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Literacy im Kindergarten nach Paulo Freire
Daniela Schlienger, SHP, Stefan Meyer, Dozent HfH
Wie entwickelt sich die Literacy, wenn die Welterfahrung, die Interessen und die Fantasie in die
Bildungsprozesse integriert werden? Die Kinder hatten in einem Projekt einen Zoo aufgebaut. Die
Fallstudie experimentierte erstmals mit der dialogischen Alphabetisierungsmethode nach Freire und
mit dem Rollenspiel nach Wygotski.
Abstract
How the literacy of thirteen 4 to 6-year-old kindergarten children develops in a self-designed learning
environment about the zoo? Accompanied by the teacher and the leading figure ‘Globi’, the
kindergarten children of this case study set up their own zoo for ten weeks and developed the theme-
specific roles. This resulted in animal enclosures, an office, the restaurant and the animal care room.
‘The magic machine’ provided the ‘discovery cards’ with which the children made syllable
combinations and new words of their generative words. While playing, the children tested the written
language with all its characteristics. They also had important conversations about language. This
action research project mixed elements of the role-play and process support according to Vygotsky
combined with elements of Paulo Freire's alphabetisation method. Tests, observations and flexible
interviews proved that the children have great individual and social resources with which they make
decisive progress in literacy (intentional reading and writing, conversation about language,
metacognition, morphology). It also became clear that process support in the mode of role-play can
provide significant impulses for literacy in the project theme and the free play. The views on literacy
and the competences of the teachers have also been dynamized.
In the follow-up survey eight months later, the 1st class teacher mentioned the following
observations: The project-children showed conspicuous interest in books and were very motivated to
learn to read. They could hardly wait to finally go to the library and borrow books. She noticed that
the project-children could write much faster than the children of another kindergarten and had no
trouble with the letter forms.
Keywords
Problem-posing education, project method, linguistic and generative elements of alphabetization,
imaginative teaching, free play, critical method
Résumé
Comment l'alphabétisation (literacy) de treize enfants de 4 à 6 ans de la maternelle se développe
dans un environnement d'apprentissage autogéré au sujet du zoo ? Accompagnés par l'enseignant et
le pantin " Globi ", les enfants de maternelle de cette étude de cas ont créé leur propre zoo pendant
dix semaines et ont développé les rôles spécifiques au thème. Ils ont construit des enclos pour les
animaux, un bureau, le restaurant et la salle de soins aux animaux (le vétérinaire).
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« La machine magique » a fourni les ‘cartes de découverte’ avec lesquelles les enfants ont fait des
combinaisons de syllabes et de nouveaux mots de leurs mots générateurs. Durant leurs jeux, les
enfants ont expérimenté la langue écrite avec toutes ses caractéristiques. Ils ont également eu des
conversations importantes sur la langue. Ce projet de recherche-action a mélangé des éléments du
jeu de rôle et du soutien de processus selon Vygotsky avec des éléments de la méthode
d'alphabétisation de Paulo Freire.
Des tests, des observations et des exploration critiques ont prouvé que les enfants disposent de
grandes ressources individuelles et sociales avec lesquelles ils font des progrès décisifs en matière
d'alphabétisation (lecture et écriture intentionnelles, conversation sur le langage, métacognition,
morphologie). On pouvait également prouver que le soutien du processus dans les modalités du jeu
de rôle peut donner des encouragements importants pour l'alphabétisation dans le thème du projet
et le jeu libre. Les points de vue sur l'alphabétisation et les compétences des enseignants ont
également été dynamisés.
Lors de l'enquête de suivi huit mois plus tard, l'enseignant de la 1ère classe a fait les observations
suivantes : Les enfants du projet ont montré un intérêt manifeste pour les livres et étaient très
motivés pour apprendre à lire. Ils avaient hâte d'aller enfin à la bibliothèque et d'emprunter des
livres. Elle a remarqué que les enfants du projet pouvaient écrire beaucoup plus vite que les enfants
d'un autre jardin d'enfants et n'avaient aucun problème avec les formes des lettres.
