Theoretischer Hintergrund:
Der Erwerb des deutschen Kasussystems stellt für viele Kinder noch im Grundschulalter eine Herausforderung dar. Nach aktuellen Daten von Ulrich, Penke, Berg, Lüdtke & Motsch (2016) findet der Kasuserwerb nicht in einer festen Reihenfolge statt, sondern kann von Kind zu Kind differieren. Die Reihenfolge des Akkusativ- und Dativerwerbs erscheint damit entgegen der
... [Show full abstract] Annahmen von Clahsen (1982) variabel. Im Dativerwerb ist gerade die Präpositionalphrase von hoher Bedeutung, da viele Präpositionen eine Dativmarkierung verlangen. Bei Schuleintritt produzieren ca. 45% der Kinder einen korrekten Dativ (Ulrich et al., 2016). Im Alter von 8;0 Jahren liegt der prozentuale Anteil bei etwa 80%. Eine Therapieindikation wäre in diesem Alter bei einer unterdurchschnittlichen Leistung (T-Wert < 40) gegeben.
Ziel & Fragestellung:
Aus den Ergebnissen der Studie von Ulrich et al. (2016) lassen sich Indikationen für die Dativtherapie ableiten, welche in der vorliegenden Untersuchung angewandt wurden. Konkret wurde die getrennte Erarbeitung von Präpositional- und Nominalphrase in eine konventionelle Kasustherapie in Anlehnung an PLAN (Patholinguistische Therapie bei Sprachentwicklungsstörungen, Siegmüller & Kauschke, 2013) integriert. Ebenso wurde die Verdeutlichung der Struktur über feminine Nomen zu Beginn genutzt, da dort die Veränderung am Artikel von Nominativ zu Dativ deutlich erkennbar ist.
Methode:
Der behandelte Patient ist ein monolingual Deutsch aufwachsender Junge (8;5 Jahre), der von der Klassenlehrerin und Mitschülern wiederholt aufgrund seiner Schwierigkeiten in der Dativproduktion angesprochen wurde. In Bezug auf dieses isolierte Defizit hat er ein hohes Störungsbewusstsein und äußert den Wunsch, sich zu verbessern. In der Eingangsdiagnostik zeigt er im PDSS-Untertest Grammatik (Patholinguistische Diagnostik bei Sprachentwicklungsstörungen, Kauschke & Siegmüller, 2009) eine sichere Akkusativmarkierung, die auch in der Spontansprache unauffällig erscheint. Die Dativmarkierung ist laut Testverfahren (T-Wert Kasus: 28) unterdurchschnittlich und gelingt innerhalb einer Spontansprachanalyse nur inkonstant (ca. 40% korrekt). Innerhalb der Therapie werden durch strukturierte Anwendung und Kombination der Methoden nach PLAN (Siegmüller & Kauschke, 2013) zunächst der Dativ in der Präpositionalphrase und anschließend in der Nominalphrase mit dem Patienten erarbeitet. Die Methoden Metasprache und Kontrastierung werden in Übung und Freispiel angewendet.
Ergebnisse:
Im Rahmen der Abschlussdiagnostik nach 12 Therapieeinheiten (1x/Woche à 45 Min.) zeigt der Patient im Re-Test mit der PDSS eine durchschnittliche Leistung (T-Wert Kasus: 44). In der Spontansprache produziert er einmalig eine Übergeneralisierung des Dativs im Akkusativkontext. Im Übungssetting zeigt der Patient überwiegend sichere Kasusmarkierungen und wendet vereinzelt Selbstkorrektur an.
Schlussfolgerung:
Die Übergeneralisierung des Dativs in einem Fall zeigt eine erhöhte Sensibilität des Patienten für die erlernte Struktur. Neben der Anwendung von Selbstkorrektur ist dies ein Indiz, dass er die zugrundeliegenden Regeln der korrekten Dativmarkierung erworben hat und nun im Transfer erprobt. Die aufgezeigten Ergebnisse scheinen den positiven Effekt einer metasprachlich orientierten Kasustherapie bei monolingualen Patienten zu belegen.
Relevanz für die logopädische Praxis:
Der vorliegende Therapieverlauf zeigt, dass Patienten im Schulalter von einer strukturierten Grammatiktherapie profitieren können. Der metasprachliche Einbezug der Patienten in die Behandlung erscheint vorteilhaft für den Therapieerfolg und den Erhalt der Motivation. Die Einzelfalluntersuchung indiziert, dass logopädische Intervention auch im Bereich Kasus mit wenigen Einheiten sinnvoll sein kann, um den Patienten in seinem grammatischen Erwerb zu unterstützen.