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VOGELWELT 139: 161 – 169 (2019) 161
1. Einleitung
Die Raumnutzung von Vögeln unterliegt starken
saisonalen und räumlichen Änderungen. Die maxi-
male Ausdehnung dieser Änderungen ndet sich im
Zuggeschehen zwischen den Brut- und Überwinte-
rungsgebieten. Aber auch innerhalb der Brutgebiete
verändern sich die räumlichen Skalen der Raumnut-
zung im zeitlichen Verlauf (z. B. O & K
1955). Ursächlich hierfür sind unter anderem die
Verteilung von Ressourcen im Raum bzw. die unter-
schiedlich intensive Nutzung von Habitaten während
der verschiedenen Brutzeitphasen, z. B. während der
Revierbesetzung, Eiablage und Brut sowie der Jung-
tieraufzucht (z. B. R et al. 2004). So reduziert etwa
eine Vielzahl von Arten ihre Aktionsräume und ihre
Flugstrecken vom Nest während des Bebrütens der Eier
oder der Jungenaufzucht (M et al. 1997). Nach-
dem die Jungvögel ügge sind, folgen Brutzeitphasen,
in denen die Jungtiere entweder schnell eigenständig
werden oder von den Elternvögeln geführt werden und
andere Habitate aufsuchen. Manche Arten, wie etwa
Kolkraben Corvus corax, sind während dieser Phasen
an ein enges Territorium gebunden, verändern aber
ihre Bewegungsmuster zusammen mit dem Nach-
wuchs (R et al. 2004). Auch bei Rotmilanen hal-
ten sich die bereits frei iegenden Jungtiere während
der sogenannten Bettelugphase noch im elterlichen
Raumnutzung des Rotmilans Milvus milvus im Verlauf der
Brutzeit: Eine Analyse mittels GPS-basierter Bewegungsdaten
eresa Spatz, Dana G. Schabo, Nina Farwig & Sascha Rösner
Spatz, T., D. G. Schabo, N. Farwig & S. Rösner 2019: Space use of Red Kites Milvus milvus
during breeding season – a GPS-approach using movement patterns. Vogelwelt 139: 161 – 169.
Space use of birds is driven by manifold factors and changes in scale and intensity over the
year. Investigating actual space use and movements during the breeding season with modern
satellite technology can provide important information on how individuals use the landscape.
In the current study, we analysed the movement data of 13 GPS-GSM tagged adult Red Kites
focussing on space use in relation to their nesting sites from March until September in Hesse,
Germany. e main aim of the study was to evaluate sex dierences in ight distances as well as
seasonal variation in movement patterns during the breeding season. Both, the summed ight
distance and the mean distance to the nest were clearly dierent between sexes and through the
breeding season. For the female Red Kites, the ight distance showed a phase pattern during the
breeding season. Initially ight distances decreased and reached their minimum between mid
of April to mid of May, with a median distance of 6.2 km (Q0.25 = 4.4 km, Q0.75 = 8.0 km). Later
in May, the ight distance of the females increased again till a maximum was reached from the
beginning of July till mid of July (Md = 83.5 km, Q0.25 = 46.5 km, Q0.75 = 134.1 km). e curve of
the mean distance to the nest of female Red Kites showed a similar course. For the male Red Kites,
the ight distance showed a shallow hump-shaped pattern during the breeding season. Flight
distances reached their maximum mid of May to mid of June (Md = 60.0 km, Q0,25 = 50.4 km,
Q0.75 = 70.5 km). e mean distance to the nest stayed rather on a constant level throughout the
breeding season (Md = 0.88 km, Q0.25 = 0.59 km, Q0.75 = 1.24 km). Over all, the course of the
curves of the ight distance and the mean distance to the nest from March to September could
be linked to ve dierent phases of the breeding season. For example, the ight distances of
males and females diverged in the middle of the territory occupancy phase and levelled back
to the same order of size just when the phase of begging ights started. In the post-breeding
phase in the rst pentads of August, both sexes levelled back to the original ight distances of the
initial phase of territory occupancy in March. Further, the local minimum of the ight distance
of female Red Kites marked the breeding period during which female Red Kites incubate the
eggs. By analysing the mean distance to the nest, we could also show that the bonding to the nest
persists across all phases into the post breeding phase. erefore, conservation and management
should be aware of seasonality of habitat use particularly in threatened species. For this reason,
conservation assessments should not only focus on the mere breeding phase of the Red Kite but
also consider non-breeding phases in to September.
Key words: Red Kite Milvus milvus, space use, movement ecology, bird of prey, GPS-telemetry,
nest bonding
162 T. SPATZ et al.: Raumnutzung des Rotmilans im Verlauf der Brutzeit
Revier auf und werden zum Teil noch gefüttert (A-
2009). Die Dauer dieser letzten Brutzeitphase
wird, je nach Quelle, mit zwei bis vier Wochen ange-
geben (A 2009, M et al. 2014, M
S 2014).
Mit den Übergängen zwischen den chronologisch
aufeinander folgenden Brutzeitphasen ändern sich
auch die Bewegungsmuster der Rotmilane, und dies
vermutlich auch in Abhängigkeit des Geschlechtes.
So ist bekannt, dass nur die weiblichen Tiere brüten
(O 1989, A 2009) und sich zu dieser
Zeit nur wenig im Revier bewegen. Die Männchen
übernehmen indes die Nahrungsversorgung für die
Weibchen (O 1989, A 2009). Nach dem
Schlupf der Jungtiere hudert das Weibchen die Küken.
Erst mit zunehmendem Alter der Jungtiere entfernt
es sich weiter vom Brutplatz und hil bei der Nah-
rungsversorgung (P & M 2015). Solche
geschlechtsspezischen Bewegungsmuster sind auch
für andere europäische Greifvogelarten wie etwa den
Rötelfalken Falco naumanni (H-P et al.
2017) oder den Spanischen Kaiseradler Aquila adalberti
(F et al. 2009) belegt.