Erschienen in HfH-News März 2019
Die Lernumgebung Zoo konkret
Dreizehn vier- bis sechsjährige Kinder hatten zwischen den Frühlings- und Sommerferien 2018 während
10 Wochen in einer selbst aufgebauten Lernumgebung frei gespielt. Die Räume hatten sich in einen
Zoo verwandelt.
Abbildung 1: Die Tiergehege
Die Handpuppe Globi besuchte die Gruppe jeden
Morgen im Kreis. Globi überbrachte Bücher, Fotos,
Materialien und Fachwissen. Er war auch Begleiter
und Informant. Im Kreis kamen die Erfahrungen, die
verschiedenen Berufsrollen, Aufgaben und Regeln
zur Sprache. Diese wurden in Fantasie- und
Rollenspiele
umgesetzt und vertieft. Dabei
experimentierte die Lehrperson mit Methoden der
kreativen Prozessbegleitung nach
Wygotski (vgl.
Bodrova, 2008).
Gleichzeitig erforschte sie die Ressourcen und Interessen der Schülerinnen und Schüler (SuS) in
Anlehnung an die Alphabetisierungsmethode von Paulo Freire (1977).
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Abbildung 2: Arbeiten im Zoo-Sekretariat
Abbildung 3: Liste der mitgebrachten Plüschtiere
Die Personen im Kindergarten waren während der geführten Projektzeit Mitarbeiter des Zoos und
Besucher oder sie spielten Tiere. Immer wieder informierten sich die Kinder mit Hilfe von
Bilderbüchern, sie verschriftlichten ihre Ideen, tauschten sie aus und integrierten die Ideen wieder im
Spiel. Der Zoo bot diverse Möglichkeiten, um der Schriftsprache zu begegnen, um mit ihr zu
experimentieren und Entdeckungen zu machen. Die Schulische Heilpädagogin (SHP) und die
Lehrperson spielten mit und integrierten Fördereinheiten auf natürliche Weise.
Abbildung 4: Bücher im Tierpflegezimmer
Abbildung 5: Ein ausgefülltes Arztrezept
Die Steuerung des Projektes und des Zoos erfolgte in Sitzungen. Diese fanden am Ende des Morgens
im Schlusskreis statt. Zu Beginn erhielt jedes Kind Bedenkzeit für die Vorbereitung des
Erfahrungsberichtes. Anschliessend tauschten die Kinder Erlebnisse und Entdeckungen aus. Dieser
Austausch inspirierte die Kinder für neue Spielideen. Es wurden auch Probleme besprochen, welche
beim Spielen aufgetaucht waren.
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Abbildung 6: Die Kellnerin nimmt die Bestellung auf
Es entstanden beispielsweise Arbeitspläne, für die Fütterung oder die Einteilung der Tierspaziergänge.
Der Zoo wurde mit neuen Ideen laufend verbessert. Die Kinder planten neue Zoobereiche und bauten
diese auf. So wurden Tiergehege, der Eingang mit der Kasse, das Tierpflegezimmer und ein Büro mit
Schreibmaschinen, Computern und Handys eingerichtet. Nachdem die Gruppe beschlossen hatte, ein
Restaurant für die Besucher einzurichten, wurde der Znünikreis in einen Restaurantbesuch
umgewandelt. Einmal musste der Zaun des Tigergeheges erhöht werden, damit die Tiger nicht mehr
entwischen konnten. Die Leitung der Sitzung lag bei der SHP und Lehrperson gemeinsam mit Globi. Sie
gaben die ritualisierte Struktur vor und regten die Kinder mit metakognitiven Fragen zum genauen
Beschreiben und Denken an. Während der Projektzeit besuchte die Klasse den Zoo Basel.
