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Vogler-Lipp, Stefanie, und Susanne Schwarz. 2017. «E-Portfolios, ‹eine Möglichkeit, viel für sich selbst zu lernen›. Der Einsatz von E-Portfo-
lios als Reflexionsinstrument am Beispiel der Viadrina PeerTutoring-Ausbildung». MedienPädagogik 28, (2. März), 93–107.
https://doi.org/10.21240/mpaed/28/2017.03.02.X.
ISSN 1424-3636www.medienpaed.com
Themenheft Nr. 28: Tagungsband: Bildung gemeinsam verändern: Diskussionsbeiträge
und Impulse aus Forschung und Praxis. Herausgegeben von David Meinhard, Valentin
Dander, Andrea Gumpert, Christoph Rensing, Klaus Rummler und Timo van Treeck.
E-Portfolios, ‹eine Möglichkeit, viel für sich selbst
zu lernen›
Der Einsatz von E-Portfolios als Reflexionsinstrument
am Beispiel der Viadrina PeerTutoring-Ausbildung
Stefanie Vogler-Lipp und Susanne Schwarz
Zusammenfassung
Das Reflektieren und Verstehen des eigenen Lernprozesses gehört zu den studienrelevan-
ten Fertigkeiten, die erlernt und während eines erfolgreichen Studiums vertieft werden
sollten. Seit 2012 wird im Rahmen der Viadrina PeerTutoring-Ausbildung an der Europa-
Universität Viadrina auf den Ausbau und die Weiterentwicklung der Reflexionskompeten-
zen sehr viel Wert gelegt. Im Folgenden werden die theoretischen Grundlagen zusammen-
gefasst und erläutert, wie gutes Reflektieren angeleitet wird. Die Studierenden reflektieren
ihre Lernprozesse in E-Portfolios. Um das komplexe Zusammenspiel einer guten Anleitung
zum Reflektieren, den tatsächlichen Ergebnissen in den E-Portfolios und den Eindrücken
der Mitarbeiter/innen am Zentrum für Schlüsselkompetenzen und Forschendes Lernen
nachvollziehen zu können, werden am Ende einzelne Auszüge aus den E-Portfolios vorge-
stellt und für den Einsatz von E-Portfolio als Reflexionsinstrument plädiert.
E-Portfolios, ‹a chance to learn for themselves› – The use of E-Portfolios as a
reflection tool illustrated by the Viadrina PeerTutoring training programme
Abstract
Reflection and understanding of the own learning process belongs to the study related
skills which are learnt during a motivated study and should be strengthened while
studying. Within the framework of the Viadrina PeerTutoring training programme at the
European University Viadrina on the development and advancement of the reflection
competence is emphasized. Therefore, the theoretical framework of reflection and an
instruction of how to reflect will be highlighted, with the central focus on reflection within
the E-Portfolio of each of the training programme modules. The practical experience and
its demonstration by the staff of the Center for Key Competences and Research-oriented
Learning will herein play an important role. Excerpts of the E-Portfolio will demonstrate
the complex interplay between a good instruction of reflection, the actual learning
experience by the students and the staff's impression. Concluding, an advocacy for the
use of E-Portfolios as a reflection tool will be stated.
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Einleitung
Das 2012 gegründete Zentrum für Schlüsselkompetenzen und Forschendes Lernen
(ZSFL) der Europa-Universität Viadrina (EUV) hat sich zum Ziel gesetzt, eine nach-
haltige und studienzentrierte Lehr- und Lernkultur zu etablieren. Ein wesentlicher
Baustein, um die studienrelevanten Fertigkeiten der Studierenden und vor allem die
Reflexionskompetenz auszubauen, ist die intensive Arbeit mit E-Portfolios. Der fol-
gende Artikel möchte anhand der Expertise der Autorinnen1 aufzeigen, wie diese am
ZSFL organisiert ist und welche Erkenntnisse aus der Praxis bisher daraus gewonnen
wurden. Unsere dargestellten Beispiele beziehen sich vor allem auf diejenigen Stu-
dierenden, die am ZSFL die Viadrina PeerTutoring2-Ausbildung absolviert haben, da
in dieser sehr intensiv mit E-Portfolios gearbeitet wird. Zum besseren Verständnis
wird kurz die Ausbildung vorgestellt, um anschliessend unser theoretisches Grund-
verständnis von Reflexion und den Einsatz von E-Portfolios zu skizzieren. Nachfol-
gend beschreiben wir, wie wir diese in unseren Lehrveranstaltungen konkret anwen-
den. Abschliessend werden Zitate aus E-Portfolios dargestellt, um so exemplarisch
zu zeigen, wie Studierende reflektiert haben.
Die Viadrina PeerTutoring-Ausbildung
«Peer» meint nach gängigen Übersetzungen u. a. Kollege/-in, Gleichaltrige/r,
Gleichgestellte/r. Peer-Tutoring ist ein didaktisches Konzept, das das eigenständige
und wechselseitige Lernen auf Augenhöhe fördert (vgl. Boud 2001, 4; Bruffee 1984).
In Peer-Formaten unterstützen sich Lernende gegenseitig dabei, Lernprozesse eigen-
verantwortlich zu gestalten und selbstständig neue Ideen zu entwickeln.