Derart komplexe, sich verändernde Bewegungsmus-
ter machen ein zielgerichtetes Management von Arten-
schutzmaßnahmen sehr aufwändig. Bedingt durch
seinen Schutzstatus und die damit verbundenen arten-
schutzrechtlichen Verbote (§ 44 (1) BNatSchG) ist der
Rotmilan Gegenstand zahlreicher Planungsverfahren.
Dabei sind o sehr umfangreiche Untersuchungen not-
wendig, um den nachhaltigen Schutz dieser bedrohten
Greifvogelart sowohl am Brutplatz als auch in den Nah-
rungshabitaten zu gewährleisten. Auf Basis fachlicher
Empfehlungen, wie etwa Abstandsempfehlungen zu
bedeutsamen Vogellebensräumen, sollen artenschutz-
rechtliche Konikte, wie etwa das Schlagopferrisiko bei
Windkraanlagen, durch die Auswahl koniktarmer
Standorte reduziert werden (L-
V 2014). Ein detail-
liertes Wissen um die artspezischen Bewegungsmus-
ter – und damit um die Raumansprüche – ist daher
essentiell für zielführende Schutzstrategien.
Für die vorliegende Studie haben wir mittels Satel-
liten-Sendern (GPS-GSM) erfasste Bewegungsdaten
von 13 adulten Rotmilanen in Hessen analysiert, um
ein besseres Verständnis der Raumnutzung (geogene
Distanzen, Entfernung zum Brutplatz) im Verlauf der
Brutzeit und in Abhängigkeit des Geschlechts zu erhal-
ten. Folgende Fragestellungen wurden untersucht:
• Wie gestaltet sich die Raumnutzung im Sinne von
geogenen Distanzen und mittlerer Entfernung zum
Brutplatz im Verlauf der Brutzeit?
• Welche Unterschiede gibt es zwischen den Geschlech-
tern im Verlauf der Brutzeit?
• Verändert sich die Horstbindung im Verlauf der fünf
Brutzeitphasen (Revierbesetzung, Brutzeit, Jungtier-
aufzucht, Bettelugphase, Nachbrutzeit)?
2. Material und Methoden
Untersuchungsgebiet
Die Arbeiten zur vorliegenden Studie erstreckten sich über
das Bundesland Hessen. Hier ist der Rotmilan nahezu ä-
chendeckend verbreitet (S et al. 2010). Ausnahmen
stellen die menschlichen Ballungszentren im Rhein-Main-
Gebiet dar (Frankfurt, Darmstadt, Wiesbaden, S et
al. 2010). Regionale Brutdichten erreichen in Nordhessen
acht bis elf Brutpaare pro 100 km2 (G S 2010).
Im Zeitraum 2010-2014 brüteten ca. 1.000-1.300 Rotmilan-
paaren im Bundesland (S et al. 2010, G
K 2019).
Besenderung
An 13 verschiedenen Rotmilanhorsten wurde während der
Jungenaufzucht 2017 je einer der beiden Brutvögel mittels
der Dho-Gaza Methode (B et al. 2007) gefangen. Hierzu
wurde ein präparierter Uhu Bubo bubo in maximal 100 m
Distanz zum Horst hinter einem acht Meter langen und vier
Meter hohen Japannetz aufgestellt. Die auf den Uhu hassen-
den Altvögel verngen sich im Netz, welches aus der Distanz
visuell überwacht wurde. Der im Netz gefangene Rotmilan
konnte somit unmittelbar befreit und besendert werden.
Hessen - Hesse
Deutschland - Germany
Brutreviere Rotmilane
Red Kite territories
Abb. 1: Lage der 13 untersuchten Rotmilan-Reviere in Hes-
sen, Deutschland. – Distribution of 13 Red Kite territories
investigated in Hesse, Germany. Relief-Karte: Open Geospatial
Consortium (OGC) & Land Processes Distributed Active
Archive Center (LP DAAC).
VOGELWELT 139: 161 – 169 (2019) 163
Jeder auf diese Weise gefangene Vogel wurde beringt und
vermessen. Das Geschlecht sprachen wir anhand von Größe,
Gewicht sowie der Präsenz eines Brutecks an. Ein solar-
betriebener GPS-GSM-Sender der Firma Ornitela® wurde
mittels eines Rucksack-Geschirrs aus Teon-Band auf dem
Rücken der Tiere angebracht. Inklusive des Geschirrs wiegt
der Sender etwa 23 g. Somit wurden die nach K
(2001) maximal empfohlenen drei Prozent des Körperge-
wichts nicht überschritten.
Die Datenerfassung durch die GPS-Sender erfolgte von
Sonnenauf- bis Sonnenuntergang. Zur verbesserten Laueis-
tung des Senders wurden die Intervalle zur Bestimmung der
GPS-Positionen in Abhängigkeit des Akkus-Ladezustandes
programmiert. Bei einer Akkukapazität von 100 % - 75 %
wurde automatisiert alle fünf Minuten die aktuelle GPS-Posi-
tion bestimmt und gespeichert. Bei einem Ladezustand von
75 % bis 50 % wurde das Speicherintervall auf alle 30 Minu-
ten herabgesetzt. Ab einer Akkuleistung unterhalb von 50 %
wurden die Positionen nur stündlich (60 Minuten) erfasst.
Fiel die Akkuleistung unter 25 %, wurde nur alle acht Stun-
den die Position bestimmt. Bei Wieder-Auadung der Akkus
durch erhöhte Sonneneinstrahlung auf die Solareinheit stieg
die Logging-Frequenz enstprechend wieder an. Die erfassten
Positionen wurden täglich über das GSM-Mobilfunknetz auf
einen Server übertragen und dort für die weiteren Analysen
vorgehalten.
Auswertung der Bewegungsdaten
Als Datengrundlage dieser Studie wurden die Bewegungs-
daten 13 adulter Rotmilane aus dem Sommerhalbjahr 2018
verwendet. Zu Beginn der Datenauereitung wurden alle
Dopplungen (gleiche Zeitstempel und gleiche Position),
Null-Koordinaten (kein GPS-Signal empfangen) sowie
Positionen, an denen Geschwindigkeiten über 25 km/h
gemessen wurden (fehlerhae GPS-Erfassung; Ausreißer)
ausgeschlossen. Anschließend wurde ein Mindestzeitabstand
zwischen zwei Koordinaten von 3000 Sekunden festgelegt.