Bedeutsame Literacy
Gemäss Näger (2013, S. 11) meint der Ausdruck „Literacy“ „im engeren Sinne die Kompetenz, lesen und
schreiben zu können. Im weiteren Sinne gebraucht, bezieht er alle Erfahrungen und Grundfertigkeiten
rund um Erzähl-, Sprach- und Schriftkultur mit ein.“
Die empathische Kommunikation und das „Lesen der konkreten Welt“ wie die Erfahrungen mit dem
Zoo, die Erfahrungen mit der Lernumgebung aber auch die Imagination waren der Motor des Projektes
(vgl. Freire 1977, 1998). Das gemeinsam ausgesuchte Thema Zoo inspirierte die Kinder und auch die
Lehrperson. Die Lernumgebung (die Gegenstände, die Bücher, die Zeitschriften, die Rollen und die
Aufgaben) gehörte allen. Das sind Grundpfeiler der Alphabetisierungsmethode nach Paulo Freire.
Dieser hatte Ende der fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts eine Methode entwickelt, mit welcher
die Personen innert sechs Wochen lesen und schreiben gelernt hatten. Bianco (2010) hatte in einer
Sonderschule für Kinder mit Lernbeeinträchtigungen mit dieser Methode experimentiert und
überdurchschnittlich positive Wirkungen dokumentieren können. – Die Methode untersucht die
Ressourcen der Lernenden im Voraus. Sie fokussiert auf Themen und Wörter, welche aus persönlicher,
linguistischer und psychosozialer Sicht wesentlich sind für das Interesse an der Schriftsprache und die
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Einsicht in die Schriftsprache. Freire (1977, 1998) stellt den Spendencharakter der Leselehrmethoden
in Frage. Seine Methode fordert zum selbstbestimmten Problemlösen heraus, weil dieses die Einsicht
in die Sprache, in die Techniken und in die Strategien 1:1 fördert.
Die Kinder wollten im Zoo Schriftsprache anwenden: Wegweiser, Tiernamen, Beschriftungen, Briefe,
Speise- und Getränkekarten, Bücher und Zeitschriften forderten sie heraus. In Anlehnung an Freire’s
Methode mussten die Themen und die Wörter (z.B. die Namen des Lieblingstieres) zuerst kodiert
werden. Das bedeutet, dass die Kinder Zeichnungen, Bilder und Gedanken in kleinen Gruppen oder im
Kreis besprechen konnten. Das weckte das Interesse am Lesen, am Schreiben und am Verstehen von
Texten im weitesten Sinn (vgl. Näger, 2013).
Die Kinder wollten nicht, dass ihre Interessen „wie in der Schule“ sprachdidaktisch paradox verwertet
werden. Der erste Versuch der SHP ging in die Brüche, weil sie eine Übung mit Lieblingswörtern und
Silben losgelöst von der Spiel- und Fantasiewelt, nur fokussiert auf ein linguistisches Thema,
durchgesetzt hatte.
Abbildung7: Die Namenzaubermaschine stellt aus Entdeckungskarten Wörter her
Das Interesse an Wörtern und Silben blühte erst wieder auf, als die SHP das Fantasie- und Rollenspiel
in die Prozessbegleitung integriert hatte (vgl. Bodrova, 2008; siehe Abb. 7). Die willkürlich festgelegte
Übung wurde durch eine Zaubermaschine ersetzt, welche von Globi bedient wurde. Jetzt passte die
Alphabetisierungsmethode wieder zur Imagination der Klassengruppe, und sie bereicherte das
Zooprojekt von neuem. Die Kinder konnten die bedeutsamen Wörter auf eine Karte schreiben und in
die Maschine stecken. Die SHP untersuchte die linguistische Qualität der generativen Wörter noch
einmal. Die Wörter sollten möglichst klangreich sein, wie z.B. die Namen der Protagonisten im
Dschungelbuch (Mogli, Balu, Baghira, Winifred, Akela, Rama, usf.). Es wurde besprochen, dass ein
junger Wolf nicht einfach „Kind“, sondern Ramina heissen könnte.