Seit dem Wintersemester 2012/2013 können Studierenden aller Fachrichtungen am
ZSFL die Ausbildung zum/zur Viadrina Peer-Tutor/in absolvieren, um anschliessend
in unterschiedlichen Formaten ihre Kommilitonen/-innen beim Ausbau der Selbst-
lernkompetenz zu unterstützen. Die Viadrina PeerTutoring-Ausbildung umfasst vier
Module (vgl. Abb. 1).3
1 Beide Autorinnen arbeiten am ZSFL und führen die Viadrina PeerTutoring-Ausbildung in den Bereichen
Interkulturelle Kompetenz, E-Learning sowie Lernen und Präsentieren durch, daher ist im folgenden Text
auch an einigen Stellen von «wir» die Rede.
2 Aufgrund des Eigennamen wird Viadrina PeerTutoring zusammengeschrieben und stellt keinen Recht-
schreibfehler dar.
3 Bis auf die jeweiligen Praxisseminare können alle Ausbildungsmodule auch dann besucht werden, wenn
die Studierenden nicht die ganze Ausbildung absolvieren möchten.
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Abb. 1.: Struktur der Viadrina PeerTutoring-Ausbildung.
Alle angehenden Peer-Tutoren/-innen besuchen das «Modul 1: Grundlagen Team- &
Projektarbeit», in welchem sie sich insbesondere mit Gruppenprozessen, kollabo-
rativer Wissensproduktion, Projektarbeit und der Reflexion ihrer Lernerfahrungen
auseinandersetzen. Anschliessend wählen die Studierenden im «Modul 2: Theorie»
zwischen sieben unterschiedlichen inhaltlichen Spezialisierungen, wozu wissen-
schaftliches Schreiben, Interkulturelle Kommunikation, Lernen und Präsentieren, E-
Learning, Hochschuldidaktik, Sprachen lernen und Diversity zählen. Im Rahmen des
Praxiseinsatzes erwerben sie erste praktische Erfahrungen in ihrer neuen Rolle als
Peer-Tutor/in und werden gleichzeitig begleitet und fachlich unterstützt. Während
der Seminare führen die Studierenden kontinuierlich ein E-Portfolio, indem sie Ar-
beitsaufträge dokumentieren und ihren individuellen Lernprozess reflektieren. Die
Ausbildung endet mit der Präsentation ihrer wichtigsten Lernerfahrungen aus den
Seminaren vor einem öffentlichen Publikum (zum grössten Teil Peer-Tutoren/-innen
aus den anderen spezialisierten Bereichen) und einer feierlichen Zertifikatsüberga-
be.
Beim Konzipieren der Ausbildung wurde darauf geachtet, dass die Studierenden
sich – unabhängig von ihrer jeweiligen inhaltlichen Spezialisierung – intensiv mit
der kritischen Reflexion ihrer eigenen Lernprozesse auseinandersetzen. Ausgebilde-
te Peer-Tutoren/-innen sind in der Lage, ihre Kommilitonen/-innen beim Vertiefen
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und Ausbau von Schlüsselkompetenzen zu unterstützen, indem sie u. a. Eins-zu-Eins-
Beratungen, Workshops, Exkursionen oder begleitete Lerngruppen beispielsweise zu
wissenschaftlichem Arbeiten und Schreiben, interkultureller Handlungskompetenz
oder Lerntechniken anbieten. Sie gehen dabei so vor, dass sie ihren Kommilitonen/-
innen Hilfe zur Selbsthilfe anbieten, um das eigenverantwortliche und nachhaltige
Lernen zu fördern (vgl. Boud 2001, 4; Bruffee 1995; Topping 2005, 631).
Für die Erweiterung von Studier- und Wissenschaftskompetenzen ist es zentral,
nicht nur den Lerngegenstand (Was wird gelernt?) sondern auch das eigene Lern-
handeln (Wie wird gelernt?) zu reflektieren (vgl. Hilzensauer 2008; Jenert 2008) und
sich kritisch mit bestehenden Wissensbeständen auseinanderzusetzen (vgl. Fröhlich
2014). In einem Peer-Format lernen Ratsuchende beispielsweise ihre Anliegen, den
bisherigen Arbeits- und Gedankenprozess gegenüber einer zweiten Person nachvoll-
ziehbar zu erzählen. Dadurch werden implizite Prozesse selbst wieder bewusst. Die
Studierenden sind dadurch gezwungen, ihr Wissen so zu präsentieren, dass es für
Aussenstehende nachvollziehbar wird. Die Beratenden hingegen lernen sich schnell
auf neue Personen und Themen einzustellen und verfestigen ihre Beratungskom-
petenz. Zudem sind wir überzeugt, dass Peer-Formate einen Erfahrungsaustausch
über Lernhandeln ermöglichen. Die Verantwortung für Lernprozesse liegt bei den
Lernenden selbst, um den Ausbau der Selbstkompetenzen und der Studierfähigkeit
zu unterstützen. Eine respektvolle und hierarchiefreie Lernatmosphäre, fördert den
Austausch untereinander und schafft einen Raum, in dem sich die Studierenden aus-
probieren können. Konstruktives Feedback ist ein besonders wertvolles Instrument
sich mit dem eigenen Lernhandeln auseinander zu setzen (vgl. König und Schatten-
hofer 2007, 87f.). Im gesamten Ausbildungsprozess geben sich die Studierenden ei-
nerseits Peer-Feedback, andererseits geben wir ihnen als Lehrende Feedback. Um
den Ansprüchen an die Rolle von Peer-Tutor/-innen gerecht werden zu können, ist
eine fundierte und intensive Ausbildung notwendig. Damit eigenverantwortliches,
reziprokes sowie Lernen auf Augenhöhe stattfindet, sollen Viadrina Peer-Tutoren/-
innen im Anschluss an ihre Ausbildung am ZSFL in der Lage sein:
1. eigene Lern- und Arbeitsprozesse zu reflektieren,
2. sich selbstständig neue Arbeitstechniken, Methoden und Wissen anzueignen,
3. sich kritisch mit Sachverhalten auseinanderzusetzen,
4. effektiv in Teams zu arbeiten und
5. konstruktives Feedback zu geben und zu nehmen.
