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WENN SOLARMODULE
ALTERN
Die Photovoltaik ist eine relativ junge Technologie zur Erzeugung von Strom, und
viele Anlagen sind erst wenige Jahre in Betrieb. Doch auch Solarstrom-Anlagen al-
tern, sie verlieren dabei einen Teil ihrer Leistungsfähigkeit und erfüllen mitunter nicht
mehr die geltenden Sicherheitsanforderungen. Das detaillierte Wissen rund um die-
sen Alterungsprozess liefert wertvolle Hinweise für die Hersteller neuer Anlagen. Ein
Forscherteam der Fachhochschule der Südschweiz in Canobbio (TI) hat nun die erste
Photovoltaik-Anlage untersucht, die in Europa Strom ins Netz lieferte. Selbst nach 35
Betriebsjahren ist ein Teil der Solarmodule noch fit für die Stromerzeugung.
Bis 2017 stand die Photovoltaikanlage TISO-10 auf dem Dach der Aula Magna der Fachhochschule Südschweiz in Canobbio. Dann wurde sie
demontiert (Bild), damit SUPSI-Forscher den Zustand der Module nach 35 Betriebsjahren untersuchen konnten. Foto: Schlussbericht TISO 35+
Fachbeitrag zu den Erkenntnissen aus einem Forschungsprojekt im Bereich
Photovoltaik, das vom Bundesamt für Energie finanziell unterstützt wurde.
Der Beitrag ist unter anderem im Fachmagazin Haustech (Ausgabe April
2019) erschienen.
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Wenn Solarmodule altern
Eigentlich hätten die Solarmodule einen Platz im Museum
verdient. Doch darauf müssen sie noch warten. In den letzten
zwei Jahren waren sie Gegenstand eines wissenschaftlichen
Projekts. Forscherteams von SUPSI und ETH Lausanne unter-
suchten die Paneele mit Unterstützung des Bundesamts für
Energie auf ihren Zustand. Das Hauptergebnis ist beachtlich:
Fast drei Fünftel (58%) der 288 Solarmodule hatten nach 35
Betriebsjahren noch einen Output von 80 und mehr Prozent
der Anfangsleistung von 35.4 Watt. Anders formuliert: Weit
über die Hälfte der Module genügen trotz ihres hohen Al-
ters den heute üblichen Garantieleistungen der Hersteller.
Gilt dieser Befund auch für die aktuell produzierten PV-Mo-
dule? Mauro Caccivio, Leiter des Forschungsprojekts, denkt
nach – und schüttelt dann den Kopf: «Ein direkter Vergleich
zwischen damals und heute ist nicht möglich. Die in der Mo-
dulproduktion eingesetzten Materialien für Verkapselung
Wer eine Photovoltaik-Anlage anschafft, hat für ihren Betrieb
einen langen Zeitraum vor Augen. Zwei oder gar drei Jahr-
zehnte muss eine Anlage laufen, um nicht nur die Investiti-
onskosten, sondern auch die erwartete Rendite mit dem ge-
ernteten Solarstrom einzuspielen. Die Hersteller garantieren
in der Regel die Leistungsfähigkeit ihrer Solarpanels für 25
bis 30 Jahre. Dahinter steht das Versprechen, dass die Mo-
dule nach dem definierten Zeitraum noch mindestens 80%
der ursprünglichen Leistung bringen. An diese Zusage wer-
den viele Eigentümer von PV-Anlagen bald erinnert werden.
Denn die Solaranlagen, die seit der Jahrtausendwende ent-
standen sind, erreichen in den nächsten Jahren ihr Garan-
tiealter. Dann wird sich zeigen, wie sich die Photovoltaik im
reifen Lebenszyklus schlägt.
Wie sich PV-Anlage verhalten, die dreissig und mehr Jahre
in Betrieb sind, dazu gibt es tatsächlich noch keine breit ge-
sicherten Erkenntnisse. Um so wichtiger sind die Betriebser-
fahrungen mit Anlagen aus der Pionierzeit der Solarstrom-Er-
zeugung. Hierfür lohnt sich eine Reise ins Tessin. Denn in
Canobbio nördlich von Lugano ging 1982 die erste Solar-
anlage Europas ans Netz. TISO-10 wird der Senior liebevoll
genannt. TISO steht für ‹Ticino Solare›, die Zahl 10 für die
damals respektheischende Leistung von 10 kWp. Die Solar-
zellen von TISO-10 bestehen aus kristallinem Silizium, jenem
Halbleitermaterial, das auch heute noch überwiegend für
den Bau von PV-Zellen eingesetzt wird. Nur dass die Halblei-
terschicht heute nicht mehr 320 Tausendstelmillimeter dick
ist, sondern nur noch rund halb soviel. Das spart Material
und Kosten.
