes 115
115
In den NextSkills Untersuchungen zu Future Skills und zur Frage, was an Wissens-
und Kompetenzbeständen bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in zukünigen
Arbeitsumfeldern gegeben sein muss werden in allen drei Polen des Bildungsbe-
gries schematisch Wandlungstendenzen skizziert, die hier einmal aufgegrien
werden sollen. In Bezug auf die subjektive Dimension wird hervorgehoben, dass
Selbstentwicklung, Autonomie und Reexion wichtiger werden denn je, in Bezug
auf die Objektdimension wird her vorgehoben, dass es einen Wandel vom objektiven
Wissen hin zu sich schnell wandelnden Wissensbeständen gibt, so dass ein relativer
Verfall – gewissermaßen inationär – der Bedeutung dieser Dimension in ihrem
Anteil an erfolgreiche Lösungen konstatiert wird. In Bezug auf die Umwelt/ soziale
Dimension wird angemerkt, dass Organisationen sich im umfassenden Wandel
innerer Organisation und Strukturbildung benden, der durch umweltbedingte
Megatrends ausgelöst (Demographischer Wandel, Digita lisierung, Globalisierung,
Vernetzung) wird.
In Bezug auf die Frage, welche zukün igen Kompetenzen nun wichtig erscheinen
muss zunächst einmal festgehalten werden, dass sich die Struktur des so skizzier-
ten Bildungsbegries nicht ändert, vielmehr die inhaltliche Ausprägung der drei
Pole, die in der Struktur zusammenwirken. Die für die Bewältigung zuküniger
Aufgaben wichtigen Kompetenzen ergeben sich also im Verhältnis der sich voll-
ziehenden Wandlungen. Zusätzlich tritt das Moment der Selbstorganisation hinzu,
welches als grundlegende Anforderung und Bestimmungsgröße für kompetentes
handeln Bedeutung hat.
B 1.2.2 Der Kompetenzbegri und Future Skills
Welche Rolle spielt Kompetenz für Future Skills? Was ist der Zweck eines univer-
sitären Studiums? Bildung durch Wissenscha oder Kompetenzentwicklung für
den Beruf? Oder beides? Kompetenzorientierung ist zum Zauberwort für Lehren
und Prüfen und damit auch für die Gestaltung von Studiengängen geworden.
Dabei lässt sich Bildung sich nicht auf abprüare Kompetenzen reduzieren. Ein
Hochschulstudium muss beides bieten: Möglichkeiten zum Erwerb von fachlichen
und überfachlichen Kompetenzen, die sich als solche überprüfen lassen, und
Gelegenheiten für Bildung durch Wissenscha, die sich als Ganzes der Kontrolle
weitgehend entzieht (Reinmann 2014).
Future Skills sind eine bestimmte Prolierung von bestehenden Kompetenz-
vorstellungen. Dabei gehen wir davon aus, dass Future Skills in besonderer Weise
Kompetenzen beinhalten, die für zukünige Handlungssituationen von Bedeutung
sind. Was jemand dann dabei kann wird in Abhängigkeit von seiner persönlich
116 B 1 Forschungsstand – old bottle, new wine?
emotional wertbezogenen Verfasstheit, vom jeweiligen Wissens- und Kenntnis-
stand und davon, wie er es in Bezug auf seine Umwelt einbringen kann bzw. wie
seine Umwelt ihn in seinem Tun auch bereichern kann (siehe dazu auch Abbildung
11). Genau dieses Verständnis ist in dem Begri der Kompetenz angelegt, wie ihn
Erpenbeck et al. (2007) fasst. Im Mittelunkt steht dabei die Handlung, also das
Agieren. Kompetenz als Konzept bezieht sich darauf, die Handlungsfähigkeit
nicht nur in Abhängigkeit von Kenntnissen und Wissen zu sehen, sondern eben
auch in Abhängigkeit der eigenen persönliche Werte, Einstellungen, Meinungen
und Emotionen zu verstehen. Und drittens auf das Handlungssystem, in dem ich
handele, also den Handlungskontext, in dem eine Handlung vollzogen werden soll,
also der Handlungsumwelt. Kompetenz sind dabei nicht umwelt- oder kontext-
neutral, sondern beziehen sich immer auf einen bestimmten Kontext. Ein Beispiel
ist die Kompetenz zu kommunizieren, die nicht kontextfrei verfügbar ist, sondern
sich im Rahmen eines Geschäsumfeldes anders gestalten kann als im Rahmen
eines privaten Umfeldes. Nun kommt in Bezug auf Kompetenz noch eine weitere
Dimension hinzu, die der Selbstorganisation.
B 1.2.3 Das Konzept der Selbstorganisation
Selbstorganisation ist ein Ankerkonzept für Future Skills. Selbstorganisation als
Konzept ist von Heinrich Haken zum ersten Mal wissenschalich systematisch
formuliert worden. Als Physiker bezieht er sich dabei auf die Fähigkeit von Teilchen-
systemen selbstständig Ordnungen und Strukturen zu bilden. Er penbeck entwickelt
diese Begriichkeit konsequent für das Feld der Kompetenzentwicklung weiter
und benennt Selbstorganisation als eines der zentralen Merkmale von Kompetenz.
Gewissermaßen ist Selbstorganisation damit eine unabdingbare Metadimension
zu den drei genannten Dimensionen. Erst die Selbstorganisation als Metakategorie
macht den Bildungsbergri als Kompetenzkonzept fruchtbar.
Selbstorganisation ist gewissermaßen die vierte Dimension im dreifachen
Struktur verhältnis des oben genannten Bildungsbegries. Das Monet der Selbstor-
ganisation beeinusst die jeweiligen Pole des Bildungsbegries und verändert so
als Anforderung den Inhalt des Bildungsprozesses. Selbstorganisation in diesem
Sinne kann nicht nur als Strukturbedingung eines jeden zukünigen Bildungs-
vorganges verstanden werden, sondern auch als wichtiges normatives Element im
Bildungsvorgang, welches die unterschiedlichen Bestandtei le neu inhaltlich auädt.
In Bezug auf Organisationen, Umwelt soziale Systeme bedeutet Selbstorganisation
ein geringer werdender Einuss hierarchisch, vorgegeben systemgrößten. In Bezug
auf den Pol der Objekte von Bildungsbemühungen bedeutet Selbstorganisation als
B 1.3 Stand der Dinge in der Future Skills Forschung 117
117
normative Orientierung, weniger vorgegebene kanonische Bildungsobjekte vorzuse-
hen, und in Bezug auf die subjekt ive Dimension des struk turellen Bildungsbegries
übersetzt sich Selbstorganisation in Selbstbestimmung und Autonomie und weniger
fest bestimmte subjektive Verhaltens- und Lebensmuster.
Es sind die strukturellen Bedingungen, aus denen heraus die Kompetenzen
deniert werden können, die Menschen zukünig im Arbeits-, Privat- und Ge-
sellschasleben in ihren Handlungen befähigen werden.
Darüber, was gelernt werden soll wird seit jeher gestritten. Unstrittig ist jedoch,
der Entwurf einer Bildung zur Selbstbestimmung. Selbstbestimmung ist seit jeher
ein wichtiges Ziel jeder Bildung in einer humanen, demokratischen Gesellscha.
Wenn man anerkennt, dass eines der allgemeinen Ziele einer humanen und demo-
kratischen Erziehung – unter den Bedingungen unserer historischen Epoche – die
Befähigung des jungen Menschen sein muss, in einem möglichst hohen Grade sich
selbst bestimmen zu können, abgekürzt also Befähigung zur Selbstbestimmung,
dann muss man zugleich Selbsttätigkeit als notwendiges pädagogisches Prinzip
anerkennen (Klai 2003). Dabei muss betont werden, dass Selbstbestimmung nicht
subjektivistisch verstanden werden darf, sondern immer unter dem Gesichtspun kt
der verantwortlichen Bezogenheit des einzelnen Menschen auf seine Mitmenschen,
auf Kultur, Gesellscha und Politik (ebenda).
B 1.3 Stand der Dinge in der Future Skills Forschung
B 1.3 Stand der Dinge in der Future Skills Forschung
Was sind die wesentlichen Ergebnisse bisheriger Forschungen zum emenfeld Fu-
ture Skills? Die Forschung zum ema Future Skills gliedert sich in z wei verschiedene
Bereiche: Zum einen in Forschungsarbeiten – Entwick lung von Rahmen konzeptionen
oder empirische Analysen von Anforderungen sowie Analysen von akademischen
Curricula – zum ema Graduate Attributes mit einem Höhepunkt in den 1990er
Jahren. Zum anderen – gerade in jüngster Zeit, auommend seit den 2000er Jah-
ren – zum ema Future Skills oder 21st Centur y Skills.22 Ein weiterer, verwandter
Forschungsbereich ist der Bereich der sogenannten Employability-Forschung,
22 Eine Recherche im Web of Science nach dem Begri „21st century competences“ und
„21st centur y skills“ fü hrte zu folgendem Ergebni s: Drei akademisc he Verö entl ichungen
für die Jahre 2000–2003, eine für die Jahre 2004–2007 und 19 für die Jahre 2008–2010,
für die Jahre 2011–2014 158 und für die Jahre 2015–2019 299, allein Im Jahr 2019 39
Publikationen. Publikationen im Education Resource Center (ERIC) zeigen ein ähnli-
ches Ergebni s: Für das Jahr 77 Publikat ionen, seit 2018 143 Publi kationen, seit 2015 309
Publikationen, seit 468 Publikationen und seit 2000 511 Publikationen.
118 B 1 Forschungsstand – old bottle, new wine?
der seit den 2010er Jahren international boomt. Unsere Analyse des vorliegenden
Forschungsstandes bezieht die meistzitierten Forschungsveröentlichungen zum
ema Future Skills und Graduate Attributes aus den Jahren 2010–2019 mit ein.
Zusätzlich haben wir mehr als 40 vorliegende Future Skills Konzeptionen ana lysiert,
und auf deren inhaltliche Spannweite, sowie die genutzten Kategorien untersucht
und vergleichend analysiert (siehe Kapitel B 1.4 Kritische Analyse bestehender
Future Skills Konzeptionen). In breiten Linien lassen sich die Forschungsarbeiten
der letzten 20 Jahre zu beiden emen folgendermaßen zusammenfassen:
1.
Forschung im Bereich der Graduate Attributes konzentriert sich darauf, zu
ermitteln, welche Kompetenzen – als Attribute der Absolventinnen und Ab-
solventen – besondere Relevanz besitzen bei deren späterem Erfolg auf dem
Arbeitsmarkt. Abseits davon wird beforscht, welche Lehr-Lern-Strategien sich
zur Entwicklung solcher Attribute besonders eignen, sowohl hochschuldidak-
tischer als auch curricularer Art. Trevleavan und Voola (2008) benennen nach
ihrer Literaturdurchsicht elf verschiedene Begrier Graduate attributes: key
skills, key competencies, transferable skills, graduate attributes, employability
skil ls (Curtis & McKenzie 2001), so skills (BIHECC 2007; Freeman et al. 20 08);
graduate capabilities (Bowden et al. 2000); generic graduate attributes (Barrie &
Ginns 2004, Bowden et al. 2000); professional sk ills, personal transferable skills
(Drummond et al. 1998); generic competencies (Tuning Report 2008). Rigby et
al. (2009) fassen diese synonym verwendeten Begrie unter dem Überbegri der
„graduate skills“ zusammen. Sie beziehen sich damit auf solche Skills, die nicht
nur für die beruiche Entwicklung relevant sind, sondern auch und vor allem
die persönliche Entwick lung und die ganzheitliche Ausbildung des Individuums
zu einem engagierten Mitglied der Gesellscha fokussieren (ebenda: 4).
2. Employability, im Sinne von (lebenslanger) Beschäigungsfähigkeit, lässt sich
wissenschalich denieren und empirisch untersuchen. Dabei können Kom-
petenzen und Sk ills bestimmt werden, die für Employability Relevanz besitzen.
(Forschung zeigt, dass Graduate Attributes wichtig für Employability sind)
a. In einer vergleichenden Literaturanalyser die Jahre von 2006 bis 2014
sammelten beispielsweise Osmani und Kollegen (2015) ein 53 Graduate
Attributes – umfassendes Set aus insgesamt 39 analysierten Studien.
b. Die australische Chamber of Commerce and Industry hat in Kooperation mit
dem Business Council of Australia ein Set an Kompetenzen und personalen
Attributen identiziert, welche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach
zu urteilen mit höheren Leistungen auf der Arbeit korrelierten (2000).
c. Der NCVER Report (2003) setzt Graduate Attributes zu Employability in
Beziehung und kommt zu dem Schluss, dass Absolventinnen und Absolven-
B 1.3 Stand der Dinge in der Future Skills Forschung 119
119
ten, die Graduate Attributes auf weisen, einen Wettbewerbsvorteil gegenüber
Mitstreiterinnen und Mitstreitern mit schwach oder gering ausgeprägten
Kompetenzniveaus im Hinblick auf Graduate Attributes haben.
3.
Diejenigen Kompetenzen oder Skills, die für Employability besondere Relevanz
besitzen sind o überfachlicher Natur und werden als generische Kompetenzen,
überfachliche Kompetenzen, Schlüsselkompetenz oder So-Skills bezeichnet.
a. Auf dem Arbeitsmarkt ndet ein Wandel statt (Jackson 2014; James et al.
2004), der sich nun in den Curricula der Hochschulen niederschlagen sollte.
Rigby et al. (2009) sprechen hierbei von einer notwendigen Verschiebung des
curricularen Fokus weg von reinem Inhaltswissen, hin zu Prozesswissen.
Dieser Wandel wirkt sich denn auch auf eine veränderte Pädagogik aus: Das
Wissensvermittlungsparadigma soll um konstruktivistische Lehr-/Lernmo-
delle angereichert werden (Rigby et al. 2009: 5), was sich laut Tenenbaum et
al. (2001) jedoch in der Prax is trotz curricu larer Verankerung nicht notwen-
digerweise abbildet. Hauptursache hierfür mag vielfach die Unsicherheit des
Lehrpersonals sein: Wer soll Graduate Attributes wie vermitteln und welche
Methoden können zur Bewertung genutzt werden? (Freeman et al. 2008).
b. Wie Forschungsarbeiten belegen, müssen Absolventinnen und Absolventen
nicht nur Graduate Attributes im Sinne von Fertigkeiten entwickeln, son-
dern ebenso die Bereitscha und den Willen, diese in der Praxis anwenden
zu können (Trevleavan & Voola 2008; Hoban et al. 2004; Kember & Leung
2005).
c. Rigby et al. (2009) zur Folge besteht das Kernproblem für eine Verankerung
von Graduate Attributes in Hochschul-Curricula darin, dass bislang zwei
widersetzliche Meinungen in der Literatur existieren, wie Graduate Attribu-
tes am besten vermittelt werden können: 1) Graduate Attributes zusammen
mit fachlichen Kursinhalten schulen, wobei die zu trainierenden Graduate
Attributes im jeweiligen Disziplinkontext relevant sein sollten (Barrie &
Ginns 2004; Sin & Reid 2005; ompson et al. 2008; Bowden et al. 2000;
Star & Hammer 2007; Drummond et al. 1998; Bath et al. 2004). 2) Graduate
Attributes Disziplinen – unabhängig in separaten Kursformaten vermit-
teln (Cranmer 2006). Während der erste Ansatz davon ausgeht, dass sich
Lehrformen zugunsten geänderter Nachfragen des Marktes ändern müssen
(Biggs 2003), sucht letzterer in Form eines Baukasten-Prinzips Skill-Dezite
einzelner Studierender nachzurüsten, ohne dabei die Notwendigkeit in verän-
derten Lehrkonzeptionen zu fokussieren. Osmani et al. (2015) schlagen einen
„Dopplungsansatz“ vor, welcher vorsieht, Graduate Attributes einerseits im
Curriculum zu verankern (1), andererseits und darüber hinaus zusätzliche
Employability-Programme und oder Workshops anzubieten.
120 B 1 Forschungsstand – old bottle, new wine?
4.
Es kann festgestellt werden, dass generell ein Dezit bei den Curricula der
Hochschulen dahingehend besteht, diese auf die Förderung von besonders
employability-relevanten Kompetenzen auszurichten.
a. Finch, Hamilton, Baldwin und Zehner (2013) identizierten in ihrer Studie
Faktoren, welche einen Einuss auf die Employability von Absolventinnen
und Absolventen haben, wobei sich zeigte, dass Arbeitgeber den sogenannten
So Skil ls am meisten Bedeutung zumaßen; akademische Reputation wurde
als am unbedeutendsten eingestu. Ähnliches ndet sich auch in den Studie-
nergebnissen von beispielsweise Daud et al. (2011) oder Finch et al. (2013).
b. Im Report zur Zufriedenheit von Arbeitgebern mit dem Level von Graduate
Attributes bei i hren Angestellten, zeigen Hager et a l. (2002) auf, dass die Leis-
tungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nur als „angemessen“ evaluiert
wurden. Dies ist als Fingerzeig in Richtung der Hochschulen aufzufassen,
welche es bislang versäumt haben, die für den Markt k ritischen Kompetenzen
in angemessener Weise bei ihren Absolventen zu schulen.
c. Rigby et a l. sprechen in diesem Zusammenhang auch von einem „implemen-
tation gap“ (2009: 8), Osmani et al. (2015) betiteln diese als „broad mismatch“
(siehe ebenda 367).
d. Tran (2015) zufolge sind Hochschulabsolventen schlecht auf den Arbeitsmarkt
und dessen Anforderungen vorbereitet, da Curricula häug veraltet oder
irrelevant seien.
e. Studienergebnisse von Gibbs et al (2011) sowie Stone, Lightbody und Whait
(2013) legen nahe, dass Kooperation und Dia log zwischen Stakeholdern (Hoch-
schulen, Arbeitgeber, Studierende, …) der Schlüssel dafür ist, Skill-Bedarfe
und -Schulungsangebote adäquat auszuloten und miteinander in Einklang
zu bringen. Zu diesem Schluss kommen auch Daud et al. (2011), die in ihrer
Studie eine Lücke zwischen den von Arbeitgeberseite geforderten Graduate
Attributes der Absolventen eines Business- und Managementstudiums
und der Performance dieser Absolventen nach ihrem Studium aufdeckten.
Daher sollte – so der Schluss der Autoren – Curriculum-Design immer die
Perspektive des Arbeitnehmers mitberücksichtigen und die Frage danach
stellen, welche Kompetenzen künige Absolventinnen und Absolventen in
ihrem späteren Arbeitsfeld benötigen.
f. Dewey und Kollegen (2008) analysierten die Erwartungslücke zwischen Kom-
petenzen, die Absolventinnen und Absolventen eines Graduiertenkollegs nach
ihrem Studium aufwiesen und verglichen sie mit denjenigen Kompetenzen,
die von den Arbeitgebern als wichtig erachtet wurden. Es zeigte sich, dass
es Diskrepanzen zwischen der Erwartungshaltung der Arbeitnehmerinnen
B 1.3 Stand der Dinge in der Future Skills Forschung 121
121
und Arbeitnehmern und den im Ausbildungsprogramm vermittelten Kom-
petenzen der Schule gab.
g. In der US-Literatur wird die Lücke zwischen den durch die Industrie nach-
gefragten und den an Hochschulen gelehrten Skills durch eine Reihe von
empirischen Studien belegt (z. B. Aasheim, Williams & Butler (2009); Cox et
al. (2013); Koppi et al. (2009); Koppi et al. (2009)). Koppi und Kollegen (2009)
untersuchten beispielweise, wie das Curriculum von US-Bachelor-Studie-
renden besser an die Anforderungen des Arbeitsmarktes angepasst werden
könnte. Dabei zeigte sich, dass nicht die Aueilung von Wirtschas- und
Technik-Kursen einer Adjustierung bedure, sondern dass das Curriculum
stattdessen verstärkt darauf ausgerichtet werden sollte, Kommunikations-
und Teamarbeits-Skills in den Fokus zu stellen.
5. 21st Century oder Future Skills sind ein erst in jüngerer Zeit durch das Wor-
ld-Economic Forum, die U NESCO, die Europäische Kommission oder die OECD
aufgekommener Forschungsgegenstand, der sich mit der Frage beschäigt,
welche Graduate Attributes besondere Relevanz besitzen, um in einer sich zu-
nehmend globalisierten und digitalisierten Welt gesellschalich gestalterisch,
verantwortungsvoll, nachhaltig und im Sinne der Millennium-, bzw. Sustainable
Development Goals zu agieren (Osmani et al. 2015; Rigby et al. 2009).
Die Einbettung und Integration eektiver Skill Entwicklung wird trotz der be-
reits Jahre andauernden Diskussion und Forschung immer noch als „dicult to
operationalize eectively“ (Drummond, Nixon, & Wil kshire (1998: 21) bewertet.
6. Die aus den letzten 10 Jahren vorliegenden Ansätze zu 21st century skills und
aus den letzten 5 Jahren vorliegenden Ansätze zu Future Skills sind vielfach
orientiert an der Gestaltung von politischen Rahmenempfehlungen, und sind
nicht immer empirisch fundiert oder basieren lediglich auf einer sektoralen
Datenerhebung. Daher besitzen Studien, wie die vorliegende, die Future Skills
empirisch operationalisieren besondere Relevanz, um diese Lücke zu schließen.
7. Die vorliegenden Ansätze bestehen in der Regel aus Listen von mehr oder we-
niger wichtigen Fähigkeiten, jedoch basieren die Ansätze nicht auf fundierten
kompetenztheoretischen Ansätzen (Barrie 2004; Clanchy & Ballard 1995; Sin
& Reid 2005). Es ndet keine Modellbildung statt, die ermöglicht, die Modelle
hinsichtlich ihrer Substanz und Reichweite kritisch einzuordnen.
8. Bei den meisten der vorliegenden Ansätze wird deutlich, dass sie weit darüber
hinaus gehen, aufzulisten, was Absolventinnen und Absolventen wissen sollten
(Wissen) und zu tun in der Lage sein sollten (Fähigkeiten) und sich darüber
hinaus auf einen großen Bereich von persönlichen Charakteristika beziehen
(Rigby et al. 2009). Rigby et al. (2009) fassen daher unter Graduate Attributes
122 B 1 Forschungsstand – old bottle, new wine?
nicht nur einzelne Skill Komponenten, sondern auch Einstellungen, Werte,
Dispositionen, Fähigkeiten und Kompetenzen von Individuen.
9. Ein interessanter Ansatz ist dabei, Attribute und Skills für Employability nicht
als Listen von Eigenschaen und Fähigkeiten zu verstehen, sondern in einem
weiteren Sinne als Teil der Identität zu fassen, die im Rahmen von akademischen
Studien ganzheitlich entwickelt werden soll. Diese Ansätze beziehen sich vor
allem auf Bourdieu (z. B. 1986 1990) und beziehen Habitus (Interna lisierung von
kulturellen Normen) und Kapital (soziales, kulturelles und ökonomisches Kapital)
als Komponenten mit ein. Diese Ansätze fokussieren nicht auf die Aneignung
von einzelnen aufzulistenden Skills, sondern vielmehr darauf, Studierende bei
der Transformation in ihre professionelle Rolle im Berufsleben zu begleiten.
Diese mehr ganzheitlichen Ansätze erscheinen vielversprechend, sind aber
noch selten. Osmani und Kollegen (2015) sprechen sich deshalb auch dafür aus,
Graduate Attributes in die hochschulischen Curricu la mit aufzunehmen, um den
Anforderungen der Arbeitswelt von morgen bestmöglich begegnen zu können.
B 1.4 Kritische Analyse bestehender Future Skills
Konzeptionen
B 1.4 Kritische Analyse bestehender Future Skills Konzeptionen
Welche Future Skills Modelle und Konzeptionen gibt es derzeit und wie sind diese
aufgebaut? Eine Recherche zu den derzeit verfügbaren Future Skills Ansätzen, Mo-
dellen und Konzeptionen kann nur unvollständig bleiben. Zu dy namisch ist dieser
Bereich und zu divers die Verständnisse davon, was zu Future Skills dazu gehört, was
vielleicht als 21st Century bezeichnet wird, aber eigentlich Future Skills meint oder
was sich auf bestimmte Bildungssektoren – etwa Schule, Lehrerbildung, Hochschu-
le, einzelne Hochschuldisziplinen, etwa dem Ingenieurwesen (beispielsweise Der
Ingenieur/ die Ingenieurin 4.0) oder Wirtscha (beispielsweise Leadership Skills für
Managerinnen und Manager) – oder inhaltliche Domänen, wie beispielsweise MINT/
STEM Skills bezieht.23 Ein in haltlich-analytischer Vergleich der Ansätze ist aufgrund
dieser Heterogenität nicht sinnvoll. Die Ansätze können jedoch anhand eines ein-
heitlichen Kriterienrasters von Ski lls nebeneinander vergleichend dargestellt werden,
um einen Eindruck von Umfang und Abdeckung der jeweiligen Ansätze zu bekom-
men. Um diese Kriterienraster zu erhalten, wurde eine Metanalyse durchgeführt.
23 STEM kommt aus dem Eng lischen und bedeute t Science, Technology, Engineer ing und
Mathematics. Vergleichbar zum engl. STEM ist das deutsche Akronym MINT, welche
sich auf Mathematik, Informatik, Naturwissenscha und Technik bezieht.
B 1.4 Kritische Analyse bestehender Future Skills Konzeptionen 123
123
Tab . 2 Vergleichende Analyse bestehender Future Skills Modelle (Quellen siehe
Literaturverzeichnis)
124 B 1 Forschungsstand – old bottle, new wine?
Dazu wurde folgendermaßen vorgega ngen: Unter Zuhilfenahme von den Schlag-
wörtern „Future Skills “, „21st Century Skill“, „Future Learning“, „Future Higher
Education“ konnten zunächst 41 Modelle, Ansätze, politische Positionspapiere
und Konzeptionen ermittelt werden, die innerhalb des Zeitraums zwischen 2012
und 2019 publiziert wurden. In die Analyse wurden dabei ausschließlich explizite
und konkrete Konzeptionen einbezogen, die Skill-Beschreibungen und Listen von
Fähigkeiten enthielten. Rein t heoretische Konzeptionen wurden in dieser Analyse
nicht berücksichtigt. Sie sind Gegenstand der Analyse in Kapitel B 1.3.
Im nächsten Schritt wurde eine Longlist erstellt, die alle Sk ill Items aller 41 Skill
Ansätze enthielt. Sie resultierte in insgesamt 199 Items. Diese wurden mittels einer
inhaltsanalytischen Vorgehensweise durch Paraphrasierung sowie Ermittlung und
Vereinheitlichung von Doppelnennungen harmonisiert. Dadurch konnten die 199
Items auf 33 Items reduziert werden, die in Formulierungstiefe und Konzeptbreite
geeignet waren, als Kategorienraster bzw. Vergleichskriterien für die zuvor ermittelte
Gesamtliste der 199 Items zu fungieren. Die 33 Vergleichskriterien wurden dann
in einem weiteren Schritt inhaltlich in die drei Kategorien eingeteilt, die im Tr i ple
Helix-Modell für Future Skills konstruiert wurden – also Sills, die sich auf subjek-
tiv-individuelle Fähigkeiten, wie beispielsweise Reexionsfähigkeit beziehen, solche,
die sich auf Gegenstände, Objekte bzw. inhaltliche Expertisebereiche beziehen, wie
beispielsweise STEM Kompetenzen (objektbezogene Kompetenzen), und solche,
die sich auf Kompetenzen im Umgang mit der sozialen Umwelt beziehen, hier als
organisationsbezogene Kompetenzen bezeichnet (siehe Tabelle 2).
Im nächsten Analyseschritt wurden wurde 17 aus den 41 Skill Ansätzen ausge-
wählt, die in die vergleichende Darstellung mit einbezogen werden sollten. Dabei
wurden aus den zuvor zugrunde gelegten Skill Konzeptionen, Ansätzen und Mo-
dellen solche Ansätze mit einbezogen, die explizit Future Skill Listen enthielten.
Diese wurden dann anhand der 33 Kriterien miteinander vergleichend dargestellt.
Das Ergebnis ist in Tabelle 2 dargestel lt. Die Future Skills, die am häugsten in den
miteinander verglichenen Ansätzen zu sehen sind, sind – mit jeweils mehr als 5
Nennungen – folgende Skills:
Creativity
Analytical and critical thinking
Intercultural knowledge and understanding
Learning skills
Action & Initative
Taking Responsibilty
Digital & Data Literacy
STEM skills, complex problem solving
B 1.4 Kritische Analyse bestehender Future Skills Konzeptionen 125
125
Communication skills (language, symbols, texts)
Co-operation skills
Teamwor k
Leadership skills
Networking skills
Context awareness and adaptibility
Ability to interact appropriately and eectively
127
B 2
Theoretische Grundlagen für Future Skills
oder die „Drift to Self-Organisation
B 2 Theoretische Grundlagen für Future Skills
Eine Vielza hl von theoretischen Bezügen aus verschiedenen Wissenschasdisziplinen
können die zunehmende Bedeutung von Future Skills, als Handlungsfähigkeit in
emergenten Kontexten erklären. Das Zusammenwirken komplexer Systeme führt
zu Selbstorganisation und Systemveränderung. Wir bezeichnen diese Entwicklung
als „Dri to Self-Organisation. Diese Systemveränderungen sind davon gekenn-
zeichnet, dass sie nicht linear auf den vorherigen Zustand zurückzuführen sind
und nicht deterministisch zustande kommen, also keine Vorhersagen getroen
werden können. Vernetzung durch digitale Medien, globales Zusammenwirken
und der Überschuss von Informationen durch die Digitalisierung führen zu
schnelleren Veränderungen auf der Ebene der sozia len Organisationen die sich auf
allen Ebenen der Makro-, Meso- und Mikroebene noch einmal selbst verstärken
und beschleunigen. Der Zusammenhang der Ökosystemebenen führt dabei zur
Beschleunigung selbstorganisierter Veränderung.
Future Skills ist ein schillernder Begri, der derzeit Konjunktur hat, mehr durch
seine programmatische Wirkung als durch seine konzeptuelle Kra. Insofern ist
er durchaus mit Begrien wie Lebenslanges Lernen, E-Learning, Kompetenz oder
Digitalisierung vergleichbar. Alles Begrie, die o für breite Entwicklungen standen
und ganze Bündel theoretisch-konzeptioneller Bestandteile in sich verein(t)en.
Betrachtet man die derzeitige Forschung zum ema Future Skills wird deutlich,
dass dahinter ein ganz ähnlicher Diskurs wie beim Begri des lebenslangen Lernens
steckt. Programmatisch geht es darum, (Schlüssel)kompetenzen zu entwickeln,
um die Innovationsfähigkeit von Arbeitsprozessen zu erhalten bzw. weiterzuent-
wickeln. Solche Begrie treten wie Landmarken in der öentlichen Debatte auf
und zeichnen sich weniger durch klare begriiche Schärfe als vielmehr durch
ihre Orientierungswirkung aus. In diesem Kapitel stellen wir daher den aktuellen
Forschungsstand zu wichtigen eorien und Grundlagen für Future Skills dar.
Dabei werden wir die Begrie der Kompetenz, der Selbstorganisation und damit
© Der/die Autor(en) 2020
U.-D. Ehlers, Future Skills, Zukunft der Hochschulbildung – Future
Higher Education, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29297-3_8
128 B 2 Theoretische Grundlagen für Future Skills
zusammenhängende Begrie aufarbeiten. Hierbei wird auch der Begri der Emer-
genz und der entstehenden Ordnung in selbstorganisierten Systemen thematisiert.
B 2.1 „Drift to Self-Organisation“:
Selbstorganisation als gesellschaftliches Leitprinzip
B 2.1 „Drif t to Self-Organisation
Selbstorganisation ist ein Prinzip, welches vielen gesellscha lichen Entwick lungen
zugrunde liegt und in vielen theoretischen Ansätzen als Erklärungsmodell her-
angezogen wird. Es entwickelt sich zu einem so durchdringenden Konzept, dass
wir die Entwicklung zur Selbstorganisation als Leitprinzip mit dem Begri „Dri
to Self-Organisation“ bezeichnet haben. Es stellt sich aber die Frage: Wie kann in
Organisationen Kohärenz, Synergie und gemeinsames Handeln trotz oder gerade
durch Selbstorganisation entstehen? Ist das nicht ein Widerspruch? Steht die Be-
tonung des Selbst nicht einer kollektiven Ordnung entgegen?
B 2.1.1 Selbstorganisation
Im Spannungsfeld von Struktur und Wandel
Selbstorganisation ist eine disziplinenübergreifende Forschungsrichtung, die sich
mit Systemen beschäigt, die ohne externen Eingri ordnungsbildend wirken.
“Intuitively, self-organization refers to the eect that a systems structure or organi-
zation appears without explicit control or constraints from outside the system. In
other words, the organization is intrinsic to the self-organizing system and results
from internal constraints and mechanisms, due to local interactions between its
components.” (Serugendo u. a. 2004:2)
Ordnungsbildung wird in so verschieden wissenschalichen Bereichen wie der
Laserphysik, der ermodynamik, der Evolutionsbiologie, der Meteorologie, der
Informatik, den Wirtschaswissenschaen und der Soziologie thematisiert. Dabei
sind die Grundannahmen und Konzepte der Selbstorganisation so elementar un-
terschiedlich von denen der extern strukturierten, fremdbeeinussten Ordnungs-
systeme, dass Paslack (2013) von einem Paradigmenwechsel spricht:
„Die Antworten, die au f diese und ähn liche Fragen gefunden w urden, gingen fre ilich
über das spezielle Frageinteresse hinaus und begründeten eine völlig neue Sicht der
Natur.“ (Paslack 2013)
B 2.1 „Drift to Self-Organisation“ 129
129
Die Forschungsrichtung der selbstorganisierenden Systeme begann sich in den
sechziger Jahren zu etablieren. Dieser eigentlich recht späte Durchbruch des Selb-
storganisationskonzeptes in der Wissenscha liegt nicht zuletzt am Erfolg des
mechanistischen Weltbildes in Kombination mit der mathematisch handhabbaren
eorie linearer Systeme, die eng mit der Dierenzialrechnung verbunden ist.
Dieser Erfolg führte dazu, Probleme so lange wie nur irgend möglich als linear
zu klassizieren, was den Blick auf nichtlineare Phänomene verwehrte. Durch die
auommende Konzeption des Selbstmanagements in Orga nisationen, die digita le
Vernetzung auf Mikro-, Meso- und Makroebene und eine Bewegung in Richtung
hochemergenter systemischer Phasenverschiebungen sozialer Systeme, wurden
lineare Modelle immer weniger erklärungsmächtig.
Selbstorganisation liegt als Prinzip vielen gesellschalichen Entwicklungen
zugrunde. Es entwickelt sich zu einem so durchdringenden Konzept, dass wir die
Entwicklung zur Selbstorganisation in der Gesellscha insgesamt aber auch in den
einzelnen gesellschalichen Teilbereichen, wie etwa den privaten oder öentlichen
Organisationen mit dem Begri „Dri to Self-Organisation“ bezeichnet haben.
Der Clou an der Betrachtungsweise von Systemen als selbstorganisierten Entitä-
ten ist das Phänomen der Dynamik. Dynamische Systeme sind notwendigerweise
instabile Systeme. Die Strukturiertheit einerseits und Flexibilität dieser Systeme
andererseits tritt aber nicht trotz, sondern gerade wegen ihrer Dynamik auf. Man
kann als Schlussfolgerung formulieren: nur wandlungsfähige Systeme sind stabil und
nur instabile Systeme sind wandlungsfähig. In Selbstorganisationsprozessen wirken
Elemente in einem System auf bestimmte, aber unvorhersagbare Weise zusammen.
Diesen Prozess, das Entstehen von neuen Eigenschaen oder Strukturen eines
Systems infolge des Zusammenspiels seiner Elemente, bezeichnen wir als Emergenz
(Stephan 2006; Stephan 2005).
Erpenbeck und Heyse (1999) weisen darauf hin, dass Unternehmensführung
in der Praxis als ein Zusammenspiel von deterministischen Ansätzen und dem
Gestalten von Rahmenbedingungen bezeichnet werden kann, die Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter und Mitarbeitergruppen Freiheiten lassen, Entscheidungen und
Handlungen im Rahmen des impliziten und expliziten Wissens zu treen. Aufgabe
eines wie auch immer gearteten Organisators in humanen, sozialen Systemen ist
damit die Schaung und Erneuerung von Kontexten, die die Freiheitsgrade oder
Wahlmöglichkeiten erhöhen und damit das Potential für die Selbstregulierung
und Innovation für alle Beteiligten vergrößern (Probst 1987:113).
130 B 2 Theoretische Grundlagen für Future Skills
B 2.1.2 Selbstorganisation als gesellschaftlicher Trend
Das Prinzip Selbstorganisation ist die Grundorientierung der Next Organisations
– der neuen Arbeits- und Lebensrealität der Menschen in immer größeren Teilen
der Gesellscha – der Next Societies.24 Als Prinzip liegt es vielen gesellschalichen
Entwick lungen zugrunde. Es entwickelt sich zu einem so durchdringenden Konzept,
dass wir die Entwicklung mit dem Ausdruck „Dri to Self-Organisation“ bezeichnen.
Abseits institutioneller Akteure und politischer Vorgaben scheint es, gekoppelt
mit einem höheren Grad an Selbstverantwortung zunehmend Raum zu greifen. A ls
Ergebnis entstehen heute erste Formen von Aktivitäten eines „progressiven Wirs“
wie Kruse (2009) sie bezeichnet und sie als die Fortsetzungen der neuen sozialen
Bewegungen der Neunziger beschreibt. Es entstehen dabei andere und neue Formen
von Gemeinscha und Solidarität. Selbstorganisation als zentraler Begri der Future
Skills und der zukünigen Arbeitswelt kann je nach Perspektive auch schnell als
neoliberales Agieren verstanden werden – gerade wenn er ohne schützendes Netz
versehen ist. So beschreibt etwa der Ökonom und Soziologe Oliver Nachtwey den
Übergang zum neu gesta lteten deutschen Sozialstaat in der „regressiven Moderne“
jenseits des „paternalistischen Führsorgeprinzips“ und benennt Selbstorganisation
und Eigenverantwortung a ls die zunehmend dominanten Begrie (Nachtwey 2016).
Es ist wichtig, dass jede Zukunsvision, die Selbstorganisation und Selbstverant-
wortung in den Mittelpunkt stellt, auch gleichzeitig diese politisch gesellscha lichen
und sozialen Zusammenhänge nicht aus dem Blick verliert.
Klaus Schwab, der Chef des Weltwirtschasforums, untersucht in seinem Buch
„Die Vierte industrielle Revolution“ deren potentielle Auswirkung auf Unterneh-
men, Staaten, Länder, die Gesellscha und den Einzelnen. Er betont, dass Selb-
storganisation die gravierendste Auswirkung der Digitalisierung darstellt: „Eine
der weitreichendsten Veränderungen in all diesen Bereichen wird auf eine einzelne
Kra zurückzufü hren sein: Empowerment.“ (Schwab 2016) Die Ermächtigung bzw.
Befähigung zur Selbstbestimmung verändere alles: das Verhältnis zwischen dem
Staat und seinen Bürgern, zwischen Unternehmen und ihren Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern, zwischen Anteilshaltenden sowie Kundinnen und Kunden, zwi-
schen Supermächten und k leineren Ländern. Damit tritt zu den rein systemischen
Betrachtungen der Ökosystemtheorie Bronfenbrenners (1981), die zwischen den
unterschiedlichen Ebenen (der Mikroebene, der Mesoebene und der Makroebene)
sich gegenseitig beeinussende systemische Zusammenhänge betont, noch eine
neue Qualität hinzu. Die Qualität nämlich, dass die in den unterschiedlichen
Ebenen handelnden Akteurinnen und Akteure durch eine neue Orientierung der
24 Zum Begri siehe auch https://next-society.de
B 2.1 „Drift to Self-Organisation“ 131
131
Selbstorganisation und Eigenverantwortung eine neue Unvorhersehbarkeit und
Unsicherheit produzieren. Die disruptive Wirkung dessen, was Schwab „Die Vierte
Industrielle Revolution“ (2016) nennt, wird es nötig machen, dass sich Akteurin-
nen und Akteure als Teile eines weitverzweigten Systems verstehen, das nur mit
kooperativen Formen der Interaktion erfolgreich sein kann. In ihrer Studie „Next
Germany“ fassen Bühl et al. es so:
„Diese Systeme sind ihrer Natur nach nicht mehr auf lokale oder regionale Zusam-
menhänge begrenzt, sondern sind auf unterschiedlichsten Ebenen kommunikativ
und prozessual miteinander verwobene Organisationen oder soziale Systeme, die
sich gegenseitig in ihren digitalen Abläufen beschleunigend beeinussen.“ (Brühl,
Koppel, Schomburg & Schuldt 2017)
Selbstorganisation als Prinzip, Selbstverantwortung als Impuls von Innen und
aktive Einmischung als Ausdruck einer wachsenden Ungeduld – so beschreibt
Handelsblatt-Herausgeber Gabor Steingart in seinem Buch „Weltbeben. Leben
im Zeitalter der Überforderung“ (Steingart 2016) den Zeitgeist der Next Society.
Im Kapitel zur Demokratie, mit dem Untertitel „Aufstand der Bürger“ heißt es:
„[D]er kommende Aufstand wird einer sein, der den Westen mehr verändert als
alle Wahlen der vergangenen Jahrzehnte. Im Zentrum dieser Veränderung stehen
keine Partei oder Religion, kein Führer oder Guru, sondern ein selbstbewusstes
Bürgertum, das den Umsturz je nach Verhältnissen will, die als widrig empfunden
werden.“ (Steingart 2016)
Die derzeit im Jahr 2019 allfreitäglich stattndenden Demonstrationen der Schü-
lerinnen und Schüler gegen die Klimakatastrophe lassen diese Diagnose in neuem
Lichte als richtig erscheinen.
25
Steingart berichtet, es gehe darum, die Verfahren der
Gewinnung und Ausübung von Macht grundsätzlich zu verändern: Transparenz,
Teilhabe, Kommunikation und Mitbestimmung sieht er als die Leitbegrie dieser
stillen Revolution. Diesmal werde sich die Verdrossenheit nicht im Leerlauf der
eigenen Bendlichkeit drehen, sondern als Veränderungsenergie wirksam werden.
Insgesamt zeigt sich in nun historisch einmalig deutlicher Weise ein neues Bewusst
-
sein: Selbstorganisation u nd Eigenverantwortung sind das neue Grundprinzip für
die Funktionsweise von gesellschalichen Systemen und Organisationen. Sind
es bisher omals noch als gegensätzlich empfundene oder thematisierte Pole der
gesellschalichen und organisationalen Ent wicklung, entweder die expansive neue
Entwicklung („alles wird selbstständig Bottom-up gestaltet“) oder die restriktive
25 https://fridaysforfuture.de
132 B 2 Theoretische Grundlagen für Future Skills
Gegenbewegung („es ist wichtig, dass jemand Top-down, von Oben die Dinge in
die Hand nimmt“) gewesen, so lösen sich diese scheinbar gegensätzlichen Pole
immer weiter in Richtung synergetischer Gestaltung auf.
Heutige Organisationen nden sich in diesem Spannungsfeld wieder. Einer-
seits sind stabile Strukturen, Abteilungen und zielüberdauernde Zielsetzungen
wichtig für kontinuierliche Entwicklung, andererseits besteht die Notwendigkeit,
immer mehr Steuerung durch agile, sich schnell ändernde dezentrale Organisa-
tionseinheiten zuzulassen und zu befördern. Beide Pole gleichzeitig in den Blick
zu nehmen und die dadurch entstehende Spannung aufrechtzuerhalten, ohne sie
scheinbar einfach aufzulösen, ist der neue Balanceakt, den Organisationen und
Gesellschaen zu leisten haben. O stehen hierbei, je nach Blickwinkel, entweder
Ohnmacht oder Hierarchiegläubigkeit im Vordergrund – oder der Auruch in ein
neues spannendes Miteinander.
B 2.1.3 Strategien und Organisationsformen für
Selbstorganisation
Selbstorganisationsstrategien sind dabei ein adäquates, geeignetes Mittel für unsere
Zeit. In seinem Buch „Beschleunigung“ benutzt der Soziologe Hartmut Rosa den
Begri „Drien“ als mögliche „Reaktion spätmoderner Subjekte auf die komplexe
tosende Welt“ (Rosa 2005: 379). Der Drier lasse sich einfach vom Strom des Lebens
mitreißen, wolle nicht kontrollieren, planen und steuern, sondern stattdessen ein
situatives Selbst entwickeln. Das stellt die berechtigte Frage in den Raum, welche
Wirkung und welchen Verbreitungsgrad selbstorganisierte Individuen mit einem
großen Grad an Selbstverantwortung haben können. Wie steht es um Dauer und
Verbindlichkeit solcher Ansätze für eine langfrist ige Entwicklung und was bedeuten
sie eigentlich in der Praxis?
Betrachtet man den derzeitigen Stand moderner Managementliteratur, so wird
schnell deutlich, dass neue Formen der Organisation und des Managements unter
dem Prinzip Selbstorganisation ausprobiert werden und wir uns weltweit in einem
Experimentierfeld benden. Die meisten Beobachterinnen und Beobachter, die über
neue Formen der Organisation, des Selbstmanagements, der Selbstorganisation
und der Eigenverantwortung schreiben, unter Stichworten wie Holokratie
26
, demo-
26 Holokratie – auch Holokratie – ist ein Kompositum aus holos (altgriechisch für voll-
ständ ig, ganz) und kratía (altgriech isch für Herrsc ha) und ist ein System zu r Entschei-
dungsndung welches dem Unternehmer Brian Robertson aus Philadelphia (USA) in
seiner Firma Ternary Soware Corporation zugeschrieben wird. Es geht dabei darum,
B 2.1 „Drift to Self-Organisation“ 133
133
kratische Organisation, soziokratisches Management oder auch über andere Typen
selbstorganisierter Organisationen, richten darüber sehr pointiert und nehmen
extreme Sichtweisen ein. Entweder werden die chef- und führungslosen achen
Hierarchien und Arbeitsumgebungen für ihre Flexibilität und das Engagement
gelobt oder sie werden als naive soziale Experimente verdammt, die ignorieren wie
Dinge wirklich gemacht werden müssen.
Die Wahrheit liegt wie so o dazwischen, im Zentrum des Spannungsfeld-
managements. Um mehr akkurate, balancierte Perspektiven einzunehmen, ist
es wichtig, einmal hinter die Buzzwords zu schauen, die diese neuen Strukturen
beschreiben – postbürokratisch, poststrukturalistisch, digital, organisch, usw. Es
geht darum, zu untersuchen, welche neuen Formen sich gebildet haben und auf
welcher Basis sie funktionieren. Sowohl in den Mühen der Niederungen und in
den Schützengräben der operativen Organisationen als auch auf der Ebene der
organisationsweiten Strategiebildung und Policy-Entwicklung.
In der allgemeinen Debatte um neue Organisationsformen werden immer wieder
extreme Positionen eingenommen, Evangelisten schlagen sich auf die eine oder
andere Seite. Dabei geht es darum, zunächst einmal wertfrei zu betrachten, welche
Grundpositionen es gibt, was für Stru kturierungskonzeptionen daraus erwachsen
und wie diese wirken bzw. wie angemessen sie für die unterschiedlichen Organisati-
onsanforderungen sind. Die Diskussion zentriert sich um zwei Gegensatzpaare, die
die Pole des Spannungsfeldes bilden welchem heutige Organisationen ausgesetzt sind.
Verlässlichkeit (reliability) auf der einen Seite und Anpassungsfähigkeit (adaptability)
auf der anderen Seite. Dabei bedeutet Verlässlichkeit als Prinzip eine Vielzahl an
Dingen wie beispielsweise vorhersagbare Gewinne für Shareholder zu generieren,
sich an Regeln zu halten, compliant zu sein, stabile Arbeitnehmeranforderungen
und Mitarbeiterzahlen zu haben und nicht zuletzt die Kundenanforderungen und
die Anforderungen der Klienten und Stakeholder im öentlichen Bereich zu er-
füllen. Anpassungsfähigkeit auf der anderen Seite bedeutet in Situationen situativ
handeln zu können, abseits der Strukturprinzipien und Regeln, exibel in der Lage
zu sein, kleine Anpassungen in der Produktion oder dem Herstellungsprozess und
den Services zu machen, um lokale Anforderungen zu erfüllen, aber auch größere
strategische Umsteuerungen und strukturelle Anpassungen vornehmen zu können.
Organisationen stehen immer im Spannungsfeld zwischen Stabilität und Anpas-
sungsfähigkeit, aber meistens werden sie als Gegensatzpaare im entweder-oder
angesehen und nicht als Pole, die ein organisationskulturelles Spannungsfeld auf-
zeigen, ein spannungsgeladenes Miteinander. In den Interviews der Future Skills
alle Organisationsebenen mit größtmöglicher Transparenz und partizipativen Beteili-
gungsmöglichkeiten auszustatten.
134 B 2 Theoretische Grundlagen für Future Skills
Studie zeigt sich jedoch, dass in der Wahrnehmung der Beteiligten omals eins
das andere ausschließt. Es besteht Unsicherheit darin, ob nicht zu viel Betonung
der Anpassungsfähigkeit Fragmentierung erzeuge und zum Verlust der Vorteile
führe, die mit Fokussier ung und Skalierung einhergehen. Und obwohl managerielle
Hierarchien sich o in allen Richtungen irren können, so sind sie doch o starke
Befür worter der eher stabilen, hierarchischen Orga nisationform. Dabei sind Mitar-
beiterinnen und Mitarbeiter genauso auf Stabilität und Verlässlichkeit angewiesen,
wie auf Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. Um ihre Arbeit eektiv zu verrichten,
müssen sie in einer stabilen Arbeitsumgebung arbeiten, Zugang zu den kritischen
Arbeitsmitteln und k lare Zielvorstellungen und Verantwortlichkeiten haben. Aber
genauso benötigen sie auch einen Raum, in dem Anpassung an sich verändernde
Bedingungen möglich ist und ad hoc Entscheidungen getroen werden können.
Denn managerielle Hierarchien versagen o darin, die notwendige Flexibilität be-
reitzustellen. Unter dem Stichwort „adhocracy“ thematisiert Friedrich Lindenberg
seit 2016 diesen Umstand in der jüngsten Entwicklung.27 Als Manager ist es nicht
einfach, die richtige Balance zwischen Verlässlichkeit und Anpassungsf ähigkeit zu
nden. Daher entwickeln sich in jüngster Zeit Ansätze des Selbstmanagements, der
dezentralen Organisation, der vernetzten Organisation mit achen Hierarchien oder
weitergehende Ansätze unter dem Stichwort Holokratie, Soziokratie, demokratische
Organisation oder Adhocracy als neues großes Experimentierfeld dynamischer
Organisationen in sich schnell verändernden Umfeldern.
B 2.1.4 Self-Management als Vorläufer von Selbstorganisation
Dabei gibt es Selbstorganisation als Organisationsform schon eine ganze Weile. Erst
durch die Industrialisierung ist der ursprünglich ganzheitliche Arbeitsprozess in
Teilschritte unterteilt und im bekannten Industria lisierungsprozess da nn in kleinste
Produktionsfertigungs- und Wertschöpfungseinheiten untergliedert. Tatsächlich
beginnt aber die Zeit der Selbstorganisation schon vor langer Zeit; nämlich als vor ca.
65 Jahren Eric Trist
28
– ein Mitglied des britischen Tavistock Institute – beobachtete,
27 Friedrich L indenberg hat im Ra hmen seiner Bachelorarbeit eine Ope n-Sourc e-Soware
namens Liqu id Democracy zur On linebeteil igung für Orga nisationen und Ins titutionen
entwickelt.
28 Eric Lansdown Trist war ein führender britischer Sozialpsychologe auf dem Gebiet
der Organisationsentwicklung. Er war Mitgründer des Tavistock Institute of Human
Relations in London. 1949 publizierte Trist einen bekannten Artikel „Some Social and
Psychologica l Consequences of the Longwall Method of C oal Getting (Trist, Bam forth
1951) über seine Arbeit zur Organisationstheorie in einer englischen Kohlenmine
B 2.1 „Drift to Self-Organisation“ 135
135
dass Teams die nach Selbstmanagementprinzipien arbeiten, substanziell ihre Produk
-
tivität im Kohleabbau erhöhen konnten (Trist & Bamforth 1951). Damals war es die
nichthinterfrag te Standardvorgehensweise, den Kohlebergabbau als k leinschrittigen
Prozess durchzuführen. Jedes Team arbeitete nur an einem kleinen Schritt und die
Schritte wurden nacheinander durchgeführt. Das Modell basierte auf Frederic Tailors
Managementansatz und Henry Fords Fließbandkonzeption. Ein Team musste die
Schicht beenden, bevor das nächste anfangen konnte. Aber die Bergarbeiter in South
Yorkshire in England begannen ihre Arbeit spontan und selbstorganisiert anders
zu organisieren. Es bildeten sich autonome Arbeitsgruppen, die mit umfassenden
Fähigkeiten ausgestattet waren, die wechselnde Rollen übernahmen und Schich-
ten mit einer nur minimalen Anleitung und Supervision, die 24 Stunden am Tag
Kohle fördern konnten ohne auf die Arbeitsergebnisse der davorliegenden Schicht
zu warten. Sogenannte „Self-Managed Teams“ (SMT) gewannen in der Folge an
Popularität. In den siebziger und achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts wurden
immer mehr Versuche unternommen, diese Form des Managements einzuführen.
In Europa entstand das partizipative Management (Sexton 1994). Auch das Kon-
zept der sogenannten „industrial democracy“ wurde eingeführt (Korsch 1968).
29
In Japan entwickelten sich diese Konzepte in Qualitätszirkel und kontinuierliche
Verbesserungskonzeptionen (KVP). In den USA entstanden aus diesen Konzepten
die Organisationsprinzipien für sogenannte Innovation Task Forces.
Die Entwicklung Richtung „Self-Managed Teams“ verhalf vielen Organisationen
und Unternehmen zu Durchbrüchen in der Herstellungs- und Serviceausübung. So
in Yorkshire. Aus diesen Untersuchungen entstanden der Tavistock-Ansatz und die
soziotechnischen Forschungsmethoden. Im soziotechnischen System wurden das
technische und das psychosozia le System miteinander verknüp. Zusammen mit Fred
Emery entwickelte Trist den soziotechnischen Zugang zum „Work Design“ – einer An-
wendung der Organisationsentwicklung zur sogenannten Humanisierung der Arbeit
(Verbesserung d er Arbeitszufr iedenheit, -ezienz, -qualität , Absentismus usw.): Intern
geführte, selbstregulierende Arbeitsgruppen, würden produktiver und motivierender
für die Arbeiter sein, als die bisherige konventionelle Hierarchie.
29 Der deutsche Ma rxist Karl Korsch hat nach einem längeren Au fentha lt bei den Fabiern in
London (1912/13) den auf Sidney und Beatrice Webb zurückgehenden Begri  Industrial
Democracy erstmals ins Deutsche übersetzt (Die Fabianische Gesellscha, gegründet
im Janua r 1884, ist eine britische, sozialistische intellektuel le Bewegung, d ie durch i hre
wegweise nde Arbeit im späten 19. Jahrhunder t bis zum Ers ten Weltkrieg bekannt w urde. In
seiner Sch ri „Arbeitsre cht für Betrieb sräte“ (1922) verwandte er nic ht nur den Terminus
„Industrielle Demok ratie“, sondern erweiterte auch seinen Inhalt. Während die Fabier
vorwiegend an Selbstverwaltung/ Mitbestimmung/ Partizipation der Arbeitenden im
Betrieb und Unternehmen dachten, schloss Korsch auch die überbetriebliche Ebene z.
B. in Form von Wir tschas- u nd Sozialräten auf s ektoraler und gesa mtwirtschalicher
Ebene mit ein.
136 B 2 Theoretische Grundlagen für Future Skills
konnte die Volvo Fabrik in Kalmar in Schweden ihre Produktionsdefekte 1987 um
90 Prozent reduzieren. FedEx konnte Ser vicefehler 1989 um 13 Prozent reduzieren.
In den späten achtziger und frühen neunziger Jahren entwickelten C&S Wholesa le
Grocers ein neuartiges Lagerhauskonzept mit Self-Managed Teams welches 60
Prozent Kostenvorteile den Wertbewerbern gegenüber bot. General Mills konn-
ten ihre Produktivität um 40 Prozent in den Fabriken steigern, die Self-Managed
Teams einführten. Diese Teams wurden in den 1990zigern immer bekannter. Von
dem Konzept wurden sich Vorteile im Bereich höherer Produktivität versprochen,
insbesondere in solchen Arbeitsfeldern, die komplex und dynamisch waren.
In den Organisationen, in denen sie eingeführt wurden, war jeweils nur ein
Bruchteil der Angestellten in die Konzeptionen des Self-Managements involviert.
Meistens in Bereichen in denen Anpassungsfähigkeit wichtiger war als Stabilität und
Verlässlichkeit. Mit der Zeit entwickelten sich diese Arbeitsumgebungen weiter zu
Arbeitsökosystemen in denen Mita rbeiterinnen und Mitarbeiter auf einfache Weise
ihre eigene Leistung überprüfen konnten und iterativ verbesserten. Mit der Zeit
kam die Frage auf, waru m Self-Management nur auf Teamebene eingeführt werden
soll? Immerhin schien es so, als würden die stark überformenden Organisations-
strukturen, teilweise als Matrix aufgebaut, teilweise sehr hierarchisch und komplex
mit übergreifenden Reporting Schemata, die Entwicklung solcher Self-Managed
Organisations Units behindern. Der C&S Geschäsführer Rick Cohen berichtet,
dass bei der Arbeit mit Self-Managed Teams das Schwierigste sei, die Manager
außen vorzuhalten und die Teams das tun zu lassen, was notwendig sei (DeLong
et al. 2003). Die Frage stellte sich also, warum nicht gesamte Organisationen auf
den Prinzipien des Self-Managements aufgebaut würden.
B 2.1.5 Selbstorganisation als Managementphilosophie
Und tatsächlich haben Organisationen angefangen in diese Richtung zu gehen.
Management Vordenker wie Warren Bennis und Henry Mintzberg, der in seinem
berühmten Arti kel im Harvard Business Review schon 1981 die Frage stellt „Organi-
zation Design: Fashion or Fit?“, haben bereits in den achtziger Jahren einen Wandel in
Richtung neuer Strukturen, die als Adhocracy bezeichnet werden, bemerkt: exible
informelle Managementstrukturen. Eine Dekade später wurde das Internet selbst
zum Modell für die Konzeption der sogenannten „networked rm“, der virtuellen
Unternehmen. Mit der Free-Soware-/ „Open Source“-Bewegung“ im Jahr 1983,
B 2.2 Kompetenz als Grundlage für selbstorganisiertes Handeln 137
137
dem Auommen von agilen Arbeits- und Planungsmethoden, wie „Scrum“30 im
Jahre 1986
31
sowie Sharing Economy Plattformen und Geschäsmodellen wie
dem von Gerrett Camp und Travis Kalanick ursprünglich als Limousinenservice
gegründeten Uber im Jahr 2009 oder der 2008 von Brian Chesky, Joe Gebbia und
Nathan Blecharczyk in San Francisco gegründeten Unterkunsplattform Airbnb,
setzen sich partizipative und responsive Organisationsstrukturen in vielen Berei-
chen immer weiter durch. Holokratie, Podularity (ein Konzept von Dave Gray aus
dem Jahr 2013 mit Wurzeln in der agilen Sowareentwicklung, publiziert in Gray,
Vander Wal (2014)) und viele darauf auauende organisationsspezische Variatio-
nen von Selbstorganisation kommen hinzu. Diese neuen Formen stellen sich gegen
hierarchische Managementkonstrukte und -prinzipien. Aber in bestimmter Weise
und im Gegensatz zur öentlichen Wahrnehmung, ähneln sie dem Konstrukt der
Bürokratie wie Max Weber es im frühen 20. Jahrhundert deniert hat (Weber 1921).
