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Die Target-Salden in der Eurozone - "Falle" oder Scheinproblem?

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1. Einleitung
Seit einiger Zeit wird darüber diskutiert, ob Deutschland im Handel mit anderen Ländern aus der
Eurozone unnötige Risiken eingeht. Diese Diskussion wurde vor etwa 8 Jahren durch eine Reihe
von Publikationen von Hans-Werner Sinn ausgelöst, provozierte eine Reihe von kritischen
Reaktionen und wird bis heute in Deutschland sehr vehement geführt.
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Kontrovers bleibt dabei vor
allem, wie die sogenannten Target-Salden
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als Maß für die Nettoüberweisungen von
Euro(buch)geld zwischen den Ländern der Eurozone genau zu interpretieren sind. Während die
Target-Salden zwischen 2000 und 2007 relativ gering blieben, da sich die Nettoüberweisungen
zwischen den Ländern der Eurozone tendenziell ausglichen, bauten sich seitdem in einigen
Ländern der Eurozone beträchtliche Target-Forderungen, das heißt Netto-Zahlungseingänge, auf,
während andere Länder der Eurozone einen starken Anstieg der Target-Verbindlichkeiten, das
heißt Netto-Zahlungsabflüsse, auswiesen. Der Anstieg der Salden war nicht stetig, sondern durch
zwischenzeitliche Rückgänge gekennzeichnet. Im Juni 2019 waren die Länder mit den höchsten
Target-Forderungen Deutschland (942,3 Mrd. €), Luxemburg (218,7 Mrd. €), Finnland (68,9 Mrd.
€) und die Niederlande (36,4 Mrd. €). Die Länder mit den höchsten Target-Verbindlichkeiten
waren Italien (-447,6 Mrd. €), Spanien (-407 Mrd. €) und Portugal (-83,3 Mrd. €) (Quelle: EZB).
Während in Deutschland die hohen Target-Forderungen kritisch gesehen werden, hört man aus
Luxemburg, bei viel höherer Betroffenheit pro Kopf der Bevölkerung, seltsamerweise keine Kritik.
Das sollte zu denken geben.
Was bedeuten nun diese hohen positiven und negativen Salden für die betroffenen
Volkswirtschaften? Um diese Frage zu beantworten, erscheint es sinnvoll, die den
Zahlungsvorgängen zugrundeliegenden typischen Transaktionen sowie deren Auswirkungen auf
die Target-Salden darzustellen. Dadurch wird transparent, wie die Target-Salden tatsächlich
zustande kommen und welche möglichen Risiken mit ihnen verbunden sind. Es wird dann auch
deutlich, welchen rechtlich-ökonomischen Inhalt die betreffenden Forderungen und
Verbindlichkeiten haben.
Wir werden zeigen, dass die Behauptung, die 1 Billion Euro aus dem Target-Saldo stehe im Risiko
und bedeute für den deutschen Steuerzahler einen großen möglichen Verlust, eine
1
Vgl. etwa Sinn/Wollmershäuser 2012; Sinn 2012, 2015, 2018; Fuest/Sinn 2016, 2018; Hellwig 2015, 2017, 2018;
Hellwig/Schnabel 2019 a-b. Homburg 2011, 2019; Spahn 2019; van Suntum 2019.
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„Target“ steht für „Trans-European Automated Real-time Gross settlement Express Transfer system”, wurde 1998
in Betrieb genommen und 2007/8 schrittweise in ein reformiertes System überführt („Target2“).
Fehlinterpretation ist und einem Missverständnis geschuldet ist. Vielmehr ist die 1 Billion Euro
aus dem Target-Saldo bereits auf den Konten der deutschen Verkäufer als Guthaben bei ihren
Geschäftsbanken verbucht und befindet sich im deutschen Wirtschaftskreislauf. Die Target-Salden
sind also ein Scheinproblem
2. Zahlungs-Salden bei Barzahlungen
Es wird in der Diskussion unter anderem explizit oder implizit behauptet, die Ausländer kauften
im Übermaß Waren aus Deutschland und ließen die Deutschen auf einem Berg von uneingelösten
und nicht einzulösenden Forderungen sitzen.
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Zu dieser Einschätzung kann man gelangen, wenn
man die Target-Salden als noch offene Forderungen bzw. Verbindlichkeiten fehlinterpretiert. Eine
geeignetere Vorgehensweise liegt darin, das Entstehen der Target-Salden aus dem Handel mit
anderen Ländern des Euroraums buchungsmäßig herauszuarbeiten. Dann erkennt man, dass die
Einschätzung der deutschen Target-Forderungen als noch nicht erfüllte Ansprüche Deutschlands
auf Zahlungen von anderen Ländern des Euroraums nicht zu halten ist. Vielmehr ist es genau
umgekehrt: Die Target-Salden entstehen überhaupt erst, wenn eine Zahlung aus dem Ausland
bereits geleistet und entsprechend verbucht wird. Die Target-Forderungen und Target-
Verbindlichkeiten dokumentieren damit das Ausmaß bereits erfolgter Netto-Zahlungen zwischen
den Ländern der Eurozone und bedeuten ein positives oder negatives Guthaben an
Zentralbankgeld.
Beginnen wir mit einem einfachen Beispiel, das aber bereits alle für die Argumentation
wesentlichen Transaktionen enthält. Angenommen, ein spanischer Käufer handelt einen Vertrag
mit einem Verkäufer aus Deutschland über den Kauf eines Traktors im Wert von 100.000 Euro
aus. Nun hat der deutsche Verkäufer eine Forderung auf die Zahlung von 100.000 Euro gegenüber
dem spanischen Käufer und eine Verbindlichkeit, den Traktor auch zu liefern. Der spanische
Käufer hat spiegelbildlich eine Verpflichtung gegenüber dem deutschen Verkäufer, den Betrag
auch zu zahlen, und eine Forderung auf Lieferung des Traktors. Vor Abschluss des Vertrages
besitzt der spanische Käufer 100.000 Euro, aber keinen Traktor, der deutsche Verkäufer besitzt den
Traktor, hat aber null Euro Geldvermögen, das Gesamtvermögen als Summe aus Geldvermögen
und Realvermögen beider beträgt also jeweils 100.000 Euro. Nach Abschluss des Vertrages hat der
spanische Käufer ein Geldvermögen von null Euro und ein Realvermögen von 100.000 Euro, der
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Vgl. etwa Sinn 2018 und Fuest/Sinn 2018.
deutsche Verkäufer hat ein Geldvermögen von 100.000 Euro und ein Realvermögen von null Euro.
Die Gesamtvermögen von beiden betragen weiterhin jeweils 100.000 Euro.
Nehmen wir zunächst, kontrafaktisch, an, es gäbe kein Bankensystem und eine Überweisung des
Geldbetrags wäre unmöglich. Dies wäre eine Welt ohne Target-Salden, in der bar bezahlt wird.
Der deutsche Verkäufer lädt den Traktor auf einen Hänger und überführt ihn nach Spanien zum
Wohnsitz des Käufers. Er lädt den Traktor ab; der spanische Käufer lädt ihn für eine Stunde auf
eine Tasse Kaffee ein und sagt, dass er nach der Kaffeepause den Betrag von 100.000 Euro
bezahlen werde. Wie wird dieser Vorgang verbucht?
Der deutsche Verkäufer hat seine Verbindlichkeit erfüllt, den Traktor zu liefern; diese
Verbindlichkeit wird ausgebucht. Der spanische Käufer hat nun den Traktor in Besitz; seine
Forderung auf Lieferung des Traktors wird daher ebenfalls ausgebucht. Durch diese physische
Lieferung des Traktors bleiben sowohl die Geldvermögen als auch die Realvermögen von Käufer
und Verkäufer und mithin die Gesamtvermögen aus dem Vertrag unverändert, lediglich die
Verbindlichkeit zu liefern und die Forderung auf Lieferung entfallen.
In der deutschen Zahlungsbilanz erscheint die Lieferung des Traktors nach Spanien als
Handelsbilanzüberschuss auf der Aktivseite. Die noch offene Forderung auf Zahlung des
Kaufpreises wird als (Netto-)Kapitalexport in der Kapitalbilanz auf der Passivseite als
Gegenposten verbucht. Sowohl die Leistungsbilanz als auch die Kapitalbilanz haben jeweils einen
Saldo von +100.000 beziehungsweise -100.000 Euro, so dass die konsolidierte deutsche
Zahlungsbilanz ausgeglichen ist. Der deutsche Verkäufer gibt dem spanischen Käufer quasi einen
Kredit, wenn auch nur für eine Stunde, während der Kaffee getrunken wird. In der spanischen
Zahlungsbilanz erscheint die Lieferung des Traktors als Handelsbilanzdefizit und die
Gegenbuchung als Kapitalimport in der Kapitalbilanz. Damit ist auch die spanische Zahlungsbilanz
ausgeglichen.
Nun ist die Kaffeepause beendet, der deutsche Verkäufer lässt sich den Betrag von 100.000 Euro
in bar bezahlen und fährt zurück nach Deutschland. (Hat der Käufer kein Geld und bezahlt nicht,
fährt der Verkäufer den Traktor wieder nach Hause; ein Handel kommt nicht zustande). Die
Forderung des deutschen Verkäufers auf Zahlung des Kaufpreises ist erfüllt, die Verbindlichkeit
des spanischen Käufers zu zahlen ebenfalls. Durch die Zahlung bleiben sowohl die Geldvermögen
als auch die Realvermögen von Käufer und Verkäufer und mithin die Gesamtvermögen aus dem
Vertrag unverändert, lediglich die Verbindlichkeit zu zahlen und die Forderung auf Zahlung
entfallen. Die Zahlung führt allerdings zu einer anderen Aufteilung der Liquidität: Der deutsche
Verkäufer besitzt nun 100.000 Euro in bar (bei Zahlung im Target-System wird das dann Buchgeld
sein), der spanische Käufer hat 100.000 Euro weniger.
In der deutschen Handelsbilanz besteht weiterhin der Handelsbilanzüberschuss, aber in der
Kapitalbilanz wird die Forderung auf Zahlung, der Kapitalexport, ausgebucht, denn die Forderung
ist erfüllt, und durch den Posten liquide Mittel beziehungsweise Geldguthaben ersetzt. Es findet
also ein Passivtausch statt, der den Saldo in der Kapitalbilanz von -100.000 Euro unverändert lässt.
(Diese erfüllte Forderung ist im Target-System die sogenannte Target-Forderung.) Der Kredit von
einer Stunde Länge ist zurückgezahlt. Die deutsche Zahlungsbilanz ist weiterhin ausgeglichen. In
der spanischen Handelsbilanz steht weiterhin das Handelsbilanzdefizit, in der Kapitalbilanz jedoch
wird der Kapitalimport ausgebucht, denn der Kredit ist zurückgezahlt worden und die
Verbindlichkeit zu zahlen ist erfüllt worden, und durch eine Reduzierung der liquiden Mittel
ersetzt. (Diese erfüllte Verbindlichkeit ist im Target-System die sogenannte Target-
Verbindlichkeit). Auch die spanische Zahlungsbilanz ist ausgeglichen. Wird keine Kaffeepause
gemacht, sondern uno actu mit der Lieferung des Traktors gezahlt, werden das positive und das
negative Geldguthaben direkt in der Kapitalbilanz verbucht, ein Kapitalexport beziehungsweise
ein Kapitalimport entstehen nicht. Es bestehen keinerlei offene Forderungen oder
Verbindlichkeiten mehr.
Bilanziell gesehen wird der Traktorverkauf als Geldzufluss in Höhe von 100.000 Euro aus Spanien
nach Deutschland und als Realvermögensabfluss in Form des Traktors im Wert von 100.000 Euro
aus Deutschland nach Spanien verbucht. In Deutschland ist das Geldvermögen um 100.000 Euro
gestiegen, das Realvermögen indes um 100.000 Euro gesunken; in Spanien ist es genau umgekehrt.
Das Gesamtvermögen ist sowohl in Deutschland als auch in Spanien unverändert geblieben. Die
monetären Salden aus plus 100.000 Euro in Deutschland und minus 100.000 Euro in Spanien
gleichen sich aus.
Betonen wir noch einmal einen wichtigen Gesichtspunkt, der offensichtlich viele Wissenschaftler
zu Fehlinterpretationen verleitet (wir kommen darauf noch zurück). Vor Abschluss eines
Kaufvertrags gibt es keinerlei Forderungen und Verbindlichkeiten zwischen Käufer und Verkäufer.
