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Der auditive Raum –
seine Materialität und
seine Grenzen
Auditory Space
Its Materiality and
Its Limitations
Sam Auinger | Dietmar Offenhuber
48
1 O+A, „„Earmarks Brügge“, Triennale für Zeitgenössische Kunst und Architektur Brügge |
Triennial of Contemporary Art and Architecture Bruges, 2015 © O+A
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St.-Jansplein
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De Geliefden
Bench by th e Sculpture of
Lovers F-8
Golven van boten
Boatwav es H-7
Stille hoek I Quiet Corner H-5
Grijze ruis aan windmolen
Grey noise W indmill
J-5
Hemelrijk - Kloosterklokken
Cloiste r Bells I-4
Hemelrijk - Handjeklap
Clapping I-4
Houten brug
Wooden Bridge
G-4
Elektrisch gezoem I Electric Hum,
Sint-Jakobsplein D-8
Profe ssor Sebrechtspar k
Professor Sebrecht City P ark D-8
Plein I Plaza ,
Site Oud Sint-Jan E-11
Doorgan g I Passage way,
Site Oud Sint-Jan F-11
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Gruuthuse Mus eum F-10
Paardenbank I Horse Bench,
Arent shof F-10
Binnentui n I Courtya rd,
Gruuthuse Mus eum F-10
Stil Pa rk I Silent Park E-12
Gelijkbenig st eegje
Isosceles Alley G-7
# O A QUIETISTHENE W L OUD
U bent hier
You are here
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Die meisten kennen die folgende Situation: Es ist ein
ruhiger Abend, man sitzt in der Küche. Man vermeint, kein Ge-
räusch zu hören, plötzlich schaltet sich der Kühlschrank aus. In
diesem Moment fällt es uns erst auf, dass er die ganze Zeit ge-
laufen ist und dabei ganz und gar nicht geräuschlos war. In der
unerwartet eingetretenen Stille erscheint der physische Raum
verändert; man hört neue Dinge, es eröffnet sich ein neuer, ein
auditiver Raum. Dieser Aufsatz beschäftigt sich mit den Quali-
täten des auditiven Raumes, seinen materiellen Eigenschaften,
seiner Geometrie, seiner Les- und Hörbarkeit.
Unser Alltag ist geprägt von einem Streben nach Be-
quemlichkeit. Dies führt zu Gegebenheiten, die wir unhinter-
fragt hinnehmen und aus unserem Bewusstsein ausblenden. Dies
kann man an den Eigenschaften unserer hörbaren Umgebung
gut erkennen. Wir wollen auf Kühlung, Heizung und andere
technische Infrastrukturen nicht verzichten, aber sind uns meist
nicht bewusst, wie stark diese Geräte je nach räumlicher Inte-
gration, Wartungs- und Funktionsstand den auditiven Raum be-
stimmen. Die Schallemissionen dieser Gerätschaften sind heute
in unserer täglichen Umgebung omnipräsent. Das Hörbare die-
ser Transformatoren, Motoren und mechanischen Prozesse wird
vom architektonischen Raum verstärkt, gefiltert, gebrochen und
tritt mit diesem in Resonanz. Ihr räumlich stationärer Charakter
und das extrem limitierte Spektrum ihrer Klänge – musikalisch
gesprochen, ihr Puls und Bordun1, gepaart mit konstanten Laut-
heiten – erlaubt es diesen Maschinen, den auditiven Raum zu
besetzen. Wir betrachten Emissionen bestenfalls als negative
Externalität: Lärm, den es zu vermeiden gilt, ohne auf den kau-
salen Zusammenhang mit den Aktivitäten des täglichen Lebens,
die ihn hervorrufen, einzugehen. Die daraus resultierenden Le-
bensräume sind auditiv von diesen Schallemissionen gefärbt.
Diese Raumfärbung ist so allgegenwärtig, dass wir sie nicht mehr
bewusst wahrnehmen, obwohl sie eine beträchtliche Intensität
erreichen kann. Unter der Oberfläche des Bewusstseins ist un-
ser Gehirn ständig damit beschäftigt, diese Raumfärbung weg-
zufiltern, da es sie als nicht relevant einstuft. Dennoch überdeckt
ihre Geräuschintensität eine Vielzahl von hörbaren Ereignissen,
die durch diese Maskierung nicht mehr wahrnehmbar sind – es
entsteht der beschränkte Raum.
