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Fridays for Future. Profil, Entstehung und Perspektiven der Protestbewegung in Deutschland

Authors:
  • Ruhr-Universität Bochum \ German Center for Integration and Migration Research, DeZIM
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Abstract and Figures

Die Protestkampagne von Fridays for Future (FFF) hat es innerhalb kürzester Zeit geschafft, in Deutschland und darüber hinaus hunderttausende Schüler*innen und Jugendliche für eine Wende in der Klimapolitik auf die Straße zu brin-gen. Um mehr über Profil, Mobilisierungswege und Motive der Demonstrierenden zu erfahren, haben wir als Teil eines europaweiten Forschungsprojekts Demonstrationsbefragungen während der Klimaproteste am 15. März 2019 in Berlin und Bremen durchgeführt. Das Working Paper präsentiert zentrale Befunde für FFF in Deutschland und ordnet diese ein. Die FFF-Proteste werden von jungen, gut gebildeten Menschen und überraschend stark von jungen Frauen getragen. Viele der demonstrie-renden Schüler*innen, von denen sich die Mehrheit im linken Spektrum verortet, sind zum ers-ten Mal auf der Straße. Persönliche Kontakte sind der zentrale Weg der Mobilisierung. Die Demonstrierenden wollen die Politik unter Druck setzen, klimapolitische Versprechen einzulösen. Einen wichtigen Weg der Veränderung sehen insbesondere die Schüler*innen aber auch in der Veränderung der eigenen Lebens- und Konsumpraxis. Die Demonstrierenden sind keineswegs hoffnungslos, sondern vielmehr handlungsbereit, politisiert und zuversichtlich, dass ihr Protest gesellschaftliche und politische Veränderungen hervorrufen kann. Im europäischen Vergleich ist die Kampagne hinsichtlich Altersstruktur, Verteilung der Ge-schlechter und insbesondere hinsichtlich der Einschätzung von Lösungswegen heterogener als der gemeinsame Rahmen vermuten lässt. Abschließend blicken wir auf die öffentliche Resonanz und im Fazit auf Faktoren des (medialen) Erfolgs.
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Moritz Sommer, Dieter Rucht, Sebastian Haunss, Sabrina Zajak
Fridays for Future
Profil, Entstehung und Perspektiven der
Protestbewegung in Deutschland
ipb working paper 2/2019
ipb working papers | Berlin, August 2019
Die ipb working papers werden vom Verein für
Protest- und Bewegungsforschung e.V. heraus-
gegeben. Sie erscheinen in loser Folge. Der Ver-
ein ist Träger des gleichnamigen Instituts. Des-
sen Aktivitäten sind unter http://protestinsti-
tut.eu dokumentiert. Für die Redaktion der ipb-
working papers sind Jannis Grimm, Dieter Rucht
und Sabrina Zajak verantwortlich.
Alle bisher erschienenen Texte aus der Reihe
sind online abrufbar unter:
https://protestinstitut.eu/ipb-working-papers/
„Fridays for Future. Profil, Entstehung und Per-
spektiven der Protestbewegung in Deutsch-
land“ von Moritz Sommer, Dieter Rucht, Sebas-
tian Haunss und Sabrina Zajak ist lizenziert unter
einer Creative Commons Namensnennung In-
ternational Lizenz (CC-BY 4.0).
Die Titelseite wurde unter Verwendung eines
Fotos von Jörg Farys / WWF erstellt. Das Foto ist
lizensiert mit einer Creative Commons CC-2 Li-
zenz und wurde bereitgestellt auf https://
Flickr.com/.
Autor*innen
Dieses Working Paper ist im Kontext des Insti-
tuts für Protest- und Bewegungsforschung (ipb)
entstanden. Alle Autor*innen sind Mitglieder
des Instituts.
Moritz Sommer, Freie Universität Berlin, Insti-
tut für Soziologie.
E-Mail: sommer.moritz@fu-berlin.de
Dieter Rucht, Wissenschaftszentrum Berlin für
Sozialforschung (WZB).
E-Mail: dieter.rucht@wzb.eu
Sebastian Haunss, Universität Bremen,
SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und
Sozialpolitik.
E-Mail: sebastian.haunss@uni-bremen.de
Sabrina Zajak, Deutsches Zentrum für Integrati-
ons- und Migrationsforschung (DeZIM).
E-Mail: zajak@dezim-institut.de
Diese Studie wurde erstellt mit finanzieller Un-
terstützung der Heinrich-Böll-Stiftung und der
Otto Brenner Stiftung.
Sommer, Moritz, Dieter Rucht, Sebastian Haunss und Sabrina Zajak. 2019. Fridays for Future. Profil,
Entstehung und Perspektiven der Protestbewegung in Deutschland, ipb working paper series, 2/2019.
