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Gewalt im archäologischen Befund. Das Schlachtfeld Kunersdorf und die Richtplätze der Neumark – Erinnerungsorte und das Bewahren eines vergessenen Kulturgutes. Präsentation eines Forschungsprojektes

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Abstract

Genesis M./ Podruczny Grzegorz (2016) Gewalt im archäologischen Befund. Das Schlachtfeld Kunersdorf und die Richtplätze der Neumark – Erinnerungsorte und das Bewahren eines vergessenen Kulturgutes. Präsentation eines Forschungsprojektes. In: Landegeschichtliche Vereinigung für die Mark Brandenburg e.V., Heft 2, 2016, 81-87.
Landesgeschichtliche Vereinigung
für die Mark Brandenburg e.V.
Gegründet 1884
117. Jg. (2016) Mitteilungsblatt Heft 2
www.geschichte-brandenburg.de
Friedrich Gilly, Entwurfsskizze zu Landhäusern mit französischen Namen. Federzeichnung
(Kriegsverlust, Foto: Staatliche Bildstelle) (Abb. 1 zum Beitrag Börsch-Supan, S. 67 ff.)
66 Heft 2/2016
Anschriften der Mitarbeiter dieses Heftes
Dr. Peter Bahl, Gurlittstr. 5, 12169 Berlin (bahl_peter@yahoo.de)
Dr. sc. Dietmar Bleyl, Dorfstr. 6, 14469 Potsdam, OT Nattwerder (dietmar.bleyl@gmx.de)
Dr. Eva Börsch-Supan, Lindenallee 7, 14050 Berlin
Dr. Marcus Cante, Bartningallee 7, 10557 Berlin (marcuscante@yahoo.de)
Alexander Darda, Sonnenburger Str. 74, 10437 Berlin (alexanderdarda@yahoo.de)
Dr. Lore Gewehr M.A., Margaretenstr. 39, 12203 Berlin (lore.gewehr@t-online.de)
Dr. Grit Heidemann-Schirmer, Stiftung Schlösser und Gärten der Mark, c/o Deutsche
Gesellschaft e.V., Voßstr. 22, 10117 Berlin (stiftung@deutsche-gesellschaft-ev.de)
Ingrid Klaß, Fontanestr. 5, 12459 Berlin (ingridklasz@web.de)
Barbara Rimpel, Winsstr. 58, 10405 Berlin (barbara.rimpel@bauucht.de)
Dr. Kurt Schilde, Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Stauffenbergstraße 13–14, 10785 Berlin
(schilde@gdw-berlin.de)
Dr. Fritz Wochnik, Pestalozzistraße 57, 10627 Berlin
Inhalt
Friedrich Gillys Idee einer Villenkolonie (Eva Börsch-Supan) 67
Die rätselhafte Neu Töplitzer Glocke (Dietmar Bleyl) 74
Gewalt im archäologischen Befund. Das Schlachtfeld Kunersdorf und die Richtplätze 81
der Neumark – Erinnerungsorte und das Bewahren eines vergessenen Kulturgutes.
Präsentation eines Forschungsprojektes (Marita Genesis / Grzegorz Podruczny)
Die Altaraufsätze des Hochaltars in der Kirche St. Gotthardt in Brandenburg an der 87
Havel (Fritz Wochnik)
Kurzberichte 90
Buchbesprechungen 100
Aus Bibliothek und Archiv der Vereinigung 102
Aus dem Leben der Vereinigung 110
Personalia 116
Veranstaltungsprogramm 119
Impressum
Herausgeber: © Landesgeschichtliche Vereinigung für die Mark Brandenburg e.V., Berlin.
ISSN: 1867-5085.
Redaktionskollegium: Dr. Peter Bahl (v.i.S.d.P.) (PB), Dr. Iris Berndt (IB), Prof. Dr. Frank Göse,
Gerhard Weiduschat (gw).
Kontakt: Landesgeschichtliche Vereinigung für die Mark Brandenburg e.V., Postfach 610 179, 10922
Berlin, Tel.: (030) 753 99 98, E-Mail: mitteilungsblatt@geschichte-brandenburg.de.
