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Heinz-Dieter Pohl* UDK [811.112.2'373.45:811.163.6]:641.5(436.5)
Universität Klagenfurt DOI: 10.4312/linguistica.59.1.253-265
DEUTSCH-SLOWENISCHE WECHSELBEZIEHUNGEN
IN DER SPRACHE DER TRADITIONELLEN KÄRNTNER KÜCHE
0 EINLEITUNG
Deutsch-slowenische Sprachkontakte nden im südlichsten österreichi schen Bun-
desland Kärn ten seit vielen Jahrhunderten statt. Seit Beginn der Landesgeschichte,
als das Herzogtum Kärnten (im Jahre 976) errichtet wurde, sind sowohl Slowe-
nen als auch Deutsche die autochthone Bevölkerung; allerdings breitet(e) sich das
Deutsche bis zum heutigen Tag auf Kosten des Slowenischen immer mehr aus. Auf
der Ebene der alltäglichen Umgangs sprache und der Mundarten beruht die Beein-
ussung der beiden Sprachen durchaus auf Gegenseitigkeit, wenngleich das Ein-
wirken des Deutschen auf das Slowenische weitaus stärker ist bzw. in den letzten
Jahrzehnten noch zugenommen hat, nicht zuletzt eine Folge der Prädominanz der
deutschen Sprache – dennoch hat das Deutsche im gemischtsprachigen Gebiet auf
der Ebene der Umgangssprache und der Mundarten einen slowenischen „Touch“
erhalten. Somit ist diese „Gegenseitigkeit“ sowohl in der Namengebung (v.a. Fami-
lien- und Ortsnamen) als auch in der Volkskultur deutlich feststellbar wie u.a. auch
im Brauchtum und in der Küche. Im Folgenden werden rund 16 traditionell Kärntner
Speisen mit ihren Bezeichnungen in beiden Sprachen vorgestellt und hinsichtlich
ihrer Herkunft erklärt.
1 REIN(D)LING UND ŠARTELJ/ŠARKELJ
Eine der bekanntesten Kärntner Speisen ist der Reindling (so meist geschrieben
nach der Aussprache) oder historisch richtig Reinling. Er ist nach der Rein(e) ‘runde
Schüssel oder Kasserolle; rundes, niederes Koch- oder Backgefäß; randhohe, irdene
Pfanne’ so benannt (Miklau 1964: 158)1 und das Kärntner Pendant zum Wiener Gu-
gelhupf, wenn sich auch Her stellungsweise und Form auseinanderentwickelt haben.
Im Gegensatz zur typischen Gugelhuporm hat der „echte“ Kärntner Reindling kein
Loch in der Mitte (vgl. Miklau 1964: 93). Er wird aus feinem Germ- bzw. Hefeteig
(mit Ei) hergestellt, der ausgerollt, mit Zucker oder Honig, Rosinen und Zimt bestreut
und wieder zusammengerollt, in die Reine (oder auch Gugelhuporm) eingelegt und
gebacken wird.2 Der (alte) Wiener Gugelhupf wurde ganz ähnlich hergestellt, aller-
dings nicht ausgerollt und gefüllt, sondern es wurden nur Rosinen unter den Teig
* heinz.pohl@chello.at
1 Zum Lautlichen Kranzmayer (1949: 454).
2 Rezepte s. bei Miklau (1964: 93) oder Setz (1993: 91).
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gemischt und dieser wurde dann in der mit Mandelsplittern ausgelegten Gugelhupf-
form im Backrohr gebacken (Maier-Bruck 1984: 608).3
Der Reindling ist vom Lienzer Becken bis ins Südburgenland verbreitet; seine west-
liche Ausdehnung stimmt mit dem mundartlichen Merkmal der „Kärntner Dehnung“
überein (Kranzmayer 1949: 454). Der Vorläufer des „Reindlings“ war das Schartl
(‘Schärtlein’), so heute noch in Rückzugsgebieten der Steiermark (Kranzmayer 1949:
455). Dieses Wort ist deshalb interessant, da es einer der slowenischen Bezeichnungen
des Reindlings, šartelj oder šarkelj, zugrundeliegt, z. B. dem Mießtaler koroški šarkelj
‘Kärntner Reindling’ (Angerer 1997: 132) oder dem Gailtaler šartelj (Grundrezept ähn-
lich den vorherigen, alternativ auch mit Nussfülle, so Angerer 1997: 219, Bezlaj 2005:
11f.; vgl. weiters Striedter-Temps 1963: 216 mit Lit.). Dieses Wort geht auf mittel-
hochdeutsch scharte ‘Röstpfanne’ zurück, leitet sich also ebenfalls vom Kochgeschirr
ab. Schärtel bzw. Schärtling, in Kärnten auch Schartling, sind heute abgekommene
Wörter für den alten (gemeinbairisch-süddeutschen) Gugelhupf.4
2 POGAČA UND POGATSCHERL
Ein anderes slowenisches Wort für den ‘Reindling’ ist pogača (Bezlaj 1995: 73), so
z. B. im Rosental (ähnlich wie der Kärntner Reindling zubereitet, Fülle mit Nüssen,
Rosinen, Zucker, Vanillezucker und Rum oder Variante mit Karobemehl, Zimt, ge-
hackten Feigen und Rum, so Angerer 1997: 177) oder auf der Sattnitz jabolčna pogača
‘Apfelreindling’ (mit Fülle aus geschnittenen Äpfeln mit Zimt und Zucker, so (Angerer
1997: 50).5 Dieses Wort – in der slowenischen Mundart meist pohača gesprochen – ist
eine Entlehnung aus romanisch focatia/focacea bzw. mittellateinisch focantia, und be-
zeichnete früher eine Art Weißbrot, vgl. in Tirol Fochaze ‘eine Brotart aus Weizenmehl
ohne Germ bzw. Hefe zu bestimmten Zeiten gebacken’ (Schatz 1993: 182). In die deut-
schen Mundarten Kärntens ist das Wort als Fochenze eingegangen, zuletzt nur mehr in
Oberkärnten gebräuchlich (Kranzmayer 1949: 456), schon seit althochdeutscher Zeit
belegt, z. B. vochanza (Kloster Mondsee). Miklau (1964: 92 u. 155) erklärt das Wort
als ‘Osterbrot mit eingebackenen Trockenfrüchten und Nüssen’ und bietet ein Rezept,
das auch den Namen „Kärntner Kletzenbrot“ hat.
