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DER VIDEOCAMPUS SACHSEN –
STRATEGISCHE POTENTIALE UND JURISTISCHE
RAHMENBEDINGUNGEN
JProf. Dr. Anne Lauber-Rönsberg
Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs-
und Medienrecht/TU Dresden
anne.lauber@tu-dresden.de
Aline Bergert
Medienzentrum/
TU Bergakademie Freiberg
aline.bergert@mz.tu-freiberg.de
Anneliese Hartlaub
Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Medienrecht/ TU Dresden
anneliese.hartlaub@tu-dresden.de
Zusammenfassung
Der Videocampus Sachsen (VCS) ist eines von fünf strategischen Handlungsfeldern der Landesini-
tiative Bildungsportal Sachsen (vgl. AKeL 2015, S. 2). Es handelt sich um ein ebenen- und fachbe-
reichsübergreifendes Verbundprojekt von acht sächsischen Hochschulen zum Aufbau/Betrieb einer
gemeinsamen Videoplattform. Gefördert durch das SMWK entsteht aktuell eine Machbarkeitsstu-
die, die u.a. aktuelle Nutzungsbedarfe, technische Möglichkeiten, Geschäftsmodelle wie auch
didaktische Potentiale in den Blick nimmt. Im folgenden Beitrag werden Idee, Notwendigkeit und
Nutzenerwartung des VCS ausgeführt. Ein Schwerpunkt liegt auf der Integration medienrechtlicher
Überlegungen. Es werden einerseits exemplarisch die Ergebnisse der juristischen Expertise
vorgestellt, andererseits anhand konkreter Einsatzszenarien sogenannte rechtliche Fallstricke
identifiziert und diskutiert.
1 Idee und Vorgehen
MOOCs, Livestreaming, Webkonferenzen, Lehr- und Imagefilme, Crossmedia
Publikationen Social Media... – videobasierte Inhalte sind elementarer Bestand-
teil von Lehre, Forschung und Öffentlichkeitsarbeit einer Hochschule im Zeitalter
der Digitalisierung. Entsprechend wächst die Nachfrage bzgl. Produktion und
Bereitstellung von Videos kontinuierlich.
Durch fehlende konzeptionelle wie technische Weiterentwicklungen liegt der
sächsische Hochschulraum in diesem Bereich seit einigen Jahren erheblich
zurück. Die Folgen: strategische und didaktische Potentiale werden nicht ausge-
schöpft. Hochschulangehörige weichen auf Insellösungen aus. Durch redundante
Strukturen entstehen einerseits unnötige Kosten, andererseits bergen freie
Technologien und Plattformen wie YouTube, iTunesU etc. rechtliche Risiken, die
für die Nutzerinnen und Nutzer häufig nur schwer zu überblicken sind.
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Vor diesem Hintergrund hat sich 2014 disziplinen-, ebenen- und hochschul-
übergreifend ein Konsortium aus Mitgliedern von insgesamt acht sächsischen
Hochschulen1 zusammengefunden. Vision ist die Schaffung eines gemeinsamen
sächsischen Videoportals, das nicht nur technisch innovativ und wissenschaftlich
referentiell, sondern zudem datenschutz- und urheberrechtlich einwandfrei ist.
Zur Umsetzung dieses Vorhabens läuft aktuell eine interdisziplinäre, kumulative
Machbarkeitsuntersuchung. Hierbei werden bedarfsorientiert die Aspekte Tech-
nik, Organisation/Wirtschaftlichkeit, Recht, strategische Ausrichtung sowie didak-
tisch-konzeptionelle Potentiale für den sächsischen Hochschulraum untersucht.
Dies geschieht im Rahmen von insgesamt neun Teilprojekten (vgl. Bergert,
Lehmann, Schellbach 2016, o. S.).
2 Notwendigkeit und Nutzen
Aktuelle Bedarfe decken: Zur geschützten Bereitstellung von videobasierten
Lehr-Lerninhalten nutzen die sächsischen Hochschulen die Plattform Magma.