Dieser Schritt war notwendig, da die Erfassungsfrequenz -
wie oben beschrieben – je nach Akkustand variierte. Gerade
während der Brutzeit verbringen die weiblichen Tiere die
meiste Zeit auf dem Gelege sitzend im Schatten der Baum-
kronen. Daher liefern die Sender der Weibchen zu dieser
Zeit deutlich weniger Koordinaten als die der Männchen.
Da dies Auswirkungen auf die nachfolgenden Berechnungen
der geogenen Distanzen hat, wurde ein Mindestzeitabstand
von 3000 Sekunden zwischen zwei Positionen festgelegt. Das
Festlegen des Zeitabstandes führte zu großem Datenverlust,
bewirkte jedoch, dass eine annähernde Normalverteilung
in der Anzahl der verwendeten Geopositionen über den
gesamten Zeitraum für beide Geschlechter erreicht wurde.
In die Ergebnisse dieser Studie ossen daher insgesamt 33055
Datenpunkte von fünf weiblichen und acht männlichen Rot-
milanen aus dem Zeitfenster März bis September 2018 ein.
Beginnend mit dem 11. März 2018 (alle besenderten Indi-
viduen befanden sich in ihrem Brutrevier) wurden die Daten
in Pentaden (fünf Tage-Schritte) zusammengefasst. Die letzte
betrachtete Pentade endete mit dem 21. September 2018.
Danach trat das erste der telemetrierten Tiere den Herbstzug
an. Für jede dieser Pentaden wurde die geogene Gesamt-
distanz als Summe der Distanzen zwischen den erfassten
Positionen errechnet. Zudem wurde die mittlere Entfernung
aller Positionen zum Brutplatz pro Pentade errechnet. Für
diese Berechnungen kamen die Pakete „move“ (K-
et al. 2017) und „rgeos“ (B R 2017) in der
Soware R (R D T 2018) zur Anwendung.
Dies resultierte in 546 Datenpunkten je berechneter Variable
verteilt auf 39 Pentaden. Bei den weiteren Analysen wur-
den Datenpunkte ausgeschlossen, deren Berechnungen auf
weniger als zehn Geopositionen des Individuums innerhalb
der betrachteten Pentade beruhten (N = 4542 Datenpunkte).
Während der Datenauereitung wurde zwar ein Mindest-
zeitabstand zwischen zwei Positionen (siehe oben), jedoch
kein Maximalabstand, festgelegt. Infolgedessen wurden zur
Berechnung der geogenen Distanzen unterschiedliche
Anzahlen an Positionen genutzt. Da die zeitliche Auösung
Einuss auf die Berechnung der geogenen Distanzen hat
überprüen wir diesen Zusammenhang visuell (Abb. 2) und
mit einem Pearson-Korrelationstest aus dem „stats“-Paket
der Soware R (R D T 2018). Da dieser
normalverteilte Daten voraussetzt wurden die geogenen
Distanzen logarithmisch transformiert. Die Testergebnisse
zeigten, dass der Zusammenhang zwischen der berechneten
geogenen Distanz und der Anzahl der zur Berechnung ver-
wendeten Positionen zwar signikant war (p < 0,001), jedoch
war der Korrelationskoezient r mit 0,2 nur klein (0 = kein
Zusammenhang, 1 = perfekter Zusammenhang, Abb. 2). Der
Zusammenhang ist daher als sehr schwach zu beurteilen und
in unseren Augen unproblematisch für die Analysen.
0
100.000
200.000
300.000
400.000
500.000
25 50 75
Anzahl der zur Berechnung verwendeten Positionen / Pentade
Pearson-Korrelationstest: p<0,001, r=0,2
Pearson correlation: p<0.001, r=0.2
Berechnete geflogene Distanz [m] –
calculated ight distance [m]
100
Abb. 2: Der Zusammenhang zwischen
der berechneten geogenen Distanz
[m] mit der Anzahl der zur Berechnung
verwendeten Positionen pro Tag ist als
schwach zu beurteilen (Pearson-Korre-
lationstest: p < 0,001, r = 0,2). e relation
between the calculated ight distance [m]
and the number of positions per day used
for the calculation is considered weak
(Pearsons correlation: p < 0.001, r = 0.2)
164 T. SPATZ et al.: Raumnutzung des Rotmilans im Verlauf der Brutzeit
Der zeitliche Verlauf der geogenen Distanzen sowie
der mittleren Entfernung zum Brutplatz wurde anschlie-
ßend mit der Hilfe Generalisierter Additiver Mischmodelle
(GAMM) analysiert. Dazu fand das Paket „mgcv“ (W
2006) Anwendung. GAMM nehmen einen nicht-linearen
Zusammenhang der Variablen an. Die Modelle versuchen
sich stattdessen dem gegebenen Zusammenhang bestmög-
lich anzunähern (s. Abb. 3 und Abb. 4) indem eine Glät-
tungsfunktion (smooth-term) in die erklärenden Variablen
integriert wird. In den verwendeten Modellen wurden die
geogene Distanz bzw. die mittlere Entfernung zum Brutplatz
als abhängige Variable verwendet. Dazu wurden die Daten
zuvor logarithmisch transformiert, um eine Normalvertei-
lung zu erreichen. Da wir unterschiedliche Verhaltensweisen
zwischen den Geschlechtern sowie eine Änderung des Ver-
haltens im zeitlichen Verlauf erwarteten, wurde den Model-
len neben dem Geschlecht als erklärende Variable zusätzlich
eine Glättungsfunktion des zeitlichen Verlaufs sowie eine
Glättungsfunktion des zeitlichen Verlaufs gruppiert nach den
Geschlechtern hinzugefügt. Wirken sich beide Glättungs-
funktionen signikant auf die abhängige Variable aus, kann
geschlussfolgert werden, dass die Geschlechter im zeitlichen
Verlauf unterschiedlichen Trends folgen ( R 2015). Um
den intrinsischen Eigenschaen der Individuen Rechnung zu
tragen, wurden diese als zufällige Faktoren (random factors)
in den Modellen berücksichtigt.