Mit 35 Jahren noch in guter Verfassung
Kleiner waren die Module in den Gründerjahren der Photo-
voltaik, und in ihnen waren weniger Zellen verbaut als heu-
te. Sie haben sich alles in allem gut gehalten. So jedenfalls
der Eindruck, wenn man heute in Canobbio vorbeischaut:
TISO-10 wurde vor einiger Zeit vom Dach der Aula Magna
der Tessiner Fachhochschule SUPSI abgebaut. Jetzt liegen
die Module auf der Terrasse der Mensa. Sie glänzen im Son-
nenlicht, während die Studentinnen und Studenten drinnen
zu Mittag essen. Die Solaranlage war während ihres lang-
jährigen Betriebs immer wieder erneuert worden, Kabel und
Wechselrichter ausgetauscht. Die 288 Module selber aber
sind original. Jetzt lagern sie in Stapeln, die einen noch in
frischem Weiss, andere mit einer braunen Patina überzogen.
Die Rückseitenfolie ist da und dort beschädigt.
Mauro Caccivio leitet an der ‹Scuola universitaria professionale della
Svizzera italiana› (SUPSI) das Team für die Qualität von Photovol-
taik-Systemen. Foto: B. Vogel
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Wenn Solarmodule altern
und Rückseitenfolie sowie die Konzepte für die Anschlussbox
(Junction Box) einschliesslich Diodentyp haben sich über die
Jahrzehnte stark gewandelt, auch um die Herstellungskos-
ten zu reduzieren», sagt Caccivio, der das SUPSI-Team für
die Qualität von Photovoltaiksystemen leitet. «Die Materiali-
en aber sind entscheidend für die Lebensdauer der Module.
Genau dies ist eine zentrale Erkenntnis unserer Studie.»
Zentrale Rolle des Verkapselungsmaterials
Damit Solarzellen eine lange Lebensdauer haben, wird eine
Schutzschicht aus einem transparenten Kunststoff aufge-
tragen (Verkapselung). Die Hersteller von klassischen Silizi-
um-Solarmodulen benutzen als Zellverkapselungsmaterial
heute in der Regel Ethylen-Vinyl-Acetat (EVA). Das kautschuk-
artige Material lässt sich gut verarbeiten, und das dafür be-
nutzte Verfahren (Vakuum-Laminierung) ist kostengünstig.
EVA ist indes nicht unangefochten. Das gilt unter anderem
bei der Herstellung von Solarmodulen, die sich besonders für
gebäudeintegrierte Lösungen empfehlen (building integra-
ted photovoltaics/BIPV). Hier kommt häufig der Kunststoff
Polyvinylbutyral (PVB) als Verkapselungsmaterial zum Einsatz.
PVB kennt man aus anderen Alltagsprodukten; so wird der
Stoff seit langem als Zwischenschicht bei der Herstellung von
Verbundsicherheitsglas etwa für Windschutzscheiben ver-
wendet. Für Solarmodule wird er insgesamt noch relativ we-
nig genutzt. Allerdings verbindet sich mit ihm die Hoffnung,
dass er für die Herstellung von Glas-Glas-Dünnschichtmodu-
len zweckmässiger wäre als EVA, da er die Module sicherer
macht. Das wäre ein grosser Vorteil für die Dünnschichtmo-
dule, die oft für gebäudeintegrierte Anwendungen einge-
setzt werden.
Und hier ergibt sich die Verbindung zum oben erwähnten
Forschungsprojekt des SUPSI: Die Module von TISO-10 wur-
den in den frühen 1980er Jahren nämlich mit dem Verkap-
VERKAPSELUNG SCHÜTZT DIE
SOLARZELLEN
Eine Kunststoffschicht sorgt dafür, dass Solarzellen aus Silizi-
um und anderen Halbleitermaterialien während einer mög-
lichst langen Zeit möglichst viel Strom produzieren. Der für
die Zellverkapselung gewählte Kunststoff schützt die Zelle
vor Schäden durch Stösse und Witterungseinflüsse wie bei-
spielsweise Regen oder Hagel. Die Verkapselung hält Sau-
erstoff und Wasserdampf von den Zellen fern und fungiert
damit als Sperrschicht gegen Korrosion. Sie sorgt überdies
für die elektrische Isolation der Zellen nach aussen. Das ge-
wählte Material muss eine hohe Transparenz haben und eine
hohe Widerstandskraft gegen UV-Strahlung, die die Solarzel-
len und die Verkapselung vor Abbau schützt. Das Verkap-
selungsmaterial muss ferner mit den anderen Komponenten
der Solarmodule wie Zelle, Glasabdeckung, Rückseitenfolie
oder Kontakte verträglich sein. BV
Das Foto links zeigt eine gross-
flächige Delamination des
Verkapselungsmaterials auf der
Vorderseite des PV-Moduls, verur-
sacht dadurch, dass die Solarzelle
zu nahe am Rahmen des Moduls
platziert wurde. Delaminationen
werden verursacht durch Feuch-
tigkeit, Hitze oder UV-Strahlung.
Sie führen zu einem Verlust der
Isolation und können zum Ausfall
der Zelle führen. Das Foto rechts
zeigt eine Hot-Spot-Zelle, also eine
Zelle mit überhöhter Betriebstem-
peratur. Die Überhitzung kann
ebenfalls zu einem Ausfall der
Zelle führen. Delamination an der
Modulvorderseite und Hot Spots
sind die beiden Hauptursachen
für schwerwiegende Funktionsstö-
rungen bei den TISO-10-Modulen.