Bürokratie, so denierte er, verortet Autorität in depersonalisier ten Regeln und Rollen
und nicht in Status, Klasse oder Reichtum. Die Idee von Weber war, Bürokratie als
Konzept aufzufassen, in dem Individuen von dem diktatorischen Recht schlechter
Chefs befreit werden. Self-Management Systeme zielen auf dieselbe Sache, nur mit
weniger Starrheit. In gewisser Weise könnte man sie als Bürokratie 2.0 verstehen.
B 2.2 Kompetenz als Grundlage für selbstorganisiertes
Handeln
B 2.2 Kompetenz als Grundlage für selbstorganisiertes Handeln
In diesem Kapitel wird die Bedeutung von Kompetenz als Grundlage für selbstorga-
nisiertes Handeln beschrieben. Vom Lernen zur Bildung, vom Wissen zur Kompe-
tenz. Der Kompetenzbegri ist seit langer Zeit in der Erziehungswissenscha und
Psychologie verankert. In der Erziehungswissenscha wurde er von Heinrich Roth
(1971) eingeführt, in der Psychologie geht er auf Franz Weinert (2001) zurück. Seine
unterschiedlichen Denitionen eint ein gemeinsamer Kern: Zunächst sehen alle
Denitionen vor, dass es unterschiedliche Teilbereiche von Kompetenzen gibt – die
30 Scrum (englisch r „Gedränge“) ist ein Vorgehensmodell des Projekt- und Produkt-
managements, insbesondere zur agilen Sowareentwicklung. Es wurde ursprünglich
in der Sowaretechnik entwickelt, ist aber davon unabhängig. Scrum w ird inzwischen
in vielen anderen Bereichen eingesetzt. Es ist eine Umsetzung von Lean Development
für das Projektmanagement.
31 Scr um wurde als B egri erstma ls 1986 im Harva rd Business Review erwäh nt, in einem
Artikel von Nonaka und Takeuchi (1986) zum ema e New Product Development
Game.
138 B 2 Theoretische Grundlagen für Future Skills
wir hier a ls Kompetenzfelder bezeichnen – beispielsweise Sozia lkompetenz, Personal-
kompetenz, Fach- und Met hodenkompetenz. Diese wiederum, enthalten ihrerseits
weitere Kompetenzen. Dar über hinaus umfassen alle Kompetenzbegrie zweitens
eine Anzahl von Faktoren, die sie mit Handlungen verknüpfen, wie beispielsweise
kognitive Faktoren – also das handlungsrelevante Wissen, Volition – als den Willen
zu einer Handlung, Motivation – als extrinsische und intrinsische Beweggründe
für eine Handlung, soziale Faktoren einer Handlung und wertbezogene Faktoren
in einer Handlungssituation. Drittens gehen alle Kompetenzkonzepte davon aus,
dass Kompetenzen durch Lernen erwerbbar sind. Und viertens, dass sie über das
reine Reproduzieren von Abläufen hinaus, die Fähigkeit einer Person beschreiben,
unbekannte Probleme in unvorhersehbaren, komplexen Problemsituationen zu
lösen. Mit Erpenbeck denieren wir Kompetenz hier folgendermaßen:
„Kompetenzen sind die Fähigk eit in oenen Problem- und Entscheidungssituationen
selbstorganisiert und kreativ zu handeln. Kompetenzen sind Selbstorganisationsdi-
spositionen.“ (Erpenbeck in Faix et al. 2012)
Die Denition macht noch deutlicher, welche bedeutende Rolle Kompetenzr
Future Skills spielt, als die zuvor beschriebenen Eigenschaen dies schon nahelegen.
Denn sie ist auf zukünige unbekannte Handlungen gerichtet und spricht zudem
von einer Handlungsdisposition – also nicht einer feststehenden vordenierten
Fähigkeit. Diese Disposition zu einer selbstorganisierten Handlung macht das
Konzept aus bildungswissenschalicher und lernpsychologischer Sicht so fruchtbar
für das Konzept der Future Skills. Future Skills stellen daher spezische Kompe-
tenzen im beschriebenen Sinne dar. Im Konzept der Future Skills wird der Begri
der Kompetenz gewissermaßen angewandt und auf den Bereich von emergenten
Handlungskontexten bezogen. Dieses sind genau solche Handlungskontexte, in denen
unvorhergesehene, neu entstehende Zusammenhänge zu verstehen und unvorher-
sehbare Problemlagen zu bewältigen sind. Im Begri der Unvorhersehbarkeit ist
auch bereits Selbstorganisation a ngelegt. In der NextSkills Studie konnten Hinweise
gesammelt werden, die zeigen, dass in Organisationen zukünig eine Dominanz
von Selbstorganisationsdispositionen gegenüber vorbereiteten Lösungsansätzen
gefordert werden wird.
Das Verständnis einer selbstorganisierten Handlungsfähigkeit, wie es im Future
Skills Ansatz angelegt ist, zielt auf die Fähigkeiten von Menschen ab, in zuküni-
gen, unsicheren, vorher unbekannten Kontexten erfolgreich handeln zu können.
B 2.2 Kompetenz als Grundlage für selbstorganisiertes Handeln 139
139
Abb . 21 Stufenmodell professioneller Kompetenz (Quelle: Wildt 2006)
Dabei ist es wichtig, zu verstehen, dass sich Wissen und Kompetenz, Handlung und
Professionalität nicht gegenseitig ausschließen oder alternative Konzepte darstellen.
Vielmehr sind sie im Konzept von Kompetenz integriert. So zeigt Abbildung 21,
dass Wissen lediglich auf einer niedrigeren Stufe angesiedelt ist als Kompetenz und
Professionalität, jedoch einen notwendigen Schritt auf dem Weg zu Kompetenz
und Professionalität darstellt.
In Anlehnung an Erpenbeck (2007) schlagen wir abschließend vor, Selbstorga-
nisation als eine eigenständige Kompetenz anzusehen, die die Qualität hat, andere
Kompetenzen miteinander zu verbinden, also zur Interaktion und Kombination
von Kompetenzen zu dienen. Diese Vorstellung bedeutet, die unterschiedlichen
Kompetenzfelder in einer bestimmten Relation zueinander zu sehen. Kompetenzen
zur Handhabung der organisatorischen Voraussetzungen, Kompetenzen zur Zu-
sammenarbeit und Kommuni kation, als auch Kompetenzen zur Prioritätensetzung
und Koordination haben „Mittelcharakter“ (auch Erpenbeck & Heyse 1999). Sie
dienen zur Zielerreichung von Wertschöpfungshandlungen, zur Handhabung von
Störungen, zur Qualitätsarbeit und der Handhabung der physischen Umgebungs-
bedingungen – das heißt also auch dazu, andere Kompetenzen besser nutzen zu
können. Auauend auf diesen Überlegungen und in Anlehnung an Untersuchungen
von Erpenbeck und Heyse (1999) folgern wir, dass Selbstorganisationskompetenz
und deren Entwicklung sich folgendermaßen manifestiert:
Selbstorganisation als eine besondere Qualität von Kompetenz, die neben
anderen Kompetenzen (z. B. Fach-, Methoden-, Sozial- oder Selbstkompetenz)
existiert und/oder
140 B 2 Theoretische Grundlagen für Future Skills
Selbstorganisation als ein Niveau (Stufe) von Kompetenz; d. h. als ein Grad
von Expertise, der in allen Kompetenzfeldern (z. B. Fach-, Methoden- usw.)
vorkommen kann und/oder
Selbstorganisation als eine Kompetenz, die die Entwicklung von einem Kom-
petenzniveau zum nächsten beschreibt und/ oder
Selbstorganisation als eine besondere Form der Interaktion und Kombination
(des Interaktions- und Kombinationshandelns) zwischen verschiedenen Kom-
petenzbereichen.
Exkurs: Mythen und Missverständnisse zu Kompetenz und
Kompetenzlernen in der Hochschule
Im Bereich der Kompetenzdiskussion gibt es viele Mythen, Miss- und Unver-
ständnisse. Kompetenz könne doch nicht das Ziel von Lernen in der Schule oder
im Studium sein, vielmehr müsse sich auf Wissen fokussiert werden, sonst würden
die Lernenden doch nichts Substantielles lernen. Kompetenz sei, wenn überhaupt,
etwas für die höheren Semester in einem Hochschulstudium, wenn das Wissen
bereits vermittelt sei und man da nn auch Kompetenzen erlernen könne. Ein zweiter
Mythos liegt darin, dass Kompetenz außerhalb der eigentlichen emengebiete
erworben werden könne – beispielsweise in einem Seminar für Schlüsselkompe-
tenzen. So haben viele Hochschulen es bis heute verstanden, ihre Studiengänge
kompetenzorientierter zu gestalten, indem sie zusätzlich Lehrveranstaltungen für
Kompetenzen oder Schlüsselkompetenzen eingef ührt haben, während sich aber in
den eigentlichen Lehrveranstaltungen nichts änder te. Ein drittes Missverständnis
besteht darin, dass der Kompetenzbereich sowieso sehr unklar bis esoterisch sei und
es nicht klar abgegrenzt werden könne, was eigentlich unter Kompetenz verstanden,
geschweige denn operationalisiert werden könne, wie diese im Lehrgeschehen zu
vermitteln sei.
In vielen Diskussionen wird jedoch auch deutlich, dass die Kompetenzdiskussion
als Zielvorstellung bereits tief in das Bewusstsein der für Bildung Verantwort-
lichen eingedrungen ist und sich derzeit in einer Gestaltungsphase bendet, in
der sortiert, verworfen und neu geplant wird. Kompetenzorientierung erfordert
nämlich tatsächlich ein völliges Umdenken der bisher stark vermittlungsorientiert
aufgebauten Lehrphilosophie.
B 2.3 Bildungstheoretische Fundierung des Future Skills Konzepts 141
141
B 2.3 Bildungstheoretische Fundierung des Future Skills
Konzepts
B 2.3 Bildungstheoretische Fundierung des Future Skills Konzepts
Bildung ist der Prozess, der zur Entwicklung von Future Skillshren soll. Doch
wie ist das zu verstehen? In welcher besonderen Weise kann das Konzept der Future
Skills auch bildungstheoretisch verstanden werden?
Zunächst einmal ist zu erkennen, dass die am pädagogischen Prozess beteiligten
Akteurinnen und Akteure – Lernende, Professionelle, Management/ Organisation
und Staat/ Gesellscha – unterschiedliche Perspektiven und Kriterien hinsichtlich
der Qualität von Bildungsergebnissen haben, also dem, wie Future Skills ausge-
staltet sein sollen. Die unterschiedlichen Perspektiven lassen es unwahrscheinlich
erscheinen, dass Bildung automatisch zur Ausbildung von Future Skillshrt.
Grundsätzlich argumentieren wir im Rahmen eines Mittel-Zweck-Verhältnisses,
also entsprechend der Vorstellung, dass Bildungsmittel so gestaltbar sind, dass es
dem Zweck der Entwick lung von Future Skills entsprechen könnte. Die Entwick lung
von Future Skills ist damit eine Frage nach den Mitteln und Methoden, mit deren
Hilfe Bildungsvorgänge bei den Nutzerinnen und Nutzern von Bildungsdienstleis-
tungen (im Folgenden als Lernende bezeichnet) durch spezische (pädagogische)
Vermittlungsformen im weitesten Sinn angeregt und Future Skills er worben werden.
Neben der Frage der Zweck-Mittel-Relation steht eine weitere, nämlich da-
nach, ob es auch normativ sinnvoll ist, Future Skills zu vermitteln. In Bezug auf
diese Frage wird davon ausgegangen, dass durch die sozial- und bildungspolitisch
ausgestalteten Leistungen in einem demokratisch legitimierten Staat eine ma-
terielle, soziale und geistige Teilhabe an den gesellschalichen Entwicklungen
garantiert werden soll. Eine solche Teilhabe ermöglicht Bürgerinnen und Bürgern
ein weitgehend selbstbestimmtes und selbstverantwortliches Leben. Teilhabe und
Teilnahme (Partizipation) an gesellschalichen Gestaltungsprozessen ist hierfür
ein konstitu ierendes Merkmal. Partizipation kann in dieser Hinsicht als die Sicher-
stellung von gesellschalichen Gestaltungsmöglichkeiten verstanden werden. Ist
Partizipation am gesellschalich-demokratischen Prozess durch extern bedingte,
materielle, nanzielle oder soziale Problemlagen gefährdet, so ndet eine politisch
initiierte Unterstützung statt. Im Bildungsbereich kommen dort pädagogische
Dienstleistungen zum Einsatz, wo die subjektiven Fähigkeiten und Kompetenzen
der Bürgerinnen und Bürger entweder (neu) aufgebaut, in einer dezitären oder
gefährdeten Form vorliegen oder teilweise verlorengegangen sind.
Pädagogische Handlungszusammenhänge, die Bildungsvorgänge auslösen sollen,
enthalten immer Momente der (1) Ermöglichung, (2) der Erhaltung und (3) der Wie-
derherstellung von Fähigkeiten und Kompetenzen, die Partizipationsmöglichkeiten
erönen. Innerhalb der verschiedenen Bereiche der Pädagogik sind diese Momente
142 B 2 Theoretische Grundlagen für Future Skills
allerdings unterschiedlich gewichtet: so zielen Maßnahmen, die die Einführung der
nachwachsenden Generation in das gesel lschaliche Leben bezwecken, vornehm-
lich auf die Ermöglichung (beispielsweise beruiche Ausbildung), Maßnahmen,
die der Verhinderung von Dissoziation dienen, vornehmlich der Erhaltung, und
Maßnahmen, die auf Resozialisierung ausgerichtet sind, vornehmlich auf die Wie-
derherstellung subjektiver Teilnahmekompetenzen. Handlungszusammenhänge,
die auf die Entwicklung bzw. Sicherung der Teilnahmekompetenzen in ihren drei
Varianten verpichtet sind, können auch als pädagogische Handlungszusammenhän-
ge bezeichnet werden. Ihr Arrangement, ihre Realisierung und Kultivierung sind
gesellschalich dem Bildungsbereich und seiner Reexionsinstanz, der Erziehungs-
wissenscha überantwortet. In diesem Sinne ist die Förderung von Future Skills
durch den Bildungsbereich auf die Entwicklung und Sicherung der Partizipation
von Individuen am gesellschalichen System ausgerichtet.
Bildung in einem solchen Sinne wird strukturell als ein dreifaches Verhältnis
des Einzelnen zur dinglichen Welt, zur Gesellscha und zu sich selbst verstanden
(Meder 2007: 199; Meder 2000: 36f.; ausführlich dazu auch 1999: 25.). Dieser
Bildungsbegri macht klar, dass Bildung als Forschungsgegenstand nicht ein Sub-
strat oder eine Substanz ist, sondern eine Relation – also ein Verhältnis bzw. eine
Beziehung. Diese dreigeteilte Struktur ist im vorliegenden Future Skills Konzept
übernommen worden, indem das Future Skills Konzept Kompetenzfelder für alle
drei Bereiche enthält. Was am Einzelnen erkannt werden kann, ergibt sich dabei
aus der Relation, bzw. dem Verhältnis, das als Verhalten bezeichnet werden kann
(Meder 2007). Bildung fungiert a ls Prozess der Ausbildung der genannten Verhält-
nisse. In seiner strukturellen Fassung liefert dieser Bildungsbegri allerdings nur
die Perspektive einer pädagogischen Analyse, aber noch kein Kriterium für die
Entscheidung, ob ein Fall für ein Eingreifen vorliegt, das heißt, ob ein Fall dafür
gegeben ist, dass ein pädagogisches Handlungsarrangement auf ein bestimmtes
Ziel hin realisiert werden soll oder muss. Um diese Entscheidung zu fällen, bedarf
es Kriterien, Normen und/ oder Werten. Von daher muss der Bildungsbegri als
Konzept des dreifachen Verhältnisses normativ aufgeladen werden, da mit klar ist, wie
das richtige Verhältnis zur Welt, zur Gesellscha und zu sich selbst aussieht. Denn
nur so kann entschieden werden, ob ein Fall für professionelles Eingreifen vorliegt.
Darüber hinaus bedarf es einer weiteren normativen Orientierung. Hat man
beispielsweise professionell diagnostiziert, dass das vorliegende Verhältnis zu sich
selbst keine Partizipation erlaubt und damit ein Eingreifen seitens des Bildungs- und
Erziehungssystems notwendig w ird, dann besteht noch immer keine Orientierung
darüber, was zu tun ist, um den unerwünschten Ist-Zustand in einen gesellscha-
lich und individuell verantwortbaren Soll-Zustand zu transformieren. Es fehlt
also zur Umsetzung eine Norm, die zeigt was qualitativ sinnvolles professionelles
B 2.4 Emergenz und Selbstorganisation 143
143
Handeln im pädagogischen Feld ist. Ein solches Handlungswissen ist, neben her-
meneutischem und alltagsbezogenem Wissen, eine Grundbedingung für jede Art
von Professionalität. Das Future Skills Konzept ist in diesem Sinne eine normative
Ausgestaltung des Ziels Sicherung der Partizipation, im Sinne einer pädagogischen
Vermittlung von Teilnahmekompetenzen.
B 2.4 Emergen z und Selbstorganisation
B 2.4 Emergenz und Selbstorganisation
Emergenz ist wie die neue Folie, auf der sich die Entwicklung von Organisationen,
Abläufen und dem sozialen Miteinander in modernen Gesellschaen vollzieht.
Sie ist gewissermaßen der Schlüssel zum Verständnis von Systemen und ihrer
Eigenschaen. Emergenz gibt Auskun darüber, ob und auf welcher Regelbasis
Selbstorganisation in sozialen Systemen funktioniert. Sind Abläufe nicht mehr
vorgegeben oder regelbasiert, stellt sich die Frage, ob es andere Gesetzmäßigkeiten
als die bisher bekannten gibt, die es möglich machen, Entwicklungen abzusehen
und zu verstehen. Dazu liefert Emergenz als Konzept die Grundlage.
Der springende Punkt besteht darin, dass emergente Eigenschaen eines Systems
sich nicht – oder jedenfalls nicht oensichtlich – auf Eigenschaen der einzelnen
Elemente des Systems zurückführen lassen, die diese isoliert aufweisen. So wird
beispielsweise im Bereich der Gehirnforschung und in der Philosophie des Geistes
von einigen Wissenschalerinnen und Wissenschalern die Meinung vertreten,
dass das Bewusstsein eine emergente Eigenscha des Gehirns sei (Stephan 2016).
Stephan (ebenda) führ t aus, dass emergente Phänomene in der Physik, Chemie,
Biologie, Mathematik, Psychologie oder Soziologie beschrieben werden. Damit
würden Emergenztheoretiker deutlich bestreiten, dass eine vollständige Beschrei-
bung der Welt allein aufgrund der Kenntnis der Elementarteilchen und allgemei-
ner physikalischer Gesetze prinzipiell möglich ist. Die Anerkennung emergenter
Phänomene muss aber nicht zu einem Verzicht auf wissenschaliche Erklärung
führen. Vielmehr zeigen die Entwicklungen der Synergetik, Systemtheorie und
der Chaosforschung, dass emergenzverwandte Phänomene wie Selbstorganisation
und ihre Entstehungsbedingungen durchaus systematischen und auch objektiv
nachvollziehbaren Erklärungen zugänglich sind (siehe dazu auch Greve & Schnabel
2011). Allerdings tritt an die Stelle der Einheit der Wissenscha aufgrund einer
hierarchischen Ableitung aus universalen Gesetzen, ein transdisziplinärer Dialog,
dessen Ziel es ist, analoge Strukturen komplexer Systeme auf unterschiedlichen
Emergenzebenen zu vergleichen. Emergenz entsteht in den meisten Fällen auf Basis
spontaner Selbstorganisation. Man versteht unter Emergenz das Auauchen von
144 B 2 Theoretische Grundlagen für Future Skills
Systemzuständen, die nicht durch die Eigenschaen der beteiligten Systemelemente
erklärt werden können. In gewissem Sinne entstehen auf höheren Stufen neu auf-
tauchende Qualitäten aus vorherigen Zuständen. Dabei ist zu beachten, dass die neu
auauchenden Qua litäten erst entstehen müssen und nicht bereits vorhanden sind.
Im Volksmund wird es so ausgedrückt: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner
Teile.r dieses Mehr bzw. für dessen Entstehung steht der Begri der Emergenz.
Das Phänomen der Emergenz kann am Beispiel der Temperatur verdeutlicht
werden. Betrachtet man ein einzelnes chemisches Molekül wie z. B. das Wasser-
molekül, dann kann man für dieses Molekül keine Temperatur bestimmen. Hat
man allerdings eine große Menge des einzelnen Moleküls, dann ist es möglich eine
Temperatur zu ermitteln. Die Temperatur entsteht erst, wenn viele Moleküle auf-
einandertreen, somit kann die Temperatur als eine emergente Eigenscha vieler
Moleküle angesehen werden. So ist die Temperatur des Wassers eine emergente
Eigenscha der Wassermoleküle.
Nach Stephan (ebenda, auch Stein 2004) beschreibt Emergenz systemisch
ausgedrück t einen spezischen Transformationsprozess zwischen zwei Systemzu-
ständen. Besitzt ein System den aktuellen Systemzustand A und wird dieses System
in einen neuen Systemzustand B überführt, so ndet eine Transformation von
Systemzustand A nach Systemzustand B statt. Die Transformation ist das Ergebnis
eines Transformationsprozesses. Man bezeichnet den Transformationsprozess als
emergent, wenn der Systemzustand B sich nicht direkt aus Systemzustand A und
seinen Teilchen oder seinen Teilsystemen ergibt (Stein 2004). Diese Betrachtung
von Emergenz im Rahmen eines Transformationsprozesses trägt auch zur wissen-
schalichen Klärung des Konzeptes bei. Denn es kann nun gefrag t werden, welche
Transformationsregeln eigentlich wirken. Sind keine Transformationsregeln zu
erkennen oder bekannt, würde man auch nicht mehr von Emergenz sprechen.
Während des Transformationsprozesses treten neue Qualitäten auf, die nicht auf
die Aufsummierung der Einzeleigenschaen zurückgeführt werden können.
Daraus ergibt sich die Frage, ob das Emergenzphänomen sich überhaupt auf
einfache Transformationsregeln reduzieren lässt. Zwei Prinzipien stehen bei
Emergenz im Mittelpunkt:
Prinzip 1 – Irreduzibilität: der neue Zustand eines Systems lässt sich nicht (his-
torisch) auf den alten linear zurück reduzieren, sondern stellt einen qualitativ
neuen Zustand dar.
Prinzip 2 – Unvorhersagbarkeit: weder zeitlich noch inhaltlich kann vorhergesagt
werden, in welchen Zustand das neue System sich transformiert.
Im Folgenden geht es nun weiter um den Tranformationsprozess. Wie vollzieht
er sich – welche Erklärungsmodelle für die Transformation gibt es, welche Regeln
B 2.5 Synergetik und Selbstorganisation 145
145
wirken und ist eine Systematik zu erkennen? Diesen Fragen wollen wir uns im
Folgenden im Detail zuwenden. Im Mittelpunkt des Transformationsprozesses
steht das Phänomen der Selbstorganisation, die für die Erklärung des Emergenz-
phänomens die wesentliche Rolle spielt.
Die modernen Selbstorganisationstheorien stammen aus Physik und Biologie
und durchdringen das wissenschaliche Denken mehr und mehr. Sie bilden die
Grundlage für die Entstehung neuer Bedarfe des Arbeitsmarktes, die wir in diesem
Buch als Future Skills bezeichnen. Wir wollen die großen Bereiche von Emergenz,
Selbstorganisation, Synergeti k und mehr oder weniger radikalem Konstruktivismus
nicht in Gänze vorstellen. Stattdessen möchten wir uns im Folgenden auf einige
begrenzte Beispiele aus dem Bereich der Synergetik, dem Ökosystemansatz, der
Medientheorie und der Autopoiesis konzentrieren.
B 2.5 Synergetik und Selbstorganisation
B 2.5 Synergetik und Selbstorganisation
Als erstes Erklärungsmodell wird die Wissenschasdisziplin Synergetik beschrieben.
Synergetik ist die Lehre vom Zusammenwirken (Haken 1991: 17). Sie wurde in den
sechziger Jahren von Herrmann Haken, einem Stuttgarter Physiker, entwickelt.
Zu dieser Zeit entdeckte er die Lasertechnik. Dabei war von Interesse, warum
sich die an einer diusen Lichtquelle ausgestrahlten verschiedenen Lichtwellen
zu einer Lichtwelle bündeln und sich dadurch der Laserstrahl bildet. Es stellte
sich die Frage, warum es bei verschiedenen Lichtwellen zu einem Selbstorganisa-
tionsprozess mit dem Ergebnis einer einzigen Lichtwelle kommt. In dieser Frage
ist auch die Denition des Begries Selbstorganisation angesprochen. Stein (2004)
führt hierzu aus, dass man in einem System von Selbstorganisation spricht, wenn
ein Systemzustand einzig von den Systemelementen und den Relationen zwischen
ihnen hervorgerufen wird, ohne Einuss der Umwelt auf das System. Die Syner-
getik versteht sich als eine fachübergreifende Wissenschasdisziplin, ähnlich der
Mathematik und Statistik (ebenda). Haken (1991) betont, dass die Synergetik nicht
nur auf die Naturwissenscha angewendet werden kann, sondern eine Anwen-
dung z. B. in Gesellschaswissenschaen wie der Soziologie ebenfalls möglich
ist. Die Synergetik kann verstanden werden als eine Lehre des Zusammenwirkens
und als ein Konzept zur Erklärung von Ordnungsbildung in Systemen mit vielen
interagierenden Einheiten. Haken untersucht mit der Synergetik, wie sich eine
große Anzahl von Einzelelementen zu höheren Strukturen selbst organisiert. John
Erpenbeck und Volker Heyse (1999) geben hierzu in Anlehnung an den Physiker
Hermann Haken folgendes Beispiel:
146 B 2 Theoretische Grundlagen für Future Skills
„Denken wir uns ein Schwimmbad, bei dem die Schwimmerinnen und Schwim-
mer in einer Richtung zum anderen Rand und zurückschwimmen sollen. Ist das
Schwimmbecken sehr voll, wie das an heißen Sommer tagen der Fall ist, so sind sehr
viele Schwimmerinnen und Schwimmer unterwegs und behindern sich beim Hin-
und Herschwimmen. De shalb kommen manche Bademeisteri nnen und Bademeister
auf die Idee, die Schwimmenden im Kreis herumziehen zu lassen. Die gegenseitige
Behinderung ist dabei viel k leiner. Hier ist den Schwimmerinnen und Schwimmern
vom Badeperson al eine kollektive Bewegu ng vorgeschrieben worden. Ab er auch ohne
Bademeister in oder Bademeister können die Schwi mmerinnen und Schwimmer au f
die Idee kommen, im Kreis zu schwimmen. Erst sind es vielleicht nur einige, aber
immer mehr schließen sich ihnen an, da die Kreisbahn auch für diese bequemer ist.
So entsteht sch ließlich eine kollek tive Bewegung u nd zwar ohne äußere A nordnung,
das heißt selbstorganisiert.“ (Haken & Portugali 1995)
Es stellt sich also selbstorganisiert ein Ordnungszustand oder kurz Ordner ein.
Niemand steht draußen am Rand und ru ordnend, normierend: Jetzt schwimmen
wir mal alle im Kreis, links oder rechts herum! Im Gewusel der Schwimmerinnen
und Schwimmer schwimmen einige eher zufällig in eine Richtung, nach links
oder rechts. Diese Instabilität setzt sich schnell, fast schlagartig durch, zwingt alle,
die sich noch ungeordnet bewegen, auf die Kreisbahn. Die Kreisbahn bildet einen
Ordner. Der Ordner, im skizzierten Beispiel, die Kreisbewegung und die von ihm
versklavten Teile, die Schwimmenden, bedingen sich in ihren Bewegungsformen
gegenseitig.
„Durch die Kollektivbewegung der Teile entsteht der Ordner. Der Ordner umge-
kehrt „versklavt“ die Teile, indem er sie in den Ordnungszustand zwingt.“ (Haken
& Portugali 1995)
Haken formuliert, dass sich durch die „Versklavung“ der Individuen, durch den
Ordner ein Phasenübergang bildet. Während des Phasenübergangs zeigen sich be-
reits Eigenschaen von beiden Phasen, der alten und der neuen. Allerdings besteht
keine Kausalität zwischen den Phasen. Es kann nicht vorhergesagt werden, welcher
neue Zustand durch den Ordner hervorgerufen wird.
Ein anderes Beispiel:
„Eine Treppe mit Fu ßgänger(innen)verkehr in Deut schland. Es is t sehr wahrschei nlich,
dass sich „Rechtsverkeh r“ ergibt , allerdings ist d as nicht zwangsläu g. Schon wenige
englische Touristinnen und Touristen auf einer Treppe reichen aus, um vielleicht
einen Ordner für „Linksverkehr“ zu bilden. (Haken & Portugali 1995)
Haken (1991) versteht unter „Nichtlinearität“, dass kleinste Änderungen der Sys-
temstruktur riesige Auswirkungen auf den Systemzustand haben können. Durch
B 2.5 Synergetik und Selbstorganisation 147
147
die Ordner ndet eine Komplexitätsreduzierung statt. Es ist nicht nötig, das genaue
Verhalten der einzelnen Individuen zu kennen, es reicht zu wissen, welche Ordner
für die Individuen maßgebend sind (Haken 1991: 23). Als Beispiel führt Haken die
Erbsubstanz DNS (Desoxyribonukleinsäure) der Lebewesen an. Trotz des riesigen
Umfangs der DNS ist in diesem nicht die Information für jede einzelne Körperzel le
abgelegt. Vielmehr enthält die DNS lediglich Informationen für die verschiedenen
Zelltypen sowie die Information zur Bildung von Ordnern, die für eine Struktu-
rierung der Zellen sorgen. Während der Selbstorganisation kann es passieren, dass
mehrere Zustände nach dem Phasenübergang gleichwahrscheinlich sind. In dieser
Situation entscheidet der Zufall, welcher Zustand sich nach dem Phasenübergang
ergibt. Daraus folgt, dass eine Vorhersagbarkeit nicht möglich ist. Das System neigt
zum Nichtdeterminismus (Erpenbeck & Heyse 1999).
Damit es überhaupt zu einem Phasenübergang kommt, muss dem System
Energie zugeführt werden. In sozialen Systemen tritt an die Stelle der Energie
die Information. Bevor wir auf die besondere Bedeutung von Informationen als
induzierende Momente für den Phasenzustandswechsel sozialer Systeme und die
Digitalisierung eingehen, noch einmal zu den Grundprinzipien von Selbstorgani-
sation in der eorie Hakens.
Nach Mainzer (1992) können selbstorganisierte Systeme prinzipiell nicht voll-
ständig von außen gelenkt und gesteuert werden. Sie unterliegen innerer Bedingtheit
und Bestimmtheit. Ihre Strukturen sind demnach vor al lem durch innere Faktoren
beding t. Ihre Zukun ist real, oen. Erpenbeck (2018) beschreibt die Übertragung
von Hakens Selbstorga nisationstheorie auf den Prozess menschlicher Handlungen
und Wertungen und benennt wichtige Prinzipien für selbstorganisierte Systeme,
die einen wichtigen Hintergrund für die Entwicklung von Future Skills bilden:
1. Er führt aus, dass erstens in allen solchen Systemen, das bereits beschriebene
Prinzip des Ordnungsparameters gilt. Das heißt, es existieren in der Regel spe-
zielle Bewegungen, die alle Teilbewegungen koordinieren, konsensualisieren,
manchmal auch versklaven. Dies gilt im übertragenen Sinne auch für geistiges
und symbolisches Handeln, das durch übergeordnete Ordnungsparameter,
nämlich Werte und Normen, koordiniert wird. Die Entstehung derartiger Ordner
ist kaum zu prognostizieren und schwer zu administrieren.
2.
Er führt zweitens aus, dass für alle selbstorganisierten Systeme nur eine be-
schränkte Vorhersagbarkeit gilt. Ihre Entwicklungen lassen sich prinzipiell
nicht sehr langfristig, manchmal nicht einmal kurzfristig, prognostizieren.
Vielmehr gilt das Prinzip der Historizität. Durch Entwicklung und Evolution
entstandene Strukturen und Prozesse lassen sich nur im Kontext ihrer konkreten
Entstehungsgeschichte verstehen.
148 B 2 Theoretische Grundlagen für Future Skills
3. Das Prinzip der Komplexität ist drittens für soziale, selbstorganisierte Syste-
me wichtig. Schon aufgrund ihrer Komplexität sind die meisten Systeme nur
unvollständig beschreibbar. Innere Zustände beeinussen sich selbst. Das Sys-
temverhalten ist weder aus Inputs noch aus internen Zuständen ableitbar. Die
Komplexität ist nicht reduzierbar.
4.
Viertens gilt das Prinzip der Redundanz. Information ist über das System
verteilt. Es gibt kein ausschließliches Hierarchieprinzip. Die Gestaltung und
Lenkung des Systems kann aus Teilsystemen heraus erfolgen. Unterschiedliche
Wer te mit analogen Funktionen, aber auch analoge Werte mit unterschiedlichen
Funktionen können entstehen, friedlich nebeneinander existieren, sich aber
auch heig bekriegen.
5. Es ist fünens das Prinzip der Selbstbezüglichkeit, der Selbstreferentialität von
selbstorganisierten Systemen zu beachten. Ihr Systemverhalten ist das Produkt
eines inneren Zusammenhangs. Jedes Handeln wirkt auf das System selbst
zurück und ist Ausgangspunkt weiteren Handelns.
6. Sechstens das Prinzip der Autonomie. Das selbstorganisierte System ist zwar
nicht informationell unabhängig, aber im Sinne von Selbstgestaltung, -lenkung
und Entwicklung selbstbestimmt gegenüber der Umwelt.
7.
Und siebtens und letztens weist Erpenbeck darauf hin, dass soziale Systeme immer
selbstorganisiert und kreativ sind; immer werte- und willensgesteuert, sinn-
und zweckorientiert, sie beruhen auf Kommunikation, Symbolen und Lernen.
Die Wichtigkeit von Informationen für die Änderung des Phasenzustands von
sozialen Systemen, ihr Einuss und die Bedeutung der Digitalisierung wurde
u. a. durch Dirk Bäcker (2018), Professor für Soziologie an der Universität Witten
Herdecke aufgearbeitet und wird in Kapitel B 2.7 Digitalisierung und Selbstorga-
nisation näher beschrieben.
B 2.6 Ko- Evolution und Selbstorganisation:
Ökosystemtheoretische und sozialökologische
Erklärungsansätze
B 2.6 Ko-Evolution und Selbstorganisation
Urie Bronfenbrenner gründete 1978 eine ökologische Sozialisationsforschung, die
sich ähnlich der qualitativen Sozialforschung für natürliche Alltagssituationen
der Menschen und deren subjektiven Sinngebungen interessierte. André Epp
(2018) bewertet dies auch als eine Kritik an den vorherrschenden psychologischen
Laborexperimenten der siebziger Jahre und den damit verbundenen determinis-
B 2.6 Ko-Evolution und Selbstorganisation 149
149
tischen eorien hat der Psychologe. Er veröentlichte dabei das ökosystemische
Entwick lungsmodel l, in das er sowohl die ursprüngliche soziale als auch die biolo-
gische Bedeutung des Begries Ökologie aufnahm (Bronfenbrenner 1976). Erstere
Bedeutung leitet sich vom griechischen Wort oikos (griechisch für Haushalt bzw.
Hausgemeinscha) ab, verweist also auf die Art und Weise, wie der Haushalt zu-
sammengesetzt, die Familie organisiert ist und wie diese zu anderen Menschen in
Beziehung steht. Ihre Bedeutung ist an biologische Ökosysteme angelehnt. Diese
bestehen aus biotischen Gemeinschaen von aufeinander bezogenen Organismen,
die sich zusammen den gleichen Lebensraum teilen. Zu berücksichtigen ist, dass
Ökosysteme unterschiedliche Größen haben und sich wechselseitig überschneiden
können (Epp 2018). Menschliche Ökosysteme umfassen jedoch nicht nur biologische,
sondern auch kulturelle Lebensbedingungen.
Bronfenbrenner (1981) verweist mit seinem Modell darauf, dass Entwicklung
als ein wechselseitiger interaktionistischer Prozess zwischen dem Individuum
und seiner sozialen Umwelt betrachtet werden muss. Dabei sind die Intera ktionen
ineinander verschachtelt und die verschiedenen Elemente des Systems beeinussen
sich wechselseitig. Die Veränderung eines Elements kann die Modikation anderer
nach sich ziehen (Oerter 1995: 88), sodass sich ein Geecht von Interaktion und
Beziehung herausbildet. Der ökologische Übergang ist somit immer Folge wie auch
Anstoß von Entwicklungsprozessen, die sowohl positiv als auch negativ sein können.
Heute ndet der Begri des Ökosystems immer öer auch im Zusammenhang
mit Organisationen und wirtschalichen Beziehungsnetzwerken Verwendung. Im
Jahre 1989 transferierten Rober t A. Frosch und Nicholas E. Gallopoulos (1989) das
Konzept zunächst in den Bereich industrieller Ökosysteme. Micheal Rothschild
wiederum bezeichnete ein Jahr später gar die ganze (kapita listische) Wirtscha als
„living ecosystem“ (später veröentlicht in Rothschild 2004). Der wissenscha liche
Durchbruch gelang im Jahr 1993, als James F. Moore das Konzept der Business
Ecosystems im Harvard Business Review veröentlichte und die Inhalte in seinem
Buch e Death of Competition verfeinerte (Moore 1996). Moore spricht darin von
der sich im Laufe der Zeit entwickelnden Koevolution verschiedener Organismen
des Business Ecosystems, die sich zunehmend an den Richtungsvorgaben der im
Ecosystemhrenden Parteien orientieren:
“An economic community supported by a foundation of interacting organizations
and individuals – the organisms of the business world. e economic community
produces goods and services of value to customers, who are themselves members
of the ecosystem. e member organisms also include suppliers, lead producers,
competitors, and other stakeholders. Over time, they coevolve their capabilities and
roles, and tend to align themselves with the directions set by one or more central
companies. ose compan ies holding leadership role s may change over time, but the
150 B 2 Theoretische Grundlagen für Future Skills
function of ecosystem leader is valued by the community because it enables mem-
bers to move toward shared visions, to align their investments, and to nd mutually
supportive roles.” (Moore 1996)
Der ökologische Übergang kann auch als ein Phasenübergang von Systemen im
Emergenzprozess beschrieben werden, wie sie oben dargelegt wurden. Verände-
rungen betreen somit grundsätzlich nicht nur die individuelle Ebene, sondern
das ökologische System als Ganzes. Unter Ökologie wird die Gesamtheit der po-
tentiellen und rezipierten Umweltbedingungen eines Individuums gefasst, so wie
die Transkation, also die Aktivität und Dynamik im gesamten System zwischen
dem Individuum und seiner Umwelt (Epp 2018). Folglich nden nicht nur die
Interaktionen im unmittelbaren Lebensraum eine Berücksichtigung, sondern
auch zunächst entfernter erscheinende Kontexte wie beispielsweise strukturelle
oder normative Bedingungen des Gesellschassystems rücken in das Blickfeld, da
Menschen von diesen beeinusst werden, sie diese aber andererseits wiederrum
selbst beeinussen (Seifert 2011: 114 in Epp 2018). Bronfenbrenner bezeichnet diese
Strukturen als Mik ro-, Meso-, Exo- und Makrosysteme, wobei jedes folgende größer
und umfassender als das vorausgegangene ist (Oerter 1995: 88).
Unter dem Mikrosystem werden all diejenigen Faktoren gefasst, die dem In-
dividuum in seinem Handeln durch ein anderes Individuum zugeschrieben
werden; also bestimmte äußerliche Merkmale, Fähigkeiten usw. Es handelt sich
um personale Einussgrößen, die im Individuum verortet werden.
Epp führt aus, dass das Mesosystem die Wechselbeziehung zwischen den Le-
bensbereichen umfasst, an denen sich die entwickelnde Person aktiv beteiligt,
wie ein Kind etwa die Beziehung zw ischen Elternhaus, Schule und Kameraden-
gruppe, für einen Erwachsenen die zwischen Familie, Arbeit und Bekannten-
kreis (Bronfenbrenner 1981: 41). Zum Mesosystem gehören dementsprechend
die verschiedenen Lebenskontexte, in denen sich ein Individuum bewegt, was
auch die Organisationen einschließt.
Diejenigen Bereiche, an denen sich die entwickelte Person nicht selbst beteiligt,
in denen aber Ereignisse stattnden, die beeinussen was in ihrem Lebensbereich
geschieht, werden als Exosystem bezeichnet (Bronfenbrenner 1981: 42). Dies
beinhaltet formelle und informelle Strukturen, zu denen das zu entwickelnde
Individuum nicht unmittelbar als handelnde Person gehört. Es ist dort also
nicht anwesend. Stattdessen beeinussen diese Strukturen indirekt das Indivi-
duum. Andererseits beeinusst das Individuum aber auch auf Umwegen diese
Strukturen. Zusammengefasst können Exosysteme als Quel len von Eekten aus
entfernten Umweltregionen beschrieben werden. Darunter fallen die größeren
B 2.6 Ko-Evolution und Selbstorganisation 151
151
Institutionen der Gesellscha und wie sich diese auf der konkreten lokalen
Ebene entfalten.
Interessant ist, dass der Begri des Makrosystems sich nicht auf spezische
Kontexte wie das Leben des oder der Einzelnen richtet und diese betri,
sondern vielmehr auf übergeordnete institutionelle Muster, Strukturen und
Aktivitäten. Epp (2018) deniert mit Bronfenbrenner, dass das Makrosystem
sich auf die grundsätzliche formale und inhaltliche Ähnlichkeit der Systeme
niedrigerer Ordnung bezieht, die in der Subkultur oder in der ganzen Kultur
bestehen oder bestehen können, einschließlich der ihnen zugrundeliegenden
Weltanschauung und Ideologien. Beispiele hierfür sind das politische System,
das soziale, juristische System und globale übernationale Organisationen und
Institutionen.
Epp (ebenda) führt weiterhin aus, dass grundsätzlich gelte, dass es sich bei den
unterschiedlichen Systemebenen um eine topologisch ineinander geschachtelte
Anordnung handelt, die jeweils als ein die nächste Struktur umschließendes Gebilde
verstanden werden kann. Dementsprechend wirkt die Makroebene nicht direkt
auf die Mikroebene, sondern die Wechselwirkung der einzelnen Ebenen und in
ihnen enthaltenen Systeme muss bedacht werden. Da Veränderungen im ökosys-
temischen Entwicklungsmodell grundsätzlich als ein Konglomerat miteinander
interagierender und kommunizierender Systeme und Faktoren verstanden werden,
werden Parallelen zum symbolischen Interaktionismus deutlich. Bronfenbrenner
teilt implizit dessen wissenschastheoretische Annahmen. Mittels des ökosystemi-
schen Entwicklungsmodells können die Relevanzstrukturen und Realitätsebenen
rekonstruiert und analysiert werden, inwiefern Menschen in unterschiedlichen
gesellschalichen Kontexten (Mikro-, Meso-, Exo- und Makrosysteme) Bedeutung
zuschreiben und welche Rolle diese für die Konstruktion ihrer Realität besitzen
(Epp 2018). Da Wirklichkeit nicht als vorgegeben erachtet wird, sondern durch
Subjekte kontinuierlich konstruiert wird, erhalten soziale bzw. gesellschaliche
Systeme ihre Bedeutung erst durch die Interpretationsleistungen der Handelnden.
Auf diesen Annahmen baut auch der sozialökologische Ansatz Dieter Baackes
(1980) auf. Sozialökologische Ansätze untersuchen die Wechselbeziehungen zwischen
sozialer Umwelt und sozia lem Verhalten des Menschen (Ehlers 2011). Sozialisation
wird dabei verstanden als Folge aktiver Prozesse der Auseinandersetzung mit der
symbolischen, sozialen und materiellen Umwelt sowie sich selbst. In die pädagogi
-
sche Jugendforschung in Deutschland hat Dieter Baacke den sozialökologische(n)
Ansatz zur Beschreibung und Erklärung des Verhaltens Jugendlicher im Anschluss
an Bronfenbrenner eingebracht (Baacke 1980; Bronfenbrenner 1974, 1976). In den
folgenden Jahren wurde er von der Arbeitsgruppe um Dieter Baacke zunächst in
152 B 2 Theoretische Grundlagen für Future Skills
der Jugendforschung (Sander & Vollbrecht 1985), später auch als Mediensozialisa-
tionsansatz empirisch u mgesetzt (Baacke 1988; Baacke, Sander & Vollbrecht 1988;
Baacke, Frank & Radde 1991). Als besonders ertragreich erwies sich das Projekt
Medienwelten Jugendlicher (Baacke, Sander &Vollbrecht 1990a und 1990b), mit
zahlreichen Publikationen in unterschiedlicher Autorenscha (Baacke, Sander &
Vollbrecht 1988; Vollbrecht 1988; Vollbrecht 1990; Treumann et al. 2002).
Mit Bennewitz kann man formulieren: Die soziale Welt wird als eine durch
interaktives Handeln konstruierte Welt verstanden, die für den einzelnen aber
auch Gruppenkollektive sinnha strukturiert ist. Soziale Wirklichkeit stellt sich
somit als Ergebnis von sozial sinnhaen Interaktionsprozessen dar (Bennewitz
2010: 45). Die Ökosystemtheorie bietet also einen Erklärungsansatz, der darstellt,
in welcher Weise soziale Systeme und Individuen auf unterschiedlichen Ebenen
vom Individuum bis zur globalen Sozialstruktur zusammenwirken. Dirk Bäckers
Medienanalyse zeigt, wie Medien diese unterschiedlichen Ebenen beeinussen und
zusammenbringen und Überschuss an Sinn und an Informationen dazu führt,
dass in den jeweiligen Teilsystemen sich gegenseitig beeinussende Selbstorgani-
sationsprozesse ablaufen. Wie diese Selbstorganisationsprozesse funktionieren,
erklärt Herrmann Hakens eorie in der Synergetik.
Mit dem Ansatz der Autopoiesis können Selbstorganisationsprozesse ebenfalls
erklärt und konzeptualisiert werden. Das Konzept der Autopoiesis ist eine Teilmenge
des allgemeingültigen ontologischen Konzepts der emergenten Selbstorganisation.
In der Biologie stellt das Konzept der Autopoiesis einen Versuch dar, das charakte-
ristische Organisationsmerkmal von Lebewesen oder lebenden Systemen mit den
Mitteln der Systemtheorie zu denieren. Der vom chilenischen Neurobiologen
Humberto Maturana (1987) geprägte Begri wurde in der Folge seiner Veröent-
lichungen aufgebrochen und für verschiedene andere Gebiete wissenschalichen
Schaens abgewandelt und fruchtbar gemacht und soll im Folgenden im Kontext
der Selbstorganisation thematisiert werden.
B 2.7 Digitalisierung und Selbstorganisation
B 2.7 Digitalisierung und Selbstorganisation
In sozialen Systemen kommt es durch das Entstehen von Ordnern zu innerer Struk-
turbildung, die als Phasenübergang bezeichnet werden kann. Dabei kann dieser
Phasenübergang unter Bedingung der Energiezufuhr bei natürlichen Systemen
und Informationszufuhr bei sozialen Systemen ausgelöst werden. Die Digitalisie-
rung fungiert als Medium, welches einen Informationsüberuss für alle sozialen
Systeme darstellt (Bäcker 2018). Die Aufarbeitung der gesellschalichen Entwick-
B 2.7 Digitalisierung und Selbstorganisation 153
153
lung anhand der sogenannten Archäologie der Medienepochen von Dirk Bäcker,
einem Soziologen an der Universität Witten-Herdecke, macht dies deutlich. Seine
Hypothese ist, dass elektronische Medien der Gesel lscha an der Schnittstelle von
Mensch und Maschine einen „Überschusssinn“ (Bäcker 2018) bereitstellen, auf des-
sen Bearbeitung bisherige Formen der Gesellscha strukturell und kulturell nicht
vorbereitet sind. Es werden also durch die Bereitstellung eines Überschusses an Sinn
und Informationen durch elektronische Medien, Anpassungs- und Kompensati-
onsbewegungen in gesellschalichen Systemen ausgelöst, deren Gestaltungs- und
Strukturierungsrichtung nicht vorhersehbar ist und im Sinne von Emergenz zu
selbstorganisierten Prozessen führt.
Die Idee des Begries des „Überschusssinns“ folgt einem Vorschlag von Niklas
Luhmann (1997: 405), verschiedene Formen der Gesellscha unter dem Gesichts-
punkt jeweils dominanter Verbreitungsmedien der Kommunikation zu beobachten
und in diesem Sinne zwischen der tribalen, der antiken, der modernen und einer
nächsten Gesellscha (next society) zu unterscheiden. In diesen sind zunächst a) die
Sprache, dann b) die Schri, dann c) der Buchdruck und schließlich die elektroni-
schen Medien jeweils dominant. Dabei ist zu erkennen, dass jedes in der Evolution
der Gesellscha neu auretende Verbreitungsmedium neue Möglichkeiten der
Kommunikation in sich trägt und ausprägt, mit denen neue, bisher unverbundene
Akteurinnen und Akteure auf neue Weise miteinander in Kontakt treten. Laut
Bäcker bedroht das Erreichen und Verstehen neuer Kreise von Adressaten die
bisherige Struktur und Kultur, bringt sie in die Instabilität und Imbalance und
destabilisiert die bisherigen Institutionen, Konventionen und Routinen, die auf die
Modalitäten der älteren (Verbreitungs-)Medien eingestellt sind. Genau in dieser
Instabilität liegt nun der Moment der Selbstorganisation des Neuen in sozialen
Systemen und Organisationen.
Bäcker (2018) führt weiter aus, dass die Sprache einen Überschusssinn produ-
ziert, der über die Wahrnehmung von Körpern, Gesten, Bewegungen und allenfalls
einigen Warn- und Trostlauten hinausgeht und die Menschheit mit dem Drama
konfrontiert, zwischen Wort und Sache unterscheiden lernen zu müssen, um eine
Sprache (inklusive ihrer Möglichkeit der Lüge) überhaupt handhaben zu können.
Der Bewältigung des Referenzproblems der Sprache (Deacon 1997) inklusive der
Einführung von Moral und Geheimnis zur Kontrolle der Frage „wer mit wem wo-
rüber reden darf“ und zur Markierung dessen, worüber nicht gesprochen werden
darf, verdanke die tribale Gesellscha ihre Entstehung (Luhmann 1997: 230 nach
Bäcker 2018). In eine weitere Medienepoche tritt die Menschheit in dem Moment
ein, so Bäcker weiter, in dem zunächst die Schri und dann die alphabetische
Schri einen neuen Überschusssinn produzieren, indem sie die Zeithorizonte der
Gesellscha explodieren lassen. Die Schri ermöglicht kontrollierbare Zugrie
154 B 2 Theoretische Grundlagen für Future Skills
auf eine dierenzierbare Vergangenheit und korrigierbare Zugrie auf eine noch
oene Zukun. Schrigesellschaen sind deswegen historische und wegen ihres
reexiven, das heißt laufend überprüen Umgangs mit Mythen, sog. „heiße Ge-
sellschaen“ (Lévi-Strauss 1962). Die Begrie heiße und kalte Gesellschaen bzw.
Kulturen, gehen auf das Werk „Das wilde Denken“ des französischen Ethnologen
Claude Lévi-Strauss aus dem Jahr 1962 zurück. In diesem unterscheidet er Kul-
turen nach ihrer weltanschaulichen Einstellung zum Kulturwandel. Je kälter eine
Gesellscha auf der Skala demnach ist, desto ausgeprägter ist ihr Bestreben, ihre
traditionellen Kulturmerkmale möglichst unverändert zu bewahren – eine Kultur
wird dagegen als umso heißer eingeordnet, je größer ihr Antrieb zu tiefgreifenden
und schnellen Modernisierungen der Gesellscha ist. Die Schri erschließt als
lineare und oene Perspektiven, eine Vergangenheit und eine Zukun, die zuvor
in der ewigen Wiederkehr der Erinnerung an die Ahnen zirkulär verschlossen
war. Die in einem variierbaren Gedächtnis und in variierbaren Plänen enthaltene
Komplexität der Gesellscha w ird durch Stratikation aufgefangen, die es erlaubt,
unterschiedlichen Sozialschichten die Orientierung an unterschiedlichen Zeitho-
rizonten zuzuordnen.
Jede dieser Medienepochen ist durch einen Überschusssinn gekennzeichnet,
der die vorherige Ordnung bedroht und nur in einer neuen Ordnung aufgefangen
werden kann. Andernfalls müsste die Gesellscha Mittel und Wege nden, das
jeweilige neue Verbreitungsmedium der Kommunikation abzulehnen. Tatsächlich
begleitet der Versuch der Ablehnung die Einführung jedes neuen Verbreitungs-
mediums. Seit der Einführung der Schri gibt es dafür Beispiele in Hülle und
Fülle. Dass Kommunikation entkörpert, gilt nicht erst seit der Einführung und
Durchsetzung der neuen elektronischen Kommunikationsmedien oder des Buch-
druckes, sondern seit der Einführung der Schri und bereits der Sprache, auch
wenn die Reaktion der Gesellscha auf die Sprache aus naheliegenden Gründen
nicht dokumentiert ist. Die Ablehnung der neu entstehenden Medien – so Bäcker
(2018) – ist ein Topos, der medien- und kulturkritisch bis heute wiederholt wird.
Entscheidend sei jedoch, dass die Ablehnung neu auretender Medien ihrerseits
eine Form der Beobachtung ihrer möglichen Konsequenzen und damit eine Form
der Entdeckung möglichen Nutzens ist – auch wenn man diesen nur dadurch re-
alisieren kann, indem man die Ablehnung überwindet und gegen Strukturen der
Gesellscha verstößt. Die Medienevolution der Gesellscha ndet im Medium der
Ablehnung von Medieninnovationen statt.
Jedes Medium ist daher zum Zeitpunkt seines Auretens auch als disruptiv zu
bewerten. Die dann jeweils von Ökonomen nachgewiesene Senkung der Trans-
aktionskosten überzeugt immer nur die einen und bedroht die anderen, deren
Renten von einer Ausbeutung der Transaktionskosten abhängen. Es hängt von
B 2.7 Digitalisierung und Selbstorganisation 155
155
technischen – ebenso wie sozial – ndigen Innovationen ab, ob es gelingt, den
Gebrauch eines neuen Mediums in zunächst möglicherweise marginalen, dann
zunehmend zentralen Bereichen der Gesellscha zu verankern. Dies gilt und galt
auch für die moderne Buchdruckgesellscha, die gegen jede Autorität verstößt, die
die Schrigesellscha im Umgang mit den Quellen und den Hierarchien mühsam
zu einer eindrucksvoll geschlossenen Kosmologie aufgebaut hatte. Dass man sich
auf dieses Teufelswerk der beweglichen Lettern und der Massenproduktion von
Texten eingelassen hat, konnte zunächst nur dadurch gerechtfertigt werden, dass
man vorgab, nur die Bibel massenha reproduzieren zu wollen und mit ihr die
Erde so zu wässern, w ie es sich Gott nicht besser wünschen könnte (Giesecke 1991).
Der Buchdruck galt als Maschine der Kommunikation – und das hieß zunächst
Verbreitung der Bibel und weiterer gottesfürchtiger Literatur. Und niemand ahn-
te, dass das religiöse Angebot nicht ausreichen würde, genug Nachschub für die
Druckmaschinen sicherzustellen, die mit einem erheblichen Kapitalaufwand in
Betrieb genommen worden waren. Der Humanismus, die Aulärung und der
Gedanke einer Bildung für alle, inklusive der dafür erforderlichen Alphabetisie-
rung, kam gerade recht, den fehlenden Content nachzuliefern und rezipierbar zu
machen (Bäcker 2018).
Dirk Bäcker analysiert in eindrucksvoller Weise den Überschusssinn, den die
digitalen Medien produzieren. Überschusssinn bedeutet dabei jeweils, dass ein
Medium der Kommunikation mehr Möglichkeiten der Kommunikation bereitstellt,
als je aktuell wahrgenommen werden können. Jede neue Medienepoche muss sich
auf diesen Überschusssinn erst einstellen und das Einstellen heißt dabei nicht,
dass der Überschusssinn verschwindet, sondern es heißt, das Formen bereitstehen,
eben eine Struktur und eine Kultur der Gesellscha, in denen er aufgegrien und
reduziert werden kann ohne ihn als solche zum Verschwinden zu bringen. Diese
Formen sind Formen neuer gesellschalicher Kulturen, neuer gesellschalicher
Zusammenhänge, die im Sinne einer Evolution entstehen, um mit Überschusssinn
und Überschussinformationen umgehen zu können.
Dieses Entstehen ist ein im besten Sinne emergenter Prozess, in dem Selbstorga-
nisation als Prinzip im Sinne Hakens wirksam wird. Durch die intensive Vernetzung
durch das Internet werden Informationen im Überschuss bereitgestellt. Dadurch
vernetzen sich Systeme miteinander und es entstehe neue Systeme. Zudem verä ndern
bestehende Systeme ihre Phasenzustände und treten in Selbstorganisationsprozesse
ein. Reden wir hier von Gesellscha u nd gesellschalichen Herausforderungen, so
muss mit Luhmann (1991) immer konstatiert werden, dass die Soziologie Gesell-
scha systemtheoretisch als Kommunikationssystems versteht. Das heißt, wir reden
von globalen Gesellschaen. Die Abhängigkeit der unterschiedlichen Ebenen, der
unterschied lichen gesellscha lichen Teilsysteme, sowohl auf globaler als auf loka ler
156 B 2 Theoretische Grundlagen für Future Skills
Ebene, die durch neue Medien miteinander vernetzt werden, werden auch in ihre
Interdependenz durch Bronfenbrenners Ökosystemtheorie erklärt.
Bronfenbrenner (1981b) entwickelt mit seinem ökosystemtheoretischen Modell ein
Modell, das Entwick lung als wechselseitigen, interaktionistischen Prozess zwischen
dem Individuum und seiner sozialen Umwelt betrachtet. Dabei zieht ein Entwick-
lungsschritt den anderen nach sich, die Interaktionen sind ineinander verschachtelt
und die verschiedenen Elemente des Systems beeinussen sich wechselseitig. Die
unterschiedlichen Systemebenen stehen also miteinander in Verbindung. Der
ökosystemtheoretische Ansatz ist damit ein weiterer Erklärungsansatz, der zeigt,
in welcher Weise Systeme miteinander in Beziehung und miteinander in Kommu-
nikation stehen können. Diese Kommunikation und dieses in Beziehung stehen
wird durch Digitalisierung verstärkt und ein Zusammenhang existiert zwischen
den Systemen auf globa ler Mak roebene und lokaler individueller Mikroebene. Die
Nutzung von Twitter zur Übermittlung politischer Kommunikation ist hierfür
ein Beispiel, dass Ankündigungen o direkt eine Kette an Einüssen auslösen,
die zunächst politisch, dann wirtschalich, dann direkt individuell fühlbar sind.
durch den Der so entstehende Zusammenhang führt zu einer sich selbst beschleu-
nigenden, selbsttätigen und nicht gerichteten, unvorhersehbaren, hochemergenten
Weiterentwicklung in Teilbereichen der gesellschalichen Systeme.
