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DIGITAL. INTERNATIONAL. INTERDISZIPLINÄR.
NEUE LEHR-LERN-FORMATE FÜR DIE INGENIEURAUSBILDUNG
Christin Nenner und Aline Bergert
TU Bergakademie Freiberg, elearning@tu-freiberg.de
Abstract 1 In der internationalen und ausschließlich virtuellen MINT Summer School bearbeiten
Studierende über neun Wochen hinweg interdisziplinäre Fallstudien. Diese Fallstudien basieren auf
realen Problemstellungen global agierender Unternehmen. Die studentischen Teams werden bei der
Fallstudienbearbeitung von studentischen E-TutorInnen sowie FachberaterInnen der kooperierenden
Unternehmen begleitet. Neben der interdisziplinären Bearbeitung fachlicher Fragestellungen wird
der eigene Lernprozess dokumentiert und reflektiert. Zentrale Aspekte dabei sind die Arbeit im
virtuellen Team sowie der Umgang mit interkulturellen Herausforderungen. Das Format zeigt, dass
die hochschulstrategischen Ziele Internationalisierung, Digitalisierung und Berufsorientierung im
Rahmen eines konkreten Lehr-Lern-Angebots praktisch verzahnt werden können.
Keywords: Fallstudien, virtuelle Teamarbeit, Digitalisierung der Lehre, Internationalisierung
Abstract 2 During the international and exclusively virtual STEM Summer School, students work in
small groups over nine weeks on interdisciplinary case studies. The case studies are based on real
issues of global companies. The student teams are supported by specially trained student e-tutors
and consultants from the cooperating companies during the whole case study work. In addition to
the case study work, the own learning process is documented and reflected. Central aspects are the
work in the virtual team and dealing with intercultural challenges. The format shows that the
university strategic goals of internationalization, digitization and career orientation can be
practically interlinked as part of a concrete teaching-learning offer.
Keywords: Case study, virtual teamwork, digitization, internationalization, higher education
AUSGANGSPUNKT UND ZIEL
StudienabsolventInnen sehen sich während ihres Berufsstarts nicht nur mit fachlichen Themen
konfrontiert. Besonders Internationalisierung und Digitalisierung stellen sie zunehmend vor
Herausforderungen. Das flexible Einarbeiten in neue Themengebiete wird genauso vorausgesetzt,
wie der angemessene Umgang mit kulturellen Unterschieden im Team und den digitalen Medien zur
Verständigung mit Arbeitsgruppen auf Distanz. Die klassischen Formate Vorlesung, Seminar und
Übung kommen hier an ihre Grenzen. Dies zeigt die Notwendigkeit neuer Lehr-Lern-Formate für die
zeitgemäße universitäre Ausbildung auf [1], die Vermittlung der derzeit in der Industrie
erforderlichen Fähigkeiten und Kompetenzen zu ermöglichen ohne gleichzeitig die Idee einer
universitären Bildung zu verkürzen [2].
Die internationale MINT Summer School wurde im Rahmen des Projekts „Holistic International
STEMs – Lernen mit Fallstudien und Praxiserfahrungen“ gefördert durch den Stifterverband für die
deutsche Wissenschaft und die Daimler und Benz Stiftung als innovatives Lehr-Lern-Format im
Kontext der Förderlinie MINTernational konzipiert und erprobt [3].
IDEE UND CHARAKTERISIERUNG
Idee der internationalen, virtuellen MINT-Summer School ist es, die aktuellen hochschulpolitischen
bzw. -strategischen Ziele der Digitalisierung, Internationalisierung sowie Beschäftigungsfähigkeit/
Praxisorientierung handhabbar zu machen und in einem praktischen Lehr-Lern-Projekt umzusetzen.