Diese übergeordneten Lernziele spiegeln sich in allen Modulen der Viadrina PeerTu-
toring-Ausbildung wider. Was verstehen wir nun unter Reflektieren und welche Mass-
stäbe setzen wir an?
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Theoretisches Verständnis von Reflexion
Da unser Verständnis von Universität auf mündigen Studierenden basiert, setzen wir
auf Lehr-Lernprozesse bei denen das eigenständige Lernen im Fokus steht. Reflektie-
ren zu können bedeutet, dass Lernende sich bewusst mit ihren eigenen (Lern-)Erfah-
rungen auseinandersetzen und daraus Rückschlüsse für zukünftiges (Lern-)Handeln
ziehen. Für das Selbstlernen spielt diese Fähigkeit eine zentrale Rolle. Kompetent
reflektieren zu können bezieht sich bei uns auf die Dimensionen Lerngegenstand
(Was?), Lernhandeln (Wie?) und Lernziel (Warum?) (vgl. Jenert 2008, 6-12). Ebenso
ziehen wir die Reflexionsebenen nach Bräuer (2008; 2014) heran, der zwischen Doku-
mentieren, Analysieren, Evaluieren und Planen unterscheidet.
Abb. 1.: Reflexionsebenen nach Bräuer (2008, 2014) und Jenert (2008).
Wir streben in unserem Lehrhandeln danach, Raum zu geben, um Lernprozesse und
Erfahrungen autonom zu planen, zu organisieren und umzusetzen. Die Studieren-
den haben dadurch konkrete Anlässe bzw. Problemlagen, die sie im Rahmen einer
bestimmten Aufgabe bewältigen müssen. Des Weiteren zielen wir durch Fragestel-
lungen und Arbeitsaufträge darauf ab, dass die Studierenden ihre gemachten Erfah-
rungen niederschreiben und reflektieren.
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Auf der ersten Ebene des lerngegenstandsbezogenen Reflektierens setzen sich die
Studierenden mit dem konkreten Problem und den Auswirkungen für das eigene Ler-
nen auseinander. Allerdings stösst diese Reflexion häufig an ihre Grenzen, da sie auf
der Ebene des Gegenstands verhaftet bleibt. Die Dimensionen des Wie-lerne-ich und
des Warum-lerne-ich werden nicht ausreichend berücksichtigt. Erschwerend kommt
hinzu, dass nicht alle Studierenden das gleiche Mass an Reflexionskompetenz mit-
bringen. Es sollte vielmehr davon ausgegangen werden, dass die Reflexionskompe-
tenz im Zuge des allmählichen Erlernens der Studierfähigkeit erst noch erworben
bzw. ausgebaut werden muss (vgl. Jenert 2008, 6ff.; Bosse et al. 2016). Unterstützt
wird dieser Prozess beispielsweise, indem die Studierenden zu Beginn der Lehrver-
anstaltung ihre eigenen individuellen Lernziele definieren. Beim Reflektieren eines
konkreten Lerngegenstands sollen die Lernenden sich bewusstmachen, was sie be-
reits gelernt haben und was sie noch brauchen, um das jeweilige Lernziel zu errei-
chen (vgl. Hilzensauer 2008, 9).
Die zweite Reflexionsebene bezieht sich auf das Lernhandeln. Hierbei geht es bei-
spielsweise darum, wie das Lernen geplant und organisiert wird, welche Methoden
und Strategien hierzu ausgewählt werden, auf welches Vorwissen die Lernenden
zurückgreifen können und mit welchen Emotionen dieser Prozess verbunden sind
(vgl. ebd., 9f.). Diese Ebene ist dem Lerngegenstand übergeordnet (vgl. Jenert 2008,
8ff.). Die Reflexion des Lernprozesses soll ermöglichen individuelle Antworten auf
die Fragen zu finden, warum wann Lernhandlungen erfolgreich waren und wie diese
dauerhaft in das eigene Handlungsrepertoire integriert werden können. In unseren
Seminaren setzen wir beispielsweise gezielt auf Gruppenarbeit als Konzept, damit
die Teilnehmenden verschiedene Lernhandlungen ihrer Kommilitonen/-innen ken-
nenlernen und gleichzeitig an einem konkreten Produkt arbeiten müssen. Anhand
der Anmerkungen in den E-Portfolios der Studierenden und der Feedbackgespräche
können wir feststellen, dass diese Form der Gruppenarbeit als sehr bereichernd für
die eigenen Lernstrategien wahrgenommen wird. Voraussetzung hierfür ist, dass die
autonome Gruppenarbeit durch klare Aufgabenstellungen und theoretische Hinter-
gründe zu Teamprozessen begleitet wird. Durch die Interdisziplinarität der Studie-
renden und der Ausbildung lernen die Teilnehmenden unterschiedliche epistemi-
sche Überzeugungen und Lernhandlungen kennen. Nach Jenert (vgl. 2008, 8ff.) ist die
Weiterentwicklung von epistemischen Überzeugungen eine wichtige Voraussetzung,
um das eigene Lernen besser verstehen, und entsprechend neuer Erkenntnisse, ver-
ändern zu können. Durch Reflexionsfragen (vgl. Kap.: Anleitung für das Reflektieren
in den Lehrveranstaltungen) versuchen wir die Studierenden anzuregen in ihren E-
Portfolios zu beschreiben, wie sie erfolgreich lernen. Uns interessiert beispielsweise,
ob sie im Rahmen der Kleingruppen in den einzelnen Modulen (siehe Abb. 1) sowie in
den E-Portfolios anders lernen als in klassischen Lehrveranstaltungen.