Seit 2014 steigt die Nachfrage nach Vorlesungsmitschnitten, Tutorials, Lehrfilmen
etc. sprunghaft an (vom Sommersemester 2013 zum Sommersemester 2014
Steigerung um 209%). Beobachtbar ist der Trend der Rückkehr zu qualitativ
hochwertigem Content2, der einheitlich verschlagwortet und multipel wieder- und
weiterverwendet werden kann (bspw. Einbindung in wissenschaftliche Publikatio-
nen, interaktive Skripte, Verlinkung in Bibliothekskataloge etc.). Technisch genügt
Magma den aktuellen Anforderungen bzgl. Kapazität und Weiterentwicklungsbe-
darfen (Usability, Mobilfähigkeit, Barrierefreiheit, Livestreamingfunktion, Nut-
zungsstatistiken, Datenhandling etc.) nur noch teilweise. Eine Weiter- und/oder
Neuentwicklung wäre im Moment zu zeit- und kostenaufwändig. Idee des Kon-
sortiums ist es daher, an der gemeinsamen Infrastruktur festzuhalten und auf ein
1 Folgende Hochschulen sind in den Teilprojekten aktiv: TU Bergakademie Freiberg (TUBAF), TU Dresden (TU DD), HTW Dresden
(HTW DD), Universität Leipzig (Uni Lpz), TU Chemnitz (TU C), Hochschule Mittweida (HS MW), Westsächsische Hochschule Zwickau
(WHZ), Hochschule für Musik und Theater Leipzig (HSfMT).
2 Daneben ist der Trend der Ad-hoc-Erklärvideos und -Screencast ungebrochen und findet u.a. in Formaten wie Flipped Classroom
Anwendung. Eine Wieder- und Weiterverwendung, wie bspw. über die Situation/die angesprochene Zielgruppe hinaus (wie bei den
„initialen“ Khan Tutorials) ist eher die Ausnahme.
Abb. 1: Teilprojekte und Partnerhochschulen des VCS
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am Markt etabliertes Produkt zurückzugreifen3. Fakt ist: Ohne eine Alternative
können aktuelle Standards nicht gehalten und existierende Angebote nicht wei-
tergeführt werden.
Strategische Potentiale erschließen: Durch eine innovative technische Basis
eröffnen sich für den sächsischen Hochschulraum auch neue strategische Per-
spektiven. Die Beispiele großer amerikanischer Universitäten zeigen, wie durch
die gezielte Dissemination bspw. von E-Lectures, nicht nur weltweites Wissen-
schaftsmarketing und Studierendenwerbung betrieben, sondern auch neue
Geschäftsmodelle erschlossen werden. Gerade im Bereich berufsbegleitender
und/oder internationaler Weiterbildungsstudiengänge können sich die sächsi-
schen Hochschulen deutlicher platzieren. Überdies zielt der VCS nicht nur auf
hochschulübergreifende, sondern auch -interne Synergien. Die Vision ist eine
Plattform, die nicht nur im Bereich der Lehre (Kernfunktionalität), sondern auch
für Zwecke der Forschung und Öffentlichkeitsarbeit genutzt werden kann. Zentra-
le Aspekte sind hier die Sicherung wissenschaftlicher Referentialität, ein einheitli-
ches Datenmanagement und die bereichsübergreifende Wieder- und Weiterver-
wendung von modularem Content.
Didaktische Innovationen ermöglichen: Es gilt für die sächsischen Hoch-
schulen nicht nur den aktuellen Trends, wie bspw. Open Educational Resources,
MOOCs, übergreifenden Repositories, audiovisuellen Forschungspublikationen
etc. nachzugehen, sondern selbst Innovationen zu setzen. Wie dies systematisch
umgesetzt werden kann, wird im Teilprojekt Potentialanalyse untersucht. Die hier
zu evaluierenden Innovationsprojekte zeigen, dass insbesondere der bereichs-
übergreifende Methodentransfer/-mix zum Erfolg führt, bspw. ViAssess (Kombi-
nation Video- und Assessementelemente), Flipped Consulting (Übertragung von
Flipped Classroom auf Karriereberatung), ImageSOOC (Übertragung MOOC-
Konzept auf Studierendenmarketing), Multi-Angle-Classroom (fallbasierte Video-
analyse in der Lehrerbildung) etc.