Seit der Moderne wird das Auditive im Entwurfs-
prozess selten mitgedacht und mitgeplant, obwohl jeder gebaute
Raum eine Soundbox ist – ein Resonanzraum, dessen Form und
Materialität die auditiven Qualitäten desselben grundsätzlich
definieren und bestimmen. Jede gebaute Akustik hat im Sinne
ihrer Bespielbarkeit und ihrer klanglichen Eigenschaften ihre
Beschränkungen. Die Sprache der Architekturrepräsentation in
Plänen, Renderings, Animationen, Modellen und Zeichnungen
von existierenden und geplanten Räumen erzeugt die Vorstellung
(oder besser die Illusion) eines Raumes mit unbeschränkten Mög-
lichkeiten der Nutzung und Erlebbarkeit. Versucht man einen
Raum aber nicht in seiner abstrakten Form, sondern in seiner
Materialität zu begreifen, wird sehr schnell klar, dass die erlebte
Atmosphäre von den darin stattfindenden Aktivitäten, ökono-
mischen und sozialen Interaktionen bestimmt wird. Was wir
hören, ist eine Signatur der vorgefundenen Aktivitäten, Mate-
rialien, und Formen: Im Hörsinn liegt der Raumsinn. Die audi-
tiven Qualitäten von Architekturen sind bestimmender Faktor
für deren sinnliche Erlebbarkeit.2 Im Folgenden wird es darum
gehen, wie die Nutzung von Räumen und Orten mit ihren au-
ditiven und atmosphärischen Qualitäten in Wechselwirkung
tritt. Der auditive Raum ist dynamisch, verändert sich ständig
mit der Zeit, entsteht und verschwindet. Wenn wir von Atmo-
sphäre sprechen, meinen wir vor allem diese Form der Infor-
mationsverarbeitung.3
Hörsamkeit. Der Einfluss eines Raumes auf dessen
auditiven Charakter lässt sich am leichtesten mit dem Begriff
der Hörsamkeit erklären. Der Begriff geht auf die Anfangstage
des Rundfunks zurück. Tonmeister stellten sich damals die Frage,
wann ein bestimmter Raum die akustische Eignung für Sprach-
bzw. Musikdarbietung hat. Sie entwickelten dazu Kategorien
und Messmethoden, um zu bestimmen, wie weit sich ein Raum
für die Übertragung der in ihm dargebotenen akustischen Infor-
mation eignet.4
Als Faustregel kann hier gelten: Je kürzer die zeitliche
Abfolge relevanter akustischer Information ist, desto geringer
muss die Nachhallzeit des Raumes sein, und je leiser die akus-
tische Information ist, desto niedriger muss der noisefloor, die
Lautheit des Umgebungsklangs an diesem Ort sein. Dies gilt
vor allem für Innenräume, ist aber bis zu einem gewissen Grad
auch auf Außenraum übertragbar – wobei hier jedoch neben
Hall und Resonanz noch eine Vielzahl anderer Phänomene eine
Rolle spielt.5
1 Vom frz. bourdon oder ital. bordone, was so viel wie „Brummbass“ be-
deutet. Bezeichnet wird damit meist ein tiefer (bei Saiteninstrumen-
ten gestrichener oder durch eine in Resonanz mitschwingende Saite
hervorgerufener) Ton als Begleitung zur Melodie oder der gleichblei-
bende Bass- oder Quintton beim Dudelsack.
2 Vgl. Böhme, Gernot: Atmosphäre. Essays zur neuen Ästhetik, 6. Aufl.
Frankfurt a. M. 1995, 261–274.
3 Vgl. Auinger, Sam: „Hearing Perspective – denken mit den Ohren“, in:
Leopoldseder, Hannes (Hg.): Ars Electronica 2011: Origin - wie alles
beginnt, Ausst.-Kat., Linz (Ars Electronica Center), Ostfildern 2011,
212–215.
4 Vgl. Dickreiter, Michael u.a.: Handbuch der Tonstudiotechnik, 8. überarb.
u. erw. Aufl. Berlin u.a. 2014, 27–28.
5 Vgl. Augoyard, Jean-François/Torgue, Henry (Hg.): Sonic Experience: A
Guide To Everyday Sounds, Montréal u.a. 2006, 21–152; 99–117.
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with unlimited possibilities for how it can be used or experienced.
If we attempt to comprehend a space in its materiality, though,
rather than in its abstract form, it quickly becomes clear that the
atmosphere experienced in it is determined by the activities that
take place in it, the economic and social interactions. What we
hear is a signature of the existing activities, materials and forms:
the sense of space is found in the sense of hearing. The auditive
qualities of architectures are a determining factor in how they
can be experienced.2 In the following, we will discuss how the
use of spaces and places interacts with their auditive and atmo-
spheric qualities. Auditive space is dynamic, constantly chang-
ing in time; it emerges and vanishes. When we speak of atmo-
sphere, we mean primarily this form of information processing.3
Acoustic Quality. The influence of a space on its
auditive character can be best explained with the concept of
acoustic quality. The concept goes back to the early days of
radio. Sound engineers at that time asked themselves whether a
certain room had suitable acoustics for the presentation of speak-
ing or music. To answer this, they developed categories and
methods of measuring, in order to determine how suitable a
space was for broadcasting the acoustic information presented
in it.4
It can be considered a general rule here that the shorter
the intervals between the sequence of relevant acoustic informa-
tion, the lower the echo time of the room must be; the quieter
the acoustic information is, the lower the noise floor must be,
i.e., the loudness of the sonic surroundings in this place. This
applies especially to interior spaces, but it can also be transferred
to outside space to a certain extent—although in addition to echo
and resonance, a number of other phenomena also play a role
here.5
Most of us are familiar with the following situation:
it is a quiet evening, you are sitting in the kitchen. It seems there
is no noise to be heard, but suddenly the refrigerator turns itself
off. At that moment you first realize it has been running the
whole time and not at all noiselessly. In the unexpected silence,
the physical space seems changed; you hear new things, and a
new, auditory space opens up. This essay deals with the qualities
of auditory space, its material properties, its geometry, its legibi-
lity and its audibility.