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Das Reflektieren über den eigenen Lernprozess soll die Studierenden dazu befähi-
gen, sich eigene Lernziele zu setzen und ihre Lernstrategien an diese anzupassen.
Diese Fähigkeit halten wir mit Blick auf die Studierfähigkeit und zukünftige Berufstä-
tigkeit der Studierenden für zentral. Geht man von einem dreistufigen Reflexionsmo-
dell aus, fehlt noch die letzte, übergeordnete Ebene.
Bei der dritten Reflexionsebene geht es um die ziel- und identitätsbezogene Refle-
xion (vgl. ebd.) Damit ist gemeint, dass die Studierenden sich mit den Zielen ihres
Lernens auseinandersetzen. Bei den beiden anderen Ebenen stehen jeweils der Lern-
gegenstand und das Lernhandeln im Fokus. Indem das Warum einbezogen wird, wird
die nächste Reflexionsebene erreicht. Diese Prozesse bewegen sich auf der individu-
ellen Ebene der Bildungsbiographie.
Wenn sich externe Vorgaben und feste Bezugspunkte immer mehr auflösen, ist
der Einzelne gefragt, die Zielrichtung des eigenen Handelns festzulegen. Wird
dies nicht geleistet, fehlt selbstorganisiertem Lernen die Legitimationsbasis
bzw. bleibt Lernen im Grunde fremdbestimmt. (Jenert 2008, 9)
Natürlich sind die Studierenden auch in unseren Seminaren durch Curricula, Modul-
und Seminaranforderungen eingeschränkt. Allerdings versuchen wir durch unsere
Reflexionsanleitung den Blick auf individuelle Ziele und Motivationen zu erweitern.
In einem der selbstgewählten Projekte befragen die Studierenden beispielsweise
Alumni nach deren Berufseinstieg und wie diese rückblickend ihr Studium bewerten.
Sie haben sich dieses Thema selbst gewählt, um sich so mit eigenen Zukunftsängsten
und -wünschen auseinanderzusetzen. Hier fand ganz explizit eine Ansprache dieser
dritten Ebene statt. Der Austausch unter ‹Peers› über Lerngegenstand, Lernhandlun-
gen, unterschiedliche Konzeptionen von Wissen und persönliche Motivationen hal-
ten wir für einen stimulierenden Kontext, um über das eigene Lernen und die damit
verbundenen Handlungen und Ziele auf unterschiedlichen Ebenen zu reflektieren.
Dieser Austausch soll im Rahmen der Viadrina PeerTutoring-Ausbildung durch Arbeit
in Projektgruppen, Orientierungsfragen und Peer-Feedback angeregt werden.
Anleitung für das Reflektieren in den Lehrveranstaltungen
Wir gehen davon aus, dass Reflexionskompetenz erworben werden kann. Daher the-
matisieren wir gegenüber den Studierenden in den Seminaren explizit, was wir unter
gutem Reflektieren verstehen. Die Teilnehmenden erarbeiten sich die Reflexionsebe-
nen nach Bräuer (vgl. 2008; 2014) und Jenert (vgl. 2008) (siehe Abb. 2), insbesondere,
weil wir glauben, dass sich beide theoretischen Konstrukte wunderbar ergänzen und
unseren Anforderungen an gutes Reflektieren gerecht werden. Wir zielen darauf ab,
dass sich die theoretischen Annahmen in den Arbeitsaufträgen und Orientierungsfra-
gen widerspiegeln. Gerade vor dem Hintergrund, dass in einigen Seminaren auch die
Reflexionen als Bewertungsgrundlage dienen.