Tabelle 1
Entdeckungskarten zu „Ramina“
RA MA NA
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RE ME NE
RI MI NI
RO MO NO
RU MU NU
Tabelle 1 zeigt die Zauberkarten, wie sie die Kinder nannten. Das sind die Entdeckungskarten, auf denen
die mit Vokalen kombinierten Silben bedeutsamer und klangreicher Wörter, sprich, der generativen
Wörter, vorkommen. Die Kinder stellten neue Wörter her: NANA, RIRI, NORI, MOMO, NONO, NONNO,
MINA, NINA, usf.
Beim anfänglichen Lesen brauchten die meisten Hilfe der SHP oder kompetenter Kameraden. Nach
einer gewissen Zeit begannen zuvor nichtlesende Kinder, die Karten selbständig zu dekodieren. Die
Bestätigung, ob sie richtig gelesen hatten, holten sie bei der SHP oder bei Kameraden. Beim Spielen
erprobten die Kinder die Schriftsprache mit all ihren Eigenschaften. Sie hörten auch im Freispiel
aufmerksam mit und riefen wie aus heiterem Himmel: „Nina, so heisst meine Grossmutter.“ Es
entstanden spontane und im Kreis moderierte Gespräche über die Sprache.
Evaluation und Nachbefragung
Beobachtungen, Tests und flexible Interviews wiesen nach, dass die Kindergartenkinder grosse
individuelle und soziale Ressourcen besitzen, mit deren Hilfe sie in der Literacy entscheidend
vorankamen.
Weiter zeigte sich, dass die gezielte und fantasiereiche Prozessbegleitung im Freispiel bedeutsame
Impulse für die Entwicklung der Literacy vermitteln kann. Alle Kinder konnten ihre Fähigkeiten
weiterentwickeln. Ein Kind fand vor dem Projekt keinen Zugang für die metasprachliche Ebene. Die
Zaubermaschine weckte jedoch seine Neugierde. Es beschäftigte sich während einer Woche täglich
damit und suchte reimende Wörter als Namen für seine Zootiere.
Bei einem anderen Kind hatte die Kindergärtnerin ein halbes Jahr lang erfolglos versucht, dass es den
eigenen Namen schreiben lernt. Durch das Spielen im Zoo wurde das Interesse des Mädchens für
Buchstaben geweckt. Zuerst verglich es vor allem die unterschiedlichen Formen, später schrieb es
Buchstaben ab, bis es schlussendlich nicht nur seinen Namen, sondern auch noch weitere Wörter
verschriften konnte. Die Zoolernumgebung bot aber auch Kindern Entwicklungsmöglichkeiten, welche
schon etwas lesen und schreiben konnten. Ein Mädchen, welches bereits einzelne Wörter lautgetreu
schreiben konnte, wurde im Büro durch die Prozessbegleitung angeregt, Briefe zu schreiben. Es
beobachtete genau, wie die SHP einen Brief schrieb und imitierte das Vorgehen. Mit etwas
Unterstützung gelang es dem Kind in der Folge, selbständig eigene, kurze Sätze zu verschriften. Stolz
verfasste es für mehrere Familienmitglieder liebevolle Briefe.
Bei der Nachbefragung acht Monate nach Abschluss des Projektes erwähnte die 1.-Klasslehrerin: Die
Kinder, welche am Zooprojekt teilgenommen hatten, zeigten ein auffällig grosses Interesse an Büchern
und waren sehr motiviert, lesen zu lernen. Sie konnten es kaum erwarten, endlich in die Bibliothek zu
gehen und Bücher auszuleihen. Die Lehrperson arbeitet mit dem Lehrmittel „Leseschlau“. Ihr fiel auf,
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dass die Projektkinder gegenüber den Kindern eines anderen Kindergartens viel schneller schreiben
konnten und keine Mühe mit den Buchstabenformen hatten.