Wie läuft dies konkret ab? Internationale MINT-StudentInnen bearbeiten über neun Wochen
hinweg interdisziplinäre Fallstudien im virtuellen Raum. Bei den Fallstudien handelt es sich um
didaktisch aufgearbeitete Praxisprobleme global agierender Unternehmen. Die Bearbeitung der
Fälle erfolgt in Kleingruppen von drei bis sechs Personen. Die Teams werden bei ihrer Arbeit durch
geschulte studentische E-TutorInnen und FachberaterInnen der kooperierenden Unternehmen und
Hochschulen unterstützt. Die Gruppen erhalten wöchentlich individuelle bzw. teambezogene
Aufgaben zu fachlichen Themen oder zur Selbstreflexion, die entsprechend einzureichen/mit den
MentorInnen zu diskutieren sind.
a) Digitalisierung: Bedingt durch die zum Teil sehr große räumliche Distanz zwischen den einzelnen
TeilnehmerInnen erfolgt die Teamarbeit ausschließlich virtuell, da nur mithilfe computervermittelter
Kommunikation oder anderer Distanzkommunikationstechnologien kommuniziert und interagiert
wird [4]. Face-to-Face-Treffen zur gemeinsamen Bearbeitung der Fallstudien sind im Rahmen des
Projekts nicht angedacht. Dies entspricht dem Alltag in internationalen Unternehmen. Virtuelle
Treffen von Teams werden – entgegen der hiesigen Lehrtradition an Hochschulen – nicht (mehr) als
defizitär empfunden, sondern als sinnvolle Erweiterung der Face-to-Face-Situation [5]. Die
genutzten Werkzeuge entsprechen den real in Firmen eingesetzten Video- bzw. Web-Conference-
Tools. Die StudentInnen kommen damit nicht nur vor ihrem Berufseinstieg mit den entsprechenden
Kommunikationstechnologien in Kontakt, sondern erleben auch die damit einhergehenden
Herausforderungen bzgl. technischer Stabilität der Verbindung, interkultureller Verständigung,
Problemlösung im virtuellen Raum, Datenschutz etc.. Digitale Medien stellen hierbei eine
Möglichkeit zur verstärkten Praxisorientierung dar und haben eine Scharnierfunktion zwischen
Praxis und Hochschule.
b) Internationalisierung: Das internationale Teamwork-Szenario spiegelt die Bedeutung von
Zusammenarbeit (Kooperation und Kollaboration) sowie sozialer und interkultureller Kompetenz für
Unternehmen wider. Es bietet den StudentInnen die Möglichkeit, ihre Kommunikationsfähigkeit zu
verbessern und Projektmanagementmethoden für die Bewältigung komplexer Aufgaben zu erlernen
und/oder anzuwenden. Der Online-Kurs ist bilingual (deutsch/englisch) angelegt und fördert die
Auseinandersetzung mit fachspezifischem Vokabular in beiden Sprachen. Die Interkulturalität
innerhalb des Teams wird sowohl während der virtuellen Teamtreffen als auch individuell von
jedem Teilnehmenden reflektiert. Hierfür wurden teambezogene Aufgaben sowie individuelle
Reflexionsaufgaben (E-Portfolio) konzipiert und jede Woche in den Bearbeitungsprozess der Teams
eingebunden.
c) Beschäftigungsfähigkeit/Praxisorientierung: Den Kern der internationalen MINT Summer School
bildet die Bearbeitung von Fallstudien [6], die real bestehende Problem- und Fragestellungen von
Industriepartnern abbilden. Beispiele hierfür sind die Darstellung von Optimierungsvorschlägen für
den Herstellungsprozess des saisonalen Grippeimpfstoffes (GSK Vaccines, D/UK), die Empfehlung
von Werkstoffen für ein neues Prototypkonzept von Katastrophenschutzfahrzeugen (SEM Fire and
Rescue Pty Ltd, AUS) und das Konzipieren einer mobilen App für den Besucherservice des
Forschungs- und Besucherbergwerks der TU Bergakademie Freiberg (akili:innovation GmbH, D). Um
die mit hoher Wahrscheinlichkeit vorherrschende Interdisziplinarität am zukünftigen Arbeitsplatz
abzubilden, wurde bei der Konzeption der Fallstudien stark auf die Notwendigkeit verschiedener
fachlicher Hintergründe für die erfolgreiche Lösung der Fragestellungen geachtet. Bei dem
gewählten Konzeptionsansatz der Fallstudien, der case-problem-method [7], werden die
Praxisprobleme ausdrücklich genannt und Rahmenbedingungen definiert. Der Schwerpunkt dieser
Methode liegt in der Ermittlung von Lösungsansätzen, der Ausarbeitung von Strategien zur
Bewältigung sowie der gemeinsamen Entscheidungsfindung.