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Wie im theoretischen Rahmen beschrieben, halten wir das Formulieren von Lernzie-
len für unerlässlich. Hierbei geht es sowohl um individuelle Lernziele als auch jene,
die durch die Lehrveranstaltung vorgegeben werden. Damit die Studierenden den
Sprung von der gegenstandsbezogenen zur zielbasierten Reflexionsebene schaffen
und in ihrem E-Portfolio beschreiben können, unterstützen wir sie mit Orientierungs-
fragen. In einer Reflexion sollen im ersten Schritt die geforderten Lernaktivitäten
knapp dokumentiert und beschrieben werden. Daran schliesst sich die Analyse und
Interpretation an. Hierbei sollen Bezüge zur eigenen Leistung erkennbar sein und
Konsequenzen für das eigene Handeln erläutert werden. Das Bewerten und Beurtei-
len beinhaltet die Evaluation der konkreten Lernaktivität für das eigene Lernziel und
bezieht auch emotionale Komponenten mit ein. Beim Planen geht es darum, aus der
Evaluation heraus Rückschlüsse auf die Erreichung des angestrebten Lernzieles zu
ziehen, beispielsweise ob das bisherige Lernhandeln angepasst werden muss, um
ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Wenn die Reflexionen bewertet werden, ist es un-
abdingbar, dass diese unterschiedlichen Ebenen und Anforderungen für Studierende
transparent gemacht werden. Je nachdem, wie viele Ebenen reflektiert werden, er-
halten die Studierenden eine entsprechend angemessene Rückmeldung. Die dafür
geeigneten Reflexionsfragen werden im Folgenden kurz aufgezeigt4:
–Mein Ziel: Was möchte ich aus dem Seminar oder der Lernaktivität mitnehmen?
Was möchte ich lernen bzw. was ist das Ziel? Wie passt das mit meiner Lernbio-
graphie bzw. meinem Berufswunsch zusammen?
–Dokumentieren & Beschreiben: Um was für ein Seminar oder Lernaktivität han-
delt es sich? In welchem Rahmen findet das Seminar oder die Lernaktivität statt?
Wie ist das Seminar oder die Lernaktivität aufgebaut? Was habe ich (was haben
wir) gemacht? Wie wurde das Seminar oder die Lernaktivität gestaltet (Welche
Übungen und Inputs gab es? Mit welchen Materialien wurde gearbeitet?) Welche
einzelnen Schritte wurden gegangen? Wie bin ich bei dem Seminar oder bei der
Lernaktivität vorgegangen?
–Analysieren & Interpretieren: Wie motiviert arbeite ich mit? Womit habe ich Pro-
bleme? Wie kann ich diese Probleme lösen? Welche Erfahrungen habe ich ge-
macht? Was war hilfreich für mich? Was ist mir während des Seminars oder der
Lernaktivität gelungen und was nicht? Was bedeutet das für meine Handlungen
oder mein Ziel und welche Folgen ergeben sich daraus?
–Bewerten & Beurteilen: Wie habe ich mich während des Seminars oder der Lern-
aktivität gefühlt? Was hat mir gefallen und was nicht? Wie gefällt mir das Seminar
oder die Lernaktivität im Vergleich zu anderen Veranstaltungen und Lernaktivitä-
ten? Was gefällt mir besser oder schlechter? Inwiefern wurden meine Erwartun-
gen (Ziele) erreicht oder nicht? Würde ich es nochmal ausprobieren?
4 In Anlehnung an Bräuer (vgl. 2014).
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–Planen: Was habe ich erfahren, entdeckt, festgestellt und was nehme ich davon
Neues mit? Womit/mit welchen Themen möchte ich mich näher beschäftigen?
Welche Fragen/Ideen sind mir eingefallen? Welche Handlungsalternative gibt es?
Welche konkreten Schritte kann ich für eine nächste Lernaktivität oder ein fol-
gendes Seminar planen? Was nehme ich mir vor?
Im Folgenden wird nun der praktische Einsatz von E-Portfolios und dessen Umset-
zung in der Viadrina PeerTutoring-Ausbildung beleuchtet.
Einsatz von E-Portfolios in der Viadrina PeerTutoring-Ausbildung
Nachdem wir ausführlich unser theoretisches Grundgerüst von Reflexion vorgestellt
haben, möchten wir nun näher darauf eingehen, wo die geschilderten Reflexionsebe-
nen und -prozesse sichtbar werden sollen, nämlich in den E-Portfolios. Wir verstehen
E-Portfolios als netzbasierte Sammelmappen zur Dokumentation von oben beschrie-
benen Lern- und Reflexionsprozessen. Hierbei stehen sowohl konkrete Produkte,
Planungen als auch Prozesse im Vordergrund (vgl. Arnold et al. 2013, 266f.). Im Rah-
men der Viadrina PeerTutoring-Ausbildung ist es eines unserer zentralen Lernziele,
dass die Studierenden ihre Reflexionskompetenzen ausbauen. Demnach erfährt die
stetige Auseinandersetzung und Reflexion mit dem Erlernten in den Modulen einen
besonderen Stellenwert in der gesamten Ausbildung. Bei der Arbeit mit E-Portfolios
geht es uns aber auch darum, dass Studierende ihre Medienkompetenz ausbauen, sei
es bei der technischen Bedingung der entsprechenden Software oder dem Schreiben
in Onlinemedien.
Aus der Vielzahl an potentiell geeigneten Medien entschieden wir uns als Team für
den Einsatz von E-Portfolios mit der Software Mahara. Dies geschah vor allem aus
folgenden Gründen: ein wichtiges Argument war die breite Einsetzbarkeit von E-
Portfolios, sie können sowohl das individuelle Lernen widerspiegeln als auch gegen-
über potentiellen Arbeitsgebern als digitale Visitenkarte einer Bewerbung beigelegt
werden. Bevor die Wahl auf Mahara fiel, haben wir uns mit verschiedenen alterna-
tiven Anbietern auseinandergesetzt (vgl. Baumgartner et al. 2006, 8ff.). Für Mahara
als geeignete Lernplattform sprach, dass es ansprechende Kommentarfunktionen
gibt, z. B. kann man Feedback einfach hinzufügen. Des Weiteren gibt es eine Vielzahl
an Gestaltungsmöglichkeiten (Blogs, Textfelder, Einbetten von Bildern, Homepages,
usw.) und Mahara war vergleichsweise einfach in die bestehende Moodle-Plattform
der EUV einzubinden. Das Hauptargument war allerdings, dass die Studierenden
auch nach Abschluss des Studiums ihren Account behalten können.