B 2.8 Autopoiesis und Selbstorganisation
B 2.8 Autopoiesis und Selbstorganisation
Die Autopoiesis nach Maturana (1987) versucht die nach dem zweiten Weltkrieg
entstandene Kybernetik auf die Biologie zu übertragen. Maturanas Intention hier-
bei besteht darin, zu klären, wie der Mensch zur Erkenntnis gelangen kann. Nach
Maturana sind lebende Systeme stets autopoietisch. Der Begri Autopoiesis, (alt-
griechisch autos, deutsch selbst und poiein, deutsch schaen, bauen) bedeutet so viel
wie Selbsttun oder Selbstgestaltung. Demnach dürfen nur Systeme als autopoietisch
bezeichnet werden, die ihre Systemelemente selbst erzeugen, also selbstorganisiert
agieren. Alle Systemelemente müssen aus den vorhandenen Systemelementen ent-
stehen. In diesem Zusammenhang spricht man von Zirkularität. Es werden keine
Systemelemente aus der Umwelt in das System übernommen.
Autopoiesis ist auch ein Schlüsselbegri in der soziologischen Systemtheorie
von Niklas Luhmann, der den Begri Autopoiesis auf die Betrachtung sozialer
Systeme übertragen hat (Luhmann 1984). Er bezieht sich dabei auf das Werk von
Maturana und Varela sowie die erweiternde Diskussion bei Milan Zeleny bezüglich
der Anwendung des Konzeptes auf Organisationen (Zeleny 1981). Seine zentrale
B 2.8 Autopoiesis und Selbstorganisation 157
157
ese lautet, dass soziale Systeme ausschließlich aus Kommunikation(ssystemen)
bestehen und in Autopoiesis operieren. Darunter ist zu verstehen, dass die Systeme
sich in einem ständigen, nicht zielgerichteten autokatalytischen Prozess quasi aus
sich selbst heraus erschaen. Die Systeme produzieren und reproduzieren demnach
sich selbst (ebenda).
Autopoietische Systeme müssen abgeschlossen gegenüber der Umwelt sein. Damit
ist gemeint, dass eine Strukturveränderung nur aus dem System heraus entstehen
kann, Systeme also selbstreferentiell sind. Nicht gemeint ist damit eine energetische
oder informationelle Abgeschlossenheit gegenüber der Umwelt. Denn Strukturän-
derungen auslösende Systemstörungen können durchaus durch Umwelteinüsse
erfolgen. Das System wählt durch die Festlegung der Systemgrenze den Umfang und
die Art des Kontakts zur Umwelt. Diese Eigenscha wird als stru kturelle Kopplung
bezeichnet u nd bedeutet, dass es eine Umweltkopplung zwischen dem System-Innen
und dem System-Außen gibt, mit der der Systemumfang festgelegt ist. Aufgrund
dieser Systemgrenze ist das System nicht fähig Zustandsänderungen der Umwelt
wahrzunehmen. Auf der anderen Seite kann ein externer Beobachtender keine
Aussagen über die interne Organisation des autopoietischen Systems treen. Man
bezeichnet dies als operative Geschlossenheit (ebenda). Von außen kann lediglich
eine Betrachtung erfolgen.
Durch die operative Geschlossenheit und Selbstreferentialität autopoietischer
Systeme ist eine gezielte Beeinussung des Systems unmöglich. Da die Umwelt den
Zustand des autopoietischen Systems nicht erkennen kann, kann die Umwelt nicht
beurteilen, wie das System auf einen Umwelteinuss, eine Störung reagiert. Der
Einuss in einem Organisationssystem oder einem Team von außen durch Infor-
mationsüberuss, durch digitale Medien, kann also nach autopoietischer Analyse
im System zu Änderungen führen, die aber selbstreferentiell und selbstorganisiert
sind und insofern nicht im Ergebnis determiniert werden können.
Man spricht in der Autopoiesis von Selbstorganisation, da das autopoietische
System spontan seinen eigenen Zustand an Randbedingungen der strukturellen
Kopplung anpassen kann (ebenda). Die Autopoiesis hat im Bereich der Biologie
und der Soziologie den Gedanken der Selbstorganisation etabliert. Eine Vielzahl
von Managementpraktiken wurde von der Autopoiesis inspiriert. Der Bezug zur
Emergenz ergibt sich, wenn man betrachtet, dass in einem autopoietischen System
durch Selbsterzeugung und Selbstreferenz eine Vielzahl von Systemelementen
organisiert werden und dabei in ihrer Gesamtheit (im emergenten Sinne) höhere
oder neue Eigenschaen hervorbringen. In der eorie der Autopoiesis wird
betont, dass in einem autopoietischen System neben den Systemelementen eine
systemspezische Organisation herrscht. Dabei geht man davon aus, dass einzelne
Systemelemente austauschbar sind, solange die spezische Organisation erhalten
158 B 2 Theoretische Grundlagen für Future Skills
bleibt. Darin zeigt sich, dass das Systemverhalten nicht auf das Verhalten der
einzelnen Elemente zurückzuführen ist, sondern dass neben den Systemelemen-
ten eine spezische Organisation entsteht, die für das Systemverhalten genauso
entscheidend ist. Man kann deshalb davon ausgehen, dass autopoietische Systeme
emergente Eigenschaen aufzeigen.
B 2.9 Zusammenfassung und Fazit
B 2.9 Zusammenfassung und Fazit
Im Fazit wird deutlich, dass das Zusammenwirken komplexer Systeme zur Selbstor-
ganisation und Systemveränderung führt. Diese Systemveränderungen sind davon
gekennzeichnet, dass sie nicht linear auf den vorherigen Zustand zurückzuführen
sind und nicht determinist isch zustande kommen, also keine Vorhersagen getroen
werden können. Vernetzung durch digitale Medien, globales Zusammenwirken und
der Überschuss von Informationen durch die Digitalisierung führen zu schnelleren
Veränderungen auf der Ebene der sozialen Organisationen die sich auf allen Ebenen
der Makro-, Meso- und Mikroebene noch einmal selbst verstärken und beschleu-
nigen. Der Zusammenhang der Ökosystemebenen führt also zur Beschleunigung
selbstorganisierter Veränderung.
Selbstorganisation liegt a ls Prinzip also v ielen gesellschalichen Entwicklungen
zugrunde. Es entwickelt sich zu einem so durchdringenden Konzept, dass wir die
Entwicklung zur Selbstorganisation in der Gesellscha insgesamt aber auch in den
einzelnen gesellschalichen Teilbereichen, wie etwa den privaten oder öentlichen
Organisationen mit dem Begri Dri to Self-Organisation bezeichnet haben.
Im nächsten Abschnitt wollen wir betrachten, in welcher Weise Selbstorgani-
sation in Unternehmen und Organisationen wirkt.
159
B 3
Grundprinzipien von Future Skills
B 3 Grundprinzipien von Future Skills
B 3 Grundprinzipien von Future Skills
Hört man den Personalverantwortlichen von Organisationen zu, die sich bereits
weitgehend mit den neuen Formen von Arbeit und Governance beschäig t haben,
dann wird deutlich, dass sich alle auf dem Weg zu vernetzten und agilen Organi-
sationen benden. Mit durchaus unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Aus-
prägungen, aber doch mit ähnlichen Ergebnissen. Welches sind die Merkma le, die
bei allen gleich sind? Was wirkt im Hintergrund auf die Veränderungen? Und was
kann man daraus lernen, um besser für die Zukun vorbereitet zu sein?
Nun – es wird deutlich, dass allen bisher berichteten Vignetten und Episo-
den die gleiche Entwicklung zugrunde liegt: Organisationen haben sich auf den
Weg gemacht, die Grenze zwischen Struktur und Dynamik weiter in Richtung
Dynamik zu verschieben. Das ist ein für viele Organisationen noch weitgehend
unbekanntes Terrain. Alle Interviews machen deutlich, dass wir es mit einem
Zukunsbereich der Entwicklung zu tun haben. Hier wird experimentiert und
Maßnahmen ausprobiert.
Mit Blick auf die Frage, was zukünige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
brauchen, um in diesen sich wandelnden Arbeitsgebieten erfolgreich handeln zu
können: Fachliches, abruares Wissen reicht nicht mehr aus, um diese Entwick-
lung mitzugestalten. Es sind vielmehr Future Skills, denen vor allem Aspekte wie
Selbstbewusstsein, Selbstkompetenz, Selbstwert, Autonomie und Leistungsmo-
tivation zugrunde liegen. Dort, wo fach- und methodenbezogene Kompetenzen
gefragt sind, ist es weniger traditionelles Methodenwissen, etwa der Businessa nalyse
oder Fachwissen in einem bestimmten Bereich, sondern es sind Kompetenzen wie
Flexibilität und Oenheit, Vielseitigkeit, Fähigkeit zum Perspektivwechsel, Inter-
disziplinarität, Innovationskompetenzen wie beispielsweise Kreativität, Innovatives
Denken, Experimentierbereitscha, Systemkompetenzen, Systems-inking,
Wissen über Wissensstrukturen, vernetztes Denken, ana lytische Kompetenz oder
auch Digitalkompetenzen.
© Der/die Autor(en) 2020
U.-D. Ehlers, Future Skills, Zukunft der Hochschulbildung – Future
Higher Education, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29297-3_9
160 B 3 Grundprinzipien von Future Skills
Präsentiert man die Liste dieser Kompetenzen Personalverantwortlichen in
Future Organisations (zur Denition von Future Organisations s. Kapitel A 1.3.1
Schritt 1: Identikation von „Future Organisations“), dann wird der Wunsch laut,
neben einer rein additiven Aufzählung auch die zugrundeliegenden Prinzipien
herauszuarbeiten und ein Modell der Skills unter Bedingungen immer höherer
Selbstorganisation in der Zukun herauszulösen. In der Future Skills Studie ist dies
ein zentrales Anliegen. Dabei fällt zunächst einmal auf: Future Skills verschieben
den Fokus, weg von der Arbeit als vorgegebener, extern st rukturier ter Aktivität, die
einem bereits vorstrukturierten Handlungsplan folgt, hin zu einer Beschä igungs-
agenda, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch eigene Beteiligung situativ
mitgestalten. Mit hoher Identikation, großer Motivation und der Möglichkeit zu
eigener Strukturierung der Arbeit. Ein wesentliches und konstituierendes Element
der benannten Future Skills ist die Fähigkeit zur Selbstorganisation. Selbstorganisa-
tion weist auf die besondere Bedeutung hin, die dem Subjekt als dem Gestaltenden
zukommt. Für Organisationen, die per Denition aus verbindlichen Strukturen
bestehen, bedeutet dies, ein Spannungsverhältnis einzugehen. Je mehr sie sich
in agilen und unvorhersehbaren Arbeitsgebieten benden – wie alle diejenigen
Organisationen, die an der Future Skills Studie teilgenommen haben – desto mehr
müssen sie in diesem Sinne Spannungsfeldmanagement betreiben. Es besteht darin,
über Kommunikations- und Beteiligungsvorgänge Strukturen aufzubauen, in de-
nen die Organisationsmitglieder die Strukturen, in denen sie arbeiten gleichzeitig
hinterfragen, mitaushandeln und bestimmen können, ohne eine übergreifende
Verbindlichkeit und Kohärenz, Erwartbarkeit und Kalkulierbarkeit zu verlieren.
Wir nennen dieses Spannungsverhältnis auch das Struktur-Innovations-Parado-
xon. Dabei besteht das Paradoxe darin, dass Organisationen im innersten durch
Strukturen deniert sind, die auch die innere Verbindlichkeit und Erwartbarkeit
für ihre Mitglieder ausmachen. Paradoxerweise hängt die Zukunsfähigkeit von
Organisationen immer stärker davon ab, diese Strukturen zu hinterfragen und
passende, neue und innovative Str ukturen aufzubauen. In diesem paradoxen Span-
nungsfeld agieren heutige Führungskräe. Sie sind damit konfrontiert, genau diese
Kompetenzen aufzubauen und selbst zu praktizieren – den Umgang mit diesem
Spannungsfeld. Dieses Verständnis drückt sich in mehr Wert- und weniger Rege-
lorientierung aus. Mehr Kommunikations- und weniger Strukturorientierung. Es
geht um den Auau und die Weiterentwicklung von Organisationkulturen, die
sich dynamisch weiterentwickeln.
Organisationen, die beginnen, sich auf diese Weise auszurichten, benötigen nicht
nur spezische Strukturen, sondern bedürfen auch eines besonderen Verständnisses
davon, wie Lernen und Entwickeln innerhalb der Organisationen funktioniert.
Denn Lernen und Entwickeln wird zu einer Grundkonstituente solcher Organisa-
B 3 Grundprinzipien von Future Skills 161
161
tionen. Es bestimmt über die Fähigkeit der Organisationmitglieder und damit auch
der Gesamtorganisation, sie den zukünigen Erfordernissen in geeigneter Weise
anzupassen. Die NextSkills Studie zeigt, dass die Befragten alle der vier folgenden
Bereiche explizit benennen und elaboriert ausführen können:
1. Die aus ihrer Sicht wichtigsten Future Skills,
2. die notwendigen Führungskompetenzen für das beschriebene Spannungsfeld-
management, und
3. die organisationalen Lernansätze. Und – alle haben
4. dezidierte Anforderungen, die sich daraus ergeben, wie Hochschulausbildung
gestaltet sein muss.
Das Schlagwort heißt dabei: Selbstorganisation ermöglichen. Und damit sind wir
wieder beim Stichwort, das dieses Kapitel umrahmt und mit dem es angefa ngen hat.
Aus den bisherigen Analysen und den Berichten der Teilnehmer an der NextSkills
Studie schälen sich neun verschiedene Prinzipien heraus, die für das Konzept der
Future Skills von Bedeutung sind und nachfolgend jeweils erläutert werden.
Prinzip 1: Organisationen sind Teil von vernetzten, systemischen
Umwelten
Organisationen, die in ihnen handelnden Akteurinnen und Akteure und die Um-
welt hängen als vernetzte sich gegenseitig beeinussende Teilsysteme miteinander
zusammen. Die Veränderungen der globalen Umwelt, der Organisationen und
die handelnden Subjekte sind systemisch so miteinander verknüp, dass sie ein
gemeinsames Ökosystem bilden: Megatrends der demograschen Veränderung,
der Globalisierung und Digitalisierung führen zu komplexeren, vernetzteren
Umweltkontexten, die bedingen, dass auch innerhalb von Organisationen der
Druck steigt, vernetzte und komplexe Strukturen auszubilden. Gemäß des kyber-
netischen Gesetztes von Ashby (1974) können Organisationen vor allem dann mit
komplexen Umweltveränderungen umgehen, wenn sie in deren innerer Struktur
komplexe Handlungsstrukturen ermöglichen können (siehe Kapitel II Der Future
Skills Tur n ). Auch für die handelnden Subjekte ändert sich die Lage, denn sie
müssen in diesen Strukturen handlungsfähig bleiben, d. h., sie sehen sich neuen
Qualikationsanforderungen gegenüber.
Prinzip 2: Organisationen streben in ein homöostatisches Gleichgewicht
Der Begri sowie das Konzept der Homöostase wurde ca. 1860 von Claude Bernard
beschrieben. Später grien Walter Cannon und von Karl Ludwig von Bertalany
den Begri auf und entwickelten seine Bezeichnung 1929 und 1932 weiter (zitiert
162 B 3 Grundprinzipien von Future Skills
nach Flechtner 1972). Er bezeichnet die Aufrechterhaltung eines Gleichgewichts-
zustandes eines oenen dynamischen Systems durch einen internen regelnden
Prozess. Homöostase ist damit ein Sonderfall der Selbstregulation von Systemen.
Ein System, welches ein anderes steuert, kann umso mehr Störungen in dem
Steuerungsprozess ausgleichen, desto größer seine Handlungsvarietät ist: Je größer
die Varietät eines Systems, desto mehr kann es die Varietät seiner Umwelt durch
Steuerung vermindern (siehe Ashbys Law 1974). Daraus folgt, dass die Varietät
des Steuerungssystems mindestens ebenso groß sein muss wie die Varietät der
auretenden Störungen, damit es die Steuerung ausführen kann. Konkret: Wann
immer es darum geht, erfolgreich mit hoch komplexen und dynamischen Situati-
onen umzugehen, muss das handelnde System mindestens die gleiche Komplexität
und Dynamik aufweisen wie das (Umwelt)System, in dem gehandelt wird. Wenn
der Markt sich immer weiter vernetzt, wird es immer wichtiger, freie Vernetzung
auch in den Organisationen zuzulassen und zu fördern.
Prinzip 3: Selbstorganisation als Voraussetzung für Handlungsfähigkeit
Selbstorganisation wird zu einer Schlüsselkategorie für Handlungsfähigkeit
unter sich stetig wandelnden Bedingungen. Organisationen können nur agil
handlungsfähig bleiben, wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Lage
sind, eigene Ordnungsmuster für die sie betreenden Kontexte herauszubilden.
Selbstorganisation in diesem Sinne wird verstanden als eine Kompetenz, die zu
erlernen ist. Sie bildet gleichzeitig ein zentrales Prinzip, als Metakonzept für das
Verstehen der Entstehung, Aufrechterhaltung und Entwicklung von Ordnungs-
mustern. (siehe auf Kapitel B 2.1 „Dri to Self-Organisation“: Selbstorganisation
als gesellschaliches Leitprinzip)
Prinzip 4: Ermöglichende Organisationsstrukturen
Im Anschluss an die Selbstorganisationskompetenz geht es auch darum, Organi-
sationsstrukturen so zu gestalten, dass deren Auau ermöglicht wird. In Organi-
sationen geht es zunehmend darum, Rahmenbedingungen zu gestalten, d. h. die
Ökologie, in der Lösungen für Problemstellungen heranwachsen, in der in einer
Forschungs- und Entwicklungsökologie neue Produk te entstehen, als nichtdetermi-
nistisch steuerbare Prozesse zu begreifen (siehe Kapitel B 4 Future Skillsr Future
Organisationen: Analyse zuküniger Organisationsmodelle).
Prinzip 5: Vom (Fach)wissen zur Handlungskompetenz
Es geht um Kompetenz nicht um Wissen, also um Handlungsfähigkeit, die wei-
tergeht als bloßes Wissen oder Erkenntnis. Es soll etwas entschieden, umgesetzt,
vorangebracht werden.
B 3 Grundprinzipien von Future Skills 163
163
Prinzip 6: Individualisierung und Personalisierung von Lernen und
Entwicklung
Lernwege werden individualisierter und personalisierter: Was, wann, wo und wie
gelernt wird, bestimmt sich anhand von individuellen Lernbedürfnissen, die sich
aus einem individuellen Handlungsdruck ergeben.
Prinzip 7: Umgang mit Ambiguität und Unsicherheit als Kernkompetenz
Es geht um Handlungsfähigkeit in prinzipiell oenen Situationen, also in Situati-
onen von Unsicherheit oder Ambiguität.
Prinzip 8: Lernformate für Future Skills
Dabei stehen solche Lernformen und Formen der Unterstützung im Mittelpunkt,
die eher auf aktive Begleitung abzielen als auf Belehrung oder Lehren. Immer
weniger geht es um Weiterbildung und Trainings im klassischen Sinne, sondern
stattdessen mehr und mehr um direkt in der Praxis wirkende Unterstützung,
die einzelne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter konkret in ihrem professionellen
Kontext unterstützt. Lernen wird nicht mehr durch klassisches Belehren gefördert,
sondern durch neue Formate, die eher Mentoring, Coaching, Reex ionsbegleitung,
Vernetzung oder auch das Bilden von Lerngemeinschaen umfasst. Lernen hat keine
Ausbildungsfunktion im Sinne eines Erwerbs von vorgegebenen Curricula, sondern
die Funktion eines stetigen Weiterentwickelns anhand konk reter Problemsituatio-
nen auf Basis von Reexionen und dem Bilden neuer eigener Handlungsstrategien.
Prinzip 9: Spanungsverhältnis von Organisationsstruktur und
Selbstorganisation
Die Organisationsstruktur der jeweiligen Organisation und das Prinzip der Selb-
storganisation der jeweiligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stehen immer in
einem kreativ-konstruktiven Spannungsverhältnis. Dieses gilt es produktiv in der
Personalarbeit und Organisationsgestaltung aufzugreifen.
165
B 4
Future Skills für Future Organisations:
Analyse zukünftiger
Organisationsmodelle
B 4 Future Skills für Future Organisations
B 4 Future Skills für Future Organisations
Die im vorhergehenden Kapitel ausgeführte „Dri to Self-Organisation“ die sich in
allen Lebensbereichen zeig t, und sich in neuen Lebens-, Lern- und Arbeitsmodellen
ausdrückt, führt zu neuen Anforderungen an Individuen in der Gesellscha ins-
gesamt und in Organisationen. In diesem Kapitel zeigen wir Beispiele und Ansätze
aus dem Bereich des Selbstmanagements und der Organisationstheorie, in denen
Selbstorganisation zugrunde liegt und Future Skills eine besondere Rolle spielen.
Betrachtet man Organisationen und analysiert, inwieweit sie auf Selbstorgani-
sation ausgerichtet sind, fällt zunächst einmal ins Auge, dass zwischen den Polen
Verlässlichkeit“ und „Anpassungsfähigkeit“ vielfach der Glaube vorherrscht,
Verlässlichkeit stärker betonen und ausprägen zu müssen als Anpassungsfähigkeit.
In der Future Skills Studie zeigt sich aber, dass diese Denkweise gerade in Future
Organisations immer stärker in Frage gestellt wird. Andererseits gibt es immer mehr
empirische Erkenntnisse, die zeigen, wie wichtig die psychologische Komponente
der Identikation mit dem was Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tun, auch für
die Arbeitszufriedenheit und für die Produktivität ist.
Die deutsche Unternehmensberatung Gallup Deutschland, ein forschungsba-
siertes Beratungsunternehmen und Spezialist für die Schnittstelle Ökonomie und
Psychologie hält seine jährlichen Ergebnisse im sog. „Engagement Index“ fest. Für
2016 konstatiert die Studie, dass die deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mer zufrieden sind mit ihrem Leben und die ökonomische Lage als positiv bewerten,
kaum um ihren Arbeitsplatz fürchten und dass auch die Arbeitseinstellung positiv
ist (Nink 2014). Siebenundsiebzig (77) Prozent würden selbst dann weiterarbeiten,
wenn sie nicht auf das Geld angewiesen wären (Nink 2014). Das sind sieben Prozent
punkte mehr als noch 2010. Dennoch ist die Mehrheit der Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter emotional kaum an ihren Arbeitgeber gebunden. Das wirkt sich direkt
auf wichtige Wettbewerbsfaktoren wie Fehlzeiten, Produktivität, Rentabilität,
Qualität und Kundenbindung aus. Denn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
die sich emotional nicht an ihren Arbeitgeber gebunden fühlen, zeigen weniger
© Der/die Autor(en) 2020
U.-D. Ehlers, Future Skills, Zukunft der Hochschulbildung – Future
Higher Education, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29297-3_10
166 B 4 Future Skills für Future Organisations
Eigeninitiative, Leistungsbereitscha und Verantwortungsbewusstsein und sie
schweigen zudem häuger zur Fehlentwicklung. Laut aktuellem „Engagement
Index“ hat jede/r dritte Mitarbeiterin und Mitarbeiter in den letzten 12 Monaten
gegenüber seinem Vorgesetzten/ ihrer Vorgesetzten mindestens einmal schwere
Bedenken nicht geäußert; bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ohne emo-
tionale Bindung schwieg sogar fast jeder Zweite. Diese emen, wie emotionale
Bindung, das Empnden von ungerechtfertigten Hierarchien, die im Falle von
komplexen Problemsituationen fachlich nicht ausreichend fundierte Entscheidun-
gen treen, werden von Organisationen und Unternehmen aller Größen derzeit
intensiv diskutiert.
Auch die NextSkills Studie zeigt, dass das ema emotionaler Bindung von Mit-
arbeiterinnen und Mitarbeiter an ihre jeweilige Orga nisation eines der wichtigsten
Führungsthemen ist, welches auch über die Motivation der Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter bestimmt, sich einzubringen. Dabei spielen in den Daten der Inter-
views aller Befragten immer wieder zwei Entwicklungsbereiche eine wesentliche
Rolle: Wertemanagement und neue Führungskonzepte. Dabei bezieht sich das
Wertemanagement auf die Wertschätzung von Diversität und unterschiedlichen
Begabungen, Fähigkeiten und Kompetenzen, sowie Interessen, um „shared cogni-
tion“32 in Teams herzustellen und Teamleistungen zu erhöhen. Zusätzlich geht es
um Identikation, Motivation, den Culture-Fit und das Transportieren der für die
Organisation jeweils zentralen wichtigen Werte. Diese nehmen die Funktion eines
„sozialen Kits“ ein, der durch die reine Organisationszugehörigkeit nur noch in
schwindendem Maße gegeben ist, da die Verbindlichkeit und zeitliche Dauer der
Organisationangehörigkeit immer wieder in Frage gestellt und in Normalbiogra-
phien immer schneller episodisch verhandelt wird. Führungskonzepte für Future
Organisations beschäigen sich vor allem mit Kommuni kation, Feedback, Hierar-
chieabbau und dezentraler, individueller Verantwortungsübernahme. Die Future
Skills Studie zeigt, dass Instrumente wie Coaching, Mentoring, auch das Initiieren
von kollegialen Kommunikationsnetzwerken und das Moderieren von self-suppor-
ting Structures in Organisationen immer wichtiger werden. Führ ungskräe werden
dabei vor neue, bislang nicht so stark im Vordergrund stehende Herausforderungen
gestellt. Neue Qualizierungserfordernisse treten dabei auf. Mindful Leadership,
systemische Beratungs- und Coachingansätze, Gewaltfreie Kommunikation und
kommunikative Moderation sowie kollegiale Beratung nehmen an Bedeutung
zu, gegenüber hierarchischem Delegieren und „Assign-Control Ansätzen“. Zwei
Fallbeispiele illustrieren diese Instrumente und Organisationsformen.
32 Das Konzept des „shared cognition“ bezieht sich auf das Konzept des situ ierten Lernens
und auf Peer-Learning (Brown, Collins & Duguid 1989; Lave & Wenger 1991).
B 4 Future Skills für Future Organisations 167
167
Interesting Practice: Daimler
Wie sehr das ema Hierarchie und alternative Ansätze aktuell bekannte Groß-
unternehmen beschäigt, zeigt beispielsweise auch der Beitrag von Daimler-Benz
Chef Zetsche. Eine Star tup Kultur soll neuen Spirit ins Unternehmen bringen. Mit
diesem Ansatz will man mehr Basisdemokratie wagen. Im Programm Leadership
2020 geht es um neue Führungskultur. Die Impulse kommen von 150 Mitarbei-
terinnen und Mitarbeitern aus 24 Nationen, aller Bereiche und Rangstufen, von
Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeitern über Meisterinnen und Meister bis hin
zu Direktorinnen und Direktoren. In acht Teams werden Ideen und Visionen ent-
wickelt, wie zukünig Führung bei Daimler aussehen kann. Hinterfragt werden
die Hierarchiestruktur, die Meetingkultur, die Leistungsbewertung und es gibt
nur eine einzige Vorgabe – es gibt keine Vorgabe.
Good Practice: Spotify (Open Access für Musik)33
Ein Beispiel für Selbstorganisation in Organisationen ist der Musik Streaming
Dienst Spotify. Bei Spotify sind agile Unternehmensstrukturen Programm. Gute
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, so wird es bei Spotify gesehen, treen in 70
Prozent aller Fälle dieselben Entscheidungen wie ihr/sein Chef. In 20 Prozent fällt
sie/er bessere Entscheidungen, weil sie/er von der Sache mehr Ahnung hat. Nur
in lediglich 10 Prozent liegt sie/er daneben. Diese Managementprinzipien wurden
von Daniel Ek geprägt. Er ist Gründer und Vorstandsvorsitzender von Spotify.
Die Spotify Story in Kurzfassung: Daniel Eks Stiefvater, ein Elektroingenieur,
führte den Jungen früh in die Welt der Computer ein. Schon als Grundschüler
schrieb er auf einem Commodore C64 erste Programme, gründete mit 14 aus dem
Kinderzimmer heraus seine erste Firma und kreierte Unternehmenswebsites cooler
als die kommerziellen Webagenturen in der schwedischen Hauptstadt. Die Firma
wuchs. Mit 19 verkaue Ek den Webdienstleister. Ramge (2015) berichtet, dass er
ein Informatikstudium begann, es aber schnell wieder abbrach und schließlich
Chef der Sowarerma uTorrent wurde, mit deren Programmen weltweit Musik
und Filmdateien illegal getauscht werden konnten. In dieser Zeit kam er auf die
Idee für Spotify. Er fand Investoren und 12 Mio. Euro Risikokapital; keine andere
Musik Streaming Plattform wuchs so schnell wie Spotify. Ramge (2015) analysiert,
dass das auch viel mit Eks speziellem Führungsmodell zu tu n hat, durch den guten
Programmierer zu Spotify kommen und dort bleiben. Nur sie sind in der Lage, den
Komfort zu schaen, für den Internetzuhörerinnen und -zuhörer im Zeitalter der
33 Darstellung des Fallbeispiels aus der Zeitschri Brandeins in Anlehnung an Ramge
(2015).
168 B 4 Future Skills für Future Organisations
Kostenloskultur zu zahlen bereit sind. Wer die Besten dieser Zun anziehen will,
muss ihnen viel Freiraum geben, das wusste Ek. Er gehörte ja selber dazu. Freiraum
zu geben war für ihr kein Problem. Er ist selten längere Zeit an einem Ort, was
bei einem globalen Unternehmen mit zwei Hauptsitzen und fünf Entwicklungs-
standorten verständlich ist.
Ramge (ebenda) führ t aus, dass es bei Spotify 60 sogenannte agile Coaches gibt.
Moderatorinnen und Moderatoren unterstützen die Teams ohne interne Hierarchien
dabei, die richtigen Entscheidungen zu treen und die Arbeit so zu organisieren,
dass jedes Team produktiv und jedes Teammitglied glücklich ist. So kommen bei
Spotify 1200 technische Entw icklerinnen und Entwickler in Stockholm, Göteborg,
New York, Boston und San Francisco ohne Chef aus. Bei Spotify verdoppelt sich die
Mitarbeiterzahl alle 12 Monate. Die Herausforderung besteht darin, die Kultur mit
viel Entscheidungsfreiheit und Teamgeist in kleinen Einheiten zu erhalten, ohne
dass das Produkt und der Laden auseinanderfallen. Spricht man mit Spotifylern,
so kommt man zu dem Schluss, die Unschärfe sei Teil des Systems (Ramge 2015).
B 4.1 Selbstorganisation als Managementprinzip
B 4.1 Selbstorganisation als Managementprinzip
Spotify ist nach agilen, holokratischen Prinzipien organisier t, die wir in Abbildung
22 dargestellt haben. Mit dem ema Führung verhält es sich dabei so, wie mit
der Programmiermethode SCRUM34 und bei deren Ansatz zur Verbesserung von
Sowareprogrammen: Man deniert ein Ziel, stellt aber keinen Plan auf, sondern
tastet sich heran. Per try and error werden Ideen ausprobiert. Funktioniert eine,
wird sie weiterverfolgt; zü ndet sie nicht, wird sie fallen gelassen. Ein weiteres wich-
tiges Prinzip besteht in der no blame culture, also darin, ohne Schuldzuweisungen
zu arbeiten.
Teams heißen nicht Teams, sondern Squads. Eine dieser Einheiten hat zwi-
schen sechs und 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (siehe Abbildung 22: Agile,
holokratische Strukturen in self-managed Organisations). Sie ist immer interdis-
ziplinär besetzt mit klassischen Entwicklerinnen und Entwicklern, Expertinnen
und Experten für User Experience und Tests sowie Designerinnen und Designern.
Sie hat keinen Chef aber einen sogenannten Product-owner. Sie/Er gibt emen
vor und organisiert die vielen gemeinsamen Konferenzen und die zum Teil sehr
34 Scrum (englisch für Gedränge) ist ein Vorgehensmodell des Projekt- und Produktma-
nagements, insbesondere zur agilen Sowareentwicklung. Es wurde ursprünglich in
der Sowaretechnik entwickelt, ist aber davon unabhängig.
B 4.1 Selbstorganisation als Managementprinzip 169
169
Abb. 22 Agile, holokratische Strukturen in self-managed Organisations
emotionalen Sitzungen an Freitagnachmittagen, an denen die Woche bilanziert
wird. Ein agiler Coach achtet darauf, dass die Regeln eingehalten werden. Jedes
Mitglied kann Entscheidungen herbeiführen, es muss dafür nur die Kolleginnen
und Kollegen von ihrer/seiner Idee überzeugen. Squads die im gleichen Bereich
arbeiten, gehören demselben „Tribe“ an. So ein Stamm darf nicht mehr als 150
Angehörige haben, damit er nicht zu unübersichtlich wird (siehe Abbildung 22).
Ramge (2015) beschreibt, dass die Mitglieder eines Tribes regelmäßig zusammen
kommen, um Informationen auszutauschen und Entscheidungen zu treen, die al le
angehen. Die Spezialistinnen und Spezialisten besprechen zudem emen bei denen
aus technischen Gründen Konsens hergestellt werden muss. Diese Spezialistinnen
und Spezialisten gehören zusätzlich einem squadübergreifenden Chapter an, das
einen „Chapter Leader“ hat. Doch die/der ist nur in formellen Fragen wie etwa
bei Urlaubsanträgen mit Autorität versehen, sonst hat sie/er nur eine beratende
170 B 4 Future Skills für Future Organisations
Funktion inne. Die Ebene über den Stämmen wird von „Gilden“ eingenommen.
Sie haben die Aufgabe, Wissen überall im Unternehmen zugänglich zu machen.
Die oberste Koordination fällt zwei Personen zu: einer/ einem sogenannten system
owner und einer/ einem chief architect. Größere Änderungen im System müssen
die Squads mit diesen beiden abstimmen. Feste Regeln gibt es dabei aber nicht.
Manchmal machen die obersten Koordinatorinnen und Koordinatoren Entwick-
lungsvorgaben, manchmal setzen die selbstbewussten Squads ihre Vorstellungen
durch. Oder aber der Gründer oder der Chef-Designer Peter bricht alle Regeln,
bzw. spricht ein Machtwort (Ramge 2015).
Interesting Practice Deutsche Telekom
Im AI Blog der Deutschen Telekom (Bäumler 2017) berichtet Michael Kaselow,
agiler Coach bei der Deutschen Telekom, von der Erfahrung mit Holokratie im
Unternehmen: „Wir haben das Spotify-Modell für uns adaptiert. Die Herausfor-
derung dabei ist, dass die Struktur nicht wie bei Spotify organisch gewachsen ist.
Sie wurde vielmehr aufgesetzt und wir als agile Coaches müssen dafür sorgen,
dass das funktioniert. Da es relativ wenig Material über diese Art und Weise der
Organisation gibt, pegen wir immer noch eine Atmosphäre des Learning by
doing und passen alles auf unsere Bedürfnisse an. Wenn wir an neuen emen
oder Produkten arbeiten, müssen wir Squads oder Tribes oder auch die Chapter
neu aufsetzen.“ Im Projekt eLIZA sind es aktuell etwa 15 Squads, die auf vier
Tribes verteilt sind.35 Zudem gibt es noch so genannte Chapters, die sich aus den
Leuten rekrutieren, die in den Squads und Tribes arbeiten und welche die gleiche
Profession haben. Das können zum Beispiel Entwicklerinnen und Entwickler,
User Experience-Expertinnen und Expertenen, Designerinnen und Designer oder
Testerinnen und Tester sein. Sie tauschen sich über die Squad-Grenzen hinaus aus
und entwickeln gemeinsame Methoden.
Kaselow sagt: „Es muss ja nicht jeder Entwicklungs-Squad eine eigene Test-
umgebung aufsetzen. Vieles kann man sharen oder gemeinsam auauen – dafür
sind die Chapters verantwortlich.“ Regelmäßig tri man sich zum Campus, einer
Veranstaltung, bei der die einzelnen Squads Meilensteine vorstellen und gelegentlich
sogar externe Expertinnen und Experten zu bestimmten emen sprechen. Neben
der internen Weiterbildung steht der informelle Austausch im Vordergrund – im
35 eLIZA ist der der Name eines Innovations-Projekts der Deutschen Telekom mit der
Aufgabe, ei ne Künstliche Intel ligenz (KI oder engl isch AI für Ar ticial Intel ligence) zu
entwickeln. Der Name eLIZA w urde übernommen von einem 1966 von Joseph Weizen-
baum entw ickelten Computerprogra mm. Es sollte die Mög lichkeiten der Kommun ikation
zwischen einem Menschen und einem Computer über natürliche Sprache aufzeigen.
B 4.1 Selbstorganisation als Managementprinzip 171
171
Bewusstsein, dass die unterschiedlichen Team-Einheiten, also Squads, Tribes und
Chapters den Herausforderungen nur gemeinsam begegnen können (ebenda).
Die Managementkonzepte, die auf Selbstorganisation basieren sind fundamenta le
Experimentierfelder für Organisationen. Die Future Skills Studie 2018 zeigt, dass
Selbstorganisation als Managementprinzip bereits stark verbreitet ist, jedoch ohne,
dass explizit weitergehende Organisationsformen, wie beispielsweise Holokratie
dafür eingeführt werden.
Dabei ist festzuhalten, dass diese bei Startups und kleinen Unternehmen o-
mals natürlich eingeführt werden, während es zur Transformation von größeren
und traditionellen Organisationen bisher nur wenig oder keine Erkenntnis über
Erfolgsfaktoren gibt. Soziokratie, Demokratie und Holokratie sind aktuell in aller
Munde. Die drei Konzepte können gemäß Frederic La loux als die nächste Form der
Evolution von Unternehmen angesehen werden, wie er in seinem Buch Reinventing
Organizations: Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiender Formen der Zusammen-
arbeit (2015) darstellt. Demnach scheint die Holokratie die perfekte Antwort auf
eine immer schnelllebigere und komplexere Arbeitswelt zu sein. Sie ermöglicht es
Unternehmen, exibel auf Veränderungen im Außen (oder Innen) zu reagieren und
steigert zugleich die Innovationskra der Organisation. Die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter sind eigenständiger, genießen persönliche Freiheit sowie einen hohen
Grad an Eigenverantwortung. Dadurch sind sie langfristig zufriedener, motivierter,
gesünder und produktiver. Freiheit und Selbstverantwortung – das sind wichtige
Stichworte für aktuelle Employer Branding Konzeptionen.
Jedoch ist nicht klar ob und wenn ja welche zukünige Organisationform sich
durchsetzen wird – gerade in großen, traditionell strukturierten Organisationen.
Im Folgenden werden Vor- und Nachteile der drei Modelle erläutert.
B 4.1.1 Soziokratie in Organisationen
Soziokratie geht bei der Steuerung von Entscheidungen im Unternehmen davon
aus, dass alle Beteiligten sehr gleich sind. Eine Entscheidung ist getroen, sofern
kein ernstes Gegenargument mehr vorliegt. Die Methode fordert also Eigenmo-
tivation und ein kooperatives Miteinander sowie Selbstverantwortung. Sie zielt
außerdem nach dem Managementprinzip Y (McGregor 1960) darauf ab, dass sich
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wohlfühlen und deswegen im Unternehmen
nach Selbstverwirklichung streben. Managementtheorie X (ebenda) bedeutet
hingegen, dass der Mensch grundlegend eine Abneigung gegen Arbeit angestrebt
hat und eine Führungskra ihn zur Arbeit zwingen muss. Im Vergleich zu Ma-
nagementtheorie X, besagt Managementtheorie Y, dass Arbeit einen hohen Stel-
172 B 4 Future Skills für Future Organisations
lenwert bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hat und eine wichtige Quelle von
Selbstzufriedenheit darstellt.
B 4.1.2 Holo kratie – Agilität und Verantwortung
Das Konzept von Robertson (2015) ist aktuell in aller Munde. Es regelt die Füh-
rung von Organisationen durch eine Transparenz, die es jeder und jedem durch
alle Ebenen und Prozesse hindurch ermöglicht, sich einzubringen. Es setzt den
Zweck der Organisation in den Mittelpunkt und nicht den Prot. Robertson zeigt
eindrucksvoll, wie Managerinnen und Manager in einer Holokratie nicht die Po-
sition und den Status einer Managerin, bzw. eines Managers einnehmen, sondern
dessen/deren Rolle und Verantwortung. Im Zentrum der Holokratie steht ein
Leitungskreis, der alle Aktivitäten und Probleme steuert. Jede und jeder, die/ der
sich ins Unternehmen einbringen möchte, darf an diesem teilnehmen und nimmt
dort eine bestimmte Rolle ein. Um den Leitungskreis sind diverse weitere Rollen
aufgebaut, z. B. die/der Business Developer oder die/der Consultant. Diese Rollen
können aus einer oder mehreren Personen bestehen und ständig wechseln. Sollte
nun eine Anfrage von außen, also von der Kundin oder dem Kunden kommen, so
reagiert der jeweilige Kreis entsprechend auf die Anfrage und entscheidet darüber
autonom und selbstständig. Die Kundin/ der Kunde möchte z. B. einen neuen Auf-
trag vergeben und die betreende Person, die mit der Anfrage zu tun hat, wechselt
von der Rolle Consultant in die Rolle Vertrieb. Der Leitungskreis darf nun, wenn
gewünscht, diese Person unterstützen, beispielsweise bei der Suche nach einer/ einem
geeigneten Mitarbeitenden. Sobald diese Situation geklärt ist, nimmt die Person
wieder die Rolle der/des IT Consultants ein. Jedoch hat sich nun daraus ein neuer
Kreis gebildet, das aus zwei Personen, Person X und der/ dem neuen Consultant
für den Aurag besteht und klar der Kundin/ dem Kunden zugeordnet ist. Wir
haben also verschiedene Kreise im Unternehmen, die sich mit einem bestimmten
ema befassen. Auch die gesamte Organisation ist als Kreis zu verstehen. Abseits
der Kreise gibt es viele verschiedene Rollen. Als Mitarbeiterin und Mitarbeiter kann
ich in mehreren Kreisen verortet sein und stets etwas zum Zweck der Organisati-
on beitragen. So wird das Unternehmen dynamisch gesteuert und orientiert sich
vorrangig am Zweck der Organisation. Rollen ersetzen Positionen und Hierarchie.
Zudem steht eine lebendige Struktur über starren Organigrammen.
Die Holokratie besteht in einer Analogie zur Biologie aus verschieden Kreisen,
sogenannten Holons, die anderen Dinge umschließen. So benden sich in einem
Holon mehrere Moleküle (Rollen) und ein Molekül besitzt w iederum mehrere Atome
(ebenda). Die Atome und Moleküle in einem Holon ändern sich zwar nicht, können
B 4.2 Self-Management und Agilität in der Praxis? 173
173
aber durch einen neuen Verbund neue Eigenschaen erschließen. Das klappt in der
Natur seit Millionen von Jahren. Agilität und Holokratie haben viel gemeinsam.
B 4.1.3 Das demokratische Unternehmen
Der Ansatz der Demokratie in Unternehmen vertritt als erstes die Fragen „Wer
führt mich?“, „Wer vertritt mich?“ und „Wie bin ich am Unternehmen beteiligt?“.
Hier wird ebenfalls mit dem Faktor Zeit bei der Führung experimentiert. Das
zweite ema ist die Selbstbestimmtheit: „Wo arbeite ich, wann und mit wem?“
(Sattelberger 2015). Es geht also um mehr Mitspracherecht für die Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeiter sowie um Chancenfairness. Nach den Autoren des Buches
„Demokratische Unternehmen“, Sattelberger et al. (2015) geht es darum, dem
Wunsch von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an der Strategieentwicklung ih-
res Unternehmens mitwirken zu dürfen, nachzukommen und sie über ihre eigene
Arbeitssituation entscheiden zu lassen. Es stellt also die Gruppenentscheidung in
den Vordergrund. Das Ziel ist nicht eine Mehrheitsentscheidung zu erwirken, so
der Autor, sondern die Position der Gruppenmitglieder zu verändern, sodass sich
ihre Stimmen zur kritischen Masse einer Option vereinen. Viele Unternehmen
überlegen, wie eine solche Demokratie aussehen könnte. Eine aufgegebene ese
in verschiedenen Quellen lautet, digitale Technologien erleichterten die Mitbestim-
mung. Kann so die Zukun aussehen? Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wählen
Managerinnen und Manager, stimmen über neue Produkte ab, entscheiden über
Arbeitszeiten sowie über Kundinnen und Kunden. Aktuell ist dieses ema noch
stark umstritten und bietet Raum für weitere Forschung. Es zeigt sich aber, dass v iele
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wenig Interesse auf Fremdbestimmung haben.
Durch digitale Technologien sind Abstimmungsprozesse einfacher geworden. Der
CEO von Microso Deutschland sagte dazu: „Früher suchten wir Mita rbeiterinnen
und Mitarbeiter, die tun was wir sagen, heute suchen wir Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter die machen, was wir nicht sagen“ (ebenda).
B 4.2 Self- Management und Agilität in der Praxis?
Zum Stand der Forschung
B 4.2 Self-Management und Agilität in der Praxis?
In ihrem Beitrag zur Holokratie im Harvard Business Review spannen Bernstein
et al. (2016) einen Orientierungsrahmen auf, in dem sie ein Spannungsfeld von
Stabilität und Zuverlässigkeit auf der einen Seite und Anpassungsfähigkeit auf
174 B 4 Future Skills für Future Organisations
der anderen Seite aufzeigen. Sie argumentieren, dass holokratische Organisati-
onsformen kein Allheilmittel seien und dass deren Umsetzung davon abhängig
gemacht werden sollte, wie sich die Rahmenbedingungen in Unternehmen bzw.
Teilorganisationen gestalten:
Sind die Anforderungen an Stabilität und Zuverlässigkeit hoch, braucht es große
langfristig wirksame Investitionen. Braucht es beispielsweise in einem Maschi-
nenpark eine Gesamtsteuerung über eine langfristige strategische Planung,
dann sind holokratische Organisationsformen nicht unbedingt zielführend.
Bewegt sich das Unternehmen/ die Teilorganisation in einer unsicheren Umwelt
mit wechselnden Anforderungen? Ist das Produkt-Serviceportfolio breit und
diversiziert? Ist eine Gesamtsteuerung auf der Basis weniger Leitlinien mög-
lich? Dann können holokratische Organisationsforen durchaus sinnvoll sein.
Aber auch in diesem Fall gibt es durchaus noch oene Fragen: Wie wird eine
Gesamtkoordination der einzelnen Teileinheiten/ Kreise sichergestellt? Wer
übernimmt die Gesamtverantwortung nach außen? Welche Vergütungsmodelle
passen zu so einer veränderten Organisation und den neuen Mechanismen der
Aufgabenverteilung?
Insgesamt zeigt das Agilitätsbarometer einer Studie von Haufe und Promerit
(Anderson et al. 2017), dass Agilität in deutschen Unternehmen sich noch nicht
als dominantes Managementprinzip durchgesetzt hat. 90 Prozent der Mitarbei-
terinnen und Mitarbeiter und 70 Prozent der Führungskräe geben an, nie agile
Methoden zu nutzen. Dabei zeigen sich kaum Veränderungen gegenüber den Be-
fragungsergebnissen aus dem Vorjahr. Scrum swarming oder Holokratie kennen
80 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht. Etwas besser sieht es im
Hinblick auf Design inking (57 %) und uiden Strukturen (61 %) aus. Anhand
des Fallbeispiels von Spotify haben wir schon Charakteristika von holokratisch
organisierten Organisationen kennengelernt.
Was ist weiterhin charakteristisch für Self-Managed Organizations (SMO)?
Self-Managed Organizations arbeiten mit Self-Managed Teams: dabei sind die
Verantwortlichkeiten für die Arbeit zwischen den Mitgliedern der Teams aufge-
teilt. Die Mitglieder teilen sich die Verantwortung mit Blick auf die Art und Weise
der Zielerreichung, Ressourcennutzung und ein Ownership an Information und
Wissen, die sich auf die Arbeitsaufgaben beziehen. Bei den Organisationen und
Unternehmen, die den Sprung in die Agi lität und in die Selbstorganisation gewagt
haben, können Variationen des Selbstmanagements erkannt werden. Darunter
fallen Unternehmen wie beispielsweise Morning Star, ein Hersteller von Toma-
tenprodukten, Valv e, ein Entwickler von Videospielen und Spieleplattformen, W.
B 4.2 Self-Management und Agilität in der Praxis? 175
175
L. Gore, ein stark diversizierter Hersteller und der schon erwähnte Zappos. Die
Variationen der unterschied lichen Selbstorganisationsgrade und -ausformungen sind
Ausdruck der jeweils spezischen Management- und Organisationskontexte. Das
bekannteste und am besten spezizierten System f ür Self-Managed Organizations
und Self-Managed Teams ist das bereits beschriebene System der Holokratie (s iehe
Kapitel B 4.1.2 Holokratie – Agilität und Verantwortung). Self-Managed Models
(SOM), haben typischerweise drei Charakteristika:
1.
Teams sind die Struktur: In der Holokratie werden sie „Circles“ genannt. In
der „Podularity“ wird von „Pods“ gesprochen, bei Val ve von „Cabals“ und in
vielen anderen Unternehmen einfach von Teams. Aber wie auch immer sie
heißen, Teams sind die Basiskomponenten für die Gesamtorganisation – nicht
Individuen, nicht Abteilungen, Departments oder Divisions. Die Rollen werden
in den Teams kollektiv entwickelt, deniert und den einzelnen Arbeitsaufga-
ben zugeordnet. Wie auch in traditionellen Organisationsformen, gibt es auch
in Self-Managed Organizations unterschiedliche Teams für unterschiedliche
Projekte, Funktionen (beispielsweise für Finanzen, technische Entwicklung,
Vertrieb oder unterschiedliche Segmente (Kunden, Produkte, Services)). Bei
Zappos wurden die 150 Departmenteinheiten nach diesem Vorbild in etwa
500 Circles umgewandelt. Die so entstehende Modularität ist sehr viel exibler
als in Linien hierarchisch aufgebaute Organisationen. Dabei können Teams ad
hoc neu eingerichtet oder wieder aufgelöst werden, entsprechend der aktuellen
Organisationsbedürfnisse.
2. Teams entwickeln und leiten sich selbst: Obwohl Self-Managed Organizations
traditionelle Hierarchiestrukturen meiden, sind Teams trotzdem in größere
Strukturen eingebettet, die sie mitbestimmen können. Holokratische Organi-
sationen verabschieden dazu eine Konstitution, eine Organisationscharta, eine
Konstitution die in der Regel ein „living document“ darstel lt, in dem die Regeln
darüber, wie Circles eingerichtet, entwickelt, verändert und aufgelöst werden,
niedergeschrieben sind. Somit managen die Circles nicht nur sich selbst, son-
dern es gibt übergreifende Regeln, wie sie „designed“ und geleitet werden. Die
Konstitutionen und Chartas bestimmen allerdings nicht wie Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter ihre Aufgaben zu erfüllen haben. Sie geben lediglich einen
Rahmen dafür vor, wie Circles entstehen, geformt werden und miteinander
arbeiten, wie sie Rollen identizieren und zuordnen, welche Grenzen diese
Rollen haben und wie sie untereinander interagieren können. Bei Morning Star
schreiben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Teams sogenannte CLOUS
(collegue letters of understanding). In diesen werden die Verantwortlich keiten,
Aktivitäten und Ziele festgehalten, die in den Teams angestrebt werden und auch
176 B 4 Future Skills für Future Organisations
Kriterien und Messverfahren zur Evaluierung der Leistungsmessung. Clous sind
also Vereinbarungen der Circles miteinander.
3. hrung ist hochkontextualisiert: In Self-Managed Organizations ist die Füh-
rung zwischen unterschiedlichen Rollen aufgeteilt, nicht zwischen Individuen.
Dabei haben Akteurinnen und Ak teure normalerweise viele Multiplayer-Rollen
in verschiedenen Teams inne. Wenn Arbeitszusammenhänge sich ändern, än-
dern sich auch Führungsverantwortlichkeiten. Dabei spielt Technologie eine
große Rolle, um transparent Informationen bereitzustellen. Sowaretools wie
GlassFrog oder holaSpirit werden dabei unter anderem genutzt, um das Ziel und
die Verantwortlichkeiten, aber auch den Fortschritt sowie die Entscheidungen
der jeweiligen Circles miteinander zu kommunizieren und abzugleichen. Der
gemeinsame Informationsstand in Self-Managed Organizations ist aufgrund
der verteilten Natur, der Akteurinnen und Akteure, die in einer Organisation
zusammenwirken, entscheidend. Bei Morning Star werden beispielsweise die Clous
auf einem internen Server gespeichert, sodass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
transparent Informationen zu den Verantwortlichkeiten abrufen können. Wenn
jemand sich in einer Rolle nicht bewährt, wird diese jemand anderem zugeteilt.
Natürlich ist das Zuteilen von Rollen Arbeit an sich. In einer Holokratie gibt es
auch dafür eine Rolle, die/ den sognannte/-n „Leadlink“, die/der die Aufgabe
innehat, Circles miteinander zu verbinden. In noch exibleren, loseren Formen
des Selbstmanagements wie beispielsweise im Konzept der Podularity, werden
Rollen ganz exibel zugeteilt und die Art und Weise wie dies geschieht, wird
der internen Organisation selbst überlassen. Zappos beispielsweise hat zweimal
mehr „Lead link“-Rollen als vorher Managerinnen und Manager angestellt waren.
Dabei besteht der entscheidende Unterschied darin, dass die Führungsverant-
wortung jetzt zur Rolle gehört und nicht mehr zur individuellen Akteurin/ dem
individuellen Akteur. Damit sind Autorität, Macht und Führungsverantwortung
weiterhin vorhanden, jedoch hochkontextualisiert.
Insgesamt zeigt sich, dass Selbstorganisationsformen für große Organisationen
und Unternehmen die Möglichkeit bieten, agile Strukturen in Teilen oder Gänze
einzuführen. Die dafür zu nutzenden Konzeptionen sind neu, noch nicht in Gänze
erprobt und deren Wirkungen bislang noch unbekannt. Jedoch liegt in jedem der
Ansätze die Möglichkeit, bestehende traditionelle Strukturen zu hinterfragen,
aufzubrechen und sowohl den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als auch den
Kundinnen und Kunden in ihren Fähigkeiten, Bedarfen und Anforderungen
gerechter zu werden. Im Spannungsfeld zwischen Stabilität und Verlässlichkeit
einerseits und Flexibilität und Beweglichkeit andererseits, gilt es nun also den
richtigen Mix zu nden. Dabei sind Konzeptionen wie Holokratie, Podularity,
B 4.2 Self-Management und Agilität in der Praxis? 177
177
Soziokratie sowie die demokratische Organisation, wichtige Konzeptionen, die
die Gravitationszentren neuer moderner selbstorganisierter Unternehmens- und
Organisationsstrukturen bilden. So unterschiedlich die einzelnen Ansätze sein
mögen, es zeigt sich doch, dass sie alle versuchen, die individuellen Fähigkeiten
von Organisationsmitgliedern mit den Rollen, den Strukturen und den Verant
-
wortlichkeiten in der Organisation sowie mit den Organisationszielen besser und
in größerer Flexibilität übereinzubringen und darauf Potentiale aufzuzeigen, wo
exibler Wandel stattnden kann und soll. Das erfordert von den einzelnen Ak-
teurinnen und Akteuren in hohem Maße Flexibilität, Wandlungsfähigkeit sowie
Kompetenz und Selbstreexion. Future Skills – das zeigt sich hier deutlich – sind
in Bezug auf selbstorganisierte Unternehmen eine unerlässliche Voraussetzung.
Darüber hinaus liegt in der Strukturierung von Organisationen als exiblen Ge-
bilden aber auch der Vorteil, dass sich Führungsrollen kontextuell über die Zeit
hinweg verändern und wandeln können. Diese, fast spielerische Konzeption wird
der Anforderung an Kompetenzen auf der einen Seite und dem, was Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeiter mitbringen auf der anderen Seite, gerechter. Wichtig ist dabei,
nicht den Fokus und die Transparenz zu verlieren, denn zwischen Circles, Pods
und vielfältigen Aktionsformaten, gilt es stets den gemeinsamen Zweck im Auge
zu behalten. Auch die Frage des Recruiting und der Gehälter ist in Self-Managed
Organizations mit neuen und anderen Herausforderungen behaet. In Situationen
in denen Mitglieder ihre eigenen persönlichen Rollenportfolios bestimmen, ist es
schwierig, klare Benchmarks oder marktgängige Gehälter zu bestimmen. Die Rol-
lenentwicklung macht auch das Recruiting neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
kompliziert. So sind beispielsweise bei Zappos von Oktober bis Dezember 2015
von etwa 1.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ca. 17.624 Rollen übernommen
worden. Das entspricht rund elf Rollen pro Mitarbeiterin oder Mitarbeiter und
195 verschiedenen Rollen pro Tag. Die Vielfalt, Vielzahl und Vielgestaltigkeit
dieser Rollen zu managen, transparent darzustellen, nachzuverfolgen und auch
neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dabei einzubringen, zu „onboarden“ und
überhaupt erst zu nden, macht eine komplett neue Vorgehensweise notwendig.
Traditionell werden Führungskräe als diejenigen angesehen, die mit ihrer
Vision Organisationen und Organisationsteile in die richtige Richtung steuern.
Andererseits zeigt sich immer wieder, dass der Versuch, Organisationen mit einer
Top-down-Konzeption zu verändern, nicht erfolgreich funktioniert. Im Harvard
Business Review berichtet Rosabeth Moss Kanter in ihrem bekannten Artikel
„Transforming Giants“ über die Frage „What enables a big business to be agile?“
(2008), dass der Erfolg von Change Prozessen in Unternehmen vor allem vom soge-
nannten „Guidance System“ oder den Navigationssystemen großer Organisationen
abhänge. Während Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ursprünglich hauptsächlich
178 B 4 Future Skills für Future Organisations
nach Regeln und getroenen Entscheidungen handelten, sind sie nun dazu an-
gehalten, sich ganzheitlich einzubringen und an der Entwicklung eines geteilten
Verständnisses und einer gemeinsamen Vision mitzuarbeiten. Die Bedeutsamkeit
des Tuns nimmt einen weit größeren Stellenwert ein, genau wie die Identizierung
der Arbeitstätigkeit und das Alignment mit ihrer sie umgebenden Lebenswelt, ihren
Partnerinnen und Partnern sowie der erweiterten Familie. Autorität und Führung
in diesen neuen „Guidance Systems“ wird aufrechterhalten und Aktivitäten koor-
diniert. Vor allem geht es aber um gemeinsam geteilte Werte und Standards und
kohärente Organisationskulturen. Dieser Wandel zu neuen Guidance Systemen, so
Kanter (2008), ist lange diskutiert und vorbereit worden und tritt nun mit erstaun-
licher Geschwindigkeit ein. Ein Ausdruck dieser neuen Organisationsphilosophie
ndet sich im Gesamtbereich von Self-Managed Organizations. Schaut man sich
so weitentwickelte Organisationformen an, wie beispielsweise Valve, wird die
Selbstorganisation in vielen Unternehmensgeschichten deutlich. Beispielsweise in
der Entscheidung, den Unternehmensmarkt über das Herstellen reiner PC-Spiele
auch auf den Hardwarebereich auszuweiten. Bei Valve konzentrieren die über 400
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre gesamte Zeit auf Projekte, die aus ihrer Sicht
für ihre Kundinnen und Kunden wichtig sind. Sie arbeiten in Cabals zusammen,
die sie selbst organisieren und reorganisieren Projekt für Projekt, indem sie ihre
Stühle und Schreibtische zusammenstellen, manchmal mehrmals am Tag in neuer
Form. (Natürlich ist es auch möglich, zu kundennah zu sein. Steve Jobs benannte
dies einmal mit seiner berühmten Bemerkung, dass auch der Markt nicht immer
wisse, was er wolle.)