Our everyday life is marked by a striving for conve-
nience. This leads to situations that we accept unquestioningly
and block out of our consciousness. This can be easily recognized
from the characteristics of our audible surroundings. We do not
want to do without cooling, heating, and other technical infra-
structures, but we are usually not conscious of the extent to
which these devices determine auditory space, depending on
their integration in the space and the state of maintenance and
function. The noise emissions of these devices are omnipresent
in our daily surroundings. What is audible about these trans-
formers, motors, and mechanical processes is amplified, filtered,
fragmented by the architectural space and enters into a resonance
with it. Their spatially stationary character and the extremely
limited spectrum of their sounds—in musical terms, their pulse
and drone,1 paired with constant auditory levels—allows these
machines to occupy the auditory space. We consider emissions,
at best, as a negative externality: noise that is to be avoided
without looking into the causal connection with the activities
of everyday life that evoke it. The living spaces resulting from
this are auditively colored by these noise emissions. This spatial
coloration is so omnipresent that we no longer consciously per-
ceive it, although it can reach a considerable intensity. Under
the surface of our consciousness, our brains are constantly busy
filtering out this spatial coloration, because it is assessed as ir-
relevant.
Since modernism the auditive is rarely taken into
consideration and included in the design process, although every
built space is a sound box—a resonance space, of which the form
and materiality are fundamentally defined and determined by
its auditive qualities. Every built acoustic has its limitations in
the sense of how it can be played and its sonic properties. The
language of the representation of architecture in plans, render-
ings, animations, models, or drawings of existent or planned
spaces creates the impression (or rather the illusion) of a space
1 “Drone” or “bourdon,” from the French bourdon or Italian bordone, means
roughly “buzzing.” It usually refers to a sustained tone, low in pitch (a
bowed or resonating string in bowed instruments) accompanying a
melody or a sustained bass or fifth tone with a bagpipe.
2 See Gernot Böhme, Atmosphäre: Essays zur neuen Ästhetik, 6th edition
(Frankfurt am Main, 1995), pp. 261–74.
3 See Sam Auinger, “Hearing Perspective—denken mit den Ohren,” Ars
Electronica 2011: Origin – wie alles beginnt, ed. Hannes Leopoldseder,
exh. cat., Linz (Ars Electronica Center), (Ostfildern, 2011), pp. 212–215.
4 See Michael Dickreiter et al., Handbuch der Tonstudiotechnik, 8th revised
edition (Berlin et al., 2014), pp. 27–28.
5 See Jean-François Augoyard and Henry Torgue, eds., Sonic Experience: A
Guide to Everyday Sounds (Montréal, 2006), pp. 21–152, esp. pp. 99–117.
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Wenn schon die auditiven Qualitäten von Architek-
tur selten bedacht werden, so passiert das noch seltener bei Ein-
bauten von Infrastrukur-, Kommunikations- und Beschallungs-
systemen im öffentlichen Raum. Die Beziehung zwischen Ereig-
nisort und dessen Akustik, also die physikalischen Bedingungen
für die Ausbreitung und Färbung von Schallereignissen, wird
kaum hergestellt und hinterfragt. Jeder von uns erlebt täglich
unverständliche Durchsagen in Bahnhöfen, brummende und
surrende Kühlgeräte und Klimaanlagen in Warteräumen oder
Cafés und kommerzielle Beschallungssysteme, die weit über
den ihnen zugedachten Geschäftsbereich hinaus schallen und
damit die Hörsamkeit des Lebensraumes beschränken.
Wie kann im Gestaltungsprozess dieser Umstand be-
rücksichtigt werden? Uns scheint es wichtig, immer wieder da-
rauf aufmerksam zu machen, dass die atmosphärischen Fragen
unserer Lebenswelten nur basierend auf persönlichen Erfahrun-
gen und einem breiten Diskurs und Austausch zwischen Nut-
zerInnen und PlanerInnen sinnvoll gestellt und diskutiert wer-
den können. Das erfordert, das Hören als aktiven Prozess neu
zu lernen: den auditiven Raum aktiv wahrzunehmen und sich
ein Bezugssystem aus Klängen und auditiven Eigenschaften zu
erarbeiten: „Denken mit den Ohren.“ Statt Schall nur im Kon-
text von mehr oder weniger störenden Emissionsquellen zu
verhandeln, bedeutet dies die Qualitäten des auditiven Raumes
zu untersuchen, beispielsweise den Unterschied zwischen akus-
tisch transparenten und diffusen Teilen des Raumes zu erfahren.
Im Folgenden möchten wir zwei Projekte von 2015 vorstellen,
deren wesentliche Intention darin lag, einen Diskurs über den
genannten Unterschied in Gang zu setzten.
Quiet is the New Loud. Der mittelalterliche Stadt-
kern von Brügge wurde im Jahr 2000 von der UNESCO zum
Weltkulturerbe erklärt. Über fünf Millionen Menschen besu-
chen jedes Jahr die Stadt. Was würde passieren, wenn sie alle
sich plötzlich entscheiden würden, zu bleiben? Welche Auswir-
kungen hätte es auf eine denkmalgeschützte historische Stadt
wie Brügge, wenn sie über Nacht zu einer Millionenstadt würde?