Rechtliche Herausforderungen angehen: Weltweit genutzte Plattformen wie
YouTube, iTunesU etc. bergen nicht unerhebliche Risiken insbesondere in da-
tenschutz- und urheberrechtlicher Form. Im Rahmen des VCS wird diese Thema-
tik umfassend aufgearbeitet.
3 Rechtliche Argumente
Auf eine eigene Plattform statt auf YouTube etc. zu setzen, mag zunächst der
aufwändigere Weg sein. Juristisch gibt es hierfür allerdings gute Gründe:
a) Vorgaben Datenschutz Hochschulen: Für den Nutzer unentgeltliche An-
bieter finanzieren ihr Geschäftsmodell in der Regel dadurch, dass sie Informatio-
nen über Nutzer sammeln, bspw. IP-Adressen, Nutzungsdaten oder gerätebezo-
gene Informationen, die potentiell zu Persönlichkeitsprofilen zusammengeführt
werden oder sogar zu einer Identifizierbarkeit des konkreten Nutzers führen
können. Soweit hierbei sog. personenbezogene Daten erhoben werden, sind
datenschutzrechtliche Vorgaben zu beachten. Die Verarbeitung personenbezo-
3 Diesbezüglich arbeitet die Hochschule Mittweida gerade an einem Systemleistungsvergleich und die HTW Dresden an einer
Wirtschaftlichkeitsuntersuchung.
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gener Daten im Rahmen von E-Learning-Angeboten greift in das Recht auf
informationelle Selbstbestimmung des Betroffenen ein. Sie ist nach den deut-
schen Datenschutzgesetzen nur dann zulässig, wenn eine Rechtsvorschrift die
Datenverarbeitung erlaubt oder wenn der Betroffene rechtswirksam eingewilligt
hat (vgl. § 4 Abs. 1 SächsDSG). Eine wirksame Einwilligung setzt jedoch Freiwil-
ligkeit voraus und kommt daher bspw. bei im Studienplan vorgegebenen Pflicht-
veranstaltungen nicht in Betracht (Bischoff, E-Learning und Datenschutz an
Hochschulen, 2013, S. 57), so dass in der Regel eine entsprechende Rechtsvor-
schrift erforderlich ist. Diese ergibt sich für die Hochschullehre in Sachsen aus
dem Hochschulfreiheitsgesetz, das in § 14 grundsätzlich die Verarbeitung perso-
nenbezogener Daten durch die Hochschulen für Studien- und Prüfungszwecke
erlaubt. Hierbei dürfen die Hochschulen unter den strengen Voraussetzungen
des § 7 SächsDSG grundsätzlich auch Dienstleister einbeziehen, bleiben jedoch
für die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Vorschriften verantwortlich. Diese
gesetzlichen Regelungen stehen einer generellen Auslagerung der E-Learning-
Aktivitäten durch eine Hochschule auf einen Videoplattform-Anbieter entgegen,
der zu eigenen kommerziellen Zwecken Daten der Studierenden erhebt und
verarbeitet.
Dies bedeutet nicht, dass jegliche Nutzung von Anbietern wie YouTube unzu-
lässig wäre. Es ist möglich, darüber Angebote außerhalb regulärer Lehrveranstal-
tungen, bspw. Videos wissenschaftlicher Vorträge, öffentlich zugänglich zu
machen, solange es den Studierenden freigestellt ist, ob sie die Inhalte nutzen.
Insofern hängt die Zulässigkeit der Nutzung vom jeweiligen Kontext ab: Für
optionale Zusatzangebote ist die Nutzung entsprechender Videoplattformen
rechtlich unbedenklich. Höchst problematisch wäre es dagegen, prüfungsrelevan-
te Inhalte ausschließlich über solche Anbieter zur Verfügung zu stellen.
b) Vorgaben Datenschutz Deutschland/Europa: Bei der Nutzung von Anbie-
tern außerhalb der Europäischen Union ist aufgrund der Safe-Harbor-
Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 6.10.2015 Vorsicht
geboten. Der EuGH hat die Übermittlung von Daten durch die irische Facebook-
Tochter in die USA mangels eines angemessenen Datenschutzniveaus (u.a.