In ihrem sehr guten Überblicksartikel im Harvard Business Review bemerken
Ethan Bernstein, John Bunch, Nico Connor und Michael Lee (2016), dass breite
Totschlagargumente für oder gegen Self-Managed Organizations oder Holokratie
und andere neue Organisationsformen, in der Regel einen ganz wesentlichen Punkt
außer Acht lassen: Die meisten Organisationen, gerade große Organisationen,
sollten diese neuen Organisationsstrukturen und Arbeitstechniken in Teilen und
nicht in Gänze implementieren. Sie bemerken:
“[W]e’d be surprised more than 20 percent of the Global 1000 looked ‘teal’ in 2030,
to use Frederic L aloux’s term for ‘whole’, evolutionar y, self-managing orga nizations.
But we’d also be surprised if more than twenty percent didn’t signicantly draw
on some of the techniques within their corporate frameworks.” (Bernstein, Bunch,
Connor & Lee 2016)
In den großen und kleinen Organisationen, sowohl den privaten als auch den öent-
lichen, wird bereits viel mit Agilität und Selbstorganisation experimentiert. Procter
& Gamble als Beispiel haben eine sehr komplexe Matrixstru ktur implementiert, um
B 4.3 Fazit zum Thema Selbstorganisation als Grundprinzip 179
179
ihre unterschiedlichen Produkte und Marken geograsch zu integrieren. Ergä nzend
dazu gibt es aber darüber hinaus ein sehr großes, ausgedehntes „Open Innovation
Program“, in dem externen Team für Procter & Gamble maßgeschneiderte Prob-
lemlösungen entwickeln. Google und 3M sind ähnliche Beispiele: Für lange Zeit
wurden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dazu ermutigt, einen bestimmten
Prozentsatz als Anteil ihrer Arbeitszeit auf eigene Projekte (self directed work) zu
verwenden. Die Frage in welcher Weise Selbstmanagement und Selbstorganisation
in Unternehmen und anderen Organisationen eingeführt werden sollten und bis
zu welchen Grad dies sinnvoll ist, kann anhand der Beantwortung dreier Fragen
entschieden werden:
1.
Was braucht es an Stabilität? Welche Teile der Organisation brauchen Stabilität?
2. Wo sind Anpassungen erforderlich und nötig?
3. Welche Organisationsformen sorgen für die richtige Balance?
Selbstmanagementprinzipien für gesamte Organisationen anzuwenden ist demnach
dann sinnvoll, wenn der ideale Grad der Anpassungsfä higkeit sehr hoch ist. Wenn
also die Organisation in einer sich schnell wandelnden Umwelt operiert, in der die
Vorteile von schnellen exiblen Anpassungen die Kosten dieser Anpassungsleis-
tung übersteigen, außerdem Konsequenzen einer möglichen Fehlsteuerung und
Falschanpassung nicht katastrophal wären und es drittens keinen hohen Bedarf an
expliziter Kontrolle gäbe. Das ist auch der Grund dafür, dass vor allem Startups in
diesem Bereich häug zu den „early adopters“ zählen. Branchen wie Sowareent-
wicklungsorganisationen oder Spieleentwickler sind ebenfalls prototypisch für diese
Kategorie, wie beispielsweise Valv e entdeckte. Aber in Industrien, die ein hohes
Maß an Verlässlichkeit charakterisiert – wie beispielsweise die Finanzbranche oder
Verteidigungs- und militärische Organisationen – bleiben hierarchische Strukturen
bestehen, obwohl es auch dort Nischenbereiche gäbe, in denen self-management
fruchtbare Ansätze für eine zukunsstarke Reorganisation darstellen würden.
B 4.3 Fazit zum Thema Selbstorganisation als Grundprinzip
B 4.3 Fazit zum Thema Selbstorganisation als Grundprinzip
Wir haben gezeigt, dass Selbstorganisation ein grundlegendes Prinzip von mo-
dernen Organisationsökosystemen ist. Dieses wirkt sowohl auf die Organisati-
onsstrukturen (siehe agile Organisations- und Managementkonzepte), als auch
auf die individuellen Akteurinnen und Akteure sowie auf den Bedarf an Skills
und auch auf größere globale Strukturzusammenhänge, die sich wieder um gegen-
180 B 4 Future Skills für Future Organisations
seitig beeinussen. Selbstorganisation geht zurück auf Prozesse im physikalisch
naturwissenschalichen Bereich, indem Energiezufuhr zu nichtdeterministischen
Phasenübergängen in Systemen führt. Überträgt man dies auf moderne Gesell-
schaen zeigt sich, dass mit Dirk Bäckers (2018) Analyse der Mediengesellscha
ein Informationsüberuss die gleiche Wirkung auf soziale Systeme hat, die zu
nichtdeterministischen Phasenübergängen, also Selbstorganisationsprozessen,
führen. In einer Umgebung, in der Selbstorganisationsprozesse auf Märkten, in
politischen Systemen und Organisationen sich durchsetzen und ermög licht werden,
werden sie zusammen mit der Fähigkeit, selbstorganisiert und eigenverantwortlich
zu handeln, zu Voraussetzungen. Selbstorganisation schwing t sich damit zu einem
Grundstrukturprinzip für die Entwicklung zuküniger Fähigkeiten auf.
181
Teil C
Zukunft der Hochschule,
Hochschule der Zukunft
#in-a-nutshell
Die Hochschule der Zukun w ird sich in Organisationsstruktur und Arbeitsweise
ändern müssen, will sie den geänderten Rahmenbedingungen einer Gesellscha
Rechnung tragen, in der akademische Bildung die normalbiograsche Erfahrung
der Mehrheit einer Alterskohorte ist. Der Megatrend der gesellschalichen Ent-
wicklung hin zu einer Bildungsgesellscha mit all ihren Erscheinungsformen
wird durch einen zweiten gesamtgesellschalichen Megatrend verstärkt, den der
Digitalisierung. Insgesamt haben wir zehn Treiber identi ziert, die zu Änderungen
im Zuschnitt, Programm und den Strategien der Hochschulen führen werden und
somit die Zukun der Hochschule bestimmen werden, die im Folgenden dargestellt
werden (Kapitel C 1). Darauf auauend stellen wir dar, wie Lernen und Lehren in
der Hochschule der Zukun gestaltet werden kann (in Kapitel C 2). Kapitel C 3
formuliert abschließend 4 Szenarien für die Hochschule der Zukun.
182 B 4 Future Skills für Future Organisations
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Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materi-
als die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.
v (
183
C 1
Zehn Sekunden, die über die Zukunft
der Hochschulen entscheiden
C 1 Zehn Sekunden, die über die Zukunft der Hochschulen entscheiden
Sekunden sind in der Musik nebeneinanderliegende Ganztöne. Erklingen sie
zusammen, hört man einen dissonanten Klang – etwas reibt sich dabei ganz of-
fensichtlich, will sich auösen, strebt in einen anderen Zustand. Dissonanzen in
der Musik haben eine dynamische Kra, sie erscheinen a ls instabiler Zustand, sind
kein Ruhepol. Kein Moment des Verweilens – sie wollen weiter. Sie scheinen einen
nächsten Schritt notwendig zu machen, und zeigen in der Musik in eine Richtung.
Und doch sind sie die kleinste Einheit großer Musikstücke, aller Musikstücke. Die
Hochschule der Zukun steht vor der Frage, ob sie die sich derzeit abzeichnenden
Dissonanzen als Entwicklungsmomente verstehen kann, aus denen heraus sie eine
neue Architektur komponieren, sie als Potenziale für Entwicklung verstehen kann.
Was sind diese Sekunden? Diejenigen Entwicklungen, die einerseits Probleme,
Schwierigkeiten, Herausforderungen darstellen, zu Dissonanz führen und ande-
rerseits gleichzeitig damit Entwicklungen herausfordern? Welches sind die zehn
Sekunden, die über die Zukun der Hochschule entscheiden?
Die Zukun der Hochschule spannt sich wie ein Horizont. Luhmann (1976)
beschreibt, dass in allen sozialen Systeme Erwartungen gebildet werden, die maß-
geblich sind dafür, wie sich das System, auch die Hochschule, in seinen Operationen
auf die Zukun ausrichtet. Daher ist es wichtig, für die Zukun der Hochschule
auch die Situation innerhalb der Hochschule und die Erwartungen ihrer Akteu-
rinnen und Akteure mit einzubeziehen. Niklas Luhmann (ebenda) unterscheidet
in diesem Zusammenhang zwei Aspekte, nämlich gegenwärtige Zuküne – also
Projektionen, etwa in Gestalt von Utopien – und zukünige Gegenwarten in Gestalt
von technologischen Orientierungen, kausalen oder stochastischen Verbindungen
zuküniger Ereignisse. Die vorliegende Arbeit versteht sich als Beitrag zur zukünf-
tigen Gegenwart der Hochschulen.
© Der/die Autor(en) 2020
U.-D. Ehlers, Future Skills, Zukunft der Hochschulbildung – Future
Higher Education, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29297-3_11
184 C 1 Zehn Sekunden, die über die Zukunft der Hochschulen entscheiden
Es ist eine Vielzahl von unterschiedlichen Entwicklungen, gesellschalicher,
wirtscha licher, politischer und technologischer Art, die dazu führen, dass sowohl
ein Transformationsklima als auch eine Transformationsnotwendigkeit entsteht.
Dabei stechen einige Aspekte wie weit sichtbare Landmarken heraus und bilden
Anlässe für kleinere und größere Krisen und damit neue Entwicklungen. Zehn
Punkte werden im Folgenden herausgegrien und analysiert, mit dem Ziel, he-
rauszuarbeiten, in wieweit sie Transformationsdruck auf Hochschulen ausüben.
C 1.1 Erste Sekunde: Digitalisierung – Hochschulbildung
in einer digitalen Welt
C 1.1 Erste Sekunde: Digitalisierung
Die Digitalisieru ng ist – auch für Hochschulen – eine derart mächtige Entwick lung,
dass es sich sicher lohnen würde, dem Einuss der Digitalisierung auf die Hochschul-
bildung ein eigenes Buch zu widmen. Vielltige Publikationen zeugen davon. Jedoch
zeigt sich in der aktuellen Diskussion um Hochschulstrategien, dass die Digitale
Transformation nicht ein Ziel an und für sich ist. Es zeigt sich, dass immer weniger
Hochschulen sich eine digitale Strategie geben, und immer mehr dazu übergehen,
Digitalisierung als Mittel zu verstehen, um das eigene Hochschulprol strategisch zu
überdenken oder zu schärfen. Schünemann und Budde (2018) arbeiten pointiert heraus,
dass das das Ergebnis dabei omals in einer Strategie für Hochschulbildung in einer
digitalen Welt besteht, aber eben gerade nicht in einer Strategie für Digitalisierung.
Digitale Bildung ist gleichzeitig das burning issue der derzeitigen Diskussion
über die Hochschule der Zukun. Es ist Gegenstand unzähliger Gespräche, Dis-
kussionen, Konzeptionspapiere und wissenscha licher Untersuchungen. Sowohl in
der Bildungspolitik als auch in der gegenwärtigen Hochschuldebatte sowie in der
bildungswissenschalichen Debatte und vielfältigen anderen Diskussionskontexten.
Dabei hat die Diskussion über digitale Bildung eine Konjunktur hinter sich, die
sich auch kritisch mit den Begriichkeiten auseinandersetzt und in jüngster Zeit
auch stärker auf den Bildungsprozess als solchen fokussiert. Immer weniger wird
von digitaler Bildung gesprochen, sondern vielmehr auf Bildung in der zukünigen
Gesellscha rekrutiert oder auf Bildung in einer digitalen Gesellscha oder unter
Bedingungen der Digitalisierung gesprochen (siehe z. B. die letzte Publikation des
BMBF zu dem ema: „Bildung in einer digitalen Gesellscha“). In den Hochschulen
stellt sich die Frage: Wie geht man mit den neuen Möglichkeiten um? Die neuen
Möglichkeiten bieten sich entlang einer Reihe von unterschiedlichen Dimensionen.
So führt Digitalisierung zu Entgrenzungsprozessen akademischer Bildung und ihrer
Organisation, die auf alle Bereiche der Hochschule einen Einuss hat:
C 1.1 Erste Sekunde: Digitalisierung 185
185
Das für ein akademisches Studium notwendige Wissen wird zunehmend frei
digital verfügbar und ist auch von einer spezischen akademischen Institution
und ihren Akteurinnen und Akteuren entkoppelt zu erreichen. Die Koppelung
von Wissenszugang und Institutionszugehörigkeit löst sich mehr und mehr auf.
So ist beispielsweise ein Patchworkstudium mit unterschiedlichen akademischen
Lehrveranstaltungen an unterschiedlichen Institutionen prinzipiell denkbar und
wird auch zunehmend realisiert.
Wissensvermittlungsprozesse verlieren ihre Raum- und Zeitgebundenheit und
Studium kann neu und unabhängig von Seminarräumen und Präsenzveran-
staltungen organisiert werden.
Die Generierung neuen Wissens über Forschungsprozesse ist heute ohne digita le
Medien und durch sie unterstützte Prozesse nicht mehr denkbar. Auch für die
Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden, sowohl bei der Lehre als auch
bei der Organisation des Studiums, werden zunehmend digitale Medien genutzt.
Forschende, Lehrende und Studierende treten über digita le Medien zunehmend
auch in einen globalen Austausch und Studium, Lehre und Forschung inter-
nationalisieren sich.
Die hier genannten Punkte stellen nur eine kleine Auswahl von Aspekten dar,
die durch Digitalisierung in der Hochschule der Zukun beeinusst werden. Die
Tatsache, dass mehr und mehr Universitäten Konzeptionen zur Digitalisierung in
ihre Strategiebildungsprozesse aufnehmen, trägt dieser Entwicklung Rechnung
und ist gleichzeitig Ausdruck davon (Hochschulforum Digitalsierung 2016).
Die steigende Individualisierung von akademischen Bildungsprozessen und
die Vielfalt von Ansprüchen, Zielen und Methoden des Studierens wird durch
die Unterstützung der Lehre und des Studiums mit digitalen Medien im oben
beschriebenen Sinne erst möglich. Die Digitalisierung wirkt wie ein Ermöglicher
für die Anforderungen, die eine gesteigerte Bildungsbeteiligung mit sich bringen.
Die Digitalisieru ng der Hochschulbildung als Technisierung zu verstehen, wäre
verkürzt und falsch. In ihrem Kern stehen Aspekte wie der freie Zugang zu Wissen,
Wissensressourcen, entgrenzten Kommunikationsmöglichkeiten und Vernetzung.
Es stellt sich nunmehr verstärkt die Frage, wie Bildungsprozesse aussehen müssen,
wenn sie eben nicht mehr auf dem schon eingeübten Hierarchiegefälle der Lehrenden
als den Wissensträgerinnen und Wissensträgern einerseits und den Studierenden
als den Wissensempfängerinnen und Wissensempfängern andererseits, ruhen
kann. Vielmehr scheint das alte Ideal der Gemeinscha der Studierenden und
Lehrenden mit dem Ziel, innovative Ansätze durch Diskurs hervorzubringen, nun
186 C 1 Zehn Sekunden, die über die Zukunft der Hochschulen entscheiden
wieder aufscheinen zu können – im gemeinsamen Diskurs Problemszenarien zu
entwickeln und zu bearbeiten.
C 1.1.1 Beschleunigte Innovationszyklen – Wandel als das
neue Normal
Digitalisierung ist auch deshalb ein so starker Einussfaktor, weil sich technologi-
sche Innovationszyklen immer stärker beschleunigen. Betrachtet man alleine die
technische Entwicklung und stellt man sich vor, dass die letzten eintausend Jahre
auf 24 Stunden geschrump seien, so würde die Entwick lung des Buchdruckes erst
in Stunde 13, kurz nach mittags, passiert sein, die Fotograe vor ca. vier Stunden,
Telefon und Radio vor etwa drei Stunden, das World Wide Web erst vor einer halben
Stunde und Dienste wie Facebook, Twitter, WhatsApp sowie das iPhone an sich
erst vor zehn Minuten (siehe Abbildung 23).
Gleichzeitig nimmt die Intensität der Auswirkung der unterschiedlichen beschrie-
benen Technologien immer weiter zu. Das heißt, wir stehen vor einer Entwicklung,
in der Technologien sich immer schneller entwickeln und die Auswirkungen, die
diese Technologien haben, immer schneller wirksam und gesellschalich spürbar
werden. In allen gesellschalichen Bereichen entsteht der Eindruck einer „5 Minu-
ten vor 12“ Situation. Mit dem Zukunsforscher Peter Kruse können wir hier von
einem Paradigmenwechsel einer linearen hin zu einer nicht-linearen, emergenten
Systemdynamik sprechen (Kruse 2009). Dabei wird die Fähigkeit des Erkennens
und Reektierens von Zusammenhängen wichtiger als das Denieren von Zielen
und das Ausführen von Planungsvorgängen.
Der durch Digitalisierung hervorgerufene Wandel bewirkt ein Gefühl eines
permanenten Wandels gesellschalicher Abläufe und Möglichkeiten. Während
Änderungszyklen bisher zu neuen Zuständen beispielsweise in Organisationen oder
gesellschalichen Entwick lungen führten, die dann eine Zeit lang den neuen Status
Quo darstellten, so avancieren Änderung, Wandel und Transformation zunehmend
zum neuen Normalzustand. Das Gef ühl, des „5 Minuten vor 12“ wird nun zum ge-
sellscha lichen Grundgef ühl, zum organisationalen Normal. Auch in Hochschulen
ist die Agenda der beteiligten Akteurinnen und Akteure, Wissenschalerinnen
und Wissenschalern sowie den Gremien zunehmend mehr auf Wandel und
weniger auf Beständigkeit aus. Es gibt keinen eingeschwungenen Zustand mehr.
Neue Änderungen ergeben sich dabei aus derzeit laufenden Änderungszuständen.
Für Hochschulen, ihre Curricula und die Entwicklung von Studienangeboten
auch von Bedeutung ist die Auswirkung der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt:
Nicht zuletzt werden die Geschwindigkeit der technologischen Entwicklung und ihre
C 1.1 Erste Sekunde: Digitalisierung 187
187
Abb. 23 Geschwindigkeit digitaler Entwicklung (inspiriert durch Ibrahim Evsan 2015)
188 C 1 Zehn Sekunden, die über die Zukunft der Hochschulen entscheiden
Auswirkungen auch durch die Diskussion deutlich, wie sie auf den Arbeitsmarkt
und das Arbeitsumfeld wirkt. Die Botscha ist häug: Technologienentwick lungen
fressen Arbeitsplätze und die Frage scheint nicht mehr zu sein, ob Arbeitsplätze
wegfallen, sondern wie viel. Dabei ist im Bereich der Arbeitsmarkteekte von
Technologisierung, Robotik und künstlicher Intelligenz k lar, dass überall dort wo
manuelle Routinetätigkeiten ausgeübt werden, hohe Potentiale technologischer
Transformation bestehen und überall dort, wo nicht routinierte soziale Fähigkeiten
gefragt sind nur ein geringes Potential technologischer Substitution besteht (siehe
Abbildung 24).
Abb. 24 Auswirkung der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt (Eigene Abbildung nach
Daten aus OECD 2019)
C 1.1 Erste Sekunde: Digitalisierung 189
189
Tatsächlich ist die Frage was für ein Substitutionspotential durch Technologie
besteht eine in vielen Arbeitsmarktbereichen dramatische aber derzeit noch un-
klare. Können auf der einen Seite zwar Tätigkeitbündel durch Computer und
Maschinentechnologie substituiert werden, so stellt sich andererseits die Frage
in welcher Fristigkeit und in welchem Zeitraum hierdurch sich veränderte, neue
Professionsprole bilden.
C 1.1.2 Umgedrehte Innovationsrichtung
Obwohl Digitalisierung ein starkes Disruptionspotenzial mit sich bringt und in
viele gesellschaliche Teilbereiche hinein Veränderungen bewirkt, ist die Imple-
mentierung von digitalen Technologien sowie auch die Anpassung von Abläufen
in Institutionen herausfordernd (Hochschulforum Digitalisierung 2016). Digitale
Technologien sind zwar mittlerweile in vielen Bereichen stark integriert, jedoch
ging das in vielen Fällen auch mit starken Umbrüchen einher. So ist der Handel
mit Musik stark davon betroen und hat sich in den letzten Jahren sehr dynamisch
weiterentwickelt und quasi revolutioniert. Auch der Buchhandel wurde durch das
Internet stark verändert. Einzelne Titel und einzelne Musikstücke können bezogen
werden; eine Möglichkeit, die vorher undenkbar war. Jedoch ist es bemerkenswert,
dass der Anstoß zu Neuerungen im Vertrieb oder in der Produktion immer von
außen kam, nie von den Branchen selber entwickelt wurde – weder im Buchhandel
noch in der Musikindustrie noch in anderen Branchen. Die Impulse zur Verände-
rung ka men tatsächlich immer von außen durch technologische Entwicklungen: Es
waren nicht die Buchhändler die sich zusammengesetzt haben, um darüber nach-
zudenken, wie sie möglicherweise eine neue Form des Buchvertriebs für granulare
Angebote auf Kapitel- oder Seitenebene entwickeln könnten und möglichweise
sogar frei verfügbar an ganz neue Kundengruppen abgeben könnten. Sondern es
war das Internet mit seinen Möglichkeiten, die Technologie die verfügbar war, die
zu diesen Fragen geführt hat: Innovationen durch externe Impulse.
Betrachten wir die Hochschulen, können wir die Frage stellen, welche Aus
-
wirkungen die Digitalisierung wohl für diese Institution am Ende haben wird.
Dabei ist in Hochschulen ein ähnlicher Prozess zu beobachten. Öentlich nan-
zierte Hochschulen haben nur einen geringen Marktdruck. Trotzdem stellt sich
immer mehr die Frage, in welcher Weise die technologischen Möglichkeiten und
die Umweltveränderungen letztendlich dazu führen, dass sich Hochschulen in
ihren Arbeitsweisen weiterentwickeln und dabei darüber nachdenken müssen,
in wieweit Innovation tatsächlich in der Hochschule möglich sein wird (Schü-
nemann & Budde 2018). Und so ist es auch bei Hochschulen insbesondere ein
190 C 1 Zehn Sekunden, die über die Zukunft der Hochschulen entscheiden
externer Innovationsdruck, der zum Gefühlten 5 vor 12 führt. Innovation in der
Hochschule über Technologie, beispielsweise das freie zur Verfügung stellen von
Bildungsinhalten über oene Onlinekurse, das Entwickeln von Onlinekursen für
sehr große Zielgruppen (wie Massive Open Online Courses), die frei verfügbaren
Bildungsmaterialien (Open Educational Resources), das alles und auch das modu-
lare zur Verfügung stellen von Zertizierungskonzeptionen (über sog. Badges und
Microcredentials) wird durch Technologie ermöglicht und war bis vor kurzem in
Hochschulen noch undenkbar. All diese Beispiele für Innovationen sind Beispiele
für Innovationen in Hochschulen, die über Impulse von außen in die Hochschulen
hineinkommen. Beispiele sind Coursera oder Odassity in den USA oder auch die
MOOC-Plattform Future Learn, als Ausgründung der Open University UK in
England. A lles Plattformen auf denen oene Bildungsmaterialien höchster Qualität
weitgehend kostenlos und ohne Einschreibepicht angeboten werden. Studierende
können diese frei verfügba r in Anspruch nehmen. Al les Entw icklungen, die außer-
halb von Hochschulen gegründet wurden, da nur so die Souveränität und Hoheit
hochschulischen Handelns gewährleistet werden konnte. Und gleichzeitig stellen
alle Entwicklungen die bisherige Funktionsweise so stark in Frage, dass ein Auf-
bau der jeweiligen Plattformen innerhalb der Hochschulen nicht funktioniert hat.
Insgesamt erlaubt Digita lisierung neue Vertriebs- und Informationswege, neue
und nicht mehr an Institutionen gebundene, übergreifende Cloud-Datenspeicher,
neue Möglichkeiten über intelligente, lernende Algorithmen den Auau und die
Abläufe im Hochschulbereich neu zu denken. In dieser neuen, o auch fälschlich
glitzernden Welt, gilt trotzdem der berühmte Satz von John Nalsbitt: „We are
drowning in information, but starved for knowledge“ – und so möge man hin-
zufügen „wisdom“. Indem Digitalisierung Entkoppelung und Dezentralisierung
ermöglicht, ja befördert, stellen sich für Bildungsinstitutionen Fragen nach ganz-
heitlichen Bildungskonzepten im Duktus nicht-fragmentierter, durchgängiger und
orientierungsgebender, überdauernder Weise neu und drängender.
C 1.1.3 Digital oder analog: Was bildet besser?
Eine Frage, die im Zusammenhang mit digitaler Lehre in der Vergangenheit o
gestellt wurde, ist die Frage, was besser sei: digitale oder analoge Hochschulbil-
dung. Mittlerweile gibt es zu dieser Frage eine Vielzahl an Untersuchungen und
eine führende Lehrmeinung. Im Kern solcher Forschungen stand immer die Frage
nach der lernförderlichen Beschaenheit von E-Learning und digitalen Medien und
auch die Frage, ob mit mediengestützten Lernsystemen erfolgreicher oder eektiver
gelernt werden kann als auf anderen, etwa konventionellen Wegen. Mithilfe von
C 1.1 Erste Sekunde: Digitalisierung 191
191
Metaanalysen können die vielen vorliegenden Untersuchungen über die Eektivität
des Computereinsatzes zum Lehren und Lernen aggregiert werden. Dabei weisen
Kerres und Gorhahn (1999) auf folgende Tendenzen hin:
1.
E-Learning ist konventionellem Lernen nicht grundsätzlich unterlegen. Die
genannten Studien konnten auch kein bestimmtes Mediensystem als besonders
erfolgreich identizieren.
2.
Der Vorteil des multimed ialen Lernens liegt nicht in der gleichzeitigen Anspra-
che mehrerer Sinnesk anäle (man nennt dies naive Summierungshypothese, wie
Weidemann es 1997 betitelt), sondern in der verschiedenartigen Codierung von
Informationen in unterschiedlichen Symbolsystemen.
3.
Die Lernmotivation lässt sich kurzzeitig durch den Einsatz von Lernmedien
steigern. Da dieser Eekt aber von kurzer Dauer ist, rechtfertigt er nicht eine
teure Produktion multimedialer Inhalte.
4. Insgesamt scheint viel mehr die Beschaenheit des didaktisch methodischen
Lernarrangements von Bedeutung für den Lernerfolg zu sein und weniger das
eingesetzte Mediensystem.
5.
Bei Personen mit hoher Lernkompetenz und selbstständigem Lernverhalten,
haben Mediensysteme Vorteile gegenüber konventionellen Lernmethoden.
Eine der bedeutendsten Metaana lysen in diesem Zusammenhang stammt von Kulik
und Kulik (1991) bereits aus den 90er Jahren. Die Autoren haben insgesamt 248
Vergleichsstudien ausgewertet. Davon waren bereits 195 in früheren Metastudien
zusammengefasst worden und 53 kamen als damals aktuelle Studien später noch
hinzu. Von den 248 Studien wiesen 202 einen höheren Lernerfolg für das compu-
terbasierte Lernen und 46 ein besseres Ergebnis für das konventionelle Lernen aus.
Die Ergebnisse waren aber nur in 100 Fällen signikant, in 94 Prozent der Fälle
zugunsten des computerbasierten Lernens und in 6 Prozent der Fälle zugunsten
des konventionellen Unterrichts. Vergleichsstudien zwischen konventionellem und
mediengestütztem Lernen sind nicht eindeutig in die eine oder andere Richtung
auszulegen. Es gilt nach wie vor das Primat der Didaktik, welches den höchsten
Einuss auf den Lernerfolg zu haben scheint und weniger der Einuss des digita len
Lernsystems. omas Russel (2001) kommt zu dem Schluss, dass im Vergleich zwi-
schen konventionellem und digitalem Lernen, das sogenannte no signicant dierence
phenomenon Gültigkeit hat, sodass eine Überlegenheit des einen zum anderen
System nicht überdauernd festgestellt werden kann. Vergleichsstudien zwischen
konventionellem und mediengestütztem Lernen sind jedoch nicht unumstritten;
zum einen treen sie die explizite Annahme, dass die zu vermittelnden Lernin-
halte gleichermaßen für konventionelles Lernen und für E-Learning geeignet sind,
192 C 1 Zehn Sekunden, die über die Zukunft der Hochschulen entscheiden
zum anderen sind sie methodologisch problematisch. Fraglich ist vor al lem, ob die
Unterschiede wirklich in jedem Fall auf die eingesetzten Medien zurückzuführen
sind. Insbesondere Variablen, die sich auf die Eigenschaen der Lernenden selber
beziehen (Lernpräferenzen, Lernkompetenzen, Motivation, etc.), scheinen einen
Einuss auf den Lernerfolg zu haben. In der empirischen Lehr-Lern-Forschung
wird seit längerem versucht festzustellen, welche Personen mit welchen medialen
didaktischen Angeboten am besten lernen. Die Intention dabei ist, alle relevanten
Einussfaktoren einer Lehr-Lern-Situation zu erfassen und deren Wirkung auf
den Lernprozess festzustellen. Unter methodologischen Gesichtspunkten bedeutet
dies, dass Medienattribute wie beispielsweise Lesba rkeit der Texte, Filmsequenzen
usw. sowie Variablen des didaktischen Designs in Beziehung zu den Lernvariablen
gesetzt werden. Dieses Vorhaben mündet zumeist in sehr komplexen experimentellen
Forschungsdesigns. Problematisch ist dabei nicht nur die Fülle der zu erfassenden
Faktoren, sondern auch deren wechselseitige Einüsse.
Insgesamt kann mittlerweile festgehalten werden, dass die Honung alle bedeu-
tenden Einussfaktoren zu erfassen und mithilfe statistischer Methoden auf ihre
Wirkung stoßen zu wollen, als unrealistisch aufgegeben wurde. In jüngster Zeit wer-
den diese Versuche erneut belebt, indem unter dem Stichwort „Learning Analytics“
versucht wird, möglichst viele Daten des lernenden Verhaltens aufzuzeichnen und
über Data-Mining-Verfahren und lernende Algorithmen, Schlüsse darauf zu ziehen,
in welcher Weise Lernerfolg zu beobachten ist und wie Lernerfolge verlaufen. Auch
hierbei wird über empirische Verfahren versucht, Verhaltensdaten und -variablen
mit Attributen der Lernsituation wie Medien, eingesetzten Materialien und Vari-
ablen der Lernenden in Beziehung zu setzen, sodass prinzipiell kein Unterschied
zu früheren Versuchen beseht, jedoch graduell in der Vielzahl der zur Verfügung
stehenden Daten andere Ansätze gewählt werden können. Das Hochschulforum
Digitalisierung, eine Netzwerkeinrichtung von deutschen Hochschulen, die im
Bereich der Digitalisierung der Hochschullehre arbeitet, kommt zu dem Schluss,
dass die Frage nicht mehr lauten kann, ob digitale oder ana loge Hochschulbildung
besser oder schlechter sei, sondern lauten muss, wie sie in der Zukun gestaltet
werden kann. Dabei geht es nicht um eine Digitalisierung per se, sondern es geht
immer stärker um die Frage in welcher Weise digitale Medien auf den Lernprozess
wirken, in welcher Weise digitale Medien den Studienprozess individueller und
exibler gesta lten können und Mehrwerte aus Sicht der Lehrenden und Lernenden
geboten werden können. Es stehen bei der derzeitigen Diskussion in Hochschulen
drei esen im Vordergrund.
1. Digitalisierung ist keine Technisierung, sondern didaktische curriculare und
organisatorische Innovation.
C 1.1 Erste Sekunde: Digitalisierung 193
193
2.
Der Schlüssel zur erfolgreichen Digitalisierung der Hochschullehre ist die
Kollaboration.
3. Digitalisierung scha nicht nur virtuelle Lernräume, sondern verändert auch
bestehende physische Lernräume.
C 1.1.4 Ope n Education: Neue digitale Oenheit
Digitalisierung ermöglicht eine neue, zuvor nicht dagewesene Oenheit in vielen
Aspekten. Die neue digitale Oenheit, beispielsweise des oenen Publizierens, aus
dem heraus neue kollaborative Arbeits- und Publikationsformen entstehen, war
so in der Wissenscha bislang nicht existent. War früher das Publizieren von wis-
senscha lichen Texten eine sehr exklusive Arbeitsweise von einem oder mehreren
Wissenschalerinnen und Wissenscha lern untereinander in einer geschlossenen
Gruppe ohne die Ergebnisse im Vorhinein nach außen darzustellen, in einer beson-
deren Textsorte den besonderen Qualitätsansprüchen genügen musste, so ist heute
digitale Kollaboration an wissenschalichen Analysen ein Vorgehen in dem mit
neuer Oenheit Peers bereits im Produktionsprozess des Textes einbezogen werden.
Andere Aspekte der Oenheit durch digitale Medien sind die Önung von
Lehrangeboten für andere Zielgruppen, das zur Verfügung stellen und nutzen
von Lehrmaterialien als oene Bildungsmaterialien, auch als Open Educational
Resources bezeichnet (OER). Zu den oenen Bildungsressourcen zahlen alle Arten
von Materialien, alle Inhalte und Konzepte, welche zu Lehr- und Lernzwecken ent-
wickelt wurden und die ohne oder mit nur geringen Einschränkungen verwendet,
bearbeitet und weitergegeben werden dürfen (vgl. Butcher 2013: 6). Sie stellen eine
zeitgemäße Möglichkeit dar, die notwendigen Voraussetzungen f ür Bildung im Sinne
des Austauschs von Gedanken, Erfahrungen und Wissen zu schaen. Dazu w ird das
Material von den Rechteinhabenden in der Regel kostenlos zur Verfügung gestellt
und mit einer oenen Lizenz gekennzeichnet, die eine rechtssichere, pauschale
Nutzungserlaubnis umfasst. Laut UNESCO Können oene Bildungsressourcen
unmittelbar wie mittelbar dazu beitragen, den Zugang zu lebensbegleitendem
Lernen zu erleichtern: Durch ihre kostenlose und freie Verfügbarkeit würden ge-
rade einkommensschwache Menschen und Bildungseinrichtungen mit begrenzten
nanziellen Mitteln von OER protieren können. Durch die Verbreitung von OER in
digitalen Formaten und ihre entsprechende Verfügbarkeit könnten den Lernenden
dabei raum- und zeitunabhängige Möglichkeiten der Weiterbildung gemäß dem
eigenen Bedarf erönet werden (vgl. UNESCO 2017: 2).
Auch das zur Verfügung stellen und in Anspruch nehmen von Datenbeständen
und Informationen, die als oene Daten (Open Access) verfügbar gemacht werden
194 C 1 Zehn Sekunden, die über die Zukunft der Hochschulen entscheiden
ist möglich. Insgesamt ändert die digitale Technologie auf diese Weise sowohl den
Forschungsprozess (e-science), als auch die Analysemöglichkeiten über Daten, die
Dokumentation, die Lehre und die Verfügbarkeit von Lehrmaterialen.
Im Bereich der digitalen Lehre der Hochschule stellt sich die Frage, was einen
geeigneten, angemessenen „Blend“ von digitalen und nicht digitalen Phasen und
Ansätzen für die digitale Hochschullehre darstellt. Obwohl diese Frage in allen
Hochschulen, gemäß der jeweiligen Hochschulprole kleinerer und größerer
Hochschulen, der jeweiligen Fachkonstellation unterschiedlich diskutiert wird,
so scheinen sich in deutschen Hochschulen derzeit doch vor allem zwei Modelle
durchzusetzen: Blended Learning und die Untervariante des Blended Learning mit
dem Titel Flipped oder Inverted Classroom (siehe hierzu ausführlicher Ehlers &
Kellermann 2019). Die Diskussionen in Hochschulen laufen zumeist auf Fachebene,
da jedes Fach beziehungsweise jeder Lehrende eine indiv iduelle Designentscheidung
treen kann und treen muss, inwieweit digitale Medien und in Präsenz statt ndende
Lehre miteinander zu neuen didaktischen Mustern verwoben werden. Dabei steht
im Vordergrund die Funktion der Wissensvermitt lung tendenziell und zunehmend
mehr auf die Interaktion mit Medien zu verlagern wä hrend die Wissensvertiefung,
die Anwendung des Wissens, die Weiterentwicklung und die Analyse des Wissens
in spezischen Komplexen, Fallkonstel lationen und Problemsituationen im Bereich
der Präsenzlehre im Vordergrund stehen.
C 1.1.5 Der Wettlauf zwischen Bildungssystem und Technologie
Betrachtet man die Digitalisierung als Megatrend im Zusammenhang mit der Bildung
unter historischer Perspektive, so wird mit Katz und Goldin (2009) deutlich, dass
ein Zusammenhang besteht zwischen gesellschalicher Entwicklung, Technologie
und Bildungsentwicklung (siehe Abbildung 25). War es noch in der vorindustriellen
Zeit so, dass zwischen technologischer Entwicklung und Bildungsentwick lung nur
wenige erkennbare Zusammenhänge bestanden, wurde mit der Technologieent-
wicklung der Dampfmaschinen, der neuen Produktionsmittel in der industriellen
Revolution, ein wirtscha lich großer Vorsprung erzielt, dem das öentliche Schul-
system und die zur Verfügung stehenden Bildungsressourcen und Bildungsprozesse
allerdings nicht nachkommen konnten. Katz und Goldin sprechen hier von einem
sich entwickelnden sozialen gesellschalichen Spannungsfeld, welches aus einer
starken Technologieentwicklung entstand, die Produktionskapazitäten und die
Produktionsressourcen sowie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den
Fabriken stark betraf und gleichzeitig einer nicht zur Verfügung stehenden Aus- und
Weiterbildung. Erst mit der Einführung des universellen, öentlichen Schulsystems
C 1.1 Erste Sekunde: Digitalisierung 195
195
bestand die Möglichkeit, auch die Bildungslevel der Gesellscha entsprechend
weiterzuentwickeln. Dabei gab es zunächst eine Phase in die Bildungsangebote
massiv ausgeweitet wurden, in den fünfziger und sechziger Jahren des letzten
Jahrhunderts und in der durch gut ausgebaute technologische Produktions- und
Wirtschasmechanismen eine Phase gesellschalicher Prosperität entstanden. Es
konnte so eine gesellschaliche Entwicklung in Richtung verstärkter Bildung und
Ausbildung zu gesellschalicher Entwicklung, Prosperität und neuen Lebensformen
führen. Katz und Goldin sprechen hier von der Phase des Wohlstandes.
Abb. 25 Wettlauf zwischen Technologieentwicklung und Bildungssystem
(Quelle: Katz & Goldin 2009)
Mit der digitalen Revolution sehen sie erneut eine Phase, in der technologische Ent-
wicklungen einen rapiden Entwicklungsvorsprung machen, ohne dass im Moment
eine ähn liche Bildungsentwicklung eingegangen wird, ohne dass im Moment neue
196 C 1 Zehn Sekunden, die über die Zukunft der Hochschulen entscheiden
Bildungsprozesse und Bildungsformen diskutiert werden. Hierbei, genau an dieser
Stelle, hakt auch das Konzept der Future Skills ein und stellt die Frage: Wie muss
die neue Bildung, wie muss die neue Hochschulbildung der Zukun eigentlich
aussehen, um in gleicher Weise nach der industriellen Revolution auch die digitale
Revolution zu begleiten, um nicht die Gefahr der gesellschalichen Irritation zu
groß werden zu lassen, um sozusagen zu gesellschalicher Kohärenz beizutragen?
C 1.2 Zweite Sekunde: Hochschulbildung in der (medialen)
Transformationsgesellschaft
C 1.2 Zweite Sekunde: (Mediale) Transformationsgesellschaft
Die Medienentwicklung hat immer schon in historischer Betrachtung zu grundle-
genden gesellschalichen Umbrüchen geführt. Alle Gesellschaen haben immer
in Umbrüchen gestanden, anhand der verfügbaren Entwicklung von Medien.
Dirk Bäcker, ein Soziologe an der Universität Witten-Herdecke, zeig t dies in seiner
Medienarchäologie (2018) auf, in der er vier Medienepochen unterscheidet. Die
erste Medienepoche ist der Übergang in die orale Gesellscha. Bäcker stellt die
Frage: Vollenden Computer die Moderne? Versprechen sie noch immer Freiheit
und Teilhabe? Oder sind wir gefangen in ihren Netzen?
Dirk Bäcker erkennt in der Digitalisierung die jüngste von vier Medienepochen
der Menschheitsgeschichte, von denen jede einzelne die Regeln des Zusammen-
lebens grundlegend neu geprägt hat. Digitalisierung heißt die Verwendung von
elektronischen Apparaten aller Art. Sie ist von derselben tiefgreifenden Bedeutung
für die gesellschaliche Kultur wie zuvor die Einführung des Buchdrucks, davor
die Einf ührung der Schri und davor die Einfü hrung der Sprache. In seinem Buch
„4.0 oder die Lücke die der Rechner lässt“ (2018) skizzier t der Soziologe wie mit dem
Auauchen der Sprache im Zeitraum vor dreißig- bis vierzigtausend Jahren – nach
seiner Zählung in der Medienepoche 1.0 – zugleich gesellschaliche Formationen
entstanden, die als Sprachgemeinscha jeweils eigene Regeln dafür fanden, welches
Sprechen in welcher Situation, unter welchen Akteurinnen und Akteuren als ange-
messen galt. In der Medienepoche 2.0, die mit der Erndung der Schri vor etwa
achttausend Jahren begann, entstand durch die Möglichkeit das üchtige Sprechen
zu xieren und zu analysieren auch eine neue Auassung von Zeit. Bäcker dazu:
„Die Gesellscha explodiert in Zeithorizonte. Zu schreiben heißt lesen zu können,
was man gestern aufgeschrieben hat. Aufzuschreiben was man morgen lesen muss.
So dass plötzlich Begrie wie Vergangenheit, Gegenwart und Zukun überhaupt
nötig wurden.“ Bäcker (2018)
C 1.2 Zweite Sekunde: (Mediale) Transformationsgesellschaft 197
197
Mit der Erndung des Buchdrucks setzt Mitte des 15. Jahrhunderts die Med ienepoche
3.0 ein. In ihrem Zuge wandelte sich das Verständnis von Öentlichkeit tiefgrei-
fend, sagt Bäcker: „die moderne Buchdruckgesellscha ist eine in der jeder, jeden
jederzeit kritisieren kann und man das sogar aushalten muss, weil die alle gelesen
haben und einfach drauos „plappern.“ (ebenda) Diese neue Vielstimmigkeit er-
schien nicht wenigen Zeitgenossen chaotisch und riskant. Einen Vorschlag wie sie
einzudämmen wäre, macht etwa der Philosoph Immanuel Kant in seiner Schri
„Was heißt Aulärung?“ (1784). Dort gibt er die Empfehlung, dass eine Gelehrte,
beziehungsweise ein Gelehrter nur dann das Wort ergreifen sollte, wenn mindestens
eine weitere Gelehrte/ ein weiterer Gelehrter anwesend sei, die/ der sie/ ihn bei Bedarf
korrigieren könne. Schon bald begannen mehr oder weniger belesene Bürgerinnen
und Bürger damit, die eigene Zeitungslektüre in Salons oder an Stammtischen zum
Besten zu geben, zu debattieren und sich gegenseitig zu kritisieren. So sei eine viel
lebendigere weitgehend ungeregelte Öentlichkeit entstanden, sagt Dirk Bäcker,
die schon auf die heutige vorausweise.
Was aber unterscheidet die derzeitige digital geprägte Öentlichkeit der Me-
dienepoche 4.0 ga nz wesentlich von ihren Vorläufern? Die Situation in der wir heute
sind, ist, dass der Stammtisch in die allgemeine Öentlichkeit verlängert wird und
man unkontrolliert jeden x-beliebigen Kommentar, der irgendjemandem irgendwo
durch den Kopf geht als Posting auf den Plattformen der Welt wiederndet. Es ist
eine andere Situation, weil es die Autoritäten, die akzeptierte Meinung, die Kanäle
in denen gebündelt werden kann, was gebündelt werden muss, nicht mehr gibt. Sind
wir wirklich viel anfälliger für Fälschung und Verdrehung der Wahrheit geworden
als es noch die Buchdruckgesellscha mit ihren Prinzipien der Nachprüarkeit
und entsprechend Instanzen der Kontrolle war? Fake News sind in diesem Sinne
eigentlich kein neues Phänomen. Skandalträchtige Falschmeldungen gab es schon
im 19. Jahrhundert und sie haben dort für Empörung gesorgt. Es ist zwar leichter
geworden, Dokumente oder Bilder zu fälschen, Fehler sind aber heute auch schnel-
ler zu korrigieren, Betrug schneller aufzuklären. Entscheidend, so Bäcker, ist bei
der Entwicklung der Gesellscha in Reaktion auf die Medienentwicklung, dass
es eine Historie gibt, Vorbilder, einen Zeitraum. Weiterhin entscheidend ist, dass
die Gesellscha Digitalisierung nicht passiv über sich ergehen lässt, sondern den
Freiraum nutzt, um innerhalb der Rahmenbedingungen die Algorithmen bereits
allerorten setzend, bewusst so zu gestalten, wie wir in einer digitalen Gesellscha
leben wollen. Dieser Spielraum ist die Lücke, die der Rechner lässt.
„Keine ein zige Soware“, so Bäcker „k ein einzelner A lgorithmus kan n uns sagen wie
Wirts cha oder Politik oder Famil ie zu funkt ionieren hat, sondern al le diese digita len
Apparate und elektronischen Medien müssen darauf warten, dass irgendjemand zu
198 C 1 Zehn Sekunden, die über die Zukunft der Hochschulen entscheiden
irgendetwas in der Gesellscha eine Idee dazu hat, wie man damit umgehen kann
und wozu man das gebrauchen kann.“ (Bäcker 2018)
Die Frage die sich stellt ist: Wie können Hochschulen ihre Studierenden und Absol-
ventinnen und Absolventen auf die nächste Gesellscha (Bäcker 2018) vorbereiten?
Auf eine Gesellscha, die sich durch die zuvor charakterisierten Entwicklungen
auszeichnet. Was sind die Fähigkeiten, die Menschen in einer so veränderten
Transformationsgesel lscha benötigen, um als globale Bürger Umwelt, Gesellscha,
soziale und wirtschaliche Systeme mitzugestalten, proaktiv und nicht reaktiv zu
agieren und Lösungen für Probleme der Zukun zu entwickeln. Die Frage ist a lso:
Wie muss das Mindset der Absolventinnen und Absolventen zukünig aussehen?
Es ist sicher nicht mehr allein das Wissen, was ausreicht. Wissen ist heutzutage in
Datenbanken, Computern, in technologischen Netzwerken, in digitalen Netzwerken
verfügbar. Darüber hinaus sind es Problemlösefähigkeiten, die Fähigkeiten und
Kompetenzen der Innovation, der Kreativität, die entwickelt werden müssen, um
die vielgestaltige Realität der sich entwickelnden Organisationen mitzugestalten.
Zudem geht es um Achtsamkeit, um emotionale Intelligenz, ein Design Mindset
und Systems inking, vernetztes Denken, Perspek tivwechsel, das Einnehmen der
Perspektive des Andren, um weiterzukommen. Es sind Geschichten wie diese die
charakterisieren, was Studierende als Kompetenz, als Handlungsfähigkeit entwi-
ckeln müssen. Geschichten wie die in denen große Erndungen gemacht wurden.
C 1.3 Dritte Sekunde: Der demographische Wandel
C 1.3 Dritte Sekunde: Der demographische Wandel
Universitäre Bildung war immer begehrt, aber nie so oen zugänglich wie derzeit.
Abbildung 26 zeigt, dass seit den 50er Jahre ein kontinuierlicher Anstieg der Stu-
dierendenzahlen zu verzeichnen ist.
Durch den sehr erheblichen Anstieg der Studierendenzahlen in den 2000er Jah-
ren bei zugleich abnehmender Stärke der Schulabgangskohorten fällt dem Bereich
der akademischen Bildung eine herausragende Bedeutung für die Qualizierung
zuküniger Fachkräegenerationen zu. Der Trend zum Hochschulstudium ist –
ungeachtet aller Debatten um das Verhältnis von beruicher und akademischer
Bildung – eine gesellschaliche Realität, die es zu gestalten gilt (siehe Abbildung
26). Die Hochschulen stehen dabei vor der Herausforderung, Antworten auf die
entsprechenden gesellschalichen Erwartungen zu nden und sie mit ihren Bil-
dungszielen in Einklang zu bringen.
C 1.3 Dritte Sekunde: Der demographische Wandel 199
199
Abb. 26 Studienanfängerquote 1990 bis 2015 (Quelle: Gehrke & Kerst 2018)
Im ersten Teil der Empfehlungen zur „Qualizierung von Fachkräen vor dem
Hintergrund des demographischen Wandels“ hat der Wissenschasrat nachdrück-
lich darauf hingewiesen, dass die Bereiche der beruichen und der akademischen
Bildung für die Qualizierung zuküniger Fachkräegenerationen gleichermaßen
unverzichtbar sind und in einer funktionalen Balance gehalten werden müssen.
Verhindert werden soll,
„dass Jugend liche ihre Ausbildu ngsentscheidungen vorra ngig aus Prestige-, A nerken
-
nungs- oder A kzeptanz gründen treen u nd bestimmte att raktive Bildu ngsoptionen
allein deswegen nicht in Betracht ziehen.“ (Wissenschasrat 2014)
War die erste Hochschulausbildung im Bologna des 11. Jahrhunderts noch sehr
auf die gesellschalichen Eliten ausgerichtet und hoch selektiv im Zugang für
nur sehr privilegierte Zielgruppen, so ist durch die Bedarfe der industrialisierten
Gesellscha ausgelöst, ein wahrer Feldzug der Massenhochschulen eingetreten.
Hochschulbildung zu erlangen wird heute zur Normalbiograe und Standarder-
fahrung (OECD 2016). Auch in Deutschland studierende mittlerweile mehr als
50 % einer Alterskohorte. Die Quote der Studienberechtigten stieg 2012 bundesweit
auf 53,5 % (zu Akademisierungstrends siehe auch Alesi & Teichler 2013), die der
Studienanngerinnen und Studienanfänger auf 54,6 %, und der Studienabsolven-
tinnen und -absolventen auf 30 % (Dräger & Ziegele et al. 2014) (siehe Abbildung
200 C 1 Zehn Sekunden, die über die Zukunft der Hochschulen entscheiden
27). Die Prognosen sind steigend, allemal geht die Bertelsmann Stiung bis 2050
von einem Hochplateau der Studierendenanfängerzahlen aus, das weit über dem
Niveau von 2005 liegt (von Stuckrad et al. 2017).
Abb. 27 Prognose Studierendenzahlen in Deutschland bis 2050 (Quelle: von Stuckrad et
al. 2017)
Schofer und Meyer (2005) zeigen anhand hochschulstatistischer Auswertungen,
dass die Hochschulexpansion spätestens seit der Mitte des 20. Jahrhunderts ein in
allen fortgeschrittenen Ländern der Erde beschleunigt auretender Prozess ist,
der jedoch durchaus mit unterschiedlicher Geschwindigkeit verläu. Die durchaus
bedenkenswerten kritischen Interventionen zum „Akademisierungswahn“ sind
demnach wichtige Reexionsmomente, die jedoch am Faktum der stetig zuneh-
menden Bildungspartizipation nichts ändern (werden). Mit einer Hochschulpar-
tizipationsrate deutlich oberhalb der 50 Prozent-Marke wird man somit überall
rechnen müssen (siehe Abbildung 26, vgl. auch Teichler 2013; Baethge u. a. 2015).
Der Anteil der Erwerbstätigen mit Hochschulabschluss ist überproportional
gewachsen. Betrug er im Jahr 1993 noch 13,1 %, waren es 2013 bereits 19,2 %.
Der Anteil der Absolventinnen und Absolventen von Fachhochschulen ist relativ
betrachtet noch etwas schneller angestiegen als der der Absolventinnen und Absol-
venten mit Universitätsabschluss. Der überproportionale Zuwachs an akademisch
Qualizierten betri alle Erwerbsformen. Unter Selbständigen sowie unter Be-
amtinnen und Beamten stieg der Anteil allein zwischen 2005 und 2012 um jeweils
C 1.3 Dritte Sekunde: Der demographische Wandel 201
201
12 %, in der Gruppe „Angestellte/Arbeiter“ sogar um 16 % (Bundesinstitut für
Berufsbildung 2013). Angesichts eines Akademikeranteils von rund 30 % an den
auf den Arbeitsmarkt nachrückenden Generationen wird sich diese Entwicklung
in den kommenden Jahren voraussichtlich noch einmal deutlich beschleunigen.
Die Bedeutung von Bildungsbeteiligung als Ermöglicher am kulturellen, sozialen
und ökonomischen Kapita l (Bourdieu 1982) teilhaben zu können, steigt damit stetig
weiter an. Der in der Pädagogik und Soziologie zunehmend stärker diskutierte Be-
gri der Bi ldungsgesel lscha (Mayer 2000) ist hierfür kennzeichnend. Da mit ist sie
paradoxerweise nicht nur eine wichtige Option, sondern stel lt auch zunehmend ein
Risiko dar, sollte eine entsprechend Bildungsbeteiligung nicht stattnden (können)
(Beck 1986). Option und Zwang liegen damit eng beieinander.
Eine weitere große Herausforderung, vor der Hochschulen heutzutage stehen,
ist die Massizierung, die Entwicklung der Studierendenzahlen und weiterer
Zielgruppen die akademische Bildung nachfragen. Die OECD geht davon aus,
dass in den nächsten 20 Jahren die Akademisierungsquoten für studienbefähigte
Alterskohorten auf bis zu 70 Prozent ansteigen wird. Wo wir derzeit bei knapp
50 Prozent in Deutschland liegen und in anderen Ländern etwas höher, ist doch
abzusehen, dass ein massiver Zuwachs an Studierendenzahlen dazu führen wird,
dass Hochschulen neue Modelle entwickeln müssen. Zum einen ist es so, dass die
Diversität der Zielgruppen, die jetzt schon an die Hochschule strömen und die dann
an die Hochschule strömt, stärker zunehmen wird. Zum anderen werden schlicht
mehr Studierende an die Hochschulen kommen als je zuvor.
Abbildung 28 zeigt die Diversität Studierender aus dem Jahr 2012, neben den
traditionell Studierenden auch nicht-traditionelle Zielgruppen. Studierenden die
aus den unterschiedlichsten Lebenslagen, mit den unterschiedlichen Begabungskon-
zepten, die in die Hochschule kommen und ganz unterschiedliche Anforderungen,
Bedürfnisse und Unterstützungsbedarfe im Studienbereich haben. Hochschulen,
die sich darauf einstellen können, diese unterschiedlichen Fähigkeiten und diese
unterschiedlichen Ausgangspunkte und Zielkontexte der Studierenden wertzuschät-
zen, werden zukünig Hochschulen mit weitgehend erfolgreichen Absolventinnen
und Absolventen sein. Hochschulen, die Schwierigkeiten haben, Studienerfah-
rungen in dem Sinne zu personalisieren und zu exibilisieren, unterschiedliche
Studiengeschwindigkeiten, Studienverläufe, Verzweigungsrichtungen anzubieten,
diesen diversizierten Anforderungen, Interessenslagen und Bedürfnissen nicht
gerecht werden, werden mit der Anforderung an Diversizierung, der durch den
Massenansturm ausgelöst wird, überfordert sein. Schaut man einmal zurück, so
ist zu sehen, dass die Hochschule eine starke Entwicklung hinter sich hat. Mit der
Einrichtung des ersten europäischen Hochschulcampus in Bologna 1088, wurde
ein sehr exklusives Studienmodell geboren, durch welches wenige ausgewählte,
202 C 1 Zehn Sekunden, die über die Zukunft der Hochschulen entscheiden
Abb. 28 Diversität Studierender (eigene Darstellung nach Dräger 2014)
privilegierte Studierende ein sehr breites akademisches Studienwissen erlangen
konnten. Das Studium Generale und das Studium der Philosophie waren dama ls die
vorherrschenden Modelle, was daher rührte, dass die Philosophie als Mutter aller
Wissenschaen angesehen wurde und die dort vermittelte und geschulte logische
Denkweise für alle anderen Naturwissenschaen eine Grundlage bildeten. Mit
der beginnenden Industrialisierung und der dann ausgelösten gesellschalichen
Revolution entwickelte sich auch das Bildungswesen weiter. Zunächst entwickel-
ten sich nur die Produktionstechniken, was dazu führte, dass eine weitgehend
unbefähigte Arbeiterscha niedrige Tätigkeiten in hochgradig kleinschrittigen
Produktionsprozessen unter teilweise sehr unmenschlichen und unwürdigen
Bedingungen durchführen musste. Die sich so entwickelnde Wirtscha und der
damit einhergehende Wohlstand führten zu einer Bildungsexpansion, die in den
60ziger und 70ziger Jahren des letzten Jahrhunder ts ihren Höhepunkt nahm und zu
einer Massizierung akademischer Bildungsangebote führte. Die Bildungsexpan-
sion stand unter verschiedenen Zielkontexten, unter anderem auch der Förderung
von bis dahin benachteiligten Zielgruppen, der Mädchen. Dies sollte dazu führen,
dass immer mehr Jugendliche eine immer bessere Schulbildung und akademische
Ausbildung bekämen. Dabei stand im Vordergrund, dass Qualikationsprole die
für die Jobs in der Industrie geeignet waren, ausgebildet wurden, sodass die sich
entwickelnden standardisieren Berufsprole auch mit standardisierten Studien-
gängen bedient werden konnten.
C 1.4 Vierte Sekunde: Modernisierung & Flexibilisierung 203
203
Wir können sehen, dass mit sich einer zunehmenden Massizierung, die sich im
akademischen Ausbildungsbereich abzeichnet, auch eine weitere Diversizierung
abzeichnet. Dies wird vor dem Hintergrund des sich wandelnden Paradigmas von
Ausbildung auf Vorrat hin zum lebenslangen Lernen zu einer Individualisierung u nd
zu einer notwendigen neuen Personalisierung von akademischen Studienlernver-
läufen führen. Die hier eintretende Individualisierung die sich im Multi Campus
Studium, im Patchwork Studienverlauf mit neuen Verzweigungen und durch die Bio-
graphie ziehenden episodischen akademischen Qualizierungsphasen ausdrücken
wird, zeigt sich gelegentlich auch in Form einer post modernen Architektur; so z. B.
im Stater Center des M.I.T. oder anderen neuen Hochschulbildungsarchitekturen.
Die Durchlässigkeit beider Bildungswege – beruich und akademisch – gilt es
zu verbessern. Deshalb sollte eine abgeschlossene Berufsausbildung als Hochschul-
zugangsberechtigung gelten. Außerdem sollten die akademische Ausbildung mit
Praxiselementen und die beruiche Ausbildung mit theoretischen Vertiefungen
angereichert werden. Um auf beiden Seiten Kompetenzen und Prüfungsleistungen
anrechnen zu können, müssen außerdem bundesweite Mustervereinbarungen zur
gegenseitigen Anerkennung entwickelt werden.