Nach Abschluss des Kaufvertrags bestehen Forderungen und Verbindlichkeiten zwischen Käufer
und Verkäufer. Der Käufer hat eine Forderung auf Lieferung der Ware und eine Verbindlichkeit,
diese zu bezahlen. Der Verkäufer hat eine Forderung auf Zahlung des Kaufpreises und eine
Verbindlichkeit, die Ware zu liefern. Diese Forderungen und Verbindlichkeiten gelten nur für die
Vertragspartner und nicht gegenüber Dritten. Durch den Abschluss des Kaufvertrags verändern
sich die Netto-Finanz- und -Realvermögen der Vertragspartner, während die Netto-
Gesamtvermögen jeweils unverändert bleiben. Der Käufer hat ein um den Kaufpreis niedrigeres
Finanzvermögen, während sein Realvermögen um den gleichen Betrag steigt. Beim Verkäufer ist
es umgekehrt: Er hat ein um den Kaufpreis höheres Finanzvermögen, während sein Realvermögen
um den gleichen Betrag sinkt. Lieferung und Bezahlung der Ware bewirken nun zweierlei. Erstens,
die Verbindlichkeiten und Forderungen auf Lieferung und Zahlung werden erfüllt, und, zweitens,
die Vertragspartner können physisch über die Ware beziehungsweise das Geld verfügen. Der
Käufer kann die Ware funktionell nutzen, der Verkäufer kann über das Geld (Bargeld oder
Buchgeld) verfügen, seine Liquidität ist gestiegen. Lieferung und Zahlung lassen die Finanz-, Real-
und Gesamtvermögen der Vertragspartner aber unverändert, sie verändern sich nur durch den
Vertragsabschluss im Vergleich zum vorvertraglichen Zustand.
Alles, was bisher beschrieben worden ist, bleibt unverändert gültig, wenn im Target-System
bezahlt wird. Der einzige Unterschied besteht darin, dass aus der Barzahlung eine
Buchgeldüberweisung wird, die über verschiedene Banken und deren Konten verbucht wird. Um
es vorwegzunehmen: Die Zahlung als rein monetäre Transaktion führt zur Erfüllung aller
Forderungen und Verbindlichkeiten und lässt die Finanz-, Real- und Gesamtvermögen
unverändert, überträgt aber Liquidität vom Käufer zum Verkäufer. Wenden wir uns nun diesem
Target-Zahlungssystem zu.
3. Target-Salden im Bankensystem
Der oben geschilderte Fall der Barzahlung entspricht nicht der Wirklichkeit. Denn es existieren
Banken, die über das Target-System Geldüberweisungen vornehmen, ohne dass eine Person Geld
physisch überbringen muss (ebenso übernehmen Transportunternehmen die physische Lieferung
der Ware). Daher wird das obige Beispiel des deutschen Verkäufers und des spanischen Käufers
im Folgenden im Rahmen des tatsächlich existierenden Bankensystems beschrieben. Dieses ist,
kontenmäßig betrachtet, hierarchisch miteinander verbunden. An der Spitze steht die EZB, die im
Target-System die Rolle einer Clearingstelle hat, darunter befinden sich die Zentralbanken der
Euro-Länder, die in geldpolitischer Hinsicht Zweigstellen der EZB sind und die eingehenden
Zahlungen an die Geschäftsbanken weiterleiten, darunter die Geschäftsbanken, bei denen
schließlich die Kunden ihre Konten haben, von denen sie Zahlungen veranlassen beziehungsweise
auf denen Zahlungen gutgeschrieben werden. Wir werden im Folgenden die relevanten
Transaktionen etwas detaillierter beschreiben, um zu verdeutlichen, dass der Begriff der
Forderung/Verbindlichkeit sehr unterschiedliche Sachverhalte beschreiben kann, deren
Vermengung zu Fehlinterpretationen führt.
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Dieses Target-System hat die Aufgabe, sicherzustellen, dass ein inländischer (in unserem Beispiel:
deutscher) Verkäufer seine Forderung auf Zahlung des Kaufpreises durch den ausländischen (in
unserem Beispiel: spanischen) Käufer durchsetzen kann. Der spanische Käufer wiederum kann
seine Verbindlichkeit erfüllen, den Kaufpreis zu zahlen. Daher gibt es eine Kette von Forderungen
(und Verbindlichkeiten), ausgehend von dem deutschen Verkäufer über seine Geschäftsbank über
die deutsche Zentralbank über die EZB über die spanische Zentralbank bis zur Geschäftsbank des
spanischen Käufers. Diese Forderungen und Verbindlichkeiten beziehen sich auf die Weiterleitung
eines gezahlten Betrags durch die an dem System teilhabenden Banken, und nicht auf die
Forderung auf Zahlung des Kaufpreises und die Verbindlichkeit, den Kaufpreis zu zahlen, denn
diese Forderung und diese Verbindlichkeit beziehen sich, wie wir oben ausführlich gezeigt haben,
direkt auf die beiden Vertragspartner, nicht aber auf das Bankensystem.
Damit diese Forderungen (und Verbindlichkeiten) auch verbucht werden können, muss jeder
Akteur der Kette ein geeignetes Konto besitzen: Der deutsche Verkäufer bei seiner Geschäftsbank,
die deutsche Geschäftsbank bei ihrer Zentralbank, die deutsche Zentralbank (Deutsche
Bundesbank) bei der EZB, die spanische Zentralbank bei der EZB, die spanische Geschäftsbank
bei ihrer Zentralbank, der spanische Käufer bei seiner Geschäftsbank. Nur wenn der Kaufpreis von
der spanischen Geschäftsbank überwiesen wird und über die gesamte Kette von Forderungen (und
Verbindlichkeiten) auf dem Konto des deutschen Verkäufers landet, ist die Zahlungsforderung des
deutschen Verkäufers (sowie die Zahlungsverbindlichkeit des spanischen Käufers) erfüllt. Wie das
im Einzelnen funktioniert, soll im Folgenden gezeigt werden.
Es sei die gleiche Ausgangssituation wie im vorigen Kapitel unterstellt. Es wird angenommen, dass
der deutsche Verkäufer den Traktor mit einem Zahlungsziel von 4 Wochen verkauft (im obigen
Beispiel betrug die Kaffeepause eine Stunde, das entsprach einem Zahlungsziel von einer Stunde).
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Zu einer Darstellung der Target-Salden und der zugrundeliegenden Transaktionen in Kontenform siehe
insbesondere Bindseil/König 2011 und Whelan 2017. Zur Verbuchung von Zahlungsbilanztransaktionen siehe auch
Sahin 2014.
Er verschickt den Traktor zum spanischen Käufer mit der entsprechenden Rechnung. Welche
Forderungen und Verbindlichkeiten bestehen in der Kette des Zahlungssystems?
Der deutsche Verkäufer hat natürlich keine Forderung auf Zahlung des Kaufpreises gegenüber
seiner Geschäftsbank; diese weiß vermutlich gar nichts von dem Vertrag mit dem spanischen
Käufer, was auch für die anderen beteiligten Banken gilt. Er hat aber eine Forderung gegenüber
seiner Geschäftsbank, dass diese, wenn die Zahlung auf ihr Konto bei der deutschen Zentralbank
eingegangen ist, den Betrag auf sein Konto bei der Geschäftsbank gutschreiben muss. Damit dies
auch geschieht, hat die Geschäftsbank spiegelbildlich die Verbindlichkeit gegenüber ihrem
Kunden, diese Buchung auch durchzuführen. Damit die Zahlung aus Spanien aber auch auf das
Konto der Geschäftsbank bei der deutschen Zentralbank gelangt, hat die Geschäftsbank eine
Forderung gegenüber der Zentralbank, dass diese dann, wenn die Zahlung eingegangen ist, sie auf
ihr Konto bei der Zentralbank überweisen soll. Die Zentralbank wiederum hat spiegelbildlich die
Verbindlichkeit, die angekommene Zahlung dem Konto gutzuschreiben. Damit die Zahlung aus
Spanien aber auch ihrem Konto bei der EZB gutgeschrieben wird, hat sie eine Forderung gegenüber
der EZB, dies auch zu tun. Die EZB hat spiegelbildlich die Verbindlichkeit, die Buchung
durchzuführen. Das ist die deutsche Seite der Forderungs- und Verbindlichkeitskette.
Auf der spanischen Seite hat die EZB die Forderung an die spanische Zentralbank, den Kaufpreis,
wenn er auf dem Konto der Geschäftsbank bei ihr auftaucht, auf ihr Konto bei der EZB zu
überweisen. Die spanische Zentralbank wiederum hat spiegelbildlich die Verbindlichkeit, dies
auch zu tun. Damit sie den Betrag erhalten kann, hat sie eine Forderung gegenüber der spanischen
Geschäftsbank, den Betrag auf das Konto der spanischen Geschäftsbank bei ihr zu überweisen,
falls er vom Kunden angewiesen ist. Diese hat spiegelbildlich die Verbindlichkeit, dies zu tun. Die
spanische Geschäftsbank schließlich hat ihrem Kunden gegenüber die Forderung, dann, wenn er
den Kaufpreis überweisen will, von seinem Konto den Betrag abzubuchen. Dieser hat
spiegelbildlich die Verbindlichkeit, seine Geschäftsbank zu beauftragen, den Kaufpreis von seinem
Konto abzubuchen.
Alle Forderungen und Verbindlichkeiten in diesem Target-Bankensystem beziehen sich also auf
die Weiterleitung und entsprechende Verbuchung eines Geldbetrags. Sie greifen erst dann, wenn
der Käufer auch tatsächlich zahlt. Sie stellen mithin sicher, dass der angewiesene Geldbetrag des
Käufers von dessen Konto abgebucht wird und schließlich auf das Konto des Verkäufers gelangt.
Forderungen auf Zahlung eines Geldbetrags und Verbindlichkeiten zu zahlen hingegen gibt es nur
zwischen Käufern und Verkäufern als Vertragsparteien.
Da der spanische Käufer 4 Wochen Zeit hat, seine Zahlung zu leisten, sind in dieser Zeit die
Forderung des Verkäufers und die entsprechende Verbindlichkeit des Käufers auf Zahlung des
Kaufpreises offen, das heißt nicht erfüllt. Zahlt der spanische Käufer überhaupt nicht, bleiben die
Forderungen und Verbindlichkeiten für immer offen. Der deutsche Verkäufer bleibt auf seiner
Forderung sitzen und hat einen Schaden von 100.000 Euro. Der spanische Käufer hat den Traktor,
den er nicht bezahlt hat, also einen Gewinn von 100.000 Euro.
Ist es denkbar, dass dieser Zustand, also der Zustand, dass der spanische Käufer nicht zahlt,
dauerhaft anhält, also über Monate und gar Jahre, der deutsche Verkäufer dem spanischen Käufer
also unfreiwillig einen ewig laufenden Kredit gibt? Ist es denkbar, dass über einen langen Zeitraum
des Handels mit Spanien eine Vielzahl von deutschen Verkäufern auf ihren Forderungen
sitzenbleiben und kein Geld erhalten? Nein, denn dann werden die deutschen Verkäufer die
spanischen Käufer auf Zahlung des Kaufpreises beziehungsweise auf Herausgabe des Traktors
verklagen und sie in Zukunft auch nicht mehr beliefern. Eine Marktwirtschaft basiert darauf, dass
Rechnungen gestellt und auch bezahlt werden. Das gilt erst recht für einen einheitlichen
Währungsraum, in dem Käufer und Verkäufer aus verschiedenen Ländern mit einer einheitlichen
Währung zahlen. Der Handel kommt bei Nichtzahlung zum Erliegen. Dies ist ein wirkungsvoller
Sanktionsmechanismus gegenüber säumigen Zahlern.
