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INSEKTENATLAS 2020
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D
ie globale Produktion von Nutzpflanzen hat sich wäh-
rend der vergangenen 50 Jahre verdreifacht. In die-
sem Zeitraum ist der Einsatz von Stickstoffdünger auf
das Zehnfache angestiegen. Der weltweite Gebrauch von
Düngern ist damit – neben Faktoren wie künstlicher Bewäs-
serung und der Anwendung von Pestiziden – eine wesentli-
che Komponente der landwirtschaftlichen Intensivierung.
Der Eintrag von Nährstoffen wie Stickstoff hat mannigfalti-
ge Auswirkungen auf Ökosysteme und damit auch auf In-
sekten.
Im Grünland – Wiesen und Weiden, die meist reicher
an Insekten sind als Ackerland – führt Düngung zunächst
immer dazu, dass die Pflanzenwelt verarmt. Denn die Ve-
getationsdecke wird dichter, und die Konkurrenten um das
Licht verdrängen die Pflanzen des Unterwuchses. Pflanzen-
arten, die nur wenige Nährstoffe brauchen, verschwinden
durch den Überfluss und mit ihnen die an sie angepassten
Insekten.
Gedüngt wird entweder mit organischem Dünger – dazu
gehören Stallmist, Gülle und Gärreste – oder mit chemisch-
synthetischen Stoffen. Dieser Kunstdünger bleibt nur kurz
im Boden. 40 Prozent wird als Nitrat ausgewaschen, insge-
samt rund 55 Prozent als Lachgas und Stickstoff oder als Am-
moniak in die Atmosphäre abgegeben. Dagegen hält sich
organischer Dünger länger im Boden, eine wichtige Nah-
rungsquelle für Insekten, die Dung bewohnen.
Für Insekten ist Stickstoff zunächst eine wichtige Res-
source. Sie benötigen Nährstoffe für ihr Wachstum und
nehmen das Element über ihre Nahrung auf. Steigt der
Stickstoffgehalt im Pflanzengewebe und damit in der Nah-
rung der Insekten, wachsen und vermehren sich diese zu-
nehmend. Allerdings nicht alle: Bei Spezialisten, die auf
Pflanzen nährstoffarmer Standorte angewiesen sind, kann
zu viel Stickstoff negativ wirken. So sterben einige Schmet-
terlingslarven deutlich häufiger, wenn sie auf Pflanzen he-
ranwachsen, die mit Stickstoff gedüngt sind, als wenn sie
auf naturbelassenen Wirtspflanzen leben. Versuche am Ag-
rarforschungsinstitut Rothamsted bei London, die mehr als
hundert Jahre andauerten, ergaben, dass allein durch Dün-
gung die Anzahl der Wiesenpflanzen im Grünland von 30
bis auf fünf Arten zurückgehen kann. Zugleich sank die Zahl
der Arten von pflanzenfressenden Zikaden.
Der Vergleich mehrerer Experimente in Europa, Nord-
amerika und Asien zeigt, dass durch Stickstoffdüngung
sowohl die Vielfalt der Pflanzen als auch die der Insekten
sinken kann. Zunächst verschwinden oft die Lebensraum-
DÜNGUNG
KUHFLADEN UND PFERDEÄPFEL
Käfer und Fliegen auf den Dunghaufen
der Weidetiere zeigen an, wie intakt oder
geschädigt ein Agrarsystem ist. Oft leidet
die Artenvielfalt unter dem Einsatz
von zu viel Kunst- und tierischem Dünger.
Auf Weiden in konventioneller Bewirtschaftung
besiedeln 40 Prozent weniger Insekten die
Fladen als in naturbelassenen Graslandschaften
ZERKLEINERER BEI DER ARBEIT
Insekten in Kuhfladen auf Weiden in drei Bewirtschaftungsformen in den Niederlanden, durchschnittliche Anzahl Tiere, gerundet*
INSEKTENATLAS 2020 / GEIGER ET AL.
* 12 Kuhfladen, 10 Tage alt, von ähnlichen Kühen aus 8 konventionellen und 6 ökologischen Höfen sowie 6 Naturschutzgebieten mit ähnlichen Böden, alle innerhalb von 200 Quadratkilometern
Zweiflügler
Schwingfliegen
(Sepsidae)
Echte Fliegen
(Muscidae)
Fenstermücken
(Anisopodidae)
Dungfliegen
(Scathophagidae)
Waffenfliegen
(Stratiomyidae)
Schmetterlingsmücken
(Psychodidae)
Schwebfliegen
(Syrphidae)
Käfer
Wasserkäfer
(Hydrophilidae)
Blatthornkäfer
(Scarabaeidae)
Kurzflügler
(Staphylinidae)
Stutzkäfer
(Histeridae)
Larven
erwachsene Tiere
unter 0,5 Exemplare
Naturschutzgebiet168156 ökologische Bewirtschaftungkonventionelle Bewirtschaftung102
INSEKTENATLAS 2020 27
spezialisten. Sie finden nur in der von Menschen wenig ge-
nutzten Vegetation ihre Räume, um Nahrung zu suchen und
sich fortzupflanzen. Im Gegenzug kann starke Düngung
aber auch dazu führen, dass sowohl die Menge als auch
die Vielfalt anderer Insektengruppen zunimmt. Gerade im
Ackerbau gibt es in diesem Fall oft mehr Pflanzenschädlin-
ge und -krankheiten, was wiederum dazu führen kann, dass
noch mehr Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden. Die
Kombinationen aus Düngung, dem Einsatz von Pflanzen-
schutzmitteln und weiteren häufigen Bewirtschaftungser-
eignissen wie dem Pflügen führen aber insgesamt dazu, dass
die Vielfalt der Insektenarten deutlich zurückgeht.