Im Deutschen ist heute nur die slowenische Lautung Pogatsche(n) oder Pohatscha
gebräuchlich. Übrigens wird seit einigen Jahren in Ferlach/Borovlje ein Pohača-Fest
veranstaltet, das sich auch bei der deutschsprachigen Bevölkerung großer Beliebtheit
erfreut. Ein Diminutiv zu diesem Wort, Pogatscherl, gibt es auch in der Wiener Küche:
3 Heute versteht man in Wien unter Gugelhupf eher einen ohne Germ hergestellten Kuchen, wie er
im Binnendeutschen als „Napfkuchen“ bekannt ist, entweder mit Mandeln und Rosinen oder als
„Marmorgugelhupf“, indem vor dem Backen ein Drittel des Teiges mit Kakao oder Kochschoko-
lade (ohne Rosinen) vermischt wird, um das „marmorierte“ Muster beim Anschnitt zu erzeugen
(Kofranek 1975: 415f.).
4 Dieser ist nach Zehetner (2005: 162f. ein „Satzname“ nach dem Wunsch Gugel, hupf! ‘Gugel
(= gewölbtes, gerundetes Ding) spring heraus (aus der Form)’, eventuell auch dissimiliert aus
Gugel-gupf (Gupf ʻsich nach oben Wölbendes, höchster Punktʼ).
5 In Tschachoritsch/Čahorče erhoben.
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Grammel pogatscherl. Dies ist ein Weingebäck, das es sowohl in einer pikanten (mit
Salz und Kümmel) als auch süßen Variante gibt (vgl. Pohl 2007: 116 mit Lit.).
3 MEISCHEL/MEISCHERL UND MAJŽELJ
Eine weitere slowenische Bezeichnung für den ‘Reindling’ ist majželj (vgl. Bezlaj
1982: 173 s. v. maželj), worauf im Deutschen auch die Maischeln oder Maischerln
‘Netzlaibchen’ zurückgehen (in anderen Gegenden Kärntens auch Leberlan genannt).
Auf den ersten Blick scheint es recht merkwürdig, dass eine Süß- und eine Fleisch-
speise mit dem gleichen Wort bezeichnet werden, doch die Lösung liegt im Grundwort,
das ursprünglich ‘Schnitte’ bedeutet hat (s. u.). Im Gailtal nden wir drei majželj ge-
nannte Speisen, den ‘Festtagsreindling’ majželj mit Fülle aus Rosinen, Zimt, Nüssen,
Rum, Vanillezucker und Anis (Angerer 1997: 221), den ‘Eierreindling’ jajčni majželj
mit Teig, wie er auch für Faschingskrapfen verwendet wird (Angerer 1997: 220) und
‘Biestmaischeln’ mlezivni majželjni, eine Hauptspeise aus Biestmilch6 (mit Weizen-
mehl, Eiern, Salz und Anis (Angerer 1997: 211).
Im deutschen Sprachgebrauch sind die Maischerln nur als Hauptspeise (obligater
Bestandteil der „Schlachtplatte“) bekannt, zubereitet aus Schweinskopf und faschier-
tem Beuschel mit Herz, vermischt mit Rollgerste (oder Hirsebrein) und reichlich Ge-
würz.7 Die so entstandene Masse wird in das Netz eingerollt und gebraten. Im Slo-
wenischen begegnet das Wort mit dieser Bedeutung in mehreren Varianten, auf der
Sattnitz mavželj, ebenso im Rosen- und Mießtal (Angerer 1997: 38, 131 u. 171 mit
Rezepten); im Gailtal in der Verkleinerungsform8 majžlč (Angerer 1997: 213) und im
Kanaltal als maželj (Angerer 1997: 233). Das slowenische Wort majželj usw. ist aus
altem bairischen *meisilī, Verkleinerungsform zu Maise(n) ‘Schnitte’, entlehnt (vgl.
Striedter-Temps 1963: 174 mit Lit. sowie Bezlaj 1982: 173 s. v. maželj) und ins Deut-
sche als Maischel (-ale) bzw. Maischerl rückentlehnt worden.
4 PFANNZELTEN UND FANCELJ
Unseren Fleischlaibchen (oder mundartnah Fleischlaberln) entsprechen in Bayern
die Fleischpanzeln (im nördlichen Deutschland meist Frikadellen, in und um Berlin
Buletten genannt, im Südwesten Fleischküchle, neben weiteren Bezeichnungen (vgl.