Erscheinungsweise: dreimal pro Jahr (Januar, Mai, September).
Redaktionsschluss: 1. November, 15. März, 15. Juli. Beiträge bitte an die Redaktion senden.
Satz: Anja Slowik M.A. Druck: Druckhaus Köthen.
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Manuskripte wird keine Haftung übernommen. Nachdruck nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion.
81Heft 2/2016
Gewalt im archäologischen Befund
Das Schlachtfeld Kunersdorf und die Richtplätze der Neumark – Erinnerungs-
orte und das Bewahren eines vergessenen Kulturgutes. Präsentation eines For-
schungsprojektes
MARITA GENESIS / GRZEGORZ PODRUCZNY
Erst seit wenigen Jahren haben sich im Bereich der Mittelalter- und Neuzeitarchäologie zwei
eigenständige Disziplinen herausgebildet. Es handelt sich zum einen um die Richtstättenar-
chäologie und zum anderen um die Schlachtfeldarchäologie. Beiden Fachbereichen ist eines
gemeinsam – die ausgeführte Gewalt ablesbar im archäologischen Befund.
Gewaltvolle Prozesse hinterlassen unübersehbare Reste im Boden. Seien es Bestattungen,
Schützengräben, Befestigungen, Waffen oder Galgenfundamente – sie alle haben gewaltvolle
Prozesse für die Ewigkeit konserviert. Ihre Überreste bieten die Möglichkeit, an historische Er-
eignisse gezielte Fragen zu richten. Hieraus resultieren bisweilen eigene, manchmal völlig neue
Geschichten. Oder – wie in unserem Falle – diese Orte der Gewalt werden erst wieder in das
Bewusstsein der Bevölkerung geführt.
Im Folgenden geht es um das Schlachtfeld von Kunersdorf (Kunowice) und noch vorhan-
dene Galgenhügel in der Neumark in Polen, die durch Baumaßnahmen und Feld-Pflugar-
beiten und insbesondere durch illegale Raubgräber (Sondengänger) von der vollständigen
Zerstörung bedroht sind.
Seit 2015 werden diese Orte der Gewalt von uns kartographisch, archivalisch und archäo-
logisch aufgenommen. Ein Forschungsprojekt soll diesen Plätzen nun gezielt nachgehen. Im
Fokus stehen die Erinnerungsorte unter der Erde und ihr Umgang mit dem Vergessen.
Archäologie gegen das Vergessen
Die Geschichte der Menschheit ist geprägt von Gewalt in ihren unterschiedlichen Ausfor-
mungen, von der individuellen bis hin zur kollektiven Gewalt. Gewalt und Krieg sind uralte
Aspekte der menschlichen Kultur. Archäologische Befunde dazu offenbaren oft dramatische
Stunden und Tage, die zum Teil den Gang der Geschichte beeinflussten.
Der Nachweis von Gewalt am menschlichen Skelett reicht bis in das Mittelpaläolithikum
zurück. Viel jünger hingegen sind darstellende Funde, wie Steinritzungen, Felsmalereien oder
Tonabbildungen. Erst seit etwa dem vierten vorchristlichen Jahrtausend lassen die Bilder Tö-
tung von Menschen, Misshandlungen oder auch Waffen erkennen. Die Anzahl der Abbil-
dungen und ihre inhaltlichen Varianten steigern sich bis zur Neuzeit erheblich, so dass
insbesondere im Hinblick auf mittelalterliche sowie neuzeitliche Schlachtfelder und Richt-
stätten eine große archivalische Bandbreite vorliegt.1
1Wilhelm Funk: Alte deutsche Rechtsmale. Sinnbilder und Zeugen deutscher Geschichte. Bremen/
Berlin [1940].