Nun wird angenommen, dass der spanische Käufer seiner Zahlungspflicht nachkommt und
innerhalb der vereinbarten Frist zahlt. Wie geht dieser Buchungsvorgang vonstatten? Der spanische
Käufer möchte den Betrag von 100.000 Euro an den deutschen Verkäufer überweisen. Dazu füllt
er einen Überweisungsschein aus, auf dem der deutsche Adressat, dessen IBAN- und BIC-Nummer
sowie der zu überweisende Geldbetrag vermerkt sind. Es ist wichtig zu betonen, dass das Buchgeld,
das seinen Weg über verschiedene Konten gehen wird, zunächst dem spanischen Käufer und
schließlich dem deutschen Verkäufer gehört. Es basiert nicht auf eigenständigen Aktionen oder
Rechtsgeschäften der beteiligten Banken. Forderungen und Verbindlichkeiten beziehen sich bei
jedem Überweisungsauftrag auf diesen Überweisungsschein. Eine Forderung beinhaltet dann einen
Anspruch auf den Geldbetrag von 100.000 Euro, allerdings mit der Maßgabe, das Geld
entsprechend dem Verwendungszweck weiterzuleiten; eine spiegelbildliche Verbindlichkeit
bedeutet, diesen Geldbetrag dem entsprechenden Konto auch gutzuschreiben.
Der spanische Käufer weist also mit dem Überweisungsschein seine Geschäftsbank an, den
Geldbetrag auf das Konto des deutschen Verkäufers bei der angegebenen deutschen Geschäftsbank
zu überweisen. Doch diese hat kein Konto bei der spanischen Geschäftsbank. Die spanische
Geschäftsbank hat aber ein Konto bei der spanischen Zentralbank. Auf dieses Konto nun überweist
die spanische Geschäftsbank den Geldbetrag. Ihre Bilanz verändert sich dadurch auf der
Passivseite, indem die Verbindlichkeiten gegenüber Kunden um den Betrag von 100.000 Euro
vermindert werden denn sie bucht den Geldbetrag vom Konto des spanischen Kunden ab; ihre
Bilanz verändert sich dadurch auf der Aktivseite, indem das Guthaben bei der spanischen
Zentralbank ebenfalls um 100.000 Euro vermindert wird.
Die spanische Zentralbank kann den Geldbetrag aber nicht der deutschen Geschäftsbank
gutschreiben, denn diese hat kein Konto bei der spanischen Zentralbank. Die spanische Zentralbank
hat aber ein Konto bei der EZB. Auf dieses Konto überweist sie den Geldbetrag. Ihre Bilanz
verändert sich dadurch folgendermaßen. Auf der Passivseite vermindern sich die Verbindlichkeiten
gegenüber der spanischen Geschäftsbank um 100.000 Euro; auf der Aktivseite sinkt der Wert des
Kontos bei der EZB ebenfalls um 100.000 Euro.
Die EZB kann den Geldbetrag aber nicht der deutschen Geschäftsbank gutschreiben, da diese kein
Konto bei der EZB hat. Die deutsche Bundesbank hat jedoch ein Konto bei der EZB. Auf dieses
Konto überweist die EZB den Geldbetrag. Die EZB bucht folglich den Geldbetrag vom Konto der
spanischen Zentralbank ab und schreibt ihn dem Konto der deutschen Bundesbank gut. Damit fließt
das Zentralbankgeld aus Spanien nach Deutschland: In Deutschland steigt die Buchgeldmenge um
100.000 Euro, in Spanien sinkt sie um diesen Betrag.
Doch noch immer ist der Geldbetrag bei der deutschen Geschäftsbank beziehungsweise bei deren
Kunden nicht angekommen. Die Geschäftsbank hat allerdings ein Konto bei der deutschen
Bundesbank. Auf dieses Konto überweist die deutsche Bundesbank den Betrag. Die deutsche
Bundesbank hat vor der Überweisung auf der Aktivseite ein um 100.000 Euro erhöhtes
Sichtguthaben bei der EZB, denn ihr Kontostand bei der EZB ist ja um diesen Betrag gestiegen.
Auf der Passivseite verbucht sie aber gleichzeitig eine um 100.000 Euro erhöhte Verbindlichkeit
gegenüber der deutschen Geschäftsbank, der laut Überweisungsschein und BIC-Nummer das
überwiesene Geld eigentlich gehört.
Die deutsche Geschäftsbank verbucht auf der Aktivseite ihrer Bilanz ein um 100.000 Euro
gestiegenes Guthaben bei der deutschen Bundesbank. Auf der Passivseite schreibt sie als
Verbindlichkeit ihrem Kunden gemäß der IBAN-Nummer den Betrag von 100.000 Euro gut.
Endlich ist das vom spanischen Käufer gezahlte und überwiesene Geld beim Verkäufer in
Deutschland angekommen. Sein Traktor ist verkauft, seine Bilanz ist ausgeglichen: dem Minus
von 100.000 Euro aus der Warenausgabe durch Lieferung des Traktors steht ein Plus von 100.000
Euro als Sichtguthaben bei der Geschäftsbank gegenüber. Der deutsche Kunde kann nun das Geld
auf seinem Konto belassen oder es bar abheben. Er kann aber auch seine Lieferanten oder
Arbeitskräfte bezahlen und damit das Geld dem Wirtschafts- und Geldkreislauf zuführen.
Bei der deutschen Bundesbank bedeutet die Forderung gegenüber der EZB, die sogenannte Target-
Forderung, genau genommen, dass die EZB die 100.000 Euro dann, wenn das Geld aus Spanien
bei ihr eingeht, auf das Bundesbank-Konto überweisen muss. Die Bundesbank erhält die 100.000
Euro mit der Verpflichtung, diesen Geldbetrag auf das Konto der Geschäftsbank zu überweisen,
die mit ihrer BIC-Nummer angegeben ist; die Verbindlichkeit bedeutet, diesen Geldbetrag auch
auf das Konto der entsprechenden Geschäftsbank zu überweisen. Es handelt sich bei diesen
Forderungen und Verbindlichkeiten also lediglich um einen durchlaufenden Posten. In der Bilanz
stehen somit auf der Aktivseite die Forderung über 100.000 Euro gegenüber der EZB und auf der
Passivseite die Verbindlichkeit von 100.000 Euro gegenüber der betreffenden Geschäftsbank,
obwohl die Forderung und die Verbindlichkeit auf Weiterleitung des Geldes jeweils erfüllt worden
sind.
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Die deutsche Bundesbank bilanziert diesen Geldbetrag daher auch richtigerweise nicht als
Guthaben bei der EZB, denn dieser Betrag ist ja nicht ihr Guthaben, sondern versteckt unter 9.4.
als „Sonstige Forderungen; auf der Passivseite steht dann symmetrisch unter den „Sonstigen
Verbindlichkeiten der Wert von Null. (Bei den Defizit-Ländern ist es genau umgekehrt). Es ist
somit wichtig zu verstehen, dass die Target-Salden bei der EZB ja erst durch die Überweisung des
Geldbetrags entstehen. Erst wenn das Geld tatsächlich gezahlt und überwiesen wird, erscheint der
Geldbetrag auf dem Konto; vor der Überweisung ist das Konto leer. Rein vertragliche Forderungen
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In der Praxis funktionieren Überweisungen im Target-System etwas komplizierter. Die spanische Zentralbank
belastet das Target2-Konto der spanischen Geschäftsbank bei ihr und verbucht eine Verbindlichkeit gegenüber der
Bundesbank. Die Bundesbank verbucht eine Forderung gegenüber der spanischen Zentralbank und schreibt den
Betrag dem Target2-Konto der deutschen Geschäftsbank gut. Am Ende des Geschäftstages werden alle im Laufe des
Tages angefallenen bilateralen Verbindlichkeiten und Forderungen automatisch in einem multilateralen
Verrechnungsverfahren zusammengeführt und auf die EZB übertragen (Novation), sodass für jede nationale
Zentralbank nur noch eine einzige Verbindlichkeit oder Forderung gegenüber der EZB besteht
(https://www.bundesbank.de/de/aufgaben/unbarer-zahlungsverkehr/target2/target2-saldo/target2-saldo-603478).
und Verbindlichkeiten zwischen Käufer und Verkäufer sind bilanziell nicht wirksam und werden
im Target-System nicht abgebildet. Der Target-Saldo kann logischerweise keine unerfüllten
Forderungen des deutschen Verkäufers enthalten, auch keine abgeleitete Forderung der
Geschäftsbank gegenüber der Zentralbank und dieser gegenüber der EZB. Das Target-System ist
ein Zahlungssystem. Es wird erst dann gebucht und überwiesen, wenn auch tatsächlich gezahlt
wird. Das bedeutet, dass auch die Target-Forderung erfüllt ist und nicht mehr offen ist. Die
deutsche Zentralbank hat nun aber die Verpflichtung, diesen Geldbetrag an die deutsche
Geschäftsbank, die mit der BIC-Nummer vermerkt ist, weiterzuleiten und deren Konto
gutzuschreiben. Damit verlässt der Geldbetrag die deutsche Bundesbank, diese kann über den
Geldbetrag nicht mehr verfügen. Das kann nur die deutsche Geschäftsbank, bei der und ihrem
Kunden das Geld letztlich verbleibt. Die deutsche Zentralbank ist im Target-Zahlungsverkehr
lediglich eine Durchgangsstation. Die Bank des Zahlers erleidet einen Netto-Geldabfluss, die des
Zahlungsempfängers einen Netto-Geldzufluss. Die anderen Banken, die beiden Zentralbanken und
die EZB, haben sowohl einen Geldzufluss als auch einen Geldabfluss in gleicher Höhe; ihre Netto-
Geldvermögen bleiben im Zahlungsverkehr gleich.
In ihrer Eigenschaft, ein Teil des Target-Systems zu sein, hat die deutsche Bundesbank bestimmte
Pflichten bezüglich des Zahlungsverkehrs innerhalb des Euroraums zu erfüllen. Dazu gehört die
ordnungsgemäße Weiterleitung der Zahlung an die entsprechenden Geschäftsbanken. Ohne diese
korrekte Weiterleitung erhält der deutsche Verkäufer nicht sein Geld. (Das gleiche gilt
spiegelbildlich für die Target-Verbindlichkeiten der spanischen Zentralbank).
Das kann man sich auch leicht mithilfe eines Gedankenspiels klarmachen. Angenommen, die
spanische und die deutsche Geschäftsbank hätten jeweils ein Konto bei der EZB (und die spanische
und die deutsche Zentralbank gäbe es nicht), dann würde der Betrag von 100.000 Euro, den die
spanische Geschäftsbank an die deutsche Geschäftsbank überweist, direkt von deren Konto bei der
EZB auf das Konto der deutschen Geschäftsbank übertragen. Der Zahlungsvorgang wäre
abgeschlossen. Tatsächlich haben nur alle deutschen Banken jeweils ein Konto bei der deutschen
Zentralbank, so dass im innerdeutschen Zahlungsverkehr Umbuchungen zwischen den Konten
stattfinden. Die ausländischen Zentralbanken haben hingegen jeweils ein Konto bei der EZB, so
dass der ausländische Zahlungsverkehr durch Umbuchungen über diese Konten stattfindet, mit den
dargestellten Konsequenzen. Der positive Target-Saldo ist somit der Geldbetrag, der den deutschen
Geschäftsbanken im Rahmen internationaler Zahlungsvorgänge auf ihre Konten bei der deutschen
Zentralbank gutgeschrieben wird und bei diesen als Guthaben bei der deutschen Zentralbank auf
der Aktivseite der Bilanz geführt wird.
Wie wird das in der Zahlungsbilanz gebucht? In der Handelsbilanz erscheint auf der Aktivseite der
Export von 100.000 Euro. Die Forderung auf Zahlung wird in der Kapitalbilanz als (Netto)
Kapitalexport eingebucht und besagt, dass der Verkäufer dem Käufer bis zur Bezahlung des
Kaufpreises einen Kredit in Höhe des Kaufpreises von 100.000 Euro einräumt. Nach der Zahlung
des Kaufpreises wird die Forderung auf Zahlung ausgebucht und durch den Titel „liquide Mittel“
beziehungsweise durch den Begriff (erfüllte) Target-Forderung ersetzt und entsprechend verbucht
in dem Posten „Übriger Kapitalverkehr“, was in der Kapitalbilanz zu einem Passivtausch führt.
Unter diesem Begriff Target-Forderung erscheint nun in der Kapitalbilanz die Zahlung des
Kaufpreises. Die Target-Forderung der deutschen Zentralbank gegenüber der EZB besagt: Wenn
die Zahlung des Käufers bei der EZB eingehen sollte, muss sie auf das Konto der deutschen
Zentralbank bei der EZB gutgeschrieben werden. Wird die Zahlung des Kaufpreises von dem
Käufer geleistet, wird sie auf das Konto der deutschen Zentralbank bei der EZB als Guthaben
verbucht. Dieses Guthaben ist der sogenannte Target-Saldo. Mit der Zahlung ist die (offene)
Target-Forderung erfüllt. Sie wird als (erfüllte) Target-Forderung in der Bilanz der deutschen
Zentralbank unter „Sonstige Forderungen“ verbucht. Ihr Wert ist, auf ein Jahr bezogen, genauso
hoch wie die Target-Forderung in der Zahlungsbilanz.