Fotos: Schlussbericht TISO 35+
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Wenn Solarmodule altern
selungsmaterial PVB hergestellt, wobei drei Typen dieses Ma-
terials mit unterschiedlicher Zusammensetzung zum Einsatz
kamen. Die Forschungsergebnisse zeigen, dass die Lebens-
dauer je nach Zusammensetzung erheblich schwankt (vgl.
Textbox unten). «Unsere Forschungsergebnisse bestätigen,
dass es sich bei einem der drei PVB-Typen um ein vielver-
sprechendes Material zur Herstellung von sehr dauerhaf-
ten Modulen handelt, die der langjährigen Aussetzung von
Wettereinflüssen widerstehen», sagt SUPSI-Forscher Mauro
Caccivio. «Wenn wir die genaue chemische Zusammenset-
zung des wetterfesten PVB-Typs kennen, wird das der Mate-
rialforschung die Möglichkeit eröffnen, einen PVB-Kunststoff
zu entwickeln, der die Langlebigkeit von PVB-Solarmodulen
sicherstellen kann.»
PVB IST NICHT GLEICH PVB
Durch Rückfragen beim damaligen Hersteller ARCO Solar und verschiedene Tests haben die SUPSI-Forscher herausgefunden,
dass die TISO-10-Module als Verkapselungsmaterial PVB verwendeten. Offenbar setzte die Herstellerfirma für die Produktion
der 288 TISO-10-Module PVB von drei verschiedenen Lieferanten (A, B und C) ein. Obwohl es sich dabei grundsätzlich immer
um den gleichen Kunststoff handelt, gibt es leichte Unterschiede in der chemischen Zusammensetzung – und diese haben die
Langlebigkeit massgeblich beeinflusst, wie die Ergebnisse der jüngsten SUPSI-Untersuchung zeigen.
Die Module des PVB-Lieferanten A sind nach 35 Jahren noch in gutem Zustand. Die Oberfläche ist hell, und der durchschnitt-
liche Leistungsabfall (Degradation) beträgt 0.2% pro Jahr, womit die Module dieser Familie nach 35 Jahren durchschnittlich
noch 93% ihrer Anfangsleistung haben. Die Module von PVB-Lieferant B zeigen bräunliche Stellen, die durch Hitzeunterschiede
hervorgerufen wurden. Die Leistung nach 35 Jahren liegt durchschnittlich bei 76% der ursprünglichen Leistung. Die ‹bessere›
Hälfte dieser Module hat sogar noch eine durchschnittliche Leistung von 78.3% (0.62% Degradation) und erreicht damit fast
den Garantiewert der Hersteller. Die Module des Lieferanten C – 15 an der Zahl – weisen so starke Schäden auf, dass sie un-
brauchbar sind. BV
Die Module der TISO-10-Anlage nach 35 Be-
triebsjahren: Das Modul oben ist gut erhalten,
das Module in der Mitte leicht gebräunt und
das Modul unten stark gebräunt. Die Bräunung
des Verkapselungsmaterials führt zu einer deut-
lichen Verschlechterung der Stromproduktion,
nämlich um durchschnittlich 5% (oben), 19%
(Mitte) bzw. 26% (unten). Fotos: Schlussbericht
TISO 35+
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Wenn Solarmodule altern
Nächstes Ziel bei 40 Jahren
Und wie geht es weiter mit TISO-10? Was geschieht mit den
Modulen, die auf der Terrasse der Mensa in Cannobio gesta-
pelt sind? Sie sind von den SUPSI-Forschern ausersehen, noch
einmal in Betrieb zu gehen und Strom zu produzieren. Nicht
alle Module zwar, aber jene, die sich besonders gut erhalten
haben. Sie sollen für den Bau einer neuen Anlage benutzt
werden, und zwar im Laufe des Jahres 2019, wenn die SUPSI
ihre neuen Gebäude in Mendrisio bezogen hat. Dann sollen
die altgedienten Module, die unterdessen schon 35 Jahre auf
dem Buckel haben, nochmals Strom aus Sonne produzieren.
Die nächste Wegmarke: 40 Jahre.
Den Schlussbericht zum Projekt ‹TISO 35+› finden Sie
unter: https://bit.ly/2ECQ0Iz
Auskünfte zu dem Projekt erteilt Dr. Stefan Oberholzer
(stefan.oberholzer@bfe.admin.ch), Leiter des BFE-For-
schungsprogramms Photovoltaik.
Autor: Dr. Benedikt Vogel, im Auftrag des Bundesamts für Energie (BFE)
Stand: Mai 2019
SUPSI-Forscher
während der visuellen
Begutachtung der ab-
gebauten PV-Module.
Foto: SUPSI
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trations- und Leuchtturmprojekte im Bereich Photovol-
taik finden Sie unter www.bfe.admin.ch/ec-pv