Berlin: ipb.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort 1
1. Fridays for Future: Kurzportrait 2
2. Organisation und Ablauf der
Demonstrationen am 15. März 2019 5
3. Anlage und Ergebnisse der Befragung 6
3.1 Methodik und Repräsentativität 7
3.2 Wer sind die Teilnehmer*innen? 11
3.3 Anliegen der Protestierenden 14
3.4 Wege der Mobilisierung 18
3.5 Politisches Interesse und Engagement 21
3.6 Politische Einstellungen 26
3.7 Befunde des Ländervergleichs 30
3.8 Zusammenfassung 34
4. Die Resonanz auf FFF 35
5. Fazit 39
5.1 Ist FFF eine soziale Bewegung? 39
5.2 Faktoren des (medialen) Erfolgs 40
Literaturverzeichnis 43
Online-Material auf protestinstitut.eu:
Deutscher Online-Fragebogen: Link.
Flyer: Link.
Kurzfragebogen (Vor-Ort-Interviews): Link.
ipb-Medienpräsenz zu FFF: Link
Abstract
Die Protestkampagne von Fridays for Future
(FFF) hat es innerhalb kürzester Zeit geschafft, in
Deutschland und darüber hinaus hunderttau-
sende Schüler*innen und Jugendliche für eine
Wende in der Klimapolitik auf die Straße zu brin-
gen. Um mehr über Profil, Mobilisierungswege
und Motive der Demonstrierenden zu erfahren,
haben wir als Teil eines europaweiten For-
schungsprojekts Demonstrationsbefragungen
während der Klimaproteste am 15. März 2019 in
Berlin und Bremen durchgeführt. Das Working
Paper präsentiert zentrale Befunde für FFF in
Deutschland und ordnet diese ein.
Die FFF-Proteste werden von jungen, gut gebil-
deten Menschen und überraschend stark von
jungen Frauen getragen. Viele der demonstrie-
renden Schüler*innen, von denen sich die Mehr-
heit im linken Spektrum verortet, sind zum ers-
ten Mal auf der Straße. Persönliche Kontakte
sind der zentrale Weg der Mobilisierung. Die De-
monstrierenden wollen die Politik unter Druck
setzen, klimapolitische Versprechen einzulösen.
Einen wichtigen Weg der Veränderung sehen
insbesondere die Schüler*innen aber auch in der
Veränderung der eigenen Lebens- und Kon-
sumpraxis. Die Demonstrierenden sind keines-
wegs hoffnungslos, sondern vielmehr hand-
lungsbereit, politisiert und zuversichtlich, dass
ihr Protest gesellschaftliche und politische Ver-
änderungen hervorrufen kann.
Im europäischen Vergleich ist die Kampagne
hinsichtlich Altersstruktur, Verteilung der Ge-
schlechter und insbesondere hinsichtlich der Ein-
schätzung von Lösungswegen heterogener als
der gemeinsame Rahmen vermuten lässt.
Abschließend blicken wir auf die öffentliche Re-
sonanz und im Fazit auf Faktoren des (medialen)
Erfolgs.
1
Vorwort
Der steile Aufstieg der international auftretenden
Bewegung Fridays for Future (im Weiteren FFF)
hat eine enorme mediale und politische Beach-
tung erfahren. Das rief auch Sozialwissenschaft-
ler*innen auf den Plan. Einige Wochen vor dem
anstehenden großen Aktionstag am 15. März
2019 erging von einer schwedischen Forschungs-
gruppe die Anfrage an das Institut für Protest-
und Bewegungsforschung (ipb), ob sich Mitglie-
der des Instituts an einer international angeleg-
ten Befragung der Protestierenden beteiligen
würden. Geld dafür war zu diesem Zeitpunkt
nicht vorhanden. Die genaue Vorgehensweise
und die Anlage des Fragebogens waren noch of-
fen. Einige Länderteams hatten den Kolleg*innen
aus Schweden schnell zugesagt. Wir waren zu-
nächst zögerlich, da wir aufgrund früher durchge-
führten Befragungen von Protestierenden zu di-
versen Anlässen den Aufwand kannten, der sich
zumal aufgrund der notwendigen Abstimmung
zwischen den Länderteams zusätzlich erhöhen
würde. Nachdem die Finanzierungsfrage für Sach-
kosten und rudimentäre Personalkosten dank der
spontanen Bereitschaft der Heinrich-Böll-Stif-
tung, der Otto Brenner Stiftung und der Stiftung
100 prozent erneuerbar überraschend schnell ge-
klärt war, erging unsere Zusage an die Projektko-
ordinatoren aus Schweden.
