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Lesen im digitalen Zeitalter

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Abstract

Der Beitrag prüft die Shallowing-Hypothese, wonach digitale Leseangebote oberflächliche Leseverfahren verstärken würden. Davon ausgehend kommentiert er die Stavanger-Erklärung kritisch und entwickelt Dimensionen digitaler Textkompetenz.
Philippe Wampfler / Axel Krommer
Lesen im digitalen Zeitalter
Einleitung
In ihrer Metastudie zu den Auswirkungen digitaler Technologie auf Lesefertigkeiten hal-
ten Delgado et al. in der Diskussion ihrer Ergebnisse fest, Lesen auf digitalen Endgeräten
stelle erhöhte Anforderungen an Kinder:
„For children growing up surrounded by digital technologies, skills such as the ability to
search and navigate, read critically, and multitask are essential (e.g. Salmeron, Garcia, &
Vidal-Abarca 2018). Such skills place demands on attention and executive processes that
may not be fully developed in children and adults reading digital texts.“ (Delgado et al.
2018, S. 34)
Die erwähnten Fertigkeiten – Suchstrategien anwenden, in digitalen Texten navigieren,
sie kritisch lesen und Multitasking betreiben – entwickeln Kinder nicht beiläufig. Ihr
Erwerb stellt eine Herausforderung für alle Altersgruppen dar. Delgado et al. formulieren
eine Hypothese, wie der „screen inferiority effect” (ebd.) zu erklären sein könnte:
„The Shallowing Hypothesis suggests that because the use of most digital media consists
of quick interactions driven by immediate rewards (e.g. number of ‘likes’of a post), rea-
ders using digital devices may find it difficult to engage in challenging tasks, such as rea-
ding comprehension, requiring sustained attention.” (Delgado et al. 2018, S. 34)
Kurz: Die Affordanz (Boyd 2014, 18 ff.) digitaler Leseangebote bestärkt dieser Hypothese
gemäß oberflächliche Leseverfahren, die wiederum verhindern, dass die erforderlichen
Kompetenzen für eine wirksame digitale Lektüre erworben werden.
Die Shallowing-Hypothese, die insbesondere durch das populärwissenschaftliche Buch
The Shallows von Nicholas Carr (2010) einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde, findet
sich als Ausgangspunkt auch in der Stavanger-Erklärung, einer Stellungnahme von 130
Forschenden zur Zukunft des Lesens (vgl. auch den Beitrag vonYvonne Kammerer in die-
ser Ausgabe, S. 64 ff.):
„Die Forschung zeigt, dass Papier weiterhin das bevorzugte Lesemedium für einzelne län-
gere Texte bleiben wird, vor allem, wenn es um ein tieferes Verständnis der Texte und um
das Behalten geht. Außerdem ist Papier der besteTräger für das Lesen langer informativer
Texte. Das Lesen langer Texte ist von unschätzbarem Wert für eine Reihe kognitiver Leis-
tungen wie Konzentration,Aufbau eines Wortschatzes und Gedächtnis. Daher ist es wich-
tig, dass wir das Lesen langer Texte als eine unter mehreren Leseformen bewahren und
fördern.“ (COST & E-READ 2019)
Der folgende Beitrag prüft diese These, indem er digitale Leseverfahren beschreibt, ana-
lysiert und davon ausgehend didaktische Konsequenzen ableitet.
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Lesen im digitalen Zeitalter
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Digitale Lektüre – ein Beispiel
Abb. 1 Screenshot der deutschen Übersetzung der Stavanger-Erklärung auf faz.net:
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/themen/stavanger-erklaerung-
von-e-read-zur-zukunft-des-lesens-16000793html?printPagedArticle=true#
pageIndex-0 (Zugriff am 11.08.2019)
Als Beispiel für digitale Lektüre soll die deutsche Übersetzung der Stavanger-Erklärung
(COST & E-READ 2019) dienen, die am 22.01,219 auf faz.net publiziert wurde.
Wie der Screenshot zeigt, ist der Text auf einer digitalen Plattform erschienen, die ver-
schiedene Möglichkeiten zur Interaktion anbietet: Leserinnen und Leser können sich ein-
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loggen, zwischen den Ressorts wechseln, eineWetterprognose abrufen oder denArtikel –
schon vor der Lektüre – auf anderen digitalen Plattformen teilen. Auf dem Screenshot ist
keine Werbung zu sehen, weil ein Werbeblocker diese unterdrückt.Anzeigen würden wei-
tere Angebote zur Interaktion unterbreiten.
Die Möglichkeit, Werbung zu unterdrücken, zeigt, dass zur Lektüre auch eine Reihe von
Filtermöglichkeiten gehören, die das digitale Endgerät und die Darstellungssoftware des
jeweiligen Nutzers zur Verfügung stellen. Zu den elementaren Filtern zählen z.B. Suchop-
tionen, die es erlauben, direkt auf bestimmte Begriffe im Text zuzugreifen. Andere Filter
können das typografische Erscheinungsbild der Texte verändern oder gar bestimmte
Wortkombinationen durch andere ersetzen (bekannt sind etwa Filter, die vulgäre Sprache
ausblenden oder gendersensible Formulierungen überschreiben bzw. in einenText einfü-
gen).