Entgegen gängigen Typologien von E-Portfolios (vgl. Arnold et al. 2013, 268f.; Baum-
gartner et al. 2006, 3ff.) möchten wir kurz die für unsere Ausbildung unterschiedli-
chen Arten von E-Portfolios erwähnen. Grundsätzlich unterscheiden wir zwischen in-
dividuellen Arbeitsportfolios und Präsentationsportfolios. Arbeitsportfolios sind die
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Ansichten, in denen die Studierende selbst erstellte Inhalte (sogenannte Artefakte)
wie z. B. Reflexionen und Lösungen zu Seminaraufgaben darstellen. Die Studieren-
den erhalten hierauf sowohl von den Lehrenden als auch Peer-Feedback. So lernen
die Studierenden gleichzeitig konstruktiv Feedback zu geben, als auch zu nehmen,
was wiederum eines unserer übergeordneten Lernziele ist (vgl. König und Schatten-
hofer 2007, 87f.). Diejenigen Studierenden, die die Viadrina PeerTutoring-Ausbildung
abschliessen, stellen für die feierliche Zertifikatsübergabe eine individuelle Samm-
lung aus den Arbeitsportfolios zusammen und stellen ihr elektronisches Präsentati-
onsportfolio gegenüber einem hochschulöffentlichen Publikum und vor allem aber
ihren Peers, d. h. Kollegen/-innen aus anderen Fachbereichen, vor. Hierin werden,
je nach Vorgabe durch die Lehrenden, spezifische Artefakte von den Studierenden
zusammengestellt, die ihre gesamte Ausbildung und ihre wichtigsten Lernprozesse
repräsentieren. Anschliessend erhalten sie ein mündliches und schriftliches Feed-
back durch die anderen Teilnehmenden. Unsere Studierenden erstellen demnach
sowohl reflexive Prozessportfolios als auch produktorientierte Präsentationsport-
folios. Es geht bei dem Einsatz von Reflexionen nicht nur um das Prozesshafte um
selbständiges Lernen zu fördern, sondern auch darum, die individuellen Reflexionen
als konkretes Produkt für andere sichtbar zu machen. Das konkrete Produkt besteht
zum Beispiel aus Reflexionen der gelesenen Texte, von einzelnen Seminarsitzungen,
aus Kleingruppenarbeit und vor allem werden die konkreten Lernerfahrungen der
Peer-Tutoren/-innen für andere Peers visualisiert. Uns ist in diesem Zusammenhang
vor allem das Herausfiltern und Darstellen der wichtigsten Lernerfahrungen wich-
tig. Durch die Vielzahl der Peer-Tutoren/innen, die bei uns ihren Abschluss machen
(durchschnittlich 20 Peer-Tutoren/-innen pro Semester) war eine intensive Präsen-
tation vor allen Peer-Tutoren/-innen nicht mehr zu unserer Zufriedenheit gewähr-
leistet. Um einen intensiveren Austausch über die Lernerfahrungen zu erzielen, ha-
ben wir zum einen die Präsentation der E-Portfolios in Kleingruppen aufgeteilt (pro
Gruppe muss mindestens ein/eine Peer-Tutor/in aus jedem Fachbereich dabei sein),
und zum anderen haben wir die Vorgaben an das Präsentationsportfolio mehrfach
geändert. So haben wir beispielsweise am Anfang keine Vorgaben gemacht, was sie
in ca. 7 Minuten präsentieren. Die Erfahrungen zeigten, dass sie besser gearbeitet
haben und sich konkreter austauschen konnten, wenn wir vorgaben, dass sie zu ei-
nem Lernereignis oder einer inhaltlichen Begebenheit aus einem Ausbildungsmodul
detailliert berichten sollten.
Die Einführung in die Portfolioarbeit findet hauptsächlich in «Modul 1: Grundlagen
Team- & Projektarbeit» statt, da diese Lehrveranstaltung von allen angehenden Peer-
Tutoren/-innen besucht werden muss und am Beginn ihrer Ausbildung steht. Am
ersten Tag bekommen die Studierenden eine theoretische Einführung über kollabo-
rative Prozesse der Wissenskonstruktion und die Bedeutung von Reflexion für das ei-
genständige Lernen. Am zweiten Blocktag erhalten sie eine mehrstündige Einführung
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in die Software Mahara. Dieser Workshop findet im Peer-Format statt und wird von
studentischen E-Learning-Beratern/-innen durchgeführt. Er zielt darauf ab, dass die
Studierenden bereits in der Einführung selbst praktisch tätig werden und erste Ma-
hara-Ansichten erstellen.
Beispiele aus den E-Portfolios
Abschliessend möchten wir positive und anregende Beispiele aus den studentischen
E-Portfolios aufzeigen. Wir unterstützen damit unsere eingangs formulierte These,
dass der Ausbau der Reflexionskompetenz ein intensiver Prozess ist, der Anleitung
und Austausch (zwischen den Peers und mit den Seminarleiterinnen) braucht. Nach
unseren Erfahrungen entwickelt sich bei den Studierenden ein Bewusstsein darüber,
dass Reflexion über den eigenen Lernprozess das Grundgerüst für lebenslanges Ler-
nen ist.