Seibicke 1983: 80 mit Karte). Doch diesem bayerischen Panzel liegt ein älteres Pfan-
zel zugrunde, das selbst ein gekürztes Pfannzelte ‘Pfannkuchen, in der Pfanne Geba-
ckenes u. dgl.’ ist (vgl. Zehetner 2005: 263 u. 265). In älteren Kärntner Kochbüchern
kommt dieses Wort ebenfalls vor, so z. B. Blutpfanzl (Pfannengericht aus Blutwurst-
masse, Miklau 1964: 36) oder Hadn- bzw. Türkenpfanzl (aus Buchweizen- oder Mais-
mehl, Miklau 1964: 70f.). Statt Pfanzl (auch Panzl wie in Bayern!) wird auch Tomele
6 Unter Biestmilch (auch Kolostralmilch, slowenisch mlezivo) versteht man die Erstmilch oder
Vormilch. Angerer (1997: 211 u. 1998: 176) schreibt mlezvni majželjni.
7 Die genaue Rezeptur s. bei Miklau (1964: 37) und Setz (1993: 57f.), bei Maier-Bruck (1984: 88)
‘Netzlaibchen’ genannt.
8 Das Grundwort majželj ist ja schon für den ‘Reindling’ (s. o.) vergeben.
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verwendet. So verschieden also die Fleischlaibchen und -panzeln auf den ersten Blick
auch sein mögen – das Pfanzel ist ein altes gemeinbairisches Wort. Auch hier ist das
Slowenische ein Zeuge alter sprachlicher Verhältnisse. Während im österreichischen
Deutschen das Wort längst aus dem modernen Wortschatz verschwunden ist, haben es
die Kärntner Slowenen bis heute konserviert, als Süßspeise z. B. ancati ‘Strauben’
(Satt nitz, Angerer 1997: 43f.) oder piškotni fancelj ‘Pfannzelten’ (aus Eiern, Mehl,
Salz und Butter gebacken und danach aufgeschnitten, eine Art Suppeneinlage, Jauntal,
Angerer 1997: 109). In den slowenischen Mundarten kommt das Wort in mehreren
Varianten vor: fancelt, fancelj, f(l)ancat usw. (Striedter-Temps 1963: 114 mit Lit.),
dem ein altes, mittel hochdeutsches phan-zëlte ‘Pfannen kuchen’ zugrundeliegt, das zu
bairisch Pfänzlein umgeformt wurde. Das -l- im jüngeren Panzel ist sekundär, wohl in
Anlehnung an Panze (man vgl. auch die slowenische Variante ancat mit -l-).
5 KRAPFEN UND KRAPI
Unter einem Krapfen versteht man (auch in Bayern und überhaupt im süddeutschen
Raum) heute in erster Linie ein Süßgebäck aus Germ- bzw. Hefeteig, meist mit Marme-
lade gefüllt, so als ‘Faschingskrapfen’ v.a. in Wien oder als ‘Bauernkrapfen’ (auch in
Fladen- oder Radform, mehrere Rezepte bei Setz 1993: 76.) in Kärnten allgemein be-
kannt. Doch die alte Bedeutung des Wortes Krapfen war eine andere, dies zeigt schon
die Etymologie, mittelhochdeutsch krapfe ‘Haken’. Waren die Vorläufer der heutigen
Krapfen hakenförmig? Oder wurden sie aus der Teigmasse mit hakenförmigem Gerät
„ausgestochen“, bevor sie in die Pfanne kamen? Die etymologischen Wörterbücher ge-
ben leider keine Auskunft. Wie dem auch sei: das Endprodukt muss auf jeden Fall ein
‘Krapfen’, etwas Rundes, Bauchiges, gewesen sein. Runde Teigspeisen sind aber nicht
nur Germ- bzw. Hefegebäcke, sondern auch gefüllte Nudeln, und hier schließt sich der
Kreis. In Tirol (und Oberkärnten9) ist Krapfen noch heute zweideutig:
1. (süßes) Germ- bzw. Hefegebäck;
2. (gefülltes und gesottenes) Nudelgericht.
Was dem Kärntner seine „Käsnudeln“, sind dem Tiroler seine „Schlutz- oder
Schlipfkrapfen“ (mit verschiedenen Füllungen, meist Kartoeln, Topfen oder Spinat).
An die in Tirol verbreitete Bedeutung erinnern heute noch in Kärnten die Schlickkrap-
ferln, der „kleine Bruder“ der Kärntner Fleischnudeln als Suppeneinlage. Sie werden
entweder aus Fleischresten oder aus gekochtem und faschiertem Beuschel (Lunge), mit
Gewürzen, Ei und Semmelbröseln hergestellt; sie heißen in Oberkärnten auch Schlutz-
krapfen (vgl. Setz 1993: 10f.).
Bei den Kärntner Slowenen ist der alte Bedeutungsumfang von ‘Krapfen’ im Lehn-
wort krap, Plural krapi, noch immer lebendig. Das Kärntner „Nationalgericht“ Käs-
nudeln heißt auf Slowenisch sirnati krapi ‘Käsekrapfen’ (Sattnitz, Rosental, Angerer
1997: 22 u. 140), im Gailtal ziljski krapi oder einfach krapi (Angerer 1997: 200f.); da-
neben gibt es freilich auch mesni krapi ‘Fleischnudeln’ (Angerer 1997: 206), čompavi
9 Z. B. Oberdrauburg (nach eigenen Erhebungen).
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krapi ‘Erdäpfelnudeln’ (Angerer 1997: 199 – das typisch gailtalerische Wort für ‘Kar-
toel’, čompe, enthaltend, auch in die deutsche Mundart als Tschompe entlehnt), skutni
krapi ‘Topfennudeln’ (Angerer 1997: 254), so wie als Süßspeise ščipni krapi ‘Germ-
nudeln’ und v. a. kvočni krapi10 ‘Kletzennudeln’ (Rosental, Angerer 1997: 142f.).