Der Verlauf der Pentaden-bezogenen Distanzwerte wurde
mittels Box-Whisker-Plots (Median) und Fehlerbalken
(1. Quartil, 3. Quartil) sowie der Vertrauensintervalle der
GAMM dargestellt (s. Abb. 3 und Abb. 4). Zur zeitlichen Ein-
ordnung der Ergebnisse wurden die vier zentralen Ereignis-
räume Eiablage, Schlupf, Ausug, sowie das Verlassen der
elterlichen Reviere in den Abbildungen 2 und 3 kenntlich
gemacht. Dazu verwendeten wir Daten von 13 Jungtieren
von sechs der untersuchten Rotmilane, die im Juni 2018 in
verschiedenen Naturräumen Hessens beringt und besendert
wurden. Die Horste der übrigen sieben untersuchten Rotmi-
lane waren nicht erkletterbar. Somit konnten deren Jungtiere
nicht vermessen werden. Anhand der am Besenderungsda-
tum gemessenen Flügellänge und der Formel nach M
S (1995) bestimmten wir das Alter der Jungtiere an
den oben genannten sechs Horsten. Damit bestimmten wir
in Folge rückwirkend den Schlupermin sowie, ausgehend
von einer durchschnittlichen Brutdauer von 34 Tagen (31-
38 Tage, B et al. 2005), den Brutbeginn des jeweiligen
Altvogels. Anhand der Bewegungsdaten konnte der Brutbe-
ginn insbesondere bei den weiblichen Tieren visuell durch die
Akkumulation der Positionen auf dem Brutplatz überprü
und veriziert werden. Zur Ermittlung des Zeitpunktes, an
dem die Jungtiere die elterlichen Reviere verlassen, wurden
die Bewegungsdaten von fünf besenderten und ausgeogenen
Jungtieren (s.o.) analysiert und präsentiert (Abb. 3 und 4).
Die übrigen Jungtiere waren bereits zuvor im oder am Horst
noch vor dem Ausiegen prädiert worden.
Da zwei weibliche Rotmilane ihr Verhalten auällig stark
änderten, nachdem ihre Jungen kurz vor dem Ausiegen
alle prädiert worden waren, wurde die Analyse mit einem
reduzierten Datensatz wiederholt. Dazu wurden die zwei
weiblichen Individuen ab der Pentade des Prädationsereig-
nisses (Pentade 20 bzw. 21) aus dem Datensatz entfernt und
die Modelle erneut gerechnet. Da die Ergebnisse konsistent
blieben (s. Ergebnisteil), werden in Tabellen und Abbildun-
gen die Gesamtdaten präsentiert.
Mit Beginn der Revierbesetzung sowie den vier zentralen
Ereignissen (Eiablage, Schlupf, Ausug, Verlassen des elter-
lichen Reviers) lassen sich somit die fünf Brutzeitphasen (s.
Tab. 1) darstellen. Da zur Abgrenzung der Brutzeitphasen
nur Daten von sechs der 13 berücksichtigten Rotmilane ver-
wendet werden konnten und die Dauer der einzelnen Phasen
aufgrund verschiedener Faktoren variieren können (B
et al. 2005), sind die hier gezeigten Grenzen nicht als absolut
zu verstehen. Die fünf Phasen überlappen und dienen dazu,
beobachtete Verhaltensweisen, im Sinne von geogenen Dis-
tanzen und Entfernung vom Brutplatz, einzuordnen.
3. Ergebnisse
Sowohl das Geschlecht als auch die Zeit hatten einen sig-
nikanten Einuss auf die geogene Distanz (GAMM:
p < 0,001, R2 = 0,56, reduzierter Datensatz: GAMM:
p < 0,001, R2 = 0,57) bzw. auf die mittlere Entfernung
zum Horst pro Pentade (GAMM: p < 0,001, R2 = 0,56,
reduzierter Datensatz: GAMM: p < 0,001, R2 = 0,68).
Dabei zeigten die Kurven der beiden Geschlechter
unterschiedliche Verläufe (Tab. 2, Abb. 3 und 4).
Weibchen
Die von den weiblichen Rotmilanen geogenen Distan-
zen wiesen im zeitlichen Verlauf starke Schwankungen
auf (s. Abb. 3). Ausgehend von einem mittleren Niveau
Anfang März elen die geogenen Distanzen auf ein
deutliches Minimum zwischen Mitte April und Mitte
Mai. Darauf folgte ein Maximum Anfang bis Mitte Juli.
Ab Anfang/Mitte August pendelten sich die geogenen
Distanzen wieder in ähnlichen Wertebereichen wie
Anfang März ein. Ohne die beiden weiblichen Tiere
ab der Pentade des Prädationsereignisses (Pentade 20
bzw. 21) el das Maximum Anfang bis Mitte Juli etwas
geringer aus.
Der Verlauf der mittleren Entfernung zum Brutplatz
änderte sich über die Zeit ähnlich (Abb. 4). Zunächst
Tab. 1: Übersicht der Brutzeitphasen des Rotmilans mit Zeitspannen und Pentaden-Nummern. Chronological list of the ve
breeding phases of Red Kites with time spans and pentads.
Brutzeitphasen – breeding phases Zeitspannen – time frames Pentaden – pentads
Revierbesetzung – Establishment of territory 11. März – 17. April P1 – P9
Brutzeit – Breeding 07. April – 21. Mai P7 – P14
Jungtieraufzucht – Chick rearing 11. Mai – 08. Juli P13 – P24
Bettelugphase – Fledgling phase 29. Juni – 02. August P23 – P29
Nachbrutzeit – Post breeding phase 24. Juli – 21. September P28 – P39
VOGELWELT 139: 161 – 169 (2019) 165
nahm die Entfernung zum Brutplatz ab und erreichte
zwischen Mitte April und Mitte Mai ein deutliches Mini-
mum. Anschließend stieg diese wieder an und erreichte
im Juli ihr Maximum. Bis Mitte August nahm die Entfer-
nung zum Brutplatz wieder ab. Ab dann entfernten sich
die weiblichen Rotmilane ähnlich weit vom Brutplatz
wie die Männchen. Auch hier el der Maximalwert im
Juli ohne die beiden Weibchen ab der Pentade des Prä-
dationsereignisses im Mittel etwas geringer aus.
