Sah Friedrich Kittler Rockmusik als „Missbrauch von Heeres- gerät“, so könnte man Techno und andere populäre Musikstile der 1980er und 1990er-Jahre als fundiert auf dem Missbrauch der Roland TB 303 Bass Line begreifen. Dieses Instrument sollte es erlauben, auf elektronisch-synthetischem Wege Basslinien zu erstellen, ohne dass man dafür mühevoll ein Instrument wie den E-Bass oder den Kontrabass zu erlernen brauchte. Als Interface wurde nicht ein Griffbrett, sondern eine Keyboard-Tastatur mit Filterreglern gewählt. Doch die japanische Roland Corporation schuf damit nicht nur ein neues, unkonventionelles Bass-Interface, sondern auch eine erstaunliche Kommunikationsstrategie: für die westlichen Märkte wurde die TB 303 zunächst ausschließlich mit japanischer Bedienungsanleitung vermarktet. Die Unklarheiten des Gebrauchs und die unkonventionelle Spielweise führten zunächst dazu, dass das Instrument sich als kommerzieller Flop erwies. An dieser Stelle kommt der kreative Missbrauch ins Spiel. Für die Entwicklung von Basslinien ungeeignet bzw. zu kompliziert, ließen sich aus der TB 303 jedoch ganz neue, ungehörte Klänge herausmanipulieren, wenn man sie nicht als Bass-Instrument einzusetzen versuchte, sondern mit wider der Intention der Instrumentenbauer gerichteten Drehungen an den Filtern die Tonhöhen nach oben veränderte. Das klang dann zwar überhaupt nicht nach einem Bass, dafür jedoch nach jenen spacig-maschinellen Sounds, welche die Musik der 1980er und 1990er-Jahre für ihre Klangästhetik gesucht hatte. Die TB 303 wurde dabei eher als eine Art Synthesizer eingesetzt, als der sie jedoch keinesfalls gedacht war. Sie war als Bass-Ersatz gedacht, nicht jedoch als Melodie- oder gar Hookline-Instrument oder als harmonischer Arpeggiator. Dank des missbräuchlichen Einsatzes wurde so letztlich aus dem kommerziellen Misserfolg ein ästhetischer Erfolg, der Roland 1996 zu einer Neuau age, der MC 303 Groovebox, bewegte, welche dann ihrerseits, nicht als Bass-Instrument, sondern als künstlich-digitale TB 303- Simulation, ein erheblicher kommerzieller und ästhetischer Erfolg wurde.
Der Beitrag fokussiert anhand von Video- und Klangbeispielen die Geschichte der intendierten und missbräuchlichen Nutzung der TB 303. Verschiedene Kreativitäts- und Innovationstheorien sollen dabei einen kontextuellen Rahmen bilden.