Ganz andere Krapfen sind die suhi krapi ‘trockene Krapfen’ im Jauntal (Angerer 1997:
105), die eine weitere alte Bedeutung, nämlich ‘Fladengebäck’, reektieren. Die typische
Krapfenform haben aber nur Germ- bzw. Hefeteige; wo das Wort Krapfen nicht üblich
ist, steht dafür Pfannkuchen, worunter wir aber heute v. a. Palatschinken verstehen,11 für
den Norddeutschen können allerdings Pfannkuchen auch ‘Krapfen’ sein, im Nordwesten
und Südwesten meist Berliner genannt, abgekürzt aus Berliner Pfannkuchen.12
Die eingangs erwähnten Schlickkrapferln scheinen auf Schlittkrapfen zurückzu-
gehen, die ursprüngliche Bedeutung war ‘gefüllter und gesottener Krapfen (Suppen-
einlage aus Fleisch mit Teighülle)’; die genaue Herkunft ist nicht bekannt. Sie sind
ins Slowenische als žli(n)kro (Plural) entlehnt worden. Neben den typisch kärntneri-
schen Schlickkrapferln (Miklau 1964: 41 u. Setz 1993: 11) gibt es noch mehrere andere
Speisen, die dieses Wort enthalten, z. B. ajdovi žlinkro ‘Heiden-Schlickkrapfen’ (mit
Rahm-Butter-Heidenmehlfüllung, ungezuckert mit Salat, gezuckert mit Apfelkompott
serviert, Mießtal, Angerer 1997: 124).
6 POTITZE UND SLOWENISCH POTICA
Dies ist eine v. a. in Kärnten und der Steiermark verbreitete Mehlspeise, ein Roll-
kuchen (Germ- bzw. Hefeteig) mit Mohn- bzw. Nussfülle. Daher die Bezeichnungen
Mohn- und Nusspotitze. Das Wort beruht auf slowenisch potica, mundartlich auch pov-
tica aus älterem povitica ʻEingerolltesʼ im Sinne von Bäckerei, Strudel usw. (Pohl 2004:
62, Snoj 2003: 552).
7 DAS (DER) RITSCHERT, SLOWENISCH RIČET ODER JEŠPRENJ
Diese Speise ist von Legenden umgeben, gilt sie doch in Kärnten als bodenständiges,13
in Wien als jüdisches Gericht (vgl. Hornung 2002: 635 mit Lit., Kranzmayer 1949: 448,
Wehle 1980: 241). Die historische Wirklichkeit ist jedoch eine andere: es handelt sich
beim Ritschert um eine alte bairisch-österreichische Speise, die auch für die Bedürfnisse
der jüdischen Küche adaptiert wurde (statt Schweineeisch Geügel, besonders Gän-
seeisch) und die sich in Kärnten noch heute großer Beliebtheit erfreut und auch den
Besuchern dieses Bundeslandes mundet. Der erste urkundliche Beleg der Speise (nicht
des Wortes) stammt aus dem Jahre 1485, als dem Bischof von Caorle im Gailtal auf der
10 Slowenisch kvočni kommt von kłoca ‘Klötze, Dörrbirne’, entlehnt aus mittelhochdeutsch klōtze
zu kärntnermundartlich khloatsn/khleatsn.
11 So auch im Slowenischen (palačinke); das Wort stammt aus dem Ungarischen und ist dort ein ru-
mänisches Lehnwort aus plăcintă ‘Pastete, Pfannkuchen’ (aus latein. placenta). Näheres Bezlaj
(1995: 5) u. Snoj (2003: 487f.).
12 Neben weiteren Bezeichnungen, s. die Karte in König (1996: 240).
13 „Ritschert gehört neben den Kasnudeln zu den am häugsten anzutreenden Kärntner Speziali-
täten“ (Setz 1993: 52).
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Burg Khünegg (Khünburg bei Hermagor) „Gerste in fetter Fleischsuppe“ serviert wurde
(Hornberg 1984: 239).14 Das Wort selbst begegnet zum ersten Mal im Klosterkochbuch
von Tegernsee (1534) als ru(e)tschart ‘gedämpfte Erbsen’ (Hepp 1970: 216); Schmeller
(1996: II 191) nennt es Rütscher, eine Speise aus gekochten Erbsen und Gerste oder aus
Erbsen und Linsen. Alle mir zugänglichen Rezepte weisen (heute) als Hauptbestandteil
Rollgerste mit Hülsenfrüchten (Erbsen oder Bohnen, auch Linsen) aus, wobei meist Ge-
selchtes mitgekocht wird; die wichtigste Würze ist Liebstöckel, mundartlich Lust(st)ock,
slowenisch luštek (vgl. Bezlaj 1982: 157, Striedter-Temps 1963: 173, Snoj 2003: 369 s.
v. luštrek, Pleteršnik 2006: II 534 [neben luštǝk]); dazu die Redewendung „ohne Lus-
tock kein Ritschert“ (Miklau 1964: 42).15 Das Synonym dazu ist in Kärnten ursprünglich
Gerstbrein, auch im Slowenischen ješprenj oder ješpranj [jéšprain] (so im Gailtal) aus
deutsch-mundartlich Gerstbrein [geǝ(r)šprain]) neben ričet, gesprochen [ríčǝt], beides
Lehnwörter aus dem Deutschen. Gerstbrein bedeutet eigentlich ‘Rollgerste’ (nicht -brei;
deutsch Brei und Brein sind zwar etymologisch dieselben Wörter, doch sollte standard-
deutsch Brei von mundartlich Brein (Prein) unterschieden werden, steht doch bei letzte-
rem das Korn als Ausgangsprodukt semantisch im Vordergrund, vgl. Hepp 1970: 196f.).
Dieses Wort ist also eine Benennung des „Ritscherts“ nach der Hauptzutat.