Überwachungspraktiken der US-amerikanischen Geheimdienste) für unzulässig
erklärt (EuGH, Urteil vom 6.10.2015, Az. C-362/14 – Schrems/Data Protection
Commissioner). Seit 1.8.2016 gilt der neue „Privacy Shield“, der einen rechtskon-
formen Datentransfer aus der EU in die USA ermöglichen soll; auch dieses neue
Rechtsinstrument ist jedoch noch mit erheblichen Unsicherheiten verbunden.
Unabhängig von der rechtlichen Beurteilung im Einzelfall dürfte sich die Ge-
währleistung angemessener datenschutzrechtlicher Standards auch akzeptanz-
erhöhend auswirken. Die Sensibilität dieser Thematik illustrieren bspw. die kriti-
schen Medienberichte über MOOC-Angebote der LMU München und der TU
München in Kooperation mit dem US-amerikanischen Unternehmen Coursera,
bei denen die Kooperationsverträge nicht nur die Erhebung umfangreicher Daten
über die Nutzung, sondern auch die Übermittlung dieser Daten bspw. an Arbeit-
geber oder Recruiting-Unternehmen zuließen (vgl. Boie/Grassegger 2016).
c) Urheberrechtliche Rahmenbedingungen: Zudem wäre wünschenswert,
einen Anbieter zu wählen, der sich keinerlei Nutzungsrechte an den eingestellten
Inhalten einräumen lässt, anders als dies bei kommerziellen Anbietern wie Y-
ouTube der Fall ist.
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d) Nutzungsrichtlinien der Videoplattformen: Rechtliche Probleme entste-
hen auch, wenn unentgeltliche Videoplattformen in ihren Nutzungsbedingungen
die Nutzung eingestellter Inhalte nur zu rein persönlichen Zwecke gestatten, wie
bspw. YouTube. Damit dürften YouTube-Videos grundsätzlich nicht im Rahmen
von Lehrveranstaltungen gezeigt werden.
Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass die rechtlichen Rahmenbedin-
gungen für den Aufbau einer Videoplattform, die auch für prüfungsrelevante
Inhalte und Pflichtveranstaltungen genutzt wird und ggf. sogar z.T. Präsenzver-
anstaltungen ersetzt, die Wahl eines Dienstleisters erfordern, der nur die im
Rahmen des E-Learning-Angebots erforderliche Datenverarbeitung vornimmt und
einen individuellen Schutz der Materialien (Zugang, Weiterverwendung, befristete
Verfügbarkeit eingestellter Inhalte) gewährleistet.
4 Einsatzszenarien – rechtliche Einordnung
Neben den allgemeinen juristischen Rahmenbedingungen gilt es, auch zentrale
Nutzungsszenarien medienrechtlich einzuordnen, wie bspw. die Aufzeichnung
von Vorlesungen und deren Bereitstellung.
4.1 Vorlesungsaufzeichnungen und Mitschnitte
Vorlesungsaufzeichnungen bzw. Veranstaltungsmitschnitte gehören zum festen
Dienstleistungsportfolio der meisten sächsischen Medien- und Rechenzentren. In
der Lehrpraxis mittlerweile etabliert und wenig hinterfragt, ergab eine im Rahmen
des Verbundprojekts telefonisch durchgeführte Befragung der Justiziariate aller
VCS-Hochschulen, dass Aufzeichnungen nach wie vor kritisch gesehen werden.
Insbesondere von der Aufnahme Studierender wird grundsätzlich abgeraten.
Warum ist die Aufnahme von Studierenden problematisch?