Männchen
Bei den männlichen Rotmilanen schwankten die geo-
genen Distanzen im zeitlichen Verlauf deutlich weniger
stark, jedoch gegenläug zu den Weibchen. Von einem
mittleren Niveau zu Beginn des Studienzeitraums
Anfang März stiegen die geogenen Distanzen bis zu
einem Maximum von Mitte Mai bis Mitte Juni. Danach
sanken die geogenen Distanzen wieder und erreichten
ab Anfang August wieder das Ausgangsniveau (Abb. 3).
Die mittlere Entfernung der männlichen Rotmilane
zum Brutplatz änderte sich im zeitlichen Verlauf wenig,
nahm jedoch im zeitlichen Verlauf stetig zu (Abb. 4).
Revierbesetzung
Während dieser Phase nahm die geogene Distanz bei
den weiblichen Tieren ab, die der Männchen hingegen
zu (Abb. 3). Auch die mittlere Entfernung zum Horst
nahm bei den weiblichen Tieren ab, wohingegen bei
den männlichen Tieren die Entfernung zum Brutplatz
moderat stieg (Abb. 4).
Brutzeit
Während dieser Brutzeitphase war die geogene
Distanz bei den weiblichen Tieren im Gesamtverlauf
betrachtet am geringsten; bei den männlichen Tieren
nahm die geogene Distanz weiter zu (Abb. 3). Die
mittlere Entfernung zum Horst der weiblichen Tiere
betrug nur wenige Dutzend Meter; bei den männlichen
Tieren stieg die Entfernung zum Brutplatz weiter an
(Abb. 4).
Jungenaufzucht
Während der Jungenaufzucht stieg die geogene Dis-
tanz der weiblichen Tiere kontinuierlich und erreichte
am Ende der Phase ihr Maximum (Abb. 3). Ohne die
beiden weiblichen Tiere, die nach Prädationsereignis
ihr Revier verließen, el dieses Maximum etwas gerin-
ger aus. Die männlichen Tiere legten während dieser
Phase die weitesten Distanzen zurück, jedoch nahmen
diese gegen Ende dieser Brutzeitphase auch wieder ab
(Abb. 3). Auch die mittlere Entfernung der weiblichen
Rotmilane zum Brutplatz stieg mit Fortschreiten der
Jungenaufzucht. Diese entfernten sich gegen Ende der
Phase weiter weg als die Männchen (Abb. 4). Auch
ohne die beiden weiblichen Tiere, die nach Prädati-
onsereignis ihr Revier verließen, entfernten sich die
Weibchen weiter vom Horst als die Männchen.
Bettelugphase
Während der Bettelugphase zeigten die geogenen
Distanzen der weiblichen Rotmilane einen stärkeren
abnehmenden Trend als die der Männchen (Abb. 3).
Auch ohne die beiden weiblichen Tiere, die sich aus
ihrem Revier entfernt hatten, war dieser abnehmende
Trend bei den Weibchen stärker ausgeprägt als bei
den Männchen. Zum Ende dieser Brutzeitphase, am
Übergang zur sich anschließenden Nachbrutzeit,
glichen sich die geogenen Distanzen zwischen den
Geschlechtern wieder an (Abb. 3). Die geogenen Dis-
tanzen nivellierten sich zwischen den Geschlechtern im
reduzierten Datensatz auf ähnliches Niveau.
Die mittlere Entfernung zum Brutplatz war bei den
weiblichen Tieren während dieser Phase am höchsten
Tab. 2: Summierte Flugdistanzen [km] und mittlere Entfernungen zum Brutplatz [km] von 13 Rotmilanen. – Sum of ight
distances [km] and mean distances from nest site [km] of 13 Red Kites.
Brutzeitphasen
breeding phases
Revierbesetzung
Establishment of
territory
Brutzeit
Breeding
Jungtierauf-
zucht
Chick rearing
Bettelug-
phase
Fledgling phase
Nachbrutzeit
Post breeding
phase
Alle Phasen
Over all
Geogene Distanz
Flight distance [km]
w m w m w m w m w m w m
Min 0,8 3,5 0,5 10,0 0,5 15,9 19,2 17,2 21,5 13,6 0,5 3,5
Q25 6,1 31,1 4,4 38,8 7,4 48,7 46,3 36,1 33,5 28,2 13,4 34,1
Md 19,6 39,3 6,2 51,2 23,2 58,6 72,0 48,0 41,1 38,0 32,0 46,5
Q75 31,9 46,5 8,0 61,8 49,1 70,5 134,1 62,2 51,1 57,5 49,0 62,2
Max 74,0 151,2 20,2 97,5 508,3 149,3 508,3 112,5 325,8 205,7 508,3 205,7
Distanz zum Horst – Distance to the nest [km]
Min 0,02 0,13 0,02 0,20 0,01 0,20 0,31 0,38 0,78 0,38 0,01 0,13
Q25 0,06 0,42 0,04 0,52 0,07 0,74 1,25 0,76 1,05 0,70 0,12 0,59
Md 0,25 0,59 0,06 0,71 0,22 0,91 1,83 1,07 1,25 1,21 0,66 0,88
Q75 0,44 0,71 0,11 0,93 0,56 1,11 3,43 1,28 1,62 1,54 1,34 1,24
Max 1,88 12,42 0,17 1,39 292,97 6,38 80,48 4,03 161,94 19,95 292,97 19,95
166 T. SPATZ et al.: Raumnutzung des Rotmilans im Verlauf der Brutzeit
100000
15
März / March April / April Mai / May Juni / June Juli / July August / August
Eiablage
Start: Revierbesetzung
start: territory occupancy
11. März / 11th of march
Revierbesetzung / territory occupancy
Brutzeit / incubation
Jungenaufzucht / chick rearing
Bettelugphase / begging ights
Nachbrutzeit / post-breeding period
Summierte Flugdistanzen / sum of ight distance
[log
10
(x) meters]
Pentaden-Intervalle / pentad time scale
Schlupf
hatching edging
Ausug
dispersal
Verlassen
der
elterlichen
Reviere
eggs
September
10 20 25 30 35
15
Besuch Schlafplätze
Communal roosting
Weibchen
female
Männchen
male
500
1000
2500
5000
10000
25000
50000
250000
500000
●
●
●
●
●
●
●●
●
●
●
●●
●
●
Abb. 3: Verteilung der summierten Flugdistanzen [m] über die Brutzeit von 13 hessischen Rotmilanen. Gruppierung inner-
halb von Pentaden (Px = Pentade mit der Nummer x) unter Angabe des Medians, des ersten Quartils [entspricht 25 % der
Werte] und des dritten Quartils [entspricht 75 % der Werte] sowie einzelner Ausreißer (Punkte). – Distribution of summed
ight distances [m] within 5-day intervals (Px= pentad with number x) over the breeding season of 13 Red Kites in Hesse,
Germany. First [25 % of all values], third [75 % of all values] quantile are given besides median as box-whisker-plots alongside
with outliers (points).