Die etymologische Deutung des Wortes Ritschert ist schwierig, da sowohl das
grammatische Geschlecht als auch der Wortausgang schwanken. Für Kärnten notiert
Lexer (1862: 209) ritschad(e) (das) ‘gekochte und mit Erbsen vermengte Gerste’, für
Wien Hornung (2002: 635) Ritscha(d) (das/der) ‘Gericht aus Gerste, Hülsenfrüchten
(Erbsen, Bohnen oder Linsen) und teilweise Fleischstückchen (Selcheisch, nach jüdi-
scher Tradition Geügel)’, Schmeller (1996: II 191) Rütscher (der) ‘Gericht aus Erbsen
und Gerste’, Hepp (1970: 216) Ru(e)tsch, Rutschart (der; -ue- wohl alte Schreibung
für -ü-, da nichts auf einen alten Diphthong hinweist), in der Steiermark Ritscher(t)
und Ritschet; vgl. auch die Entlehnungen im Slowenischen ričet [-ǝ-] (Striedter-Temps
1963: 210, Bezlaj 1995: 178, Pleteršnik 2006: II 423.) und řiča im Tschechischen.
Als Ausgangswörter bieten sich entweder schwäbisch Rutsch ‘Kachel (aches, irdenes
Kochgerät)’ (Hepp 1970: 216 mit Lit.) oder die alte Nebenform zu rutschen, mittelhoch-
deutsch rütschen ‘gleiten, rutschen’ (Lexer 1983: 174) an. Im ersten Fall wäre der Name
der Speise vom Kochgeschirr bezogen (vgl. auch ritschert ‘Kartoelpfannkuchen’ in Hes-
sen sowie Ritschering ‘Pfanne’ im Rotwelsch, so Hornung 2002: 635 mit Lit.) wie z. B.
Pf(l)anzel aus Pfann-zelte oder Reindling zu Reine sowie Bezeichnungen wie Teller-eisch,
Kessel-gulasch, Suppen-topf usw. Im zweiten Fall käme der Name von der Eigenschaft der
Ausgangsprodukte, die in Tat ‘rutschen’ bzw. ‘gleiten’, worauf ja auch das semantisch
ähnliche bairisch-österreichische Roll-gerste hinweist. Oen muss allerdings der Auslaut
bleiben; in Frage kommt -er, was mit dem männlichen Geschlecht übereinstimmt (das -t
wäre dann sekundär wie in mundartlich Senft, Teicht usw.) und zu beiden Ausgangswörtern
passen würde. Wahrscheinlich handelt es sich wortbildungsmäßig um ein altes (sächliches)
14 Dort auch zwei Rezepte.
15 Rezepte für Kärnten s. Miklau (1964: 42, 26 u. 65), Angerer (1997: 98); weitere Rezepte Horn-
berg (1984: 239f.) und Maier-Bruck (1984: 97 u. 376), Kofranek (1975: 376); statt Geselchtem
auch Gänseeisch, letzteres v. a. bei den Juden beliebt.
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Kollektivum aus germanischer Zeit, althochdeutsch -idi, mittelhochdeutsch -ede (vgl.
Meid 1967: 149f. mit vielen weiteren Beispielen), worauf die südbairischen Bildungen auf
-ede/-ete zurückgehen (vgl. Hornung 1964: 73); dafür spricht auch das in Kärnten und der
Steiermark allein übliche neutrale Geschlecht. Diese Ansicht wird durch die Einträge bei
Lexer (1862: 209) und in anderen Wörter ver zeichnissen sowie durch mehrere Parallelen
bestätigt: ritschad(e) (das) ‘gekochte und mit Erbsen gemengte Gerste’ (Lexer 1862: 209),
Rütschede (das) ‘Gericht aus Gerste und Bohnen’ (Villach, so Herzmansky-Kulterer 1969:
393). Daher möchte ich Ritschert als altes neutrales Kollektivum deuten, semantisch ganz
ähnlich der bairisch-österreichischen (genauer:) süddeutschen Bezeichnung ‘Rollgerste’ (=
‘rollende Gerste’) als ‘Rutschendes, Gleitendes’ (Pohl 2004: 28.).
8 MUNGGEN UND TALGGEN (ALTE BÄUERLICHE KOST SLAWISCHER
HERKUNFT, ZU SLOWENISCH MOKA UND RUSSISCH TOLOKNÓ)
Unter diesen beiden Bezeichnungen (auch Munken und Talken geschrieben)16 versteht
man ein uraltes bäuerliches Vollkorn nahrungsmittel (Miklau 1964: 130f.)17 – mit Ha-
fer. Lexer verzeichnet diese beiden Wörter als talk, talgge m. ‘Hafergrütze’ (Drautal,
so Lexer 1862: 51) und munkn, munggn f. ‘eine Nationalspeise aus Hafer- und Gersten-
mehl; (auch) kleines Stück Brot’ (Feldkirchen, so Lexer 1862: 193). Hornung (1968:
181) verzeichnet die Munggn als Mölltaler Frühstücks speise, genauer werden von
ihr aber beide Wörter, die im Grunde genommen dieselbe Speise bezeichnen, so be-
schrieben (Hornung 1966: 174 u. 176): Munkn ‘Altkärntner Nationalspeise aus Hafer-,
Gersten- und Bohnenschrot, der gekocht, getrocknet und dann gemahlen aufbewahrt
wird, um fallweise mit heißem Wasser angerührt zu werden’; Tålggn ‘Hafer-, Ger sten-
und Bohnenschrot, gekocht, getrocknet und dann gemahlen’, auch für zerkleinerte und