Werden Studierende im Rahmen einer Vorlesungsaufzeichnung gefilmt, so stellt
dies einen Eingriff in ihr Recht am eigenen Bild dar (§§ 22 ff. KUG), sofern die
Abgebildeten von Dritten erkennbar sind. Ggf. ist auch in das Recht auf informa-
tionelle Selbstbestimmung betroffen, dessen Verhältnis zum Recht am eigenen
Bild in diesem Zusammenhang umstritten ist (vgl. Schnabel 2008, S. 657). Es ist
in der Regel davon auszugehen, dass Studierende bei Vorlesungsaufzeichnun-
gen erkennbar sind, auch wenn ihre Namen nicht genannt werden, da das Vi-
deomaterial weitere Informationen zu den Personen enthält, bspw. die Zuord-
nung zu einer Universität, den Kleidungsstil etc., die eine Identifizierung ermögli-
chen. Eine Veröffentlichung ist daher grundsätzlich nur mit Einwilligung der
Abgebildeten zulässig, sofern nicht eine gesetzliche Regelung die Veröffentli-
chung gestattet; letzteres ist bspw. bei zeitgeschichtlich relevanten Bildnissen
oder öffentlich zugänglichen Veranstaltungen der Fall (§ 23 Abs. 2 KUG).
Eine Einwilligung ist nur dann entbehrlich, wenn Dritten eine Identifizierung
nicht möglich ist, bspw. weil die abgebildeten Personen nachträglich anonymisiert
wurden. Eine bloße Verpixelung der Gesichter wird hierfür allerdings häufig nicht
ausreichen, da die Abgebildeten durch die o.g. Kriterien für Dritte, die die Abge-
bildeten aus anderen Zusammenhängen kennen, weiterhin identifizierbar blei-
ben. Um sicherzugehen, dass die Videomaterialien nicht gegen die Rechte der
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Betroffenen verstoßen, ist der sicherste Weg, im Zweifel von der Erforderlichkeit
einer Einwilligung auszugehen.
Welche Voraussetzungen muss die Einwilligung erfüllen?
a) Freiwilligkeit: Einwilligungen sind nur dann wirksam, wenn sie freiwillig erklärt
wurden. Dies ist bei Vorlesungen, die zu den Pflichtveranstaltungen des jeweili-
gen Studiengangs gehören, nicht der Fall. Freiwilligkeit seitens der Studierenden
ist hier nur dann gegeben, wenn eine gleichwertige Alternative zum Besuch der
aufgezeichneten Veranstaltung besteht, weil bspw. auch noch eine Parallelver-
anstaltung angeboten wird. In der Praxis stellt das Erfordernis der Freiwilligkeit
ein gravierendes Problem dar.
Die Aufzeichnung einer Pflichtveranstaltung ist daher nur zulässig, wenn allein
der Dozent sicht- und hörbar wird. In technischer und organisatorischer Hinsicht
setzt dies voraus, dass die Studierenden vor Beginn der Aufzeichnung entspre-
chend informiert werden und dass die Ton- und Bildaufnahmen auf den Dozen-
ten beschränkt werden. Problematisch ist daher die Aufzeichnung von Veranstal-
tungsformaten, die von Studierenden aktiv mitgestaltet werden, bspw. Seminare
oder Workshops, oder bei denen die Aufzeichnungen als Analysewerkzeug
dienen. Dies wäre nur dann zulässig, wenn die Teilnahme der Studierenden an
dieser Lehrveranstaltung tatsächlich freiwillig erfolgt. Im VCS-Teilprojekt Flipped
Consulting entstehen entsprechende Vorlagen/Handlungsempfehlungen.
b) Informiertheit: Eine wirksame Einwilligung setzt zudem voraus, dass sich
der Betroffene über die Tragweite und Bedeutung seiner Einwilligungserklärung
bewusst war. Die Studierenden müssen vor Erklärung der Einwilligung darüber
informiert werden, wofür und in welchem Umfang die jeweilige Aufzeichnung
genutzt werden soll. Es muss eine Aufklärung darüber erfolgen, ob sich die
beabsichtigte Nutzung beispielsweise lediglich auf Streaming bezieht oder ob die
Videos auch zum Download bereitgestellt werden sollen, inwieweit die Videos an
Dritte weitergegeben werden und innerhalb welchen zeitlichen Rahmens die
Nutzung vorgesehen ist oder ob Bearbeitungen oder Übersetzungen des Video-
materials vorgesehen sind. Entsprechend ist der Umfang der erlaubten Nutzung
auf die erteilte Einwilligung bzw. auf die damit verfolgten Zwecke beschränkt.
Eine umfassende Pauschaleinwilligung wäre rechtlich problematisch, da sie mit
dem Erfordernis der Informiertheit nicht vereinbar ist.