Dies war der Ausgangspunkt für die Brügge Triennale
für Zeitgenössische Kunst und Architektur 2015. Sie stellte zwei
entgegengesetzte Erzählstränge einander gegenüber: das statische
Bild von Brügge als einer denkmalgeschützten mittelalterlichen
Stadt, die seit dem 19. Jahrhundert restauriert und bewahrt wird,
und eine hypothetische Version der Stadt als einer Megalopolis
des 21. Jahrhunderts.
O+A (Bruce Odland, Sam Auinger) wurden 2014
eingeladen, ein Projekt für dieses Festival zu entwickeln. Nach
längeren Aufenthalten und Studien vor Ort wurde klar, dass es
sich bei dem historischen Brügge um einen urbanen Raum han-
delt, der eine einzigartige Akustik und auditive Atmosphäre
besitzt. Dies ist zum Großteil der Situation geschuldet, dass in
Brügge aus historischen Gründen keine Industrialisierung statt-
fand und die mittelalterliche Architektur mit ihren verwinkelten
Gassen, Plätzen und Durchgängen in ihrer Substanz noch er-
halten ist und es damit auch keinen für den motorisierten Indi-
vidualverkehr erschlossenen Stadtraum gibt. Die Stadt besitzt
dadurch heute noch eine komplett von menschlichen Aktivitä-
ten bestimmte Klanglandschaft und in den „Ruhestunden“ wirk-
liche Ruhe. In technische Termini gesprochen liegt der Geräusch-
pegel der Stadt bei unter 20 Dezibel: also beste Konzerthaus-
qualität.
Neben der einzigartigen Stille, die man in dieser Stadt
zu bestimmten Zeiten noch erleben kann, und durch das nicht
vorhandene permanente Rauschen von großen Verkehrs- und
Infrastruktursystemen ergeben sich (auch als Konsequenz des
geringen Grundschallpegels) eine Reihe von einzigartigen akus-
tischen Phänomenen, die sonst in urbanen Räumen nicht oder
nicht mehr erleb- und erfahrbar sind.
Um diese einzigartige atmosphärische Qualität in
einen Diskurs überführen zu können, wurde das Projekt QNL6
als eine vierteilige Arbeit entwickelt, wobei die einzelnen Pro-
jektteile sowohl unabhängig agierten als sich auch gegenseitig
stärkten. Künstlerische Intention war es, die EinwohnerInnen
und BesucherInnen der Stadt und des Festivals mit einer Reihe
von Interventionen zum Hin-Hören zu verleiten, damit persön-
liche Hörerfahrung zu provozieren und so Diskursmaterial für
künftige Stadtplanungsdiskussionen zu schaffen. Im Folgenden
werden diese Interventionen näher erklärt.
„Songlines“. O+A komponierten drei songlines, die
den BesucherInnen mit einem speziell dafür entwickelten Ins-
trument die Möglichkeit gaben, im Entlangspazieren auf einer
von drei vordefinierten Wegstrecken durch die Stadt die speziel-
len und sich immer wieder ändernden auditiven Situation ent-
deckend zu erleben. Dafür wurde ein fliegender Lautsprecher
entwickelt, der in Kombination mit einer tragbaren Techniktasche
kurze, auf den jeweiligen Ort abgestimmte akustische Signale ab-
strahlte (Abb. 2). Damit konnte der Wirkungszusammenhang
zwischen offenem Raum und Materialität, architektonischen
Proportionen und Fassadengestaltung, den Wegen und der sie
umgebenden Verbauung sinnlich erfahren werden. Dieser Pro-
jektteil unterstrich eindrücklich die speziellen auditiven Qua-
litäten der Stadt, da so etwas nur in einer urbanen Umgebung
6 QNL, oder Quiet is the New Loud ist ein Projekt von O+A (Bruce
Odland/Sam Auinger) für die Triennale für Zeitgenössische Kunst und
Architektur 2015 in Brügge, kuratiert von Till Holger Borchert; http://
universes-in-universe.org/deu/bien/triennale_bruegge/2015
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atmosphere. This is largely due to the situation that no indus-
trialization took place in Bruges for historical reasons. The
medieval architecture with its winding alleys, squares, and pas-
sages is still retained in its substance, and therefore no urban
space has been developed for motorized individual traffic. The
soundscape of the city is thus still completely determined by
human activity, and in the “quiet hours” it is actually quiet.
In technical terms, the noise level of the city is under twenty
decibels: in other words, best concert house quality.
In addition to the unique quietness that can still be
experienced in this city at certain times, and due to the absence
of the permanent noise of traffic and infrastructure systems
(also as a consequence of the low basic noise level), a number
of unique acoustic phenomena arise, which can otherwise not
or no longer be experienced in urban spaces.
To be able to transfer this unique atmospheric quali-
ty into a discourse, the project QNL6 was developed as a four-
part work, whereby the individual project parts can operate in-
dependently or mutually enhance one another. The artistic in-
tention was to induce residents and visitors to the city and the
festival to listen closely with a series of interventions. Personal
listening experiences were to be provoked in this way, thus cre-
ating discourse material for future urban planning discussions.
These interventions will be explained in more detail in the fol-
lowing.