Eine Mutter schilderte ein Jahr nach dem Projektabschluss, wie ihre damals 5-jährige Tochter in der
Freizeit des zweiten Kindergartenjahres selbständig an der Schriftsprache weitergearbeitet hatte. Das
Mädchen habe Merkzettel geschrieben sowie alles und jedes gelesen, was sie interessierte, bis hin zu
Büchern.
Die Projektmethode als Lernfeld für die Lehrperson und den Zyklus 1
Was muss getan werden, damit die Bildung der Wahrnehmung von Schrift, der Einsicht in den Aufbau
von Schrift, der Kenntnis von Begriffen, der Kenntnis von Konventionen/ Konzepten sowie die
Erweiterung sprachlicher Fähigkeiten (vgl. Füssenich & Geisel, 2008, S.31f) von den Interessen, den
Ressourcen und Kulturen der Kinder ausgeht?
Aus der Sicht der kritischen Pädagogik (vgl. Freire, 1977, 1998; Wink, 2011) werden die der Literacy
entsprechenden Lernprozesse auch im Kindergarten vorgeschrieben und gespendet.
Förderprogramme werden meistens ohne Situationsanalyse und ohne didaktische Analysen
durchgeführt. Das sind Charakteristika der Transmissionspädagogik. Die befreiende Pädagogik
integriert die Autonomie und die Kreativität, wie sie im Freispiel zum Ausdruck kommen können.
Das Projektthema, Zoo, ist für alle ein „Tun als ob“ oder ein Spiel (vgl. Bodrova & Leong, 2015):
Im Spiel ist ein Kind immer über seinem Durchschnittsalter, über seinem alltäglichen Verhalten; im Spiel
ist es, als wäre es einen Kopf größer als es selbst. Das Spiel enthält alle Entwicklungstendenzen in
verdichteter Form, wie im Brennpunkt einer Lupe; im Spiel ist es, als ob das Kind versucht, über das Niveau
seines normalen Verhaltens zu springen. (vgl. Vygotsky, 1967, zit. nach Bodrova & Leong, 2015, S.371;
Übers. S. Meyer).
Die Kombination der Projektmethode mit der Alphabetisierungsmethode nach Freire (1977, 1998) mit
dem Freispiel und der Prozessbegleitung in Anlehnung an Wygotski (vgl. Bodrova & Leong, 2015)
ermöglichte, dass die Transmissionspädagogik überwunden werden konnte. Das generative Thema,
Zoo, war Erkenntnisquelle und gruppenpolitischer Motor für die im Dialog und im Freispiel erzeugte
Literacy.
Die SHP machte Erfahrungen mit der transformativen Pädagogik, in welcher die Autonomie, die
Sozialisation und die Kompetenzen (vgl. Cuomo, 2007; Freire, 1977, 1998; Wink, 2011) authentisch
realisiert werden können. Stolpersteine wie oben beschrieben sind der Preis und Katalysatoren für
Entwicklungsprozesse.
Die Alphabetisierungsmethode nach Freire (1977, 1998) erzeugte neuartige pädagogische
Produktionsverhältnisse, neue Rollen und Produktionsweisen. Systemisch und mit Blick auf Wygotski
wuchsen auch die Lehrpersonen um einen Kopf über die gewohnten Rituale und Normen hinaus.
Eine kritische Frage lautet, ob zusätzliche Methoden den Leselernprozess beschleunigen könnten.