Bisher haben wir angenommen, dass der spanische Käufer den Geldbetrag vom Konto bei seiner
Bank abbuchen lässt. Dadurch wird die Zahlung über Transfers der Zentralbankgeldmenge
geleistet. Diese sinkt in Spanien um 100.000 Euro und steigt in Deutschland um 100.000 Euro; in
der Summe bleibt sie gleich. Der spanische Käufer kann aber auch einen Kredit aufnehmen, um
den geforderten Betrag zu begleichen. Er geht zu seiner Bank und lässt sich einen Kredit geben,
der seinem Konto gutgeschrieben wird. Seine Bank erwirbt dadurch zur Absicherung eine
Forderung gegenüber ihrem Kunden. Lässt er dann den geforderten Betrag von seinem Konto
abbuchen, verläuft der weitere Überweisungsweg wie oben beschrieben.
Nimmt die spanische Geschäftsbank ihrerseits bei der spanischen Zentralbank einen Kredit auf,
um sich zu refinanzieren, so erhöht sich die Zentralbankgeldmenge zunächst in Spanien und wird
dann über EZB und Deutsche Bundesbank nach Deutschland weitergeleitet. Die EZB schreibt dem
Konto der deutschen Zentralbank 100.000 Euro Zentralbankgeld gut; die Zentralbankgeldmenge
in Deutschland steigt um 100.000 Euro, ebenso die Zentralbankgeldmenge in der Eurozone, und
alle Forderungen und Verbindlichkeiten sind wiederum erfüllt. In Spanien allerdings verbleiben
als nicht erfüllt die Forderungen und Verbindlichkeiten aus den Krediten. Erst wenn diese
zurückgezahlt werden, haben wir wieder die Situation, wie sie weiter oben beschrieben worden ist.
Aber nicht nur Traktoren, sondern auch Autos, Maschinen, chemische Produkte, Aktien,
Staatsanleihen, Immobilien und anderes mehr werden gehandelt. Bei diesen Gütern verlaufen die
Buchungsvorgänge genauso wie in dem Traktor-Beispiel. Man ersetzt einfach den Begriff Traktor
durch beispielsweise den Begriff Wertpapier und führt die Buchungsvorgänge auf identische Art
und Weise durch. (Dabei ist allerdings zu beachten, dass der Verkauf eines Wertpapiers als reine
Finanztransaktion nur in der Kapitalbilanz gebucht wird und deren Saldo unverändert lässt,
während Leistungstransaktionen sowohl die Leistungsbilanz als auch die Kapitalbilanz betreffen
und deren Salden verändern.)
Das Target-System ist also ein Zahlungssystem, das den Zahlungsverkehr zwischen
(ausländischen) Käufern und Verkäufern im Euroraum erleichtert, was schon dadurch als
ökonomisch sinnvoll erscheint, wenn man daran denkt, wie zeitaufwendig und teuer es ist, eine
Zahlung beispielsweise von Deutschland in die USA (oder umgekehrt) zu leisten.
6
Das Target-
System stellt auch sicher, dass ein ausländischer Kunde nicht gegenüber einem inländischen
Kunden bezüglich der Zahlungsmöglichkeiten diskriminiert wird. Target-Salden sind aber kein
Indikator dafür, dass es noch irgendwelche offenen Forderungen und Verbindlichkeiten zwischen
den Parteien der internationalen Transaktionen gibt. Sie geben vielmehr an, welche Netto-
Zahlungen zwischen den Ländern der Eurozone tatsächlich geflossen sind. Dem entspricht die
Definition der Target-Salden durch die deutsche Bundesbank: Target2-(Netto)-Salden sind das
Ergebnis der grenzüberschreitenden Verteilung von Zentralbankgeld innerhalb der dezentralen
Struktur des Eurosystems.
4. Fehlinterpretationen der Target-Salden und Target-Forderungen
Damit sind die Begriffe Target-Saldo, Target-Forderung und Target-Verbindlichkeit geklärt. Wie
ist es dann möglich, dass eine vergleichsweise unscheinbare Forderung, die sogenannte Target-
Forderung, die lediglich dazu dient, die Überweisung eines Geldbetrages sicherzustellen, derart
6
So bevorzugen es beispielsweise Verlage aus den USA oder dem UK, Autorenhonorare durch Versendung von
Verrechnungsschecks auf dem Postweg zu begleichen, um die hohen Überweisungsgebühren zu sparen. Die
Einreichung der Schecks bei der deutschen Bank verursacht dann allerdings bei dem Empfänger nicht unerhebliche
Kosten.
prominent in der Wissenschaft diskutiert wird? Wie ist es möglich, dass der dazu gehörige Saldo,
der sogenannte Target-Saldo, der lediglich die nach Deutschland aus dem Ausland strömende
Netto-Geldmenge beziffert, ob seiner großen Höhe Angst und Schrecken verbreiten kann? Das
kann nur dadurch geschehen, dass man fälschlicherweise die Target-Forderung in der
Zahlungsbilanz als noch offene Forderung auffasst und sie als noch offene Forderung in der Bilanz
der deutschen Zentralbank verbuchen lässt. Schauen wir uns das näher an.
Wir haben im letzten Kapitel gezeigt, dass die Target-Forderung in der Zahlungsbilanz
beispielsweise durch eine vertragliche Handelsbeziehung entsteht. Der Verkäufer hat gegenüber
dem Käufer eine Forderung auf Zahlung des Kaufpreises. Diese Forderung wird in der
Kapitalbilanz als (Netto-)Kapitalexport eingebucht und besagt, dass der Verkäufer dem Käufer bis
zur Bezahlung des Kaufpreises einen Kredit in Höhe des Kaufpreises einräumt. Nach der Zahlung
des Kaufpreises wird die Forderung auf Zahlung ausgebucht und durch den Titel „liquide Mittel“
beziehungsweise durch den Begriff (erfüllte) Target-Forderung ersetzt und entsprechend verbucht,
was in der Kapitalbilanz zu einem Passivtausch führt. Unter diesem Begriff Target-Forderung
erscheint nun in der Kapitalbilanz die Zahlung des Kaufpreises. Die Target-Forderung der
deutschen Zentralbank gegenüber der EZB ist aber von der Forderung des Verkäufers auf Zahlung
des Kaufpreises, der Target-Forderung in der Zahlungsbilanz, abgeleitet und besagt: Wenn die
Zahlung des Käufers bei der EZB eingehen sollte, muss sie auf das Konto der deutschen
Zentralbank bei der EZB gutgeschrieben werden; (die Target-Forderung besagt also nicht, dass die
deutsche Zentralbank gegenüber der EZB eine Forderung auf Zahlung des Kaufpreises hat). Wird
die Zahlung des Kaufpreises von dem Käufer geleistet, wird sie auf das Konto der deutschen
Zentralbank bei der EZB als Guthaben verbucht. Dieses Guthaben ist der sogenannte Target-Saldo.
Mit der Zahlung ist die (offene) Target-Forderung erfüllt. Sie wird als (erfüllte) Target-Forderung
in der Bilanz der deutschen Zentralbank unter „Sonstige Forderungen“ verbucht. Ihr Wert ist, auf
ein Jahr bezogen, genauso hoch wie die Target-Forderung in der Zahlungsbilanz. Der gezahlte
Kaufpreis wird an die Geschäftsbank weitergeleitet und dem Konto der Geschäftsbank bei der
deutschen Zentralbank gutgeschrieben. Das ist die korrekte Interpretation von Target-Saldo und
Target-Forderung.
Das sehen allerdings einige Wirtschaftswissenschaftler, vor allem Makroökonomen, anders und
vertreten eine gegensätzliche Meinung. Sie behaupten unter anderem, dass die sogenannte Target-
Forderung noch offen sei und dass Deutschland anderen Eurostaaten einen niemals rückzahlbaren
Kredit in Höhe von 1 Billion Euro gegeben hätte. Das starke Anwachsen von Target-Saldo und
(nicht erfüllter) Target-Forderung verursache zudem einen großen Schaden für die Steuerzahler in
Deutschland. Nur wenige Ökonomen versuchen, diese Argumentationen richtigzustellen (siehe
insbesondere Hellwig 2018).
Diese Wirtschaftswissenschaftler stehen allerdings vor einem Problem. Wenn sie die Target-
Forderung für offen, also für noch nicht erfüllt, ansehen, unterstellen sie damit, dass alle
ausländischen Käufer im grenzüberschreitenden Handel ihre Rechnungen nicht bezahlt haben, und
das im marktwirtschaftlichen System des Euroraums! Da noch nicht bezahlt worden ist, bleibt auch
der Target-Saldo leer, das heißt, eine (unerfüllte) Target-Forderung existiert gar nicht. Die
deutschen Verkäufer haben also über das Target-System noch kein Geld erhalten. Dieses Problem
argumentativ beheben zu wollen, dürfte sehr schwierig sein und ist tatsächlich auch zu schwierig
gewesen.
Gehen wir auf die wichtigsten Argumentationsmuster etwas näher ein. So äußert sich
beispielsweise Schlesinger (2011, S. 9/10) folgendermaßen: Mit jedem Überschuss in der
Leistungsbilanz geht ein entsprechend hoher Zuwachs an Nettoforderungen gegenüber dem
Ausland einher. Bei den Nettoforderungen aus Target2 handelt es sich nicht nur um den
wichtigsten Posten in der Bundesbankbilanz, sondern die Nettoforderungen sind auch ein wichtiger
Teil des Auslandsvermögens der Bundesrepublik. Oder Sinn (2011, S. 3/4) argumentiert: „Die
Zahlungsbilanzstatistik bezeichnet die Zuwächse der Target-Salden als Kapitalexporte und
importe über das EZB-System“. Der akkumulierte Zahlungsbilanzüberschuss führt zu einer in der
Bilanz der Bundesbank verzeichneten Target-Forderung.
In dieser makroökonomischen Betrachtung ist der oben aufgezeigte mikroökonomische
Zusammenhang von Kaufvertrag, Target-Forderung, Erfüllung der Target-Forderung durch
Zahlung der Rechnung und Weiterleitung des gezahlten Betrags über das Target-System bis zum
Verkäufer nicht mehr sichtbar. Die Target-Forderung hat sich verselbständigt; dass sie durch
Zahlung des Kaufpreises erfüllt werden kann und wird, wird nicht mehr gesehen. Es wird
stattdessen angenommen, dass eine Forderung existiert, ohne genau zu spezifizieren, welchen
Inhalt diese Forderung hat, lediglich ihre Höhe, ihr Inhaber und ihr Adressat sind bekannt, und
unterscheidet nicht zwischen erfüllten und nicht-erfüllten Forderungen. Damit wird unterstellt,
dass diese Forderung niemals erfüllt werden kann, dass sie immer bestehen bleibt.
In mikroökonomischer Betrachtungsweise ist die mit dem Leistungsbilanzüberschuss entstehende
Forderung nicht irgendeine Forderung, die „mit dem Leistungsbilanzüberschuss einhergeht“,
sondern es ist die Forderung auf Zahlung des Kaufpreises, die der Exporteur der Ware gegenüber
dem Käufer der Ware hat. Sie entsteht durch den Export von Waren und nicht durch den
Leistungsbilanzüberschuss per se. Diese Forderung auf Zahlung wird in der Kapitalbilanz als
Netto-Kapitalexport verbucht und die entsprechende Warenlieferung des Exporteurs wird in der
Leistungsbilanz als Güterexport verbucht. Ganz analog wird der Import einer Ware in der
Passivseite der Leistungsbilanz verbucht und der zu zahlende Kaufpreis als Netto-Kapitalimport
auf der Aktivseite der Kapitalbilanz. Im Laufe eines Jahres summieren sich auf der Aktivseite der
Leistungsbilanz alle getätigten Exporte und auf der Passivseite alle durchgeführten Importe. Der
(positive) Saldo ist der Leistungsbilanzüberschuss. Im Laufe eines Jahres sind alle Rechnungen für
Exporte und Importe, bis auf wenige Ausnahmen, so wollen wir annehmen, bezahlt. Diese
bezahlten Rechnungen werden als Zahlungen von Ausländern an Inländer für den Güterexport als
Netto-Kapitalexport auf der Passivseite der Kapitalbilanz gebucht und als Zahlungen von Inländern
an Ausländer für den Güterimport als Netto-Kapitalimport auf der Aktivseite der Kapitalbilanz
gebucht. Der Saldo aus Netto-Kapitalexport und Netto-Kapitalimport ist der (negative) Saldo der
Kapitalbilanz. Er entspricht in seiner Höhe dem Saldo der Leistungsbilanz. Sind aber alle
Rechnungen aus Leistungsbilanztransaktionen mit Ländern der Eurozone bezahlt, so gibt dieser
Kapitalbilanzsaldo an, wieviel Geld aufgrund der Leistungstransaktionen netto nach Deutschland
geflossen ist. Wird über das Target-System gezahlt, entspricht dieser Kapitalbilanzsaldo der
erfüllten Target-Forderung, wie sie von der deutschen Zentralbank unter „Sonstige Forderungen“
verbucht wird.