“Songlines”. O+A composed three songlines, allow-
ing visitors an experience of discovery with a specially developed
instrument while walking along one of three pre-defined paths
through the city, experiencing the special and always changing
auditory situation. A flying loudspeaker was developed for this,
which in combination with a portable technical bag emits acous-
tic signals attuned to the respective place (fig. 2). This made it
possible to sensually experience the interdependency between
open space and materiality, architectural proportions and facade
design, the paths and the surrounding built environment. This
part of the project impressively underscored the special audi-
tive quality of the city, because something like this only works
If auditive qualities are rarely taken into consideration
in architecture, that happens even more rarely with the installa-
tion of infrastructure, communication, and sound systems in pub-
lic space. The relationship between an event site and its acoustics,
in other words the physical conditions for the dispersion and
coloration of sonic events, is hardly established or questioned.
Every day we all experience unintelligible announcements in
train stations, humming and whirring cooling units and air con-
ditioning in waiting rooms or coffee houses, and commercial
sound systems sounding far beyond the commercial area allotted
to them, thus limiting the auditory quality of living space.
How can this situation be taken into consideration in
the design process? It seems important to us to point out again
and again that the atmospheric questions of our life worlds can
only be meaningfully raised and discussed on the basis of per-
sonal experience and a broad discourse and exchange between
users and planners. This requires relearning hearing as an active
process—actively perceiving auditory space and developing
a reference system of sounds and auditive properties: “think-
ing with the ears.” Instead of treating sound only in the context
of more or less disruptive emission sources, this means investi-
gating the qualities of auditory space, for example experiencing
the difference between acoustically transparent and diffuse parts
of the space. In the following we would like to present two
projects from 2015, of which the essential intention was to set a
discussion about the aforementioned difference in motion.
Quiet Is the New Loud (QNL). The medieval city
center of Bruges was declared a World Heritage Site by the
UNESCO in 2000. More than five million people visit the city
every year. What would happen, if they suddenly all decided to
stay? What would be the impact on a protected historical city
like Bruges if it became a megapolis over night? This was the
premise for the Bruges Triennial for Contemporary Art and
Architecture 2015. The triennial contrasted two opposing nar-
ratives: the static image of Bruges as a protected medieval city
that was restored and preserved from the nineteenth century
onward and a hypothetical twenty-first-century megapolis
version of the city.
O+A (Bruce Odland, Sam Auinger) were invited
in 2014 to develop a project for this festival. After longer stays
and studies on site, it became clear that the historical center of
Bruges is an urban space with a unique acoustic and auditory
6 QNL, or Quiet is the New Loud, is a project by O+A (Bruce Odland/Sam
Auinger) for the Triennial for Contemporary Art and Architecture 2015 in
Bruges, curated by Till Holger Borchert, http://www.triennalebrugge2015.
be/en/detail/19/o-a.
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funktioniert, die einerseits einen sehr geringen noise floor auf-
weist und andererseits nicht permanent vom motorisierten Be-
rufs- und Individualverkehr im Nahfeld belastet ist.
„Earmarks“. Während einer halbjährigen Recherche
wurde das historische Brügge auditiv erforscht und untersucht.
Aus dieser künstlerischen Forschung und dem dabei entstande-
nen Material wurde eine Karte der Hörorte in Brügge entwi-
ckelt (Abb. 1). Dieser spezielle Stadtplan erlaubt den Einwoh-
nerInnen und Touristen eine Reihe von verschiedenen Hörorten
aufzusuchen und deren innewohnenden auditiven Qualitäten
bewusst kennenzulernen und zu erleben. Dieser Projektteil
wirkt über die Triennale 2015 hinaus und ist auch weiterhin
im touristischen Angebot der Stadt präsent.
„Tuning Bruges“. Am Jan van Eyckplein wurde von
O+A eine kleine rote Liegerampe aufgestellt, die den vorbeifah-
renden Auto- und Busverkehr als Körpervibration, transformiert
und gestimmt auf ein musikalisches D, erlebbar machte (Abb.
3–4). Für diese Installation wurde ein Resonanzrohr verwendet,
welches den Umgebungsklang aufnahm, diesen stimmte (D) und
in seiner transformierten Form wieder auf die Rampe unter Ver-
wendung von zwei Transducern (Körperschalllautsprechern)
in Echtzeit übertrug. Bei diesem Projektteil ging es darum, in
Diskussion zu bringen, dass auch gegebener Stadtklang trans-
formiert und gestimmt werden kann. Dieser wird dadurch mu-
sikalisch wahrnehmbar.
„Sounding Bruges“. Türme, große Fenster und
Glockenspiele waren im Spätmittelalter und in der Renaissance
ein Zeichen für Reichtum im Europa der Kaufleute. Im Speziel-
len mit einem Carrillion, einem spielbaren, großen Glockenspiel,
das sich typischerweise in einem Turm oder einem eigens dafür
errichteten Bauwerk befand, wurden die weltliche Macht und
der Reichtum einer Handelsstadt gezeigt. Brügge besitzt eines
der weltgrößten Carillions. In einem 83 Meter hohen Turm sind
seine 47 Bronzeglocken aus dem 17. Jahrhundert beherbergt
(Abb. 6). Ein Automat bespielt es zu festen Zeiten mehrmals
täglich mit profanen Liedern und klassischen Themen.
Drei- bis fünfmal pro Woche gibt der städtische
Carillionneur ein Konzert. Durch die Höhe des Turms sind die
Glocken mit ihren verschiedenen Stimmungen ideale Akteure,
die diversen Akustiken der Stadt zu aktivieren und verschiede-
ne Echos, Hall und Resonanzphänomene erlebbar zu machen.
Sounding bruegge ist eine von O+A in Zusammenarbeit mit
dem Carillionneur Frank Deleu geschaffene Komposition, die
einerseits den musikalischen Duktus von profanen Liedern und
klassischen Themen mit ihrer permutativen Form durchbricht
und andererseits speziell durch die Zeitstruktur der Kompo-
sition die akustischen Features der diversen Architekturen
der Stadt hörbar macht. Das Stück wurde 43 mal während der
Triennale 2015 aufgeführt und sorgte sowohl bei den Einwoh-
nerInnen wie BesucherInnen für Diskussionen.
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55
“Sounding Bruges”. In the late Middle Ages and
the Renaissance, towers, large windows, and chimes were a
sign of wealth in the Europe of merchants. The worldly power
and wealth of a commercial city was demonstrated particularly
with a carillon, a set of large, playable bells, typically found in
a tower or an especially constructed edifice. Bruges has one of
the largest carillons in the world. Forty-seven bronze bells are
mounted in a tower eighty-three meters high from the seven-
teenth century (fig. 6). It is played by a machine at fixed times
every day with secular songs and classical themes.
The city carillonneur gives a concert three to five
times a week. Because of the height of the tower, the bells with
their different tunings are ideal actors for activating the acous-
tics of the city and making it possible to experience the various
echoes, reverberations, and resonance phenomena. Sounding
bruges is a composition created by O+A in collaboration with
the carillonneur Frank Deleu. On the one hand it breaks through
the musical style of secular songs and classical themes with its
permutative form, and on the other makes the acoustic features
of the various architectures of the city audible, especially through
the timing structure of the composition. The piece was per-
formed forty-three times during the triennial in 2015 and sparked
discussions among residents and visitors alike.
in an urban environment with a very low noise floor on the
one hand, and one that is, on the other hand, not permanently
encumbered by motorized professional and individual traffic
in the close surroundings.
“Earmarks”. During a six-month research stay, we
auditively explored and investigated historical Bruges. From
this artistic research and the resultant material, we developed a
map of listening sites in Bruges (fig. 1). This special map enables
residents and visitors to seek out various listening sites and
become consciously acquainted with their inherent auditory
qualities. This part of the project has gone beyond the Triennial
2015 and is still present in the city’s offers for tourists.
“Tuning Bruges”. O+A set up a small red ramp in
the Jan van Eyck Square, which makes it possible to experience
the noise of passing cars and buses as a bodily vibration, trans-
formed and musically tuned to a D (figs. 3–4) For this installa-
tion a resonance tube was used, which picked up the surround-
ing sound, tuned it (D), and transmitted it in its transformed
form back to the ramp in real time using two transducers. This
part of the project was intended to bring into the discussion
that existing urban sound can also be transformed and tuned.
In this way it becomes musically perceptible.
2
O+A, „„Songlines“, fliegender Lautsprecher |
Flying Speaker, Brügge | Bruges, 2015 © O+A
3
O+A, „„Tuning Bruegge“, Konzept und Installation |
Concept and installation, Brügge | Bruges, 2015 © O+A
4
O+A, „„Tuning Bruegge“, Konzept und Installation |
Concept and installation, Brügge | Bruges, 2015 © O+A
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Ruggles – Sound of Subway. Dieses Projekt7 war
eine mehrschichtige Analyse eines spezifischen auditiven öffent-
lichen Raumes: die Räume des Bostoner U-Bahnnetzes. Ziel war
es, zu untersuchen, was man durch Hören über den Ort und
dessen Eigenschaften erfahren kann, vor allem aber, wie sich
lokale sozioökonomische Gegebenheiten in der klanglichen
Umgebung wiederfinden.
Boston kann auf das älteste U-Bahnnetz des nord-
amerikanischen Kontinents verweisen und auf das drittälteste
System der Welt mit elektrischem Antrieb. Die Bostoner U-Bahn
ist besonders interessant, da sie von der Stadt nur in kleinen
Schritten partiell erneuert wurde und deshalb viele historische
Aspekte und Veränderungen bis heute gut ablesbar sind. Dieses
Palimpsest stellt Menschen mit Behinderung vor große Heraus-
forderungen. Die verschiedenen Linien und Stationen haben je-
weils ihren charakteristischen Klang. Ein weiterer Aspekt ist
die vielschichtige sozioökonomische Geografie Bostons, mit
Stadtteilen, die von unterschiedlichen Gruppen, Ethnien, und
sozialen Schichten geprägt werden. Verschiedene U-Bahnlinien
und -stationen haben ihr eigenes Publikum.
Ort der Analyse war die Station Ruggles, ein regiona-
ler Knotenpunkt an der MBTA Orange Line im Stadtteil Roxbury
am Campus der Northeastern University (Abb. 5). Innerhalb
der Stadt ist Ruggles ein interessanter Ort, da er einen vorwie-
gend von ethnischen Minderheiten bewohnten Stadtteil von ei-
nem wohlhabenden Innenstadtbereich und den Institutsgebäu-
den und Studentenwohnheimen der Universität trennt. Darü-
ber hinaus ist Ruggles der Ankunftsort von vielen per Bus und
Regionalbahn ankommenden Pendlern.
Die Analyse wurde gemeinsam mit Lehrenden und
Studierenden der Northeastern University und der Harvard
Graduate School of Design durchgeführt. Der Systembetreiber,
die Massachusetts Bay Transport Authority (MBTA), hatte sich
schon früher über den auditiven Raum der U-Bahn Gedanken
gemacht. Nach mehreren Gerichtsverfahren, welche die man-
gelnde Barrierefreiheit des veralteten Netzes aufgezeigt hatten,
hatte der Betreiber eine neue Gruppe ins Leben gerufen, die
das existierende System aus der Perspektive von Blinden, hör-
und mobilitätseingeschränkten Menschen untersuchen sollte
(Abb. 6). Einige der Studierenden widmeten sich Fragen der
7 Ein Workshop der Northeastern University und der Harvard Graduate
School of Design unter der Leitung von Sam Auinger, Sylvia Benedito
und Dietmar Offenhuber. Unterstützt durch das Isabella Stewart Gardner
Museum, das Goethe Institut Boston, das Center for the Arts und die
Metropolitan Boston Transport Authority (MBTA).
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Bay Transport Authority (MBTA) had already given some
thought to the auditive space of the subway. Following several
court cases pointing out the lack of accessibility in the old net-
work, the MBTA initiated a new group that was to investigate
the system from the perspective of visually and hearing-impaired
people and those with limited mobility (fig. 6). Some of the
students devoted their attention to questions of auditive legi-
bility, such as the relation of the signal sounds to one another,
for example, and their interaction with the surrounding spaces
and sound sources. Signal tones, announcements, and machine
noises were examined in terms of their sonic spectrum and their
mutual masking, and acoustically privileged and disadvantaged
spaces were identified. This resulted in a typology of acoustic
spatial qualities that generate different spatial atmospheres.
To understand the different qualities of the basic
sound in different places in and outside of the station, a group
of students developed an acoustic “toolbox” as an alternative
form of depiction. This consisted of a number of objects: a coin,
a key, a notebook, and an empty plastic bottle. At the site of in-
vestigation each of these objects was dropped on the ground,
and attention was given to the sound formed by the surround-
ing architecture. Alternatively to technical methods of measuring,
which reduce the auditive atmosphere to a few ciphers, here a
systematic way of measuring was developed that focused on
personal experience and the rich manifestations of sound forms.
The role of the station in the urban planning context
was also analyzed. Here the students investigated how far the
noise emissions of the subway can be heard and how they relate
to other dominant sound sources in the surroundings of the
subway station. On the densely built university side there is a
diverse sonic space modulated by the various building facades,
spaces between buildings, raised surfaces, and small parks. On
the opposite side the urban sound space is marked by a street
with heavy traffic and a police station, which is tellingly locat-
ed directly next to a social housing complex and is the starting
point for countless police operations with running sirens.
Ruggles: Sound of Subway. This project7 was a
multilayered analysis of a specific auditory space: the spaces of
the Boston subway network. The aim was to investigate what
could be discovered about a place and its characteristics by lis-
tening, but most of all to find out how local socio-economic
conditions are reflected in the sonic environment. Boston has
the oldest subway network on the North American continent
and the third-oldest system in the world with an electrical drive
system. The Boston subway is especially interesting, because it
was only partially renovated by the city in small steps, so that
many historical aspects and changes are still clearly legible today.
This palimpsest poses major challenges to people with handi-
caps. The different lines and stations each have their own char-
acteristic sound. A further aspect is the multifaceted socio-eco-
nomic geography of Boston, with neighborhoods marked by
different groups, ethnic minorities, and social classes. Various
subway lines and stations have their own publics.
The site of analysis was the station Ruggles, a region-
al node of the MBTA Orange Line in the district of Roxbury
on the campus of the Northeastern University (fig. 5). Ruggles
is an interesting place within the city, because it separates a neigh-
borhood inhabited mostly by ethnic minorities from a prosper-
ous city center area and the institute buildings and student dor-
mitories of the university. In addition, Ruggles is where many
commuters arrive by bus and regional train.
The analysis was conducted together with teachers and
students from the Northeastern University and the Harvard Grad-
uate School of Design. The system operator, the Massachusetts
7 A workshop of the Northeastern University and the Harvard Graduate
School of Design under the direction of Sam Auinger, Sylvia Benedito,
and Dietmar Offenhuber. Supported by the Isabella Stewart Gardner
Museum, the Goethe-Institut Boston, the Center for the Arts, and the
Metropolitan Boston Transport Authority (MBTA).
5
O+A, „„Ruggles – Sound of Subway“, MBTA Station, Boston, 2015
© Dietmar Offenhuber
6
O+A, „„Sounding Bruges“,
Glockenturm mit Carillions |
Bell tower with carillons, Brügge |
Bruges, 2015 © Ad Meskens/
Wikimedia Commons
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auditiven Lesbarkeit, wie zum Beispiel dem Verhältnis der Signal-
klänge zueinander und deren Interaktion mit den umgebenden
Räumen und Schallquellen. Signaltöne, Durchsagen und Maschi-
nengeräusche wurden auf ihr klangliches Spektrum und ihre
gegenseitige Maskierung hin untersucht und akustisch privile-
gierte und benachteiligte Räume identifiziert. Es entstand eine
Typologie akustischer Raumqualitäten, die unterschiedliche
Raumatmosphären erzeugen.
Um die verschiedenen Qualitäten des Grundklanges
an verschiedenen Orten in und außerhalb der Station zu verste-
hen, entwickelte eine Gruppe von StudentInnen einen akusti-
schen „Werkzeugkasten“ als alternative Form der Darstellung.
Dieser bestand aus einer Reihe von Objekten: einer Münze, ei-
nem Schlüssel, einem Notizbuch und einer leeren Plastikflasche.
Am Ort der Untersuchung wurde jedes dieser Objekte auf den
Boden fallen gelassen und dabei auf das Geräusch geachtet, das
von der umgebenden Architektur geformt wurde. Alternativ
zu technischen Messmethoden, welche die auditive Atmosphä-
re auf wenige Kennziffern reduziert, wurde hier eine systema-
tische Art der Messung entwickelt, die das persönliche Erleben
und die reichhaltigen Erscheinungsformen der Klänge im Zen-
trum hat.
Analysiert wurde auch die Rolle der Station im städte-
baulichen Zusammenhang. Hier wurde untersucht, wie weit die
Schallemissionen der U-Bahn zu hören sind und wie diese mit
anderen dominanten Schallquellen im Umfeld der U-Bahnsta-
tion in Beziehung treten. Auf der dichter bebauten Universitäts-
seite findet man einen abwechslungsreichen Klangraum, der
durch verschiede Gebäudefassaden, umbaute Räume, erhöhte
Flächen und kleine Parks moduliert wird. Auf der Gegenseite
wird der städtische Klangraum durch eine stark befahrene Stra-
ße sowie durch ein Polizeihauptquartier geprägt, das sich be-
zeichnenderweise unmittelbar neben einem sozialen Wohnbau-
komplex befindet und Ausgangspunkt unzähliger Einsatzfahr-
ten mit laufenden Sirenen ist.
Zusammenfassung. Beide Projekte zeigen, wie ein
„Denken mit den Ohren“ funktionieren kann – eine wissens-
generierende Praxis, die sich im persönlichen Wahrnehmen der
auditiven Qualitäten von Räumen und Orten übt.
Beim Denken mit den Ohren geht es nicht um unser
alltägliches, wissendes und orientierendes Hören („ja, ich höre
einen Zug“). Es geht zum Beispiel um den Klangverlauf, das
Wahrnehmen vom Anschwellen und Abfallen eines Klangereig-
nisses, um das damit einhergehenden Besetzen von Raum, um
das Wieder-Freigeben der Klangumgebung und um die Fragen:
Wie fühle ich mich dabei? Was für eine Atmosphäre hat dieser
Ort? Wie ist seine Stimmung ?
Bei fortschreitender Übung in diesem anderen Hören
und dem sich dabei bildenden Klanggedächtnis für (Raum-)
Klang entwickeln wir ein qualitatives Klangbewusstsein und ei-
ne Sprache dafür. Und das Wichtigste: Wir beginnen unser Hö-
ren mit unserer eigenen persönlichen Geschichte und der momen-
tanen Stimmungslage zu verknüpfen. Wir beginnen, unser Hören
als kulturell gestaltet zu verstehen und zu empfinden.
Diese Praxis schafft neue Zugänge für jeglichen archi-
tektonischen und raumplanerischen Gestaltungsprozess und
erlaubt es, die komplexen auditiven Wirkungszusammenhänge
unserer Lebenswelten und öffentlichen Räumen gemeinsam zu
diskutieren. Mit den Ohren denken bedeutet auch, über den
Begriff des Lärmes als unerwünschte Externalität hinauszuge-
hen und stattdessen Schallemissionen differenziert wahrzuneh-
men: als Informationsquelle, die uns hilft, jene Prozesse und
Infrastrukturen besser zu verstehen, die wir ansonsten unhin-
terfragt hinnehmen. ■
7
O+A, „„Ruggles – Sound of Subway“,
Akustische Raumwahrnehmung aus der Perspektive von
seh- und höreingeschränkten Menschen | Perception of
auditive space from the perspective of visually and
hearing-impaired people Boston, 2015 © Dietmar Offenhuber
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our own personal history and the momentary mood situation.
We begin to understand and sense our hearing as being cultur-
ally shaped.
This practice creates new approaches for every archi-
tectural and urban planning design process, and it allows us to
discuss the complex auditive interactions of our life worlds and
public spaces together. Thinking with the ears also means going
beyond the concept of noise as an undesired externality and per-
ceiving sonic emissions in a differentiated way instead: as a source
of information that helps us to better understand the processes
and infrastructures that we otherwise accept unquestioningly. ■
Translation: Aileen Derieg
Conclusion. Both projects show how “thinking with
the ears” can work—a knowledge-generating practice that ex-
ercises personal perception of the auditive qualities of spaces
and places.
Thinking with the ears is not about our everyday,
knowing and orientating hearing (“Yes, I hear a train.”). It in-
volves, for example, the course of a sound, the perception of the
rising and falling of a sonic event, the associated occupation of
space, the release of the sound environment, and the questions:
How do I feel here? What kind of atmosphere does this place
have? What is its mood?
As the exercise of this different hearing progresses
and sound memory for (spatial) sound forms along with it, we
develop a qualitative sound consciousness and a language for it.
And what is most important: we begin to link our hearing with