C 1.4 Vierte Sekunde: Modernisierung & Flexibilisierung
des Bildungs- und Arbeitsmarkts und ein neues
Verständnis von Employability
C 1.4 Vierte Sekunde: Modernisierung & Flexibilisierung
Die Modernisierung am Arbeitsmarkt resultiert in Flexibilisierungsprozesse,
Entstrukturalisierungs- und Entkoppelungsprozesse. Durch Technologisierung
entstehen neue Jobs, bestehende Berufsprole fallen weg und die Entwicklungs-
geschwindigkeit der Anforderung, der Änderung innerhalb von Berufsprolen,
nimmt stetig zu. Gerade in technischen Berufen, im Bereich des Finanzwesens
und in global vernetzten Tätigkeitsbereichen sind diese Zunahmen und Verän-
derungen sehr stark; während sie in vielen handwerklich lokal orientierten und
lokal angesiedelten Tätigkeitsbereichen schwächer, aber selbst dort immer stärker
spürbar werden. Dabei sind drei Entwicklungen zu beobachten:
1. Der Arbeitsmarkt entwickelt sich von einem beruichen System der Arbeit zu
einem technischen System der Arbeit (Lisop 1997). Dabei ndet ein Abschied
vom Berufekonstrukt als qualik atorischer und pädagogischer Fundieru ng statt.
Die starren Berufssysteme lösen sich mehr und mehr auf. Das technische System
204 C 1 Zehn Sekunden, die über die Zukunft der Hochschulen entscheiden
der Arbeit gewinnt an Bedeutung. Die Transformationsprozesse innerhalb eines
Berufsfeldes werden intensiver, tiefgreifender und schneller.
2.
Es ist eine Entwicklung vom Lifetime Employment zur Lifetime Employability zu
beobachten (Beck, Giddens, Lash 1996). Dabei geht es darum, dass das Ziel von
Berufsausbildung generell, aber vor allem auch von Hochschulbildung weniger
eine spezische Berufsfähigkeit eines bestimmten Berufsprols sein kann,
sondern zu einer lebenslangen Beschäigung führen soll. Hierbei wird bereits
deutlich, dass die zuvor angesprochenen Kompetenzen, die als Schlüsselstellen
beruiche Handlungsfähigkeit über eigene Handlungsdispositionen bewirken
sollen, eine zentrale Rolle spielen.
3.
Vom verberuichten Arbeitnehmenden zur verbetrieblichten Arbeitskraunter-
nehmerin/ -unternehmer (Voß, Pongratz 1998). Beck (1986) spricht hier auch
von einer neuen Kultur der Selbstverständlichkeit.
In der Konsequenz ist eine unvorhersehbare rasche Entwertung starrer Qualikati-
onen zu beobachten, eine Entkopplung von Arbeit und Quali kation, eine Entgren-
zung von Qualikationen und Qua lizierung. Die Globa lisierung von Lerninhalten
und ein verstärkter time lack zw ischen dem Strukturwandel am Arbeitsmarkt und
der darauf reagierenden Bildung sowie zu guter Letzt einer Ausdierenzierung von
Funktionen der Weiterbildung, um auf unterschiedliche Kontexte, die sich daran
anschließen, tatsächlich auch reagieren zu können.
Neben der Flexibilisierung und Modernisierung im Arbeitsumfeld ist auch
im Bildungsbereich eine Flexibilisierung zu erkennen. Hierbei handelt es sich im
Wesentlichen um vier Entwicklungen:
1.
Eine Flexibilisierung der Abschlüsse, die mit einer Anerkennung nicht formeller
Bildung einhergeht: Die europäischen und nationalen Qualikationsrahmen
gehen davon aus, dass über eine bessere Einordnung von Bildungsabschlüssen
über die gesamte Bildungskette/ Qualikationsstufenkette hinweg eine Mög-
lichkeit geschaen werden soll, bruchlose Übergänge zwischen oenen Bil-
dungssegmenten auf dieser Kette zu ermöglichen. Dabei spielt die Anerkennung
von akademischer Vorqualizierung für die akademische Weiterqualizierung
eine immer größere Rolle, die über den Bologna Prozess gewährleistet wird
und auch die Anerkennung informeller und nicht formeller Bildung zukünig
werden bei gleichzeitiger Abnahme der Bedeutung von oziellen Zertikaten
immer wichtiger.
2.
Eine Flexibilisierung der Curricula und der Lernorganisation über eine Mo-
dularisierung: Immer mehr müssen Studienangebote spezisch an die Bedürf-
nisse der Studierenden angepasst, angebunden sein, was nur über eine stärkere
C 1.4 Vierte Sekunde: Modernisierung & Flexibilisierung 205
205
Modularisierung und Verzweigung sowie Wahlmöglichkeiten innerhalb der
Studiencurricula erreicht werden kann.
3. Eine Flexibilisierung der Inhalte: Diese kann erreicht werden, indem weniger
auf Wissen und Fakten abgestellt wird, sondern mehr auf Kompetenzen als
übergreifende Handlungsdisposition in einem spezischen, disziplinären und
beruichen Handlungskontext und auf Schlüsselqualikation.
4. Flexibilisierung auf Ebene der Methodik der Didaktik: Die Betonung des selb-
storganisierten Lernens, des selbstregulierenden Lernens und des forschenden
Lernens muss zukünig dazu führen, dass die notwendige Flexibilisierung der
Studienkontexte und -abläufe, die dadurch entstehende höhere selbst verantwor-
tete Lernleistung auch über selbstorganisiertes Lernen ermöglicht.
Wenn Wissenscha und Wirtscha kooperieren, protieren in der Regel beide
Seiten – allerdings gilt es, diese Kooperationen umsichtig zu gestalten. Dabei sind
verschiedene Konzepte denkbar, von lose gekoppelten Partnerschaen, durch die
Studierende die Möglichkeit haben, im Rahmen von Praktika, erste Praxiserfah-
rungen zu machen, bis hin zu strukturell hoch integrierten Modellen, wie etwa
dem der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW). Wichtig ist dabei,
die Praxisstudienerfahrungen als Reexionsgelegenheit für die Entwicklung von
Kompetenzen zu verstehen, wie es etwa im Konzept zur Gestaltung von Praxis-
studienphasen der DHBW angelegt ist.36
Doch wie kann man Employability noch weiterdenken – über die rein additive
Praxisimprägnierung von Studierenden hinaus, in der zum theoretischen Lernen
noch Prax iserfahrungen additiv hinzutreten? Wie kann ein umfassendes Konzept
von Employability als Bezugskonzept für Hochschulbildungsprozesse nutzbar
gemacht werden, welches weiter gefasst ist und sowohl Kompetenzentwickung,
Identitätsbildung als auch Sozial- und Humankapital mit einbezieht, anstatt
Qualikationsziele aus dem aktuellen Status Quo von Berufsprolen abzuleiten?
In der Regel sind im Studium klar denierte und unumstößlich vorgegebene
Qualikationsziele vorgegeben, die für alle Studierenden eines Studiengangs glei-
chermaßen zur gleichen Zeit gelten und aus denen die Inhalte und Methoden der
Module im Studienverlauf abgeleitet werden. Dabei werden vielfach existierende
Berufsprole als normatives Paradigma für Studieninhalte herangezogen. Es
entsteht die pragmatische Illusion, man könne die zukünig relevanten von den
36 Mehr Informationen zur DHBW unter http://www.dhbw.de. Ein Leitfaden für die
Gestaltung von Praxisstudienphasen ist ebenfalls auf den Internetseiten der DHBW
verfügbar: http://www.dhbw.de/leadmin/user_upload/Dokumente/Broschueren_Hand-
buch_Betriebe/DHBW_Leitlinien_Praxisphasen.pdf
206 C 1 Zehn Sekunden, die über die Zukunft der Hochschulen entscheiden
aktuell oder in der Vergangenheit wichtigen ableiten. Zu dieser Problematik tritt
die vielfach verbreitete Auassung Employability sei der Hochschulleistung und
nicht der produktiven Leistung der Absolventinnen und Absolventen zuzuschrei-
ben. Bei seiner Analyse von Employability Konzepten bemängelt Har vey (2010) die
gängige Praxis der Employability Rankings von Hochschulen. Er führt an, dass
Employability in Hochschulrankings nicht als den Absolventen zugeschriebene
Leistung, sondern als ein Indikator für die Ausbildungsleistung der Hochschulen
angesehen wird. Employabilit y wird damit als ein Qualitätsaspekt von Hochschulen
betrachtet, was zu irreführenden und widersprüchlichen Informationen führen
kann (Sumanasiri et al. 2015).
Das Konzept der Employability ist mittlerweile weit entwickelt. Employability
in einem umfassenden Sinne umfasst drei Dimensionen: Karriere-Identität, An-
passungsfähigkeit und Sozial- und Humankapital (Fugate et al. 2004):
Identität (bei Fugate et al. Besonders bezogen auf „Karriere-Identität“) umfasst
kognitiv-aektive Repräsentationen hinsichtlich der Erwartungen und Ziele
an die eigene beruiche Entwicklung. Dieser Dimension ordnen Fugate et al.
(2004) zudem auch sämtliche berufsbezogenen Persönlichkeitseigenschaen,
Wer te und Normen sowie Verhaltensmuster und Erfahrungen einer Person zu.
Anpassungsfähigkeit bedeutet bei Fugate et al. (2004) den Willen sowie die
Selbstwirksamkeit, Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu verändern, um
den sich ändernden Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt gerecht zu werden.
Sozial- und Humankapital umfasst das soziale Netzwerk sowie Eigenschaen
eines Indiv iduums wie Bildung, Alter, Geschlecht, Arbeitserfahrung, Herkun etc.
Aus der Analyse der aktuellen Karriere- und Employabilityforschung ergeben
sich zwei Konsequenzen: Zum einen ist man sich in der Karriereforschung heute
einige, dass Karriere und Berufsverläufe als sog. „boundaryless career“ verstanden
werden müssen (Arthur und Rousseau 1996), die prinzipiell als exibel, durch lässig
und vielseitig verstanden wird. Zum zweiten steht im Mittelpunkt der Employabi-
lityentwicklung das selbstgesteuerte und selbstorganisierte Individuum, welches
für seinen beruichen Werdegang selbst verantwortlich ist, also für die Planung
und Gestaltung des Berufslebens eine wesentliche Rolle spielt (Greenhaus et al.
2011; Hirschi 2012). Hochschulen kommt dabei die Rolle einer begleitenden und
anregenden Institution zu, in der Erfahrungen gemacht und reektiert werden, die
der individuellen Persönlichkeitsentwicklung im oben genannten Sinne dienen.
Fachwissenschaliche Studiengangskonzeptionen, Curricula und Lehrkonzeptionen
stehen damit vor der Aufgabe, zur erweiterten Employabilityentwicklung beizutra-
gen, indem sie sowohl Aspekte der Identitäts- und Persönlichkeitsentwicklungen
C 1.5 Fünfte Sekunde: Open Education & Shared knowledge economy 207
207
mit einbeziehen, sich einem umfassenden Kompetenzverständnis aufschließen
sowie zu guter Letzt auch die Entwicklung von Sozial- und Humankapital in den
Blick nehmen.
Studieninhalte sind dabei auf Basis von Berufsprolen an weiteren Inhalten
orientiert, die eine langfristiger Beschäigungsfähigkeit befördern: Entwicklung
und Reexion individueller Bildungsziele, Interessen und Bedürfnissen, Future
Skills, grundlegende Handlungskompetenzen und die Befähigung zum Umgang
mit übergreifenden Fähigkeiten.
Die Beschäigungsfähigkeit lässt sich eektiv durch aktive und praxisbezogene
Formen des Lernens fördern. Das zeigen nicht zuletzt die dualen Studiengänge, deren
Abbruchquote mit nur sieben Prozent weit unter der Quote anderer Studiengänge
liegt (Kupfer 2013). Dieses Erfolgsmodell sollte ausgebaut werden. Außerdem sollten
Praktika in allen Studiengängen obligatorisch sein. Darüber hinaus müssen Hoch-
schulen ein erweitertes Employabilityverständnis entwickeln, welches zumindest
um eine Perspektive des global citizenship ergänzt werden sollte. Die Betonung des
bewussten und verantwortungsvollen Handelns als Bürgerinnen und Bürger einer
globalisierten Gesellscha, die aktiv in die Gesta ltung gesellscha licher Herausfor-
derungen eingebunden sind, wie beispielsweise den K limawandel, gesellschaliche
Potenziale durch Migration, globale politische und Finanzmarktfragen, wird für
Hochschulen in Zukun von besonderer Wichtigkeit sein.
C 1.5 Fünfte Sekunde: Open Education & Shared
knowledge economy
C 1.5 Fünfte Sekunde: Open Education & Shared knowledge economy
Hochschulen sind expertenorientiere Wissens- und Bildungsorganisationen mit
dem Selbstverständnis, Wissensproduktion und Wissensvermittlung strukturell
miteinander zu koppeln. Durch digital oen verfügbare Wissensressourcen wird
dieses Selbstverständnis hinterfragt. Insbesondere die zur Verfügungsstellung von
oenen Lehrmaterialien stellt das bisherige Vorgehen von Hochschulen in Frage.
Während Hochschulen sich zumeist als die alleinigen Produzentinnen, Verwal-
terinnen und Vermittlerinnen wissenschalichen Fortschritts sehen, entstehen
immer mehr und andere neue Modelle, Wissen, wissenscha liche Ergebnisse, Daten,
Publikationen und Lernmaterialien verfügbar zu machen. Angelehnt an Modelle
der Sharing Economy wie Uber oder Airbnb und die Möglichkeit über digitale
Medien individualisierte Produkte und Prozesse skaliert an größere Zielgruppen
auszubringen, w ird auch im Bereich der Wissensökonomie gefragt, in welcher Weise
eine Shared Knowledge Economy aussehen kann. Als 2001 der Begri der oenen
208 C 1 Zehn Sekunden, die über die Zukunft der Hochschulen entscheiden
Bildungsmaterialien von der UNESCO auf der Bildungskonferenz in Paris entwickelt
wurde, steckte die Digitalisierung aus heutiger Sicht noch in den Kinderschuhen.
Mittler weile gibt es zu fast allen emen sowohl videobasierte als auch textbasier te
Materialien, die spezisch auf das Lernen in unterschiedlichen Bildungssegmenten
(Schule, Hochschule, Weiterbildung) zugeschnitten sind. Digitalisierung erlaubt
die Entkoppelung der unterschiedlichen Lehr-/ Lernserv ices von Hochschulen wie
1. eine Funktion des Brokerage und der Wissensproduktion: Dem Erstellen, Aus-
wählen und zur Verfügung stellen von Lehrmaterialen und Curricula,
2. die Lehr- und Vermittlungsfunktion: Darunter fallen Lehr-, Lern- und Tuto-
ringservices und
3. der Qualitätssicherungsfunktion, der Akkreditierung und Zertizierung von
Wissen und Kompetenzen.
Immer mehr Beispiele, gerade im privaten Hochschulbereich zeigen, dass eine
Entkoppelung und Rekombinierung dieser unterschiedlichen Funktionen denkbar
und möglich ist. Eine Studie von Earnest & Young (2018) zur Zukun der Hoch-
schule zeigt, dass Szenarien existieren, die Hochschule anders denken und von
einer Allianz der Hochschulservices ausgehen. 2011 wurde von Sebastian run,
einem Hamburger der als Professor in Stanford arbeitet, der erste MOOC entwi-
ckelt. run, ein Wirtschasinformatik-Professor, entscheid sich damals, seinen
Einführungskurs in die Wirtschasinformati k, der in Stanford 28 eingeschriebene
Studierende hatte, im Internet online oen für alle Interessierten zur Verfüg ung zu
stellen. Die sehr exklusive, selektiv ausgewählte Zielgruppe, sehr (auch nanziell)
privilegierten Studierenden der Stanford University, die runs Kurs besuchten,
schnitten insgesamt nicht so ab, wie man hätte erwarten können. Insgesamt schrie
-
ben sich 160.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus der ganzen Welt in runs
Kurs ein. Von den 160.000 Teilnehmenden entschieden sich 23.000 am Ende an
dem Abschlusstest teilzunehmen. Der Abschlusstest war durch computergestütztes
Feedback hochstandardisiert. Der beste Stanford-Studierende konnte sich auf Rang
412 platzieren. Unter den ersten 20 Studierenden wa r auch ein k leines Mädchen aus
Lahore in Pakistan, mit dem Namen K hadija Niazi, die als elähriges Mädchen an
dem Kurs teilgenommen hatte und damit besser abschnitt als alle hochprivileg ier-
ten Stanford-Studierenden. Unter dem Gesichtspunkt der Bildungsezienz und
der Bildungsgerechtigkeit wir dieser erste MOOC Fragen auf, die es im Zuge der
digitalen shared knowledge economy zu erwägen gibt, vor allem auch unter ethischen
Gesichtspunkten. Können wir es wollen, dass dauerha der durch digitale Medien
mögliche Zugang zu Bildungsmöglichkeiten stärker geeigneten Lernenden nicht
gewährt wird, solchen aber die schwächer geeignet sind schon?
C 1.6 Sechste Sekunde: In-Loops und Out-Loops 209
209
Das heißt, dass neben der Frage neuer Modelle, neuer Allianzen für eine Shared
Knowledge Economy auch weitere Fragen au fgeworfen werden durch die Mög lich-
keit, Lehrmaterialien, Lehrser vices und auch Testingservices frei zur Verfügung zu
stellen. Die Frage der Bildungsgerechtigkeit zum einem indem gezeigt wird, dass
durch bestehende Bildungssystemzugangsregimes nicht diejenigen studieren, die
dafür am besten geeignet sind, sondern diejenigen die einen privilegierten Zugang
durch Assoziation (Verwandtscha, Beziehung) oder Ressourcen (soziales oder
nanzielles Kapital nach Bourdieu) haben. Zum anderen ist damit einhergehend
auch die Frage nach der Bildungsezienz gestellt, wenn nicht mehr das Prinzip
der Ezienz, sondern das Prinzip der Zugehörigkeit darüber entscheidet, welche
Bildungsmöglichkeiten Individuen in Gesellschaen haben. Dies wir zugleich die
Frage nach der gesellscha lichen Gerechtigkeit auf. Daher sind Bildungsgerechtig-
keit und Bildungsezienz aufs Intimste miteinander verwoben.
C 1.6 Sechste Sekunde: In-Loops und Out-Loops einer
lebenslangen Hochschulbildung
C 1.6 Sechste Sekunde: In-Loops und Out-Loops
Durch die angesprochene Diversizierung und Massizierung von Hochschul-
bildung wird ein seit längerer Zeit vorhandener und sich abzeichnender Trend
zum notwendigen lebenslangen Lernen weiter verstärkt. Lernen wird nicht mehr
im alleinigen, ausschließlichen Modell der Qualizierung zu Beginn einer Be-
rufsphase stattnden, sondern Lernen wird immer mehr auch eine akademische
lebensbegleitende Tätigkeit sein müssen, da sich Berufsanforderungen immer
schneller entwickeln und sich auch Berufsphasen als lebenslang weiterentwickelnde
wandelnde beruiche Episoden darstel len. Diese führen durchaus über zehn bis 15
unterschiedliche Stationen und münden dann erst in die Rente, die Pension oder
den Ruhestand. Während lebenslanges Lernen bereits seit den 60er Jahren des
vorherigen Jahrhunderts in der Bildungspolitik postuliert wird, u. a. mit dem Ziel
unter Bedingungen schnellerer Innovations- und Produktzyklen gut ausgebildete
Arbeitnehmende zu erhalten, wird die Forderung, Angebote für lebenslanges aka-
demisches Lernen zu schaen, nun auch verstärkt an Hochschulen herangetragen.
Bislang haben Hochschulen vor allem eine Konzentration auf die Qua lizierung
zu Beginn einer Berufs-/ Karrierephase, zwischen High School Abschluss bzw. dem
Abitur und dem Ber ufseinstieg. Zusätzlich sind die Fähigkeiten zur Qualizierung,
also sozusagen die Vorbereitung auf eine episodisch verlaufende Berufsbiographie
in den Hochschulen vielfach nicht als Ziel akzeptiert. Vielmehr werden Curricula
nach zuvor analysierten Tätigkeitsbündeln gestaltet, innerhalb von Berufsprolen
210 C 1 Zehn Sekunden, die über die Zukunft der Hochschulen entscheiden
für die qualiziert und ausgebildet wird. Insgesamt setzt damit das lebenslange
Lernen die Hochschulen unter Zugzwang, sich sowohl inhalt lich in ihren Curricula
von ihren Bildungszielen, aber auch von ihrer Bildungsstruktur von einem Modell
zu Beginn hin zu einem begleitenden akademischen Bildungsmodell zu entwickeln.
C 1.7 Siebte Sekunde: Hochschulbildung in der VUCA Welt
C 1.7 Siebte Sekunde: Hochschulbildung in der VUCA Welt
VUCA ist ein Akronym für die englischen Begrie volatility (Volatilität, Unbe-
ständigkeit), uncertainty (Unsicherheit), complexity (Komplexität) und ambiguity
(Mehrdeutigkeit). In der NextSkills Studie geben fast neun von zehn (89,2 %) der
Befragten an, dass die größte Herausforderung, auf die Hochschulen ihre Studie-
renden vorbereiten müssten, darin bestehe, ihnen Strategien für kontinuierliches
Lernen zu vermitteln, um sich erfolgreich an sich ständig verändernde Arbeitswelten
anpassen zu können (M = 4.17, SD = 0.81, AAdaption(strongly agree) = 37.0 %, AAdaption(agree) =
52 .2 %)37. Der Fokus müsse sich vom Lehren hin zum Lernen verschieben und –
damit einhergehend – von Lehrenden- zu Studierendenfokussier ten Ansätzen, bei
denen Studierende nicht als bloße Skill-Empfänger(innen) gesehen werden, sondern
vielmehr zu individuellen, produktiven Lernenden, die sich eigenverantwortlich
um ihre eigene Entwicklung kümmern könnten.
“Indeed, a nd as they [the students] are i ncreasingly actor s in their own development,
they will need t he capacity to steer t heir own learni ng and professional exp eriences.”
Auch die Bedeutung im Umgang mit Unsicherheit als Bildungsziel und neues
Leitbild für Hochschulbildung wurde erfragt. Die Befragten schätzten wurden
den Umgang mit Unsicherheit und Ambiguität als eine der wichtigsten Skills in
künigen Arbeitskontexten ein.38 Wie aus Abbildung 29 ersichtlich, stimmten das
37 Im Delphi Fragebogen wurde dazu gebeten, folgendes Statement einzuschätzen: „e
greatest c hallenge students nee d to be prepared for throug h higher education ins titutions
is the conti nuous need for adaption throu gh learning i n changing work envi ronments.“
Dazu w urden die Befrag ten gebeten, ihre Ei nschätzung auf ei ner 5-stuge Li kert-Skala
mit Werten von 1 für „ strongly disag ree“ bis 5 für „strongly agree“ vorzu nehmen. A
Adap-
tion(strongly agree) drückt den Anteil des Samples aus, der starke Zustimmung zum Statement
angibt, während AAdaption(agree) denjenigen Anteil angibt, der zustimmt.
38 Hierbei wurden d ie Befragten i m Delphi Fragebogen gebeten, folgendes Statement ein-
zuschätzen: „e ability to deal with uncer tainty is the most important skill in current
and future work environments.“
C 1.7 Siebte Sekunde: Hochschulbildung in der VUCA Welt 211
211
Abb. 29 Individuelle Lernerfahrung und Skill Entwicklung
Expertensample einer entsprechenden Aussage ebenfalls weitestgehend zu (M =
3.73, SD = 1.10, AUncertainty(strongly agree) = 26.7 %, AUncertainty(agree) = 40.0 %). Die Teilneh-
merinnen und Teilnehmer betonten, dass diese Fähigkeit – neben anderen Future
Skills – zunehmend wichtiger werden würde und die Unterstützung von Studie-
renden im Umgang mit Unsicherheit in Hochschulen nicht selbstverständlich sei.
Sowohl die Fähigkeit, sich kontinuierlich durch Lernen an die sich ständig verän-
dernde Umwelt anzupassen, als auch die Fähigkeit, erfolgreich mit Unsicherheiten
umzugehen, stellen zwei zentrale Herausforderungen dar – aus Sicht der Befragten
sowohl für die Hochschulen als auch für die Studierenden.
Abbildung 30 zeigt, dass für die überwiegende Mehrheit von mehr als neun
von zehn Befragten die Fähigkeit, sich kontinuierlich durch Lernen anzupassen,
bereits heute schon hoch relevant ist bzw. innerhalb der nächsten fünf Jahre sogar
noch an Relevanz gewinnen wird (siehe Abbildung 30). Für ein gutes Drittel der
Befragten wird dieser Trend wenigstens kurzfristig (innerhalb der nächsten fünf
Jahre) relevant werden.
212 C 1 Zehn Sekunden, die über die Zukunft der Hochschulen entscheiden
Abb. 30 Geschätzte Zeitdauer für die zunehmende Wichtigkeit der Lernfähigkeit (N = 46)
Mehr als 60 Prozent nehmen an, dass die Fähigkeit in momentanen und in künigen
Arbeitswelten erfolgreich mit Unsicherheit umzugehen, schon jetzt ein wichtiges
Anliegen darstellt. Knapp ein Drittel der Befragten schätzt, dass diese Fähigkeit
in den nächsten fünf Jahren an Relevanz gewinnen wird (siehe Abbildung 31).
Abb. 31 Geschätzte Zeitdauer für die zunehmende Wichtigkeit der Fähigkeit in
emergenten, unsicheren Kontexten handeln zu können (N = 45)
Die Modelle, die Bildungskonzeptionen und Lerntheorien, die wir benötigen, um
solch gestaltende Kompetenzen herauszubilden, seit langem existieren. In der
Bildungswissenscha bezeichnet man diese Fähigkeiten als Kompetenzen. Kom-
petenzen sind deniert als prinzipiell unbeg renzte Dispositionen, selbstorganisiert
und erfolgreich in unbekannten komplexen zukünigen Situationen zu handeln
– wie John Erpenbeck, ein Berliner Wissenschaler, deniert. Dabei geht es nicht
darum, sich dichotom von Wissen, Information und Daten abzuwenden, sondern
es geht darum, Wissen, Informationen und Daten auf einer höheren Ebene zu
bearbeiten und zu behandeln. Führen wir uns vor Augen, wie der Zusammenhang
zwischen Wissen, Fähigkeiten, Handlungen, Kompetenzen und Professionalität
aussieht (Abbildung 32).
C 1.7 Siebte Sekunde: Hochschulbildung in der VUCA Welt 213
213
Abb. 32 Zusammenhang zwischen Wissen, Handlung und Kompetenz (eigene
Abbildung nach Wildt 2006)
Die Abbildung 32 zeigt, dass erst, wenn neue Informationen mit bestehenden
kognitiven Strukturen verbunden werden, wir davon reden können, dass Wissen
entsteht. Erst wenn dieses Wissen angewendet wird, wir von Fähigkeiten sprechen
und erst, wenn dazu noch die Volition kommt, also die Fähigkeiten etwas zu tun
mit der Volition (dem Willen) und der Motivation gekoppelt ist, erst dann sprechen
wir von einer Disposition zu selbstständigem Handeln. Und wenn dieses Handeln
dann dem Problemkontext angemessen kontextspezisch passiert, können wir
von Kompetenzen sprechen. Werden Kompetenzen in einem letzten Schritt dann
noch mit Verantwortung gepaart, so Johannes Wildt (2006), dann sprechen wir
von Professionalität, der höchsten Stufe der Handlungsf ähigkeit. Die Modelle diese
Art von Handlungsfähigkeit zu entwickeln sind bekannt.
Ein bekanntes Modell neben vielen anderen ist das Modell des reective practiti-
oners. Im Modell des reective practitioners welches Donald Schön 2006 zusammen
mit Chris Argyris entwickelte, wird davon ausgegangen, dass man Reexionsfä-
higkeiten erlernen kann. Schön, der in der Lehrerbildung tätig wa r, nimmt an, dass
Lehrerinnen und Lehrer nicht auf ihre Praxissituation vorbereiten kann, weil es
prinzipiell ungewiss ist, was passiert, wenn sie die Türschwelle zum Klassenraum
überschreiten. Was man aber ausbilden kann, so Schön, ist die Fähigkeit ad hoc
Handlungsstrategien zu entwickeln, diese zu evaluieren, zu reektieren und he-
rauszunden, ob sie erfolgreich für den eigenen Fall sind. Sie möglicherweise zu
überdenken und erneut auszuprobieren, zu evaluieren und nicht nur zu reagieren,
sondern Handlungsstrategien weiterzudenken und wieder auszuprobieren, um sie
dann ad hoc zu evaluieren und ad hoc Strategien in Handlungen umzusetzen, führt
214 C 1 Zehn Sekunden, die über die Zukunft der Hochschulen entscheiden
Abb. 33 Der Reective Practitioner (eigene Darstellung nach Schön 2006)
zu einem double loop learning eect, der darin mündet, dass sich während der
Handlung Reexionsfähigkeiten entwickeln – reection in action, so benannte
Donald Schön diesen Prozess. Wenn man anfä ngt über diesen Prozess retrospektiv
zu reektieren, über den Prozess des reection in action, also gewissermaßen eine
reection on reection in action durchführt (siehe Abbildung 33), kommt man
dazu, eigene individuelle Handlungstheorien zu entwickeln.
Man kommt also von der Vorannahme, einer gewissermaßen von einer auto-
matisch vorhandenen impliziten Handlungsstrategie über eine ad hoc entwickelte
Strategie in die Situation und über diese zu einer individuellen Handlungstheorie, die
im Professionskontext die Professionalität, die Angemessenheit, die Verantwortung
und die Volition und die Motivation entwickeln. Es ist gewissermaßen ein Zustand
des perpetual beta von dem Donald Schön hier spricht, also ein Handlungszustand,
in dem professionelles Handeln im spezischen, situativen Kontext perma nent mit
einer Haltung stetiger Reexion weiterentwickelt wird.
C 1.8 Achte Sekunde: Von der Steuerungsillusion zur
Ermöglichungslogik
C 1.8 Achte Sekunde: Von der Steuerungsillusion zur Ermöglichungslogik
Wir wissen, dass kompetenzorientiertes Lehren und Lernen vor allem in Umge-
bungen funktioniert, die nach soziokonstruktivistischen Prinzipien strukturiert
sind. Es sind didaktische Modelle, die über das reine Faktenwissen und auch über
C 1.8 Achte Sekunde: Von der Steuerungsillusion zur Ermöglichungslogik 215
215
die Problemlösungen hinausgehen und den Bereich von eigener kreativer selbst-
entwickelter und selbst verantworteter Innovation durchdringen. Insgesamt lassen
sich mit Baumgartner (2004) drei unterschiedliche Lehrstrategien identizieren
(siehe Abbildung 34).
Abb. 34 Lehrstrategien (Ehlers 2010; eigene Darstellung nach Baumgartner 2004)
Modell 1 (Transfer) ist ein Bereich in dem Studierende von allwissenden Lehren-
den gesagt bekommen, was sie wissen müssen. Dieses ndet als Erlernen statt, als
auswendig lernen und erinnern. Der Vorgang ist der Vorgang eines Vermittelns
und es geht viel um Faktenwissen in der Wissensdimension des know that. In Mo-
dell 2 (Tutor/in) geht es über den Bereich des Wissens hinaus in den Bereich des
Problemlösens. Das typische Modell hierfür ist das Problem-based Learning; dabei
werden Studierenden Fälle von Problemen präsentiert, die sie dann als Fallbeispiel
oder als Problemlöseprojekt selbstständig im Dialog mit der/ dem Lehrenden auf
Augenhöhe lösen wollen. Die oder der Lehrende wird hier also zum Begleitenden,
zur Expertin oder zum Experten, zur Dialogpartnerin, beziehungsweise zum
Dialogpartner. Es geht vor allen Dingen darum, dass Verfahren des Problemlö-
sens eingeübt werden, dass Prozeduren bekannt werden, es geht um prozedurales
Wissen, um Know-how wodurch der Vorgang des Lehrens insbesondere als ein
dialogischer Vorgang beschrieben werden kann. Das dritte Modell ist der Bereich
des Coachings oder des sozia lkonstruktivistischen Lernens. In diesem Modell steht
das Einüben sozialer Praktiken im Vordergrund. Lehrende haben hier die Rolle
nicht mehr Faktenwissen zu vermitteln oder Probleme zu präsentieren, sondern
zusammen mit dem Lernenden eigene Projekte, zunächst einmal eigene Probleme
zu ernden, die dann in die Lehrsituation zurückgebracht und dort in Projekten
216 C 1 Zehn Sekunden, die über die Zukunft der Hochschulen entscheiden
gelöst werden. Es geht hier viel um echte Interaktion zwischen Partnerinnen und
Partnern. Es geht darum, dass Lernende mit anderen Lernenden interagieren,
dass Studierende Netzwerke gründen, sich mit Expertinnen und Experten und
anderen Ressourcen verbinden. Im Vordergrund steht damit die soziale Praktik,
als professionell in ein bestimmtes Professionsfeld hineinzuwachsen, so wie auch
in dem Ansatz der Community of Practice von Lave und Wenger angedacht (1991).
Die Logiken der unterschiedlichen Lehrmodelle folgen in den ersten Lehrmodellen
eher einer Steuerungslogik, im letzteren hingegen eher einer Ermöglichungslogik.
Dabei wird weggegangen von der Illusion, dass Lehren zum Lernen führt, dass es
eine direkte Funktion zwischen Lehren und Lehrprozessen und Lernprozessen
gibt und immer mehr eine Haltung des Respekts und der Selbstverantwortung
dem Lernenden gegenüber eingenommen sowie aus der Überzeugung heraus
agiert, dass lernen ein selbstverantwortender Prozess ist, in dem Lehren lediglich
ein kontextueller Rahmenfaktor sein kann.
C 1.9 Neunte Sekunde: Informelles Lernen im Studium
C 1.9 Neunte Sekunde: Informelles Lernen im Studium
Hochschulen konzentrieren sich bei der Konstruktion ihrer Lehr-Lern-Szenarien zu-
meist auf die formellen Lehr- und Studienaspekte. Dabei geht es beispielsweise darum,
digitale Medien einzusetzen, um die Vermittlung des Wissens zu unterstützen. Der
gesamte Bereich der informellen Lehre kommt dabei zu kurz. Informelles Lernen ist
jedoch der Bereich, in dem nachgewiesener Weise die meisten Lernprozesse stattn-
den. Es wäre eine Illusion zu glauben, dass das Studium nur aus den Lernprozessen
besteht, die laut Studien- und Prüfungsordnung Relevanz besitzen. Gleichermaßen
wäre es eine Illusion zu glauben, dass im Rahmen des Studiums nur in formellen
Lernsettings wie beispielsweise der Lehrveranstaltung in der Hochschule gelernt
wird. Ein Großteil der Lehr- und Lernprozesse ndet tatsächlich als eigeninitiierte
Lernaktivität der Studierenden außerhalb der formalen Lernsettings statt. Das
formale Lernen ndet laut der Europäischen Kommission (2001) „üblicherweise“ in
einer Bildung- oder Ausbildungseinrichtung statt (in Bezug auf Lernziele, Lernzeit
oder Lernförderung), ist struk turiert und fü hrt zur Zertizierung. Formales Lernen
ist aus Sicht des Lernenden zielgerichtet. Formales Lernen ist jenes Lernen, welches
im Verlauf des Hochschulstudiums schein-relevant ist und zum Zertikat führt.
Jedoch sind die vielen Anlässe informellen Lernens, die im Alltag, am Arbeitsplatz,
im Familienkreis oder in der Freizeit stattnden, o noch mehr der intrinsischen
Motivation der Studierenden entspringen. Sie bleiben omals jedoch abgekoppelt
von dem, was in der Hochschule als oziell prüfungsrelevant gilt. Es ist (in Bezug
C 1.9 Neunte Sekunde: Informelles Lernen im Studium 217
217
auf Lernziele, Lernzeit oder Lernförderung) nicht strukturiert und führt üblicher-
weise nicht zur Zertizierung. Informelles Lernen kann zielgerichtet sein, ist jedoch
in den meisten Fällen nicht intentional oder inzidentell beiläug. Studien zeigen,
dass das informelle Lernen einen großen Teil im Studium einnimmt, angefangen
bei der Absprache mit Kommilitoninnen und Kommilitonen über Lern- und
Studienstrategien, Lern- und Studienmaterialien, Beratung zu Lernvorhaben und
Auswahl von Lernanlässen sowie das Einholen informeller Lernunterstützung im
Bedarfsfalle. Die digita le Technologie spielt dabei eine zunehmend große Rolle. Bei
kritischem Blick fällt auf, dass die digitalen Studienmaßnahmen der Hochschulen
trotzdem häug vor allem auf die Unterstützung der Lehre abzielen. Das heißt die
Zielgruppen der Maßnahme sind vielfach in erster Linie die Lehrenden, während
Studierende nur mittelbar in den Blick geraten. Obgleich der Rahmen des Hoch-
schulstudiums zwar ein institutioneller ist, stellt das Studium einen Lernprozess dar,
der sich nicht allein auf den Einuss von Lehre zurückf ühren lässt. Die Perspektive
der Studierenden kommt omals zu kurz. Die Prozesse des informellen Lernens
und der Studierenden werden o zu wenig in das gesamte Studiendesign integriert.
Studien zeigen, dass Socia l Soware Angebote wie Social Net working Sites von einer
Vielzahl gerader junger Menschen genutzt werden (Busemann & Gescheidle 2011),
und dies nicht nur etwa zu privaten Zwecken, sondern durchaus auch im Rahmen
ihres Studiums wie eine repräsentative Umfrage der Hochschulinformationssystem
GmbH ergab (Kleinmann et al. 2008: 6). Demnach nutzten bereits 2008 fast die
Häle der deutschen Studierenden Social Communities wie StudiVZ oder Facebook
zum Austausch über Angelegenheiten in ihrem Studium. 2013 waren 95 Prozent der
14 bis 29-jährigen bei Facebook angemeldet, während die VZ-Netzwerke nahezu
unbedeutend geworden sind.
Auf der anderen Seite stoßen viele Einsatzszenarien von Social Soware bei
Studierenden auf Kompetenz- bzw. Akzeptanzprobleme (Schulmeister 2008;
Jones et al. 2010). Und auch die Hochschulen und ihr Personal sind zögerlich bei
der Aufnahme entsprechender Angebote im E-Learning Angebot. Eine Studie
der Hochschulrektorenkonferenz HRK zu diesem ema ergab, dass von einem
ächendeckenden Transfer in die Hochschule bisher keine Rede sein könnte (HR K
2010: 35; vergleiche auch Conol 2008). Das Potential von Social Soware gerade
im Bereich des informellen Lernens im Studium ist dabei in der Literatur kaum
strittig. Bereits zwei, kurz nach der Etablierung des Begries web 2.0, erschienene
Beiträge von E-Learning im angelsächsischen sowie deutschsprachigen Raum
bezogen die technische Innovation auf den Bildungsbereich und verwiesen auf die
grundlegenden Veränderungen (Downes 2005; Kerres 2006). In der Folge wurden
entsprechende Ansätze kontinuierlich weiterentwickelt (Ehlers 2013). Die größten
Potentiale von Social Soware liegen nach einhelliger Meinung im Bereich des
218 C 1 Zehn Sekunden, die über die Zukunft der Hochschulen entscheiden
informellen Lernens (Weigel et al. 2009). Bereits jetzt organisieren viele Lernende
ihr Wissen nach Meinung der Stiung Warentest eigenständig mithilfe von Social
Soware (2001).
Individualisierte Kompetenzentwicklung außerhalb formaler Lernsettings kann
durch Werkzeuge wie Wikis, Blogs, e-Portfolios und Social Soware wesentlich
unterstützt werden (Himpsl & Baumgartner 20 09: 511). John Erpenbeck u nd Werner
Sauter (2007) halten als Grundthese ihres Ansatzes zur Kompetenzentwicklung fest,
dass es die Instrumente des Social Soware sind, die ein großes Potential für die
Vermittlung von Werten und Kompetenzen besitzen. Während sich traditionelle
Instrumente des E-Learning dafür nur schlecht eignen (Erpenbeck & Sauter 2007 in
Eh lers 2010). Tatsächlich zeigen Studien, dass die Nutzung von Social Soware durch
Studierende zwar o privat motiviert ist, der stattndende informelle Austausch
aber auch wissenschaliche Zusammenarbeit unterstützt (Kumar, Liu & Black 2012).
Es ist heute klar, dass informelles Lernen im Studium und in der anschließenden
Berufsphase, die zu künig immer w ieder auch mit akademischen Qualikationspha
-
sen verbunden sein wird, einen immer weiter ansteigenden Teil informellen Lernens
enthalten wird. Informellem Lernen kommt dabei als Konzept eine wesentliche Rolle
zu. Informelles Lernenndet zumeist aus eigener Initiative des Lernenden statt, als
selbstgesteuerter Lernprozess, aber auch viel in sozialen Zusammenhängen. Es ist
klar, dass informelles Lernen einen großen Teil des gesamten Lernprozesses eines
Individuums einnimmt, den größten Anteil hat. Es ndet als selbstgesteuertes Ler-
nen statt, indem Lernende ihre eigenen Lernziele festlegen und reektieren, was sie
durch Lernen an Handlungsfä higkeit erlangen wollen, ihre eigenen Lernmaterialien
und Lernmethoden wählen und auch ihren eigenen Lernfortschritt überprüfen
können. Informelles Lernen geht aber über selbstgesteuertes Lernen hinaus, auch
in dem Bereich des inzidentellen Lernens, also des Prozesses des Anbahnens von
Lernprozessen in dem Bereich der Sozialisation, des Miteinanders, des inzidentellen
und des informierenden bis hin zum vertiefenden Lernen.
Als lerntheoretische Modelle spielen für informelles Lernen Ansätze, wie der
des situierten Lernens, beispielsweise im Konzept der Community of Practice eine
wichtige Rolle, wie es durch Lave und Wenger 1991 erarbeitet wurden. Betrachtet
man das Studium unter dem Aspekt der Community of Practice, so sind Studie-
rende Akteurinnen und Akteure im Rahmen einer Community of Practice, die
sich um eine bestimmte Domäne thematisch gruppiert und eine bestimmte Praxis
miteinander entwickelt, also des Lernens und Studierens in einem bestimmten
Berufsfeld. Das Modell der Community of Practice wurde 2003 von Arnold auf
das Fernstudium übertragen und weiter ausdierenziert, indem er insbesondere
Momente gemeinsamer Erarbeitung, gemeinsamen Lernens deniert, die sich um
drei Dimensionen gruppieren (Arnold 2003):
C 1.9 Neunte Sekunde: Informelles Lernen im Studium 219
219
Studium abschließen: Hier geht es darum, das Studium zu planen, Seminare zu
besuchen, Aufgaben zu bearbeiten, Klausuren zu bestehen usw.
Gegenseitige Studienunterstützung: Hier geht es darum, Fragen zu stellen,
Antworten zu geben, Skripte zu tauschen, Lerngruppen zu organisieren, von
Erfahrungen zu berichten usw.
Kommunikations- und Kooperationsstrukturen: Hier geht es darum, digitale
Medien zu nutzen, um Kommunikation aufrechtzuerhalten.
Studierende organisieren heute ihr Studium über WhatsApp-Gruppen oder ge-
meinsame digitale virtuelle Gruppen, teilen dort Lernmaterialien, sprechen sich
in Bezug auf die Lern- und Arbeitssituation für bestimmte zu erstellende Lern-
leistungen ab und unterstützen sich dort gegenseitig. Studierende haben so einen
sehr engen selbstgewählten, selbstorganisierten Kontakt, haben ein sehr gutes
subjektives Gefühl dafür, wie in Gruppenarbeit welche Arbeiten verteilt werden,
wer welche Unterstützungsbedarfe benötigt und wie viel Zeit sie mit wachsender
Studienprogression, wie viel Zeit sie für welche Lernaufgaben und Lernleistung,
zur Erbringung welcher Lernaufgaben, Lernleistungen benötigen. Der gesamte
Bereich dieses informellen Lernens wird derzeit in Hochschulen für das Studium
nur marginal ersch lossen. Köhler et al. (2016) entwickeln hierf ür ein Modell welches
sich an dem Lebenszyklus eines Studiums orientiert und bis hin zum lebenslangen
Lernen reicht, wobei sie aufzeigen, in welcher Weise Social Soware Prozesse im
Hochschulstudium unterstützen können. Good prächtige Beispiele:
das Projekt „MyPaed – die persönliche Studienumgebung“ an der TU Darmstadt
zum ema „persönliche Lernumgebung“
„KISDspaces“ der „Köln International School of Design“ zum ema „Blogsys-
teme“
„CollabUni“ der Universität Hildesheim zum ema „Social Network“
„E³-Protfolio Plattform Problemlösekompetenz“ der Universität Augsburg zum
ema „E-Portfolios“
„TUgether“ der TU Braunschweig zum ema „personalisierte Studierenden-
portale“
„Open distributed campus“ der FU Berlin als Variante eines personalisierten
Studierendenportals
Diese Beispiele zeigen in welcher Weise Hochschulen versuchen können, den Bereich
des informellen Lernens durch digitale Medien zu unterstützen. Insgesamt müssen
Hochschulen zukünig zu einem breiteren Verständnis ihrer Rolle gelangen, wie
sie in einer sich wandelnden Medien- und Lernwelt Lernumgebungen gestalten,
220 C 1 Zehn Sekunden, die über die Zukunft der Hochschulen entscheiden
in denen sowohl in zeitlicher als auch sozialer Dimension oene Lernräume an
Bedeutung gewinnen. Dabei können digitale Medien dazu dienen, informelles
Lernen im Rahmen von formellen Lernprozessen zu unterstützen. Dabei geht es
darum, das Studium als Abschnitt innerhalb einer individuellen Lernbiograe zu
unterstützen, während gleichzeitig spezische soziale Lernkontexte (neben anderen
auch formellen sozialen Lernkontexten) berücksichtigt werden. Nur aus dieser Per-
spektive können an Hochschulen Rahmenbedingungen geschaen werden, die das
selbstgesteuerte individualisierte sowie das gemeinscha liche Lernen Studierender
ausreichend unterstützen. Die durch die Digitalisierung entstehenden virtuellen
Räume bieten auch aufgrund ihrer Oenheit hierfür ausreichend Potential.
Zukünig wird es darüber hinaus wichtig, dass auch neue Formen des Stu-
dierens, neue Studienpfade durch digitale Medien unterstützt werden. Die hier
veröentlichten Ergebnisse der Delphi-Studie (Ehlers & Kellermann 2019) (Ver-
weis auch auf das entsprechende Kapitel, das die Delphi-Studie vorstellt) zeigen
das sehr deutlich. Studium wird zukünig als ein multiepisodischer Prozess des
lebenslangen Lernens stattnden. Studium wird darüber hinaus als zunehmend
zwischen verschiedenen Hochschul-Campus stattndender Prozess organisiert
werden, indem Lehrveranstaltungen als Curriculum nicht nur an einer Hoch-
schule erbracht und wahrgenommen werden, sondern in den Lehrveranstaltungen
verschiedener Hochschulen in ein Studium hinein integrier t werden und Studium
sich stark exibilisieren, individualisieren und persona lisieren wird, unter anderem
auch durch die Nutzung digitaler Medien, die individualisiertes selbstgesteuertes
Lernen unterstützen. Dabei wird es verstärkt dazu kommen, dass Lernkontexte
sich entformalisieren und durch informalisierte Anteile angereichert werden.
Hierdurch kommt es zu einem immer stärkeren Blend zwischen informellen und
formellen Lernkontexten. Hochschulen sind dabei aufgefordert, die informellen
Lernleistungen und Lernergebnisse, die insbesondere auch lebensweltlich im-
prägnierte Kontexte der Studierenden mit einbringen, also situiertes Lernen in
erhöhtem Maße erlauben, in das formelle Studium zu integrieren. Dies wird umso
bedeutsamer werden, als dass aus Studien bekannt ist, dass auch in der späteren
Berufsphase dem informel len gegenüber dem formellen Lernen eine weitaus größere
Bedeutung zukommt. Das von Jay Cross (2003) aufgegriene sogenannte „spending
outcome paradox“, welches empirisch nie nachgewiesen wurde, aber konzeptuell
weitgehend akzeptiert ist, zeigt auf, dass zwar 80 Prozent der Kosten für formelles
Lernen anfallen, jedoch nur 20 Prozent des Lernens in entsprechenden Kontexten
stattndet. Dagegen ndet 80 Prozent des Lernens in informellen Kontexten statt,
für die nur 20 Prozent der Kosten aufgewendet werden.
C 1.10 Zehnte Sekunde: Badges & Microcredentials 221
221
C 1.10 Zehnte Sekunde: Badges & Microcredentials
C 1.10 Zehnte Sekunde: Badges & Microcredentials
Seit einiger Zeit sind Microcredentials, Badges, Nanodegrees und MicroMasters
in aller Munde. Worum geht es dabei? Es geht dabei darum, größere Studienab-
schnitte in kleinere Studieneinheiten zu modularisieren und zu dokumentieren,
in welcher Weise Studierende Lernerfahrungen, Wissen oder Prüfungen und
Tests zu den jeweiligen Abschnitten und Modulen bestanden haben. Aus diesen
kann dann eine Bildungsbiograe in viel granularerer Form und viel näher am
tatsächlich Erworbenen erstellt werden. Eine wichtige Zutat dabei ist die Frage,
in welcher Weise Bildungseinrichtungen, Hochschulen in der Lage sind, zukünf-
tig Wissen nicht nur zur Verfügung zu stellen und in Form von reproduktiven
Testverfahren wieder abzurufen, sondern auch Prüfungsformate zu gestalten, die
Erfahrungen, Kompetenzen sowie Vorwissen aus dem akademischen und aus dem
nicht akademischen Bereich abfragen und so ins Studium mit eingebracht werden
können. Die zugrundeliegende Idee und Konzeption akademischer Ausbildung,
die durch Microcredentials und Micro- Qualications ermöglicht wird, besteht
darin, eine lebenslange informelle Ausbildungsdokumentation, eine lebenslange
Dokumentation der a kademischen Ausbildung zu ermöglichen, bei der informelle
und formelle Elemente, Module und Lernerfahrungen durch akkreditierte oder
nicht akkreditierte, zertizierte oder nicht zertizierte Module miteinander zur
akademischen Bildungsbiograe verwoben werden. Der CEO von Ernst & Young,
von Google, von Siemens hat bereits 2013 verkündet, dass Hochschulzertikate
wie der Bachelor oder der Master bei der Personalauswahl keine prognostische
Kra mehr in den eigenen Organisationen entfalten, sondern viel mehr auf die
Persönlichkeit, auf die Erfahrungen, auf die Projekte Wert gelegt wird, die die
Kandidatinnen und Kandidaten, die Bewerberinnen und Bewerber mitbringen
und gemacht haben. Dabei geht es darum, wirklich gemachte Erfahrungen und
Kompetenzen zu dokumentieren und miteinzubringen sowie Kompetenzen anhand
von tatsächlichen Erfahrungen und Tätigkeiten Evidenz-basiert zu demonstrieren.
Vielen Personalchefs in privaten und öentlichen Organisationen werden diese
Bereiche der erfahrungs- und Evidenz-basierten Kompetenzdarlegung wichtiger
als die oziellen Hochschulzertikate. Auch die Studie von Ehlers (2018) zeigte,
dass Organisationen der Meinung sind, dass Hochschulzertikate zunehmend mehr
einen Hygienefaktor im beruichen Professionalisierungsprozess darstellen, indem
sie als legale Schwelle für den Eintritt in eine Berufssphäre gelten, jedoch keine
valide Aussage mehr treen, wie gut die tatsächliche Handlungskompetenz und
Performance der jeweiligen Kandidatinnen und Kandidaten im Berufsfeld eigentlich
ist. Ein dazugehöriger Organisationswandel im organisationalen Gefüge, die sich
sehr stark werteorientiert ausrichten und zunehmend auf Kooperation, Vernetzung
222 C 1 Zehn Sekunden, die über die Zukunft der Hochschulen entscheiden
und ache Hierarchie in einem agilen Umfeld abzielen, geht damit einher und führt
dazu, das Personalauswahlprozesse immer mehr auf klein g ranulare beschreibbare
Evidenz-basierte Erfahrungsportfolios setzen werden. Microcredentials als Leis-
tungsnachweise entwickeln sich derzeit in verschiedenen Ländern in Europa und
auf globalem Level. In den Hochschulen, um nicht nur große Studienabschnitte
von 180 ECTS für einen Bachelor oder 300 ECTS für einen Master zu zer tizieren,
sondern auch zunehmend mehr Kompetenzen unterhalb diese Formalebene zu
zertizieren – etwa die erworbene Kompetenz in Summer School Modellen oder
kleinere Module über mehrere Wochen. Zerti kate für short courses gew innen stark
an Bedeutung. Studierende stehen vor der Herausforderung diese Microcredentia ls
in einem evidenz-basierten, validierten Format vorzuhalten und dann eventuell in
einem Bewerbungsprozess bei einer möglichen Arbeitsgeberin, einem möglichen
Arbeitgeber zu präsentieren. Plattformen für solche alternative Zertizierungsfor-
men entwickeln sind in zunehmendem Maße verfügbar und sind dabei, Port folios
in diesem Sinne zu entwickeln. Microcredentials, informelles Lernen, Digitalisie-
rung, Kompetenzorientierung und Flexibilisierung im Bildungsbereich sowie die
Entstandardisierung am Arbeitsmarkthren dazu, dass Hochschulbildung vor
enormen Fragen steht. Ehlers (2018) schreibt dazu:
“Although alternative credentialing is just emerging, tools, platforms and concepts
are already starting to emerge and develop. In technology, GitHub has become the
standard platform for showcasing code to potential employers. In nance, students
are using EquitySim to demonstrate trading and portfolio management skills to
investment banks. Across a wide range of dynamic sectors of the economy, students
are uploading papers, presentations and problem sets to Portfolium to demonstrate
capabilities. And skill passports on Viridis, or digital credentials from Credly are
allowing employers to nd exactly the competencies they’re seeking.” (Ehlers 2018)
C 1.11 Zusammenfassung und Fazit
C 1.11 Zusammenfassung und Fazit
Die Zukun der Hochschule spannt sich wie ein Horizont – mit diesem Zitat von
Niklas Luhmann (1976) haben wir dieses Kapitel begonnen. Luhmann (1976)
beschreibt, dass in allen sozialen Systeme Erwartungen gebildet werden, die maß-
geblich sind dafür, wie sich das System, auch die Hochschule, in seinen Operationen
auf die Zukun ausrichtet. Die in diesem Kapitel analysierten und beschriebenen
Entwick lungen beeinussen diese Erwartungen. Sie prägen die Situation innerhalb
der Hochschule und die Erwartungen ihrer Akteurinnen und Akteure.
C 1.11 Zusammenfassung und Fazit 223
223
Betrachtet man die Hochschulen in Deutschland so ist scheinbar alles in Ordnung.
Auf den ersten Blick scheint alles gut zu laufen: Obwohl die Zahl der Studierenden
in Deutschland innerhalb von nur anderthalb Jahrzehnten um eine Million auf
zuletzt 2,8 Millionen gestiegen ist (Gehrke & Kerst 2018), sind die Hochschulen
nicht kollabiert. Und auch der Bologna-Prozess, der unter anderem die international
anerkannten Studienabschlüsse Bachelor und Master mit sich brachte, ist so gut
wie abgeschlossen. Aber es ha kt im System: Die deutschen Hochschulen hinken in
puncto Digitalisierung und Internationalisierung hinterher. Und auch die Lehre
lässt vielerorts zu wünschen übrig, wie die teils hohen Abbruchquoten zeigen. In
manchen Fächern bricht jeder zweite Studierende sein Studium ab, o fehlt der
Praxisbezug, die Auslandsmobilität stagniert.
Der Megatrend der gesellschalichen Entwicklung hin zu einer Bildungsgesell-
scha mit all ihren Erscheinungsformen wird durch einen zweiten gesamtgesell-
schalichen Megatrend verstärkt, den der Digitalisierung (siehe Abbildung 35). In
beiden Entwicklungen sind eine Reihe von Ursache-Wirkungsbündeln enthalten,
die in ihren Auswirkungen starken Einuss auf die Entwicklung der Hochschule
der Zukun nehmen.
Abb. 35 Einussfaktoren auf die Hochschule
224 C 1 Zehn Sekunden, die über die Zukunft der Hochschulen entscheiden
Beides, sowohl die gestiegene Beteiligung an akademischer Bildung als auch die
zunehmende Digitalisierung der Hochschulbildung wirken wechselseitig verstär-
kend auf die Organisation und Ausgestaltung von Studium, Lehre und Forschung.
Eine neue Vielfalt und Entkoppelungsprozesse sind die Folge und lösen einen
immer stärker spürbaren Gestaltungsdruck in Richtung Individualisierung und
lebenslanger akademischer Bildungsnotwendigkeit aus.
Diversität ist das große Stichwort der Hochschulbildung in jüngster Zeit. Sie
wächst auf dem Zusammenhang, dass akademische Bildung einen immer größer
werdenden Stellenwert für die soziale Teilhabe an der Gesellscha besitzt, dass
Bildungsprozesse zunehmend individueller (also auf den jeweiligen Bedarf der/
der einzelnen Person und Biograe zugeschnitten), und dadurch auch diversi-
zierter und an die jeweiligen Lebenslagen in Form und Inhalt angepasster werden
(also weniger an Standartangeboten orientiert sind). Diese neue Vielfalt ist eine
Heterogenität, die die große Herausforderung der Universitäten in den nächsten
Jahren darstellt. Die ‚klassische Klientel wissenschasaner und akademisch ori-
entierter Studierender wird zu einer Minderheit an den Hochschulen werden. Der
Bologna-Prozess gibt eine immer stärker berufsorientierte Hochschulausbildung
vor, die für immer mehr Studierende der Beweggrund für ein Studium ist. Hoch-
schulen werden sich auf die Vielfalt einstellen müssen, weil sie andernfalls weder
den sich verändernden gesellschalichen Anforderungen gerecht werden noch
ihre Studierenden verstehen können. Derzeit besteht an Hochschulen omals der
Eindruck, dass es kein großes Problem gäbe: Die Abbruchquoten in Deutschland
mit um die 25 Prozent im OECD-Durchschnitt insgesamt eher nied rig. Jedoch geht
es nicht nur darum, möglichst alle Studierenden wie bisher durch die erprobten
Studienkonzeptionen zu schleusen, sondern die Frage zu stellen, welche neuen
Fähigkeiten und Kompetenzen die Studierenden mit ins Studium bringen und wie
deren Interessen zu einer Bereicherung der Lehre beitragen könnten.
Im Umgang mit mehr Vielfalt wird es für Hochschulen wichtig, Selbststeuer ungs-
prozesse durch Studierende zu ermöglichen, um die potenziell sehr unterschiedliche
Zielstellungen einer Studienkohorte miteina nder in Einklang zu bringen. Während
es in einem Fall noch darum geht, ein grundständiges Studium zu absolvieren, ist es
in anderen Fäl len ein berufsbegleitendes oder ein prax isintegriertes Studienmodell,
hier besteht vielleicht das Interesse an einem Kontaktstudium und dort an einer
vertieen f undierten Studieneinheit in einem Spezialfach. Diese unterschiedlichen
Bedarfe und Interessen müssen zukünig durch intelligente und modularisierte
Studienmodelle miteinander kombinierbar werden. Studierende nehmen für
sich ein stärkeres Wahlverhalten in Anspruch und nutzen die Möglichkeit zum
Studium aus vielfältigsten Lebenslage und Positionen im Lebenslauf. So resultiert
der Studienabbruch in der Mehrheit der ersten Semester mittlerweile nicht mehr
C 1.11 Zusammenfassung und Fazit 225
225
aus Leistungsgründen, sondern aus der Tatsache, dass Studierende sich innerhalb
der ersten Studienphase umentscheiden, vielleicht ein anderes Fach studieren
möchten, eine andere akademische Institution wählen oder ga nz aus dem Studium
aussteigen möchten, was sie v ielleicht später wiederaufnehmen wollen. Um solchen
Bildungsverläufen gerecht zu werden muss die Konzeption eines akademischen
Studiums neu gedacht werden: Kleinere akademische Qualikationseinheiten zu
konzipieren, diese in intelligenten Weisen miteinander koppeln zu können und
dabei gleichzeitig nicht die großen Qualikationslinien aus den Augen zu verlieren.