Dabei ist zu beachten, dass auch rein monetäre Transaktionen wie der Kauf von Wertpapieren, die
also sowohl den Saldo der Leistungsbilanz als auch den Saldo der Kapitalbilanz unberührt lassen,
gleichwohl die Höhe der Target-Forderungen beeinflussen. Der Kauf eines ausländischen
Wertpapiers durch einen Inländer führt nämlich zu einem gleichzeitigen Kapitalexport und
Kapitalimport: Die Zahlung des Kaufpreises führt zu einem Abfluss von „liquiden Mitteln“, der
Erwerb des Wertpapiers hingegen zu einem Zugang an Vermögen. Somit bleibt der Saldo der
Kapitalbilanz unverändert. Die Zahlung verändert aber die Target-Forderung. Durch die Zahlung
sinkt die Target-Forderung um den Zahlungsbetrag. Die Target-Forderung verändert sich also auch
bei reinen Finanztransaktionen, die den Saldo der Kapitalbilanz unverändert lassen, und nicht nur
bei Nettokapitalveränderungen aufgrund von Leistungsbilanzüberschüssen, die den Saldo der
Kapitalbilanz verändern.
Bei einem Leistungsbilanzüberschuss muss selbstverständlich buchhalterisch beziehungsweise
saldenmechanisch ein Gegenposten verbucht werden. Dieser Gegenposten kann der
(Netto)Kapitalexport im engeren Sinne sein; er ist solange ein Kapitalexport, bis die Rechnung
bezahlt ist. Wird die Rechnung bezahlt, wird dieser (Netto-)Kapitalexport umgebucht in „liquide
Mittel“. Das geschieht durch einen Passivtausch in der Kapitalbilanz. Dabei bleibt der Saldo der
Kapitalbilanz unverändert, in unserem Beispiel bei -100.000 Euro als Gegenposten zum
Leistungsbilanzüberschuss von +100.000 Euro. Blickt man also nur auf den Saldo und nicht auf
die Buchung der Zahlung, könnte man meinen, es habe sich am Status der (Netto-)Forderung nichts
geändert. Doch ist aus einer (nicht erfüllten) Forderung durch die Zahlung eine (erfüllte) Forderung
geworden. Der Gegenposten kann aber auch der bezahlte Rechnungsbetrag sein, wenn nämlich die
Rechnung uno actu mit der Lieferung bezahlt wird. Dann besteht die Gegenbuchung zum
Leistungsbilanzüberschuss in der Kapitalbilanz in dem Posten „Übriger Kapitalverkehr“.
Zeigt man also, wie und wann eine Forderung entsteht, und spezifiziert man ihren Inhalt, so erkennt
man, dass diese Target-Forderung sehr wohl erfüllt werden kann und trotzdem als erfüllte
Forderung weiterhin verbucht bleibt. Eine Forderung kann nämlich durch Bezahlung der Rechnung
erfüllt werden, ein doch wohl sehr marktwirtschaftlicher Gedanke, und muss nicht durch
irgendwelche Transferleistungen ausgeglichen oder kompensiert werden, so dass sie offenbleibt,
sofern die entsprechenden Transferleistungen ausbleiben. Stattdessen wird behauptet, dass die
Target-Salden beziehungsweise die entsprechenden Target-Forderungen bestehende Forderungen
seien, die von den Schuldnerländern nicht beglichen worden sind, und folglich noch ausgeglichen
werden müssten, oder die weiterhin bestehen, obwohl die Kaufsumme bezahlt worden ist. Im Zitat
von Sinn wird zudem postuliert, dass der Kapitalexport als Gegenposten zum
Handelsbilanzüberschuss als Target-Forderung in der Bilanz der Bundesbank verzeichnet ist. Das
kann aber nicht richtig sein. Denn ein bestehender Kapitalexport bedeutet, dass die Rechnungen
der Verkäufer noch nicht bezahlt sind, so dass auch keine positiven Target-Salden beziehungsweise
Target-Forderungen bei der Bundesbank auftauchen können. Damit ist die Definition der Target-
Forderung als Gegenposten der Überschussländer zur „Target-Schuld“ der Defizit-Länder im
Euroraum nicht haltbar.
7
Wir haben also gezeigt, dass die durch die Zahlung entstehenden „liquiden Mittel“ in der
Kapitalbilanz, als Gegenposten zum Leistungsbilanzüberschuss, der (erfüllten) Target-Forderung
bei der deutschen Zentralbank entsprechen. Denn die Zahlung führt zu einer Umbuchung in der
Kapitalbilanz: Aus der Forderung auf Zahlung wird ein Bestand an „liquiden Mitteln“, gebucht als
Target-Forderung. Statt des (Netto-)Kapitalexports, der eine Forderung Deutschlands gegenüber
Spanien bezeichnet, ist in der Kapitalbilanz, als Gegenposten zum Exportüberschuss, die erfüllte
Target-Forderung vorhanden, die konsolidierte Zahlungsbilanz ist also ausgeglichen, aber der
spanische Käufer hat gezahlt. Es bestehen keinerlei Forderungen Deutschlands gegenüber Spanien
mehr.
Manche Autoren bezeichnen die Target-Forderung von vornherein als Kredit und setzen sie mit
der Forderung aus der Kapitalbilanz gleich. Das führt dazu, dass behauptet wird (so Sinn 2011, S.
6), dem Sparvolumen stehe ein Investitionsvolumen, zusammengesetzt aus privaten und
öffentlichen Nettoinvestitionen im Inland, dem Nettofinanzkapitalexport, den
Nettodirektinvestitionen im Ausland sowie dem Nettokapitalexport durch die Bundesbank
(=Target) gegenüber. Die über das EZB-System erzwungenen Kreditflüsse aus Deutschland
heraus (die Target-Kredite) machten in den Jahren 2002 bis 2010 22% der möglichen Netto-
Investitionen aus (schreibt Sinn hierzu). Aber ist das richtig?
Der Kapitalexport ist eine Mittelbereitstellung des Inlands an das Ausland, beispielsweise in Form
von Finanzkrediten oder Wertpapierkäufen. Investoren könnten beispielsweise ausländische
7
Möglicherweise resultieren die Missverständnisse daraus, dass man Zahlungsbilanztransaktionen zwischen
unterschiedlichen Währungsräumen genauso behandelt wie Zahlungsbilanztransaktionen innerhalb einer
Währungsunion. Bei Transaktionen zwischen Parteien aus unterschiedlichen Währungsräumen reicht es nicht aus,
dass sich die Parteien auf einen Vertragspreis einigen. Darüber hinaus muss sich der Käufer die Währung des
„Verkäuferlandes“ beschaffen, wenn wir einmal davon ausgehen, dass in dieser Währung fakturiert wurde.
Versetzen wir uns in die Zeit vor der Europäischen Währungsunion zurück und nehmen wir an, Deutschland habe
einen Leistungsbilanzüberschuss gegenüber den USA. Die Devisen (DM), die amerikanische Produzenten durch den
Export ihrer Produkte nach Deutschland erwirtschaftet haben, reichen somit nicht aus, um alle Importe deutscher
Produkte zu finanzieren. Es muss somit andere Transaktionen zwischen in Deutschland und in den USA ansässigen
Parteien geben, die in dem Wunsch resultieren, DM in Dollar einzutauschen. Das kann etwa dadurch geschehen, dass
deutsche Inländer eine Nachfrage nach amerikanischen Aktien oder Wertpapieren entfalten oder dass sie
amerikanischen Inländern Kredite einräumen. In allen Fällen wird der Leistungsbilanzüberschuss durch einen
Kapitalex-portüberschuss ausgeglichen. In einer Währungsunion gibt es demgegenüber eine zusätzliche Option: der
Netto-Abfluss an Leistungen kann auch durch einen Netto-Zufluss an Zahlungen in der gemeinsamen Währung
beglichen werden, wobei es keine Rolle spielt, durch welche in- oder ausländischen Transaktionen die
entsprechenden Parteien die Zahlungsmittel erworben haben.
Aktien kaufen und unter Rendite- und Risikogesichtspunkten überlegen, welche sie anschaffen
wollen und wie lange sie gehalten werden sollen. Verbucht wird diese Finanztransaktion als
Kapitalexport in der Kapitalbilanz, verändert aber nicht deren Saldo und lässt auch den Saldo der
Leistungsbilanz unverändert. In unserem Traktor-Beispiel hingegen liefert der deutsche Verkäufer
den Traktor aus mit einem Zahlungsziel von 4 Wochen. Verbucht wird dieser Vorgang als
Leistungsbilanzüberschuss von 100.000 Euro und als Kapitalexport von ebenfalls 100.000 Euro.
Dieser Kapitalexport ist demnach ein Nebenprodukt des Güterexports und kein Resultat einer
bewussten Investitionsentscheidung. In diesem Umfang gewährt somit der deutsche Verkäufer dem
spanischen Käufer einen Kredit mit einer Laufzeit von 4 Wochen. Dieser „Target-Kredit“
entspricht also einem Kapitalexport von ebenfalls 100.000 Euro. Aber was geschieht, wenn der
spanische Käufer seine Rechnung bezahlt? Dann wird der „Target-Kredit“ getilgt und der
Kapitalexport ist keiner mehr. In der Kapitalbilanz wird die Forderung des deutschen Verkäufers
ausgebucht und durch die (durch die Zahlung erfüllte) Target-Forderung ersetzt. Im Target-System
wird das Geld aus Spanien durch die deutsche Zentralbank an die deutsche Geschäftsbank des
Verkäufers weitergeleitet. Dass Deutschland „Target-Kredite“ an das Ausland vergibt und dass in
gleichem Umfang ein Kapitalexport besteht, gilt folglich nur so lange, bis die Rechnung bezahlt
wird. Nach Zahlung der Rechnung gibt es keinen „Target-Kredit“ und keinen Kapitalexport mehr.
Ob die Rechnung durch eine Überweisung vom Konto oder durch einen Kredit bezahlt wird, spielt
dabei keine Rolle. Wird uno actu mit der Lieferung bezahlt, entsteht überhaupt kein Kapitalexport,
sondern nur eine (erfüllte) Target-Forderung. Dem Leistungsbilanzüberschuss steht dann in der
Kapitalbilanz ein Netto-Zahlungseingang (die erfüllte Target-Forderung) in dem Posten „Übriger
Kapitalverkehr“ gegenüber. Die Behauptung von Sinn ist demnach nicht richtig; sie gilt nur für
den Fall, dass die Target-Forderung nicht erfüllt wird. Doch das ist in einer Marktwirtschaft
undenkbar.
Wir erkennen, dass alle Autoren, die davon ausgehen, dass die Target-Forderungen Deutschlands
gegenüber dem Euroraum weiterhin bestehen und nicht erfüllt sind, nicht zwischen erfüllten
Verbindlichkeiten und Forderungen und unerfüllten Verbindlichkeiten und Forderungen
unterscheiden und vor allem nicht exakt definieren, welche Forderungen und Verbindlichkeiten
bestehen. Für diese Autoren sind Verbindlichkeiten und Forderungen immer nicht-erfüllte
Verbindlichkeiten und Forderungen. Da bei einer Zahlung des Kaufpreises der Saldo der
Kapitalbilanz unverändert bleibt, buchhalterisch findet lediglich ein Passivtausch statt, schließen
sie fälschlicherweise auf ein Gleichbleiben des Kapitalexports und ein Fortbestehen der Forderung.