getrocknete Birnen verwendet. Nach Miklau (1964: 130f.) ndet man den Ausdruck
Talggen v. a. im Nockgebiet, Munggen im Lesach- und Mölltal.18
16 Die traditionelle Schreibung gg steht für nicht-ariziertes k, das im Normalfall entlehntes /k/ ersetzt.
17 In Tirol kommen die beiden Wörter in einer anderen Bedeutung vor, vgl. Schatz (1993: 438)
munggε (f.) in Osttirol ‘Brotbrocken’, das Diminutiv minggile ‘kleines Brot’ (diese Bedeutung
gibt auch Lexer 1862: 193 an) bzw. S. 626f. tąlggε, tąlggn (m.) ‘teigige Masse, schlecht durch-
kochte Mehlspeise, unausgebackenes Brot’. Anders in der Steiermark: Dalken ‘geröstetes Ha-
fermehl in Milch zu dickem Brei verkocht und mit Butterschmalz serviert’ (vgl. Hutterer/Kainz/
Walcher 1987: 260, ohne nähere Angaben bei Seebacher-Mesaritsch 1994: 41; die Munken wer-
den dort S. 153 als Brei, der aus dem Mehl getrockneter Birnen hergestellt wird, beschrieben).
Ein Hinweis auf die Steiermark auch bei Schmeller 1996: I 505). Im Salzburger Lungau sind die
Munggen eine Speise aus gebrochenen Körnern in Schmalz geröstet (Ziller 1979: 123).
18 Von Miklau (1964: 130f.) wird auch die Herstellung beschrieben; verwendet wurden sie entwe-
der warm aufgeweicht als Frühstücksspeise oder (ähnlich wie Reis) als Beilage, auch als Suppen-
einlage. Sie können auch zu „Trippen“ („Talggentrippen“, S. 61 bzw. Maier-Bruck 1984: 106)
weiterverarbeitet werden. Das Ausgangsgetreide par excellence war Hafer, wozu auch die slawi-
schen Parallelen passen, die das hohe Alter der Speise unterstreichen, doch auch auf Roggen und
andere Getreidemischungen wurde zurückgegrien. – Unter Trippen (auch Gståmpftes) versteht
man ‘geschälte, gekochte und gestampfte Erdäpfel’ (Miklau 1964: 159), nicht zu verwechseln
mit Trip(p)a ‘Kutteln, Kaldaunen’ (aus dem Italienischen).
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Der Grundbestandteil der Tålggen ist Hafer (Rhamm 1909: 210f.); in seiner Mo-
nographie bringt Rhamm (1909: 211.) mehrere Varianten, so wurde Hafer allein
verwendet in der Reichenau oder im Görtschitztal, in Feld am See wurden die „Ha-
bertalken“ mit Bohnen, auch Erbsen, vermischt, in Kleinkirchheim waren 2/3 Hafer
und 1/3 Feldbohnen üblich. Im Liesertal gab es zwei Arten von Talggen, die Pian-
talken ‘Birntalggen’ und Gampertalken;19 erstere wurden aus gedörrten Holzbirnen
hergestellt, die man zerstampfte und zu Mehl mahlte (als Nudelfüllung und über
Nockerln gestreut), letztere wurden aus Hafer, Gerste und Mais zu gleichen Tei-
len gemischt, gesotten, im Backofen getrocknet und schließlich gemahlen. Gegessen
wurden sie eingerührt in süße (zum Frühstück) oder saure Milch (zum Nachtmahl),
aber auch ähnlich zubereitet wie Plenten ‘Polenta’.
Beide Wörter, Munggen wie Talggen, sind aus dem frühen Mittelalter überkom-
mene Wörter slawischen Ursprungs. Das Wort Munggen ist ein frühslowenisches
Lehnwort (aus altslawisch bzw. frühslowenisch *mǫka ‘Mehl’ mit Nasalvokal, heute
slowenisch moka). Ein ebenso hohes Alter müssen die Talggen haben, die auf einem
urslawischen *tălkŭnă (woraus russisch toloknó ‘Art Hafergrütze’, ins Finnische als
talkkuna entlehnt, schon im nnischen Nationalepos Kalevala bezeugt, vgl. Rhamm
1909: 219) beruhen, was ein slowenisches *tlakno (vgl. polnisch tłokno ‘Speise
aus Hafermehl, heißem Wasser und Milch’) ergeben hätte müssen. Wahrscheinlich
handelt es sich um ein slawisches Erbwort, zur Wurzel *tălk- ‘stoßen, (zer)stamp-
fen’ in russisch toloč’/tolkat’, zur Bedeutung vgl. auch im Keltischen u.a. kymrisch
(„Welsh“) talch ‘granum contritum’ (‘geschrotetes/gemahlenes Korn’) bzw. ‘Bruch-
stück, Mahlkorn’, altkornisch talch ‘Kleie’ (vgl. Trubačev-Vasmer 1973: 73 mit Lit.
u. Pokorny 1959: I 1062).20 Das Wort muss also sehr früh ins Deutsche gelangt sein
– spätestens zur Zeit der slawischen Liquidametathese, die in den slawischen Einzel-
sprachen zur Umstellung von *tălk- zu tlak-/tlok-/tolok- geführt hat, also etwa im 9.
Jh. Die Talggen sind in Österreich weit verbreitet, außer in Kärnten und Osttirol auch
im Salzburger Lungau und Teilen der Steiermark.21
19 Gamper nach Lexer (1862: 107) eine Speise aus Hafermehl., nach Miklau (1964: 155) ‘Brei’
(bzw. eine breiige Speise), wohl zu mittelhochdeutsch un-gamper ‘steif’ (das unbelegte gamper
muss also das Gegenteil von ‘steif’ bedeutet haben).