Auch wenn die Stavanger-Erklärung auf Links verzichtet, ist der digitale Text intertextuell
mit einer Reihe anderer Texte verknüpft. Beispielsweise lässt sich durch einen Klick auf
den Pfeil unter der Illustration die Bildlegende einblenden, die erklärt, dass hier eine spe-
zielle Ausgabe von „Jane Eyre” zu sehen ist. Scrollt der Leser nach unten, muss er mit
einem Klick die zweite Seite der Publikation freischalten – eine Eigenheit digitaler Publi-
kationen, mit der für Werbezahlungen relevante Metriken wie „Page Views” beeinflusst
werden sollen. Auf der zweiten Seite sind dann weitere Texte verlinkt, etwa ein Kommen-
tar zur Erklärung von Fridtjof Küchemann, der englische Originaltext der Erklärung oder
eine Seite, auf welcher der FAZ-Text für weitere Publikationen lizenziert werden könnte.
Am Schluss des Textes sind auch Kommentare eingebettet. Hier besteht für Leserinnen
und Leser die Möglichkeit, ihrerseits einen Kommentar zum Text zu hinterlassen.
Wie sieht nun ein typischer Leseprozess der Stavanger-Erklärung aus? Spricht Storrer
(2018) aus einer schreibdidaktischen Perspektive von „interaktionsorientiertem Schrei-
ben“, so dürfte es sich hier um ein „interaktionsorientiertes Lesen“ handeln. Wer die
Erklärung liest, interagiert mit der digitalen Plattform, auf der sie publiziert ist. Diese
Interaktion ist nicht linear bestimmt, das heißt es ist nicht festgelegt, wie sie genau abläuft
und worin die Interaktion besteht. Mögliche Interaktionen sind der Absprung zu einem
anderen Text, dasVerbreiten des Links zum Text oder eines Zitates aus demText auf einem
Social-Media-Kanal, das Hinterlassen eines Kommentars, der Wechsel zur Lektüre des
englischen Originals des Textes, das Nachschlagen eines Begriffes etc.
Merkmale digitaler Leseprozesse
Die Faz.net-Version der Stavanger-Erklärung ist wie die Erklärung selbst (http://
ereadcost.eu/stavanger-declaration/) das, was Maik Philipp als „multiplen Text“ bezeich-
net. Ein „verstehende[r] Umgang mit multiplen Texten“ besteht in seinem Verständnis
darin, „Inhalte vonTexten/Dokumenten gezielt (mit ihren Metadaten) kognitiv zu kombi-
nieren und für ein verstehendes Lesen zu nutzen“ (Philipp 2019, 26). Multiple Texte kom-
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binieren „Informationen unterschiedlicher Herkunft und Modalität” sowie Metadaten
(ebd.). Ganz allgemein bezieht sich digitale Lektüre auf multiple Texte.
Die Stavanger-Erklärung an sich ist ein Beispiel dafür, dass diese Form von Texten zum
Standard geworden ist. Ist in ihrer Einleitung die Rede davon, Papier sei „weiterhin das
bevorzugte Lesemedium für einzelne längere Texte“, so liegt hier ein problematischer
Medienbegriff vor. Er geht davon aus, dass es einen gleichsam neutral-fixierten Textinhalt
geben könne, der sich in unterschiedlichen Lesemedien unverändert abbilden lasse
(Papier, Computerbildschirm, E-Book-Reader, Smartphone etc.). Blickt man auf das For-
schungsdesign der berücksichtigten Meta-Studien, stellt sich heraus, dass diese medien-
theoretisch fragwürdige Annahme sogar methodisch notwendig ist. Denn ein Kriterium,
das Studien erfüllen müssen, um in der Meta-Analyse von Delgado et al. berücksichtigt zu
werden, lautet:
„Reading materials are comparable across media in terms of content, structure, and pre-
sence of images. Therefore, specif ic features of digital environments, such as hyperlinks
or web navigations, are not present in the digital-based condition.“ (Delgado et al., S. 26).
Die der Meta-Studie zugrunde liegende Hypothese lautet demnach: Wenn man „reading
material“ auswählt, das keine typischen Eigenschaften multipler Texte besitzt, dann gibt
es ein medienübergreifendes – und damit letztlich medienunabhängiges – tertium compa-
rationis zwischen Papier- und Bildschirmtext.
Doch dieses tertium comparationis ist lediglich ein heuristisches Konstrukt. Wenn man
sophistisch argumentierte, könnte man darauf hinweisen, dass Delgado et al. zunächst ein
medienunabhängiges Textsubstrat konstruieren müssen, um schließlich festzustellen,
dass dieses Substrat vom jeweiligen Lesemedium gerade nicht unabhängig ist, wenn es
um Rezeptionsprozesse geht.