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Gewalt im archäologischen Befund
Doch was passiert dort, wo die nationale Identität wechselt? Wo Regionen geteilt werden,
die Bevölkerung wechselt und die Erinnerung an die einstige Gewalt mit den ehemaligen Be-
wohnern in Vergessenheit gerät? Die lange Phase deutscher Besiedlung in der Neumark fand
mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges ihren Abschluss. Die Deutschen wurden aus dem neu-
märkischen Raum verwiesen. Sie hinterließen aus der langen Zeit ihrer Siedlungskontinuität
in der Neumark Stätten, die eng mit ihrer Kultur verbunden sind. Dazu gehören auch Orte,
die durch militärische oder justiziable Gewalt entstanden sind.
Eine kollektive Erinnerung der dort neu angesiedelten polnischen Bevölkerung an einstige
Schlachtfelder oder Richtplätze existiert nicht, da sich die Nutzung oder die Schlachtgesche-
hen außerhalb ihres Geschichtsbewusstseins ereignet haben. Werden diese archäologisch be-
deutsamen Plätze nun in Unkenntnis ihres Vorhandenseins durch Überbauung oder
Zerpflügung zerstört, gehen sie für immer verloren. Ihr wissenschaftlicher Aussagewert wird
vernichtet.
Leitidee des Forschungsprojektes ist es nun, für jene Orte von Gewalt eine gemeinsame Er-
innerungskultur zu schaffen. Mit der wissenschaftlichen Dokumentation und Aufarbeitung
sollen die Stätten in das Bewusstsein der dort heute lebenden Bevölkerung gebracht und zu-
gleich vor der Zerstörung gerettet werden.
Die Richtstätten der Neumark
Insgesamt sind bisher 13 Richtplätze in der Neumark kartographisch und historisch nachge-
wiesen, ein Galgenberg archäologisch dokumentiert worden. In der Bestandsaufnahme geht es
zum einen um die Belegbarkeit der Plätze durch historische Quellen wie Urteilsvollstreckungen
oder Abbildungen. Zum anderen wird die heu-
tige Situation der Richtplätze aufgenommen.
Sind die Galgenberge noch nicht überbaut, wird
angestrebt, durch Sondagen die archäologischen
Hinterlassenschaften zu erfassen.
Was erwarten wir dabei? Zunächst sind es
bauliche Anlagen, die den Platz als Ort der
Blutgerichtsbarkeit dokumentieren. Dabei
kann es sich um runde oder viereckige steinerne
Fundamente handeln, die den Galgen getragen
haben (Abb. 1). Aber auch große Pfostenlöcher,
in denen die aufgehenden Holzpfosten für
einen zwei-, drei- oder vierschläfrigen Galgen
gestanden haben, können das Hochgericht an-
zeigen. Weitere einzelne Pfostenlöcher können
Räderpfähle, Brennpfähle für Scheiterhaufen
oder auch Pfähle zur Ausstellung einzelner
Gliedmaßen darstellen.
Hinzu kommen Grabgruben, in denen Hin-
gerichtete, Selbstmörder oder eines plötzlichen
bzw. „schlimmen“ Todes (ohne Beichte) Ver-
Abb. 1: Galgentypologie nach Funk (wie Anm.
1), Taf. 3.
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storbene verlocht wurden. Die auf Richt-
stätten vergrabenen Menschen galten als
infam, ehrlos und aus der Gesellschaft
ausgeschlossen. Ihre Seele würde dereinst
nicht ins Paradies eingehen, sie würden
ihre Familien und Freunde niemals wie-
dersehen, sondern nach dem Tag des
Jüngsten Gerichts Luzifer anheimfallen –
eine der größten Strafen in der christli-
chen Glaubenswelt.
Diese besondere Ehrlosigkeit ist den
dort Bestatteten noch heute anzusehen.
Lieblos und achtlos sind sie in meist zu
kleinen unebenen Gruben regelrecht ent-
sorgt worden. Entgegen dem christlichen
Bestattungsritus liegen sie häufig in Sei-
ten- oder Bauchlage, in den seltensten
Fällen in Ost-West-Richtung. Mehrfach-
bestattungen dokumentieren ein gleich-
zeitiges oder zeitnahes Hinrichten,
Knochengruben hingegen eine lange
Hängedauer des Hingerichteten an Rad
oder Galgen.