Schriftform erforderlich?
Nach datenschutzrechtlichen Vorgaben muss die Einwilligung grundsätzlich
schriftlich erfolgen, also eigenhändig unterschrieben werden (§ 4a Abs.1 S.3
BDSG). Dagegen hält das KUG für das Recht am eigenen Bild keine Formerfor-
dernisse für die Einwilligung bereit; diese kann also grundsätzlich auch still-
schweigend erfolgen. Eine schriftliche Einwilligungserklärung ist aber auch in
Zusammenhang mit dem Recht am eigenen Bild jedenfalls zu Beweiszwecken
sinnvoll (Schnabel 2008, S. 659).
Das Bundesarbeitsgericht betonte im Rahmen der Prüfung des Imagefilms ei-
nes Unternehmens, dass das Schriftformerfordernis insbesondere auch zu dem
Zweck erfüllt sein müsse, dass dem Arbeitnehmer die Freiwilligkeit seines Ein-
verständnisses vor Augen geführt werde (BAG, Urteil vom 11.12.2014, 8 AZR
1010/13, Rn. 26). Dieses Ergebnis kann möglicherweise auf die Überlegungen
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zur Umsetzung des VCS übertragen werden, da das Verhältnis der Studierenden
zu ihrer Universität insofern dem der Arbeitnehmer zu ihrem Arbeitgeber im
Ansatz vergleichbar ist. Auch den Studierenden muss die Freiwilligkeit ihrer
Einwilligung bewusst werden. Um sicherzugehen ist vor diesem Hintergrund die
Einwilligung der Studierenden zur Sicherheit schriftlich einzuholen.
Widerruflichkeit der Einwilligung?
Unklar ist auch, ob und unter welchen Voraussetzungen Studierende eine einmal
erteilte Zustimmung zu ihrer Aufzeichnung widerrufen können. Grundsätzlich ist
die Einwilligung im Bereich des Datenschutzrechts jederzeit frei widerruflich,
während sie im Anwendungsbereich des KUG grundsätzlich unwiderruflich ist
bzw. nur aus ganz gravierenden Gründen widerrufen werden kann. Das Bundes-
arbeitsgericht hat in dem bereits erwähnten Urteil angenommen, dass eine
Einwilligung nicht generell widerruflich sein kann. Es sei vielmehr eine Abwägung
mit Rücksicht auf die Interessen der anderen Seite erforderlich (BAG, Urteil vom
11.12.2014, 8 AZR 1010/13, Rn. 38). Gerade wenn Studierende in einer Situati-
on gefilmt werden, bspw. einer missglückten Prüfungssituation, die sich nachteilig
auf ihre weitere Entwicklung auswirkt, ist es grundsätzlich denkbar, dass sie die
einmal erteilte Zustimmung wirksam widerrufen können.
Anwendbares Recht bei internationalen Kooperationen?
Besondere Herausforderungen bestehen bei der Nutzung von Videoplattform im
Rahmen internationaler Kooperationen, bspw. Angebote für Studierende und
Wissenschaftler im Ausland oder Aufzeichnungen im Ausland. In solchen Kons-
tellationen sind neben der deutschen Rechtsordnung auch andere Rechtsord-
nungen zu beachten. Für den VCS wird dies exemplarisch im Teilprojekt Interna-
tionalisierung untersucht (videobasierte Lehrkooperation der Westsächsischen
Hochschule Zwickau mit Hochschulen in Kirgisistan und Kasachstan).
Umsetzung durch die Hochschulen?
Zu diskutieren bleibt, wie diese komplexen rechtlichen Anforderungen so in der
Praxis umgesetzt werden können, dass Vorlesungsaufzeichnungen rechtskon-
form hergestellt und verwendet werden und zugleich für die Dozenten kein un-
zumutbarer Aufwand entsteht. Wünschenswert wäre hier eine stärkere Unterstüt-
zung durch die Hochschulen sowie ein engerer Austausch bzgl. rechtlicher,
technischer und organisatorischer Aspekte (bspw. Erstellung standardisierter
Dokumente, Verträge, Vorlagen etc.). Gemeinsame Vorgaben und Standards für
den sächsischen Hochschulraum werden im Rahmen des Verbundprojekts
erarbeitet.