10
25
Mittlere Flugdistanz vom Horst / mean ight distance from nest
[log
10
(x) meters]
März / March April / April Mai / May Juni / June Juli / July August / August
Eiablage
Start: Revierbesetzung
start: territory occupancy
11. März / 11th of march Schlupf
hatching edging
Ausug
dispersal
Verlassen
der
elterlichen
Reviere
eggs
10 20 25 30 35
15
15
Pentaden-Intervalle / pentad time scale
Revierbesetzung / territory occupancy
Brutzeit / incubation
Jungenaufzucht / chick rearing Nachbrutzeit / post-breeding period
Besuch Schlafplätze
Communal roosting
Weibchen
female
Männchen
male
50
100
250
500
1000
2500
5000
10000
25000
50000
100000
250000
Bettelugphase / begging ights
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
●
Abb. 4: Verteilung der mittleren Distanzen [m] zum Nistplatz über die Brutzeit von 13 hessischen Rotmilanen. Gruppierung
innerhalb von Pentaden (Px = Pentade mit der Nummer x) unter Angabe des Medians, des ersten (entspricht 25 % der Werte)
und des dritten Quartils (entspricht 75 % der Werte) sowie einzelner Ausreißer. – Distribution of mean distances [m] to nest
sites within 5-day intervals (Px= pentad with number x) over the breeding season of 13 Red Kites in Hesse, Germany. First [25 %
of all values], third [75 % of all values] quantile are given besides median as box-whisker-plots alongside with outliers (points).
VOGELWELT 139: 161 – 169 (2019) 167
und überstieg deutlich die der Männchen (Abb. 4).
Im reduzierten Datensatz war der Unterschied in der
mittleren Entfernung zum Brutplatz zwischen den
Geschlechtern schwächer ausgeprägt. Die Entfernung
zum Brutplatz der Männchen stieg weiter geringfügig
an (Abb. 4).
Nachbrutzeit
Während der Nachbrutzeit waren keine deutlichen
Unterschiede mehr in den zurückgelegten Distanzen
zwischen den Geschlechtern erkennbar (Abb. 3). Die-
ses Muster traf auch für den reduzierten Datensatz zu.
Auch die mittlere Entfernung zum Brutplatz unter-
schied sich nur zu Beginn der Nachbrutzeit zwischen
den Geschlechtern, wobei die Weibchen sich nach wie
vor weiter entfernten als die Männchen (Abb. 4). Im Ver-
lauf der Nachbrutzeit pendelten sich die Entfernungen
jedoch auf dem relativ konstanten Niveau der männli-
chen Tiere ein. Auch ohne die beiden weiblichen Tiere,
die sich aus ihrem Revier entfernt hatten, lag die mittlere
Entfernung zum Brutplatz der Weibchen nur zu Beginn
der Nachbrutzeit etwas höher als die der Männchen.
4. Diskussion
Die Bewegungsdaten von 13 adulten Rotmilanen aus
dem Sommerhalbjahr 2018 wurden hinsichtlich der
zurückgelegten Distanzen und der mittleren Ent-
fernung zum Brutplatz analysiert. Es konnte gezeigt
werden, dass die Raumnutzung im Verlauf der fünf
Brutzeitphasen insbesondere bei den weiblichen Tiere
stark variierte und daher auch Unterschiede zwischen
den Geschlechtern deutlich wurden.
Bemerkenswerterweise zeigten unsere Daten, dass
während des gesamten Sommerhalbjahres, d. h. von
März bis September, eine enge Horstbindung bei bei-
den Geschlechtern besteht, und zwar auch, nachdem
die Jungvögel bereits ausgeogen sind. Diese Ergebnisse
sind von Bedeutung für naturschutzfachliche Begutach-
tungen, z. B. in der Eingrisplanung. Um ein erhöhtes
Tötungsrisiko durch eine geplante Windkraanlage
auszuschließen, ist in Hessen die Raumnutzung kolli-
sionsgefährdeter Großvögel bislang nur während der
Revierbesetzung und Brutzeit zu erfassen (H
M U, E, L-
V A 2012).
Aufgrund der beständigen Horstbindung auch in der
Nachbrutzeit sollte der Untersuchungszeitraum bis
in den September hinein ausgeweitet werden. Zudem
empehlt die Länderarbeitsgemeinscha der Vogel-
schutzwarten einen Mindestabstand von 1,5 km zu
bekannten Rotmilan-Brutplätzen, da hier etwa 60 % der
Flugbewegungen stattnden (L-
V 2014). Unsere Daten
bestätigen diesen Hauptaktivitätsraum, da sich über den
gesamten Untersuchungszeitraum 75 % der von uns
untersuchten Rotmilane im Mittel kaum außerhalb
dieses Bereichs bewegten. Leichte Unterschiede in den
absolut betrachteten Zahlen sind methodisch bedingt:
In der Arbeit von P M (2015), auf der
die Abstandsempfehlung basiert, ging es vorrangig um
die Jungenaufzuchtphase und die damit verbundene
erhöhte Flugaktivität zur Nahrungsbeschaung. Daher
wurden zum einen nur die Positionen der Männchen zur
Berechnung der Entfernung vom Horst berücksichtigt.