Die Körper der Delinquenten geben
noch heute ein beredtes Zeugnis ihrer To-
desstrafe ab. So ist ein Großteil der voll-
streckten Urteile noch im archäologischen
Befund ablesbar. Zum Teil lassen sich die
Schädel im Beinbereich finden, hier ist
schon in situ der Befund des Enthauptens
erkennbar. Synchron verlaufende Bruch-
spuren an den Extremitäten können auf
Räderungen schließen lassen. Ein deutlicher Hinweis ist in der Lage der Arme zu sehen. Häu-
fig sind sie unter dem Becken gekreuzt, was auf eine Fesselung und damit auf ein justiziables
Verfahren schließen lässt.
In den Jahren 2007 und 2008 wurde der Galgenhügel in Chwarszczany (Quartschen) un-
tersucht.2Das Projekt ist von den Teilnehmern im Internet unter Tag für Tag in Form von
kurzen Berichten in polnischer und in deutscher Sprache dokumentiert worden und war so für
alle Interessierte der Region ein erster Schritt hin zu einer verbindenden Erinnerungskultur.3
Die archäologische Ausgrabung wurde auf einem Hügel neben einer Senke, die noch heute
den Flurnamen Galgengrund trägt, durchgeführt. Hier befand sich laut Kartenmaterial um
Marita Genesis / Grzegorz Podruczny
2Marita Genesis: Chwarszczany – Kriegsopfer oder Delinquent? Eine atypische Bestattung aus dem 18.
Jh. In: J. Auler (Hrsg.): Richtstättenarchäologie. Bd. III. Dormagen 2012, S. 58–65.
3http://www.chronologs.de/chrono/blog/abenteuer-geschichte/archives/2008/08/
Abb. 2: Quartschen/Chwarszczany 1707. Der Gal-
genhügel befindet sich am Ortsrand, in Sichtweite zur
dortigen Templerkomturei. Kartenausschnitt mit
Kreismarkierung oben (Karte : Privatbesitz P. Koło-
sowski).
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1707 ein zweischläfriger Galgen, dessen genauer Standort sich allerdings nur vage verorten
ließ. Da er oberhalb der Hügelkuppe eingezeichnet ist, dürfte er weithin sichtbar gewesen
und seiner Aufgabe als abschreckendes und präventives Martergerüst gerecht geworden sein
(Abb. 2). Unterhalb des Hügels verläuft in Sichtweite zur Templerkomturei die ehemalige Via
Regia, die als Handelsstraße von Berlin über Küstrin (Kostrzyn) vorbei an Quartschen nach
Königsberg/Nm. (Chojna) führte.
Während der Anlegung der Kreuzsondage wurden 2007 zwei Befunde angetroffen, die zum
einen die Nutzung eines Galgens belegen,
zum anderen eine relative dünne Acker-
krume über den Funden anzeigen, so dass
bei mehrmaligem Pflügen die Funde zer-
stört worden wären. Es handelt sich zu-
nächst um ein adultes männliches
Individuum, das in Nord-Süd-Ausrichtung
in Bauchlage in die Grabgrube gelegt
wurde. Die Unterschenkel waren nach
oben gewinkelt, dies lässt darauf schließen,
dass kein großer Aufwand bei der Bestat-
tung betrieben wurde (Abb. 3). Die Hände
waren seitwärts am Körper entlang gelegt,
eine Fesselung liegt nicht vor. Offensichtli-
che Spuren, die einer bestimmten Todes-
strafe zuzuordnen sind, waren nicht zu erkennen.
Beim zweiten Befund handelt es sich um eine Pfostengrube, die in ihrer Größe durchaus als
Grube für einen der zwei Galgenpfosten gedient haben könnte.