Zertizierung, Prü fung, Examen nur noch für ein gesamtes Studium abzunehmen,
das Studium aus ‚einer Hand, einer Institution, an einer Hochschule von A bis Z,
wird zukünig der Vergangenheit angehören oder zumindest neben das heute
bekannte Normalmodell treten.
Eine dritte Entwick lung sind die sich abzeichnenden Entkoppelungsprozesse. Zum
einen ist zu erkennen, dass sich die Vorstellung, die für einen Beruf notwendigen
Qualikationen und Kompetenzen ließen sich in klare und überdauernd gültige
Curricu la verpacken, als zunehmen absurd erweist. Es ist vielmehr eine Entwicklung
von einem beruichen und an Berufsdenitionen orientierten System der Arbeit
zum einem exiblen System der Arbeit zu erkennen, in den Berufsdenitionen
nicht mehr starre Tätigkeitsbündel umfassen, sondern sich stetig weiterentwickeln.
Lisop und Beck sprechen hierbei von einem Abschied vom „Berufe-Konstrukt als
qualikatorischer und pädagogischer Fundierung“ (Lisop 1997; Beck 1986). Die
Hochschule der Zukun kann akademische Qualikationen zukünig nicht mehr
als starres ‚Paket eng umgrenzter beruicher Qualikationen konzipieren. Vielmehr
bedingt eine industriell hoch entwickelte Struktur von Produktion, Forschung,
Entwicklung und Dienstleistungen einen raschen Wechsel der Qualikationen.
In der Konsequenz sind Universitäten aufgefordert, sich mehr an übergreifenden
Kompetenzen und weniger an passgenauen Qualikationen zu orientieren.
Im Bereich der Studienorganisation zeichnen sich ebenfalls Entkoppelungs-
prozesse ab: So bei der Entkoppelung von Studium und Abschluss. Akademisches
Studium wird zukünig nicht ausschließlich mit dem Ziel eines Abschlusses
durchgeführt werden. Vielmehr wird der Bedarf an akademischer Weiterbildung
steigen, an phasenweise verfügbarer akademischer Vertiefung von beruich re-
levanten emen. Auch werden die Motive akademische Bildung als ‚Genuss im
Lebensvollzug in Anspruch zu nehmen wichtiger werden. In einem zunehmend
digitalisierten Markt für akademische Bildungsangebote werden akademische
Qualikationen zukünig auch nicht mehr nur noch aus einer Hand, von einer
Institution und vollumfänglich betreut werden (können). Vielmehr werden Stu-
dierende auf Grundlage ihrer eigenen Präferenzen zunehmend ihre eigene Zusam-
menstellung von Angeboten und Institutionen vornehmen. Damit entkoppelt sich
226 C 1 Zehn Sekunden, die über die Zukunft der Hochschulen entscheiden
das akademische Studium auch von einer ‚Ein-Campusmentalität, hin zu einer
potenziell entkoppelten ‚Viel-Campusmentalität, in der Studium und Institution
voneinander getrennt zu sehen sind.
Ein weiterer Entkoppelungsvorgang ist die Entkopplung der Zeitspanne, in der
ein Studium stattndet: Akademische Qualizierung wird zukünig nicht mehr
als ‚Qualikation auf Vorrat direkt nach einem Abschluss einer weiterführenden
Schule in Anspruch genommen werden, sondern in episodischen Verläufen,
prinzipiell unbegrenzt über die gesamte Lebensspanne hinweg. Der Markt aka-
demischer Weiterbildung, in dem dieses Bildungssegment derzeit angesiedelt ist,
wird sich von einem Nischenmarkt (heute) zu einem Standardangebot zuküniger
Universitäten entwickeln.
Frei nach Karl Valentin sind Prognosen ja bekanntlich schwierig – vor allem,
wenn sie die Zukun betreen. Das gilt auch für die Zukun der Hochschule.
Trotzdem ist es ein ema, was immer wieder zu Konferenzen und Workshops
inspirier t, meistens nicht so sehr, um nachzudenken, was sich ändern wird, sondern
vor allem, was sich ändern sollte.
Eines wird dabei durchweg deutlich, so weitegehend und kontrovers die Dis-
kussionen auch sein mögen: Die Universität ist nicht am Ende. Wir müssen keinen
Abschied feiern. Sie ist in der Kritik und Begrie wie ‚Bildung neu denken und
Digitalisierung spielen dabei wechselnde Rollen zwischen Begleiter und Treiber.
Unüberhörbar ist beispielsweise auch die Kritik am Bologna Prozess: So sei bereits
eine starke Verschulung der neuen Studiengänge zu erkennen. Einige Kritiker sehen
in den Reformen das endgültige Ende der humboldtschen Universität, der damit
verbundenen Idee von Bildung und damit das „Ende einer Lebensform“ (Seibt 2007).
Auch die zunehmende ‚Separierung von Forschung und Lehre und die Ersetzung
von ‚Innensteuerung (Interesse an Inhalten) durch ‚Außensteuerung (scheinori-
entiertes – das heißt an Leistungsnachweisen – Studium unter Zeitdruck) wird
angeführt. Das bildungspolitische Ringen um den richtigen Weg zur Reform von
Bildung, in Schule und Hochschule zeigt sich auch in bildungspolitischen Para-
doxien: Aus der Erkenntnis, dass Bildung immer wichtiger wird, wird der Schluss
gezogen, dass ein verkürztes zwölähriges Abitur in Zukun ausreichen müsse
und auch die Studienzeiten verkürzt werden müssten. Den Wunsch nach mehr
Bildungsgerechtigkeit und mehr Hochschulabsolventen kombinierte man mit der
Einfü hrung von Studiengebühren. Größere wissenschaliche Kompetenz versprach
man sich von der Ausrichtung der Universitäten auf Drittmittelorientierung. Die
Hochschule scheint derzeit allein, umringt von Reformern.
Doch lehrt uns die Geschichte, dass Entwicklung nicht zurück zu dem alten
Zustand führen (sollte), sondern, dass ein neuer Zustand, der in einer Verbindung
der Tradition und des Eingeübten, mit der neuen Möglichkeit liegt, anzustreben
C 1.11 Zusammenfassung und Fazit 227
227
ist. Wie kann das für die heutige und die zukünige Hochschule aussehen? Meine
ese ist, dass eine Reihe von Keytrends und Entwicklungen identiziert werden
können – unter ihnen auch eine stark erhöhte Bildungsbeteiligung und die Di-
gitalisierung – die zu tiefgreifenden Änderungen der Konzeption der modernen
Hochschule führen werden.
Als die wichtigste gesellschaliche Institution Europas wird sich dich Hoch-
schule behaupten können (Rüegg 1993). Sie wird sich in Organisationsstruktur und
Arbeitsweise ändern müssen, will sie den geänderten Rahmenbedingungen einer
Gesellscha Rechnung tragen, in der akademischen Bildung die norma lbiograsche
Erfahrung der Mehrheit einer Alterskohorte ist.
229
C 2
Lernen, Lehren und Forschen neu
denken: Eine Agenda für die
Hochschule der Zukunft
C 2 Lernen, Lehren und Forschen neu
denken
Die Hochschule der Zukun wird vor allem eines: Sie wird mehr auf die Diversität
zuküniger Zielgruppen von Studierenden eingehen müssen. Und sie wird digitaler
werden. Unterschiedlicher in ihren Strukturen und unterschiedlicher in den damit
verbundenen Lernszenarien der Studierenden, Lehrszenarien der Professorinnen,
Professoren und der Lehrenden – und letzt lich auch in ihren Forschungsansätzen.
Das Selbstverständnis der Hochschulen wandelt sich – weiter! Im Abschlusskapi-
tel des Buches haben wir vier Szenarien für Prole der zukünigen Hochschule
herausgearbeitet, die auf Daten des internationalen NextSkills Delphi basieren. In
diesem Kapitel geht es aber u m die Binnenfragen der Hochschulentwick lung: Lehren,
Lernen und Forschen der Zu kun und die Frage, wie sich das Studium entwickelt?
Wie sieht also eine Agenda für die Hochschule der Zukun aus? Die Beschäi-
gung mit diesem ema fü hrt unweigerlich dazu, sich das neue Lehren und Lernen
auszumalen; die Art und Weise, wie in Zukun studiert wird. Dabei stehen einerseits
pädagogische Aspekte des Lehrens und Lernens im Vordergrund, wie beispielsweise
die Weiterentwicklung von Prüfungs- und Bewertungspraktiken, Peer-Learning
und Peer-Validierungs-Ansätze, das Umsetzen akademischen Lernens und Lehrens
als Lerngemeinscha sowie ein verstärkter Fokus auf Future Skills. Neben diesen
eher pädagogischen und studierbezogenen Aspekten gibt es aber weitere.
Eine Agenda für die Hochschule der Zukun muss auch die Struktur der Hoch-
schule, die innere Gliederung sowie die Organisation des Studiums in den Blick
nehmen. Was ändert sich strukturell? Hinsichtlich der Orga nisation des Studiums
werden Hochschulen sich grundlegend wandeln müssen. Mehr Studierende, neue
Zielgruppen u nd eine vorher nicht dagewesene Diversität der Zielgruppen, die es zu
wertschätzen und in personalisier ten Studiensituationen zu betreuen gilt, kommen
auf die Hochschulen zu. Dazu wird die Funktion der Hochschulen in Bezug auf
gesellschaliche Integration und die soziale Dimension des Studierens in einer
akademischen Bildungsgesellscha immer bedeutsamer. Damit verbunden gewinnt
das Konzept des lebenslangen Lernens für Hochschulen an Bedeutung und alle
© Der/die Autor(en) 2020
U.-D. Ehlers, Future Skills, Zukunft der Hochschulbildung – Future
Higher Education, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29297-3_12
230 C 2 Lernen, Lehren und Forschen neu denken
damit zusammenhängenden Veränderungen, die wie bei einem Dominosteinspiel
in der Hochschullehre und -organisation betroen sind, wenn man diesen Stein
anstößt. Da ist beispielsweise das Konzept der Microcredentials, der alternativen
Zertizierungssysteme, die es Lernenden ermöglichen, das eigene Portfolio der
Qualikationen und Kompetenzen digital und in größerer Selbstbestimmung zu
organisieren und von Hochschulen fordern, die Systeme für Anerkennung und
Anrechnung zu professionalisieren. Digitalisierung ermöglicht Flexibilisierung von
Raum- und Zeitstrukturen und eine größere Transparenz aller studienbezogenen
Informationssysteme über den gesamten Studien-Lifecycle. In einer digitalen
Welt erleben wir eine abnehmende Bedeutung von Wissensvermittlung und einen
steigenden Bedarf an Begleitung, Betreuung und Coaching in einer vielfältigeren
Studienwelt. Darüber hinaus spielt die Entkoppelung von Prozessen des Lehrens,
des Prüfens u nd der Zertizierung von Kompetenzen eine zunehmend große Rolle.
Dabei ist es bemerkenswert, dass die Expertinnen und Experten im internationalen
NextSkills Delphi erwarten, dass die organisationalen und strukturellen Verände-
rungen erst wesentlich später an Relevanz gew innen werden als die Wandelprozesse,
die sich auf akademische Lehr-/ Lerndesigns beziehen.
Legt man die geänderten Rahmenbedingungen in einer Bildungsgesellscha
zugrunde und den Änderungsdruck, der auf akademische Qualizierungsprozesse
wirkt, so ergeben sich für Hochschulen neue Anforderungen an ein modernes,
weiterentwickeltes Hochschulmodel. Die folgenden Aspekte zeigen den Entwick-
lungskorridor auf, in dem Hochschulen sich derzeit benden. Die Hochschule der
Zukun wird ihre Prolpunkte entlang dieser Agenda ausrichten müssen.
Im Folgenden werden alle diejenigen Konzepte beschrieben, die sich im Next-
Skills Projekt als bedeutsam erwiesen haben.
39
Sie sind aufgeteilt in drei Kapitel und
beginnen mit einem Geda nkenexperiment, in dem die Entwick lung der Hochschule
skizziert wird (Kapitel C 2.1). Darauf folgt ein Überblick zum ema Lehre und
Lernen (Kapitel C 2.2), zur Organisation und den Strukturen von der Hochschule
der Zukun (Kapitel C 2.3) sowie ein zusammenfassendes Fazit (Kapitel C 2.4).
39 Die im Folgenden beschriebenen Konzeptionen sind das zusammengefasste Ergebnis
einer Ana lyse aus dem NextSkills Proje kt (www.NextSkills.org). Mitberüc ksichtigt sind
dabei die ü ber 100 Konz eptionen zum Curr iculum 4.0, mit denen sich Hochschulen au f
die Ausschreibung des Programms „Curriculum 4.0“ beworben haben. Dieses wurde
2017 von der Carl-Zeiss-Stiu ng und dem Stier verband mit dem Ziel ins L eben gerufen,
curriculare Reformprojekte auszuzeichnen, die neue Lösungsansätze im Umgang mit
digitalen Medien aufzeigen.
C 2.1 Hochschule der Zukunft: Ein Gedankenexperiment 231
231
C 2.1 Hochschule der Zukunft: Ein Gedankenexperiment
C 2.1 Hochschule der Zukunft: Ein Gedankenexperiment
Wenn man das heutige Hochschulmodell in eine postmoderne Zukun trans-
poniert – welche Strukturen gewinnen dann an Bedeutung? Legt man die ge-
änderten Rahmenbedingungen in einer Bildungsgesellscha zugrunde und den
Änderungsdruck, der auf akademische Qualizierungsprozesse wirkt, so ergeben
sich auch für Hochschulen neue Anforderungen an ein modernes, weiterentwi-
ckeltes Hochschulmodell. Die folgenden Aspekte (Tabelle 3) sind das Ergebnis
eines Gedankenexperiments und zeigen den Entwicklungskorridor auf, in dem
Hochschulen sich derzeit benden. Die Hochschule der Zukun wird sich entlang
dieser Prolpunkte ausrichten müssen.
Tab . 3 Eckpunkte der Hochschule der Zukun
Dimension
derzeitiges
Hochschulmodell
zuküniges
Hochschulmodell (postmodern)
von … (möglicher Entwicklungspfad) …zu
Abschlüsse Ziel ist das Erreichen eines klar
denierten Gesamtabschlusses für
das Studium, dabei werden die Ab-
schlussbezeichnungen hoheitlich von
der Hochschule vergeben.
Das Studium setzt sich aus kleinen
Studieneinheiten zusammen, die
auch von unterschiedlichen (Hoch-
schul-)Anbietern kommen können.
Es wird mehr Kurzformate, Zerti-
katskurse, Kontaktstudienmöglich-
keiten und Short-Courses geben.
Daraus entstehen Patchwork-Studi-
enverläufe, die dann zu größe-
ren Abschlusszertikaten, wie
beispielsweise einem Studienab-
schluss, zusammengefügt und
von einer Hochschule zertiziert
werden können.
Anerkennung vor-
heriger Kenntnisse
& Erfahrungen
Anerkennung ist möglich, aber es
gibt wenig tatsächliche Anerken-
nungspraxis.
Viel Anerkennungspraxis, Hoch-
schulen entwickeln professionelle
Prozesse für Kompetenzdiagnose
und die Anerkennung von Vorleis-
tungen und Erfahrungen.
Zertizierung Lehre/ Vermittlung (Tutoring,
Lehrveranstaltungen), Prüfung und
Zertizierung sind im Rahmen einer
Institution gekoppelt.
Lehre/ Vermittlung (Tutoring,
Lehrveranstaltungen), Prüfungen
und Zertizierung (Abschlussprü-
fung) sind entkoppelt und können
von verschiedenen Institutionen
durchgeführt werden.
232 C 2 Lernen, Lehren und Forschen neu denken
Dimension
derzeitiges
Hochschulmodell
zuküniges
Hochschulmodell (postmodern)
Studienpfad/
Takt u ng
Studienverlauf ist durch Modul- und
Prüfungsplan in der Studienordnung
klar und nur mit geringer Flexibilität
vorgegeben.
Studium ist anhand von Zeiteinhei-
ten strukturiert (ECTS).
Klare Unterscheidung von Teilzeit
und Vollzeitstruktur.
Studienverlauf ist exibel und
durch große Wahlbereiche be-
stimmt.
Studium ist anhand von inhaltli-
chen Kriterien strukturiert.
Flexiblere, individuelle Zeitstruk-
tur
mehr berufs- und lebensbegleiten-
de Modelle.
Curriculum Im Studium sind klar denierte
Qualikationsziele vorgegeben, die
für alle Studierenden gleichermaßen
gelten und aus denen die Inhalte und
Methoden der Module im Studien-
verlauf abgeleitet werden.
Berufsprole werden als normati-
ves Paradigma für Studieninhalte
herangezogen.
Studieninhalt ist zunehmend
orientiert an langfristiger Beschäf-
tigungsfähigkeit und an individuel-
len Bildungszielen, Interessen und
Bedürfnissen.
Im Vordergrund stehen mehr
grundlegende Handlungskom-
petenzen und die Befähigung
zum Umgang mit übergreifenden
Fähigkeiten.
Ein Methoden- und Inhaltskanon
ist an Fakultäten und Disziplinen
orientiert.
Das Curriculum ist an zentralen
Problemstellungen eines Praxisfel-
des orientiert
Die Problemorientierung bedingt
eine stärker interdisziplinäre
Ausrichtung
Wenig digitaler Import von Curri-
cula
Viel digitale Kooperation und
digitaler Im- und Export zwischen
akademischen Institutionen
Wissenschas-/
Hochschul struktur
Hochschulen sind in disziplinäre
Einheiten, die Fakultäten struktu-
riert; sie sind inhaltlich maßgebend
und für das Studium strukturgebend.
Hochschulen sind stärker durch
interdisziplinäre/ transdisziplinäre
Kooperationsformen organisiert
Das Studium ist stärker anhand
von übergreifenden Fragestel-
lungen und interdisziplinären/
transdisziplinären Arbeitseinheiten
organisiert.
C 2.1 Hochschule der Zukunft: Ein Gedankenexperiment 233
233
Dimension
derzeitiges
Hochschulmodell
zuküniges
Hochschulmodell (postmodern)
Lernmodell Lernen folgt prinzipiell der Vorstel-
lung eines Wissensgefälles, welches
es auszugleichen gilt.
Die Lehre ist expert/innenorientiert
Professor/innen organisieren Wis-
senstransfer
Lernen folgt der Vorstellung, dass
Studierende und Lehrende eine
Lerngemeinscha bilden (Renais-
sance des Ideals der Universitas)
Prüfungsorientiertes Lernen: Lernen
ist auf Prüfungen ausgerichtet.
Studium folgt der Vorstellung, dass
es darum geht, die Hürde der Zerti-
zierung zu überwinden.
Viele Prüfungen für detaillierte
Modulstruktur.
Die Lernerfahrung steht im
Mittelpunkt, die sich aus eigenen
Interessen und selbstentwickelten
Fragestellungen speist.
Prüfungen nden in größerem
Rahmen zu übergreifenden emen
und Kompetenzen statt.
Übergreifende Kompetenzen aus
größeren Zusammenhängen stehen
im Vordergrund.
Prüfungen Viele Prüfungen sind an Modulen
orientiert und o eher auf Reproduk-
tion von Wissen hin ausgelegt.
Prüfungen sind kompetenzorien-
tiert, nden in größeren Abständen
und Einheiten statt, decken größere
Gebiete ab.
Organisations-
rahmen
Institutionelle Struktur: Eine
Hochschule fungiert als Studienort/
-anbieter
Institutionelle Vielfalt: Mehrere
akademische Institutionen sind
beteiligt.
Studierende organisieren Studi-
enrahmen und den exiblen, an
Bedürfnisse angepassten Studien-
prozess
Reputation Die Reputation der Hochschule
bestimmt den Wert des Abschlusses
auf dem Arbeitsmarkt.
Studierende dokumentieren ihre
Fähigkeiten und Erfahrungen eher
in Assessments, auch durch quali-
tative Elemente, wie beispielsweise
Portfolios.
Der Wert des Hochschulabschlus-
ses orientiert sich vor allem am
Praxisbezug des Studiums, den
dort gemachten und dokumentier-
ten Erfahrungen und demonstrier-
ter Handlungskompetenz.
234 C 2 Lernen, Lehren und Forschen neu denken
Dimension
derzeitiges
Hochschulmodell
zuküniges
Hochschulmodell (postmodern)
Durchlässigkeit Zwischen Schule, Berufsausbildung
und Hochschule existieren klare
Schwellen zwischen akademischen
und nichtakademischen Program-
men.
Die Durchlässigkeit ist nicht durch-
gängig gegeben.
Durchlässiges Kontinuum
zwischen den Bildungsbereichen
Schule, Berufsausbildung und
Hochschule sowie den jeweiligen
anschlussfähigen Bildungsniveaus
der nationalen und Europäischen
Qualikationsrahmen
C 2.2 Lernen neu denken: Leitkonzepte für das Lernen an
der Hochschule der Zukunft
C 2.2 Lernen neu denken: Leitkonzepte
Sowohl pädagogisch-didaktisch und auf die Lernmodelle der Hochschulbildung
bezogen als auch organisatorisch werden sich Hochschulen weiterentwickeln. In
diesem Kapitel werden wir zunächst beschreiben, welche pädagogisch-didaktischen
Ansatzpunkte sich bieten.
C 2.2.1 Digital, vernetzt und informell
Das Studium der Zukun wird digitaler sein: Vernetzt, digital und informell. Es wird
weitgehend von den Möglichkeiten digitaler Lernwelten Gebrauch machen und neben
formellen Lernangeboten auch die volle Bandbreite informeller Lernmöglichkeiten
in Anspruch nehmen – institutionenübergreifend und vollständig vernetzt. Digitale
Lernwelten bestehen aus einem ganzen Bündel an Entw icklungen, Trends und Sicht-
weisen, die einen Wandel vom Lehren zum Lernen befördern. Eine neue Sichtweise
auf vernetzte und oene Lernwelten verbindet im Wesentlichen fünf Charakteristika:
1. Dass Lernen immer, überall und in vielen unterschiedlichen Kontexten statt-
ndet, nicht nur im Klassenraum;
2. dass Lernenden die Rolle der Organisierenden zufällt;
3.
dass Lernen ein Leben lang stattndet, multiepisodisch und nicht (nur) an
Bildungsinstitutionen gebunden ist;
4.
dass Lernen in Lerngemeinschaen (sog. Communities of Practice (Wenger
1998)) stattndet: Lernende treten Communities bei, sowohl formellen als
auch informellen;
C 2.2 Lernen neu denken: Leitkonzepte 235
235
5.
dass Lernen vielfach informell und non-formal statt ndet, zu Hause, am Arbeits-
platz und in der Freizeit und nicht mehr lehrenden- und institutionenzentriert ist.
In diesem Verständnis bedeutet digital unterstütztes Lernen nicht mehr eine digi-
tale Lernplattform zu nutzen, sondern unter Zuhilfenahme der verfügbaren Social
Soware eine neue Art der Lernplattform zu schaen: Nicht mehr ein Learning
Management System (LMS) als Materialinsel im Ozean Internet zu benutzen,
sondern ein Tor zum Web zu schaen. Der E-Tutor (Lehrende) grei nur noch als
Weg weis er ein, indem sie/er kleine Lerninhalte (Microcontent) in einem Portal
zur Verfügung stellt, die die Tür zum selbstgesteuerten Lernen aufstoßen, um die
gestellten Lernziele zu erreichen. Diese werden mit den Lernenden ausgehandelt
und zu Beginn z. B. via Blog-Eintrag oder Podcast festgehalten. Damit setzt sich die
Lernumgebung nicht mehr aus einer einzelnen Anwendung, sondern aus mehreren
individuell zusammengestellten und miteinander operierenden Tools zusammen.
In diesem Zusammenhang wurde der Begri des Personal Learning Environment
(PLE) geprägt. In einem PLE ndet die individuelle Reexion der/ des Lernenden
in Weblogs oder Podcasts sowie kollaborativem Arbeiten in Wikis statt. Somit ist
Lernen nicht mehr nur der Transfer und Konsum von Inhalt und Wissen, sondern
auch dessen eigenständige Produktion.
Langfristig gesehen kann sich so eine persönliche Lernlandscha entwickeln,
die ein „interaktives Portal mit allen Zugängen zur persönlichen digitalen Welt“
(Kerres 2006) des Einzelnen darstel lt. In einem steten Wissensproduktionsprozess
aggregieren Lernende als Kuratorinnen und Kuratoren ihre Inhalte nach persönli-
chem Interesse, reektieren diese und stellen sie individuell neu zusammen, teilen
sie im gewünschten sozialen Kontext mit anderen.
Kerres weist schon 2006 darauf hin, dass bestehende E-Learning (1.0) Ansätze
omals den Nachteil haben, dass Lernprogramme, aber auch moderne Lernplatt-
formen von den Lehrenden mühsam mit Inhalten, viel Zeit und Geld befüllt werden
müssen und dann o zum Datengrab verkommen, während das echte Leben „sich
heute nebenan, im Internet“ abspiele (Kerres 2006). Mit den Werkzeugen des Web
2.0 lässt sich der Inhalt des Internets zur Lehre nützen, dessen Inhalt sich laufend
von selbst generiert und regeneriert (ibid: 5). In diesem Modell tritt an d ie Stelle des
Bearbeitens fer tiger Kursmaterialien ein aktives und kreatives „rip, mix and learn“
(Richardson 2005). An die Stelle eines LMS könnten E-Portfolios treten, mit deren
Hilfe Lernende ihre Lern- und Arbeitsprozesse selbst managen, dokumentieren
und mit anderen austauschen.
236 C 2 Lernen, Lehren und Forschen neu denken
Informelles Lernen
Die Metapher des lebenslangen Lernens macht deutlich, dass Lernende nicht Dau-
erbesucherinnen und -besucher von Lehrveranstaltungen werden können, sondern,
dass vielmehr neue Lernformen gefragt sind, die selbstgesteuert, schnell, exibel
und problemorientiert aufgebaut sind. Informelles Lernen, „das sich in mittelbaren
Lebens- und Erfahrungszusammenhängen außerhalb des formalen Bildungswesens
entwickelt“ (Dohmen 2001), rückt wieder in den Mittelpunkt der Diskussion. Es
umfasst – so viel ist heute bekannt – 70 bis 80 Prozent aller Lernaktivitäten. Jay
Cross spricht in seinem letzten Buch „Informal Learning“ (2003) davon, dass nur
10 bis 20 Prozent in formalen Lernszenarien gelernt werden, dagegen 80 Prozent
durch informelles L ernen. Er fordert eine Formalisierung informellen Lernens und
eine Informalisierung forma len Lernens. Trotzdem wird der formalen Bildung heute
noch eine weit größere Bedeutung zugeschrieben als der informellen (Cross 2003).
Vernetztes Lernen
Im Studium der Zukun geht es darum, dass Lernende in sozialen Netzwerken
– digital und analog – selbstbestimmt lernen. Aus (konstruktivistisch) lerntheore-
tischer Perspektive stellen die Fürsprecher dieser Art des Lernens eine Möglichkeit
der Belehrung menschlichen Lernens grundsätzlich in Frage. Dies wird damit
begründet, dass ein selbst gesteuertes System (Lernende) von seiner Umwelt nicht
determiniert, sondern allenfalls gestört (perturbiert) und angeregt werden kann.
Zudem wird argumentiert, dass Lernen nicht allein dadurch funktioniert, dass
externe Anforderungen gestellt werden – Lernen, so die Vorstellung – kann nicht
ohne den Lernenden geplant werden (vgl. Holzkamp 1993: 184). Das Konzept des
selbstgesteuerten Lernens bekommt dabei eine enorme Bedeutung. Selbst gesteuertes
Lernen wird omals als Oberbegri für alle Lernformen verstanden, in denen die
Lernenden ihren Lernprozess bzw. Aufgaben, Methoden und Zeitaufwand selber
bestimmen (und/ oder mitentscheiden) und verantworten können (Deitering
1996: 45). Friedrich und Mandl (1997) verdeutlichen den Unterschied zwischen
Selbstbestimmung und Selbststeuerung folgendermaßen:
„Selbstbestimmtes Lernen gibt den Lernenden die Möglichkeit, die Auswahlarten
(was wird gelernt?) und die Lernziele (worauin?) eigenständig mitbestimmen zu
können. Selbstgesteuertes Lernen enthält die Option von Lernenden den Weg des
Lernens , die Lernregu lation, (wie? wann?) bei vorgegebenen L erninhalten u nd -zielen.“
(Friedrich & Mandl 1997: 219)
Die grundsätzliche mediendidaktische Herausforderung ist es dabei, das didaktische
Lernarrangement an den Parametern des didaktischen Feldes auszurichten, wie z. B.
C 2.2 Lernen neu denken: Leitkonzepte 237
237
an den Merkma len der Zielgruppe, der Spezikation von Lehrinhalten und -zielen,
didaktischen Methoden, didaktischer Transformation und Str ukturierung der Ler-
nangebote, Merkma len der Lernsituation und Spezikation der Lernorganisation,
Merkmalen und Funktionen der gewählten Medien und Hilfsmittel (Kerres 2001).
Es ist wichtig, auf das Primat der Didaktik hinzuweisen und zuerst die Frage nach
den Bildungszielen zu stellen und erst dann geeignete Lehr/ Lernszenarien und
-methoden zu wählen sowie die notwendigen Werkzeuge, um diese umzusetzen.
George Siemens entwickelte eine neue Lerntheorie, die 2004 veröentlicht
wurde: Konnektivismus. Er gibt an, sein Entwurf des Konnektivismus weise in
seinen Prinzipien über die bisherigen lerntheoretischen Ansätze des Behavioris-
mus, Kognitivismus und des Konstruktivismus hinaus und berücksichtige dabei
die zunehmende Tendenz des Lernenden hin zu informellem, vernetztem und
elektronisch gestütztem Lernen. Das Lernen wird dabei gesehen als zunehmend
kontinuierlicher, lebenslanger Prozess, der in alltägliche Arbeits- und sogar Frei-
zeitaktivitäten eindringt und sowohl den Einzelnen als auch die Organisation und
deren Verbindungen untereinander beeinusst. Siemens führt aus, das Wissen
über Wo? u nd Wer? sei heute wichtiger, als das Wie? u nd Waru m? Obwohl Siemens
Entwurf sich nicht klar gegen bestehende Lerntheorien abhebt, sondern eher eine
netzwerkorientierte Lernphilosophie beschreibt, ist der Ansatz vor allem dahin-
gehend wertvoll, dass er mit großer Klarheit die Entwicklung von vernetztem,
digitalen Lernen und sozialen Prozessen als Grundlage für die stattndenden
Lern- und Interaktionsprozesse hervorhebt.
C 2.2.2 Jenseits der Disziplinen
Wie können gesellschaliche Problemlagen zum Dreh- und Angelpunkt für Ler-
nanlässe im Studium werden, damit Studierende unterschiedliche und teilweise
konkurrierenden Lösungsansätze verschiedener Wissenschasdisziplinen kennen-
lernen und auf ihren Beitrag zur Lösung des Problems prüfen können? Probleme
folgen keiner Disziplin – Studiengänge schon. Und damit ist ein grundlegendes
Problem akademischer Dierenzierung beschrieben. Zwar ist es sinnvoll und sogar
unerlässlich, dass die unterschiedlichen Wissenschasdisziplinen einen eigenen
Kern, eine eigene Identität, eigene Methoden, Inhalte, Forschungsrichtungen,
Wissensbestände und Lehrtraditionen entwickeln und pegen. Die Geschichte
der Academia ist jedoch eine Geschichte der Dierenzierung die omals eigene
Blickwinkel mehr betont als Gemeinsame und die Frage nach dem Beitrag anderer
Ansätze, Disziplinen und Methoden zur Lösung eines gesellschalichen Problems
ausblendet. Im Ergebnis werden dadurch Hochschulbi ldungsprozesse gefördert, d ie
238 C 2 Lernen, Lehren und Forschen neu denken
stark auf eine Disziplin und ein Lösungsparadigma fokussiert sind, und die eine breite
Orientierung und Fähig keit zur Navigation in verschiedenen Wissenschasgebäuden
nicht haben. Diese ist in der Regel allerdings notwendig, um Probleme – zumal
gesellschaliche – zu lösen. Sie ist notwendig, um die Frage zu beantworten, was
die jeweils einzelne Wissenschasdisziplin zur Lösung eines spezischen Problems
eigentlich beiträgt, wie dieser Beitrag in Bezug auf alternative Beiträge anderer
Wissenschaen und/ oder Disziplinen bewertet und gewichtet werden kann, und
wo sich Lücken auun, die Fragen an weitere Wissenschaen stellen. Die Methode
der Problemorientierung ist der eigentliche Schlüssel im Hochschulstudium, um
trans- und interdisziplinär wissenschaliche Ansätze aufeinander zu beziehen
(siehe Abbildung 36). Denn: Probleme folgen keiner Disziplin.
Inter- und transdisziplinäres Lehren und Lernen erfordert:
Verknüpfung und Anwendung des Erlernten in konkreten und realen Aufga-
benstellungen,
eine aktive Auseinandersetzung mit praktischen Fragestellungen,
Erarbeitung von interdisziplinären Lösungsansätzen,
gemeinsames Bearbeiten von emen aus Gesellscha und Wirtscha.
Abb. 36 Inter- und transdisziplinäres Lernen
C 2.2 Lernen neu denken: Leitkonzepte 239
239
Es ist daher unerlässlich, dass Absolventinnen und Absolventen eine interdiszipli-
näre und oder transdisziplinäre Grundhaltung und die Kompetenz zur kreativen
Analyse von Problemstellungen auf Basis von methodologischem Handwerkszeug
verschiedener Wissenschasrichtungen erlernen können. Dabei müssen sie keine
Fachexpertinnen und Fachexperten der jeweiligen Wissenschasdomäne sein,
jedoch geübt im Blick auf die unterschiedlichen Beiträge sein, die verschiedene
Wissenschaen zu einem jeweils denierten Problem beitragen können.
Gute Praxisbeispiele
HOTSPOT (House of Transdisciplinary Studies for practice-oriented teaching
and learning) an der Hochschule Pforzheim.
Fächerübergreifende Bachelorstudiengänge an der Universität Hannover
C 2.2.3 Individuelle Studienpfade
Wie können Curricula mit Inhalten von Studiengängen anderer Hochschulen an-
gereichert werden, die digital zur Verfügung gestellt werden, also gewissermaßen
digital importiert werden? Eine weitere Möglichkeit, Studienverläufe interdiszi-
plinärer und exibler zu gestalten, mehr Wahlmöglichkeiten zuzulassen und die
Selbstorganisation der Studierenden zu stärken, ist der digitale Import von Cur-
ricula anderer akademischer Institutionen, auf Englisch mittlerweile auch virtual
Erasmus oder virtual mobility bezeichnet. Studierende belegen in diesem Fall eine
Lehrveransta ltung, eine Sommerschule oder absolvieren ein Prak tikum, welches in
Form eines Onlinekurses an einer anderen akademischen Einrichtung (o auch im
Ausland) als der Hochschule, bei der sie eingeschrieben sind, vermittelt wird. Das
so belegte Studienangebot wird als vollwertige Studienleistu ng anerkannt und kann
in das eigene Studium mit allen Leistungspunkten integriert werden. Der digitale
Import von Lehre aus anderen akademischen Einrichtungen kann beg ünstigt wer-
den, wenn Fakultäten sich von vornherein um die möglichen Importmöglichkeiten
Gedanken machen, Regeln dazu aufstellen und diese in einem Wahlkatalog für
virtuelle Mobilität für die Studierenden beigefügt werden.40
Eine Variante der oben beschriebenen Flexibilisierung des Studienverlaufs ist auch
eine stärkere interdisziplinäre Gesta ltung von Studienangeboten durch den Einsatz
digitaler Medien. Dabei werden exible Wahlbereiche deniert, um Module und
40 Da s EU Projekt „OER Test“ hat die h ierbei denkbaren Mög lichkeiten aufgea rbeitet und
publizier t: https://oerknowledgecloud.org/sites/oerknowledgecloud.org /les/Open-Le-
arning-Recognition.pdf
240 C 2 Lernen, Lehren und Forschen neu denken
Veranstaltungen aus anderen und auch fachfremden Fachbereichen zu studieren.
Denkbar sind Beispiele wie die eologin, die auch Managementseminare belegen
möchte, der Manager, der an Gruppenpsychologie interessiert ist, etc. Hochschulen
beginnen Module aus Bachelor- und Masterstudiengängen als sogenannte ‚polyva-
lente Module zu denieren. Das hat Auswirkungen auf die Kapazitätsberechnung
und Auslastung von Studiengängen. Digita lisierung ermöglicht eine zeit- und orts-
unabhängige Präsentation und Erreichbarkeit von entsprechenden Inhalten, auch
über Fakultäts-, Department-, Campus- und sogar Hochschulgrenzen hinweg. Ein
Beispiel hierfür ist etwa die Virtuelle Hochschule Bayern, über die viele bayrische
Universitäten mittlerweile über 300 Lehr veranstaltungen und Module digital anbieten.
C 2.2.4 S oft Skills als harte Währung
Es kann nicht o genug betont werden, dass Future Skills auch die Vermittlung von
relevantem Wissen miteinbeziehen – aber eben mit Wertvorstellungen, Haltungen
und Handlungsdispositionen imprägnier t. In der Agenda für die Hochschullehre der
Zukun lösen Future Skills also nicht die Vermittlung von Wissen ab, transponieren
Wissen jedoch – ganz im Sinne des in Abbildung 32 vorgestellten Stufenmodells
– auf eine höhere Stufe. Future Skills werden in der zukünigen Hochschullehre
gleichwertig neben Wissenstransferkonzepte treten (siehe Abbildung 37)– so be-
werten die Expertinnen und Experten des internationalen NextSkills Delphi diesen
Aspekt (M = 4,16, SD = 0,70, A = 91,1 %, N = 45)41. Die Bedeutung, die sowohl die
Interview ten der NextSkills Studie als auch das Expert(inn)enpanel in der NextSkills
Delphi-Studie geben, lässt fraglich erscheinen, ob der Begri So Skills tatsächlich
noch traghig für die als Future Skills beschriebenen Kompetenzen ist. Wird doch
mit der Einleitung in So und Hard oma ls auch vermittelbar und weniger vermittel-
bar suggeriert, bzw. gut zu prüfen und weniger gut zu prüfen verbunden. Tatsächlich
scheint hierbei auch eine Hauptbarriere für die ächendeckende Umsetzung einer
Orientierung von Hochschulcurricula an Future Skills zu liegen – darin nämlich,
dass Prüfungssysteme bislang vor allem auf die Prüf ung von Wissen ausgelegt sind
und nicht auf die Prüfung von Handlungskompetenzen.
Während etwas mehr als vier von zehn Befragte angeben, dass Future Skills heute
bereits gleichwertig neben die reine wissensorientierte Vermittlung treten, sehen
fast die Häle der Befragten die Umsetzung von Future Skills als Leitorientier ung in
einem Füna hreszeitraum, bzw. jeder zehnte Befrag te in einem Zehnjahreszeitraum.
41 A bezeich net den Agreement-Index als A nteil derjenigen die s tark zugestim mt (=5) bzw.
zugestimmt haben (=4).
C 2.2 Lernen neu denken: Leitkonzepte 241
241
Abb. 37 Geschätzte Zeitdauer für die zunehmende Wichtigkeit von Future Skills als
gleichwertig zu Wissensvermittlung (N = 38)
Als neues Leitziel für eine zukünige Hochschullehre geben die Befragten der
NextSkills Studie die Handlungsfähigkeit in hochemergenten Handlungskontexten
an – also Future Skills. Dabei steht der Umgang mit Situationen unvollständiger
Informationslage und in potentiell unsicheren Situationen im Vordergrund. Die
Fähigkeit sich in unbekannten und komplexen Zukunskontexten zurechtzun-
den, wird zur Hauptorientierung in der Hochschulbildung und damit wichtiger als
Wissensvermittlung. Diese Einschätzung bekommt bei Expertinnen und Experten
eine hohe Zustimmung: M = 3,64, SD = 0,99, A = 62, 2 %, N = 45. In der Abfrage der
time of adoption geben fast fünf von zehn befragten Expert innen und Experten des
NextSkills Delphi an, dass Handlungsfähigkeit in emergenten Kontexten bereits
heute ein wichtiges, bestimmendes Feld für die Gestaltung von Hochschullehre sei.
Diese Entwicklung wird sich innerhalb der nächsten zehn Jahre weiter verstärken
(siehe Abbildung 38).
Abb. 38 Geschätzte Zeitdauer für die zunehmende Wichtigkeit der Fähigkeit, in
emergenten, komplexen Zukunskontexten handeln zu können (N = 38)
242 C 2 Lernen, Lehren und Forschen neu denken
C 2.2.5 Vom defensiven zum expansiven Lernen
Wie können Hochschulen die Fiktion aufgegeben, dass Lernprozesse vollständig
durch Planung, Curricula und didaktische Lehrprozesse vorausgeplant werden
können? Wie kann die Vision einer studierendenzentrierten Lehre im Sinne des
shis from teaching to learning wirklich vollzogen werden? Das Verständnis,
Lernens als aktiven und intentionalen Prozess zu verstehen, wurde im Rahmen der
kritischen Lerntheorie des Hamburger Professors Klaus Holzkamp entwickelt und
formuliert. Dabei steht der Begri des expansiven Lernens für Lernen, welches aus
eigener Intention und eigenem Interesse geschieht und der Überwindung subjektiv
empfundener Handlungsbarrieren dient. Holzkamp (1995) formuliert, dass inten-
tionales Lernen sich wiederrum in expansives und defensives Lernen unterscheidet.
Expansives Lernen meint dabei die Art von Lernen, die auf eine Verbesserung der
eigenen Lebensqualität abzielt, zur Überwindung subjektiv empfundener Hand-
lungsbarrieren – nicht zu verwechseln mit der intrinsischen Motivation nach dem
Motto wolle, was du sollst. Vielmehr geht es um den lernenden Weltaufschluss
im Gegensatz zur defensivem Lernbemühung. Diese meint Lernen als Abwehr
von bevorstehender Bedrohung und dient damit der Problemvermeidung (vgl.
Holzkamp 1995: 190.).
„Holzkamp hat die Vorstellung, man könne durch Lehrpläne, Lehrstrategien oder
didaktische Zurüst ung die Lernproze sse eindeutig vorauspla nen, als Fikt ion kritisiert .
Eine Didaktik jenseits des Lehr- Lern-Kurzschlusses muss also alle Herstellungsil-
lusionen (…) aufgeben.“ (Faulstich 2008: 56)
Für die individuelle Kompetenzentwicklung müssen Lernsituationen geschaen
werden, in denen selbstgesteuertes, anwendungsbezogenes, situatives, emotio-
nales, soziales und kommunikatives Lernen gefördert werden (Mandl & Krause
2001). Die Integration komplexer und authentischer Probleme in unscharfen
Ausgangssituationen ist dabei ein wesentliches Element in kompetenzorientierten
Lernszenarien. Lerndesigns werden sich zu künig zunehmend von Präsentations-
und Wissenstransfer-Methoden abwenden und sich stattdessen auf interaktive
sozio-konstruktive Ansätze fokussieren (M = 3,76, SD = 0,76, A = 64,5 %, N = 45)
(siehe Abbildung 39).
C 2.2 Lernen neu denken: Leitkonzepte 243
243
Abb. 39 Geschätzte Zeitdauer für die zunehmende Wichtigkeit interaktiver sozio-
konstruktiver Lerndesigns (N = 37)
Dabei können gerade auch digitale Medien unterstützend eingesetzt werden: Digita le
Lernumgebungen können Studierende unterstützen, jenseits der Beschäigung mit
künstlich aufgearbeiteten Fragestellungen im Seminarraum, digital mit Betroenen,
Akteurinnen, Akteuren, Expertinnen und Experten in Kontakt zu kommen und sich
zusätzlich zum theoretischen Wissensbesta nd ein reales, authentisches Problemsze-
nario zu era rbeiten. In der Hamburg Open Online University (https://www.hoou.de)
wird diese Verzahnung von akademischer Analyse und realer Problemwelt anhand
von vielen Projekten real angegangen, indem Studierende über Lernplattformen mit
Protagonistinnen und Protagonisten der jeweiligen emenfelder zusammenarbei-
ten. Weiterhin können digita le Medien auch hier Möglichkeiten bieten, individuelle
Reexionen per Videota ke oder über reexives Schreiben, beispielsweise in Weblogs,
zu praktizieren und in die Hochschullehre zu integrieren.
Zusätzlich werden kollaborative Lernszenarien in denen Lernende miteinander
lernen an Bedeutung gewinnen, anstelle einer Orientierung auf Wissenstransfer
(Vorlesungsformate). Diese Prognose geht aus dem NextSkills Delphi mit hohen
Zustimmungswerten hervor M = 3,71 und A = 60,0 % (SD = 0,91, N = 45). Während
viele Expertinnen und Experten diese Lernszenarien bereits heute als bedeutsam
einschätzen (39,5 %), sieht jeder Dritte (34,2 %) diese Entwicklung als erst in zehn
Jahren als realistisch an (siehe Abbildung 40).
Abb. 40 Geschätzte Zeitdauer für die zunehmende Wichtigkeit von Lerngemeinschaen
als Mainstream (N = 38)
244 C 2 Lernen, Lehren und Forschen neu denken
C 2.2.6 Zukunft des Prüfungswesens
Wie kann die o auf Reproduktion von Wissen hin orientierte Prüfungspraxis
zugunsten von kompetenzorientierten Prüfungsformen und von Peer-Validie-
rungsmodellen weiterentwickelt werden? Im Sinne des Ansatzes des Constructive
Alignments (Biggs & Tangs 2011) sind kompetenzorientier te Lehr- und Lernszenarien
nur dann sinnvoll, wenn auch die Prüfung und Bewertung kompetenzorientiert
vorgenommen wird. Es ist klar, dass diese Prüfungsformen zukünig an Relevanz
gewinnen. Dabei treten Bewertungen von Lernen um des Lernens Willen (forma-
tive und Peer-Bewertung) an die Stelle der Bewertung des Gelernten (summative
Bewertung) (siehe Abbildung 41, M = 3,80, SD = 0,86, A = 6 6,7 %, N = 45)
Abb. 41 Geschätzte Zeitdauer für die zunehmende Wichtigkeit eines Assessments as
Learning (N = 38)
In der Hochschuldidaktik wird dieses ema bereits stark fokussiert, in der Rea-
lität der Hochschullehre ist es omals zugunsten von Massenprüfungen im Sinne
eines „Auswendiglernen und Wiedergeben“, einem eher reproduktiven Verständnis
folgend, noch nicht sehr verbreitet. Dies ist auch für Hochschulbildung digital eine
Herausforderung. Aber insgesamt gilt: Nur wenn auch die Prüfungsformen und
-inhalte an Kompetenzen und Future Skills orientiert sind und nicht auf Wissens-
abfragen reduziert werden, ist es sinnvoll, Future Skills auch als Leitkonzept für die
hochschulischen Lernprozesse in den Blick zu nehmen. Digitale Medien werden
seit längeren auch für Prüfungs- und Bewertungsprozesse herangezogen. Die in
2015 erschienene Studie „Digitales Prüfen und Bewerten“ (Michel et al. 2015) gibt
einen strukturierten Ü berblick über den Stand der Dinge und die Vielfalt der (teil)
digitalisierten Prüfungsformate, die derzeit bereits an Hochschulen zum Einsatz
kommen.
Eine kritische Anmerkung sei mit Gabi Reinmann (2014) an dieser Stelle ge-
stattet: Die Ausrichtung von Hochschulbildung an Future Skills wirklich zu Ende
C 2.2 Lernen neu denken: Leitkonzepte 245
245
zu denken, würde bedeuten, nur Prüfungen zuzulassen, die tatsächlich versuchen,
Future Skills und Kompetenzen zu erfassen, und die Anforderungen integrierter
Prüfungen erfüllen. Dabei ist allerdings Bescheidenheit geboten, denn bislang
bleiben kompetenzorientierte Prüfungen ein Ideal, dem man sich nur annähern
kann. Präzise und eindeutige Feststellungen, über welche Kompetenz bzw. über
welche Future Skills – im Sinne einer Handlungsdisposition – jemand in welcher
Ausprägung verfügt, sind theoretisch und praktisch kaum möglich. Denn Kom-
petenzen stellen eben Handlungsdispositionen dar und nicht vollständig in sich
abgeschlossene, vorbereitete und abruare fertige Handlungsabläufe. Notwendig
sind komplexe Prüfungen, die Kompetenzen mit einem reektierten Anspruch
erfassen. Sowohl die Gestaltung als auch die Durchführung solcher Prüfungen sind
sehr aufwändig. Es zeigt sich, dass kompetenzorientiertes Prüfen ein auf wändiges
Vorhaben ist. Bei diesem können jedoch gerade auch digitale Medien fruchtbar
eingesetzt werden. Im Sinne des Ideals der Universitas würden dann auch nicht
mehr ein Abprüfen von Auswendiggelerntem im Vordergrund stehen, sondern die
Disputation von Neuem und Bemerkenswerten.
Ziel ist es, vom omals vorherrschenden Frage-Antwort-Spiel wegzukommen, hin
zu einem Austausch zwischen Studierenden und Lehrenden auf Augenhöhe. Um dies
zu ermöglichen, können die Prüinge bei der Auswahl der emen miteinbezogen
werden, beispielsweise über ein Portfolio. Ein Portfolio ist eine Sammlung von Do-
kumenten, die der Studierende im Verlauf der Lehr veranstaltung(en) eigenständig
erarbeitet. Es stellt somit die Auseinandersetzung und den aktiven Umgang mit
wichtigen Seminarinhalten dar. Ein solches Portfolio ist eine geeignete Grundlage
für ein Prüfungsgespräch über die im Portfolio dargestellten Inhalte (Wildt, J. &
Wildt, B. 2011). Studierende werden somit deutlich stärker in die Gestaltung der
Prüfung mit einbezogen, indem sie das Portfolio selbst zusammenstellen und da-
mit Einuss auf die relevanten Prüfungsinhalte ausüben und darüber hinaus als
Produzent der Portfoliotexte auch in einer Rolle als Experte/ Expertin für deren
Inhalte angesehen werden können.
In der Realität der Hochschulen ist es heute so, dass im Rahmen eines Bachelor-
studiums etwa 20 bis 30 Module studiert werden. Jedes Modul schließt mit einer
Prüfung ab. Dabei werden in der Regel mehrere Fächer im Rahmen der Prüfung
geprü, was faktisch einer Unterteilung der Prüfung in mehrere Teilprüfungen
gleicht (Pietzonka 2014). Dadurch haben Studierende heute im Rahmen ihres Ba-
chelorstudiums faktisch ca. 50 bis 60 Prüf ungsteile zu leisten – davon geht jedes in
die Abschlussnote ein (vgl. z. B. Wannemacher & Kleimann 2010). Gabi Reinmann
(2014) beschreibt dies so: Die psychische Ausnahmesituation für Studierende in
der letzten Phase des Studiums der alten Studiengänge (noch vor der Bolognare-
form) erstreckt sich heute auf die gesamte Dauer des Studiums (Bülow-Schramm
246 C 2 Lernen, Lehren und Forschen neu denken
2008: 31). Man hat sich also von einem Extrem ins andere bewegt: Den einen alles
entscheidenden Prüfungszeitpunkt am Ende des Studiums hat man gegen einen
alles beherrschenden Prüfungszeitraum vom Anfang bis zum Ende des Studiums
eingetauscht. Reinmann führt weiter an, dass Kompetenzorientierung zu Ende
denken (vgl. auch Bülow-Schramm 2008: 39), heißen würde, nur Prüfungen zu-
zulassen, die tatsächlich versuchen, Kompetenzen zu erfassen. Zu paaren ist das
aber mit Bescheidenheit, da man sich dem nur annähern kann. Huber (2008: 22)
hält kompetenzorientierte Prüfungen gar für utopisch.
In jedem Fall werden kompetenzorientierte Prüfungen komplexere Verfahren
sein, in denen in der Regel oenere schriliche, mündliche und forschungsprak-
tische Formate zum Einsatz kommen müssen. Da dies viel aufwändiger ist als die
heutige Prüfungspraxis, könnte ein entsprechend ausgerichtetes Studium in dem
kompetenzorientierte Prüfungsverfahren zum Einsatz kommen, nur noch viel
weniger Prüfungen umfassen. Reinmann (2014) kommt zu folgendem Schluss:
„…die optimale Anzahl dieser ‚Prüfungen mit Rechtsfolgen‘ [hängt] von der Fach-
richtung [ab], [müsste] unabhängig davon aber im einstelligen Bereich bleiben (…).
Davon ausgenommen sind formative Leistungsnachweise, die ausschließlich dazu
dienen, Stud ierenden eine Rückmeldung auf ihren L ernprozess und bereits erworbene
Kompetenzen zu geben. Sie haben keinen Einuss auf die Abschlussnote und sind
Teil didaktischer Szenarien.“
Die Weiterentwicklung der Prüfungsformate stellt einen wichtigen Zukunsbau-
stein der Lehre in der Hochschule der Zukun dar – so schätzen die Befragten der
NextSkills Delphi-Studie, dass Hochschulbildung innerhalb der nächsten fünf bis
zehn Jahre verstärkt auf Lernen durch Peer-Validierung bauen wird (M = 3,73, SD
= 0,90, A = 62,2 % , N = 45) (siehe Abbildung 42).
Abb. 42 Geschätzte Zeitdauer für die zunehmende Wichtigkeit von Peer-Assessment
statt traditioneller Abschlussprüfungen (N = 37)
C 2.3 Eckpfeiler der Hochschule der Zukunft 247
247
C 2.3 Die Hochschulorganisation neu denken:
Eckpfeiler der Hochschule der Zukunft
C 2.3 Eckpfeiler der Hochschule de r Zukunft
C 2.3.1 Digital: Jenseits der Technisierung
Wie können Hochschulen Strategien für die digitale Transformation entwickeln,
die Digitalisierung nicht als Technisierung versteht, sondern als Aufruf, Lehre,
Lernen und Studium neu zu denken und weiter zu entwickeln? Digitale Medien
bieten der Hochschule neue Möglichkeiten, die Lehre personalisierter und unab-
hängig von Zeit und Ort zu gestalten. Die Ergebnisse der jüngsten Debatte über
Hochschulbildung digital zeigen, dass Digitalisierung nicht als Technisierung,
sondern als Ermöglicher für didaktische Phantasie in der Lehre steht (Hoch-
schulforum Digitalisierung 2016). Zu erkennen ist, dass es Hochschulen darum
geht, junge Menschen in der Entwicklung ihrer Fähigkeit zur selbstständigen und
eigenverantwort lichen Arbeit in heterogenen Teams zu unterstützen und sie bei der
Entwick lung von Handlungskompetenzen durch die Lösung komplexer Probleme
zu fördern. Digitalisierung ist hier ein Ermöglicher, ein Impulsgeber für die Lehre
der Zukun. Hochschulen und ihre Akteure in der Lehre setzen digitalen Medien
in großer Vielfalt ein und nutzen die sich dadurch ändernden Rahmenbedingun-
gen, um produktiv neue Wege zu gehen. Dabei wird Hochschullehre jenseits von
reinem monodirektionalem Wissenstransferkonzepten und Massenveranstaltungen
attraktiv gestaltet. Dann wird Hochschullehre zum Reallabor, in dem Konzepti-
onen entwickelt und umgesetzt werden, in denen Studierende als reektierende
Praktikerinnen und Pra ktiker in „Reexionslaboratorien“ (Ehlers 2014) lernen, in
denen sie kollaborativ zusammenarbeiten und in denen sie in ihrer Entwicklung zu
autonomen und selbstgesteuerten Lernenden unterstützt werden. Digitalisierung
verfolgt dabei nicht das Ziel der Technisierung, sondern fordert zur didaktischen,
curricularen und organisatorischen Innovation in der Lehre auf.
C 2.3.2 Vom Studienfach zur Mission
Wie können Hochschulen Curricula exibilisieren und indiv idualisieren und Mög-
lichkeiten des Build your own Curriculum realisieren? Hochschulstudiengänge sind
heute von großer innerer Geschlossenheit gekennzeichnet. Dabei wird versucht ein
in sich geschlossenes System von aufeinander abgestimmten Qualikationszielen
innerhalb von sechs, acht (Bachelor) und/ oder vier Semestern (Master) zu integrieren.
Zumeist lieg t ein längerer Analyseprozess eines Berufsfelds zugrunde, aus dem die
relevanten Qualikationsziele abgeleitet werden. Ziel ist dabei das Erreichen eines
248 C 2 Lernen, Lehren und Forschen neu denken
klar denierten Gesamtabschlusses für das Studium. Dabei werden die Abschluss-
bezeichnungen hoheitlich von einer Hochschule vergeben. In Zeiten in denen kon-
krete Qualikationsziele immer weniger aus Berufsfeldanalysen generiert werden
können, da diese selber einer starken Veränderungsdynamik unterliegen, stellt sich
die Frage, ob die derzeit vorherrschende akademische Grundeinheit Studiengang
noch adäquat sein wird. Die internationale Delphi-Studie des NextSkills Projektes
kommt hierbei zum Schluss, dass Studieren in der Zukun anders aussehen wird.
Es wird dabei von multi-institutionellen Studienverläufen ausgegangen, in denen
Studierende zwischen unterschiedlichen Hochschulen hin- und herwechseln und
Lehrveranstaltungen bei verschiedenen Hochschulen belegen. Auch binnenstruk-
turell wird von Veränderungen im Studienverlauf ausgegangen. Die Expertinnen
und Experten gehen mit hohen Zustimmungswerten (M = 3,6, A = 60,0 %) davon
aus, dass ein Hochschulstudium keinem klar vorgegebenen Studienplan mehr folgt,
sondern sequentiell oder parallel an mehreren Hochschulen vonstattengeht (SD =
0,84, N = 45).
42
Dadurch entsteht ein institutionelles Studienerfahrungs-Patchwork-
muster. Mehrere akademische Institutionen sind beteiligt und die Studierenden
organisieren den Studienrahmen exibel und an ihre Bedürfnisse angepasst.
Abb. 43 Geschätzte Zeitdauer für die zunehmende Wichtigkeit multi-institutioneller
Studienverläufe & Patchwork-Studienpfade (N = 38)
Das Studium setzt sich dann aus kleinen Studieneinheiten zusammen, die auch
von unterschiedlichen (Hochschul-)Anbietern kommen können. Es wird mehr
Kurzformate, mehr Zertikatskurse, Kontaktstudienmöglichkeiten und mehr
Short-Courses geben. Daras entstehen Patchwork-Studienverläufe, die dann zu
größeren Abschlusszertikaten wie beispielsweise einem Studienabschluss, zusam-
mengefügt und von einer Hochschule zertiziert werden können. Über neun von
42 Die Expertinnen und Experten wurden gebeten, die folgende Aussage einzuschätzen:
„Studierende werden sequentiell oder parallel an mehreren Hochschulen studieren,
wodurch sich ihr Studium als institutionelles Studienerfahrungs-Patchwork darstellt.“
C 2.3 Eckpfeiler der Hochschule der Zukunft 249
249
zehn Befragten gehen davon aus, dass sich innerhalb eines Zeitraumes von zehn
Jahren hierbei starke Veränderungen ergeben (siehe Abbildung 43).