20 Nach Kranzmayer (1949: 459), zuletzt WBMÖ IV 506, stamme das Wort letzten Endes aus
dem Mongolischen und sei über die Awaren in unseren Bereich gelangt, was man zwar nicht
ganz ausschließen kann, aber für diese frühe Zeit nicht sehr wahrscheinlich und darüber hin-
aus lautgeschichtlich bedenklich ist, wie übrigens auch die Ansicht, dass ungarisch tarhonya
‘Art Teigreis, Eiergraupen’ damit zusammenhängt (Kranzmayer 1949: 460, Rhamm 1909:
221 Anm.).
21 Davon zu trennen sind allerdings die Wiener (auch nieder- und oberösterreichischen) Dalken
aus Germ- bzw. Hefeteig („Böhmische Dalken“), die auf einem anderen slawischen Wort beru-
hen (tschechisch dolek ‘Vertiefung’), vgl. Kranzmayer (1949: 459), WBMÖ IV (505f.), zuletzt
Hornung (2002: 221), Pohl (2007: 54). – Beide Wörter vermengt bei Schmeller (1996: I 505).
– Rezepte bei Kofranek (1975: 315) u. Maier-Bruck (1984: 178).
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9 STRANKERL ʻFISOLE, GRÜNE BOHNEʼ (ZU FRÜHSLOWENISCH
*STRĂNK-)
Ähnlich wie die Munggen auf frühslowenisch *mǫka ‘Mehl’ (s. Kap. 8) beruhen,
gehen auch die Strankerln (so meist geschrieben, genauer Stranggelein,22 Singular
[štránkǝle], Plural [štránkǝlen/-lan]) auf eine frühslowenische Form *strănkъ bzw.
strănkā ʻ(Bohnen-) Schoteʼ zurück, noch bevor der gemeinslawische Lautwandel ă > ŏ
bzw. die Nasalierung ăn/ŏn > ǫ eingetreten war; im heutigen Slowenischen entspricht
strok ʻHülse, Schoteʼ. Die heute im Deutschen allein übliche Diminutivform setzt ein
althochdeutsches *stranka + -ilī(n) voraus, das über mittelhochdeutsch *stränkilīn
dann zu Stranggelein wurde (Pohl 2004: 84f.).
An Versuchen, das Wort als germanisch zu etymologisieren, hat es nicht gefehlt,
so hat man es u. a. mit deutsch Strang ʻSeil, Strickʼ in Verbindung gebracht (so Lexer
1862: 243, Schmeller 1996: II 1 817), was lautlich und semantisch äußerst unwahr-
scheinlich ist.
10 SASAKA UND SLOWENISCH ZASEKA
In letzter Zeit hat sich immer mehr die Bezeichnung Sasaka für ʻVerhacketʼ (meist Ver-
hackert geschrieben) verbreitet. Dieses ist ein beliebter Brotaufstrich, der aus geräu-
chertem und ausgelassenem „durchzogenem“ Speck, entsprechend gewürzt, hergestellt
wird. Ursprünglich war dieses Wort nur im gemischtsprachigen Gebiet verbreitet, wird
aber heute auch als Produktbezeichnung von Firmen verwendet. Sasaka beruht auf
gleichbedeutendem slowenischen zaseka ʻverhackter Speckʼ, zu sekati ʻhackenʼ (vgl.
Pohl 2004: 81 u. 2007: 126 u. 151; Rezept u.a. bei Miklau 1997: 215).
11 GAISLITZ (AUS SLAWISCH *KYSELICA)
Die alte bäuerliche Speise Gaislitz ndet sich bei Lexer (1862: 112, vgl. auch Hepp
1970: 206f.) unter dem Eintrag geislaz, -liz (m.) bzw. geislazn (f.) ‘Speise aus Ha-
fermehl’ (Möll-, Drautal, Unterkärnten). Eine genaue Beschreibung dieser Speise
bietet Hornung (1964: 79) für Kals (Osttirol), wo diese Speise gāi(z)litß lautet und
ein saurer, fettloser Haferbrei ist, der in erstarrtem Zustand kalt gegessen wird. Laut
Kranzmayer (1949: 448) ist diese Speise auch Bestandteil der Oberkärntner Bauern-
kost. Auch hier haben wir ein altes slawisches Lehnwort vor uns, das schon in mittel-
hochdeutscher Zeit belegt ist: gîs(e)litz(e) (m., f.) ‘breiartige Speise’ (Lexer 1983:
73)23 und auf slawisch *kyselica ‘Säuerliches’ beruht (so auch Hornung 1964: 79).
Im südbairischen Raum ist eher von altem slowenischen kiselica (heute meist ‘Sauer-
ampfer’) auszugehen, in anderen Gegenden auch von tschechisch kyselice ‘Säuer-
liches’ wie u. a. im Stift St. Florian bei Linz, wo diese Speise schon im 12. Jh.. als
giselitz zitiert wird (vgl. Rhamm 1909: 215). Sie scheint weit verbreitet gewesen
zu sein. Zwei Jahrhunderte später wird im Gedicht „Der Maier Helmbrecht“ von
22 Zur Schreibung gg s. o. Anm. 16.
23 Auch bei Schmeller (1996: I 952) als die Geislitze ‘eine geringe Speise’ / der Geislitz ‘Haferbrei’
enthalten.
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Wernher dem Gartenär aus der Gegend zwischen Wels und Treuenfels diese Speise
als geyslitze überliefert (nach Rhamm 1909: 215). Wie bei den Tålggen gibt es auch
bei dieser Speise einen Bezug zum Russischen. Dort wird zwar nicht die Form *kyse-
lica verwendet, sondern kisél’ (aus *kyselь), was nach dem Dahl’schen Wörterbuch
ein Brei aus Hafer, Gerste und Weizenmehl ist, der warm gestellt und gesäuert wird.