Wahrscheinlich hätte die Methode der kognitiven Akzeleration (vgl. Adey, 2008) den Übergang von den
Wortschemata der generativen Wörter zur gewandten Graphem-Phonem-Zuordnung bzw. zur
Phonem-Graphem-Zuordnung der neuen, mit Silben kombinierten Wörtern unterstützt. Als Schulung
des Denkens ist diese Methode primär auf das Verstehen ausgerichtet. Vielleicht hätten auch
intensivere Kodierungen in Kreisgesprächen den Lese- und Schreibprozess beschleunigt. Die
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Untersuchung dieser Fragen sollte bedenken, dass willkürliche, dekontextualisierte Methoden paradox
sind und die Lerninteressen verfehlen.
Aktionsforschung und Fallstudie
Das Vorgehen in diesem Entwicklungsprojekt wird der Aktionsforschung zugeordnet (vgl. Altrichter,
Posch & Spann, 2018). Die Lehrpersonen entwickeln und erforschen ihren Unterricht. Begleitung, Ko-
Konstruktion und Supervision durch Mentor*innen der HfH sind notwendige Bausteine (vgl. Adey,
2008). – Die Kombination der Methoden und der pädagogischen Prinzipien hatte nachhaltige
Wirkungen generiert, welche transmissionspädagogische Methoden i.d.R. nicht erzeugen (vgl. Bianco,
2010).
Diese Fallstudie liefert Grundlagen für die Lehre und für weitere sprachdidaktische und
integrationspädagogische Forschungen im Zyklus 1. Der Schlussbericht kann bei der Autorin bestellt
werden. Am 27. August 2019 werden die Autoren am SZH-Kongress in Bern Einblick in die Fallstudie
geben. Der Vortrag lautet: „Das habe ich selber aus meinem Kopf so geschrieben" - Einstieg in die
Schriftsprache mit Phantasie.“
Literatur
Adey, P. (2008). Let’s Think! Handbook. A Guide to Cognitive Acceleration in the Primary School. London:
GL assessment.
Altrichter, H., Posch, P. & Spann, H. (2018). Lehrerinnen und Lehrer erforschen ihren Unterricht:
Unterrichtsentwicklung und Unterrichtsevaluation durch Aktionsforschung (5., grundlegend
überarbeitete Aufl.). Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt.
Bianco, J. (2010). Alphabetisierung von Kindern mit einer kognitiven Behinderung nach Paolo Freire.
unveröff. Unterrichtsprojekt. Zürich: Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik.
Bodrova, E. (2008). Make-believe play versus academic skills: a Vygotskian approach to today’s
dilemma of early childhood education. European Early Childhood Education Research Journal,
16 (3), 357–369.
Bodrova, E., Leong, D.J. (2015). Vygotskian and Post-Vygotskian Views on Children’s Play. American
Journal of Play, 7(3), 371-388.
Cuomo, N. (2007). Verso una scuola dell’emozione di conoscere. Il futuro insegnante, insegnante del
futuro. Pisa: Edizioni ETS.
Freire, P. (1977). erziehung als praxis der freiheit. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag.
Freire, P. (1998). Pädagogik der Unterdrückten. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt.
Lendenmann, J., Glättli, S. (2018). Globi und die Tiere im Zoo. Zürich: Orell Füssli.
Näger, S. (2013). Literacy. Kinder entdecken Buch-, Erzähl- und Schriftkultur. Freiburg im Breisgau:
Herder.
Schlienger, D. (2018). Förderung der Literacy im Kindergarten mit Hilfe des Rollenspiels und der
Alphabetisierungsmethode nach Paulo Freire. Unveröff. Praxisprojekt, Interkantonale
Hochschule für Heilpädagogik, Zürich.
Wink, J. (2011). Critical pedagogy : notes from the real world (4th ed.). New Jersey: Pearson Education.
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Quelle
Schlienger, D. & Meyer, S. (2019). Literacy im Kindergarten nach Paulo Freire. HfHnews Nr. 17.
Internet. Zugriff am 28.3.2019. Verfügbar unter:
https://www.hfh.ch/index.php?id=4602&utm_medium=email&utm_campaign=HfHnews%20Mrz%202019&utm_content=HfHnews%20Mrz
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