Immer mehr Hochschulen bieten bereits sogenannte Wahlcurriculum-Optionen
an.43 Die Jacobs-Universität in Bremen bietet ein sog. „3-C Model“ an ( Choice –
Core – Career), bei dem Studierende mit hohen Graden an Wahlfreiheit ihr eigenes
Curriculum zusammenstellen können. Ein Foundation-Jahr ermöglicht zunächst
Orientierung über Interessen einerseits und die akademischen Disziplinen, Fra-
gestellungen und Methoden erlangen zu können bevor Studierende dann ihren
Studiengang wählen. In Hochschulen, die eine Möglichkeit für Studierende anbie-
ten, ihr eigenes Curriculum zusammenzustellen erfordert dies zumeist, dass diese
einen schrilichen Vorschlag bei einem Curriculum-Komitee einreichen, welcher
dann geprü und beraten w ird; so beispielsweise an der Universität Maryland oder
Michigan in den USA.
Für Hochschulen ergeben sich bei diesen Build Your Own Curriculum (BYOC)
Ansätzen neue Herausforderungen. Sie müssen entsprechende Beratungs-, Beglei-
tungs- und Coachingangebote bereithalten. Diese müssen professionalisierte Services
sein, die sowohl von Professorinnen und Professoren als auch von Lerncoaches
angeboten werden, die Studierende bei zunehmend diversen Lernerfahrungen
sowohl bei der Reexion, als auch Anwendung und Integration der Lerninhalte
in Bezug auf größere Sinnabschnitte, Problemstellungen und Future Skills, sowohl
disziplinär als auch interdisziplinär begleiten und betreuen.
C 2.3.3 Mehr Anerkennung und Anrechnung
Wie können Hochschulen mehr Expertise und Professionalität bei der Anrechnung
und Anerkennung von Vorerfahrungen und -leistungen entwickeln, um exibleres
Studieren und eine höhere Durchlässigkeit zu ermöglichen? Hochschulen in Deutsch-
land sind verpichtet, Kompetenzen aus dem akademischen (bis 100 Prozent) und
nicht-akademischen (bis 50 Prozent) Bereich als Vorkenntnisse im Studium auf die
zu erbringenden Prüfungsanforderungen anzuerkennen. Die Erfahrung mit solchen
Anerkennungspra ktiken ist jedoch nicht groß und führt omals zu Unverständnis
auf Seiten der Lehrenden, da unklar ist, ob die zur Anerkennung eingebrachten
43 Die Website collegechoice.net listet 20 private und öentliche Universitäten aus den
USA auf, die fü r Studierende mit besonde rs guten Eingangsnoten B achelorstudiengänge
anbieten, bei denen Studierende – mithi lfe von „Academic Advisors“ und „Study-C oa-
ches“ – ihr eigenes Curriculum zusammenstellen können (https://www.collegechoice.
net/best-bachelors-programs-design-your-own-major/).
250 C 2 Lernen, Lehren und Forschen neu denken
Vorleistungen auch wirklich adäquate Kompetenzen beinhalten (Han et al. 2014).
Anerkennung und Anrechnung ist aber der wesentliche Schlüssel für die Ermögli-
chung neuer (digitaler) Vielfalt für Studienverläufe. Digitale Lehrveranstaltungen
(unterschiedlicher Fakultäten und akademischer Institutionen) können erst dann
vollwertig neben in Präsenz erbrachte Lehrveranstaltungen treten, wenn sie auch
vollwertig anerkannt werden. Es erfordert jedoch in vielen Fällen die Ausweitung
der Anerkennungspraxis. Dabei sind sowohl individuelle (Anerkennung individuell
eingebrachter Leistungen) als auch institutionalisierte Konzepte (Kooperationsmo-
delle, in denen die von anderen Einrichtungen anerkennungsfähigen Leistungen im
Vorfeld geprü wurden) denkbar (ebenda). Im internationalen Delphi des NextSkills
Projekt sind sich die Expert innen und Experten weitgehend einig: Über 75 Prozent
gehen davon aus, dass innerhalb der nächsten fünf Jahre eine starke Zunahme an
episodischen Patchworkverläufen der Studienerfahrungen zu beobachten sein wird,
in denen bereits erbrachte Leistungen und vorhandene Kompetenzen anerkannt
werden. (M = 3,59, SD = 0,96, A = 59,1 %, N = 44).
C 2.3.4 Microc redentials: Alternative Zertizierungsmethoden
Wie können Hochschulen mit Microcredentials und alternativen Zertizierungs-
verfahren Erfahrung gewinnen, um Studieren zunehmend anschlussfähiger,
durchlässiger und exibler zu gestalten? Während in heutigen Hochschulmodellen
Lehre und Prüfung, sowie Prüfung und Zertizierungsprozesse aneinanderge-
koppelt sind, werden diese Prozesse in Hochschulmodellen der Zukun immer
stärker entochten und voneinander unabhängig sein. Diese Entkoppelungspro-
zesse von bislang weitegehend strukturel l gekoppelten und zusammengehörenden
Vorgängen der Vermittlung, Prüfung sowie der Zertizierung birgt Chancen und
Herausforderungen. Chancen liegen in der Flexibilisierung von Studienverläufen,
ganz im Sinne des oben beschriebenen individuellen Patchworkstudienmusters.
Führt akademisches Lernen nicht immer nur ausschließlich auf Prüfungen und
Testungen hin, so steht auf einmal der reine Lernprozess im Mittelpunkt der Be-
mühungen. Lernen wird intrinsischer und kann sich auch jenseits und unabhän-
gig von prüaren oder in Prüfungsordnungen verzeichneten Inhalten bewegen.
Gleichzeitig wird eine Begleit- und Reexionsfunktion wichtiger, die Lernen in
akademischen Kontexten darauin orientiert, welchen Beitrag die/ der Lernende
leistet, um die eigenen, zuvor wahrgenommenen Handlungsbarrieren zu über-
winden. Digitale Lehre macht eine Flexibilisierung von Raum und Zeit möglich
und begünstigt daher auch das Wahrnehmen von Studienerfahrungen gleichzeitig
an verschiedenen Hochschulen sowie in verschiedenen Modi – sowohl physisch
C 2.3 Eckpfeiler der Hochschule der Zukunft 251
251
in Präsenz als auch online virtuell, sowohl oziell eingeschrieben als auch als
Teilnehmerin oder Teilnehmer an einem oenen Onlinekurs. In der Befragung
des internationalen Delphis stimmen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der
Aussage weitgehend zu, dass Studienerfahrungen, die in k leinen, modularisierten
Einheiten (Microcredentials) zertiziert werden, zukünig die gleiche Bedeutung
bekommen werden, wie die Zertizierung gesamter Studiengänge (M = 3,50, SD =
1,10, A = 56,8 %, N = 44). Dabei sieht die Mehrheit der Expertinnen und Experten
diese Entw ickelung in einem mittelfristigen Zeitraum von fünf bis zehn Jahren als
realistisch an (siehe Abbildung 44).
Abb. 44 Geschätzte Zeitdauer für die zunehmende Wichtigkeit von Microcredentials,
und alternativen Zertikatssystemen (N = 38)
Dabei ergibt sich ein weiterer Punkt: Die Reputation der Hochschule bestimmt
heute den Wert des Abschlusses auf dem Arbeitsmarkt. Studierende, die an einer
besonders renommierten Hochschule studiert haben, haben hierbei einen Vorteil
gegenüber Studierenden, die a n einer Hochschule mit weniger Renommee studiert
haben. Über alternative Zertizierungsmethoden, wie beispielsweise Portfolios,
Microcredentials, Badges u. ä. können Studierende zukünig Zertizierungen
verschiedener Art in ihrem persönlichen Kompetenzportfolio auauen. Vielfach
sind die dort dokumentierten Fähigkeiten und Erfahrungen auch als qualitative
Informationen verfügbar, so dass eine aussagek räige Informationsbasis entsteht.
Diese enthält einerseits akademische Studienleistungen verschiedener Hochschu-
len und Lehrveranstaltungen a ls auch weitere Qualikationen und Kompetenzen,
die durch Lernen oder praktische Erfahrungen erworben wurden. Dies wird dazu
führen, dass der tatsächliche Praxisbezug des Studiums, die dort gemachten und
dokumentierten Erfahrungen und demonstrierbare Handlungskompetenzen zu-
künig den Wert des Hochschulabschlusses ausmachen. Immer mehr entwickeln
sich sog. Skill-Plattformen im Internet, wie beispielsweise das Hamburger Startup
Qompetent (https://www.qompetent.com). Für die Rekrutierung von Tech-Spezi-
alistinnen und Spezialisten gewinnen Job-Matching-Plattformen zunehmend an
252 C 2 Lernen, Lehren und Forschen neu denken
Bedeutung, die auf dem amerikanischen Markt bereits in großer Zahl vertreten
sind und gezielt auf den Nachweis von technologischen Fähigkeiten zielen. Bei
überfachlichen Qua likationen (unternehmerisches Handeln, Adaptionsfähigkeit,
Kollaboration) können Gamication-Elemente die Rekrutierung deutlich verbessern.
Plattformen wie zum Beispiel Portfolium ermöglichen es den Nutzerinnen und
Nutzern, mit geringem Aufwand Arbeitsproben auf die Plattform zu laden, etwa
Haus- oder Projektarbeiten. Diese Einträge werden anschließend automatisch
analysiert und mit Informationen über eingetragene Berufserfahrungen und die
hierbei erworbenen Fähigkeiten verknüp. Durch ein systematisches Matching
dieser Millionen von Nutzerprolen mit veröentlichten Stellenausschreibun-
gen ergeben sich umfangreiche technische Qualikationsprole, auf deren Basis
einzelne Kandidaten mit geeigneten Unternehmen in Kontakt gebracht werden
können. Vor allem im Bereich der technologischen Fähigkeiten können speziali-
sierte Ski ll-Plattformen die Identikation und Rekrutierung von Expertinnen und
Experten erleichtern und verbessern (Ehlers 2018).
Daneben werden auch Plattformen wichtiger, die zwar nicht das oben beschrie-
bene Matching vornehmen, aber dennoch auf den Nachweis von Fähigkeiten
fokussiert sind: So beurteilt der Klout Score des gleichnamigen (inzwischen nicht
mehr aktiven) Onlinedienstes die Reichweite und Wirkung der Social-Media-Ak-
tivitäten einer Person. Diese Informationen ermöglichen HR-Abteilungen eine
erste Einschätzung der Eignung dieser Person für spezische Jobs mit Bezug zu
Social-Media-Marketing. Im Bereich IT hat sich mittlerweile mit GitHub eine
Standardplattform für Arbeitsreferenzen etabliert (https://github.com).
C 2.3.5 Lebenslanges akademisches Lernen
Wie können Hochschulen zum aktiven Motor für akademische lebensbegleitende
Bildung werden? Glaubt man dem beck`schen Postulat der Risikogesellscha (Beck
1986), dann stellt kontinuierliche (akademische) Bildung zünig einen wichtigen
Weg der Risikovermeidung dar. Dabei wandelt sich ständige akademische Weiter-
bildung im Sinne des lebenslangen Lernens von einer Möglichkeit zur Vermeidung
von Lebensrisiken zu einem Zwang, von der Option zur Obligation. Damit einher
geht auch die Entwicklung der Employability, die nicht mehr als Berufsfähigkeit,
also Vorbereitung auf einen Beruf durch ein universitäres Studium, sondern als
Beschäigungsfähigkeit, also auf die Lebensspanne zielt: Vom ‚lifetime employment
zur ‚lifetime employability. Das Aufweichen traditioneller Biographiemuster im Zuge
der Modernisierung gehört mittlerweile zur weit verbreiteten Erfahrung. Biogra-
phien sind durch Unterbrechungen und Veränderungen, durch Neuorientierungen
C 2.3 Eckpfeiler der Hochschule der Zukunft 253
253
und Umstellungen gekennzeichnet sind, und ihnen wohnt das permanente Risiko
des Abgleitens oder Abstürzens inne (vgl. Beck, Giddens, & Lash 1996). Für die
Qualizierung bedeutet das: sie ist nie wirklich abgeschlossen. Auch hier besteht
ein Druck auf Hochschulen, Bildungsprozesse verstärkt als episodisch und nicht
als einmal und für immer abgeschlossen zu betrachten.
Lebenslanges höheres Lernen bendet sich – so die Meinung des Gremiums
der Expertinnen und Experten – auf dem steigenden Ast. Knapp ein Drittel (28 %)
gab an, dass lebenslanges höheres Lernen bereits jetzt in einigen Hochschulen als
ebenso wichtig wie die akademischen Standardabschlüsse angesehen würde. Vier
von zehn Befragten glaubten dieser Trend würde erst in den nächsten fünf Jahren
relevant werden (38 %); ca. ein Viertel sprach sich dafür aus, dass dies erst in einem
Zehnjahreszeitraum wichtig werden würde (siehe Abbildung 45). Da es sich hierbei
jedoch um einen systemischen Wandel handelt, erscheint ein Fünahreszeitraum
für Wandelunternehmungen sowohl in Hochschulen als auch im Hinblick auf
nötige Gesetzesveränderungen reichlich kurz. Jedoch gibt es auf nationaler sowie
auf europäischer Ebene bereits durch Programme entwickelte Richtlinien, die den
Fokus in Bildungssystemen sehr wohl innerha lb eines Fünf- bis Zehnjahreszeitraums
auf lebenslanges höheres Lernen lenken könnten. Speziell unter den Bedingungen
schnellen Wissenswandels, Technologieakzeptanzraten und dem sich rasant
wandelnden Arbeitskontext, könnte sich dieser Zeitrahmen sogar noch verkürzen.
Abb. 45 Geschätzte Zeitdauer für die zunehmende Wichtigkeit lebenslanger
akademischer Bildung (N = 39)
Das Studium der Zukun wird der Tatsache Rechnung tragen müssen, dass die
stärkere Flexibilisierung am Arbeitsmarkt einen großen Bedarf lebenslanger, aka-
demischer Bildung mit sich bringt. Über 90 Prozent der Befrag ten sehen innerhalb
der nächsten zehn Jahre eine steigende Relevanz episodischer, lebensbegleitender
akademischer Bildung, in der bereits erbrachte Leistungen und vorhandene Kom-
petenzen anerkannt werden (siehe Abbildung 46, M = 3,59, SD = 0,96, A = 59,1 %,
N = 44)
254 C 2 Lernen, Lehren und Forschen neu denken
Abb. 46 Geschätzte Zeitdauer für die zunehmende Wichtigkeit lebenslanger,
episodischer Studienerfahrungen (N = 38)
Die wissensbasierte moderne Gesellscha impliziert, dass lebenslanges Lernen
(LLL) zu einer Notwendigkeit für alle Bevölkerungsteile wird. Lebenslangen Lernens
(LLL) beinhaltet „alles Lernen während des gesamten Lebens, das der Verbesserung
von Wissen, Qualikationen und Kompetenzen dient“ (Europäische Kommission
2001: 34). Die demograsche Entwicklung hat zur Folge, dass alle Menschen im
erwerbsfä higen Alter wiederkehrende Bildungsphasen durchlaufen müssen, um das
erforderliche hohe Qualik ationsniveau aufrechtzuerha lten. Vor dem Hintergrund
der internationalen Migrationsströme müssen auch bei der Entwick lung von Kon-
zepten des LLL auch die Bedürfnisse unterschiedlicher Kulturen mit berücksichtig
werden. Die Entwicklung hin zu einer wissensbasierten Wirtscha stellt zudem
immer komplexere Anforderungen an die Arbeitskräe.
Während das Studium heute noch weitgehend durch Modul- und Prüfungspläne
im Rahmen einer Studienordnung stru kturiert ist und nur eine geringe zeitliche
Flexibilität und o auch nur eine bestimmte Bandbreite inhaltlicher Flexibilität
vorsieht, wird das Studium der Zukun durch einen exiblen Studienverlauf
mit großen Wahlbereichen bestimmt werden.
Während das Studium heute noch stark anhand von Zeiteinheiten strukturiert
ist (ECTS), wird das Studium der Zukun stärker anhand von inhaltlichen
Kriterien strukturiert werden.
Während es heute eine klare Unterscheidung von Teilzeit und Vollzeitstruktur
für ein Studium gibt, wird es zu künig eine exiblere, individuelle Zeitstruktur
geben, und auch verstärkt berufs- und lebensbegleitende Modelle geben.
Insgesamt zeichnet sich ab, dass sich die derzeitige Leitstruktur des Hochschul-
studiums sich wandeln wird, wenn sie den Anforderungen an lebensbegleitende
Weiterbildung gerecht werden will. Diese wird eine solche Relevanz innerhalb der
nächsten 5 bis 10 Jahre erlangen, sodass das derzeitige Vorbereitungsmodell der
C 2.3 Eckpfeiler der Hochschule der Zukunft 255
255
Hochschule durch eine Leitkonzeption des Studiums als lebensbegleitende Konzep-
tion abgelöst werden wird. Dabei gibt es viele Gestaltungsfragen zu beantworten.
Aus wirtschaspolitischer Perspektive betrachtet, ist eine der Kernaufgaben
die Schaung adäquater Rahmenbedingungen, damit die Beschäigungsfähig-
keit erhalten bleibt bzw. verbessert wird. Aber es geht auch darum, mithilfe des
LLL die aktive Teilhabe des Individuums an der Gesellscha zu verbessern, denn
Chancengleichheit und LLL werden als Grundlage der sozia len Ink lusion gesehen.
Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang die Förderung sozial oder auch
geograsch benachteiligter Gruppen sowie von Personen mit niedrigen Basisqua li-
kationen. Ziel ist es, eine integrative Gesellscha zu schaen, die allen Menschen
gleiche Zugangschancen zum Lernen und analoge Möglichkeiten der Teilnahme
an akademischen Lernangeboten bietet.
Die demograsche Entwicklung hat zur Folge, dass alle Menschen im erwerbs-
fähigen Alter wiederkehrende Bildungsphasen durchlaufen müssen, um das erfor-
derliche hohe Qualikationsniveau aufrechtzuerhalten. Vor dem Hintergrund der
internationalen Migrationsströme müssen bei der Entwicklung von Konzepten des
LLL auch die Bedürfnisse unterschiedlicher Kulturen mit berücksichtig werden.
Die Entwicklung hin zu einer wissensbasierten Wirtscha stellt zudem immer
komplexere Anforderungen an die Arbeitskräe. Hochschulen haben sich dieser
Aufgabe in den vergangenen Jahren durch einen verhaltenen Auau an Kapazitäten
im Bereich der wissenschalichen Weiterbildung gestellt. Jedoch zeichnet sich ab,
dass dies nicht ausreicht.
Es geht bei der zukünigen Relevanz lebensbegleitender akademischer Bildung
nicht (nur) um die Teilna hme an einer Weiterbildung, um Beschäigungsfähigkeit
dort wiederherzustellen wo sie abhandengekommen ist oder lediglich aufrechtzu-
erhalten. Es geht vielmehr darum, einen Paradigmenwechsel in der akademischen
Bildung vorzunehmen, der Hochschulbildung nicht mehr a ls Vorbereitungsmodell
versteht, sondern der Hochschulbildung als ständig andauernde Bildungsaktivität auf
Hochschulbildungsniveau gestaltet. Sowohl die organisatorischen Voraussetzungen
für die Ausgestaltung eines solchen neuen Paradigmas sind an Hochschulen nicht
vorhanden und auch gesetzlich derzeit nicht abbildbar als auch die pädagogisch
und kapazitären Voraussetzungen. In Anlehnung an Jochen Robes (2016) könnte
eine Liste an Eckpunkten für eine zukünige Hochschule lebensbegleitender
akademischer Bildung wie folgt aussehen:
1. Hochschulen nutzen alle Chancen der Digitalisierung, die sich in Verwaltung,
Lehre und Forschung bieten. Lehre und Lernen nden nicht nur im Hörsaal
oder Seminarraum statt, sondern schöpfen die Möglichkeiten aus, die das Netz
256 C 2 Lernen, Lehren und Forschen neu denken
heute bietet, um zu informieren, zu diskutieren, zu publizieren und zusam-
menzuarbeiten.
2. Die LLL-Hochschule ist durchlässiger: Sie ist eine öentliche Hochschule, die
dank innovativer Netztechnologien interessierte Bürgerinnen und Bürger,
Arbeitgebende sowie andere Hochschulen, andere Bildungsinstitutionen und
Lehrende in ihre eigenen Lehr- und Lernangebote sowie Forschungsprojekte
einbindet. Massive Open Online Courses (MOOCs) und Open Educational
Resources (OER) sind Teil dieser Entwicklung.
3. Die LLL-Hochschule stellt die Vermittlung des persönlichen Wissensmanage-
ments als Kernkompetenz des LLL in den Mittelpunkt akademischer Bildung.
Persönliches Wissensmanagement, das heißt: Informationen nden, bewerten
und einordnen, selbst neue Inhalte entwerfen, Informationen und Ergebnisse
weitergeben und schließlich sich vernetzen, nicht nur, aber vor allem im vir-
tuellen Raum.
4.
Die LLL-Hochschule ist nicht nur in einer bestimmten, zeitlich befristeten
Phase der Ausbildung der Dreh- und Angelpunkt der Interessen Studierender,
sondern sie begleitet auch nach Beendigung eines Erststudiums weiter. Als
Bildungspartner, als Netzwerk, als Informationsressource.
5.
Die LLL-Hochschule ist eine Organisation, die auf jeder Ebene – von der Hoch-
schulleitung bis zu den einzelnen Lehrstühlen und Lehrenden – die Idee der
Vernetzung aktiv vorantreibt. Sie önet Studierenden, Lehrenden, Forschenden
und allen Interessierten Räume, um sich auszutauschen; bevor nur noch Google,
Apple und LinkedIn den Takt vorgeben.44
C 2.3.6 Verzahnung und Integration von Praxiserfahrungen
Wie kann die Hochschule der Zukun digitale Medien nutzen, um das Studium
an verschiedenen Orten, arbeitsplatznahes Lernen und praxisintegriertes Studie-
ren zu ermöglichen? Bedingt durch mehr lebensbegleitende Bildung wird auch
die berufsbegleitende und arbeitsplatznahe akademische Bildung einen höheren
Stellenwert erhalten. Insgesamt ist davon auszugehen, dass arbeitsplatznahe aka-
demische Bildung an Relevanz gewinnt und eine wesentlichen Strukturmerkmal
zuküniger Hochschulangebote darstellt.
44 Li nkedIn hat mit dem Er werb der Skill-Ana lyse Plattform bright.com sowie dem Inter-
netvideo-Lernportal Ly nda und der Entwick lung des sog. „StudyPath Explorer“ bereits
heute eine Mögl ichkeit geschaen, wie Lin kedIn Mitglieder lebensla nge und passgenaue
Qualikationen für ihre jeweiligen Ziele erhalten können.
C 2.3 Eckpfeiler der Hochschule der Zukunft 257
257
In praxisintegrierten, praxisna hen oder dualen Studiengängen können digita le
Medien genutzt werden, um die dann in der Regel vorhandenen zwei Lernorte – den
Lernort Arbeitsplatz und den Lernort Hochschule – miteina nder zu vernetzen. Dabei
eignen sich beispielsweise Kursformate, die es den Studierenden ermöglichen, auf
Inhalte, die sie für Projekt- und Forschungsarbeiten, die am Praxislernort ange-
fertigt werden, zuzugreifen, oder auch das Konzept des reexiven Schreibens von
Lerntagebüchern für Explorations- und Reexionsaufgaben, die die Studierenden
während der Studienphase an der Hochschule anhand von theoretischen Konzepten
erarbeiten, und die am Lernort Praxis durchgeführt werden sollen.
C 2.3.7 Von der Abschottung zur Durchlässigkeit
Wie können Hochschulen sich noch mehr für alternative Zielgruppen önen und
Anschlussfähigkeit und Durchlässigkeit mit verschiedenen Bildungssek toren erhöhen?
Hochschulbildungssysteme werden durch alternativen Studienverläufe zunehmend
oen und durchlässig – so formulieren es die befragten Expertinnen und Experten
der internationalen Delphi-Befragung mit großer Übereinstimmung (M = 3,95, SD =
0,82, A = 81,8 %, N = 44). Die bislang existierenden und geltenden Grenzen zwischen
Schule, Berufsausbildung und Hochschule werden zukünig stärker verschwimmen
und eine erhöhte Durchlässigkeit wird von hoher Bedeutung sein.
Abb. 47 Geschätzte Zeitdauer für die zunehmende Wichtigkeit für die Oenheit von
Hochschulen für alternative Studienverläufe (N = 38)
Die befragten Expertinnen und Experten schätzen den Zeitraum, in dem diese
Entwicklung realisiert wird zwischen fünf und zehn Jahren ein (siehe Abbildung
47). Ziel wird es dabei sein, ein durchlässiges Kontinuum zwischen den Bildungs-
bereichen Schule, Berufsausbildung und Hochschule und den jeweiligen anschluss-
fähigen Bildungsniveaus der nationalen und Europäischen Qualikationsrahmen
258 C 2 Lernen, Lehren und Forschen neu denken
zu schaen. Diese Entwicklung wird insbesondere durch die Notwendigkeit
verstärkter lebensbegleitender Bildung gefördert werden. Denn neben der Steige-
rung der individuellen Lernbereitscha gilt dabei das Ziel, die mehr oder minder
bestehende Versäulung des Bildungssystems aufzulösen, um die Flexibilisierung der
individuellen Lernbiographien zu ermöglichen (Bohlinger & Heidecke 2009: 454).
Die Forderung nach systemübergreifenden und durchlässigen Lernwegen steht im
Widerspruch zu einem hochgradig segmentierten Bildungssystem, was den Indivi-
duen omals eine endgültige und schwerlich zu korrigierender Entscheidung über
eine beruich-betriebliche oder akademische Qualizierungskarriere abverlangt.
Die bislang tradierten institutionalisierten Abschottungsmechanismen zwischen
Berufsbildungs- und Hochschulsystem bergen für die Zukun Probleme, denn nach
einschlägigen Prognosen wird ein Ma ngel an akademisch qualizierten Fachkräen
erwartet (Nickel & Leusing 2009: 19), der die Relevanz des Lernortes Hochschule
explizit unterstreicht. Da nicht alle diejenigen, die zukünig studieren wollen
auch eine allgemeine oder gebundene Hochschulzugangsberechtigung besitzen,
steht auch das ema der Etablierung exiblerer Übergangspassagen zwischen
Berufs- und Hochschulbildung, und zwar jenseits formaler Berechtigungen, ganz
oben auf der politischen Agenda (KMK 2009a / 2009b). Die Realisierung durch-
lässiger und lebenslanger Lernmöglichkeiten in der Hochschule vollzieht sich auf
unterschiedlichen Gestaltungsebenen – ausgehend von einer Erweiterung auf
verschiedene Zielgruppen in Verbindung mit bildungspolitischen Perspektiven,
um eine Verbreiterung der Zugangswege auch für nicht-traditionelle Studierende
mittels Anrechnungsverfahren zu ermöglichen.
Die Önung der Hochschulen für immer mehr junge Menschen eines Jahr-
gangs führt automatisch dazu, dass auch nicht-traditionelle Zielgruppen an die
Hochschule strömen und erhöht die Diversität der Lebenslagen, in denen Men-
schen sich akademischer Bildung zuwenden. Das stellt für Hochschulen eine
Herausforderung in Bezug auf den Studienerfolg dar. Gerade in den mathematisch
naturwissenschalichen Studienfächern sind Hochschulen häug mit mathema-
tischen Eingangsqualikationen der Studienanfängerinnen und Studienanfänger
konfrontiert, die nicht ausreichen, um die Studieneingangsphase erfolgreich zu
überstehen (Heublein et al. 2014). Mehr und mehr Hochschulen experimentieren
nun mit Onlinekursen, die die Studierenden bereits im Vorfeld zum Studium
belegen und die ihnen die Möglichkeit geben, sich in den notwendigen Bereichen
das entsprechende Qualikationsniveau zu erarbeiten.45
45 Das EU Projekt „OER Test“ hat die hierbei denkbaren Möglichkeiten aufgea rbeitet und
publizier t: https://oerknowledgecloud.org/sites/oerknowledgecloud.org /les/Open-Le-
arning-Recognition.pdf.
C 2.4 Zusammenfassung 259
259
Eine weitere Möglichkeit, eher zur Unterstützung der Önung von Hochschulen
auch für nicht-traditionelle Zielgruppen, sind sogenannte Brückenkurse, die mit
Äquivalenzprüfungen gekoppelt werden können. Wollen beispielsweise Berufstä-
tige mit langer Berufspraxis wieder ins Studium zurück, bietet es sich an, sie mit
Onboarding Kursen, Propädeutika oder ähnlich zu unterstützen, um wieder in ein
akademisches Studium hineinzukommen – und zwar ohne, dass sie regelmäßig
bereits in Präsenzkurse an die Hochschule kommen müssen.
C 2.4 Zusammenfassung: Die Zukunft der Hochschulen
kommt schneller als gedacht
C 2.4 Zusammenfassung
Viele Universitäten haben sich bereits auf den Weg in die Zukun gemacht.
Dabei werden die im Beitrag beschriebenen zwei Haupteinussfaktoren, die Di-
gitalisierung und die zunehmende Bedeutung von akademischer Qualikation
als normalbiographische Erfahrung, so wirken, dass akademische Bildung sich
in Organisation, Didaktik, Prol und institutioneller Ausrichtung weiterent-
wickeln muss. Digitalisierung ist dabei kein Allheilmittel für Hochschulen und
die hochschuldidaktische Gestaltung. Aber Hochschulbildung digital hat das
Potenzial die Transformation der Hochschule in Bezug auf ihre gesellschali-
chen Anforderungen zu unterstützen. Hochschulen stehen daher heute mehr
denn je vor einer Gestaltungsaufgabe, digitalen Medien sinnvoll zu integrieren.
Hochschulen sind zu Reallaboren geworden, in denen mutige Konzeptionen
entwickelt werden. Digitalisierung wird dabei meistens als Didaktisierung erlebt,
denn mit dem Einsatz von neuen Medien stellen sich lernorganisatorische und
didaktische Fragen (endlich) wieder neu. Es sind digitale Medien, die o zunächst
erst sichtbar machen, dass das Ideal der Universitas im Hochschulalltag nicht gelebt
wird. Die NextSkills Initiative bietet konkrete Ansatzpunkte für die Entwicklung
der Hochschule der Zukun (siehe Abbildung 48).
Zusätzlich bieten immer mehr Hochschulen ihren Studierenden an, sie in der Studie-
neingangsphase bei der St udienorganisation und ihren mathematischen Kompetenz en
zu unterstützen: http://www.optes.de
260 C 2 Lernen, Lehren und Forschen neu denken
Abb. 48 Entwicklungsgeschwindigkeit für ausgewählte Hochschulentwicklungen
C 2.4 Zusammenfassung 261
261
Insgesamt drückte das internationale Expert(inn)ensample seine Zustimmung zu
den obigen Aussagen aus (alle Mittelwerte bewegten sich zwischen 3,54 und 4,19).
Am wenigsten Zustimmung ergab sich für die Aussage, Microcredentials würden
die traditionellen Formen der Zertizierung eines gesamten Studienabschlusses
ersetzen (M = 3,54, SD = 1,10). Dagegen wurden folgende Elemente als charakte-
ristische Faktoren für die Zukun der Hochschulbildung eingeschätzt: erstens,
die Wichtigkeit von Future Skills (M = 4,19, SD = 0,71) sowie zweitens, eine damit
einhergehende und not wendige Anpassu ng entsprechender Qualitätsstandards um
sicherzustellen, dass die Employability der Studierenden weiterhin gewährleistet
bliebe (M = 4,15, SD = 0,82) und drittens, ein erhöhtes Maß an Diversität und Per-
meabilität im Hinblick auf die Hochschulen, wodurch sich der Weg für alternative
Studienverläufe und non-traditionale Studierendengruppen ebnen würde (M =
4,00, SD = 0,84). Um Future Skills in Hochschulen ausbilden zu können, verwiesen
die Befragten des Delphis auf die Wichtigkeit, Lehrpersonal entsprechend auszu-
bilden. Nur wenn Lehrende dazu in der Lage sind, die richtigen Lehrmethoden
einzusetzen, sei es nach Expert(inn)enmeinung möglich, diese Skills auch bei den
Studierenden auszubilden. Obwohl die Expertinnen und Experten die Rolle der
Qualitätsstandards als Treiber des Wandels kritisierten, stimmten sie dennoch
generell zu, dass es nötig sei, diese im Hinblick auf die neuen Anforderungen für
Studierende entsprechend anzupassen. Die zunehmende Oenheit der Hochschu-
len wurde als gewinnbringend für die ganze Gesellscha eingeschätzt; jedoch
äußerten die befragten Expertinnen und Experten auch hier Bedenken, inwieweit
Hochschulen schon in der Lage seien, sich einem solchen Wandel zu unterziehen
und ob die Veränderungen tatsächlich das Potential hätten, soziale Dierenzen
auszugleichen oder diese zumindest zu verringern.
Darüber hinaus identizierten die Expertinnen und Experten fünf Faktoren,
welche sie als bereits jetzt schon hoch relevant für die Organisation der Hochschul-
bildung erachteten.
46
Hierbei handelte es sich um die Bewertung des Lernens um des
Lernens Willen (formative Bewertung), das institutionelle Hochschul-Patchwork,
Peer-Evaluation und -Validierung sowie alternative Studienverläufe.
Dem internationalen Expert(inn)ensample zufolge, werden voraussichtlich
bereits in den nächsten fünf Jahren vor allem zwei Tendenzen die Funktionsweise
von Hochschulen verändern: ein gewandeltes Verständnis von Hochschulen als
transfer-orientierten Orten anstelle deren momentanem Fokus auf Fachwissens-
vermittlung sowie auf micro-credentialing beruhenden Qualikationsnachweisen.
Auch die Fähigkeit von Studierenden, sich in komplexen, unbekannten Zukuns-
46 „Already relevant“ erhielt die meisten Stimmen für diesen Faktor, wurde hierfür als
Bemessungsgrundlage verwendet.
262 C 2 Lernen, Lehren und Forschen neu denken
kontexten zurechtnden zu können als richtungsweisender Faktor für künige
Hochschulbildung wird – so die Meinung der Expertinnen und Experten – bereits
auf kurze Sicht (in den nächsten fünf Jahren) relevant werden.
Als mittelfristig relevant werdend identizierte das Sample den Wandel hin zu
sozio-konstruktiven Ansätzen für Hochschullernen und einen uideren Weg der
Studierenden zwischen einzelnen Institutionen während ihres Studienverlaufs.
Letzteres wird durch die Anerkennung von bereits erbrachten Studienleistungen
und vorhandenen Kompetenzen erleichtert. Obwohl der Sample-Mittelwert darauf
hindeutet, dass diese beiden letztgenannten Trends erst in den kommenden zehn
Jahren relevant sein werden, weißt die Bet rachtung der Sample-Mehrheit in beiden
Fällen allerdings darauf hin, dass beide Faktoren bereits heute relevant sind.
263
C 3
Vier Szenarien für die Hochschule
der Zukunft
C 3 Vier Szenarien für die Hochschule der Zukunft
Im vorangegangenen Kapitel (Kapitel C.1) haben wir gezeigt, welche Einussfaktoren
sich Hochschulen heute gegenübersehen. Aus den genannten Faktoren konnten in
den Interviewdaten der NextSkills Studie Hinweise rekonstruiert werden, die auf vier
Entwick lungsstränge hindeuten, die dominant auf die zukünige Entwicklung von
Hochschulen wirken werden (Kapitel C 3.1 Entwicklungsrahmen für die Hochschule
der Zukun: Vier Säulen f ür den Hochschulwandel). Diese wurden im Rahmen des
NextSkills Delphi Expertinnen und Experten vorgeleg t, um sie diskursiv va lidieren
zu lassen. Dabei wurden die Expertinnen und Experten gebeten, zwei Dinge zu tun:
Zum einen sollten sie einschätzen, wie sie die Relevanz der jeweils formulierten
Einussfaktoren bewerteten. Zum anderen sollten sie auch die sogenannte time to
adoption einschätzen, also die Zeitspanne, in der aus ihrer Sicht die Einussfaktoren
in den Hochschulen tatsächlich Gestalt annähmen und umgesetzt werden würden.
Den Befragten wurden auf Basis dieser Einussfaktoren zusätzlich noch vier
Zukunsszena rien vorgelegt. Diese wurden auf der Grundlage eines Basisszenarios
konstruiert (Business as usual Szenario) welches in jedem Szenario dann um die
Annahme der Realisierung eines der vier Einussfaktoren erweitert wurde.
C 3.1 Entwicklungsrahmen für die Hochschule der Zukunft:
Vier Säulen für den Hochschulwandel
C 3.1 Entwicklungsrahmen für die Hochschule der Zukunft
Die Studienergebnisse weisen auf vier verschiedene Einussfaktoren hin, die im
Folgenden als die ulen des Wandels in der Hochschulbildung bezeichnet werden.
Die Verwendung des Begris Säulen ist durchaus im Sinne einer raumarchitekto-
nischen Metapher gemeint, die ausdrücken soll, dass hier ein Raum aufgespannt
wird, in welchem sich Hochschulbildung in den nächsten zehn bis fünfzehn Jah-
ren entwickeln wird (siehe Abbildung 49). Die Identikation dieser Faktoren ist
© Der/die Autor(en) 2020
U.-D. Ehlers, Future Skills, Zukunft der Hochschulbildung – Future
Higher Education, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29297-3_13
264 C 3 Vier Szenarien für die Hochschule der Zukunft
Abb. 49 Der vier Säulenraum des Delphis für die zukünige Entwick lung der
Hochschulbildung mit Zustimmungswerten des Samples47 (N = 46)
methodisch der erste Schritt im Rahmen einer Szenariomethode, in der dann in
Kapitel C 3.2 Szenarien für die Hochschulentwicklung identiziert werden. Zwar
ist es nicht möglich Umfang, Intensität und Geschwindigkeit des Wandels exakt
einzugrenzen, jedoch kann so über die Gestalt des Wandels Auskun gegeben
werden. Für die nachfolgend dargestellten vier Säulen des Wandels ergaben sich
hohe Zustimmungswerte (siehe Prozentwerte innerhalb der Säulen).
Das Delphiverfahren erlaubt es als expertenorientiertes konsensuales Ver-
fahren, dass Expertinnen und Experten zunächst in der ersten Delphirunde die
Formulierungen anpassten und Bestandteile hinzufügten oder änderten sowie
Gewichtungen der Formulierungen veränderten. Sie konnten ihre Zustimmung zu
den vier Faktoren auf einer fünf-stugen Likert-Skala angeben, die zwischen den
beiden Polen 1 = „starke Ablehnung“ und 5 = „starke Zustimmung“ rangier te. Für
den Fall, dass sie einen Faktor kommentieren wollten – zum Beispiel zum Zweck
47 Der Zustimmungswer t A (für Agreement index) gibt den prozentualen Anteil derjenigen
an, die mit 4 oder 5 (Zustimmung bzw. starke Zustimmung) auf der 5-stugen Likert
Skala geantwortet haben.
C 3.1 Entwicklungsrahmen für die Hochschule der Zukunft 265
265
der Item-Reformulierung oder als Spezikation/ Erklärung für ihr Antwortver-
halten – wurde ein separates Kommentarfeld zur Verfügung gestellt. Auf diese
Weise konnten etwa 26 Hinweise und Kommentare gesammelt werden, mit der
die Formulierungstiefe und -reichweite verbessert werden konnte. In der zweiten
Runde wurden diese genaueren Formulierungen dann noch einmal von allen teil-
nehmenden Expertinnen und Experten hinsichtlich der Zeitspanne eingeschätzt,
in der diese Einussfaktoren in der Hochschule umgesetzt werden würden. Im
Folgenden werden diese als die tragenden Säulen beschrieben, die den Entwick-
lungsraum für die zukünige Hochschulbildung aufspannen (siehe Abbildung 49).
Die hier genutzte architektonische Metapher eines Entwicklungsraumes verweist
explizit darauf, dass es ein Zusammenspiel aller vier Faktoren sein wird, welches
die Gestalt der zukünigen Hochschulprole bestimmen wird.
C 3.1.1 S äule 1: Future Skills Fokus
Ein auommender Future Skills-Fokus verändert d en in der Hoch-
schulbildung bislang geläugen Fokus der Wissensvermittlung
zugunsten eines „next mode“ des Studierens.
Faktor 1 zufolge wird sich der Fokus in der Hochschulbildung auf Future Skills ver-
lagern, was zu einem radikalen Wandel der bisherigen Denition der Attribute von
Absolventinnen und Absolventen führen wird. Dieser Wandel beinhaltet, dass sich
der momentane Fokus in der Hochschulbildung von akademischem und validem
Fachwissen (Lernen wird als Mittel verstanden, um richtige Antworten auf bekannte
Fragestellungen geben zu können) zugunsten eines next modes des Studierens wan-
deln würde. Lernen wird in diesem next mode als Anwendung und Reexion über
Wissen und als kreatives Entwickeln von neuem Wissen verstanden, was an die Stelle
des Auswendiglernens von Fachwissen tritt. Um dies zu unterstützen, kämen neue
Lehr- und Lernmethoden zur Anwendung, welche auf die Entwicklung von Future
Skills abzielten. Das internationale Delphi-Panel stimmte diesem Faktor generell
zu (M = 3,81, SD = 1,22, A
Fac to r1
= 76,1 %).
48
Dank der qualitativen Kommentare der
48 A Factor 1 bezeichnet die Zustimmung (A=Agreement) zu Faktor 1 und gibt den pro-
zentua len Anteil derjenigen a n, die mit 4 oder 5 (Zusti mmung bzw. starke Zustimmung)
auf der 5-stugen Likert Skala geantwortet haben.
266 C 3 Vier Szenarien für die Hochschule der Zukunft
Expertinnen und Experten konnte die Beschreibung des Faktors weiter in Richtung
einer klareren und stärkeren Vision von Future Skills und Lernen verfeinert werden.
Unter anderem zeigte sich, dass Future Skills und Wissen nicht als opponierende
Bestandteile von Hochschulbildung wahrgenommen werden, sondern vielmehr
aufeinander auauen. Dabei stellt Wissen die Basis für Future Skills dar, reicht
alleine aber nicht mehr aus. Das Expert(inn)engremium verwendete Begrie wie
„specialized knowledge“ (spezialisiertes Wissen) oder „knowledge mode 2“ (Wis-
sensmodus 2) als semantische Marker, um darauf hinzuweisen, dass ein Konzept f ür
„next knowledge“ unabdingbar sei. Diese Konzepte können zu Gibbons et a l. (1994)
in Bezug gesetzt werden, die in diesem Kontext von neuer und gemeinschalicher
Wissens-produktion sprechen. Die Befragten gaben in einigen Fällen außerdem
an, dass ein verstärkter Fokus auf Future Skills keine Zukunsvision mehr sei,
sondern in einigen Institutionen bereits zum festen Agenda-Bestandteil gehöre.
Die Meinungen der Expertinnen und Experten zeichnen eine Fokusverschiebung
nicht nur in Richtung eines verä nderten Stel lenwerts von Fachwissen nach, sondern
zeigen außerdem die Wichtigkeit derjenigen Fähigkeiten auf, die hier als Future
Skills bezeichnet werden. Während die Richtung u nd das Konzept der dargestellten
Entwick lung sich in den Meinungen des Gremiums von Expertinnen und Experten
klar abzeichnen, muss dennoch festgehalten werden, dass ein Future Skills Fokus
nicht generalisierend für alle (Arten von) Hochschulen, Fakultäten, Fächer und
Studienabschlüsse (Bachelor und Master) gleichermaßen erfolgskritisch sein wird.
Future Skills: Geschätzte Zeitdauer für den Wandel
Interessanterweise zeigte sich aus den Daten, dass der prognostizierte Wandel in
Richtung eines stärkeren Fokussierens auf Future Skills in Hochschulen (Faktor 1)
sich nach mehrheitlicher Meinung des internationalen Gremiums (35,0 %) bereits
vollziehe. Autonome Lernkompetenz, Selbstorganisationskompetenz, Anwenden
von und Reexion über Fachwissen sowie Kreativität und Innovation seien bereits
wichtige Bestandteile einer akademischen Ausbildung in vielen Hochschulen. Für
diesen next mode des Studierens geht das Sample von Expertinnen und Experten
davon aus, dass er nach und nach den reduzierten/ eingeschränkten Fokus auf
akademischen Wissenserwerb (mit dem Ziel durch ein xes Curriculum für ein
bestimmtes Berufsfeld auszubilden) ersetzen wird. Abbildung 50 zeigt, dass die
verbleibenden 65 Prozent davon ausgehen, dass die Wichtigkeit dieses Fak tors sich
in den kommenden Jahren und Jahrzehnten erhöhen wird.
C 3.1 Entwicklungsrahmen für die Hochschule der Zukunft 267
267
Abb. 50 Geschätzte Zeitdauer für die zunehmende Wichtigkeit eines Future Skills Fokus
für Hochschulbildung (N = 40)49
C 3.1.2 Säule 2: Multi-institutionelle Studienverläufe
Hochschulbildung bewegt sich zunehmend von einem ‚ein-insti-
tutionellen hin zu einem ‚multi-institutionellen Modell, in dem
sich mehrere Institutionen zu Hochschulbildung vermittelnden
Allianzen verbinden.
Dem zweiten Faktor zufolge entwickelt sich Hochschulbildung zu einer multi-
institutionellen Studienerfahrung. Damit ist gemeint, dass Hochschulbildung
tendenziell mit dem momentanen Ein-Institutionen-Modell brechen würde und
sich stattdessen für Kooperationen mit anderen Institutionen in einem Allian-
zen-Netzwerk önen würde. Der Mittelwert von 3,72 (SD = 1,12, AFactor2 = 63,0 %)
zeigt, dass das internationale Gremium von Expertinnen und Experten diesem
Konzept generell zustimmt. Sie verweisen jedoch darauf, dass Studienverläufe, die
sich über die institutionellen Grenzen hinweg erstrecken, eine fundiertere Praxis im
Umgang mit der Anerkennung von bereits erbrachten Studienleistungen bedür en.
Studierende würden in solch einem Setting ihre persönlichen Präferenzen der
Reputation, Qualität und dem Angebot der Hochschulen entsprechend zwischen
verschiedenen Institutionen wechseln. Kleinere oder größere Teile des Curricu lums
würden auf unterschiedliche Institutionen aufgeteilt, was eine Patchwork-artige,
multi-institutionelle Studienorganisation bedeutete.
Während der Aspekt des Punktetransfers in den Bologna Unterzeichnerländern
zumindest konzeptionell bereits real ist, herrscht auf institutioneller Ebene bislang
49 Anmerkung: In dieser und den folgenden Abbildungen kann es vorkommen, dass sich
die Prozent werte aufgru nd von Rundungsfehlern zu meh r als 100 Prozent aufsu mmieren.
268 C 3 Vier Szenarien für die Hochschule der Zukunft
noch mangelnde Praktikabilität diesbezüglich. Es zeigt sich, dass Fernhochschulen
in diesem Punkt auf einen erheblich größeren Erfahrungsschatz zurückgreifen
können, als die traditionellen Institutionen. Ein Delphi-Teilnehmer gab beispiels-
weise an, dass Studierende in Kanada bereits die Möglichkeit hätten, ihre Punkte
zwischen Bildungsinstitutionen zu transferieren, wobei er die Vorreiterrolle der
Canadian Virtual University besonders hervorhob. Zwei weitere Befragte erklärten,
dass sich dieser Trend auch am Wahlverhalten der Studierenden im Hinblick auf
die ausgesuchte Hochschule zeige: Studierende schrieben sich so beispielsweise für
einen Bachelor-Studiengang an einer Hochschule ein, um dann im Anschluss für
ihren Master eine andere Institution zu wählen. Erasmus mundus bietet beispiels-
weise einen gemeinsamen Masterabschluss an und organisiert die akademische
Ausbildung der Studierenden als integrierten, internationalen Studiengang, der
von einem Konsortium verschiedener Hochschulen bereitgestellt wird. Dieses
Programm wurde vom Sample der Expertinnen und Experten ebenfalls als be-
reits existierendes Beispiel für die zunehmende Wichtigkeit multi-institutioneller
Studienwege genannt. Ein Befragter spekulierte zudem, ob nicht das Internet als
zusätzliche Quelle der Wissensgenerierung und -bereitstellung an die Stelle eines
multi-institutionellen Netzwerks von Hochschulen treten könnte.
Während diese Beispiele demonstrieren, dass es bereits erste Evidenzen für
multi-institutionelle Ansätze in der Hochschulbildung gibt, gaben drei Expertinnen
und Experten an, dass dieser Trend ihrer Meinung nach erst in den nächsten fünf
bis zehn Jahren real werden würde, stimmten dem generellen Trend hin zu dieser
alternativen Form des Studienverlaufs jedoch zu.
Zudem versuchten die Expertinnen und Experten Gründe dafür zu identi-
zieren, warum Hochschulen in diese Art der Netzwerk-Organisation einsteigen
sollten. Beispielsweise wurde ein Vorteil insbesondere für kleinere, spezialisierte
Institutionen angeführt. Einer ähnlichen Argumentation folgend, äußer te sich einer
der Experten kritisch im Hinblick auf die Bereitscha großer Universitäten (wie
beispielsweise die US-amerikanischen Ivy League Colleges) in solchen multi-insti-
tutionellen Arrangements zu partizipieren. Dies – so die Argumentation – könnte
ihrem starken Markennamen schaden. Neben dem jeweiligen Charakter der unter
-
schiedlichen Hochschulen und Hochschularten wurden außerdem regulatorische
und ökonomische Rahmenbedingungen diskutier t, die entweder als ermöglichen-
de oder beschränkende Bedingungen für die Formierung multi-institutioneller
Netzwerke fungieren könnten. Zwei weitere Stimmen des Samples identizierten
die Studierenden als Schlüsseleinussgröße, von der es abhängen werde, ob und
in wie weit sich dieser Faktor in zukünigen Bildungsszenarien verankern würde.
C 3.1 Entwicklungsrahmen für die Hochschule der Zukunft 269
269
Multi-institutionelle Studienverläufe: Geschätzte Zeitdauer
für den Wandel
Der zweite Faktor multi-institutionelle Studienverläufe wird laut Einschätzungen der
Expertinnen und Experten in den nächsten fünf (30,8 %) bis zehn Jahren (30,8 %)
an Wichtigkeit in Hochschulen gewinnen (siehe Abbildung 51). Voraussetzung
hierfür ist die oben schon angeführte Entwicklung von umfassenden Regeln und
Erfahrungen für die Pra xis im Umgang mit der Anerkennung von bereits erbrachten
Studienleistungen. Kleinere oder größere Teile des Curriculums w ürden auf unter-
schied liche Institutionen aufgeteilt, was eine Patchwork-artige, multi-institutionelle
Studienorganisation bedeutete.
Während der Bologna-Prozess und europäische Qua likations-Rahmenpläne eine
erste solide Basis für multi-institutionelle Allianzen im Hochschulsektor geschaen
haben, ist die gegenseitige Anerkennung von Punkten, die nicht in der eigenen
Hochschule erworben wurden, noch lange nicht Realität geworden – diese Position
zeigt sich auch in den qualitativen Kommentaren der Expertinnen und Experten.
Trotz der systemischen Natur dieses Faktors und der Tatsache, dass Hochschulen
grenzspannende Transfersysteme, portable Punkte und gegenseitig verständliche
und vertrauenswürdige Formate akademischer Leistungsnachweise entwickeln
werden müssen, wird dieser Trend nach Schätzungen des Samples der Expertinnen
und Experten in den kommenden fünf bis zehn Jahren prominenter werden.
Abb . 51 Geschätzte Zeitdauer für die zunehmende Wichtigkeit multi-institutioneller
Studienverläufe (N = 39)
270 C 3 Vier Szenarien für die Hochschule der Zukunft
C 3.1.3 Säule 3: Personalisierung akademischen Lernens
Die Studiengangscurricula entwickeln sich von einer gänzlich vor-
denierten und von vornherein gegebenen Struktur hin zu einem
exibleren, personalisierten und partizipativen Modell, in dem
Studiere nde mit ihren Professor innen und Professore n, Lehrenden,
Ratgeberinnen und Ratgebern zur gemeinsamen Curricula-Ent-
wicklung kooperieren.
Die Rolle der Studierenden wurde in Form eines dritten Faktors näher untersucht.
Studierende würden künig ihre eigenen, personalisierten Curricula in Zusammen-
arbeit mit den Lehrenden sowie Professorinnen und Professoren erstellen. Dies w ürde
in der Konsequenz zu einer signikanten Diversizierung der Studiengangsoptionen
führen. Zusätzlich hierzu würde eine Verschiebung in Richtung personalisierter
Curricula zu einer Abkehr von der vordenierten up-front-gegebenen Struktur füh-
ren, an deren Stelle ein partizipatives, personalisiertes Modell treten würde, in dem
Studierende und Lehrpersona l miteinander kollaborier ten, um gemeinsam Curricula
für Studiengänge zu entwerfen. Die Zustimmung zu diesem Faktor war ähnlich hoch
wie für die anderen Faktoren (M = 3,68, SD = 0,98; A
Fact or3
= 54,4 %). Die meisten der
kritischen Kommentare, die sich als Hindernisse für die Entwicklung in Richtung
personalisierter Curricu la erweisen würden, sahen die Expertinnen und Experten in
institutioneller Resistenz begründet. Als weiteren Aspekt nannte das Gremium der
Expertinnen und Experten die Fähigkeiten der Studierenden, selbst tätig werden zu
müssen, um den Umgang mit dieser gesteigerten Wahlfreiheit überhaupt bewältigen
und davon protieren zu können. Darüber hinaus ergaben sich Fragen bezüglich a ka-
demischer Qualitätskonzepte für diese Ar t der personalisierten künigen Studienmodi.
In Bezug auf die Hochschulen sahen die Expertinnen und Ex perten einen hohen
Bedarf für kulturellen Wandel, der sich entlang eines verstärkt bildungsorientierten
Blickwinkels orientieren müsse. Obwohl die Sample-Mehrheit zustimmte, dass es
für Studierende wünschenswert sei, sich ihre eigenen Curricula zu designen und
mehr Wahlfreiheit zu haben, sprachen sich die Expertinnen und Experten aber
auch für durch die Institutionen zu gewährleistende Sicherheitsnetze aus.
So geht der Grad an Personalisierung mit einem zu erhöhenden Angebot an Coa-
ching und Unterstützung der Studierenden einher, um ihnen bei der Entwicklung
ihrer eigenen akademischen Strukturen zu helfen und sie zu autonomen Lernenden
zu entwickeln. Diese Fun ktion wurde als notwendig erachtet, um Lernende bei der
Reexion des Lernfortschritts zu unterstützen.
Natürlich bedarf es zur Umsetzung dieses Faktors eines radika len Paradigmen-
wandels, mit dem Institutionen und Stakeholder der Hochschulen nicht vertraut
C 3.1 Entwicklungsrahmen für die Hochschule der Zukunft 271
271
sind. Allerdings scheinen heterogenere Zielgruppen und das Hinzukommen von
nicht im traditionellen Sinn Studierenden mehr Raum für Personalisierungsmög-
lichkeiten notwendig zu machen, was sich in den hohen Zustimmungswerten der
Expertinnen und Experten zeigt, während gleichzeitig Bedenken bezüglich der
Implementierung solcher Personalisierungsmöglichkeiten auommen.
Personalisierung akademischen Lernens: Geschätzte Zeitdauer
für den Wandel
Faktor drei kann laut der OECD mit Blick auf die steigenden Studierendenzahlen in
industria lisierten Ländern als akuter Entwicklungstrend gesehen werden (Baethge
et al. 2015; Teichler 2013; OECD 2016).
Dieser Trend hätte dann zur Folge, dass diversere Zielgruppen Hochschul-
bildungsangebote wahrnähmen, deren heterogenen Anforderungen Hochschul-
bildung nachkommen müsste. Personalisierung, Studieren in unterschiedlicher
Geschwindigkeit und eine Vielzahl von Wahlmöglichkeiten für Studierende mit
unterschiedlichen Hintergründen, die sich in unterschiedlichen Lebensphasen
benden, würden nach stärker personalisierbaren Ansätzen akademischer Bildung
in Hochschulen verlangen. Es ist wahrscheinlich, dass der steigenden Zahl einer
zunehmend heterogener werdenden Gruppe von Studierenden nur mit Hilfe von
verbesserten Zielgruppen-orientierten Ansätzen begegnet werden kann. Diese
Ansätze müssten in ihrer Struktur so angepasst werden, dass sie den heterogenen
Lernbedürfnissen der Lernenden Rechnung tragen und auch sonst auf die künig
heterogener werdenden Bedürfnisse der Studierenden ausgerichtet sind.
Abb. 52 Geschätzte Zeitdauer für die zunehmende Wichtigkeit personalisierten
akademischen Lernens (N = 39)
Die Studiengangscurricula müssten sich in der Konsequenz von gänzlich vorde-
nierten und gegebenen Strukturen losmachen und sich exiblerer, personali-
sierter und partizipatorischer Modelle bedienen, in denen Studierende aktiv mit
272 C 3 Vier Szenarien für die Hochschule der Zukunft
Lehrenden, Professorinnen und Professoren, Beraterinnen und Beratern in der
Curriculum- und Studiengangsgestaltung kooperieren. Personalisierung bedeutet
dann auch, einzelne ex istierende Programme neu zusammenstellen zu können. Es
gilt, die Studierenden bei den ersten Schritten in ihrer akademischen Lauahn zu
unterstützen, ihre Mission und ihre Leidenscha zu entdecken. Und es bedeutet
größere Wahlfreiheiten bezüglich der Lerninhalte und Module zuzulassen. In
Summe läu es also auf einen Gestalte dein eigenes Curriculum-Ansatz hinaus. Die
Sample-Mehrheit gab an, dass dieser Faktor erst in den nächsten fünf (35,9 %) bis
zehn Jahren (38,5 %) Realität werden würde (siehe Abbildung 52).
C 3.1.4 Säule 4: Lebenslanges Lernen in Hochschulen
Das gegenwärtige Hochschulbildungsmodell sieht vor, Studierende
auf ihren künigen Beruf vorzubereiten. Die ses Modell wird durch
Möglichkeiten für lebenslanges Lernens komplementiert.
Die vierte Säule des Wandels baut darauf, dass lebenslanges Lernen in Hochschulen
ebenso wichtig wird wie der (momentane) Vorbereitungsmodus. Mit dem Begri
Vorbereitungsmodus wird das gegenwärtige Hochschulmodell adressiert. Dieses
Modell basiert auf der Anna hme, dass akademische Bildung dem Paradigma folgen
sollte, bestimmte Wissensbestände zu erlernen, welche später auf einen professio-
nellen Kontext angewendet werden und zur Aufgabenbearbeitung und -bewältigung
im Berufsleben benötigt werden würde. Durch sich immer schneller wandelndes
Wissen, Technologieak zeptanzraten und sich verändernde professionelle Kontexte
ist das momentane Modell jedoch zunehmend erhöhtem Druck ausgesetzt. In dem
Maße, in dem Hochschulen sich auf die Vermittlung von Wissen konzentrieren,
jedoch in professionellen Handlungskontexten vor allem Future Skills benötigt
werden, entsteht eine Klu zwischen A nforderung und Angebot. Durch schnellere
Innovationszyklen im Berufskontext zeichnet sich eine Verbreiterung dieser Klu
ab. Eine Möglichkeit dieses durch die Klu entstehende Risiko abzumildern, besteht
darin, den Fokus auf die Vermittlung von Future Skills zu verlagern, was auch das
Vermitteln von Fachwissen einschließt, jedoch darüber hinaus geht.