Alsbald setzte eine Flut von E-Mails ein, die
sich überwiegend auf die Themen, Formulierun-
gen und Antwortkategorien des Fragebogens,
aber auch das Vorgehen am Demonstrationsort,
das Problem der Repräsentativität, die Frage, ab
welcher Altersstufe junge Menschen ohne Einwil-
ligung eines Elternteils befragt werden sollen und
dürfen, auf das auszuwählende Eingabe- und
Analyseprogramm und vieles mehr bezogen. Der
Aufwand für das Gesamtunternehmen war
enorm. Neun Länderteams führten an insgesamt
13 Orten zeitgleich die Befragung durch in den
Niederlanden aufgrund der dort anders verlau-
fenden Mobilisierung allerdings schon am 14.
März 2019.
_____
1 https://protestinstitut.eu/projekte/demonstra-
tionsbefragungen/befragung-fridays-for-future
[04.08.2019]
Eine erste und selektive Präsentation der
deutschen Befragungsergebnisse fand bereits am
26. März 2019 im Rahmen eines Pressegesprächs
in der Berliner Zentrale der Heinrich-Böll-Stiftung
statt; sie ist auf der Webseite des ipb1 abrufbar.
Später erfolgte die Erstellung des deutschen Da-
tenteils für den internationalen Länderbericht,
der einem rigiden Gliederungsschema folgt, je-
doch aufgrund der thematischen Schwerpunkt-
setzung und Längenvorgaben nur knappe Kom-
mentierungen enthält (Wahlström et al. 2019a).2
Der hiermit vorgelegte ausführlichere deut-
sche Bericht enthält in seinem Kernteil eine um-
fassende Analyse der deutschen Befragungsda-
ten sowie eine Darstellung des methodischen
Vorgehens. Neben den Ergebnissen der Befragun-
gen in Deutschland liefert der Bericht auch Hin-
weise auf Befragungsergebnisse aus anderen Län-
dern, auf die interne Struktur der FFF-Bewegung
und deren öffentliche Resonanz.
Allen, die in ganz unterschiedlichen Rollen
diese Befragung in Deutschland und anderswo
unterstützt haben, gebührt unser Dank. Das sind
insbesondere die Koordinatoren Mattias Wahl-
ström und Joost de Moor sowie Michiel de Vydt,
welche die Koordination der technischen Seite
der Befragung und die Standardisierung der Da-
ten übernommen haben.
Weiterhin haben wir den bereits genannten
drei institutionellen Förderern der Befragungsak-
tion in Deutschland und den beiden finanziellen
Förderern des vorliegenden ausführlichen Be-
richts zu danken. Simon Teune hat bei der Befra-
gungsaktion am 15. März mitgewirkt und zudem
in einer nächtlichen Krisenaktion vor unserem
Berliner Pressegespräch eine wichtige Rolle bei
der inhaltlichen Schwerpunktsetzung und opti-
schen Darstellung der Befunde gespielt. Zu dan-
ken haben wir auch vielen studentischen Hel-
fer*innen. Sie führten die Kurzinterviews vor Ort
durch und sorgten für die Verteilung der Flyer, auf
denen zur Teilnahme an der Online-Befragung
aufgerufen wurde.
Berlin und Bremen, August 2019, die Autor*innen
2 https://protestinstitut.eu/fridays-for-future-
ergebnisse-einer-demonstrationsbefragung-in-13-eu-
ropaeischen-staedten/ [04.08.2019]
2
1. Fridays for Future:
Kurzportrait
Die mediale Darstellung von FFF in Form von
Nachrichtenmeldungen, Hintergrundberichten,
Interviews mit Beteiligten, Kommentaren, Foto-
strecken und Video-Clips bietet eine Fülle von Ein-
zelinformationen, lässt aber kaum die großen
Entwicklungslinien hervortreten. Wir wollen des-
halb ein Kurzportrait von FFF liefern, das unter
anderem erkennen lässt, in welcher Entwick-
lungsphase der Bewegung die Befragungsaktion
stattgefunden hat und wie es vor allem mit Blick
auf den deutschen Ableger der Gruppierung bis
heute weitergegangen ist.