Diese Zusammenhänge lassen sich auch durch einen Rückgriff auf das Konzept der
„Remediation“ theoretisch erhellen. Bolter und Grusin (1999) bezeichnen mit diesem
Begriff (im Anschluss an McLuhan) die Repräsentation eines Mediums (z.B. einer Tages-
zeitung) in einem anderen Medium (z.B. im Internet). Formen der Remediation sind
typisch für digitale Medien und sie gehen oft einher mit der Tendenz, dass das digitale
Medium unsichtbar bzw. transparent erscheint: „The digital medium wants to erase itself,
so that the viewer stands in the same relationship to the content as she would if she were
confronting the original medium.“ (BolterGrusin 1999, S. 45). Zum Forschungsdesign
der Lesestudien gehört daher eine Form der Remediation: Gedrucktes wird auf den Bild-
schirm eines Computers transferiert, der sich als digitales Medium „selbst ausradiert“,
d.h. unsichtbar macht, um dem Leser den Eindruck zu vermitteln, mit dem ursprüngli-
chen Medium (Papier) in Kontakt zu treten. Festzuhalten ist jedoch, dass Texte von ihrer
spezifischen Medialität nicht zu trennen sind. Das gilt sowohl für Papier- als auch für
Bildschirmtexte: Die ausgedruckte Stavanger-Erklärung ist daher ein anderer Text als die
digital publizierte. Das Ausdrucken verändert die ursprünglich im Netz veröffentlichte
Erklärung.
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Das lässt sich auch durch einen vertieften Blick in die Struktur multipler bzw. digitaler
Texte erläutern: Digitale Texte weisen zwei unterschiedliche Textebenen auf, nämlich
einen in der Regel für den Nutzer unsichtbar bleibenden codierten Quelltext, der für die
Verarbeitung durch Programme konzipiert ist, und eine semiotisch-semantisch kodierte
Textebene, die für Leserinnen und Leser sichtbar erscheint (vgl. Frederking/ Krommer
2019). Diese Ebene ist multimodal, symmedial, konnektiv, interaktiv und diskursiv struk-
turiert (vgl. Frederking 2014; Siefkes 2015). Welche dieser Eigenschaften Texte besitzen,
wird in der codierten Tiefenstruktur des Textes festgelegt, ist aber für die Lesenden auf der
Oberflächenstruktur sichtbar.
Was bedeuten diese Eigenschaften genau? Multimodalität und Symmedialität betonen
das Miteinander verschiedener Zeichensysteme, die unterschiedliche Wahrnehmungs-
und Verarbeitungsaktivitäten erfordern. Schriftliche Sprache, Bilder, Icons und Link-
Strukturen liegen bei digitalen Texten fast immer kombiniert vor, hinzu kommen mögli-
cherweise Darstellungselemente, die erst beim Scrollen eingeblendet werden (Wampfler
2019, 158), eingebettete Social-Media-Texte (ebd., 159), Videos, Audio-Dateien etc.
Multimodal sind Texte, weil sie verschiedene semiotische Codierungsformen benutzen,
symmedial, weil diese konvergieren, aber auch differieren können (vgl. hierzu auch Lobin
2018, S. 107 113).
Konnektiv ist ein Text, der durch Hyperlinks mit anderen Texten verbunden ist. Alle auf
digitalen Plattformen publizierte Texte sind konnektiv, auch wenn keine expliziten Hyper-
links in einen Text eingebunden werden, ist er als Publikation im Netz immer mit anderen
Texten verlinkt.
Während die Interaktionsangebote oben schon diskutiert worden sind, liegt der Fokus bei
der Diskursivität darauf, dass diese Texte Teile eines argumentativen Dialogs darstellen
und aus kommunikativen Handlungen resultieren.
Gehen wir also davon aus, dass es sich bei digitalen Texten um multiple, multimodale,
interaktive und diskursive Texte handelt, dann kann in einem zweiten Schritt darüber
nachgedacht werden, welche Fähigkeiten für einen kompetenten Umgang mit solchen
Texten notwendig sind.
Dimensionen digitaler Textkompetenz aus didaktischer Sicht
Frederking und Krommer (2019) haben ein differenziertes Konzept vorgelegt, das aus
didaktischer Perspektive zehn Dimensionen digitaler Textkompetenz unterscheidet. Die-
ses Konzept wird im Folgenden in einer verkürzten und vereinfachten Version skizziert,
die sich auf sechs zentrale Fähigkeiten beschränkt:
1. Die Fähigkeit zum rezeptiven Erfassen und produktiven Nutzen der Multimodalität
eines digitalen Textes
Gemeint ist damit die Fähigkeit zum Erfassen der referentiell-semantischen Verbindung
oraler, literal-skriptografischer, piktoraler, auditiver und audiovisueller medialer Textele-
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mente (vgl. Frederking 2014; Siefkes 2015). So erfordert die Rezeption einer aus Schrift-
textabsätzen, Bildern, Ton- und Filmdokumenten bestehenden Nachrichtenseite im Netz
eine umfassendere Rezeptions- und Verstehenskompetenz als das Lesen einer konventio-
nellen printmedialen Zeitungsseite – eine Anforderung, auf die der Deutschunterricht
Lernende ebenso vorzubereiten hat wie auf das Lesen printmedialer Texte. Ähnliches lässt
sich für deren Produktion feststellen.