Doch diese ist erfüllt und durch einen Bestand an „liquiden Mitteln“ ersetzt worden, wodurch auch
kein Kapitalexport mehr existiert. Allen Autoren ist gemeinsam, dass sie dadurch zu einer falschen
Interpretation der Target-Salden und Target-Forderungen (und Target-Verbindlichkeiten) verleitet
werden. So wird aus der (erfüllten) Target-Forderung in der Kapitalbilanz die (unerfüllte) Target-
Forderung und aus der (erfüllten) Target-Forderung der deutschen Zentralbank gegenüber der EZB
die (unerfüllte) Target-Forderung; die (unerfüllte) Target-Forderung aus der Zahlungsbilanz wird
dann als (unerfüllte) Target-Forderung in der Bundesbankbilanz verbucht. Doch das ist falsch.
Somit sind aber auch alle weiterführenden Argumente und Schlussfolgerungen nicht korrekt,
sofern sie von dieser falschen Interpretation der Target-Salden und Target-Forderungen (und
Target-Verbindlichkeiten) ausgehen.
Ziehen wir ein vorläufiges Fazit der Diskussion um die Interpretation der Target-Forderungen,
Target-Verbindlichkeiten und Target-Salden.
1. Viele Verfechter der Interpretation der Target-Forderungen als noch offene Forderungen lassen
eine Forderung simultan mit einem Exportüberschuss entstehen. Diese Forderung ist gegen ein
anderes Land gerichtet und wird nicht weiter spezifiziert. Das ist eine rein makroökonomische
Betrachtung, die mit Größen aus der Zahlungsbilanz argumentiert und als Akteure nur die Länder
ansieht. In mikroökonomischer Betrachtung handeln nicht die Länder, sondern die
Wirtschaftssubjekte. Deren Aktivitäten werden lediglich in der Zahlungsbilanz zusammengefasst.
Das bedeutet aber, dass die Forderung aus dem Exportüberschuss auf dem Vertrag basiert, den
Verkäufer und Käufer miteinander abgeschlossen haben. Daher kann diese Forderung auch durch
eine Zahlung erfüllt werden und wird es in der Realität im Regelfall auch.
2. Die aus dem Exportüberschuss automatisch entstehende Forderung wird als Target-Forderung
interpretiert und der deutschen Zentralbank zugeordnet. Sie entspricht dem Kapitalexport und kann
ebenfalls nicht durch eine Zahlung erfüllt werden, sondern nur durch äquivalente
Transferleistungen des Auslands ausgeglichen werden. Aus der Forderung des deutschen
Verkäufers auf Zahlung wird so eine Forderung Deutschlands, vertreten durch die deutsche
Zentralbank, gegenüber der EZB beziehungsweise dem Euroraum. Diese Forderung entspricht
einem Kredit, den Deutschland dem Euroraum gewährt. Wir haben allerdings ausführlich gezeigt,
dass diese Interpretation unzulässig ist. Eine Target-Forderung dieser Art gibt es nicht. Die
sogenannte Target-Forderung in der Bilanz der deutschen Bundesbank unter dem Titel „Sonstige
Forderungen“ bedeutet, dass die deutsche Bundesbank den bilanzierten Betrag von der EZB
erhalten und an die Geschäftsbanken weitergeleitet hat.
3. Die Zahlungen von Rechnungen durch das Ausland bedeuten, dass die Forderungen auf
Zahlungen der Kaufpreise erfüllt worden sind. Dann wird aus dem Kapitalexport die erfüllte
Target-Forderung, also letztlich der Nettozufluss von Euros aus dem Schuldner- in das
Gläubigerland, wie sie in der Kapitalbilanz und in der Bilanz der deutschen Zentralbank verbucht
wird. Es gibt dann keinen Kapitalexport und keine noch offene Target-Forderung mehr. Das
Target-System hat genau diesen Zweck: Den grenzüberschreitenden Handel zu erleichtern, indem
die Zahlung von Rechnungen erleichtert und sicherer gemacht wird, so dass nicht zwischen in- und
ausländischen Käufern und Verkäufern diskriminiert wird.
4. Da der Target-Saldo erst durch eine Zahlung des Auslands entsteht und diejenige Menge an Geld
beziffert, die netto aus dem Euroraum nach Deutschland geflossen und dort im Geld- und
Wirtschaftskreislauf vorhanden ist, ist es folglich auch vollkommen unbegründet zu verlangen,
dass der „Target-Kredit“ durch Transferleistungen aus dem Ausland auszugleichen ist und mit
Risikozuschlag verzinst werden müsste. Das Ausland müsste dann doppelt bezahlen; die
Marktwirtschaft wäre außer Kraft gesetzt. Hinzu kommt: Eine Forderung, die seit 17 Jahren nicht
mehr ansatzweise bedient wird und die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch in
Zukunft nicht bedient werden wird, muss unter kaufmännischen Gesichtspunkten zu 100 Prozent
abgeschrieben werden. Sie darf nur noch mit einem Erinnerungswert von 1 Euro in der Bilanz
erfasst werden. Ganz anders sieht das aus, wenn die Forderung eine durch die Weiterleitung des
Geldes erfüllte Forderung ist. In diesem Fall muss die Target-Forderung als Gegenposten zu der
Verbindlichkeit, das Geld auf die Konten der Geschäftsbanken gutzuschreiben, in voller Höhe in
der Bilanz der deutschen Zentralbank erscheinen, falls man sie nicht außerbilanziell verbucht. Da
sie aber keine werthaltige Forderung ist, erscheint sie lediglich unter „Sonstige Forderungen“.
5. Ebenso fehlerhaft ist es, die Target-Forderungen als Auslandsvermögen zu bezeichnen. Denn
sie bezeichnen lediglich die Summe an Geld, die Deutschland aus dem Euroraum im Tausch gegen
Güter wie Maschinen oder Wertpapiere erhalten hat. Diese Geldmenge ist auf die Konten der
deutschen Geschäftsbanken bei der deutschen Zentralbank gebucht worden und befindet sich
bereits im deutschen Geld- und Wirtschaftskreislauf. Außerdem wäre der Marktwert dieser
Forderungen und mithin des Auslandsvermögens null Euro.
6. Dadurch, dass man von einer Forderung ausgeht, die immer fortbesteht und nicht erfüllt werden
kann, und nicht von einer Forderung, die durch Zahlung erfüllt werden kann, gelangt man zu
Fehlinterpretationen und Fehlschlüssen. Dies ist sicherlich auch dem Sprachgebrauch geschuldet,
die von der deutschen Zentralbank an die Geschäftsbanken weitergeleitete, aus dem Euroraum
kommende Geldmenge Target-Forderung zu nennen und in der Bilanz zu verbuchen.
Angemessener wäre es, die Target-Forderung außerhalb der Bilanz zu belassen. Korrekter wäre es
auch, nur von Verbindlichkeiten der im Target-System agierenden Banken zur Weiterleitung der
zu überweisenden Geldbeträge zu sprechen; die Verbindlichkeiten wären dann entweder negativ,
das heißt, diese Verbindlichkeiten wären dann Forderungen, oder positiv, das heißt, sie wären
Verbindlichkeiten im eigentlichen Sinne. Besser wäre es auch, genauer zwischen dem (Netto-
)Kapitalexport, der als Gegenbuchung zum Exportüberschuss entsteht und eine Forderung auf
Zahlung bedeutet, und dem „bezahlten Kapitalexport“, der aus „liquiden Mitteln“ besteht und eine
erfüllte Forderung meint, zu unterscheiden. Die Gefahr einer Fehlinterpretation wäre dann sehr viel
geringer.
5. Erläuterungen zur Entstehung und Entwicklung der Target-Salden
5.1. Determinanten der Target-Salden
Um die Bedeutung der Target-Salden zu verstehen, ist es hilfreich, sich zunächst zu verdeutlichen,
durch welche Transaktionen die hohen Target-Salden tatsächlich entstanden sind. Man versteht
dann besser, warum in wirtschaftlicher Hinsicht kriselnde Länder wie Italien, Spanien und Portugal
hohe defizitäre Target-Salden aufgebaut haben, während ökonomisch starke Länder wie
Deutschland und die Niederlande hohe positive Target-Salden aufweisen. Man versteht dann auch
besser, warum ein relativ kleines Land wie Luxemburg einen derart hohen positiven Target-Saldo
hat. Und man kann dann besser abschätzen, welche Risiken entstehen, wenn die Target-Salden im
Zeitablauf so stark divergieren.
Der internationale Warenhandel zwischen Ländern der Eurozone ist nur eine Ursache für ungleiche
Zahlungsströme zwischen den Ländern und damit für das Entstehen von Target-Salden. Im
Zeitraum 2000 bis 2007 spielten die Target-Salden keine nennenswerte Rolle. Das bedeutet, dass
sich die Zahlungsströme zwischen den Ländern der Eurozone tendenziell mehr oder weniger
ausgeglichen haben. So gab es beispielsweise nicht nur Warenexporte von Deutschland nach
Spanien, die zu Zahlungsströmen von Spanien nach Deutschland führten. Gleichzeitig
konsumierten deutsche Touristen Dienstleistungen in Spanien und deutsche Investoren erwarben
spanische Immobilien, was zu Zahlungsströmen in die entgegengesetzte Richtung führte. Nach
einem kurzen Anstieg der Target-Salden bis 2008 und einem Rückgang in 2009/10 erreichten die
Target-Salden, nach dem „kleinen Höhepunkt“ in 2008, im Herbst 2012 einen zweiten Höhepunkt
mit jeweils über 1 Billion Euro, das heißt ca. 1 Billion Euro Target-Forderungen der „Kernländer“
und der gleiche Betrag an Target-Verbindlichkeiten der „Peripherieländer“. Nach einem deutlichen
Rückgang bis 2015 stiegen die Target-Salden seit Frühjahr 2015 wieder stark an und erreichten
2018 einen neuen Höhepunkt, der bis heute (Juni 2019) mit über 1,3 Billion deutlich über dem von
2012 liegt (Hellwig/Schnabel 2019b, S. 632; EZB). Wir werden im Folgenden zwei Determinanten
der Target-Salden diskutieren, die bei deren tatsächlicher Entwicklung seit 2007 eine große Rolle
spielten.
Mit der Finanzkrise seit 2007 und insbesondere nach der Lehman-Pleite im Herbst 2008 verloren
die Sparer und Investoren in den „Peripherieländern“ zunehmend an Vertrauen in die Sicherheit
ihrer Einlagen und Anlagen. Das gleiche galt für das Vertrauen der Banken in den „Kernländern“
gegenüber der Solidität der Banken in den „Peripherieländern“, was zur Folge hatte, dass der
Interbankenmarkt insbesondere zwischen „Kernländern“ und „Peripherieländern“ weitgehend
zusammenbrach. Damit waren die Banken in letzteren weitgehend auf Kredite der EZB
angewiesen.
Gleiche Effekte auf die Target-Salden hatte auch der seit 2011 bis Herbst 2012 beschleunigte
Verkauf von in den Peripherieländern ausgegebenen Wertpapieren, die von Banken und anderen
Investoren der „Kernländer“ gehalten wurden, sofern diese Papiere von Investoren der
„Peripherieländer“ gekauft wurden (Hellwig/Schnabel 2019b, S. 633).
Tatsächlich ging die EZB aufgrund des Zusammenbruchs des Interbankenmarktes ab Oktober 2008
dazu über, die für die Kapitalflucht aus den Peripherieländern erforderliche Liquidität durch
verbesserte Refinanzierungsbedingungen der Geschäftsbanken bereitzustellen (Mengentender mit
Vollzuteilung, geringere Ansprüche an die erforderlichen Sicherheiten etc.).
8
Es sei bereits an
dieser Stelle erwähnt, dass diese Maßnahmen nicht nur den relevanten Akteuren in den
„Peripherieländern“ der Eurozone zugutekamen, sondern auch den Finanzinstituten in den
„Kernländern“ (nicht zuletzt Deutschland), denen es dadurch ermöglicht wurde, aus ihren
8
Vgl. etwa Steinkamp 2019, S. 75-9.
(leichtsinnigen) Engagements in den „Peripherieländern“ ohne größere Verluste herauszukommen
(Hellwig/Schnabel 2019b, S. 634-5).