UMSETZUNG
Die internationale MINT Summer School wird als halb-offener Open Online Course umgesetzt. Halb-
offen ergibt sich aus der Kombination eines öffentlichen und eines geschützten Bereichs. Die
Projektvorstellungen und Abschlusspräsentationen sind im Rahmen der Webkonferenzen öffentlich
zu verfolgen, d.h. Interessierte aus Hochschulen und Wirtschaft können virtuell teilnehmen und sich
an der Diskussion beteiligen. Die Bearbeitung der Fallstudien und der Austausch in den Gruppen
finden im geschützten Raum auf der Lernplattform oder in team-internen Webkonferenzen statt. E-
Learning Tools wurden, wie folgend erläutert, passend zum Einsatz während der internationalen
MINT Summer School (individuell <-> im Team, synchron <-> asynchron) ausgewählt:
• Blog mit Mitteilungsfunktion (E-Mail): Bekanntmachung des aktuellen Stands der
Fallstudienbearbeitung, der Ziele und Aufgaben für die nächste Arbeitsphase und die
Abgabefristen für die einzureichenden (Zwischen-) Ergebnisse durch die
Projektkoordination
• Wiki: Austausch der Informationen zwischen den Teammitgliedern, peer-to-peer
communication, Darstellung des aktuellen Arbeitsstands, Informationssammlung
• Forum: Fragen stellen, bereits gegebene Antworten finden (FAQ), Informationssammlung
• Virtueller Klassenraum: Durchführung von Teamtreffen und Absprachen, Treffen mit
FachberaterInnen, Durchführung von Webkonferenzen zur Kick-off- und
Abschlussveranstaltung, Durchführung einer interaktiven Feedback-Veranstaltung
• E-Portfolio [8]: Dokumentation und Reflektion des Lernfortschritts in Bezug auf die
Fallstudienbearbeitung des jeweiligen Teilnehmenden (individuell), speziell im Bereich
interkulturelles Lernen
Ein Teil der ausgewählten E-Learning Tools ist in einem Online-Kurs im Lernmanagementsystem
OPAL (Online Plattform für Akademisches Lehren und Lernen) verankert. Dieser steht als
gemeinsame Informations-, Organisations- und Interaktionsbasis im Zentrum. Zur Einarbeitung in
die Funktionsweise der E-Learning-Tools wird der Kick-off-Veranstaltung der Summer School eine
Warm-up-Woche vorgelagert. Diese setzt sich aus drei bis fünf 15-minütigen Webinaren im
virtuellen Raum zusammen. Sie werden von der Projektkoordination und den studentischen E-
TutorInnen durchgeführt. Dort haben die TeilnehmerInnen die Möglichkeit die eingesetzten E-
Learning Tools kennenzulernen, zu erproben und Fragen zu organisatorischen, technischen und
fachlichen Themen zu stellen. Es werden die Grundlagen der virtuellen Teamarbeit vermittelt und
zur Diskussion gestellt. Die TeilnehmerInnen haben damit die Chance, sich bereits vor Start des
Projekts mit der technischen Umsetzung und möglichen Herausforderungen auseinanderzusetzen.