2. Die Fähigkeit zur Rezeption und Produktion der spezifischen Zeichenstruktur eines
digitalen Textes
Hier geht es um die Fähigkeit zum Erfassen des Wechselbezuges von Inhalt und Form der
Elemente eines symmedialen digitalen Textes. So sollten Lernende über die Kompetenz
verfügen, den semiotischen Bezug von Text- und Bildelementen auf einer Webseite,
einem Eintrag in sozialen Medien usw. in seinen expliziten und impliziten Facetten zu
erfassen und in seiner Bedeutung zu verstehen. In diesem Bereich sieht auch die Stavan-
ger-Erklärung entsprechenden Forschungsbedarf. Aus didaktischer Sicht sind die vielfäl-
tigen Kompetenzen wahrzunehmen, die Lernende insbesondere im Umgang mit Sozialen
Medien ausgebildet haben und die im Deutschunterricht, der immer noch (implizit) am
Leitmedium des Buches orientiert ist, selten thematisiert werden. So setzt bereits die Wahl
des geeigneten Kommunikationskanals spezifische Fähigkeiten voraus, die in der Regel
in informellen Kontexten erworben werden. WhatsApp, Instagram, Snapchat etc. weisen
höchst unterschiedliche Affordanzen auf, die im Unterricht expliziert werden können, um
das Medialitätsbewusstsein zu fördern und medienadäquate Formen der Partizipation zu
reflektieren (vgl. Groeben 2002).
3. Die Fähigkeit zum kompetenten rezeptiven und produktiven Umgang mit der Konnek-
tivität eines digitalen Textes
Dazu gehört die Fähigkeit, intertextuelle bzw. intermediale Anspielungen und Rekurse
(vgl. Bromme 2014; Stadtler, Bromme & Rouet 2018) eines digitalen Textes zu erfassen
und die hypertextuell bzw. hypermedial über Verlinkung generierten Bezugnahmen zu
verstehen (vgl. Frederking, Krommer & Maiwald 2018). Lernende sollten in der Lage
sein, Anspielungen und hypertextuelle Verknüpfungen nicht nur wahrzunehmen und in
ihrem intentionalen und funktionalen Kern zu verstehen oder zu gestalten, sondern auch
den Bezug der einzelnen inhaltlich oder per Link verbundenen semiotischen Einheiten
aufeinander. Entscheidend ist, dass auch Lehrende sich aktiv mit der Jugendkultur ausei-
nandersetzen, um solche Referentialisierungen – z. B. in Gestalt populärer Memes – über-
haupt verstehen und einordnen zu können.
4. Die Fähigkeit zum Erfassen und Nutzen der Textsorte eines digitalen Textes und der
damit verbundenen kommunikativen Funktionen
Das Spektrum digitaler Textsorten ist groß. Bei funktionalen digitalen Texten umfasst es
analog zu printmedialen pragmatischen Texten (vgl. dazu Brüggemann 2019) Nachricht,
Information, Darstellung, Beschreibung, Werbung, Rede, Manifest, persönliche Mit-
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teilung, Selbstdarstellung, Kommentar etc. Aber auch digitale poetische Texte gibt es in
allen auch aus dem printmedialen Bereich bekannten Gattungen: digitale Poetik (z.B. als
Hyperfiction; Block 2004; Bendt 2017), digitale Prosa (z. B. als digital story telling; Low-
enthal 2009; Sylvester & Wendylou 2009), digitale Dramatik (Frederking & Krommer
2003; Engel 2006). Digitale Textsorten zu kennen und dieses Wissen souverän anzuwen-
den, ist eine Kompetenz, über die Lernende verfügen müssen, um die mit einemText ver-
bundenen Absichten erfassen und einschätzen zu können.
5. Die Fähigkeit zum rezeptiven Erfassen und kompetenten produktiven Gestalten aller
mit der Intentionalität eines digitalen Textes verbundenen Herausforderungen
In rezeptiver Hinsicht ist damit die Fähigkeit gemeint, mit Blick auf die gewählte Text-
sorte die erkennbaren Ziele des Autors bzw. der Autorin ebenso zu erfassen wie die inten-
dierten emotionalen und kognitiven Reaktionen auf Seiten derer, die sie rezipieren. In der
sich etablierenden digitalen Medienkultur wird es eine Schlüsselkompetenz sein, die offe-
nen und verdeckten Intentionen in einem digitalen Text zu erkennen, z.B. um Fake News
zu identifizieren und Ansätze zur Desinformation durch die Einbeziehung überprüfbarer
Daten schnell erfassen zu können (vgl. Frederking, Krommer & Maiwald 2018, Kap. 9).
Es geht mithin um die Fähigkeit zum Erfassen von Manipulationsabsichten, um den
Erfordernissen digitaler Aufklärung entsprechen zu können. Insbesondere digitale Texte,
die in sozialen Netzwerken produziert und rezipiert werden, sollten im Unterricht im Hin-
blick auf explizite und implizite Kommunikations-Intentionen analysiert werden. Auf
diese Weise lässt sich die spezifische Referentialität, ihre Wirkung bei der Strukturierung
kommunikativer Gemeinschaften und ihre Abhängigkeit von algorithmischer Filterung,
Sortierung und Verbreitung sichtbar machen.