Eine weitere wichtige Determinante der Entwicklung der Target-Salden sind die massiven
Wertpapierkäufe, insbesondere öffentlicher Anleihen, seitens der EZB seit Frühjahr 2015. Um zu
vermeiden, dass es im Fall eines Bankrotts eines oder mehrerer der Krisenländer zu umfangreichen
Transfers zwischen den Mitgliedstaaten der Eurozone kommt, wurde auf Initiative des Präsidenten
der Deutschen Bundesbank, Jens Weidmann, vereinbart, dass die nationalen Zentralbanken jeweils
die Anleihen ihres eigenen Staates auf eigene Rechnung erwerben und dass nur 20% der
öffentlichen Anleihen gemeinschaftlich durch die EZB erworben werden. Da die öffentlichen
Anleihen aller Länder der Eurozone zu einem beträchtlichen Teil von Anlegern, die in
Deutschland, den Niederlanden, Finnland und Luxemburg ansässig sind, gehalten werden, führte
auch diese Maßnahme zu einem hohen Anstieg der Target-Forderungen in den „Kernländern“ und
der Target-Verbindlichkeiten in den Peripherieländern.
Insbesondere Luxemburg als relativ kleines Land mit geringem Warenhandel hat große Mengen
an Target-Forderungen angesammelt. Luxemburg ist vor allem Standort für viele Fonds,
Vermögensverwalter und Finanzinstitute. Diese bieten diverse Dienstleistungen an, die in der
Dienstleistungsbilanz als Export verbucht werden und zu einem hohen positiven Target-Saldo
führten.
5.2 Mögliche Konsequenzen hoher Target-Salden
Alle Autoren, die über die Target-Falle klagen, gehen davon aus, dass die Länder mit positiven
Target-Salden, also insbesondere die Bundesrepublik Deutschland, im Rahmen des Target-
Systems noch offene Forderungen gegenüber der EZB bzw. dem Euroraum haben. Danach misst
der Target-Saldo die Höhe dieser noch offenen Forderungen (bzw. Verbindlichkeiten). Wir haben
gezeigt, dass es auf Ebene der zugrundeliegenden Transaktionen derartige Forderungen nicht gibt
und auch gar nicht geben kann. Forderungen bestehen zwischen den Parteien der
zugrundeliegenden Transaktionen, solange die Zahlung nicht erfolgt ist. Erst nach tatsächlich
erfolgter Zahlung entsteht ein Target-Saldo, der somit misst, welche Nettozahlungen zwischen den
Ländern der Eurozone erfolgt sind und nicht, wer wem noch etwas schuldet.
Wie kommen nun die Kritiker der hohen Target-Salden dazu zu behaupten, dass diese Salden noch
offene Forderungen von Ländern mit positiven Salden (wie insbesondere Deutschland) gegenüber
Ländern mit negativen Salden (wie insbesondere Italien, Spanien und Portugal) signalisieren? Die
grundlegende Argumentation der Target-Kritiker basiert darauf, dass es zwar für die
Transaktionsparteien egal ist, wie das Zentralbankgeld in Umlauf gebracht wurde (Euro = Euro),
dass die Herkunft des Zentralbankgeldes aber für die Volkswirtschaft als Ganzes sehr wohl eine
Rolle spiele. Das folgende, etwas längere Zitat von Hans-Werner Sinn (2015, S. 315) macht das
Argument deutlich:
„Natürlich kann es [den Vertretern der deutschen Exportindustrie] egal sein, wo das Geld
herkommt, das sie erhalten. Jedoch spielt für Deutschland als Ganzes die Herkunft des Geldes sehr
wohl eine Rolle. Leistungsbilanzüberschüsse bedeuten …, dass eine Volkswirtschaft einen Teil
ihrer Ersparnisse nicht zu Hause, sondern im Ausland investiert. Normalerweise wird dieser Teil
der Ersparnisse von den Banken ins Ausland verliehen, damit dort entsprechende Defizite in der
Leistungsbilanz bezahlt werden können. Dafür erhalten die Banken dann marktfähige
Forderungstitel, also Schuldverschreibungen, Aktien oder einfach nur Buchforderungen. Im Fall
der Target-Finanzierung der Leistungsbilanzüberschüsse ist es anders, weil die entsprechenden
Spargelder von den Banken nicht für den Erwerb marktfähiger Forderungstitel, sondern für die
Tilgung von Refinanzierungskrediten bei der Deutschen Bundesbank eingesetzt werden oder in
Termineinlagen bei der Bundesbank fließen, während die Bundesbank eine Target-Forderung
gegen das Eurosystem erhält. Damit agierte die Bundesbank ähnlich wie ein Staatsfonds, der mit
den Einnahmen aus den Exportüberschüssen des Landes ein weltweites Vermögensportfolio
aufbaut, nur mit dem Unterschied, dass der ‚Staatsfonds‘ bei der ‚Investition‘ keine
Entscheidungsmöglichkeit hatte. Die Bundesbank erhielt ihre Forderungen ohne eigenes Zutun
durch die Kontoüberziehung anderer Notenbanken. Aus freien Stücken hätte sie sich sicherlich
nicht ein so riskantes und niedrig verzinsliches Anlageobjekt ausgesucht.“
Dieses Narrativ, das bei deutschen Target-Kritikern weit verbreitet ist, unterscheidet letztlich
zwischen einer privaten („guten“, „marktkonformen“) Finanzierung von Leistungsbilanzdefiziten,
die sich als Kapitalimport in Form von kommerziellen Transaktionen wie Handelskrediten,
Portfolioinvestitionen und Direktinvestitionen in der Kapitalbilanz niederschlägt, und einer
öffentlichen („schlechten“, „umverteilungsorientierten“) Finanzierung von
Leistungsbilanzdefiziten, die sich als Veränderung der Target-Salden in der Kapitalbilanz
niederschlägt. So hält beispielsweise Stefan Homburg die Guthaben und Schulden im Target2-
System für „… ökonomisch nicht koscher, weil sie nicht auf Markttests und harten
Kreditwürdigkeitsbedingungen beruhen, sondern auf der Usance des Eurosystems, alle Papiere zu
akzeptieren, deren Rating oberhalb von D liegt“ (2011, S. 48). Ähnlich sieht Klaus Reeh (2011, S.
90) die Target-Salden als Indiz dafür, „dass Binnengrenzen überschreitend nicht zu marktmäßig-
kommerziellen Bedingungen finanziert wurde.“
9
Nach diesem Narrativ sind die hohen Target-Forderungen der „Kernländer“ und die hohen Target-
Verbindlichkeiten der „Peripherieländer“ letztlich die Folge einer unverantwortlichen Geldpolitik
der EZB, die das Ziel einer umfangreichen Umverteilung von den „Kern“- zu den
„Peripherieländern“ der Eurozone verfolgt. Insbesondere umfangreiche ELA-Kredite
(„Emergency Liquidity Assistance“), das sind Notfall-Liquiditätshilfen, welche die nationalen
Zentralbanken „in eigener Verantwortung und auf eigene Rechnung“ an die Geschäftsbanken
vergeben, in den „Peripherieländern“, aber auch die Vollzuteilungspolitik bei den
Refinanzierungskrediten, die Absenkung der Anforderungen an die Pfänder, welche die
Geschäftsbanken bei den Zentralbanken zur Refinanzierung hinterlegen müssen, u.a.m. führten
demnach zu einer Selbsthilfe mit der Notenpresse“ zugunsten der „Peripherieländer“ und zu
Lasten der „Kernländer“ (vgl. etwa Sinn 2018, S.27-28). Nach Auffassung von Hans-Werner Sinn
führen internationale Überweisungen aus anderen Ländern der Eurozone nach Deutschland dazu,
dass die Bundesbank im Auftrag anderer Notenbanken Geld schafft, das nach den Wünschen der
ausländischen Auftraggeber in Deutschland verausgabt wird, während diese anderen Notenbanken
Zentralbankgeld im gleichen Umfang eingezogen haben (Sinn 2018, S. 26; Sinn 2015, S. 251-5, S.
281). Anstatt wie bei gewöhnlichen Refinanzierungsgeschäften Forderungen gegenüber den
deutschen Geschäftsbanken oder private Vermögenstitel zu erhalten, erwerbe die Bundesbank nun
gezwungener Maßen (wertlose) Forderungen gegenüber dem Eurosystem, das wiederum
Forderungen gegenüber der Notenbank in dem entsprechenden „Peripherieland“ erhält (Sinn 2015,
S. 252).
Zu diesem Narrativ seien zwei kritische Anmerkungen gestattet. Zum einen stellt sich die Frage,
ob man internationale Überweisungen in einer Währungsunion tatsächlich so interpretieren sollte,
wie Sinn das tut dass nämlich Zentralbankgeld in dem Land, von dem aus eine internationale
Zahlung erfolgt, vernichtet wird und in dem Land, in dem der Empfänger der Zahlung ansässig ist,
neu geschaffen wird. Diese Beschreibung scheint doch eher für ein System unterschiedlicher
Währungen mit festen Wechselkursen zuzutreffen, als für eine Währungsunion, wo eine
9
Ähnlich argumentieren auch Schlesinger 2011, S. 11, und Fuest/Sinn 2018.
gemeinsame Währung nach einheitlichen Regeln in den Kreislauf gebracht wird. Daran ändert auch
eine gewisse Dezentralität des Notenbanksystems in der Währungsunion nichts, solange diese
Dezentralität dem gemeinsamen Willen aller beteiligten Länder entspricht. In der Eurozone gilt:
Euro = Euro, ganz unabhängig davon, welche Notenbank ihn in den Kreislauf gebracht hat. Unter
diesem Gesichtspunkt scheint es sinnvoller, eine internationale Überweisung als durchlaufenden
Posten bei den beteiligten Notenbanken zu betrachten, denn als sukzessive Vernichtung und
Schaffung neuen Geldes.
10
Zum anderen übersieht dieses Narrativ, dass die EZB weniger eine treibende Kraft ist, die mit allen
Mitteln eine Umverteilung aus den wirtschaftlich stabilen Kernländern der Eurozone in die
krisengeschüttelte Peripherie anstrebt, sondern eher eine Getriebene ist, die auf
Marktunvollkommenheiten reagiert, die sich ihrem Einfluss entziehen. So begann einerseits der
Anstieg der Target-Forderungen der Deutschen Bundesbank nicht damit, dass die
„Peripherieländer“ plötzlich die Notenpresse anwarfen, um mit dem zusätzlich geschaffenen Geld
deutsche Güter und Vermögenstitel zu erwerben, sondern dass deutsche Banken im großen Umfang
Staatsanleihen der Peripherieländer kauften und den Banken dieser Länder Kredite gewährten,
ohne deren Bonität hinreichend Aufmerksamkeit zu widmen.
11
Nutznießer der expansiven
Geldpolitik waren daher in beträchtlichem Maße deutsche Banken als Gläubiger von Banken in
den Peripherieländern. Verursacht wurden die hohen Target-Salden insofern durch eine
unzulängliche Bankenregulierung.
12
Andererseits ist der niedrige Hauptrefinanzierungszinssatz der
EZB nicht Ausdruck einer bewussten Geldpolitik, insbesondere zum Vorteil der
„Peripherieländer“, die sich jederzeit wieder rückgängig machen ließe, sondern hat tieferliegende
Ursachen. Wie Carl Christian von Weizsäcker in einer Reihe von Publikationen gezeigt hat, sind
die niedrigen Realzinsen, die sich übrigens nicht nur in der Eurozone, sondern in der gesamten
OECD sowie in China beobachten lassen, letztlich Folge der „Sparschwemme“ bei einer alternden
Bevölkerung, denen nicht hinreichend viele Investitionsmöglichkeiten gegenüberstehen.
13
So
gesehen könnte man die geldpolitischen Maßnahmen der EZB in gewisser Weise auch als Reaktion
10
So schreiben auch Bindseil/König 2011, S. 24: „… it is completely irrelevant whether the reserve holdings of
banks are due to a credit from its NCB or whether they are due to transfers of reserves from other banks via the
payment system. Gresham’s law does not apply in a monetary union.”
11
Darüber hinaus hatte der Lehman-Konkurs in 2008 auch zahlreiche deutsche Banken in Schwierigkeiten gebracht.
12
Vgl. hierzu insbesondere Hellwig 2018, S. 369 -371, Hellwig/Schnabel 2019b, S. 638-640, sowie auch
Admati/Hellwig 2013.
13
Vgl. etwa von Weizsäcker 2011 und 2013, sowie das gerade erschienene Buch von Weizsäcker/Krämer 2019.
auf die mangelnde Unterstützung durch fiskalpolitische Maßnahmen, das heißt schuldenfinanzierte
öffentliche Investitionen, interpretieren, die durch „Schuldenbremsen“ beeinträchtigt werden.