Nun befindet sich der Galgenberg inmitten des Kriegsgebietes der Schlacht von Zorndorf
1758. Liegt hier möglicherweise ein Kriegsopfer vor? In seiner zeitgenössischen Chronik be-
schreibt ein Neudammer Pfarrer die Bestattung der unzähligen Soldaten in großen Massen-
gräbern, denen zudem ein quergelegtes Pferd beigegeben wurde.4Unser Fund scheint demnach
ein Hingerichteter gewesen zu sein, dessen Todesstrafe allerdings nicht näher bestimmbar ist.
Das Schlachtfeld Kunersdorf
In der Neuzeit war die Neumark häufig Zeuge militärischer Gewalt. Zahlreiche Feldschlach-
ten, wie z. B. bei Granow (1627), Zorndorf (1758), Kay und Kunersdorf (1759) sowie Bela-
gerungen, wie von Frankfurt (Oder) (1631, 1634, 1640), Crossen an der Oder (1631, 1633,
1634), Landsberg an der Warthe (1631, 1634, 1639) Driesen (1639) und Küstrin (1758,
1806 und 1813) fanden hier statt. Ebenso war das Land von den Durchmärschen der unter-
schiedlichen Armeen während des Dreißigjährigen Krieges (1618–1648), des Zweiten Nor-
dischen Krieges (1655–1660), des Schwedisch-Brandenburgischen Krieges (1674–1679), des
Gewalt im archäologischen Befund
4GStA PK, VI. HA, Nl Wentz, G. F. A., Nr. 53 (darin: Aufzeichnungen des Neudammer Pfarrers über
die Schlacht bei Zorndorf), Bl. 25.
Abb. 4: Die russische Haubitzen-Granate, der Zün-
der und das Werg aus Hanf, gefunden 2010 (Foto:
G. Podruczny).
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Großen Nordischen Krieges (1700–1721), des Siebenjährigen Krieges (1756–1763), des Vier-
ten Koalitionskrieges (1806–1807) und während der sogenannten Befreiungskriege (1813) be-
troffen.
Die Schlacht bei Kunersdorf gehört zu wichtigsten Ereignissen in der Militärgeschichte der
Neumark, gleichzeitig war sie die zweitgrößte Schlacht des Siebenjährigen Krieges. Am 12. Au-
gust 1759 kämpften hier ca. 130 Tausend Soldaten, darunter 60 Tausend Russen, 50 Tau-
send Preußen und 20 Tausend Österreicher. Die Schlacht fand auf heute polnischem Gebiet
statt, gehört jedoch nicht, wie andere zahlreiche Militärereignisse, zur polnischen National-
geschichte. Der Großteil der Forschung zur Schlacht stammt aus den Jahren vor 1945 und
wurde nicht selten bis weit in die Gegenwart als Grundlage zur Geschichtsdarstellung be-
nutzt.5Aus polnischen Forschungskreisen gab es kein gesteigertes Interesse, das Bild der
Schlacht sowie ihres Verlaufes zu korrigieren. Dass sich jedoch die tatsächlichen Schlachtver-
hältnisse vom überlieferten Geschichtsbild grundlegend unterscheiden müssen, erbrachten
bereits erste Begehungen des eigentlichen Schlachtfeldes.6Massengräber, die Bestattungsart,
Verletzungen, Alter und weitere Parameter, die mehr über den Zustand und die Herkunft der
Soldaten verraten können, bilden dabei einen großen Bestandteil der Fragestellungen. Befes-
tigungen im Gelände, wie Verhaue oder Schanzen, können den bewegenden Verlauf der
Schlacht dokumentieren.
Das Schlachtfeld von Kunersdorf wird bereits seit 2007 am Collegium Polonicum in Słubice
aufgearbeitet. In den ersten zwei Jahren der Forschung stand die Recherche in den Kartenbe-
ständen der Staatsbibliothek und des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz in Ber-
lin im Vordergrund. Die ersten Begehungen des Schlachtfeldes erbrachten im Zusammenhang
mit einer geodätischen Vermessung Hinweise auf ehemalige Feldbefestigungen aus der Zeit der
Marita Genesis / Grzegorz Podruczny
5Großer Generalstab (Hrsg.): Die Kriege Friedrichs des Großen. 3. Teil: Der Siebenjährige Krieg 1756–
1763. Bd. 10: Kunersdorf. Berlin 1912. – Stefan Hartmann: Eine neue Quelle zur Schlacht bei Ku-
nersdorf. In: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 42 (1991), S. 78–101.