FFF ist, knapp formuliert, eine Bewegung, de-
ren Kernforderung darin besteht, die auf dem Pa-
riser Klimagipfel Ende 2015 gesetzten Ziele zur
weltweiten Reduktion von CO2-Emmissionen ein-
zuhalten, um die damit verbundene Erderwär-
mung auf einen Anstieg von maximal 1,5 Grad zu
begrenzen. Das ist für eine Protestbewegung ein
zunächst sehr bescheidenes, weil völlig system-
immanentes Ziel, zu dem sich die Regierungen
der Welt, abgesehen vom späteren Exit der USA,
im Prinzip bereits ausdrücklich bekannt haben
und weiterhin bekennen. Zugleich ist es aber
auch ein ehrgeiziges Ziel, weil seine Umsetzung,
bei der auch Deutschland erheblich hinterher-
hinkt, konkrete Einschnitte in Energiewirtschaft,
Industrie, Gebäudesektor und Landwirtschaft
verlangt Einschnitte, die Lobbygruppen und die
ihnen sachlich verbundenen Politikressorts (wohl
mit Ausnahme des Bundesumweltministeriums)
nach Möglichkeit zu vermeiden oder zu verlagern
suchen (Rucht 2016). Auch in einem weiteren
Sinne sind die Forderungen von FFF ambitioniert,
verlangen doch die Akteure von sich selbst, ihrem
unmittelbaren Umfeld und letztlich der Gesamt-
bevölkerung einen ökologisch verträglichen Le-
bens- und Konsumstil, der mit erheblichen (frei-
willigen) Einschränkungen verbunden ist.
Den anfänglichen Impuls für die sich dann for-
mierende Bewegung setzte die damals 15-jährige
Greta Thunberg mit ihrem dreiwöchigen Schul-
streik für das Klima ab dem 20. August 2018. Es
war eine Aktion einer einzelnen Person, die durch
entsprechende Medienberichte in Schweden und
dann auch anderen Ländern Aufsehen erregte.
Man kann davon ausgehen, dass dieses Maß an
Aufmerksamkeit der Kombination einer Reihe
von Faktoren geschuldet ist: dem kindlich wirken-
den Erscheinungsbild Greta Thunbergs, der damit
kontrastierenden Entschlossenheit und Kompro-
misslosigkeit ihres zunächst einsamen Streiks,
ihrem ökologisch bewussten Lebensstil, den sie
auch ihrer gesamten Familie abfordert, aber auch
der Prominenz ihrer Mutter, die, so die Medien-
berichte, sogar ihre Tätigkeit als international auf-
tretende Opernsängerin aufgegeben hatte, um
Flugreisen zu vermeiden (Ernmann et al. 2019).
Greta Thunberg wurde schnell zum medialen
Star. Dadurch wurde auch die Politik auf sie auf-
merksam, was sich bereits an ihrer Einladung zum
Klimagipfel im Dezember 2018 im polnischen
Katowice zeigte. Weitere Auftritte auf der inter-
nationalen Bühne wie beim Weltwirtschaftsfo-
rum in Davos folgten.
Die Idee des Klimastreiks bzw. Schul-
streiks, nun allerdings begrenzt auf freitags
stattfindende Straßenproteste, fand schnell in ei-
ner Reihe von Ländern Resonanz. Wichtigste Trä-
ger*innen der Freitagsproteste waren junge
Schüler*innen, vorzugsweise an Gymnasien.
Staunend wurde registriert, was die Kinder da
in Gang gesetzt hatten und gefragt, wie es weiter-
gehen würde. Einzelne Demonstrationen wie die
in Brüssel mit 12.000 Teilnehmer*innen am 31.
Januar 2019 ließen aufhorchen.
In Deutschland setzte der Aufschwung mit ei-
ner Reihe kleinerer Demonstrationen in Freiburg,
Göttingen, Berlin, Kiel und Flensburg im Dezem-
ber 2018 ein. Eine frühe Initiatorin war Luisa Neu-
bauer, eine 22-jährige Studentin, die Greta Thun-
berg bei der Klimakonferenz in Katowice erstmals
begegnet war und dann die Idee des Schulstreiks
in Deutschland verbreiten wollte. Zeitgleich zu
Neubauer, aber anfangs unabhängig davon, hatte
auch der 19-jährige Kieler Gymnasiast Jakob Bla-
sel einen deutschen Ableger von FFF mit einer
ersten lokalen Demonstration im Dezember 2018
ins Leben gerufen.
Am 18. Januar 2019 demonstrierten laut An-
gaben von FFF bereits insgesamt 25.000 Men-
schen an 50 Orten in Deutschland, darunter 4.000
Beteiligte in Freiburg. Dieses Datum ist rückbli-
ckend als der eigentliche Auftakt der deutschen
FFF-Bewegung zu verstehen. Mitte Februar 2019
listete FFF bereits 155 Ortsgruppen auf, wobei
3
sich die Zahl der Demonstrierenden aber bis da-
hin nicht deutlich erhöht hatte.
Der 15. März 2019 wurde von einem interna-
tional koordinierenden Team als der erste globale
Protesttag der Bewegung ausgerufen. Laut den
schwer nachvollziehbaren Angaben der Organisa-
tor*innen beteiligten sich weltweit 1.789.235
Menschen an dem Protest eine Zahl, die in ihrer
Höhe und Konkretion bezweifelt werden darf. In
Deutschland waren für diesen Tag 220 Proteste
angekündigt. Die Zahl der Teilnehmer*innen wird
von den Veranstalter*innen auf 300.000 bezif-
fert. Der globale Protesttag war der bis dato
größte Auftritt der Bewegung und ein eindrucks-
voller Mobilisierungserfolg.
