Content uploaded by Daniel Rehfeldt
Author content
All content in this area was uploaded by Daniel Rehfeldt on Sep 05, 2019
Content may be subject to copyright.
1
Daniel Rehfeldt
Philipp Straube
Hilde Köster
Freie Universität Berlin
Längsschnittstudie im Grundschulpädagogik-Sachunterrichtsstudium:
Selbstkonzepte & Überzeugungen (1-Jahres-Daten)
Ausgangslage und Forschungsfragen
Der Bedarf an Lehrer*innen ist bundesweit immer noch ungebrochen hoch und ungleich verteilt.
Während in den westdeutschen Bundesländern teilweise ein Überangebot an Lehrkräften
vorherrscht, ist insbesondere in den ostdeutschen Bundesländern (inkl. Berlin) eine Unterdeckung
des jährlichen Bedarfs vorhanden (KMK, 2018, S. 5). Diese Entwicklung ist besonders in den
berufsbildenden und in den primar- stufenbezogenen Lehrämtern stark ausgeprägt (vgl. ebd., S.
5f).
Im Zuge dieser Entwicklung wurden die Studierendenzahlen für den Bachelorstudiengang
Grundschulpädagogik an der Freien Universität Berlin in den letzten Jahren stark erhöht. Während
in den Jahren 2011-2014 jeweils etwa 100 neue Studierende in dieses Lehramt immatrikuliert
wurden, stieg die Zahl seit dem Wintersemester 2014/15 kontinuierlich an. Zuletzt wurden 2018
zum Wintersemester 451 Studierende immatrikuliert (Freie Universität Berlin, 2019).
Es ist vor diesem Hintergrund zu vermuten, dass die Heterogenität der zugehörigen
Studierendenschaft und damit die Unsicherheit bisheriger Populationsbefunde steigt. Deshalb soll
im Projekt LäSSiG (Längsschnittstudie zu Selbstwirksamkeitserwartungen, wissenschaftlichem
Denken & Selbstkonzepten im Grundschulpädagogik-Sachunterrichtsstudium) eine das gesamte
Studium umfassende Längsschnitterhebung realisiert werden, die Aufschluss über Typisierungen
und Entwicklungen der Lehramtsstudierenden geben kann.
Dies führt zu folgenden, übergreifenden Forschungsfragen:
Forschungsfrage 1: Durch welche Charakteristika zeichnet sich die aktuelle
Studierendenpopulation im Grundschullehramt aus?
Forschungsfrage 2: Wie entwickeln sich die Charakteristika der aktuellen
Studierendenpopulation im Grundschullehramt durch das gesamte Studium (6-Jahres-
Längsschnitt)?
Bisherige Befunde: Charakteristika von Studierenden im Grundschullehramt
Bisherige Studien zur Beschreibung der Studierendenpopulation in der Grundschulpädagogik
zeigen für Studienanfänger*innen hoch ausgeprägte intrinsisch-pädagogisch orientierte
Studienwahlmotive (Boeger, 2016, S. 76; König, Rothland, Darge, Lünnemann & Tachtsoglou,
2013, S. 568; Trojer, 2018, S. 122). Ein weiteres wichtiges Studienwahlmotiv stellt zudem die
berufliche Sicherheit und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie dar (König et al., 2013, S. 568).
Das Interesse an den Fächern des Studiengangs fiel hierbei mäßig bis gering aus (Foerster, 2008,
S. 219), bezogen auf naturwissenschaftliche Studieninhalte ist ein geringes
Fähigkeitsselbstkonzept (Avraamidou, 2013) und geringere Leistungen im wissenschaftlichen
Denken (Straube, 2016) als bei Physik-Lehramtsstudierenden festzustellen. Durch Studien zu
Grundschullehrkräften ist zudem zu vermuten, dass auch Grundschul-Lehramtsstudierende
teilweise rezeptartiges, transmissives Lernen gegenüber konstruktivistisch orientierten Ansätzen
2
bevorzugen (Plog, Strahl & Müller, 2013). Offen bleibt dabei aber bisher die Frage nach der
Bevorzugung offener oder geschlossener Unterrichtssettings (Hess & Lipowsky, 2017).
Ein großes Desiderat stellen Studien zur Entwicklung des technischen Fähigkeitsselbstkonzeptes
(Köster, von Balluseck & Kraner, 2008), sowie weiterer Merkmale bei Studierenden in
Studiengängen mit dem Schwerpunkt Grundschulpädagogik im deutschsprachigen Raum dar.