Hans-Werner Sinn vertritt angesichts der hohen Target-Forderungen der Deutschen Bundesbank
in zahlreichen Publikationen die These, dass damit hohe Risiken für den deutschen Steuerzahler
verbunden seien.
14
Dieses Risiko wird zum einen damit begründet, dass bei Austritt eines Landes
mit hohen Target-Verbindlichkeiten Deutschland anteilig auf seinen Forderungen sitzenbliebe.
Zum anderen bestünde ein Haftungsrisiko auch ohne Austritte aus der Eurozone, wenn eine
nationale Zentralbank mit Target-Verbindlichkeiten zahlungsunfähig wird, weil die eigenen
Geldschöpfungsmöglichkeiten erschöpft sind.
Betrachten wir zunächst den ersten Fall Austritt eines „Peripherielandes“ mit hohen Target-
Verbindlichkeiten. Eine mögliche Reaktion der EZB bestünde darin, die nationalen Zentralbanken
mit Target-Forderungen dazu zu veranlassen, diese entsprechend zu reduzieren. Da diese
Forderungen einen Wert von null haben und da ganz allgemein die hohen Target-Forderungen der
Deutschen Bundesbank keinen Einfluss auf die Höhe ihrer Einkünfte aus der Mitgliedschaft im
EZB-System hat (Hellwig 2018, S. 360-1), lassen sich die Target-Forderungen auch nicht als
Indikator für ein Risiko auffassen, dass der deutsche Steuerzahler bei Austritt dieses
„Peripherielandes“ trägt. Das Risiko für den Steuerzahler, dem ja letztlich der entsprechende Anteil
an den monetären Einkünften des EZB-Systems gutgeschrieben wird bzw. der ggf. auftretende
Verluste anteilig zu tragen hat, ist unabhängig von den Target-Salden und wird vielmehr bestimmt
durch die Differenz zwischen dem Beitrag der Zentralbank des austretenden Landes zu den
monetären Einkünften des Eurosystems und deren Anteil an den Einkünften des Eurosystems.
15
Bestehen nun Risiken für die Steuerzahler der „Kernländer“ aus den hohen Target-Forderungen
ohne den Austritt eines Landes aus der Währungsunion? Sinn (2018) und Fuest/Sinn (2018)
bejahen diese Frage, und stützen sich dabei insbesondere auf die bereits erwähnte „Emergency
Liquidity Assistance“ (ELA), welche die nationalen Zentralbanken „in eigener Verantwortung und
auf eigene Rechnung“ an die Geschäftsbanken vergeben und die zum
Hauptrefinanzierungszinssatz, der allerdings gegenwärtig bei null liegt, gegenüber dem
14
Vgl. etwa Sinn/Wollmershäuser 2012; Sinn 2012; Sinn, 2018; Fuest/Sinn 2018.
15
Vgl. hierzu ausführlich Hellwig/Schnabel 2019a, S. 557-559. Die eigentlichen Risiken eines Austritts aus der
Eurozone sind die komplexen Folgen für die beteiligten Volkswirtschaften. Vgl. hierzu auch De Grauwe 2018, S.
159-63.
Eurosystem zu verzinsen sind.
16
Kann nun eine nationale Zentralbank eines „Peripherielandes“ die
daraus resultierenden Verpflichtungen nicht mehr erfüllen, weil ihre Haftungsmasse beschränkt ist,
dann tragen nach Fuest und Sinn die Zentralbanken der „Kernländer“ entsprechend ihrem
Kapitalanteil ein Risiko. Damit könnten die „Peripherieländer“ die Risiken aus einer übermäßigen
Vergabe von ELA-Krediten an die eigenen Geschäftsbanken auf die Steuerzahler der „Kernländer“
überwälzen. Hellwig/Schnabel (2019a, S. 556-557) kritisieren zu Recht an dieser Argumentation,
dass die Refinanzierungskosten nicht berücksichtigt werden. Tatsächlich führt die Akquisition von
Vermögenswerten durch eine „periphere“ Zentralbank über ELA-Kredite, die mit einer Erhöhung
der Target-Verbindlichkeit dieser Zentralbank einhergeht, nicht zu einer Änderung der monetären
Einkünfte dieser Zentralbank und damit des EZB-Systems und kann somit auch keine Risiken bei
den „Kernländern“ erzeugen. Ganz allgemein sind die Risiken aus geldpolitischen
Refinanzierungsgeschäften im Eurosystem unabhängig davon, welche nationale Notenbank das
jeweilige Geschäft getätigt hat. Diese Risiken werden vielmehr den einzelnen Notenbanken gemäß
ihrem jeweiligen Kapitalanteil an der EZB zugeordnet. Die jeweiligen Target-Salden sind insofern
ein ungeeigneter Indikator für die Risikopositionen der nationalen Notenbanken.
17
6. Schlussbemerkungen
Einige Autoren sehen ein Problem darin, dass die Target-Forderungen der Deutschen Bundesbank
inzwischen etwa die Hälfte des deutschen Nettoauslandsvermögens ausmachen (Sinn 2018, S. 27;
Fuest/Sinn 2018, S. 24).
18
Da die Target-Forderungen lediglich Forderungen auf den gezahlten
Geldbetrag des Käufers sind und der Verpflichtung, den Geldbetrag an den Verkäufer
weiterzureichen, gegenüberstehen, haben sie keinen ökonomischen Wert bzw. einen Wert von
Null. Der Target-Saldo für Deutschland beziffert den netto gerechneten Geldfluss nach
Deutschland; insofern wäre die Target-Forderung Inlandsvermögen. Da aber in gleichem Umfang
16
Zur Dezentralisierung der Geldpolitik im EZB-System vgl. auch Steinkamp 2019.
17
Ulbrich/Lipponer 2011, S. 69. „So könnte eine ausländische Bank den von ihr benötigten Zentralbankkredit auch
über ihre rechtlich selbständige Tochter oder Filiale in Deutschland aufnehmen, die dann diese Mittel via Target2 an
die Mutter weitergibt. Diese Transaktion würde ceteris paribus den Target2-Saldo der Bundesbank senken. Das vom
Eurosystem gemeinschaftlich getragene Risiko bliebe jedoch gegenüber einer direkten Refinanzierung bei der
Zentralbank des Mutterinstituts unverändert“ (Ebenda, S. 70).
18
Zur Kritik an dieser Sichtweise siehe auch Hellwig/Schnabel 2019a, S. 554.
Gütervermögen exportiert worden ist, ist der Netto-Vermögenszuwachs Null. Gütervermögen ist
in Geldvermögen umgetauscht worden.
Der Target-Saldo für Deutschland beträgt über 1 Billion Euro. Er gibt an, dass seit Beginn des
Target-Systems vor vielen Jahren nach Deutschland netto über 1 Billion Euro geflossen sind. Es
gibt keinen Grund, den Target-Saldo auszugleichen; alle jemals erzeugten Forderungen und
Verbindlichkeiten sind erfüllt. Der Target-Saldo wird überhaupt erst durch die geleisteten
Zahlungen definiert und nicht durch noch zu leistende Zahlungen. Müsste er ausgeglichen werden,
müssten alle Länder, die in Deutschland gekauft haben, doppelt bezahlen: neben dem alten, bereits
bezahlten Preis einen neuen, noch einmal den zu bezahlenden Preis.
19
Letztlich sind die hohen Target-Salden zu einem beträchtlichen Teil durch die geldpolitischen
Maßnahmen der EZB entstanden. Wie auch immer man diese Maßnahmen im Einzelnen beurteilt,
eines sollte durch die obigen Ausführungen klar geworden sein: die Höhe der Target-Salden allein
lässt sich nicht als „Falle“ für die Steuerzahler der „Kernländer“ betrachten, sondern stellt eher ein
Scheinproblem dar, aus dem man keine wirtschaftspolitischen Empfehlungen ableiten kann.
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19
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Full-text available
It has recently been argued that intra-eurosystem claims and liabilities in the form of TARGET2 balances would raise fundamental issues within the European monetary union. This article provides a framework for the economic analysis of TARGET2 balances and discusses the key arguments behind this recent debate. The analysis is conducted within a system of financial accounts in which TARGET2 balances can arise either due to current account transactions or cross-border capital flows. It is argued that the recent volatility of TARGET2 balances reflects capital flow movements, while the previously prevailing current account positions did not find a strong reflection in TARGET2 balances. Some recent statements regarding TARGET2 appear to be due to a failure to distinguish between the monetary base (a central bank liability concept) and the liquidity deficit of the banking system vis-à-vis the central bank (a central bank asset concept). Furthermore, the article highlights the importance of TARGET2 for the stability of the euro area and points out that the proposal to limit the size of TARGET2 liabilities essentially contradicts the idea of a monetary union.
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This paper presents the first comprehensive Target database of the Eurozone and interprets it from an economic perspective. We show that the Target accounts measure the intra-Eurozone balances of payments and indirectly also international credit given through the Eurosystem in terms of reallocating the ECB's net refinancing credit. We argue that the Euro crisis is a balance-of-payments crisis similar to the Bretton Woods crisis, and document to what extent the Target credit financed the current account deficits and outright capital flight in Greece, Ireland, Portugal, Spain and Italy. To prevent the ECB from undermining the allocative role of the capital market, we propose adopting the US system of credit redemption between the District Feds.
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Hans-Werner Sinn zeigt, dass die Eurokrise lösbar ist - durch radikale Schritte und einer Abkehr von der EZB-Geldpolitik Von Anfang an sollte der Euro mehr sein als eine Währung: Er verkörpert den Wunsch nach Einheit und Frieden in Europa. Doch gut ein Jahrzehnt nach seiner Einführung geht ein tiefer Riss durch Europa. Im Süden bleibt die Arbeitslosigkeit unerträglich, die Wirtschaft liegt am Boden. Der Norden sieht sich in die Rolle des Zahlmeisters gedrängt und wird von der EZB in Geiselhaft genommen. So wächst auf beiden Seiten die Unzufriedenheit. Wir haben einen politischen Weg eingeschlagen, der unsere Marktwirtschaft, die Demokratie und den Frieden in Europa gefährdet. Hans-Werner Sinn liefert in diesem Buch eine Analyse der jüngsten Entwicklungen und zeigt, was zu tun ist, um die Krise zu beenden.
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Am 5. Juni 2019 veranstaltete der Finanzausschuss des Deutschen Bundestags eine öffentliche Anhörung zu zwei Anträgen der Fraktionen der FDP und der AfD zum Thema „Target“. Der AfD-Antrag betont die mit den Target-Forderungen der Bundesbank verbundenen Risiken und fordert, „Target-Kredite“ nur bei angemessener Besicherung zu gewähren. Der FDP-Antrag warnt vor den mit einem Austritt aus der Europäischen Währungsunion (EWU) verbundenen Risiken und macht Reformvorschläge für die EWU. Die Stellungnahme der Autoren gegenüber dem Finanzausschuss erklärt die den Anträgen zugrundeliegende Interpretation der rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Bedeutung der Target-Salden für falsch und warnt, die Vorschläge selbst könnten zusätzliche Risiken schaffen.
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Zusammenfassung Entgegen der landläufigen Meinung betreibt die Europäische Währungsunion keine vollständig zentralisierte Geldpolitik, sondern ist föderalistisch strukturiert. Der Autor stellt die dezentralen Elemente europäischer Geldpolitik in einer institutionellen Analyse vor und erläutert Chancen und Risiken. Insbesondere bei der Beurteilung der Bankensolidität, der Schaffung notenbankfähiger Sicherheiten, der Notfall-Liquiditätshilfe sowie den Portfolioentscheidungen der nationalen Zentralbanken gibt es diskretionäre Entscheidungsspielräume. Diese helfen, asymmetrische Schocks zu dämpfen und Ansteckungseffekte einzudämmen. Sie sind seit der Eurokrise aber auch in die Kritik geraten, Anreizprobleme und Interessenkonflikte zu verursachen. Bei den Anleihekäufen finden sich Hinweise auf moralische Risiken: Nationale Zentralbanken handeln riskanter, wenn sie das Risiko ihrer Käufe innerhalb der Währungsunion teilen. Mittelfristig ließe sich dies ändern, die aktuellen Abstimmungsverfahren des Eurosystems erschweren Reformen jedoch.
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