Danach, teilweise bedingt durch die Osterfe-
rien, gingen die Zahlen der Teilnehmer*innen in
Deutschland deutlich zurück. In Berlin und Mün-
chen waren es nur noch je 500 Protestierende, so
dass schon die Frage aufkam, ob und wie die Be-
wegung ihr Momentum erhalten könne. Der Prä-
senz der Bewegung in den deutschen Medien tat
diese Entwicklung allerdings keinen Abbruch, zu-
mal einerseits Greta Thunberg, wie schon zuvor
an anderen Orten im In- und Ausland, ihre Betei-
ligung an der Berliner Demonstration am 29.
März 2019 angekündigt hatte, und andererseits
bereits weitere internationale Aktionstage in Aus-
sicht standen: Am 24. Mai 2019 fanden im Vorfeld
der Europawahlen in vielen europäischen Städten
erneute Großdemonstrationen statt.
Für den 21. Juni 2019 wurde unter dem Motto
Climate Justice without Borders United for a
Future zum ersten zentralen internationalen
Streik in Aachen aufgerufen. Aachen ist nicht nur
als eine unweit von der französischen und belgi-
schen Grenze liegende Stadt, sondern auch we-
gen des in diesem Raum noch immer stattfinden-
den Braunkohlebergbaus für eine Klimaschutzbe-
wegung von hoher symbolischer Bedeutung. Ein
Teil dieser Aktionen war ausdrücklich als ziviler
Widerstand angekündigt. Als dessen wichtigster
Träger verstand sich allerdings nicht FFF, sondern
die seit ca. 2015 offensiv auftretende Gruppe
Ende Gelände, die sich vor allem durch den von
wiederholten Besetzungsaktionen begleiteten
Kampf gegen den Braunkohleabbau in Deutsch-
land bundesweite Aufmerksamkeit verschafft
hatte. FFF erklärte seine Solidarität mit der
Gruppe, rief aber als Gesamtorganisation nicht zu
Aktionen zivilen Widerstands auf. De facto kam es
wohl zu Überschneidungen von Anhänger*innen
dieser beiden und weiterer Gruppen. Erneut
konnten die Organisator*innen Mobilisierungser-
folge verzeichnen. Im Vorfeld war mit rund
10.000 Teilnehmer*innen bei den Aktionen im
rheinischen Revier gerechnet worden. Am Ende
sprachen die Organisator*innen von FFF von
40.000 Demonstrierenden. Die Polizei nannte da-
gegen eine Zahl von 10.000 bis 20.000.
Ab Juli 2019, bedingt auch durch die Schul-
und Semesterferien, waren die Teilnehmer*in-
nenzahlen geringer. Selbst ein erneuter Auftritt
Thunbergs in Berlin am 19. Juli blieb mit rund
3.000 bis 4.000 Teilnehmer*innen weit unter der
Beteiligung an Thunbergs erstem Berliner Auftritt
Ende März, als mehr als 25.000 Menschen de-
monstrierten (jeweils nach Angaben von FFF).
Gleichwohl vermochte es FFF, durch Einzelaktio-
nen weiterhin eine starke mediale Präsenz zu er-
reichen. Eine dieser Aktivitäten war ein fünftägi-
ger Schulstreik in Köln im Juli. Mit einer weiteren
Aktion am 26. Juli im Terminal des Stuttgarter
Flughafens suchten rund 350 Demonstrierende
die Fluggäste auf negativen Klimafolgen von Flug-
reisen aufmerksam zu machen. Selbst dieser
kleine und kurzzeitige Protest bot der ARD-Tages-
schau, Bild und zahlreichen weiteren Medien An-
lass für eine eigene Berichterstattung.
Mit den Demonstrationen in Aachen und dem
Umland hatte es FFF erneut geschafft, gegen di-
verse Bedenken nun auch trotz Warnungen der
Polizei vor Eskalationen und juristischen Sanktio-
nen einen komplexen, logistisch aufwändige Ak-
tionsrahmen zu schaffen und zu füllen. Hierbei
waren die Routine und Ortskenntnis der Akti-
vist*innen von Ende Gelände sicherlich hilf-
reich. Auch weitere Gruppen, darunter Teile des
Umweltverbandes BUND, von Greenpeace, Cam-
pact, den Naturfreunden und der Grünen Jugend
waren, wie schon bei vorausgegangenen Aktio-
nen von FFF, unterstützend tätig, vermieden es
allerdings, steuernd einzugreifen, um dem Ruf
von FFF als einer unabhängigen, basisdemokra-
tisch ausgerichteten Bewegung nicht zu schaden.