Urkundlich ist diese Speise bereits 997 belegt (Rhamm 1909: 220).
Bemerkenswert erscheint die Tatsache, dass die Wörter (und Sachen) Tålggen,
Munggen und Gaislitz zwar eindeutig slawischer Herkunft sind, aber bei unseren heu-
tigen slawischen Nachbarn nicht mehr vorkommen, wohl aber bei den Russen. Daraus
kann man schließen, dass bei den alten Slawen der Hafer eine sehr große Rolle gespielt
hat, was bei den Russen (und Finnen) im Osten noch lange erhalten geblieben ist und
früher auch bei den Alpenslawen im Westen verbreitet war, noch vor der Zeit, als man
in den Alpen deutsch sprach. Daher sind die Lautformen dieser Speisen auch aus sla-
wistischer Sicht sehr altertümlich und sie werfen ein interessantes Licht auf die Kultur-
geschichte des Essens und den deutsch-slawischen Sprachkontakt.
12 TOPANITZ (ALTSLOWENISCH *TOPENICA) UND OBLITZEN (SLOWE-
NISCH OBLICA)
Zum Abschluss ein Blick nach Osttirol. Ein slowenisches Reliktwort in Kals (Osttirol)
ist die Speise Topanitz, die Hornung (1964: 79) als wenig schmackhafte trockene Bäh-
schnitten beschreibt und die auf ein altslowenisches *topenica (zu topel ‘warm’, topiti
‘zum Schmelzen bringen’) zurückgehen dürften. Ein weiteres slowenisches Reliktwort
in Oberkärnten und Osttirol (Defereggen-, Iseltal) ist Oblitzen ‘weiße Rübe’ aus slo-
wenisch mundartlich oblica ‘gesottene oder gebratene Rübe’ (vgl. Hornung 1964: 77
u. 159, Lexer 1862: 200).
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Zusammenfassung
DEUTSCH-SLOWENISCHE WECHSELBEZIEHUNGEN
IN DER SPRACHE DER TRADITIONELLEN KÄRNTNER KÜCHE
Die Verschränkung der beiden Landessprachen in Kärnten zeigt sich nicht nur im
Namengut, sondern auch in der Volkskultur, so auch in der Sprache der Küche. Viele
Speisen bezeichnungen sind von der einen zur anderen Sprache „gewandert“ und sind
somit gemeinsames Kulturgut. Insgesamt werden hier 16 Speisenbezeichnungen in bei-
den Sprachen vorgestellt und deren Herkunft und Etymologie im Lichte des Sprach-
kontaks erläutert. Darunter nden sich sehr frühe Entlehnungen aus dem Slowenischen
ins Deutsche (z. B. Munggen und Talggen, aber auch relativ junge (z. B. Sasaka und
Potitze). Auch manche deutsche Lehnwörter im Slowenischen weisen auf frühe Ent-
lehnung hin (z. B. majželj und krapi). Hier zeigt sich die Relativität von Sprachgrenzen,
da die jeweilige Volkskultur ein verbindendes Element zwischen den Sprechern beider
Sprachen darstellt, wofür gerade das zweisprachige (Süd-)Kärnten ein gutes Beispiel
ist – trotz aller historischer Turbulenzen.
Schlüsselwörter: Kärnten, Sprachkontakt, Volkskunde, Küche
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Abstract
GERMAN-SLOVENIAN INTERACTION IN THE LANGUAGE
OF THE TRADITIONAL CARINTHIAN KITCHEN
The close interaction of the two national languages in Carinthia is not only evident
in onomastic heritage, but also in the popular culture, as well as in the language of
food and gastronomy. Many food names have “migrated” from one language to the
other and are thus a common cultural property. This article presents 16 food names in
both languages, explaining their origin and etymology in the light of language contact.
Among them there are very early borrowings from Slovenian into German (for exam-
ple, Munggen and Talggen), but also relatively recent ones (for example Sasaka and
Potitze). Some German loanwords in Slovenian indicate an early instance of borrowing
(for example majželj and krapi). In such cases, the relativity of linguistic borders be-
comes apparent, since a given folk culture can represent a connecting element between
the speakers of both languages, as in the case of bilingual (southern) Carinthia, despite
its turbulent history.
Keywords: Carinthia, language contact, ethnology, gastronomy
Povzetek
NEMŠKO-SLOVENSKI JEZIKOVNI VPLIVI
V JEZIKU TRADICIONALNE KOROŠKE KUHINJE
Prepletenost obeh deželnih jezikov na Koroškem se ne kaže samo v lastnih imenih,
temveč tudi v narodni kulturi, med drugim tudi v jeziku kulinarike. Iz enega v drug
jezik je bilo prevzetih mnogo poimenovanj jedi, ki so sedaj del skupne kulturne dediš-
čine. Skupno gre za 16 poimenovanj, predstavljena sta njihov izvor in etimologija v
luči jezikovnega stika. Med nemškimi besedami je mogoče najti zelo zgodnje izposo-
jenke iz slovenščine (npr. Munggen in Talggen), a tudi novejše (npr. Sasaka in Potitze).
Zgodaj prevzeto je bilo tudi mnogo nemških izposojenk v slovenščini (npr. majželj in
krapi). Ravno tukaj pa se pokaže relativnost jezikovnih meja, saj je neka narodna kul-
tura povezovalni element med govorci obeh jezikov, za kar je – kljub zgodovinskim
turbulencam – zgled ravno dvojezična (južna) Koroška.
Ključne besede: Koroško, jezikovni stik, etnologija, kuhinja
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