6. Die Fähigkeit zum Umgang mit den ethisch-normativen Aspekten der in sozialen
Netzwerken wie Twitter oder Instagram entstehenden digitalen Texte
Gemeint ist damit der Sachverhalt, dass Social Media-Aktivitäten teilweise grundlegend
anderenKommunikationsregelnund–normenfolgenalssieintraditionellenmedialen
Formen wie dem Face-to-Face-Gespräch oder dem gedruckten Text gelten (vgl. Krommer
2014; Boyd 2014). Lernende und Lehrende müssen ein Verständnis für die Besonderhei-
ten dieser neuen, sich permanent wandelnden kommunikativen Praxen der Textproduk-
tion und -rezeption sowie deren (impliziter) Normen entwickeln. Nur auf diese Weise
können sie nicht nur Chancen von Social Media wie den spontanen digital-textlichen
Selbstausdruck oder das textbasierte Entstehen neuer virtueller Gemeinschaften nutzen,
sondern auch Risiken erkennen und Herausforderungen begegnen. Ethisch-moralische
Aspekte, die sich aus dem Umgang mit digitalen Texten ergeben, können aus der Sicht
kulturell etablierter Normen nicht immer angemessen beurteilt werden. Bereits 1997 hat
Wermke davor gewarnt, dass „Erwachsene ihre Probleme mit neuen Medien zu Proble-
men der Schüler erklären“ (Wermke 1997, S. 61.). Quantitative (z.B. DIVSI 2014) und
qualitative Studien (z.B. Boyd 2014) zeichnen im Hinblick auf Werte und Normen, die
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mit der Produktion und Rezeption digitaler Texte verbunden sind, ein differenzierteres
Bild (z.B. im Hinblick auf Konzepte wie Privatheit und Freundschaft).
Didaktische Konsequenzen
„[D]er kompetente Umgang mit multiplen Texten bzw. Dokumenten [lässt sich] vor allem
durch ein zutiefst strategisches, also zielbezogenes, zugleich aber individuelles und fle-
xibles kognitives Vorgehen beschreiben”, heißt es bei Philipp (2019, 258). Betrachtet man
die Darstellung der verschiedenen Fähigkeiten, so wird deutlich, wie komplex diese Kom-
bination von strategischem Vorgehen und individueller Reaktion auf digitale Texte zu
gestalten und zu fördern ist.
Abb. 2 Verortung von Lese- und Schreibstrategien, nach Philipp (2019, 266)
Die in der Stavanger-Erklärung verwendete Shallowing-Hypothese geht dabei von einem
sehr einfachen Kontext-, Aufgaben- und Dokumentenmodell aus: dem Lesen klassischer,
kanonischer schriftsprachlicher Texte im schulischen Unterricht. Da aber digitale Texte
oft in eine interaktive, symmediale Umgebung eingebunden sind, braucht es dafür ent-
sprechend differenziertere und diversere Modelle. Die didaktischen Herausforderungen
bestehen darin, digitale Leseprozesse nicht mit den Lernumgebungen der vor-digitalen
Lesesozialisation zu begleiten und nicht einseitig an den (Wert-)Maßstäben der vor-digi-
talen Lesekultur zu messen.
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Das lässt sich etwa am Begriff der Konzentration zeigen. Besteht bei der Lektüre eines
Schulbuchtextes Konzentration darin, die Wahrnehmung während möglichst langer Zeit
linear auf einen Primärreiz zu richten, so kann bei digitaler Lektüre Konzentration bedeu-
ten, im richtigen Moment die Aufmerksamkeit auf einen Nebenreiz zu lenken und Filter,
Suchen und andere nicht-lineare Verfahren einzusetzen.
Mit der Konzeption von Philipp kann eine einfache didaktische Konsequenz für die kom-
petente Lektüre digitaler Texte abgeleitet werden: Der Erwerb von „Lesestrategien und je
nach Fokus der zu erwerbenden Fähigkeiten zum Teil auch Schreibstrategien“ (Philipp
2019, 341). Diese Strategien dürfen nicht mit den im letzten Abschnitt entwickelten Kom-
petenzen verwechselt werden: Eine Strategie besteht beispielsweise darin, Quellenver-
weise bewusst wahrzunehmen, sie dazu auszuzeichnen, ihre Funktion zu benennen und
die Quellen zu beurteilen. Die Strategie fördert die Fähigkeit, die Konnektivität einesTex-
tes zu erfassen, hilft aber auch beim Verständnis der Intentionalität eines Textes.
Kehren wir zur Stavanger-Erklärung zurück. Ganz offensichtlich kann man aus der Shal-
lowing-Hypothese nicht schließen, künftig digitale Texte einfach auszudrucken, um sie
nicht länger auf dem Bildschirm, sondern auf Papier zu lesen. Das würde bedeuten, sich
den komplexen Herausforderungen zu entziehen, die für die Lektüre digitaler Texte not-
wendig sind. Diese Überlegung verdeutlicht noch einmal, dass sich der Vergleich zwi-
schen der Rezeption nicht-digitaler und digitaler Texte auf ganz unterschiedliche Texte
und kognitive Aufgaben bezieht. Diese Schieflage ist auch der Stavanger-Erklärung
(methodisch) eingeschrieben, da davon ausgegangen wird, dass multimodale, konnektive
und interaktive Texte auch gleichwertig als monomodale, nicht-konnektive und nicht-
interaktive gelesen werden könnten.
Welche Konsequenzen das hat, lässt sich exemplarisch an einemAbschnitt aus der Stavan-
ger-Erklärung zeigen:
„Es bedarf geeigneter Maßnahmen, um bessere Leitlinien für die Einführung digitaler
Technologien zu entwickeln, vor allem im Bildungsbereich, aber auch ganz allgemein im
Bereich der Medien. Im Blick auf die Erziehung bedeutet dies zum Beispiel die Entwick-
lung eines empirisch validierten Unterrichts in digitalen Lesefertigkeiten (Auswahl,
Bewertung und Integration der vorfindlichen digitalen Information sowie die Navigation
in diesen Umgebungen).“
Die kritische Lektüre dieser zwei Sätze ist für die hier vorliegenden Zusammenhänge ent-
scheidend. Die Formulierung „Einführung digitaler Technologien“ suggeriert, dass diese
Technologien erst in der Zukunft überhaupt erst relevant werden könnten, während prakti-
sche alle Texte zunächst als digitale Texte konzipiert werden und erst in einem zweiten
Schritt allenfalls auch nicht-digital publiziert werden.
Wichtig sind auch Begrifflichkeiten wie „im Bereich der Medien“ oder „digitale Lesefer-
tigkeiten“. Ein Blick auf die englische Originalpassage, die im Browser mit zwei Klicks
erreichbar ist, zeigt, dass die deutsche Übersetzung zumindest problematisch ist, entfernt
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sie doch den Begriff der Umgebung („environment“) bzw. ersetzt ihn durch „Bereich“.
Dasselbe passiert mit „digital literacy skills“, einem Fachbegriff, der mit „Lesefertigkei-
ten“ ungenau, wenn nicht gar verzerrend übersetzt wird:
„Appropriate action is needed to develop better guidelines for the implementation of digi-
tal technologies, especially in education, but also in media environments more generally.
With respect to education this pertains, for example, to the development of empirically
validated instruction in digital literacy skills (selecting, navigating, evaluating, and inte-
grating information encountered digitally).“
Wer nur die deutsche Version der gedruckten Stavanger-Erklärung liest, wird diese subti-
len, aber bedeutsamen Verschiebungen nicht in derselben Weise kritisch evaluieren kön-
nen wie jemand, der online navigierend in verschiedenen digitalen Versionen interaktiv
Informationen auswählen, vergleichen, bewerten und integrieren kann.
Zwei mögliche Konsequenzen aus der Shallowing-Hypothese können in der Gegenüber-
stellung beurteilt werden: Der Fokus auf nicht-digitale Leseprozesse erweist sich vor dem
Hintergrund eines didaktisch reflektierten, differenzierten und auf empirischen Studien
abgestützten Erwerbs umfassender Fähigkeiten in der Rezeption und Produktion digitaler
Texte als eine höchst problematische Ableitung. Digitale Texte als nicht-digitale zu lesen
führt zu einem reduzierten und verzerrten Verständnis dieser Texte.
Eine nicht zu unterschätzende – und keinesfalls nur didaktische! – Herausforderung
besteht auch darin, einseitigen und populistischen Auslegungen der Shallowing-Hypo-
these entgegenzutreten, wie sie z.B. von Maryanne Wolf, einer Unterzeichnerin der Sta-
vanger-Erklärung, medienwirksam verbreitet werden. In ihrem Buch „Schnelles Lesen,
langsames Lesen“ (2019) schürt sie – einen bewahrpädagogischen Topos fortschreibend
– irrationale Ängste vom Verlust der Kultur und des Menschseins durch den neuen digita-
len Lesestil. Gerade im Diskurs über digitale Bildung erzeugt diese überzogene und
undifferenzierte Verlusthypothese bei all jenen eine positive Resonanz, die stets nach
Gründen suchen, notwendige Veränderungen im Bereich des Lernens und Lehrens so
lange wie möglich hinauszuschieben.
Doch die Befürchtungen vom Ende der Lesekultur sind u.a. deshalb unbegründet, weil
das Lesen im Rahmen der Kultur der Digitalität (vgl. Stalder 2016) vielfältige Formen
annimmt, die Wolf in ihrer Abhandlung vollständig ausblendet: Kinder und Jugendliche
lesen neben gedruckten Büchern auch digitale Texte auf Plattformen wie „Wattpad“ oder
„Hooked“, sie lesen Computerspiele wie „The Stanley Parable“ oder „Valiant Hearts“, sie
lesen Instagram-Lyrik und Twitter-Threads, sie lesen YouTube-Videos und Serien wie
„How to Sell Drugs Online Fast“ etc.
Aus didaktischer Sicht gibt es angesichts dieser digitalen Anthologie jedoch mindestens
zwei Probleme: Zum einen spielen die genannten Textsorten curricular bestenfalls eine
Nebenrolle, zum anderen haben viele Lehrende keinen Zugang zu den medialen Welten
der Lernenden. Zugespitzt formuliert: Man kennt sich aus im Feuilleton der FAZ, hat aber
noch nie etwas von Rupi Kaur, Paluten oderAnna Todd gehört, geschweige denn gelesen.
THEMA Lesen im digitalen Zeitalter
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Auf solche Defizite, Wissenslücken und Lernbedarfe auf der Seite der Lehrenden, nicht
der Jugendlichen, hat jüngst auch der Rat für kulturelle Bildung in seiner YouTube-Studie
(2019, S. 47) deutlich hingewiesen.
Wer diese Wissenslücken füllen und sich einen Überblick über den Facettenreichtum des
digitalen Lesens verschaffen möchte, dem sei ein Vortrag empfohlen, den Gerhard Lauer,
ebenfalls Unterzeichner der Stavanger-Erklärung, im Juni 2019 auf einer Tagung in Mün-
chen gehalten hat. Lauer erläutert darin nicht nur digitale Lesewelten und -optionen, son-
dern skizziert auch die wissenschaftlichen Probleme, die sich aus der Digitalisierung des
Lesens ergeben. Die Quellenangabe zu Lauers Vortrag soll den Abschluss dieses Textes
markieren. Und sie verweist ganz bewusst auf einenText, den man nicht ausdrucken kann,
sondern am Bildschirm rezipieren muss:
http://kurzelinks.de/lauer
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Axel Krommer
Akademischer Oberrat am Lehrstuhl für Didaktik der deutschen Spra-
che und Literatur an der Universität Erlangen-Nürnberg
Web: www.axelkrommer.com | Twitter: mediendidaktik
Philippe Wampfler
Deutschlehrer an einem Gymnasium in Zürich und Dozent für Fachdi-
daktik Deutsch an der Universität Zürich
Web: www.phwa.ch | Twitter: phwampfler
THEMA Lesen im digitalen Zeitalter
THEMA
... Medien lässt sich sicherlich mit der Funktionsweise und den Spezifika digitaler Medien erklären, wie z. B.ihrer Symmedialität (also die Verbindung verschiedener medialer Formen wie Text, Bild, Ton, Film) und Interaktivität, die auch etablierte Kulturtechniken wie das Lesen beeinflussen(Wampfler & Krommer, 2019).Digitale Medien ermöglichen auch aus didaktischer Perspektive Neuerungen, die sich auf die Art des Lernens auswirken, wieKrommer (2020) zusammenfasst: In Anlehnung an McLuhan(1964/1997) verdeutlicht er, dass das Lernen vom jeweiligen Medium geprägt wird, das in Lehr-/Lernkontexten eingesetzt wird. So unterscheidet sich etwa ein Lernen mit Büchern und Arbeitsblättern, das sich durch eine gewisse Statik auszeichnet, grundsätzlich vom Lernen in einer digitalen Lernumgebung, die u.a. ...
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Digitale Medien prägen unseren Alltag und verändern durch ihre Eigenschaften Kulturtechniken wie bspw. das Lesen maßgeblich (Wampfler & Krommer, 2019). Die Digitalität nimmt auch Einfluss auf die Kunstform des Theaters: So sind digitale Medien wie Online-Rollenspiele (z. B. Nellhaus, 2017) oder soziale Netzwerke (z. B. Lonergan, 2015) von theatralen Elementen geprägt, die das Potenzial eröffnen, das Konzept des Theaters zu erweitern und damit starre Grenzen zwischen Medien und verschiedenen Kunstformen verschwimmen zu lassen. Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich vor diesem Hintergrund mit den Möglichkeiten „neue[r] Formen des Unterrichtens“ (Eickelmann & Gerick, 2017, S. 158), die digitale Medien für das szenische Lernen ermöglichen. Auf Grundlage praktischer Erfahrungen in einer Unterrichtseinheit zum Drama „Nathan der Weise“ im Fernunterricht eines Oberstufenkurses wird anhand des Tools StoryboardThat zur Gestaltung von Comics aufgezeigt, wie es durch seine spezifischen digitalen Gestaltungsmöglichkeiten Aspekte szenischen Lernens ermöglichen kann. Dabei wird deutlich, dass starre Grenzziehungen zwischen den etablierten Kunstformen Comic und Theater durch Spezifika der Digitalität hinterfragt werden können und insbesondere Potenziale für die Individualisierung und Binnendifferenzierung im Unterricht bereithalten.
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Einen Beitrag zur Debatte rund um digitale Medien im Deutschunterricht hat nun auch der in München lehrende Deutschdidaktiker Michael Rödel vorgelegt. Sein Buch Schule, Digitalität & Schreiben verdichtet Ergebnisse eines von der VolkswagenStiftung geförderten Projekts. Diese lassen sich in zwei Teile gliedern: In einem ersten konstatiert Rödel eine "Schieflage des Diskurses", in dem mit "Sprachbildern" ein "Digitalisierungsdruck" aufgebaut werde (zitiert nach Lüber 2020), der zweite besteht aus einer Analyse von Konzeptionen des digitalen Schreibens.