In Deutschland hatte sich bis August die Zahl
der Ortsgruppen von FFF auf 600 erhöht. Damit
gewannen auch Fragen der internen Strukturie-
rung, der Verantwortlichkeiten, der Finanzierung
und der Transparenz nach innen wie nach außen
4
an Bedeutung. 3 Die Anforderungen an die über-
regionale Koordination mittels der wöchentlichen
Telefonkonferenz und an die rund 20 Arbeits-
gruppen, darunter zu Finanzen, Kampagnen und
politischen Forderungen, wurden immer größer.
Ein umfangreiches, allerdings noch nicht be-
schlossenes Strukturkonzept soll künftig für mehr
Klarheit und Verbindlichkeit sorgen.4 Trotz und
vielleicht auch gerade wegen interner und exter-
ner Kritik ist es bislang gelungen, produktiv mit ei-
ner Reihe von Herausforderungen (Veränderung
des Zielkatalogs, strategische Umorientierung, in-
terne Organisation und Entscheidungsfindung,
Vertretung gegenüber der Öffentlichkeit) umzu-
gehen, so dass es in der Summe, zumindest in
Deutschland, weder zu einer starken Demobilisie-
rung noch zu einem nachlassenden medialen und
öffentlichen Wohlwollen kam. Diese Entwicklung,
die deutlich von der vieler anderer Protestbewe-
gungen abweicht, soll im fünften Abschnitt er-
klärt werden.
Außerordentliche Resonanz erzielte zuletzt
der von FFF in den frühen Augusttagen durchge-
führte Sommerkongress in Dortmund, an dem
sich insgesamt rund 1.700 Menschen beteiligten.5
In rund 140 Workshops ging es um inhaltliche De-
batten zur Klima- und Umweltpolitik bis hin zu
Grundsatzdiskussionen über Geschlechterge-
rechtigkeit und Post-Wachstum, aber auch um
Medienarbeit, Diskussionen über Formen des zi-
vilen Ungehorsams oder die Weiterentwicklung
der internen Organisation. Diese Veranstaltung
_____
3 Die Finanzierung erfolgt bislang überwiegend durch
Spenden, ergänzt durch den autorisierten Verkauf ei-
nes Armbands. Die eingehenden Gelder landen aller-
dings nicht direkt bei FFF, sondern bei der „befreunde-
tenStiftung Plant-for-the-Planet. Das führte zu kriti-
schen Nachfragen und später zu Vereinsgründungen
wie „Donate for Futureund „Organize Future!“. Die
beiden Vereine repräsentieren jedoch nicht das ge-
samte Netzwerk FFF in Deutschland, welches keine
Rechtsform aufweist, sondern meist als diffuses „Wir
figuriert. So Jakob Blasel zur Frage nach der Rolle von
Plant-for-the-Planet: „Die Kollegen von ‚Plant for the
Planethaben für uns bei ihrer Bank ein Unterkonto für
die Spenden eingerichtet. Aber auf das Geld auf die-
sem Konto greift ‚Plant for the Planetnicht zu. Wir er-
statten denen nicht einmal ihre Bankgebühren. Alles
Geld, was Menschen an ‚Fridays for Futurespenden,
kommt auch ‚Fridays for Future zugute. Siehe:
brachte erstmals Aktivist*innen und Sympathi-
sant*innen die sich bis dahin in erster Linie
durch den Austausch per Telefon oder Messen-
ger-Dienste kannten an einem Ort zu einem län-
geren Informations- und Erfahrungsaustausch so-
wie in größerem Rahmen durchgeführte Strate-
giedebatten zusammen. Anwesend waren vor al-
lem junge Leute, ausgenommen eine kleine Zahl
von Klimawissenschaftler*innen und sonstigen
Expert*innen, die ebenfalls eingeladen waren.
Von diesem Treffen, das die Organisator*in-
nen in erstaunlich kurzer Vorbereitungszeit,
wenngleich mit Unterstützung externer Instituti-
onen6, auf die Beine gestellt hatten, könnte eine
weitere Schubkraft für FFF ausgehen. Insbeson-
dere könnten die Diskussionen zu einer inhaltli-
chen und strategischen Weiterentwicklung füh-
ren. Zugleich verdeutlicht dieses Treffen aber
auch, dass die bei vielen andere Protestbewegun-
gen vorhandenen internen Differenzen, sich auch
bei FFF abzuzeichnen beginnen. Dazu gehört die
Frage nach internen Entscheidungsprozessen und
die nach der Rolle exponierter Sprecher*innen
der Kampagne. Dazu gehört aber auch die Span-
nung zwischen eher moderaten und eher offensi-
ven, für zivilen Ungehorsam plädierenden Akti-
vist*innen. Aus Kreisen letzter Fraktion wurde zu-
letzt gar die (politisch wenig realistische) Hoff-
nung geäußert, den dritten globalen Klimastreik
am 20. September 2019 mit einem umfassenden
„Generalstreik“ verbinden zu können.
https://www.spiegel.de/lebenundler-
nen/schule/fridays-for-future-schuelerproteste-im-vi-
sier-rechter-blogs-a-1263355.html [04.08.2019].
4 Vgl. Der Spiegel Nr. 31/27.7.2019, S. 24-27.
5 An der Freitagsdemonstration am 3. August waren
dem WDR zufolge rund 1.500 Menschen beteiligt.
Siehe: https://www1.wdr.de/nachrichten/ruhrge-
biet/fridays-for-future-demonstration-dortmund-
100.html [04.08.2019].
6 Darunter auch die Stiftung Mercator, die 35.000 Euro
zur Finanzierung des Sommerkongresses beisteuerte.
Vgl. Der Spiegel Nr. 31 vom 27.7.2019, S. 27.
5
2. Organisation und Ablauf
der Demonstrationen am
15. März 2019
Auf die Randbedingungen der Demonstration am
15. März 2019 gehen wir nur kursorisch ein, da
sich hier, gemessen an den FFF-Protesten an an-
deren Freitagen, wenig Auffälligkeiten zeigen.
Insgesamt erfolgte die Mobilisierung auf weitge-
hend dezentraler Basis, d. h. durch die Engagier-
ten vor Ort. Je nach Ortsgröße und Zahl der Teil-
nehmer*innen ist für eine Demonstration ein un-
terschiedlich großer organisatorischer Aufwand
erforderlich. Bei größeren Protesten übernimmt
in aller Regel ein lokales Organisations-Team die
Federführung, während andere Teams für spezi-
ellere Aufgaben zuständig sind (Bühne, Ordner,
Finanzen, etc.). Beim gesamten Informationsfluss
und der Protestmobilisierung spielen jenseits der
neu gebildeten Strukturen auch die an allen Schu-
len existierenden Strukturen von Klassenspre-
cher*innen und Organen der Schüler*innenmit-
verwaltung von der lokalen bis zur Ebene der
Bundesländer eine Rolle. Zwar dürfen diese Or-
gane nicht für politische Zwecke eingesetzt wer-
den und respektieren auch formal dieses Gebot,
um Konflikte mit Schulleitungen und Kultusbe-
hörden zu vermeiden. Faktisch waren aber doch
oft Klassen- und Schulsprecher*innen an der Mo-
bilisierung beteiligt, die ihre Verbindungen und
Kanäle nutzten und dabei von ihrer Organisati-
onserfahrung und ihren Artikulationsfähigkeiten
profitierten.7 Direkte Treffen in und außerhalb
der Schulen dienen FFF als Rahmen des Erfah-
rungs- und Informationsaustauschs. Daneben
spielt die Kommunikation per WhatsApp und an-
deren Messenger-Dienste eine wichtige Rolle.
WhatsApp begrenzt die Zahl der unmittelbar
Kommunizierenden auf 256 Personen. Will sich
ein größerer Kreis an der Kommunikation beteili-
gen, so wird ein neues Forum, wiederum be-
schränkt auf 256 Teilnehmer*innen, eröffnet. In
der Folge muss es zu Abstimmungsprozessen zwi-
schen diesen Foren kommen, was bislang, so der
_____
7 Siehe auch Ergebnisse der Demonstrationsbefragung
zu bürgerschaftlichem Engagement in Abschnitt 3.5.
Eindruck, pragmatisch und dezidiert unideolo-
gisch angegangen wird. Ergänzend kommen an-
dere Formate, z. B. Telegram-Gruppen ins Spiel,
die vor allem für die interne Kommunikation
wichtig sind, weil damit auch Abstimmungen
möglich sind.
Basiseinheiten von FFF sind die unabhängigen
Ortsgruppen, die in aller Regel von unten ent-
stehen. Für die bundesweite Koordination wer-
den meist zwei Delegierte pro Ortsgruppe be-
stimmt bzw. gewählt. Ihre Rolle und ihr Status
sind noch nicht abschließend geklärt. Derzeit ist
ihre Hauptfunktion die Teilnahme an den wö-
chentlichen Telefonkonferenzen (Deli-TK) und
die Weitergabe von Informationen. Daneben be-
stehen aufgabenspezifische Arbeitsgruppen,
etwa für Finanzen und Medienkontakte.