4.2 Bereitstellung von digitalen Inhalten/Videos
Häufig stellen Dozenten den Studierenden über Lernmanagementsysteme Mate-
rialien wie Skripte, Videos etc. digital zur Verfügung. Kontrovers diskutiert wird
derzeit die Umstellung der bis 2016 pauschal berechneten Vergütung für
Sprachwerke ab 2017 auf eine für die Dozenten und Hochschulen aufwendigere
nutzungsbezogene Einzelabrechnung. Hier stehen die Hochschulen vor der
Herausforderung, in den kommenden Monaten die notwendigen technischen und
organisatorischen Vorkehrungen zu treffen.
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Nach der komplizierten Regelung des § 52 a Abs. 1 Nr. 1 UrhG dürfen urheber-
rechtlich geschützte Werke für Unterrichtszwecke zugänglich gemacht werden,
soweit hierbei keine kommerziellen Zwecke verfolgt werden. Allerdings dürfen die
Materialien nur dem „bestimmt abgegrenzten Kreis von Unterrichtsteilnehmern“,
nicht aber allen Hochschulangehörigen zugänglich gemacht werden. Daher muss
der Zugriff durch Dritte, die nicht zu diesem Kreis gehören, technisch verhindert
werden, bspw. durch ein entsprechendes Registrierungserfordernis. Erforderlich
ist aber, dass die Teilnehmer einen konkreten Bezug zu der Lehrveranstaltung
haben. Noch ungeklärt ist, ob § 52 a Abs. 1 Nr. 1 UrhG auch bei MOOCs an-
wendbar ist, die nicht nur den an der jeweiligen Hochschule eingeschriebenen
Studierenden, sondern der Allgemeinheit ohne Zulassungsvoraussetzungen
zugänglich sind und lediglich eine Registrierung voraussetzen, so dass der von §
52 a UrhG vorausgesetzte Bezug zu einer Lehrveranstaltung – anders als bei
hochschulinternen Vorlesungen – nicht zu einer Einschränkung der Zielgruppe
führt. Der Zweck des § 52 a UrhG, die Nutzung moderner Kommunikationsfor-
men zu ermöglichen, spricht dafür, MOOCs dennoch in den Anwendungsbereich
der Regelung einzubeziehen. Es ist unklar, ob die Regelung auch gilt, wenn der
Rechtsinhaber für das konkrete Werk angemessene Lizenzen vergeben würde.
Diese Frage wird am Beispiel des Teilprojektes „ImageSOOC“ aufgearbeitet.
Die Norm sieht überdies enge quantitative Begrenzungen vor, die bislang von
der Rechtsprechung nur für Sprachwerke konkretisiert wurden (dazu näher
Lauber-Rönsberg/Kempfert, GRUR-Prax 2016, 234). Genutzt werden dürfen:
• „Werke geringen Umfangs“, d.h. max. 25 Seiten; Filme und Musikstücke
von max. 5 Minuten Länge; alle vollständigen Bilder, Fotos etc.
• „kleine Teile eines Werkes“, d.h. max. 12 % eines Werkes bzw. max. 100
Seiten; max. 5 Minuten eines Films (so der Tarif „Intranet Hochschule und
Forschung“ der Verwertungsgesellschaften)
Die in Medienberichten prophezeite Rückkehr zu analogen Semesterapparaten
scheint jedoch übertrieben, da auch das Zitatrecht (§ 51 UrhG) die Nutzung
fremder Werke – wie Texte, Fotos oder Filmausschnitte – für die Hochschullehre
gestattet, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass diese in ein eigenes
Werk, bspw. ein Skript, einen Vortrag oder eine Vorlesung, eingebettet werden.