Die aktuellen Studienwahlmotive und die Querschnittsausprägung von Überzeugungen zum
Lehren und Lernen (u. a. transmissive Lernsicht) konnten bereits ausgewertet und interpretiert
werden (Straube, Rehfeldt & Köster, 2019). Im Rahmen dieses Beitrags wird zu den
Überzeugungen zum Lehren und Lernen die Entwicklung innerhalb des ersten Studienjahres
dargestellt. Einen speziellen Fokus wird zudem das Fähigkeitsselbstkonzept zum Bereich Technik
darstellen, da dieses im Rahmen eines sachunterrichtlichen Zweitsemesterseminars gefördert
werden soll.
Forschungsdesign und Erhebungsmethode
Die Konstrukte des Forschungsdesigns (vgl. Abb. 1) werden mittels Selbsteinschätzungsskalen quan-
titativ bei den Studierenden der Grundschulpädagogik-Anfängerkohorten 2018 und 2019 erhoben.
Im Rahmen dieses Studienauszugs wird die Entwicklung der transmissiven Lernsicht vom Beginn
des ersten Semesters (Überzeugungen zum LuL: t0) bis hin zum Beginn des zweiten Semesters
(t1.1) verfolgt. Zudem kann in demselben Konstruktbereich die Entwicklung der Präferenz offener
vs. geschlossener Unterrichtssettings verfolgt werden (t0 bis t1.2). Da im zweiten Fachsemester
zudem ein Seminar zur technischen Perspektive des Sachunterrichts angeboten wurde, kann hier
die Entwicklung des Selbstkonzepts dazu genauer betrachtet werden (t0 bis t1 tech).1 Die Daten
zum wissenschaftlichen Denken befinden sich derzeit in der Auswertungsphase.
Abb. 1: Forschungsdesign der ersten sechs Semester des LäSSiG-Projekts.
1 Beispielitem: Im Umgang mit Technik bin ich sicherer als der Durchschnitt.
3
Abb. 2: Ergebnisse des 1-Jahres-Längsschnitts. Fehlerbalken stellen 95%-Konfidenzintervalle
dar. Die Mittelwertsunterschiede wurden mittels Bonferroni-Holm adjustierter dependent t-Tests
geprüft. Einzig für die präferierte Lernsteuerung bzgl. geschlossener Lernsettings ergab sich ein
signifikanter, moderater Zuwachs.
4
Ergebnisse und Interpretation
Zur besseren Interpretierbarkeit der Befunde sei zunächst auf die minimal auflösbare Effektstärke
dieser Studie verwiesen. Bei N > 88 können kleine Effekte ab d = 0.26 statistisch aufgelöst werden
(Faul, Erdfelder, Buchner & Lang, 2009). Ein nichtsignifikantes Ergebnis bedeutet also, dass
positive wie negative kleine Effekte im Bereich [-0.26, 0.26] vorliegen könnten.
Die transmissive Lernsicht entwickelt sich im Verlauf des ersten Studiensemesters zunächst
nichtsignifikant (vgl. Abb. 2, M1 = 5.23, SE1 = 0.05; M2 = 5.25, SE2 = 0.05, p = .68). Weitere
längsschnittliche Erhebungen können aufzeigen, ob eine messbare Entwicklung hin zu einer
deutlicher konstruktivistischen Lernsicht über größere Zeiträume gelingt. Der Quasi-Längsschnitt
zwischen der Erst- und Viert-/Fünftsemesterkohorte des Wintersemesters 2018 konnte dazu
bereits aufzeigen, dass eine messbare Reduktion der transmissiven Lernsicht möglich ist (Straube
et al., 2019).
Die Ergebnisse zeigen zudem, dass die Studierenden nach einem Jahr Studium etwas mehr
geschlossene Unterrichtsarrangements bevorzugen als vorher (vgl. Abb. 2, M1 = 4.11, SE1 = 0.08;
M2 = 4.44, SE2 = 0.07, d = .43***). Da gleichzeitig aber die präferierte Lernsteuerung hin zu
offeneren Unterrichtsformen im Rahmen der Ergebnisse als konstant anzunehmen ist (vgl. Abb. 2,
M1 = 5.23, SE1 = 0.05, M2 = 5.25, SE2 = 0.05, p = .74), scheint dies insgesamt nur eine leichte
Tendenz zu sein, die es sich allerdings lohnt, im Verlauf des weiteren Studiums zu betrachten
(nächster Messzeitpunkt liegt im dritten Semester, vgl. Ausblick).