Das vorliegende Material5 wird und wurde im Rahmen des Promotionsvorhabens ei-
ner der Autorinnen seit dem Wintersemester 2012/2013 gesammelt und beforscht6.
Im Rahmen jedes Ausbildungsmoduls wird die Forschungserlaubnis der Studieren-
den eingeholt, wobei die Einwilligung anonym und freiwillig erfolgt. Die folgenden
acht Zitate wurden aus dem «Modul 2: Theorie Interkulturelle Kompetenz fördern
– Theoretische Grundlagen interkultureller Lernsettings» gesammelt.
Thema Auszug aus den E-Portfolios
Reflexion (1) «Zu reflektieren hat mir nicht nur geholfen, mein Verhalten im interkul-
turellen Kontext zu hinterfragen und zu analysieren, sondern hilft mir auch
im Alltag und im universitären Kontext einen klaren Kopf zu bewahren.» (S
1, SoSe 2014)
(2) «Abschliessend kann ich sagen, dass die Planungsphase eines Work-
shops zwar nervenaufreibend, aber auch spannend ist und eine Möglichkeit
viel für sich selbst zu lernen. Obwohl ich nun mehr über Stereotypen und
Vorurteile weiss, ertappe ich mich oft im Alltag dabei, wie ich in Stereotypen
denke. Allerdings kann ich mich jetzt selbst ermahnen und quasi konditio-
nieren sie zu reflektieren und zu überdenken.» (S 1, SoSe 2014)
Feedback (3) «Zwar versuche ich Kritik immer konstruktiv anzubringen, doch sie ist
vielleicht nicht immer notwendig. Ich möchte versuchen in Zukunft allge-
mein positiver zu Denken und auch entsprechend zu bewerten.» (S 5, WiSe
2013/2014)
5 Da es sich hierbei um Originalzitate handelt, wurden diese nicht korrigiert.
6 Die Forschungsmethode ist eine qualitative Mixed-Method Variante und verbindet die Metaphernanalyse
mit Gruppeninterviews.
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Thema Auszug aus den E-Portfolios
Lernprozess (4) «Insgesamt sehe ich meinen interkulturellen Lernprozess als eine Spirale
an, weil durch theoretische und praktische Auseinandersetzung mit dem
Thema immer wieder neue Einflüsse neue Denkprozesse anregen und durch
Veränderungen und Dynamik von Kulturen nie ein festes Bild entstehen
kann. [...] die bewusste und verschriftlichte Auseinandersetzung mit neu
gelernten Themen weiterführende Gedanken anregt und den Lernprozess
keineswegs stagnieren lässt.» (P4, WiSe 2012/2013)
(5) «Auch im akademischen Kontext hat mich das Reflektieren gelehrt
meine Lernprozesse zu hinterfragen und mich mit meinen Schwächen und
Stärken auseinanderzusetzen.» (S1, SoSe 2014)
Seminarinhalte (6) «Dieses Seminar hat mir tiefere Einblicke in die unterschiedlichsten
Konzepte und Theorien der Interkulturalität und des Kulturbegriffes an sich
ermöglicht. Ein Teil der Theorien hat einige meiner gemachten Erfahrungen
nachträglich erklärt was eine sehr schöne Erfahrung war. So habe ich einige
Aha-Momente während des Seminars erlebt.» (S 5, WiSe 2013/2014)
Peer-Learning (7) «Selbst erlebt habe ich dieses Konzept nun während des Seminars „Peer
Tutoring für Interkulturelle Kompetenz“. Ich konnte dabei ganz konkret in
der Praxis beobachten, welchen Mehrwehrt diese Form der Wissenserarbei-
tung gegenüber anderen Formen hat und merke an den Inhalten, die mir
noch in Erinnerung sind deutlich, wie erfolgreich das Konzept sein kann.» (S
6, SoSe 2014)
E-Portfolios (8) «Beim Erstellen sind mir selbst noch viele Dinge bewusst geworden oder
wieder in Erinnerung gekommen, denen ich vorher weniger Bedeutung
beigemessen habe.» (S 6, SoSe 2014)
In jedem einzelnen Beispiel wird das Bewusstsein und Wissen der Studierenden deut-
lich etwas gelernt und sich weiterentwickelt zu haben. Die Ergebnisse zeigen uns ei-
nerseits, dass die Studierenden konkrete Lerninhalte analysieren und hinterfragen
und andererseits auch ihre Denk- und Lernprozesse strukturieren, weiterentwickeln
und dadurch zukünftige Lernhandlungen evaluieren können. An ausgewählten Bei-
spielen soll dies nun näher erklärt werden.
Beispiel (6) verdeutlicht, dass der/die Studierende tiefe Einblicke in die unterschied-
lichsten Konzepte und Theorien der Interkulturalität und von Kultur bekommen hat,
und dass die Auseinandersetzung ihm/ihr einige ganz persönliche Erfahrungen nach-
träglich erklärt. Dies war eine sehr wertvolle Erfahrung für denjenigen/diejenige.