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Die gesellschaftliche Bedeutung populärkultureller Formate wie der TV-Serie hängt nicht nur von den ästhetischen Medienprodukten selbst ab, sondern auch von ihrer kommunikativen Verarbeitung in der Interaktion. Dabei bieten Serien in hohem Maße ein identitäts- und gemeinschaftsstiftendes Potential, dem sich die vorliegende Studie aus gesprächsanalytischer Perspektive widmet. Anhand von videographierten Gesprächen über Serien und Serienrezeption zwischen Schüler/-innen wird erörtert, wie sich die Teilnehmenden miteinander vergemeinschaften und voneinander abgrenzen, in welchem Zusammenhang dabei interaktive Bewertungskonstruktionen und der relative Wissensstatus stehen und welchen Einfluss die medialen und ästhetischen Ressourcen der Serien für interaktionale Positionierungspraktiken haben. Umfangreiche Detailanalysen werden in einem Analysemodell zusammengeführt, das dabei helfen kann, sowohl die Komplexität von Serienkommunikation als auch die sozialisatorische Relevanz von Serienrezeption in jugendlichen Peer-Groups besser zu verstehen. Die Arbeit schließt an zentrale Forschungslinien der Konversations- und Diskursanalyse an und bietet Anknüpfungspunkte für künftige Untersuchungen zu medienbezogenen Interaktionen. Open Access verfügbar: https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/9783110727845/html
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***** OPEN ACCESS at: https://doi.org/10.1016/j.edurev.2018.09.003 **************** With the increasing dominance of digital reading over paper reading, gaining understanding of the effects of the medium on reading comprehension has become critical. However, results from research comparing learning outcomes across printed and digital media are mixed, making conclusions difficult to reach. In the current meta-analysis, we examined research in recent years (2000–2017), comparing the reading of comparable texts on paper and on digital devices. We included studies with between-participants (n = 38) and within-participants designs (n = 16) involving 171,055 participants. Both designs yielded the same advantage of paper over digital reading (Hedge's g = −0.21; dc = −0.21). Analyses revealed three significant moderators: (1) time frame: the paper-based reading advantage increased in time-constrained reading compared to self-paced reading; (2) text genre: the paper-based reading advantage was consistent across studies using informational texts, or a mix of informational and narrative texts, but not on those using only narrative texts; (3) publication year: the advantage of paper-based reading increased over the years. Theoretical and educational implications are discussed.
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Internet-based reading involves integration and evaluation of information from different sources and different formats, but also requires fluent navigation skills for adequate comprehension. The effects of linguistic (word decoding and comprehension-based print reading) and non-cognitive factors (reading frequency and self-efficacy) have extensively been studied for print reading; we know very little about their role in Internet reading, which is our focus in this study. 558 students from grades 7 to 10 performed a set of comprehension-based Internet reading tasks on a computer, while their navigation and comprehension scores were recorded. They were also assessed on print reading literacy, word decoding, Internet reading frequency and self-efficacy. Multiple regression analyses suggest that navigation skills increase proportionally with grade level and that print reading literacy and comprehension-based Internet reading share common processes. Moreover, the positive effect of navigation efficiency on Internet comprehension increases in higher grade levels. Finally, reading frequency of the Internet for informational purposes predicts Internet comprehension scores, and self-efficacy predicts more persistent and quicker navigation.
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In contemporary cultures, texts combining various semiotic modes are the norm, rather than the exception. The fact that language occurs regularly in close integration with these other sign systems is more problematic for traditional linguistics than usually acknowledged. Whereas it is current practice in linguistics to delegate these other modes of daily communication to other disciplines, the results of decades of research in semiotics and multimodality ultimately imply that it is no longer realistic to study language on its own. Since the late 1990s, the new area of multimodality research has developed a range of theoretic approaches and methods for the investigation of texts whose meaning is based on various semiotic modes. For multimodality research, understanding how semiotic modes work together is of central importance. Apart from mode-specific contributions and holistically produced meanings, intermodal relations play a significant role in the creation of multimodal meaning. An intermodal relation is present when one mode has a definable influence on the formal, semantic, and/or stylistic properties of another mode in a specific text. It is important to understand which types of relations can be assumed, and how they can be integrated into a general model of text/discourse analysis that adequately represents all modes and textual levels present. This article proposes a model that formalises and represents intermodal relations, and applies it to the analysis of a range of examples. It uses Segmented Discourse Representation Theory (SDRT), a formalised theory that allows the representation of discourse segments and the inference of relations between them. The proposed model for text and discourse representation considers three strata (or levels): (1) the stratum of expression or form; (2) the stratum of semantics (including discourse relations); (3) the stratum of style. Stratum (2) corresponds to the current semantics of SDRT. The resulting expanded format for text and discourse representation allows the representation of discourse in Extended Segmented Discourse Representation Structures (E-SDRSs). On the basis of this extended discourse representation model, different types of relations between modes can be represented. The approach defines a number of Intermodal Relation Types (IRTs), such as Disambiguation, Typification, and Intermodal Predication, gives axioms for their inference, and shows how they can be included into a formal discourse representation. An important innovation is the possibility to represent how expression properties (e.g. the adjacency of two pictures or similar or different font sizes of headlines) interact with content properties (e.g. who is depicted on the images or what is mentioned in the headlines), and with stylistic properties (e.g. the use of traditional or contemporary layout).
Der Lehrer als Experte. Zur Psychologie des professionellen Wissens. (Reprint in der Reihe Standardwerke aus Psychologie und Pädagogik
  • Rainer Bromme
Bromme, Rainer (2014). Der Lehrer als Experte. Zur Psychologie des professionellen Wissens. (Reprint in der Reihe Standardwerke aus Psychologie und Pädagogik, Band 15 7). Münster: Waxmann.
The Shallows. What the Internet Is Doing to Our Brains
  • Nicholas Carr
Carr, Nicholas (2010): The Shallows. What the Internet Is Doing to Our Brains. NewYork, London: Norton & Company.