Das durch das Seminar im zweiten Semester adressierte Fähigkeitsselbstkonzept zur Technik
entwickelt sich innerhalb des zweiten Semesters nicht messbar (vgl. Abb. 2, M1 = 3.62,
SE1 = 0.11; M2 = 3.57, SE2 = 0.11, p = .59). Ein einzelnes Seminar konnte demnach bisher nicht
zur gewünschten Steigerung des Fähigkeitsselbstkonzepts zur Technik beitragen, hier lohnt sich
ein späterer Blick auf die Follow-Up-Erhebung (t2 tech) bzw. auf größere Entwicklungsspannen,
in denen stabile Persönlichkeitsmerkmale wie das Selbstkonzept eher entwickelt werden können
(Bergner & Holmes, 2000).
Ausblick
Mithilfe der Daten zum wissenschaftlichen Denken und zur Anfängerkohorte 2019 kann zukünftig
eine Analyse typischer aktueller Studierendenprofile ermittelt werden, wie sie beispielweise bei
Trojer (2018) vorgenommen wurde. Mittels Clusterzentrenanalyse können aus der »neuen«
Studierendenpopulation der Grundschulpädagogik Subgruppen identifiziert und das universitäre
Lehrangebot an diese Subgruppen adaptiv angepasst werden.
Im Rahmen der Follow-Up-Erhebung des Fähigkeitsselbstkonzepts zur Technik kann zudem auf
Langzeitwirkungen des Zweitsemesterseminars mit Schwerpunkt auf der technischen Perspektive
geschlussfolgert werden.
Plangemäß schließen sich zudem im dritten Semester Untersuchungen der
gesellschaftswissenschaftlich orientierten Fähigkeitsselbstkonzepte an, da diese im dritten
Semester von Lehrveranstaltungsseite im Sachunterricht adressiert werden. Auch können mit dem
kommenden Erhebungssemester die Überzeugungen zum Lehren und Lernen nunmehr in einem
1,5-Jahres-Zeitraum in ihrer Entwicklung analysiert und interpretiert werden.
Für die Viert- und Fünftsemestererhebungen werden zudem Erfassungen der
Fähigkeitsselbstkonzepte zur Geographie und zu den verschiedenen Naturwissenschaften, sowie
der Lehrer*innen-Selbstwirksamkeitserwartungen zum Experimentieren folgen (vgl. Abb. 1).
5
Literatur
Avraamidou, L. (2013). Prospective Elementary Teachers’ Science Teaching Orientations and
Experiences that Impacted their Development. International Journal of Science Education,
35(10), 1698–1724.
Bergner, R. M. & Holmes, J. R. (2000). Self-concepts and self-concept change: A status dynamic
approach. Psychotherapy: Theory, Research, Practice, Training, 37(1), 36–44.
Boeger, A. (Hrsg.). (2016). Eignung für den Lehrerberuf: Auswahl und Förderung. Wiesbaden:
Springer VS.
Freie Universität Berlin. (2019). Studierende nach Studienfach, Abschlussziel und Fachsemester.
Zugriff am 29.8.2019. Verfügbar unter: https://www.fu-
berlin.de/studium/studienorganisation/immatrikulation/weitere-
angebote/statistik/daten/WiSe1819_Stg_Abschl_Sem_Stand_Dez_2018.pdf
KMK. (2018). Lehrereinstellungsbedarf und -angebot in der Bundesrepublik Deutschland 2018-
2030. Zusammengefasste Modellrechnungen der Länder. Zugriff am 29.8.2019. Verfügbar
unter:
https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/Statistik/Dokumentationen/Dok_216_Bericht_L
EB_LEA_2018.pdf
König, J., Rothland, M., Darge, K., Lünnemann, M. & Tachtsoglou, S. (2013). Erfassung und
Struktur berufswahlrelevanter Faktoren für die Lehrerausbildung und den Lehrerberuf in
Deutschland, Österreich und der Schweiz. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 16(3), 553–
577.
Köster, H., von Balluseck, H. & Kraner, R. (2008). Technische Bildung im Elementar- und
Primarbereich. In R. Buhr & E.A. Hartmann (Hrsg.), Technische Bildung für Alle: Ein
vernachlässigtes Schlüsselelement der Innovationspolitik. Berlin: VDI/VDE Innovation +
Technik GmbH.
Straube, P. (2016). Modellierung und Erfassung von Kompetenzen naturwissenschaftlicher
Erkenntnisgewinnung bei (Lehramts-)Studierenden im Fach Physik. Berlin: Logos.
Straube, P., Rehfeldt, D. & Köster, H. (2019). Wer studiert wie und warum Grundschullehramt
und Sachunterricht? PhyDid B - Didaktik der Physik - Beiträge zur DPG-Frühjahrstagung.
Trojer, P. (2018). Wer wird Lehrer/Lehrerin? Konzepte der Berufswahl und Befunde zur
Entwicklung des Berufswunsches Lehrer/in und ihre Bedeutung für das Studium (Klinkhardt
Forschung). Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt.