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Editorial · DOI: 10.3217/zfhe-14-03/01
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Claude MÜLLER
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, Petra BARTHELMESS, Christian BERGER,
Gunther KUCZA, Maximilian MÜLLER & Philipp SIEBER (ZHAW)
Editorial: Flexibles Lernen an Hochschulen
gestalten
Zum Themenschwerpunkt
Die zunehmenden Herausforderungen an Hochschulen, sei es der digitale Wandel
oder das zunehmend kompetitive Umfeld mit anspruchsvollen, hochgradig mobilen
und globalisierten Studierenden, führen dazu, dass von Hochschulen mehr Flexibi-
lität und Individualisierung in ihren Bildungsangeboten erwartet wird. Flexibles
Lernen oder Flexible Learning ist ein breiter Begriff mit unterschiedlichen Inter-
pretationen (DE BOER & COLLIS, 2005; LI & WONG, 2018). Ganz allgemein
formuliert, sollen flexible Lernangebote durch verschiedene Optionen beim Lern-
angebot den Studierenden ermöglichen, ihre Aus- und Weiterbildung bestmöglich
an ihren individuellen Lebenskontext anzupassen (MÜLLER & JAVET, 2019). Im
Zentrum von flexiblem Lernen stehen damit die Lernenden mit ihren Bedürfnissen,
und die Bildungsangebote sollen ihnen die Möglichkeit geben, selber zu entschei-
den, was, wann, wie und wo gelernt wird (HEA, 2015). Flexibilität kann sich auf
unterschiedliche Aspekte im Lehr-/Lernprozess beziehen; gemäß LI und WONG
(2018) sind dies: Zeit (time), Inhalt (content), Zugangsvoraussetzungen (entry re-
quirement), Bereitstellung (delivery), didaktische Gestaltung (instructional ap-
proach), Beurteilung und Bewertung (assessment), Lernressourcen und Support
(resource and support) sowie Orientierung und Ziele (orientation and goal). Heut-
zutage wird flexibles Lernen vor allem durch den Einsatz neuer Technologien rea-
lisiert (TUCKER & MORRIS, 2012). Flexibles Lernen, digitales Lernen, Blended
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oder Distance Learning werden denn auch häufig sinngleich verwendet. Die oben-
genannten Dimensionen zeigen jedoch, dass flexibles Lernen weit mehr ist als nur
der Einsatz von neuen Technologien. Diese dienen aber als wichtige Enabler, mit
denen flexible Lernumgebungen gestaltet werden können.
Flexibles Lernen umfasst in seiner Breite verschiedenste Lernformen und kann,
wenn vor allem die Dimensionen Ort und Zeit betont werden, eher in die Richtung
des klassischen E-Learning verstanden werden, oder aber wenn es z. B. auf die
Dimensionen Lernpfad und Inhalt ausgedehnt wird, auch als Seamless Learning
interpretiert werden. Es schließt dann das Lernen in formellen/informellen Kontex-
ten innerhalb und außerhalb des Unterrichts (WONG & LOOI, 2011) mit ein. Eine
wichtige Frage ist dabei, wie non-formal (z. B. in betriebsinternen Kursen) und
informell (z. B. durch berufliche, private Aktivitäten) erworbene Kompetenzen
anerkannt werden können (CEDEFOP, 2015).
Bei der Implementation von flexiblem Lernen müssen zwei Perspektiven adressiert
werden (MÜLLER, STAHL, LÜBCKE, & ALDER, 2016). Die institutionelle Per-
spektive stellt Fragen, wie die Lernorganisation und die didaktische Ausgestaltung
aussehen müssen, um beispielsweise den zeitlich und räumlich unabhängigen Zu-
griff auf Lernressourcen zu gewährleisten, oder wie Schnittstellen zwischen der
akademischen Ausbildung und deren Umsetzung in die Praxis gestaltet werden
können. Aus Sicht der Lernenden muss beachtet werden, dass flexibles Lernen
Studierende in die Lage versetzt, einen selbstbestimmten Lernweg zu wählen und
das Lernen entsprechend selbst zu regulieren; sie sind stärker als zuvor für den
eigenen Lernprozess verantwortlich. Dies stellt auch höhere Anforderungen an das
persönliche Zeitmanagement und die Selbstregulation (MÜLLER, STAHL, AL-
DER & MÜLLER, 2018).
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Editorial
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Das momentan große Interesse am Thema Flexibles Lernen zeigt sich an der Viel-
zahl an eingereichten Beiträgen für dieses Themenheft. Die ausgewählten 22 Bei-
träge dieses Sonderheftes zum Higher and Professional Education Forum 2019 in
Winterthur diskutieren die aufgeführten Themenschwerpunkte zu flexiblem Lernen
a) Studentische Bedürfnisse, b) Kompetenzförderung, c) Implementation und Eva-
luation, d) Digitale Tools und Lernumgebungen sowie e) Didaktisches Design. Sie
geben einen guten Überblick über den Forschungs- und Praxisstand zu flexiblem
Lernen in der akademischen Grund- und Weiterbildung im deutschsprachigen
Raum.
a) Studentische Bedürfnisse
Martina Feldhammer-Kahr, Stefan Dreisiebner, Manuela Paechter, Markus Som-
mer und Martin Arendasy untersuchen, in welchen Bereichen der Lehre sich Stu-
dierende eine stärkere Flexibilisierung wünschen und inwieweit sich diese Wün-
sche von der Einschätzung Lehrender unterscheiden. Die Ergebnisse zeigen, dass
Studierende und Lehrende in ihren Präferenzen zur flexiblen Lehrveranstaltungsge-
staltung zum großen Teil übereinstimmen, sich aber auch in einzelnen Bereichen
unterscheiden.
Barbara Neunteufl, Julia Dohr, Franziska Chen und Julia Spörk analysieren die
studentischen Bedürfnisse nach Flexibilität im Studium im Zusammenhang mit
ihren individuellen Lebenskontexten anhand studentischer Befragungen und setzen
diese mit aktuellen Maßnahmen an der eigenen Hochschule in Bezug.
b) Kompetenzentwicklung
Sebastian Vogt und Cornelia Eube stellen anhand dreier Module der Medieninfor-
matik dar, wie personale Kompetenzen in der Studieneingangsphase durch den
Einsatz von flexiblen Studienelementen gefördert werden können.
Daniela Schmidt, Anja Hawlitschek, Andreas Kasperski, Wenke Lungenmuß, Mari-
anne Merkt, Anja Schulz und Lavinia Ionica zeigen mittels einer Prä-Post-Studie
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auf, wie mittels eines flexiblen Online-Kurses die Entwicklung der hochschul- und
vor allem mediendidaktischen Kompetenzen von Lehrenden erfolgreich gefördert
werden können.
Günther Wenzel, Christa Walenta und Ingrid Wahl stellen vor, wie Flexibilität im
Rahmen eines Moduls im Fernstudiengangs ermöglicht wird und durch den geziel-
ten Einsatz strukturgebender Elemente einer mangelnden Integration und Kommu-
nikation sowie allfälligen Schwächen beim selbstregulierten Lernen begegnet wer-
den kann.
c) Implementation und Evaluation von flexiblem Lernen
Katrin Brinkmann diskutiert die Herausforderungen einer nachhaltigen Implemen-
tation von Maßnahmen flexiblen Lernens durch digitale Medien und zeigt anhand
einer qualitativen Studie, dass dafür eine hochschulweite Strategie von zentraler
Bedeutung ist.
Marlen Dubrau, Corinna Lehmann und Jana Riedel leiten eine Systematik von
Flexibilisierungsmaßnahmen mit den Ebenen Lehrveranstaltung, Studiengang und
Hochschule her und verorten darin die an der eigenen Hochschule erprobten Kon-
zepte und diskutieren diese hinsichtlich ihrer Potenziale zur Übertragbarkeit.
Kim Laura Austerschmidt und Sarah Bebermeier zeigen mittels einer längsschnitt-
lichen Befragung von Studierenden auf, dass eine zunehmende Flexibilisierung
eines Psychologie-Moduls eine verstärkte Nutzung der Lernangebote und einen
höheren Studienerfolg nach sich zieht.
Jeremy Dela Cruz, Christian Olivier Graf und Anika Wolter evaluieren flexibles
Lernen im Rahmen einer Fallstudie und stellen ihre Vorgehensweise, welche sich
an bestehende Kompetenzrahmen orientiert, sowie Ergebnisse vor.
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d) Digitale Tools und Lernumgebungen
Lukas Lutz und Frank Mayer stellen den digitalen Studienassistenten „Smart Suc-
cess“ vor, welcher durch die Möglichkeiten der Studienverlaufsplanung, -steu-
erung, -beratung sowie einem Frühwarnsystem das flexible Studieren fördert.
Roger Seiler und Stefan Koruna zeigen anhand einer Lehrveranstaltung zu
Emerging Technologies auf, wie eine virtualisierte Lernumgebung ein flexibles,
mobiles und betriebssystemunabhängiges Lernen ermöglicht.
Bledar Fazlija beschreibt, wie der Einsatz von so genannten Intelligent Tutoring
Systemen (IST) flexibles Lernen in der Hochschulbildung unterstützen kann, und
demonstriert dies anhand Lernszenarien im Bereich des Assessments und Feed-
backs.
Christian Glahn und Marion R. Gruber zeigen anhand einer mehrjährigen Seam-
less-Learning-Studie, wie mobile Technologien die Kontextualisierung und Flexi-
bilisierung von Lehrangeboten unterstützen können.
Karin Landenfeld, Jonas Priebe und Malte Eckhoff stellen die videobasierte inter-
aktive Online-Lernumgebung viaMINT vor, mit welcher sich die Studierenden
ausgehend von ihren Vorkenntnissen individualisiert und flexibel auf ihren gewähl-
ten Studiengang vorbereiten können.
Judyta Franuszkiewicz, Silke Frye, Claudius Terkowsky und Sabrina Heix zeigen
auf, wie durch ein didaktisches Redesign sowie durch den Einsatz eines Remote-
Labors flexibles Lernen gefördert werden kann.
Franziska Greiner, Nicole Kämpfe, Dorit Weber-Liel, Bärbel Kracke und Julia
Dietrich stellen das hochschuldidaktische Konzept der digitalen Differenzierungs-
matrix vor – ein digitales Selbststudientool, welches Studierenden gemäß den un-
terschiedlichen Lernvoraussetzungen individuelle Lernmaterialien bereitstellt.
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e) Didaktisches Design von flexiblem Lernen
Imke Buß demonstriert mittels Strukturgleichungsmodell, dass flexibles Lernen
nicht nur durch E-Learning ermöglich werden kann, sondern dass auch eine gerin-
ge Anzahl an Semesterwochenstunden, ein hoher Anteil an Wahlmöglichkeiten
oder die regelmäßige Verteilung von Prüfungen zentrale Faktoren sind.
Anke Hanft, Stefanie Kretschmer und Valerie Hug zeigen auf, wie ein Modul nach
den Prinzipien des Inverted Classroom Models (ICM) und unter Zugrundelegung
des Konzepts der individuellen Lernpfade unter Einbindung digitaler Technologien
umgestaltet werden kann, und diskutieren Erfahrungen und Gelingensbedingungen.
Claudia Mertens, Fabian Schumacher, Oliver Böhm-Kasper und Melanie Basten
beschreiben die Umsetzung von Inverted Classroom in einem Modul und diskutie-
ren den Ansatz im Rahmen einer Evaluation mittels qualitativer Befragungen an-
hand der Dimensionen von flexiblen Lernens nach LI und WONG (2018).
Bernadette Dilger, Luci Gommers, Christian Rapp, Marco Trippel, Andreas Butz,
Simon Huff, Rainer Mueller und Ralf Schimkat gehen in ihrem Artikel zu Seamless
Learning auf eine Herausforderung von flexiblem Lernen ein, nämlich, dass dieses
in verschiedenen Kontexten stattfinden kann. Sie stellen ihr Beratungskonzept und
-tool bei der Begleitung von sieben Seamless-Learning-Umsetzungskonzepten vor
und reflektieren ihre Erfahrungen.
Stefan Koruna, Michael Zbinden und Roger Seiler zeigen die Entwicklung von
MOOCs in den letzten Jahren auf und diskutieren, inwiefern die Hochschulbildung
durch diese flexibilisiert wird.
Elske Ammenwerth, Werner O. Hackl und Michael Felderer stellen das didaktische
Design eines online-gestützten, postgraduellen Universitätslehrgangs vor – insbe-
sondere die Lernaufgaben in Form von Etivities – und beleuchten auf Basis einer
Analyse von Log-Daten, studentischer Evaluationen sowie studentischer Reflexio-
nen die Akzeptanz sowie die Herausforderungen des flexiblen Lernens aus Sicht
der Lernenden.
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Abschließend gilt der Dank den vielen ehrenamtlich tätigen Gutachterinnen und
Gutachtern, ohne die das Themenheft gar nie möglich wäre. Wir sagen danke in
alphabetischer Reihenfolge an: Balthasar Eugster, Reinhild Fengler, Christian
Glahn, Fabienne Javet, Roger Johner, Stephan Jörissen, Gerd Kortemeyer, Cécile
Ledergerber, Maren Lübcke, Lisa Messenzehl-Kölbl, Christoph Negri, Charlotte
Nüesch, Benno Volk, Ricarda Reimer, Christian Rapp, Andrea Reichmuth, Klaus
Rummler, Ute Woschnack.
Literaturverzeichnis
Cedefop (2015). European Guidelines for validating non-formal and informal
learning. Luxembourg: Publications Office. https://doi.org/10.2801/008370
De Boer, W. & Collis, B. (2005). Becoming more systematic about flexible
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HEA (2015). Framework for flexible learning in higher education. Heslington:
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Stand vom 30. August 2018.
Li, K. C. & Wong, B. Y. Y. (2018). Revisiting the Definitions and Implementation of
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Müller, C. & Javet, F. (2019). Flexibles Lernen als Lernform der Zukunft? In
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96). Bern: Hep-Verlag.
Müller, C., Stahl, M., Alder, M. & Müller, M. (2018). Learning effectiveness and
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C. Müller, P. Barthelmess, Ch. Berger, G. Kucza, M. Müller & Ph. Sieber
www.zfhe.at
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Müller, C., Stahl, M., Lübcke, M. & Alder, M. (2016). Flexibilisierung von
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Herausgeber/innen
Prof. Dr. Claude MÜLLER School of Management and Law,
ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften
CH-8400Winterthur
www.zhaw.ch/zid
muew@zhaw.ch
Prof. Dr. Petra BARTHELMESS School of Management and
Law, ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften
CH-8400Winterthur
www.zhaw.ch/sml
base@zhaw.ch
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Dr. Christian BERGER School of Management and Law,
ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften
CH-8400Winterthur
www.zhaw.ch/sml
bere@zhaw.ch
Prof. Dr. Gunther KUCZA School of Management and Law,
ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften
CH-8400Winterthur
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kuca@zhaw.ch
Dr. Maximilian MÜLLER School of Management and Law,
ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften
CH-8400Winterthur
www.zhaw.ch/sml
mlxi@zhaw.ch
Prof. Dr. Philipp SIEBER School of Management and Law,
ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften
CH-8400Winterthur
www.zhaw.ch/sml
siee@zhaw.ch