Hier wird demnach eindeutig illustriert, dass Lerninhalte reflektiert wurden und das
Seminar zum Nachdenken angeregt hat. In Beispiel (2) hat die Person etwas über Ste-
reotype und Vorurteile gelernt und überträgt dies auf ihren Alltag. Sie ist überrascht,
dass sie das Erlernte über diesen konkreten Seminarinhalt nun (neu) überdenken
und reflektieren kann. Und Beispiel (4) zeigt, dass der interkulturelle Lernprozess
durch das neu Erlernte keineswegs stagniert und lässt die Vermutung zu, dass in
Zukunft immer wieder neue Einflüsse und Erfahrungen dazukommen und künftige
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Lernhandlungen beeinflusst werden. Beispiel (8) weist darauf hin, dass erst nach
dem Reflektieren in den E-Portfolios die Bedeutung von Inhalten und deren Ausein-
andersetzung bewusst geworden ist und somit für zukünftiges Lernen und konkrete
Handlungen bedeutsam ist.
Fazit und Ausblick
Unsere Darstellung und der beispielhafte Einsatz von Reflexion im Rahmen der Viad-
rina PeerTutoring-Ausbildung an der EUV hat gezeigt, dass eine sorgfältige Auseinan-
dersetzung mit den theoretischen Grundlagen von Reflexion notwendig ist, um Lern-
prozesse anzuregen und das Reflektieren zufriedenstellend zu praktizieren. Es ist
wichtig, den Reflexionsprozess mit klaren (Leit-)fragen ein- und anzuleiten und den
Studierenden (immer wieder) zu verdeutlichen, welche Vorteile dies für das eigene
Lernhandeln und den Ausbau der Studier- und Wissenschaftskompetenz jedes Ein-
zelnen hat. Die Anforderungen, die wir mit Reflexion und dem Ausbau der Reflexions-
kompetenz an unsere Studierenden stellen, legen wir auch unserer Arbeit zugrunde.
Nach jedem Semester werten wir unsere Erfahrungen mit dem Einsatz der E-Port-
folios aus und ziehen Rückschlüsse für die kommenden Seminare. So durchlaufen
nicht nur die einzelnen Seminare einen fortwährenden Reflexionsprozess, sondern
auch die gesamte Viadrina PeerTutoring-Ausbildung. Der Einsatz und die Anwendung
der E-Portfolios liefen seit dem Sommersemester 2013 mit Herausforderungen ab,
die im Folgenden kurz zusammengefasst werden.
Es gibt im Leitungsteam lange Abstimmungsprozesse darüber, was gutes Reflektie-
ren ausmacht, auf welcher Grundlage die E-Portfolios benotet werden und wie wir
die Anforderungen an das Reflektieren transparent machen. Weniger gelungene Re-
flexionen, die beispielsweise auf einer beschreibenden Ebene bleiben und die von
uns gewünschte Tiefe und Qualität vermissen lassen, führen zu Irritationen bei uns.
Wir fragen uns dann beispielsweise, ob eine schlechte oder unklare Anleitung von
den Dozierenden oder die fehlende Motivation seitens der Studierenden dazu geführt
haben. Die Studierenden erkennen den Mehrwert des Reflektierens erst spät oder
gar nicht. Oftmals haben wir die Erfahrungen gemacht, dass erst nach ein bzw. zwei
Semestern oder gar noch später, die stetige Reflexionsarbeit ‹Wirkung› zeigt. Daher
planen wir die Lernwirksamkeit unserer Ausbildung bzw. die Arbeit mit Reflexion in
unserer Ausbildung zu beforschen und Alumni Peer-Tutoren/-innen zu befragen, was
konkret sie aus der Ausbildung für ihre derzeitige Tätigkeit mitgenommen haben und
welche Lernerfahrungen für sie enorm wichtig und gewinnbringend waren. Zudem
stellt die intensive Arbeit mit Mahara für einige Studierende eine unerwartete He-
rausforderung dar. So kommt es vor, dass sich Studierende vom zeitlichen Umfang
und der Intensität der Vor- und Nachbereitung der Seminare überrascht und teilweise
überfordert zeigen, was sie frustriert. Seitens der Universität gab es Schwierigkeiten
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bei der Anerkennung des E-Portfolios als Leistungsnachweis mit Verweis auf die Fra-
ge nach der ‹Eigenleistung› der Studierenden.
Abschliessend möchten wir darauf hinweisen, dass eine der Autorinnen in ihrem
Promotionsvorhaben den Erwerb von Reflexionskompetenzen in den E-Portfolios er-
forscht und herausfinden möchte, ob und inwieweit sich die Reflexionskompetenz
im Verlauf der Ausbildung und hinsichtlich des Lernprozesses bei den angehenden
Peer-Tutoren/-innen entwickelt und ausgebaut hat. Insbesondere liegt der Fokus auf
der Analyse der E-Portfolios aus «Modul 2: Theorie» mit der interkulturellen Spezia-
lisierung.
Wir möchten in diesem Sinne mit einem Zitat von Goethe entsprechend unseren
Überzeugungen und Gedanken zum Lernen und Reflektieren enden: «Wie kann man
sich selbst kennen lernen? Durch Betrachten niemals, wohl aber durch Handeln.»
Literatur
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Abbildungen
Abb. 1.: Struktur der Viadrina PeerTutoring-Ausbildung.
Abb. 2.: Reflexionsebenen nach Bräuer (2008, 2014) und Jenert (2008).