Die internationale MINT Summer School startet mit einer virtuellen Kick-off-Veranstaltung
(Webkonferenz). An dieser nehmen neben den studentischen TeilnehmerInnen, die E-TutorInnen,
die FachberaterInnen und die Projektkoordination teil. Es werden die Fallstudien und die Teams
vorgestellt. Um den TeilnehmerInnen das Vertrautwerden mit dem Projekt und die Bearbeitung der
Fallstudien zu erleichtern, werden sie durch die Handreichung in Form von Wochen- und
Portfolioaufgaben unterstützt. Ihre Lösungen sind bei der Projektkoordination einzureichen und
dienen als Grundlage für die Teamaufgaben und Fallstudienbearbeitung. Zur Anleitung und
Unterstützung der StudentInnen während der virtuellen Teamarbeit wird der Scaffolding-Ansatz [9,
10] gewählt. Im konkreten Fall beinhaltet dies die engmaschige Betreuung der StudentInnen zu
Beginn und die Verantwortungsübertragung im Laufe der Zeit. Dafür wird jedem Team eine
persönliche E-TutorIn zugewiesen. Zu Beginn der Teamarbeit geben die TutorInnen Termine für
virtuelle Treffen vor, organisieren und protokollieren diese. Mit der Zeit wird die Verantwortung von
den TutorInnen an die TeilnehmerInnen (wöchentlich wechselnd) übertragen. Das führt zur
Selbstorganisation innerhalb der Teams. Die FachberaterInnen – der Unternehmen und der
Universität – stehen den StudentInnen für fachliche Fragen bezogen auf die Fallstudien bzw. die
dort aufgegriffenen Themen zur Verfügung. Die BeraterInnen der Unternehmen halten enge
Rücksprache mit den Teams, um den jeweils aktuellen Arbeitsstand einschätzen zu können und evtl.
Hilfestellungen, weitere Informationen einbringen sowie Zielrichtungen korrigieren zu können. Die
Lösung der Fallstudie wird abschließend von jedem Team im Rahmen einer Webkonferenz allen
fachlichen BeraterInnen gemeinsam vorgestellt. Die Ergebnisse werden durch die jeweiligen
FachberaterInnen in den unternehmerischen Kontext gestellt und bewertet. Für die erfolgreiche
Teilnahme an der MINT Summer School erhielten die TeilnehmerInnen ein Zertifikat.
Die Evaluation der MINT Summer School zeigt drei Schlüsselfaktoren für den Erfolg virtueller
Zusammenarbeit [11]: die kompetente Nutzung der E-Learning Tools, das enge Mentoring durch E-
TutorInnen und FachberaterInnen und die Motivation durch professionelle Anreize und konkrete
Ziele.
Referenzen
[1] Elkana, Y., Klöpper, H. (2012). Universität im 21. Jahrhundert: Für eine neue Einheit von Lehre, Forschung
und Gesellschaft.
[2] Kiefer, H. J., Pankoke, E. (2003), Perspektiven zu Technik und Gesellschaft, S. 84.
[3] Bergert, A., Helbig, J. & Nenner, C. (2016). HIS – an international and digital summer school for STEM
students. In: INTED 2016 Proceedings, 10th International Technology, Education and Development Conference.
Valencia, S. 2243-2252.
[4] Kirkham, B. L.; Rosen, B. M.; Gibson, C. B.; Tesluk, P. E.; McPherson, S. O. (2002). Five challenges to virtual
team success: Lessons from Sabre Inc. Academy of Management Executive, vol. 16, no. 3, pp. 67-79.
[5] Helbig, J. (2014). Virtual Teams.
[6] Kaiser, F.-J.; Kaminski, H. (1999). Methodik des Ökonomie-Unterrichts.
[7] Liening, A.; Paprotny, C. (2008). Fallstudienarbeit in der Ökonomischen Bildung. In: Liening, A. (Hrsg.),
Dortmunder Beiträge zur Ökonomischen Bildung (Diskussionsbeitrag Nr. 8), Universität Dortmund.
[8] Mason, R. et al. (2004). E-portfolios: an assessment tool for online courses. British Journal of Educational
Technology Vol 35, No 6, S. 717–727.
[9] Lipscomb et al. (2004). Scaffolding, in: Orey, M. (Hrsg.): Emerging perspectives on learning, teaching, and
technology.
[10] Benson, B. (1997): Scaffolding (Coming to Terms). English Journal, 86(7), 126-127.
[11] Nenner, C., Bergert, A. & Böhnisch, A. N. A. (2017). Virtual. International. Job orientated. – Best practice on
how virtual collaboration courses can succeed. In: INTED 2017 Proceedings, 11th International Technology,
Education and Development Conference. Valencia, S. 3223-3233.