In diesem Rahmen ist es bspw. zulässig, fremde Fotos in eine Präsentation
aufzunehmen, sofern ein „Zitatzweck“ verfolgt wird, die zitierten Werke also als
Belegstelle oder Erörterungsgrundlage für selbstständige Ausführungen des
Zitierenden dienen. Die Rechtsprechung hat angesichts der Freiheit der Lehre
auch umfangreiche Zitate – wie bspw. die Übernahme eines dreiseitigen Texts
von Karl Valentin in ein Vorlesungsskript – grundsätzlich für zulässig gehalten,
sofern das Skript nur für die Unterrichtsteilnehmer im Internet zugänglich war (LG
München I, Urt. v. 19.1.2005, Az. 21 O 312/052006 – Karl Valentin). Grundsätz-
lich zulässig ist es darüber hinaus auch, auf mit Zustimmung des Rechtsinhabers
frei im Internet zugängliche Inhalte, bspw. Videos, zu verlinken oder diese in eine
eigene Website einzubetten.
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5 Fazit und Ausblick
Videobasierte Inhalte bergen – nicht nur für den sächsischen Hochschulraum –
ein enormes strategisches, didaktisches und letztlich auch wirtschaftliches Poten-
tial. Dieses kann mittel- und langfristig nur erschlossen werden, wenn existieren-
de Risiken, insbesondere rechtlicher Natur mitgedacht werden. Ansonsten wer-
den didaktische oder technische Innovationen den Pilotstatus nicht überschrei-
ten. Der Regelbetrieb neuer Formate oder Technologien ist ohne juristische
Absicherung an den Hochschulen schlicht nicht möglich.
Im Rahmen des VCS wurde deutlich, dass dieser Zusammenhang vielen
Hochschulakteuren, insbesondere in der Entscheiderebene, nicht umfänglich klar
ist. Die Gefahren werden häufig über- oder unterschätzt (Aufzeichnungsverbot
vs. generelle Veröffentlichungen auf YouTube). Rechtsabteilungen und Medien-
verantwortliche haben ein unterschiedliches, bisweilen konträres Problembe-
wusstsein. Dies kann nur durch Austausch, Aufklärung und ein dezidiert gemein-
sames Vorgehen aller Akteure (Medien-, Rechenzentren Hochschulleitungen, -
verwaltungen etc.) hochschulintern- wie übergreifend angegangen werden. Das
VCS Projekt hat hier Modellcharakter. Erklärtes Ziel ist es, die durch die Studie
gewonnen Erkenntnisse zeitnah in einer passenden Videoplattform praktisch
umzusetzen. Der interdisziplinäre Dialog, die damit verbundene Anwendungsfor-
schung, wie auch die Aufklärung/Weiterbildung von Studierenden und Hoch-
schulangehörigen im Zusammenhang mit videobasierten Inhalten wird auch nach
Projektende weitergeführt und auf angrenzende Themen ausgeweitet.4
6 Literatur
Bergert, Aline/Lehmann, Anke/Schellbach, Uwe (2016): Auf dem Weg zum
Videocampus Sachsen. In Lucke, Ulrike (Hrsg.): DeLFI 2016 –14. E-Lear-
ning Fachtagung Informatik. LNI, Gesellschaft für Informatik. Bonn. Im Druck.
Bischoff, Achim (2013): E-Learning und Datenschutz an Hochschulen. Berlin:
Logos Verlag.
Boie, Johannes/Grassegger Hannes (2015): Der gläserne Student – Datenschutz
bei Online-Kursen. Süddeutsche vom 2.12.2015, http://www.sueddeut
sche.de/bildung/datenschutz-bei-online-kursen-der-glaeserne-student-
1.2762465.
Lauber-Rönsberg, Anne/Kempfert, Kamila (2016): Das öffentliche Zugänglichma-
chen von Sprachwerken in der Hochschullehre: Rahmenbedingungen und
aktuelle Entwicklungen. GRUR-Prax – Praxis im Immaterialgüter- und Wett-
bewerbsrecht, S. 234 ff. München: C.H. Beck Verlag.
Schnabel, Christoph (2008): Das Recht am eigenen Bild und der Datenschutz.
Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht, S. 657 ff. München: Nomos Verlag.
4 Angesichts urheberrechtlicher Restriktionen wird die systematische Nutzung von Open Educational Resources weiter forciert. Für die
sächsischen Hochschulen gibt es voraussichtlich 2017/2018 ein sächsisches BMBF-Verbundprojekt zur Multiplikatorenqualifizierung