Zum anderen blieben alle Positionen im 100 m Radius
um den Horst unberücksichtigt, da der Fokus auf der
Entfernung zwischen Brutplatz und regelmäßig genutz-
ten Jagdgründen lag (P M 2015). Da
in der vorliegenden Studie der Bezug zum Horst für
beide Geschlechter im Vordergrund stand, wurde die
Entfernung zum Horst über fünf Tage ohne eine Berei-
nigung von Positionsdaten in Horstnähe gemittelt. Ent-
sprechend sind auch die Positionen, die am Morgen und
Abend in Horstnähe erfasst wurden, in die Berechnung
des Hauptaktivitätsraums miteingegangen und resultier-
ten daher in etwas geringen mittleren Entfernungen
zum Horst. Dieser Hauptaktivitätsraum (1,5 km um
den Horst) konnte in unserer Studie sogar bis in den
September hinein abgebildet werden.
Die Bewegungsmuster von männlichen und weib-
lichen Rotmilanen unterschieden sich im Verlauf der
Brutzeitphasen. Während der Revierbesetzungsphase
im März entfernten sich beide Geschlechter ähnlich
weit vom Brutplatz, wobei die männlichen Tiere wei-
tere Strecken ogen als die weiblichen. In der anschlie-
ßenden Brutphase wurden die geschlechtsspezischen
Unterschiede im Bewegungsverhalten sehr deutlich. Die
Weibchen entfernten sich – bedingt durch das Brutge-
schä und das anschließende Hudern der Dunenjungen
– kaum vom Horst. Da die männlichen Vögel zu dieser
Zeit die Weibchen mit Futter versorgen müssen (A-
2009), waren ihre geogenen Distanzen entspre-
chend höher. Auch die ersten Tage nach dem Schlupf der
Jungtiere ist das Männchen für die Nahrungsversorgung
verantwortlich. Erst wenn die Nestlinge zwei bis drei
Wochen alt sind hil das Weibchen (A 2009).
Dann hat ein Jungtier einen Futterbedarf von etwa 150 g
pro Tag (G et al. 2015, B et al.
2019). Ausgehend von dieser Futtermenge und einer
Gelegegröße von 1-3 Jungvögeln, müssen die Elterntiere
150 g-450 g Nahrung zum Horst transportieren. Auch in
unseren Daten zeigte sich, dass mit zunehmendem Alter
der Jungtiere, und dem damit einhergehenden hohen
Futterbedarf, sowohl die geogene Distanz als auch die
mittlere Entfernung zum Horst der weiblichen Tiere
langsam wieder stieg (Abb. 3 und 4).
Im Übergang zwischen der Phase der Jungenaufzucht
und der sich anschließenden Bettelugphase erreich-
ten die geogenen Distanzen der weiblichen Tiere ihr
Maximum. Auch die mittlere Entfernung zum Horst
der Weibchen war in dieser Phase am höchsten und
nahm erst im weiteren Verlauf wieder ab. Insbesondere
die hohe mittlere Entfernung zum Horst ist durch das
Verhalten zweier weiblicher Tiere nach dem Verlust
ihrer Brut durch Prädation beeinusst. So pendelte
168 T. SPATZ et al.: Raumnutzung des Rotmilans im Verlauf der Brutzeit
ein weiblicher Rotmilan seit dem Tag nach Brutverlust
zwischen dem Brutplatz und Ostfrankreich. Ein wei-
teres Weibchen bewegte sich in den vier Wochen nach
Verlust der Brut bis zu 200 km in östliche Richtung.
Werden diese Individuen ab der Pentade, in der die
Prädation stattfand, aus dem Datensatz entfernt, bleibt
der Kurvenverlauf der geogenen Distanzen gleich.
Die Dierenz der geogenen Distanzen zwischen
den Geschlechtern verringert sich allerdings etwas.
Bei der mittleren Entfernung zum Horst übersteigen
die Distanzwerte der Weibchen die der Männchen nur
wenig. Prädation ist ein natürliches Ereignis, auf das
die beiden weiblichen Rotmilane mit Flugstrecken weit
aus dem Brutrevier hinaus reagiert haben. Bei ande-
ren Individuen, deren Brut vollständig prädiert wurde,
wurden keine solchen extremen Bewegungen festge-
stellt. Entsprechend haben wir nur für die Extremata
der beiden weiblichen Tiere ab dem Prädationsereignis
korrigiert. Allerdings zeigt sich auch im reduzierten
Datensatz eine durchgehend starke Horstbindung über
die gesamte Brutsaison bis in den September hinein.
Selbstverständlich muss die hier gezeigte Abgren-
zung der Brutzeitphasen der hessischen Rotmilane
mit Vorsicht betrachtet werden. Wie bereits beschrie-
ben basiert diese auf Jungtierdaten von sechs der 13
untersuchten adulten Tiere. Zudem kann die Dauer
der einzelnen Phasen aufgrund verschiedener Faktoren
variieren. So ist bekannt, dass die Brutdauer der Rot-
milane von der Gelegegröße abhängt und demgemäß
zwischen 31 und 38 Tagen variieren kann (B et al.
2005). Die Dauer der Phase der Jungtieraufzucht wird
zudem stark von der Nahrungsverfügbarkeit in der
Umgebung des Horstes beeinusst (B et al. 2005).
Auch intrinsische Faktoren, wie z. B. die Erfahrung der
Alttiere, spielen sicherlich eine wichtige Rolle. Die hier
visualisierten Übergänge dienen daher nur zur Ori-
entierung, um die Bewegungsmuster der Rotmilane
im Verlaufe des Brutgeschehens besser zu verstehen.