Die Auswirkungen von Dünger auf Insekten hängen
von der Art ab, wie er eingesetzt wird und damit auch vom
System der Bewirtschaftung. Organischer Dünger wie Stall-
mist ist selbst Nahrung für Tiere, was für den Kunstdünger
nicht gilt. In großflächigen, sich selbst überlassenen Weide-
landschaften ist die einzige „Düngung“ die der Weidetiere.
Während in Dunghaufen, vor allem in Kuhfladen, viele In-
sektenarten – von Dungkäfern bis zu Fliegen – vorkommen,
ist explizites Weideland nicht automatisch reich an Insek-
ten. Die Pflanzendecke muss dann schon insgesamt sehr
vielfältig sein, und das Land sollte nicht von mehr als einer
Kuh pro Hektar genutzt werden.
Wenn bei intensiver Düngung Nitrat oder Phosphat in
Oberflächengewässer gelangen, belastet das auch wichti-
ge Lebensräume vieler Insekten in der umliegenden Land-
schaft. Gibt es dort Bäche und stehende Gewässer, sinkt die
Vielfalt an Insekten in diesem Raum um bis zu 80 Prozent.
Zu finden sind nur noch die Arten, die schlechte Wasser-
qualität anzeigen: Zuckmücken- und Schwebfliegenlarven,
Bakterienmatten oder Schlammröhrenwürmer.
Die Vielfalt an Insekten in Agrarlandschaften ist immer
dann besonders hoch, wenn viele kleine Felder mit unter-
schiedlicher Nutzung aneinandergrenzen. Intensiv ge-
düngte Maisfelder könnten neben anderen, weniger inten-
siv genutzten liegen. Zur Förderung der Vielfalt sorgt aber
vor allem eine mäßige, organische Düngung bei insgesamt
extensiver Landnutzung.
Käferarten im Dung zeigen die Naturnähe der
Weidehaltung an. Störungen, etwa Arznei bei Verdauungs-
problemen des Viehs, reduzieren sofort die Besiedlung
Überdüngung und weniger pflanzliche
Artenvielfalt verschlechtern die Böden – dies alles
reduziert auch die Artenvielfalt der Insekten
MEHR ERTRAG UND WENIGER INSEKTEN
Globale Stickstoffbilanz und Verarmung der Pflanzenwelt durch Dünger
Entwicklung der Artenvielfalt im Vergleich, Versuchsfelder
des Park Grass Experiment in Rothamsted, Südengland
INSEKTENATLAS 2020 / EARTHSTAT, CRAWLEY
40 5 10 15 20 25 30 350
ohne Düngung
Stickstoff als Ammonsulfat
nur Phosphor
Stickstoff als Ammonsulfat + Kalium
Phosphor + Kalium
Stickstoff als Ammonsulfat + Phosphor
Stickstoff als Chilesalpeter
Tierdung
Stickstoff als Chilesalpeter + Kalium + Phosphor
Stickstoff als Ammonsulfat + Kalium + Phosphor
Stickstoffversorgung in den Anbaugebieten
von 140 Agrarfrüchten
-75 Kilogramm
pro Hektar
Unterversorgung
+75 Kilogramm
pro Hektar
Überdüngung0
neutral
Arten
GASTMAHL IM PFERDEAPFEL
Dungbewohnende Käfer, darunter der Gemeine Dungkäfer
(Aphodius fimetarius)
, in tierischen Exkrementen, Frühling bis Herbst,
bei Augsburg, Tiere pro Kilogramm
11. Okt.
INSEKTENATLAS 2020 / KUHN
Dung von
Hirschen
Pferden
Schafen
24. April 18. Mai 29. Juni 7. A ug . 16. Sep.
Tierischer Dung, von Fraß- und Kotgängen durch-
zogen, wird nach einigen Wochen von den Insekten
verlassen und durch Pilze, Hefen und Bakterien wei-
ter abgebaut, verkrümelt und im Unterboden weiter
verwertet. Ein Pferd produziert bei ganzjähriger
Beweidung rund 7 Tonnen Dung pro Jahr, aus denen
50 Kilogramm Dungbewohner entstehen, Nahrung
für andere Insekten, Vögel, Spitz- und Fledermäuse.
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57
14 21 24 15
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