Lebenslanges Lernen – oder für den Hochschulkontext lebenslanges akademisches
Lernen – erlaubt es Studierenden und Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmern
gleichermaßen, sich kontinuierlich weiterzubilden und an die neuen Herausforde-
C 3.1 Entwicklungsrahmen für die Hochschule der Zukunft 273
273
rungen ihres sich wandelnden Arbeitsfelds anpassen zu können. Dieses Konzept
sollte und kann aber nicht nur aus der Perspektive eines Individuums gedacht
werden. Vielmehr wird hierdurch die Notwendigkeit für einen Paradigmenwech-
sel der Hochschulbildung aufgezeigt: Akademische Bildung sollte nicht länger als
Phase zu Beginn des Arbeitslebens gesehen, sondern als Kontinuum konstanter
biographischer Lernepisoden verstanden werden.
Bachelor- und Masterqualikationen müssen konsequenter weise dann als eine
Grundphase a m Anfang einer akademischen Lauahn stehen, mit der ein Stadium
nicht endet, sondern die nur die Fundamente für die weiteren Schritte legt, die ein
immer wieder Einsteigen und Aussteigen in die akademischen Bildungsphasen
bedeutet. Stanford nennt diese Phasen In-Loop und Out-Loop Zyklen. Transfer der
erarbeiteten Leistungspunkte, Anerkennung bereits erbrachter Leistungen (akade-
mischer und professioneller Natur), Kompatibilität unterschied licher Kompetenzen
sowie exible Verläufe würden es Individuen ermöglichen, sich ihre eigenen, indi-
viduellen lebenslangen Lernpfade selbst zu gestalten. Die Delphi-Befragten zeigten
hohe Zustimmungswerte zur Entwicklung hin zum lebenslangen akademischen
Lernen als gleichwertig zu dem derzeit vorherrschenden Vorbereitungsmodell
(M = 3,72, SD = 1,33; AFactor4 = 65,2 %) (siehe Abbildung 53).
Obwohl die meisten der Expertinnen und Experten angaben, eine Fokusver-
schiebung in Richtung lebenslanges akademisches Lernen sei durchaus wün-
schenswert, wurden doch Zweifel darüber laut, ob Hochschulen die hierfür nötigen
Veränderungen aus eigener Kra würden leisten können. Sie wiesen auch auf die
Notwendigkeit der Unterstützung durch die Hochschulgesetzgebung hin. Einige
Expertinnen und Experten gaben zudem zu bedenken, dass lebenslanges höheres
Lernen nicht notwendigerweise in der Hochschulbildung angesiedelt sein müsse,
sondern als Individualverantwortung des Individuums gegenüber sich selbst
verstanden werden müsse. Zuletzt könne nach Meinung der Befragten davon aus-
gegangen werden, dass externe Anbieter auch außerhalb der Hochschulen künig
eine wichtigere Rolle spielen würden.
Abb. 53 Geschätzte Zeitdauer für die zunehmende Wichtigkeit lebenslanger
akademischer Bildung (N = 39)
274 C 3 Vier Szenarien für die Hochschule der Zukunft
Lebenslanges Lernen in Hochschulen: Geschätzte Zeitdauer
für den Wandel
Lebenslanges höheres Lernen erfreut sich – so die Meinung der Expertinnen
und Experten – zunehmender Relevanz. Knapp ein Drittel (28,2 %) gab an, dass
lebenslanges höheres Lernen bereits jetzt in einigen Hochschulen als ebenso wich-
tig wie die akademischen Standardabschlüsse angesehen würde. Vier von zehn
Befragten glaubten dieser Trend würde erst in den nächsten fünf Jahren relevant
werden (38,5 %) und etwa ein Viertel in den nächsten zehn Jahren. Etwa ein
Viertel sprach sich dafür aus, dass dies erst in einem Zehnjahreszeitraum wichtig
werden würde. Da es sich hierbei jedoch um einen systemischen Wandel handelt,
erscheint ein Fünahreszeitraum sowohl in Hochschulen als auch für nötige
Gesetzesveränderungen kurz. Allerdings gibt es auf nationaler sowie auf europä-
ischer Ebene bereits durch Programme entwickelte Richtlinien, die den Fokus in
Bildungssystemen sehr wohl innerhalb eines Fünf- bis Zehnjahreszeitraums auf
lebenslanges höheres Lernen lenken könnten. Speziell unter den Bedingungen
schnellen Wissenswandels, hohen Technologieakzeptanzraten und einem sich rasant
wandelnden Arbeitskontext, könnte sich dieser Zeitrahmen sogar noch verkürzen.
C 3.2 Vier Szenarien für die Hochschule der Zukunft
C 3.2 Vier Szenarien für die Hochschule der Zukunf t
Das Studium ist zum Normalfal l geworden. Durch den d igitalen Wandel entstehen
völlig neue Lernwege. Das derzeit vorherrschende Modell eines d rei- bis fünährigen
Studienblocks bei nachfolgender lebensla nger Arbeitstätigkeit verliert an Relevanz.
An seine Stelle treten exiblere, o lebenslange Studienmodelle. Hochschulen,
Politik und Gesellscha müssen hierfür zusammen mit den Studierenden die
Voraussetzungen schaen und einen neuen Leitkonsens für die Hochschule der
Zukun erarbeiten. Auch die Erwartungen und Anforderungen der Studierenden
ändern sich schnell. Schon heute sind sie als Gruppe deutlich vielfältiger als es zuvor
der Fall war (siehe Kapitel C 1.3 Dritte Sekunde: Der demographische Wandel). So
verfügte im Jahr 2016 mehr als jeder füne Studierende über eine abgeschlossene
Berufsausbildung, jeder zehnte studierte trotz einer gesundheitlichen Beeinträch-
tigung und jeder fünfzigste Studierende hatte kein Abitur.
Wie die Hochschule der Zukun aussehen wird, hängt sicher von den jeweils
regional-lokalen Kontextbedingungen ab, in denen sie sich entwickeln wird. Sicher
ist, die Hochschule der Zukun wird anders aussehen als die gegenwärtige. Die
Einussfaktoren (siehe Kapitel C1) sind zu mächtig und zu vielfältig. Leitet man
ab, welche Haupteinussfaktoren sich daraus ergeben, kommt man zu den vier
C 3.2 Vier Szenarien für die Hochschule der Zukunft 275
275
Säulen des Wandels, die im vorherigen Kapitel beschrieben wurden. Sie erönen
einen Raum für künige Entwicklungen in der Hochschulbildung. Die Studiener-
fahrung wird sich in Abhängigkeit der jeweiligen Konguration und der Intensität
der Entwicklungen der vier Säulen verändern.
Im Rahmen der NextSkills Studie wurden Expertinnen und Experten vier ver-
schiedene Szenarien vorgelegt, die auf der Annahme basieren, die v ier dargestellten
Faktoren (siehe Kapitel C 3.1 Entwicklungsra hmen für die Hochschule der Zukun:
Vier Säulen für den Hochschulwandel) würden eektiv werden. Tabelle 4 zeigt die
Bedingungen der vier Szenarien auf. Diese bauen auf einem Basisszenario auf, in
welchem alle vier Säulen in geringer Intensität bereits existieren. Das abgeleitete
Basisszenario für die heutige Studienerfahrung stellt sich wie folgt dar:
Basisszenario heute: Business as usual
Hochschulbildung ist generell institutionsgebunden – Studierende schreiben sich
– für gewöhnlich direkt nach ihrem Schulabschluss an einer Institution ein, an der
sie später auch ihren Abschluss machen. Sie studieren entlang eines vordenier ten
Curriculums mit vorgegebenen Inhalten, um vorgeschriebene Lernziele zu erreichen,
die sich in der Regel aus einem bestimmten Berufsfeld oder einer Wissenschas
disziplin ableiten. Studiengänge sind dabei in einer akademischen Disziplin oder
Fakultät/ Organisationseinheit des gegenwärtigen akademischen Systems verortet.
Basierend auf dem Basiszenario in welchem die vier Faktoren nur in geringer In-
tensität aureten, wurden vier Szenarien erstellt. Ihnen liegt eine kumulative Logi k
zugrunde, jeweils im nächsten Schritt wird dem vorherigen Szenario ein weiterer
Faktor hinzugefügt. Tabelle 4 zeigt die unterschiedliche Konguration der vier
Faktoren in den Szenarien – jeweils formuliert aus Studierendenperspektive. Wie aus
der Tabelle ersichtlich, bauen die Szenarien aufeinander auf. Die Delphi-Befragten
wurden gebeten, den Grad ihrer Zustimmung zu den vorgeschlagenen Szenarien
auf einer fünf-stugen Likert-Skala anzugeben, die von starker Zustimmung (=5)
bis hin zu starker Ablehnung (=1) reichte (siehe Abbildung 54). Zusätzlich erhiel-
ten die Befragten die Möglichkeit, eine Begründung für Ihre Entscheidung oder
Anmerkungen für potentielle Reformulierungen der Szenarienbeschreibung in
einem Freitextfeld anzugeben.
276 C 3 Vier Szenarien für die Hochschule der Zukunft
Tab . 4 Methode der Szenarioformierung für die momentane und künige
Hochschulbildung aus Studierendenperspektive
Einuss-
Faktoren
Szenario:
Heute
Szenario:
Zukun 1
Szenario:
Zukun 2
Szenario:
Zukun 3
Szenario:
Zukun 4
Future
Skills
Geringe
Intensität
Hohe
Intensität
Hohe
Intensität
Hohe
Intensität
Hohe
Intensität
Multi-
institutionell
Geringe
Intensität
Geringe
Intensität
Hohe
Intensität
Hohe
Intensität
Hohe
Intensität
Personali-
sierung
Geringe
Intensität
Geringe
Intensität
Geringe
Intensität
Hohe
Intensität
Hohe
Intensität
Lebenslanges
lernen
Geringe
Intensität
Geringe
Intensität
Geringe
Intensität
Geringe
Intensität
Hohe
Intensität
In der folgenden Infogra k werden die vier Szenarien zusammenfassend dargestellt
und die Zustimmungswerte zu den Szenarien abgebildet (Abbildung 55).
C 3.2 Vier Szenarien für die Hochschule der Zukunft 277
277
Abb. 54 Überblick über die Zustimmungslevel zu und geschätzte Zeitdauer potentieller
Szenarien für Hochschulbildung aus Studierendenperspektive (NRund e1 = 46,
NRunde2 = 38)
278 C 3 Vier Szenarien für die Hochschule der Zukunft
Abb. 55 Vier Szenarien für die Hochschule der Zukun im Überblick
C 3.2 Vier Szenarien für die Hochschule der Zukunft 279
279
C 3.2.1 Sze nario 1:
Die Future Skill Universität
Szenario Nummer 1, das Future Skills Szenario, geht davon aus, dass Hochschulen
sich von ihrem momentanen Modell der Wissensvermittlung abkehren würden.
Anstelle dessen würden neue Studiengangs- und Hochschulprole entstehen, die
auf die Entwicklung von Future Skills abzielen. In diesem Szenario wäre Hoch-
schulbildung auf ein Hauptziel ausgerichtet: die Entwicklung von Future Skills zu
ermöglichen, das heißt Handlungsfähigkeit in hochemergenten Kontexten eines
möglichen zukünigen Professionsfeldes. Dies würden Wissensaneignung und
denierte Curricula für feststehende Berufsbilder zwar nicht ersetzen, aber doch
weit über sie hinausgehen. So würde der Fokus der Studierenden stattdessen auf Re-
exion über Werte und Einstellungen, Anwendung sowie der kreativen Entwicklung
neuen Wissens und a kademischer Methoden liegen. Die Hauptambition innerhalb
dieses Szenarios wäre damit, Studierende darauf vorzubereiten, in ungewisseren
und unsicheren Zukunskontexten handlungsfähig zu sein.
Die Delphi-Expertinnen und -Experten drückten hohe Zustimmung zu diesem
Szenario aus (M = 3,68, SD = 1,07, AScenario1 = 63,1 %). Future Skills werden dabei
verstanden als ein Konzept, das auf Fachwissen auaut, aber darüber hinaus
geht, um Studierenden das Erschließen höherer Lernebenen (beispielsweise auf
der Taxonomie von Bloom) zu ermöglichen, die für die künige akademische
Bildung notwendig sein werden. Die Expertinnen und Experten stimmte zu, dass
Hochschulen Lernmöglichkeiten anbieten müssten, welche auf die Entwicklung
von Future Skills abzielten. Zudem wurde jedoch angemerkt, dass die Denition
und der Umfang davon, was als Future Skills betrachtet würde, von der jeweiligen
Disziplin abhängig sei.
280 C 3 Vier Szenarien für die Hochschule der Zukunft
Abb. 56 Geschätzte Zeitdauer für die zunehmende Wichtigkeit des Future Skill
Universität Szenarios (N = 46)
Die Mehrheit der Befragten (42,1 %) schätzt den Zeitraum für die Realisierung dieses
Szenarios auf zehn Jahre ein (M = 2,39, SD = 0,97) (siehe Abbildung 56). Die Analyse
der qualitativen Kommentare ergab, dass der Hauptgrund für die Schätzung der
Expertinnen und Experten einer nur mittelfristigen Einführung dieses Szenarios
vor allem in vier Faktoren begründet sei: in der Trägheit der Hochschulen, deren
internem kulturellen Widerstand sowie nur langsam ablaufenden Veränderungs-
prozessen in Bezug auf Gesetzesänderungen und Finanzierungsregeln. Zudem
wurde betont, dass neben den Makro- und Meso-Level Veränderungen (Landes-
politik sowie institutionelle Verordnungen), auch das Hochschulpersonal und die
Studierenden ihr Mindset entsprechend anpassen müssten.
Als Moderatoren solcher Wandlungsprozesse wurden Heterogenität der jewei-
ligen nationalen Kontextbedingungen und der verschiedenen Hochschultypen
identiziert. Während einige Befragte angaben, dass sich private Hochschulen
und Business Schools bereits aktiv darum bemühten, ihre Studierenden bei der
Entwicklung von Future Skills zu unterstützen, würden o vor allem traditionelle
Universitäten hauptsächlich Wert auf Wissensvermittlung legen.
“It is already a reality that the knowledge needed for a certain profession is evolving
constantly and needs a permanent update. So, having the skills for this adaptation
and having skills more focused on developing capacities is much more important
than just information and knowledge in a specic eld.” (Teilnehmer an NextSkills
Delphi-Studie)
C 3.2 Vier Szenarien für die Hochschule der Zukunft 281
281
C 3.2.2 Sze nario 2:
Die multi-institutionelle Netzwerk Universität
Das zweite Szenario geht davon aus, dass sich zusätzlich zum Fokus auf Future Skills in
Hochschulen eine Hochschulstruktur etabliert, die neue Studienerfahrungen in einem
Netzwerk vieler Hochschulinstitutionen ermöglicht, hier mit Multi-Institutionalität
bezeichnet. Dadurch wird der Dreh- und Angelpunkt bisheriger Hochschulbildung
verschoben. Dreht sich bislang alles um die Achse der einzelnen Hochschule, an
der sich von der Einschreibung bis zur Graduierung alles vollzieht, so wird diese
Achse nun komplett gedreht. Das Szenario sieht ein Studium vor, welches sich nicht
mehr um die Achse der Institution als Mittelpunkt dreht, sondern um das Studium.
Dabei steht die Frage im Mittelpunkt, wie durch institutionelle Kooperation ganz
neue Studienerfahrungen ermöglicht werden können. Der Dreh- und Angelpunkt
für die Denition eines Hochschulstudiums wird gänzlich verschoben.
Das erfordert ein radikales Umdenken des bisherigen Hochschulkonzeptes.
Dieses basiert auf der Annahme, dass Hochschulen einerseits ein Studium aus einer
Hand ermöglichen, gewissermaßen a ls Full-Service-Anbieter, und zweitens, dass sie
auch Räume für personelle und organisationale Identitätsentwicklung darstellen,
die als Campus Mentalität oder mit Begrien wie alma mater belegt sind. Im neuen
Konzept der multiinstitutionellen Netzwerk-Hochschule geht es darum, die Vorteile
der Vernetzung zu ermöglichen während gleichzeitig der identitätsbildende Raum
des Ein-Hochschulmodells – auch im Sinne eines Schutzraumes – nicht aufgege-
ben werden soll. Hierfür muss die Idee der bisherigen Hochschulorganisation neu
gedacht werden. Wie kann ein Studium an verschiedenen Institutionen in einer
Netzwerkstruktur trotzdem so gestaltet werden, dass die vermutete Kohärenz des
Ein-Hochschulmodells nicht verloren geht.
Bisherige Ansätze, insbesondere in den USA, erscheinen o eher dem neolibe-
ralen Marktmodell verschrieben und versuchen über Skaleneekte Kostenvorteile
herauszuarbeiten (vgl. Selingo 2017). Auch in Europa sind Ansätze der vernetzten
Universität in unterschiedlichen Gestalten in Diskussion, beispielsweise in Form
282 C 3 Vier Szenarien für die Hochschule der Zukunft
der sogenannten „European University“ Initiative der Europäischen Kommission.
Hierbei sollen sich Netzwerke von Hochschulinstitutionen in Europa zusammen-
nden, die Kooperation in Studium und Forschung neu denken.50 Auch regionale
Netzwerke etablieren sich mehr und mehr, bislang jedoch zumeist vor allem mit
Zielen im Bereich der Forschung. Ein Beispiel ist das „Netzwerk mittelgroßer
Universitäten“ in Deutschland, ein Netzwerk primär für die Forschungskoopera-
tion.51 Das stärkste Innovationspotenzial liegt jedoch in der Möglichkeit, gänzlich
neue Studiererfahrungen zu ermöglichen. Das Szenario der multi-institutionellen
Netzwerk Universität bezieht sich auf diesen Blickwinkel.
Das Szenario einer multi-institutionellen Netzwerk Universität folgt dem Ge-
danken radikaler Integration der Curricula verschiedener Hochschulen in einem
Netzwerk. Für Hochschulen bedeutet dies verstärkt Im- und Export von curricu-
laren Anteilen anderer Hochschulinstitutionen. Diese Integration von Studienan-
geboten durch Digitalisierung wird zukünig stark an Bedeutung zunehmen und
einfacher werden. Die zunehmende Verfügbarkeit von oenen Onlinekursen und
oenen Bildungsmaterialien spricht dafür, dass Studiererfahrungen zunehmend
weniger institutionengebunden bleiben müssen. Jedoch wäre es ein Irrglaube zu
denken, dass Digitalisierung automatisch zu (sinnvoll) vernetzten Studiena ngeboten
führt. Hierfür gilt es, Werkzeuge der Anerkennung auszuarbeiten und bereitzu-
stellen. Studienerfahrungen sind dabei nicht mehr von Hochschulen verwaltete
Leistungspunkte, die nur in bestimmten, durch Hochschulen selber regulierten
Kombinationen zu einem Studienabschluss führen, sondern werden zu portablen
Studienleistungen, die in der persönlichen Verantwortung Studierender liegen. Das
hierfür notwendige Konzept des persönlich verantworteten und durch Hochschulen
ermöglichten sowie weiterhin durch Lehrende und Coaches beratenen akademischen
Qualikationskonzeptes ist derzeit noch nicht erprobt oder konzipiert. Im NextSkills
Delphi weisen die Befragten darauf hin, dass es sich einerseits abzeichnet, dass diese
Entwicklung bevorsteht, andererseits auch Risiken im Hinblick auf die Kohärenz
und Anschlussfähigkeit der Studienerfahrungen bestehen.
Die Standard-Studienerfahrung an Hochschulen wandelt sich in diesem Sze-
nario von einem ein-institutionellen Modell hin zu einem multi-institutionellen
Modell (siehe Abbildung 58). Für Studierende bedeutet dies, dass sie sich zwar an
Hochschule 1 einschreiben, deshalb aber nicht notwendigerweise auch an dieser
Hochschule graduieren oder
50 Siehe hierzu die Beschreibung der Initiative auf den Internetseiten der europäischen
Kommission: https://ec.europa.eu/education/education-in-the-eu/european-educati-
on-area/european-universities-initiative_en
51 Siehe dazu die Website des Netzwerks: http://www.mittelgrosse-universitaeten.de
C 3.2 Vier Szenarien für die Hochschule der Zukunft 283
283
Abb. 57 Szenarien multi-Institutioneller Studierpfade (Quelle: nach Ehlers et al. 2011)
284 C 3 Vier Szenarien für die Hochschule der Zukunft
alle Kurse nur an dieser Hochschule belegen. Stattdessen w ird das Studium zu einer
Patchwork-, beziehungsweise Netzwerk-Erfahrung, die mehr von den jeweiligen
Interessen und indiv iduellen Präferenzen der Studierenden für bestimmte emen
und Prole, gew ünschtem Zugang zu spezischen Einrichtungen oder Kursprolen
abhängt als von den curricularen Möglichkeiten und Kapazitäten der Hochschule
oder deren Kompetenzen, ein bestimmtes Studienangebot anzubieten. Sollten diese
nicht gegeben sein, so nehmen Studierende an einer anderen Institution entspre-
chende Angebote wahr. Aus Perspektive der Institutionen würde dies bedeuten,
dass sie sich in Allianzen und Netzwerken mit anderen Hochschulen und Hoch-
schulbildungs-Anbietern organisieren müssten, Kooperationsschnittstellen sowie
gegenseitig anerkennungsf ähige, portable Leistungspunkteschemata und Zertikate
entwickeln müssten. Akademische Programme würden in diesem Szenario ent-
sprechend durch Hochschul-Allianzen bereitgestellt und würden es Studierenden
ermöglichen, individuelle, patchworkartige Studienverläufe zusammenzustellen,
die institutionelle Grenzen überschreiten. Dies würde durch Kooperation sowie
durch den digitalen Im- und Export von Curricula ermöglicht werden. Aus Stu-
dierendenperspektive würden institutionelle Grenzen daher weniger sichtbar und
es würde sich eine Diversikation der Anbieter akademischer Bildung ergeben,
in deren Konsequenz sich einige Institutionen auf Zertizierung spezialisierten,
einige auf Coaching und Lernbegleitung, während die anderen sich verstärkt auf
Bereitstellung von Inhalten fokussierten. Denkbare multi-institutionelle Studier-
pfade, die so ermöglicht würden, werden in Abbildung 57 dargestellt.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des NextSkills Delphi wurden gebeten,
das Szenario hinsichtlich ihrer Zustimmung und hinsichtlich der Zeitspanne der
Realisierung einzuschätzen. Es zeigt sich einerseits eine vorsichtige Zustimmung
zum Szenario mit einem Mittelwert von 3,43 (SD = 1,06) und einem Zustimmungs-
index A von 45,7 % (siehe Abbildung 58).52 Allerdings schätzen die Befragten die
time of adoption für dieses Szenario als langsamer ein, mit einem Schwerpunkt der
Befrag ten (36,8 %) die hierfür einen Zehnjahreszeitraum vermuten und 21,1 %, die
diese Entwicklung erst in einem Fünfzehnjahreszeitraum sehen. Mehr als die Häle
der Befragten schätzen dieses Szenario also eher in einer langfristigen Perspektive
als realistisch ein.
52 Der Zustimmungswert A (für Agreement index) gibt den prozentualen Anteil derje-
nigen an, die mit 4 oder 5 (Zustimmung bzw. starke Zustimmung) auf der 5-stugen
Likert-Skala geantwortet haben.
C 3.2 Vier Szenarien für die Hochschule der Zukunft 285
285
Abb. 58 Geschätzte Zeitdauer für die zunehmende Wichtigkeit des vernetzten, multi-
institutionellen Studienszenarios (N = 46)
Expertinnen und Experten gaben an, dass neue Geschäsmodelle entlang einer
„Coopetition“ entwickelt werden müssten.
53
Sie gaben ebenfalls an, dass Hochschulen
die Bereitscha zu neuen Wettbewerbsmodellen akzeptieren müssten, um dieses
Szenario möglich zu machen. Konstruktive Diskussionen wären daher nötig, um
die Konditionen näher zu spezizieren unter welchen Hochschulen sich in Richtung
kooperativer Netzwerke entwickeln könnten ohne dabei die Bedingungen aus den
Augen zu verlieren, die zu einer Schwächung der eigenen Wettbewerbsposition
führen würden. Geschäsmodelle, die Instrumente zur Anerkennung und zum
Punktetransfer beinhalten, müssten ebenfalls entwickelt werden, um die Entste-
hung solcher institutionen-umspannenden Arrangements stärker zu motivieren.
Nach Meinung von Expertinnen und Experten wird die studentische Nachfrage
dieses Szenario vorantreiben:
“A rather neo-libera l ideal of a market place w ith innite c hoice and competition but
at what cost? I’m not sure this is as liberating as it sounds.” (Teilnehmer an Next-
Skills Delphi-Studie)
Das zweite Szenario wird – so die Einschätzung der Expertinnen und Experten –
innerhalb der nächsten zehn bis fünfzehn Jahre realistisch zur Umsetzung kommen.
Allerdings benennen die internationalen Expertinnen und Experten bestimmte
Voraussetzungen für die Realisierung dieses Szenarios:
Der Wille der Hochschulen ihre eigene Identität und ihren Status zu bewahren,
während sie sich in einen intensiven Kooperations- und Anerkennungsprozess
53 Coopet ition bzw. Kooperationswet tbewerb, auch Koopkurrenz , bezeichnet die D ualität
von Konkur renz und Kooperation auf Mä rkten (Bouncken et a l. 2015). Coopetition ist ein
aus den engl ischen Begrien cooperation (Kooperation) und compet ition (Wettbewerb)
zusammengesetztes Koerwort.
286 C 3 Vier Szenarien für die Hochschule der Zukunft
begeben, könnte als Verlustrisiko für die Verortung von Studiengängen an der
eigenen Hochschule angesehen werden.
Obwohl einige der Befragten die Vorteile dieses Szenarios betonten, stellten an-
dere in Frage, ob multi-institutionelle länder- und hochschulartenübergreifende
Arrangements überhaupt anwendbar und wünschenswert seien.
Das Konzept der Übertragbarkeit von Studienleistungen müsse zunächst reifen,
bevor Hochschulen davon in beide Richtungen Gebrauch machen könnten:
einerseits als selbst ausstellende, andererseits als anerkennende Institutionen.
Im Szenario der multi-institutionellen Netzwerk Universität spielt die Begleitung der
Studierenden bei institutionen- und hochschulkontextübergreifender Studienerfah-
rung eine wichtige Rolle. Das Unterstützen von Studierenden bei der Entwicklung
des roten Fadens in ihrem Studium wird in dem Maße bedeutender, in dem im
äußeren Rahmen weniger Vorgaben existieren. In der Erarbeitung dieses Szenarios
wird ebenfalls deutlich, dass die Infrastruktur für Coaching, Mentoring und die
Begleitung von Studierenden, ihre akademischen Lernerfahrungen zu einem großen
Ganzen zu integrieren auch stark ausgebaut werden müsste. Ansonsten bestünde
ein Risiko des Verlusts an Kohärenz.
C 3.2.3 Sze nario 3:
Die personalisierte MyCurriculum Universität
Das MyCurriculum Szenario fokussiert auf den Ausbau der Beteiligung von Stu-
dierenden an ihren Curricula. Mehr Wahlfächer, mehr Mitbestimmung und mehr
Möglichkeiten, tatsächlich den eigenen Studienverlauf zusammenzustellen. Natür-
lich nicht allein, sondern in Zusammena rbeit mit Professorinnen und Professoren,
Coaches oder entsprechenden Gremien. Studierende können dabei ihre eigenen
Curricula und Lernformen basierend auf ihren persönlichen Interessen zusammen-
stellen. Das Curriculumkonzept für akademische Programme verändert sich also
fundamental in diesem Szenario – weg von einer up-front gegebenen Struktur hin zu
C 3.2 Vier Szenarien für die Hochschule der Zukunft 287
287
einem personalisierten, exibleren und partizipativen Modell, in dem Studierende
aktiv mit Professorinnen und Professoren, Lehrenden, Beraterinnen und Beratern
kooperieren, um ihr eigenes Curriculum zu entwickeln. Zur Eigendenitionshoheit
in Bezug auf Curricula kommt zusätzlich eine größere Wahlfreiheit und Diversität
in Bezug auf Lehrformate, durch die Hochschulen besser als bislang in der Lage
sein werden, auf die zukünig größere Diversität der Studierenden einzugehen
(siehe Kapitel C 1.3 Dritte Sekunde: Der demographische Wandel). Diese kann sich
entlang der Unterstützungsbedarfe, der mehr oder weniger vertieen Interessen
zu bestimmten Studieninhalten, den unterschiedlichen Studiengeschwindigkeiten,
den unterschiedlichen Präferenzen bezüglich Online- und Präsenzstudium oder
auch in Bezug auf Internationalität widerspiegeln.
In der Konsequenz wird die starre Gebundenheit der überwiegenden Mehrheit
der akademischen Programme an eine akademische Organisationseinheit (Fa-
kultät, School, etc.) aufgelöst. Der Hauptfokus liegt damit auf den individuellen
Studienbedürfnissen der Studierenden sowie deren zukünigen professionellen
Kontexten in einem personalisierten Studium. Die Mehrheit der Expertinnen
und Experten betonte, dass dies nicht gleichzusetzen sei mit einer Auösung von
akademisch-wissenschalichen Fachdisziplinen. Sondern sich stattdessen vielmehr
disziplinübergreifende Kooperationen für akademische Hochschulstudiengänge
ergeben würden, die exiblere, personalisierte Curricula ermöglichten. Erste
Ansätze dazu zeigen sich bereits gerade in privaten Hochschulen, so etwa in der
Jacobs Universität, einer privaten Hochschule aus dem Norden Deutschlands. Ein
Experte, der selbst einen stark persona lisierten Studiengang durchlief, schätzt seine
eigene Erfahrung folgendermaßen ein:
“e challenge was cre ating a balance d degree’ (temptation to choose ‘easy’ or fami liar
subjects) so some criteria should be agreed on, such as a balance between practical/
theoretical, subject-related/so skills. Future professiona l contexts are uncer tain, so
this scenario needs to be associated with sound orientation approaches, both human
and machine-based.” (Teilnehmer an NextSkills Delphi-Studie)
Insgesamt zeigt das Sample eine hohe Zustimmung zum dritten Zukunsszena-
rio (M = 3,57, SD = 0,99). Der Wahrnehmung der Befragten zufolge, wird dieses
Szenario ebenfalls in den nächsten zehn Jahren relevant werden. Etwa 56,5 %
drückten Zustimmung oder gar starke Zustimmung zum MyCurriculum Modell
aus (Zustimmungsindex A) (siehe Abbildung 59).
288 C 3 Vier Szenarien für die Hochschule der Zukunft
Abb. 59 Geschätzte Zeitdauer für die zunehmende Wichtigkeit des MyCurriculum
Szenarios (N = 46)
Die Diskussion der Expertinnen und Experten zeigt, dass dieses Szenario in Bezug
auf Studierfähigkeit anspruchsvoll ist und einen erhöhten Unterstützungsbedarf
auf Seiten der Studierenden nach sich ziehen würde. Einerseits können sich Stu-
dierende durch die Flexibilisierung auf Fächer fokussieren, die für sie besonders
interessant sind. Andererseits kann in Frage gestellt werden, ob Studierende schon
bereit dafür sind zu entscheiden, was nicht nur interessant, sondern auch wichtig
zu wissen ist. Hochschulen müssen daher ganz neue Formen, und eine andere Ex-
pertise der Unterstützung in Form von Coaching und Mentoring entwickeln. Erste
Erfahrungen mit dem MyCurriculum Ansatz zeigen, dass Hochschulen Studierende
auordern, ihre Vorschläge zum Studium zusammenzustellen, und dann einem
beratenden Curriculumgremium vorzulegen, welches dann gemeinsam mit dem
beziehungsweise der Studierenden berät, wie geeignet der geplante Studienpfad ist.
Darüber hinaus sei – so die Meinung der Befragten der NextSkills Studie davon
auszugehen, dass der Grad des Personalisierungspotentials abhängig vom jeweiligen
Studienfeld, nationalen Kontexten des Hochschulsystems sowie Traditionen und
den Studierenden selbst sei:
“I believe that there is room for personal learning paths for professionals and sk illed
workers, who wish to upgrade or diversify their work. However, younger students
don’t always have much of an idea on their personal study needs, but professionals
in the eld c an better make t hese choices.” (Teilnehmer an NextSkills Delphi-Studie)
Eine zusätzliche Herausforderung ist die dadurch zunehmende Diversität der
Abschlüsse, die sich in den personalisierten Curricula reektieren würde. Daher
müssten weitere Mechanismen eingeführt werden, die sicherstellen, dass die Studie-
nerfahrungen sinnvoll dokumentiert und für Dritte verständlich dargestellt sowie
Qualitätskonzepte f ür individualisierte Studienverläufe entwickelt werden können.
C 3.2 Vier Szenarien für die Hochschule der Zukunft 289
289
Die Geschwindigkeit der Realisierung für dieses Szenario wird in Abhän-
gigkeit von verschiedenen Faktoren gesehen: Die technologische Infrastruktur,
Beratungs- und Betreuungskompetenzen der Lehrenden – die zu Mentorinnen,
Mentoren, Begleiterinnen und Begleitern ausgebildet werden müssen – sowie ein
hohes Maß an Autonomie und Verantwortungsübernahme von Studierendenseite.
Eine steigende Zahl an Studierenden, bei gleichzeitig geringer werdender staatlicher
Grundnanzierung der Hochschulen werden als besondere Herausforderungen im
Kontext des MyCurriculum Szenarios benannt. Zudem betonten die Befragten die
Abhängigkeit der Realisierbarkeit des Szenarios von der Fähigkeit zum selbstge-
steuerten Lernen der Studierenden.
C 3.2.4 Sze nario 4:
Die Lifelong Learning University
In diesem Szenario wird lebenslange akademische Bildung als genauso wichtig
erachtet wie initiale Hochschulbildung zu Beginn der Berufsphase. Berufstä-
tige machen dabei den Großteil der Studierenden aus, die ihr Modul-Portfolio
entsprechend ihrer persönlichen Skill-Bedürfnisse und Kompetenz-Bedarfe mit
einem hohen Maß an Autonomie über ihren Lebensverlauf hinweg selbstständig
und je nach Anforderungen auswählen. Institutionen bieten daher auch alterna-
tive Zertizierungsverfahren, wie beispielsweise Microcredentials an, welche die
Studierenden individuell und ihren eigenen Interessen und Bedürfnissen entspre-
chend erwerben können. Anerkennung bereits erbrachter Studienleistungen und
praktischer Erfahrungen erlauben es in diesem Szenario, dass exibel zwischen
verschiedenen Anbietern von Hochschulbildung hin- und hergewechselt werden
kann. Diese ermöglichen es den Studierenden, frühere Lernerfahrungen in Form
von umfassenderen Zertikaten auszuweisen.
Im Szenario werden vier wesentliche Dimensionen angesprochen, die für dessen
Realisierung wesentlich weiterentwickelt werden müssten:
290 C 3 Vier Szenarien für die Hochschule der Zukunft
Durchlässigkeit: Die Schaung von Zugangswegen für beruich Qualizierte
sowie die Anerkennung von Kompetenz aus akademischen und nicht akademi-
schen Vorqualikationsphasen müsste garantiert werden. In Deutschland machen
Landesgesetzgebungen und Hochschulpraxis hierbei starke Fortschritte, bleiben
jedoch hinter der im Szenario formulierten Gleichwertigkeit lebenslanger und
initialer akademischer Bildung zurück.
Studienorganisation: Hier stehen insbesondere die Schaung von exiblen
berufsbegleitenden Studienformaten sowie von Teilzeitmodellen und auch
von Short Courses, Micro- und Nanodegree-Formaten im Mittelpunkt. Zudem
erfordert die Organisation des Studiums von Hochschulen über die Lebenspan-
ne hinweg, das Schaen von entsprechenden Verwaltungsabläufen sowie von
lehrorganisatorischen Abläufen für entsprechende Angebote.
Studienformate: Geeignete exible Studienformate, sowohl im Hinblick auf
die sinnvolle Integration digitaler Medien in die Lehre als auch hinsichtlich
exibler Zeiten und räumlicher Möglichkeiten sowie didaktisch in Bezug auf
die Zielgruppe berufstätiger Erwachsener werden notwendig.
Wissenschaliche Weiterbildung: Die Schaung von gesetzlichen und hoch-
schuladministrativen Rahmenbedingungen sowie Strategien, in denen Hoch-
schullehrende Lehrangebote im Bereich lebenslangen Lernens im Rahmen ihrer
Tätigkeit und Deputatsverpichtung gestalten können.
Die lebenslang Studierenden stellen eine zunehmend wachsende Zielgruppe für
Hochschulen dar, die in diesem Szenario zahlenmäßig schließlich noch zu den
bereits existierenden, trad itionellen Zielgruppen hi nzukommen. Eine interessante
aber bislang in Deutschland noch nicht umgesetzte Idee ist die Einführung einer
lebenslangen Matrikelnummer, die es Studierenden zumindest schon einmal ver-
waltungstechnisch vereinfachen würde, Studienangebote im Lebensverlauf auch
nach dem oziellen Ende eines ersten oder zweiten Studienz yklus (Bachelor- oder
Masterstudium) wahrzunehmen. Hochschulbildung würde so von ihrem momenta-
nen up front Modus zu einer neuen Form des nahtlosen lebenslangen akademischen
Lernens übergehen. Dabei ist eine erste akademische Qualikationsphase, d ie dem
derzeitigen Bachelor- oder dem Masterstudium entspricht, nicht ausgeschlossen.
Diese würde jedoch lediglich den Auakt für den weiteren akademischen Lebens-
lernweg bilden. Studierende würden ihr Modulportfolio in diesem Szenario mit
hoher Autonomie und entsprechend ihrer persönlichen, beziehungsweise professi-
onellen Skill-Bedarfe und Kompetenza nforderungen ihrer jeweiligen Lebensphase
wählen. Hochschulen würden hingegen portable Mikrozertikate anbieten. Diese
könnten Studierende sich dann – je nach ihren eigenen Präferenzen – kumulativ
oder komplementär für ein individuelles Abschlussprol zusammenstellen.
C 3.2 Vier Szenarien für die Hochschule der Zukunft 291
291
Das vierte Szenario erhielt die höchsten Zustimmungswerte der Teilnehmerin-
nen und Teilnehmer des NextSkills Delphis: 71,7 % des Samples gaben hierzu eine
(starke) Zustimmung (Zust immungsindex A) an (siehe Abbildung 60). Die Befrag-
ten unterstrichen, dass Individuen, um im heutigen vom Wettbewerb bestimmten
global village erfolgreich sein zu können, einen nie vorher dagewesenen Bedarf an
lebenslangen akademischen Lernangeboten hätten.
Abb. 60 Geschätzte Zeitdauer für die zunehmende Wichtigkeit des lebenslangen
akademischen Lernens (N = 46)
Die Zielgruppe der lebenslangen akademischen Lernenden hat – von einzelnen
Ausnahmen abgesehen – bislang eher am Rande der strategischen Bemühungen
von Hochschulen um den Ausbau ihrer Studienangebote gestanden, die sich pri-
mär am Typus der Normalstudierenden (Studienaufnahme direkt oder kurz nach
Erwerb der Studienberechtigung ohne vorherige beruiche Qua likation, Studium
in Vollzeit-/Präsenzmodus) orientieren. Es sind vor allem drei gesellschaliche
Dynamiken gewesen, welche das vierte Szenario befeuern:
1. Der demograsche Wandel,
2. der von vielen Arbeitsmarktexpertinnen und -experten prognostizierte Fach-
kräebedarf und
3. die Forderung nach einer größeren Durchlässigkeit zwischen beruicher und
akademischer Bildung.
In Bezug auf die Einschätzung der Zeitspanne, in der das Szenario realisiert werden
kann, ergibt sich eine zur Wichtigkeit leicht konträre Einschätzung. Während es unter
den Expertinnen und Experten eine stark zustimmende Einschätzung bezüglich
der Relevanz gibt, wird das Szenario in dieser deutlich und pointiert formulierten
Variante (lebenslanges akademisches Lernen würde als genauso wichtige wie das
derzeitige Modell der Hochschulbildung angesehen) als nicht unmittelbar und
heute schon realisierbar eingeschätzt. Die Mehrheit der Expertinnen und Exper-
292 C 3 Vier Szenarien für die Hochschule der Zukunft
ten geht davon aus, dass dieses Szenario bereits in den nächsten fünf Jahren an
Relevanz gewinnen wird (55,2 %). Jedoch schätzt jeder vierte Befragte die time of
adoption auf circa zehn Jahre sowie jeder Füne auf fünfzehn Jahre. Die Befragten
sehen in Bezug auf das Szenario eher einen evolutionären Pfad der Veränderung
als realistisch an. Dieser verläu nach ihrer Ansicht zunächst über eine stärkere
Önung der Hochschulen für berufstätige lebenslange Lernende. Damit einher
ginge zudem auch, dass Hochschulen künig einen stärkeren Fokus darauf richten
würden, intensive Beziehungen mit ihren Alumni zu unterhalten, die sich nach der
Graduierung wieder an ihre alma mater wenden würden, wann immer sich für sie
in ihrem Berufsleben akademischer Weiterbildungsbedarf ergäbe.
Herausforderungen in Bezug auf das Szenario entstehen dadurch, dass ein
tatsächlicher Paradigmenwandel in Bezug auf akademische Bildung vollzogen
werden muss, der auch Auswirkungen auf die bestehenden Studienangebote und
Hochschulstrukturen hat. Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass ein Wandel zur
lebenslangen akademischen Bildung nicht allein von den Hochschulen gestaltet
werden kann, sondern auch von den lernenden Individuen und deren Bereitscha
zur Bildungsbeteilung sowie von den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern abhängt.
Diese müssen die Wichtigkeit lebenslangen akademischen Lernens anerkennen
und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern entsprechend zusätzlich Lern- und
Fortbildungsgelegenheiten zugestehen.
293
Register
Register
Register
A
Ambiguitätskompetenz 77, 78, 96
Analytische Kompetenz 83, 98
Anpassungsfähigkeit 83, 98, 133, 136,
165, 173, 179
Anwendungskompetenz 83, 85, 98
Arbeitsmarkt 7, 49, 118, 119, 120, 186,
188, 201, 203, 204, 206, 222,
233, 251, 253
Autonomie 24, 68, 69, 94, 101, 115,
117, 148, 159, 289, 290
Autopoiesis 145, 152, 156, 157, 322
B
Badges 190, 221, 251
Beharrlichkeit 75, 76, 95, 96
Beratungskompetenz 90, 91, 99, 100
Bildung 2, 7, 47, 54, 111, 112, 113, 114,
115, 117, 137, 140, 141, 142,
147, 155, 181, 184, 185, 193,
194, 196, 198, 199, 201, 204,
206, 216, 224, 225, 226, 227,
236, 252, 253, 255, 256, 258,
259, 271, 272, 273, 279, 284,
289, 290, 291, 292, 305, 306,
307, 309, 312, 313, 315, 316, 318
Bildungskonzeption 1, 8, 29
Bildungstheorie 10, 109
C
Chapter 169, 170
Cognitive Load Management 70, 71,
94, 95
D
Delphi-Studie 4, 9, 29, 35, 39, 40, 102,
103, 104, 220, 240, 246, 248,
280, 285, 287, 288
Design 4, 13, 31, 40, 43, 47, 80, 81, 97,
104, 120, 135, 136, 174, 198,
219, 309, 313, 321
Design inking 47, 174
Design inking-Kompetenz 4, 80, 81,
97, 104
Dialogfähigkeit 92, 100
Digitalisierung 5, 39, 86, 115, 127, 130,
147, 148, 152, 156, 158, 161,
181, 184, 185, 186, 188, 189,
190, 192, 193, 194, 196, 197,
208, 220, 222, 223, 224, 226,
227, 230, 240, 247, 255, 259,
282, 306, 313, 317, 319
Digitalkompetenz 85, 98, 104
Dri-to-Self Organisation 10, 109
© Der/die Autor(en) 2020
U.-D. Ehlers, Future Skills, Zukunft der Hochschulbildung – Future
Higher Education, https://doi.org/10.1007/978-3-658-29297-3
294 Register
E
Eigenmotivation 75, 95, 171
Eigenregulation 70, 95
Eigenverantwortung 26, 70, 71, 95,
130, 131, 132, 171
Einussfaktoren 192, 223, 263, 265,
274
Emergenz 35, 58, 59, 128, 129, 143,
144, 145, 153, 157, 313, 320
Engagement 25, 75, 96, 133, 165, 317
Entscheidungskompetenz 73, 74, 95,
102
Entwicklung 2, 6, 7, 9, 10, 15, 16, 17,
19, 20, 23, 24, 25, 29, 35, 37, 39,
47, 51, 53, 54, 57, 63, 68, 69, 70,
71, 74, 81, 84, 86, 94, 97, 101,
102, 104, 105, 106, 112, 114,
117, 118, 121, 127, 128, 129,
130, 131, 132, 133, 134, 135,
136, 139, 140, 141, 142, 143,
147, 148, 149, 153, 156, 158,
159, 162, 163, 175, 178, 180,
181, 183, 185, 186, 187, 194,
196, 197, 201, 204, 205, 206,
207, 210, 211, 223, 225, 226,
230, 237, 241, 243, 247, 252,
254, 255, 256, 257, 263, 264,
265, 269, 270, 273, 279, 280,
282, 284, 286, 307, 313, 317,
319, 320
Entwicklungsbereitscha 89, 90, 99
Ermöglichungslogik 214, 216
Ethische Kompetenz 78, 79, 96, 103
Experimentierbereitscha 82, 97, 159
F
Fähigkeit, in unterschiedlichen Rollen
zu agieren 77, 96
Fähigkeit zum Perspektivwechsel 81,
97, 159
Fähigkeit zur kontinuierlichen Verbes-
serung 89, 99
Flexibilisierung 21, 203, 204, 205, 222,
230, 239, 250, 253, 258, 288, 313
Flexibilität 81, 97, 129, 133, 134, 159,
176, 232, 254
Forschung 2, 5, 6, 8, 10, 22, 29, 109,
113, 117, 118, 121, 127, 173,
185, 192, 224, 225, 226, 255,
282, 309, 310, 311, 321, 322
Forschungsstand 10, 109, 111, 127
Führungskra als Coach 91, 100
Future Organisations 8, 33, 36, 43, 52,
63, 79, 81, 82, 84, 86, 87, 92,
160, 165, 166
Future Skills 1, 3, 4, 7, 8, 10, 13, 14, 15,
16, 17, 18, 19, 21, 22, 24, 25, 29,
31, 33, 36, 38, 39, 43, 44, 45, 46,
47, 48, 49, 51, 52, 53, 54, 55, 57,
58, 59, 60, 61, 63, 67, 70, 76, 86,
94, 101, 102, 104, 105, 106, 107,
109, 111, 112, 113, 115, 116,
117, 121, 122, 123, 124, 127,
130, 133, 138, 141, 142, 143,
145, 147, 159, 160, 161, 162,
163, 165, 166, 171, 177, 196,
207, 211, 229, 240, 241, 244,
249, 261, 265, 266, 267, 272,
276, 279, 280, 281, 317, 322
Future Skills Konzeptionen 118, 122
Future Skills Prole 9, 29, 53, 54, 59,
63
Future Skills Turn 8, 13, 17, 161
Future Skill Universität 279, 280
G
Graduate Attributes 5, 10, 109, 117,
118, 119, 120, 121, 122, 306,
313, 318, 321
Grundprinzipien 10, 76, 109, 147, 159
Register 295
295
H
Handlungsfähigkeit 7, 8, 17, 24, 29, 43,
47, 48, 50, 57, 63, 80, 87, 116,
127, 138, 162, 163, 198, 204,
213, 218, 241, 279
Handlungskompetenz 16, 33, 43, 50,
51, 221, 233
Hochschulbildung 2, 4, 7, 8, 9, 29, 38,
39, 57, 101, 111, 184, 185, 190,
192, 196, 199, 204, 209, 210,
222, 224, 234, 241, 244, 246,
247, 255, 258, 259, 261, 262,
263, 264, 265, 267, 268, 271,
273, 275, 276, 277, 279, 281,
289, 290, 291, 309, 310, 313
Hochschule der Zukun 10, 181, 183,
184, 185, 223, 225, 229, 230,
231, 234, 246, 247, 256, 263,
274, 275, 278
Holokratie 132, 134, 137, 170, 171,
172, 173, 174, 175, 176, 178
Homöostase 76, 161, 307
I
Individualisierung 163, 185, 203, 224
Individuell-entwicklungsbezogene
Future Skills 61
Informationskompetenz 85, 98
Informelles Lernen 216, 218, 236, 314
Initiative 16, 25, 75, 76, 95, 112, 218,
282, 310
Initiativ- und Leistungskompetenz 75,
76, 95, 102
Innovationskompetenz 82, 97, 104
Innovatives Denken 82, 97, 159
Interdisziplinarität 81, 97, 159
Interkulturelle Kompetenz 91, 100
K
Ko-Evolution 59, 148
Kommunikationsbereitscha 92, 100
Kommunikationskompetenz 92, 100,
106
Kompetenz 16, 17, 21, 35, 47, 50, 51,
63, 69, 74, 79, 85, 86, 102, 113,
115, 116, 127, 137, 138, 139,
140, 159, 162, 177, 198, 213,
217, 222, 226, 239, 245, 289,
290, 311, 312
Kompetenzen 4, 5, 8, 15, 16, 18, 21, 31,
32, 41, 51, 53, 57, 58, 61, 63, 65,
67, 70, 71, 73, 74, 79, 80, 82, 86,
90, 91, 92, 94, 96, 98, 101, 102,
103, 104, 105, 106, 111, 112,
115, 117, 118, 119, 120, 122,
124, 137, 138, 139, 140, 141,
159, 160, 166, 177, 198, 203,
204, 205, 208, 212, 213, 218,
221, 224, 225, 230, 233, 240,
244, 245, 246, 249, 251, 253,
254, 259, 262, 273, 284, 312,
313, 319, 322
Kompetenzkonstrukt 58
Kompetenzwende 17, 57
Konsensfähigkeit 92, 100
Kooperationskompetenz 90, 91, 99,
106
Kreativität 4, 21, 22, 26, 82, 97, 104,
159, 198, 266, 307
Kritikfähigkeit 16, 50, 92, 100
Kritisches Denken 72, 73, 95
Kybernetik 6, 13, 156, 305, 312
L
Law of Requisite Variety 13
Lebenslanges Lernen 127, 272, 274,
311
296 Register
Lehren 20, 115, 163, 181, 191, 210,
214, 216, 229, 234, 238, 314
Leistungsbereitscha/-wille 75, 95, 101
Leitmarken 1
Lernen 14, 17, 18, 19, 20, 21, 23, 24,
26, 37, 39, 45, 50, 54, 64, 65, 94,
113, 114, 137, 140, 148, 160,
163, 181, 191, 193, 203, 205,
208, 209, 210, 211, 214, 216,
218, 219, 220, 222, 229, 230,
233, 234, 235, 236, 237, 238,
242, 244, 246, 247, 250, 251,
252, 253, 254, 255, 256, 265,
272, 273, 274, 289, 291, 309,
314, 315
Lernformate 163
Lernkompetenz 64, 65, 94, 102, 191,
266, 316
Lifelong Learning University 289
Literaturanalyse 118
M
Management 133, 134, 135, 136, 141,
173, 175, 235, 308, 309, 313,
315, 318, 320
Managementtheorie 10, 109, 171
Medienkompetenz 50, 85, 98
Metakognitive Fähigkeit 64, 94
Microcredentials 190, 221, 230, 250,
251, 261, 289, 310
Modernisierung 203, 204, 252, 306,
313
Motivation 53, 70, 71, 75, 76, 94, 95,
112, 138, 160, 166, 192, 213,
214, 216, 242
Motivationsfähigkeit 75, 95
Multi-institutionelle Studienverläufe
267, 269
MyCurriculum Universität 286
N
Navigationsfähigkeit in Wissensstruk-
turen 83, 98
NextSkills Studie 5, 7, 8, 24, 29, 31, 33,
35, 37, 57, 59, 62, 65, 73, 79, 86,
92, 101, 138, 161, 166, 210, 240,
241, 263, 275, 288
O
OER 193, 239, 256, 258, 308, 309, 310
Oenheit 3, 79, 81, 82, 90, 91, 97, 99,
159, 193, 220, 257, 261
Ökosystem 161
Ökosystemtheorie 6, 59, 130, 152, 156
Open Education 190, 193, 207, 256,
308, 310, 311
Open Educational Resources 190, 193,
256, 308, 310
Organisationskultur 19, 81, 91, 100
Organisationssoziologie 10, 109
Organisationsstruktur 19, 163, 181,
227
Organisationstheorie 10, 109, 134, 165
P
Personalisierung 163, 203, 270, 271,
272, 276
Präsentationskompetenz 92, 100
Problemlösekompetenz 83, 98, 219
Q
Qualitative Forschung 306
R
Reexion 15, 16, 53, 57, 63, 67, 72, 95,
101, 115, 207, 214, 235, 249,
265, 266, 270, 279, 310
Register 297
297
Reexionskompetenz 4, 50, 72, 95, 101
Reifegrad von Hochschulen 101, 104
S
Säulen des Wandels 263, 275
Selbstbestimmungskompetenz 68, 94,
101
Selbstbewusstsein 3, 24, 66, 67, 94, 159
Selbstgesteuertes Lernen 64, 94, 236,
314
Selbstherausforderung 89, 90, 99
Selbstkompetenz 4, 16, 24, 45, 50, 54,
70, 71, 94, 139, 159
Selbstmanagement 70, 71, 94, 179
Selbstorganisation 6, 7, 13, 14, 18, 19,
20, 21, 22, 23, 26, 32, 35, 49, 54,
59, 65, 84, 113, 115, 116, 127,
128, 129, 130, 131, 132, 134,
136, 137, 138, 139, 140, 143,
145, 147, 148, 152, 153, 155,
156, 157, 158, 160, 161, 162,
163, 165, 167, 168, 171, 174,
178, 179, 239, 318, 320
Selbstorganisationskompetenz 70, 71,
94, 139, 162, 266
Selbstreexionskompetenz 72, 73, 95
Selbstwirksamkeit 32, 37, 50, 66, 67,
94, 101, 206
Self-Organisation 10, 18, 20, 31, 59,
109, 127, 128, 129, 130, 158,
162, 165
Sensemaking 87, 88, 99
Shared Knowledge Economy 207, 209
Sinnstiung 86, 88, 98, 99
So Skills 120, 240
Soziale Intelligenz 91, 100
Soziokratie 134, 171, 177
Spanungsverhältnis 163
Sprachkompetenz 92, 100
Synergetik 143, 145, 152
Synergieherstellung 83, 98
Systemkompetenz 47, 83, 84, 97, 104
Systems-inking 83, 98, 159
Systemtheorie 10, 109, 143, 152, 156
Szenarien 10, 38, 181, 208, 216, 229,
246, 263, 264, 274, 275, 276,
277, 278, 283
T
Teamfähigkeit 91, 100
eoretische Grundlagen 31, 127
Tiefeninterviews 4, 57, 59
Triangulation 33, 34, 35, 309, 321
Tribes 169, 170, 171, 306
Triple Helix-Modell 7, 8, 17, 29, 43, 44,
57, 59, 60, 63, 124
U
Umgang mit Heterogenität 96
Umgang mit Unsicherheit 78, 96, 210
V
Veränderungsbereitscha 89, 90, 99
Verantwortungsübernahme 74, 95,
166, 289
Vernetztes Denken 83, 98
Vielseitigkeit 81, 97, 159
VUCA 210
W
Werte 3, 16, 19, 38, 57, 88, 99, 116,
122, 147, 148, 166, 178, 206,
279, 312
Wertebezogenheit 88, 98, 99
Wissen über Wissensstrukturen 83,
98, 159
298 Register
Z
Zehn Sekunden 31, 183
Zielorientierung 75, 76, 95, 96
Zukun der Hochschulbildung 261
Zukunsfokus 89, 90, 99
Zukuns- und Gestaltungskompetenz
89, 99
299
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men/2015_2010/Messung_Endversion_inkl-Cover.pdf
World Economic Forum (2016, March). New vision for education: Fostering social and
emotional learning through technology. Geneva, Switzerland: World Economic Forum.
Zeleny, M. (1981). Autopoiesis. A eory of Living Organizations. New York: Elsevier.
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Chapter
Für eine Schultheorie und Didaktik, die die Selbstbestimmung als eine der zentralen Bildungsdimensionen herausstellt, ist das selbstständige Lernen eine zwingende wie auch besonders herausfordernde Fragestellung. Sie resultiert nicht nur aus der Dynamik des (weltweiten) Wissenszuwachses und der zu fördernden kognitiven und emotionalen Verankerung in der zu erwartenden Zukunft, sondern auch aus der pädagogischen Notwendigkeit einer demokratischen Gesellschaft, die soziale, politische und kulturelle Urteilfähigkeit und Handlungsbereitschaft sowie Kritikfähigkeit ermöglicht und entwicklungsangemessen fördert. Das kann aber nur gelingen, wenn die Schaffung eines gemeinsamen, die Lern- und Lehrsubjekte verbindenden Fundaments an Vorstellungen über eine gerechte Gesellschaft durch eine innere Differenzierung der Lern- und Unterrichtsangebote zur Geltung gebracht wird, so dass die Heranwachsenden die Gemeinschaftlichkeit ihrer Vorstellungen durch die Wechselbezüge ihrer je individuellen Erlebnisse, Erfahrungen und Reflexionen erkennen können. Methodische Wege dazu werden am Beispiel von Wochenplan-Unterricht, Frei- und Projektarbeit anschaulich dargestellt.
Article
For many years universities around the world have sought to articulate the nature of the education they offer to their students through a description of the generic qualities and skills their graduates possess. Despite the lengthy history of the rhetoric of such policy claims, universities' endeavours to describe generic attributes of graduates continue to lack a clear theoretical or conceptual base and are characterized by a plurality of view-points. Furthermore, despite extensive funding in some quarters, overall, efforts to foster the development of generic attributes appear to have met with limited success. Recent research has shed some light on this apparent variability in policy and practice. It is apparent that Australian university teachers charged with responsibility for developing students' generic graduate attributes do not share a common understanding of either the nature of these outcomes, or the teaching and learning processes that might facilitate the development of these outcomes. Instead academics hold qualitatively different conceptions of the phenomenon of graduate attributes. This paper considers how the qualitatively different conceptions of graduate attributes identified in this research have been applied to the challenge of revising a university's policy statement specifying the generic attributes of its graduates. The paper outlines the key findings of the research and then describes how the university's revision of its policy statement has built upon this research, adopting a research-led approach to academic development. The resultant two-tiered policy is presented and the key academic development processes associated with the disciplinary contextualization of this framework are considered. The discussion explores some of the implications of this novel approach to structuring a university's policy, in particular, the variation in the relationship between discipline knowledge and generic attributes which was a key feature of the qualitative variation in understandings identified in the research.
Article
How will higher education institutions have to position in order to prepare future graduates for the changing society and future work place? The Future Skill Report is based on a number of prior research studies on future skills – future learning and future higher education. It presents validated concept and elaborates a model of future skills, data on future learning and consolidated scenarios for future higher education. With fundamental changes in the job market and challenges in our societies due to a global and technological drivers, research on future skills becomes increasingly relevant. However, many studies fall short on capturing the effects which technological advancements and global cooperation have today and will have in the future on higher education systems, skill development demands and labour market changes. They often reduce future skills directly to digital skills, which – as important as they are – only represent one side of the future skill coin. The results presented from this Delphi survey are taking a broader view and go beyond digital skill demands. The approach elaborates on an experts’ informed vision of future higher education (HE), taking into account the demand for future skills, outlines the four signposts of change which will shape the learning revolution in higher education and presents a first model of future skills for future graduates. It is part of an overarching research project series on “Next Skills” (www.nextskills.org) and collates opinions from an international experts’ panel of almost 50 experts from higher education and business. Experts were asked both, the degree of relevance, as well as the timeframe of adoption for future skills, future higher education scenarios and the driving pillars of change.