6Grzegorz Podruczny: Der größte Fehler von Friedrich dem Großen. Największy błąd Fryderyka Wiel-
kiego. In: Friedrich 300. Gedanken zum Preußenkönig in den Oderstädten Frankfurt und Słubice.
Frankfurt/Oder 2012, S. 17–28.
Abb. 4: Die russi-
sche Haubitzen-
Granate, der
Zünder und das
Werg aus Hanf,
gefunden 2010
(Foto: G. Po-
druczny).
86 Heft 2/2016
Schlacht. Seit 2009 finden regelmäßige kurze archäologische Feldforschungen vor Ort statt.
Während dieser Zeit wurden die Überreste der Feldbefestigung dokumentiert. Zudem wurde
ein Einzelgrab eines Schlachtopfers archäologisch erfasst.
Durch Sondenbegehungen (Metalldetektor) konnten bisher 6663 unterschiedliche Funde
kartiert und geborgen werden. Die Mehrheit – 5498 Objekte (82,5 % aller Funde) – sind
mit der Schlacht bei Kunersdorf verbundene Funde. Am zahlreichsten vertreten 3715,
(55,7 %) – sind die Kleingewehr-Geschosse. Es wurden auch größere Fragmente sowie voll-
ständige Artilleriegeschosse gefunden. Bei insgesamt 619 Objekten (9,3 %) handelt es sich um
572 Kartätschen, 38 Fragmente von Haubitzen Granaten, drei komplette Haubitzen Grana-
ten und sieben Kanonenkugeln (Abb. 4), eine dreipfündige und sechs zwölfpfündige. Beson-
ders aufschlussreich sind die Kleinfunde. Bei 837 (12,5 %) von ihnen handelt es sich um
Uniformknöpfe. Weitere Kleinfunde stellen die aussagestarken Trachtbestandteile der Regi-
menter dar. Besonders wertvoll sind dabei das große Emblem mit dem Monogramm FR, das
einer preußischen Patronentasche zuzuordnen ist (Abb. 5) und zwei Abzeichen, die an russi-
schen Grenadiermützen befestigt gewesen sein dürften.
Wir hoffen, durch dieses Forschungsprojekt die Orte der Gewalt wieder in das Ge-
schichtsbewusstsein zu bringen und darüber hinaus eine verbindende übergreifende Erinne-
rungskultur für Polen und Deutsche zu schaffen. Mit der Übergabe der wissenschaftlichen
Dokumentation an die polnischen Denkmalbehörden zur nachhaltigen Bewahrung und
Pflege ergeben sich möglicherweise auch museale Konzepte, durch die das Schlachtfeld von
Kunersdorf und die Richtstätten der Neumark in einem gemeinsamen historischen Gedächtnis
erhalten bleiben.
Kontakt:
Richtstättenarchäologie: Dr. Marita Genesis,
Europa-Universität Viadrina, Mittelalterliche
Geschichte Mitteleuropas und regionale Kul-
turgeschichte, Große Scharrnstr. 59, 15230
Frankfurt (Oder),
www.richtstaettenarchaeologie.de
Schlachtfeldarchäologie: Dr. habil. Grzegorz
Podruczny, prof. UAM, Deutsch-Polnisches
Forschungsinstitut am Collegium Poloni-
cum, ul. Kościuszki 1, 69-100 Słubice
(Polen), podruczny@amu.edu.pl
Gewalt im archäologischen Befund
Abb. 5: Ein Emblem mit Monogramm FR, aus
preußischer Munitionstasche, gefunden 2012
(Foto: G. Podruczny).
4: die russische HaubitzenGranate, der Zünder und das Werg aus Hanf
  • Abb
Abb. 4: die russische HaubitzenGranate, der Zünder und das Werg aus Hanf, gefunden 2010 (Foto: G. Podruczny).