Insgesamt konnten wir zeigen, dass sich die unter-
schiedlichen Aufgaben männlicher und weiblicher Rot-
milane während des Brutgeschehens deutlich in ihren
Bewegungsmustern widerspiegeln. Diese geschlechts-
spezischen Muster bestätigen ähnliche Beobachtun-
gen an anderen europäischen Greifvogelarten wie etwa
bei Rötelfalken Falco naumanni (H-P
et al. 2017) oder beim Spanischen Kaiseradler Aquila
adalberti (F et al. 2009). Aufgrund der für
beide Geschlechter gezeigten starken Horstbindung
während des gesamten Sommerhalbjahres appellieren
wir mit Nachdruck für eine Anpassung der Untersu-
chungszeiträume von Raumnutzungsgutachten.
Dank. Die vorliegende Studie ist Teil eines Forschungs-
projektes an der Philipps-Universität Marburg, Fachbe-
reich Biologie, Arbeitsgruppe Naturschutz. Die Arbeiten
werden durch ein Promotionsstipendium der Deutschen
Bundesstiung Umwelt (DBU) für T. S gefördert. Die
Genehmigung zur Besenderung der Tiere wurde durch das
Regierungspräsidium Gießen (gültig auch für RP Kassel,
RP Darmstadt) ausgestellt. Das Projekt genießt die breite
fachliche Unterstützung des Institutes für Vogelforschung
(IfV), Vogelwarte Helgoland, und der Staatlichen Vogel-
schutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland.
Die intensiven Feldarbeiten werden durch HessenForst, die
Hessische Gesellscha für Ornithologie und Naturschutz
(HGON e. V.) sowie zahlreiche Einzelpersonen unterstützt.
Ebenso arbeiten diverse Mitarbeiter/innen und Studierende
der Arbeitsgruppe Naturschutz dem Projekt zu.
Vielen Dank an R. R und P. S für die Koope-
ration und die gemeinsamen Feld- und Kletterarbeiten.
5. Zusammenfassung
Spatz, T., D. G. Schabo, N. Farwig & S. Rösner 2019: Raumnutzung des Rotmilans Milvus milvus im Verlauf der Brutzeit:
Eine Analyse mittels GPS-basierter Bewegungsdaten. Vogelwelt 139: 161 – 169.
Die Raumnutzung zahlreicher Vogelarten variiert auf
unterschiedlichen räumlichen Skalen über den gesamten
Jahresverlauf. Das Wissen um die realen Raumnutzungs-
und Bewegungsmuster in Relation zum Brutplatz stellt
dabei essentielle Informationen zum Verständnis über die
Verteilung von Arten in Raum und Zeit. Kleine, leichte und
hochauösende Geräte zur GPS-Telemetrie erlauben es heute
auch während der Brutzeit die komplexen Bewegungsmuster
wildlebender Vögel zu bestimmen und zu analysieren. In
der vorliegenden Studie haben wir die Raumnutzung von
13 mittels GPS-GSM-Einheiten telemetrierten adulten Rot-
milanen in Relation zum Brutplatz von März bis September
in Hessen analysiert. Dabei war die Evaluation folgender
Inhalte von Bedeutung: Etwaige geschlechtsspezische
Unterschiede in der Raumnutzung, saisonale Variation der
Bewegungsmuster sowie die Raumnutzung über die gesamte
Spanne der Brutzeit. Unsere Ergebnisse zeigten signikante
Unterschiede sowohl in den zurückgelegten Distanzen als
auch den mittleren Entfernungen zum Horststandort zwi-
schen beiden Geschlechtern und entlang der zeitlichen Achse
auf. Die Flugmuster der weiblichen Rotmilane zeigte einen
phasischen Verlauf. Auf der Zeitachse von Mitte März an war
zunächst die starke Abnahme der geogenen Distanzen der
Weibchen auällig. Das Minimum wurde zwischen Mitte
April bis Mitte Mai erreicht , mit einem Medianabstand von
6,2 km (Q 0,25 = 4,4 km, Q 0,75 = 8,0 km). Ab Ende Mai nahmen
dann die Flugdistanzen wieder zu, bis schließlich in der ersten
Juli-Häle das Maximum erreicht wurde (Md = 83,5 km, Q 0,25
= 46,5 km, Q 0,75 = 134,1 km). Der Kurvenverlauf der mittleren
Entfernung zum Nest zeigte einen ähnlichen Verlauf über die
Pentaden. Die Flugmuster der männlichen Rotmilane zeigte
einen unimodalen Verlauf mit einem Maximum zwischen
Mitte Mai und Mitte Juni (Md = 83,5 km, Q 0,25 = 46,5 km, Q 0,75
= 134,1 km). Die Flugdistanzen zum Horst blieben über den
Jahresverlauf jedoch auf einem konstanten Wert (Md = 0,88
km, Q 0,25 = 0,59 km, Q 0,75 = 1,24 km). Mit dem hier gewähl-
ten Ansatz konnten wir die räumlichen Änderungen der
Bewegungsmuster über alle fünf Brutzeitphasen und einem
Zeitfenster von sieben Monaten dokumentieren. Durch die
Analyse der mittleren Entfernung zum Horst konnte eine
VOGELWELT 139: 161 – 169 (2019) 169
klare Horstbindung beider Geschlechter über die gesamte
Brutzeit bis in die späte Nachbrutzeit im September gezeigt
werden. Für nachhaltige Schutz- und Managementmaßnah-
men sollte daher insbesondere bei gefährdeten Vogelarten
die räumlich und zeitlich dierenzierten Bewegungsmustern
Berücksichtigung nden. Diese Eckdaten und Zeitskalen zur
Bewegungsökologie brütender Rotmilane sollten somit zwin-
gend in die planerische Relevanz dieser Greifvögel einießen.
Aus diesem Grund sollte man sich nicht nur auf die reine
Brutphase vom Rotmilanen konzentrieren, sondern auch
die Nachbrutphasen bis in den September hinein berück-
sichtigen.
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(letzter Zugriff: 19.05.2019)
W, S. N. 2006: Generalized Additive Models: An Intro-
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eresa Spatz, Philipps-Universität Marburg,
Arbeitsgruppe Naturschutz, Karl-von-Frisch-Str.
8, D-35043 Marburg; E-Mail: theresa.spatz@uni-
marburg.de, www.rotmilane.de
Manuskripteingang: 15. Juli 2019
Annahme: 26. August 2019