Die Vorstellung einer Trennung und eines ausschließenden Gegensatzes von persönlichkeitsbildender Allgemeinbildung und zweckorientierter Berufsbildung, die zur (Persönlichkeits-)Bildung nichts beiträgt und zu keinen „höheren Studien oder Aufgaben“ befähigt, ist eine gedankliche Konstruktion vom Beginn des 19. Jahrhunderts. Solche Konstruktionen bilden nicht Wirklichkeiten ab, sondern schaffen sie; in der Wissenschaft heißen sie „Paradigmen“ und „Theorien“. Sie dienen dazu, die Welt zu ordnen, zu deuten und zu erklären (von Foerster und von Glasersfeld 2014). Die „Unvereinbarkeitsthese“ hat nicht nur die Geschichte der Pädagogik in Mitteleuropa stark geprägt. Sie hatte auch nachhaltige Wirkungen auf die Bildungs- und Schulpolitik (etwa beim Hochschulzugang) und damit für das persönliche und soziale Schicksal von Generationen junger Menschen, die nach diesem Paradigma nicht nur ausgebildet, sondern zugleich von „höherer Bildung“ (und damit bestimmten gesellschaftlichen Chancen) ferngehalten wurden. Die These, Bildung sei nur außerhalb der Berufsausbildung möglich, diente und dient der Legitimierung gesellschaftlicher Ungleichheit.