Vieles an dieser Struktur wirkt noch unfertig
und improvisiert. Genau dieser Charakter ist es
aber, der FFF auch unter strukturellen Gesichts-
punkten für junge Menschen attraktiv macht und
einen scharfen Kontrast zu Strukturen in etablier-
ten Verbänden und Parteien bildet. Neben Eu-
phorie um die eigenen Mobilisierungserfolge und
die starke mediale Aufmerksamkeit war aber
auch vereinzelt interne Kritik an den führenden
Repräsentant*innen der Bewegung zu hören. Ins-
besondere die mediale Präsenz Luisa Neubauers
wurde nicht nur wohlwollend begrüßt, sondern
mitunter als Personenkult abgelehnt.8
In Berlin wie in Bremen, den beiden Orten un-
serer Befragung, folgten die Proteste einem be-
reits eingespielten Muster. In Berlin fand die ge-
gen 11:00 Uhr beginnende Auftaktkundgebung
an dem leicht zugänglichen Invalidenpark in Nähe
des Hauptbahnhofes statt. Nach ca. einer Stunde
formierten sich die Teilnehmer*innen zu einem
Protestzug, der in einer großen Schleife in die
Nähe des Reichstages und des benachbarten
Kanzleramtes führte, um dann auf anderem
Wege wieder am Ausgangspunkt anzukommen.
Der vordere Teil des Protestzugs kam nach einer
guten Stunde zurück; die hinten Marschierenden
erreichten den Ausgangspunkt deutlich später.
8 www.welt.de/politik/deutschland/article-
192070931/Luisa-Neubauer-und-Fridays-for-Future-
Unmut-hinter-den-Kulissen.html [04.08.2019].
6
Dadurch franste die abschließende Kundge-
bung aus; nur teilweise wandten sich die Versam-
melten den Reden und Musikbeiträgen zu. Das
Ende der Veranstaltung markierte ein Tanzen vor
der Bühne, an dem vor allem die Jüngeren teil-
nahmen, während sich viele der übrigen De-
monstrierenden am Rande des Geschehens in
Kleingruppen unterhielten oder sich bereits den
Ort der Kundgebung verließen. Die Stimmung war
insgesamt fröhlich bis euphorisch. Auch die Jour-
nalist*innen waren auf ihre Kosten gekommen,
machten Interviews mit einzelnen Teilneh-
mer*innen und schossen serienweise Bilder vom
stationären wie mobilen Protestauftritt, der teil-
weise auch auf kalkulierten Inszenierungen der
Veranstalter*innen beruhte. Zum Beispiel wur-
den speziell die sehr jungen Teilnehmer*innen
(von ca. 11 bis 14 Jahren) von einem deutlich äl-
teren Organisator bzw. Ordner mit Megaphon
hinter dem Fronttransparent platziert. Dort skan-
dierten die Kinder, unterstützt von koordinierten
Hüpfbewegungen, ihre Parolen in ausgelassener
Stimmung. Nachdem sich alle interessierten Foto-
graf*innen vor oder seitlich des Transparents
postiert hatten, setzte sich der Zug, angeführt von
den jubelnden Kindern, in Bewegung.
An der Berliner Demonstration nahmen rund
20.000 (Polizei) bis 25.000 Menschen (laut Veran-
stalter*innen) teil, wobei uns erstere Angabe re-
alistischer erscheint. Lediglich 5.000 waren bei
den Anmeldebehörden erwartet worden. Nur
wenige der von uns Angesprochenen verweiger-
ten ein Interview vor Ort bzw. die Annahme des
Flyers, mit dem zur Teilnahme an der Online-Be-
fragung aufgerufen wurde.
In Bremen startete die Demonstration mit ei-
ner Auftaktkundgebung um 10:00 Uhr auf dem
Bahnhofsvorplatz. Die Organisator*innen hatten
im Vorfeld mit etwa 1.000 Teilnehmer*innen ge-
rechnet. Als dann tatsächlich mindestens fünfmal
so viele erschienen, erwies sich der Lautsprecher-
wagen als viel zu klein dimensioniert, so dass nur
ein kleiner Teil der Demonstrant*innen etwas
von den Statements der Organisator*innen mit-
bekommen konnte. Vom Hauptbahnhof zog der
Demonstrationszug in einer etwa einen Kilometer
langen Route durch die Innenstadt bis zum histo-
rischen Marktplatz mit dem Sitz der Bremischen
Bürgerschaft. Das Gesamtbild der Demonstration
war geprägt von Schüler*innen, von denen ein
großer Teil selbstgemalte Pappschilder mit deut-
schen und englischsprachigen Slogans zum Klima-
wandel mitgebracht hatte. Die Stimmung auf der
Demonstration war lebhaft. Die Teilnehmer*in-
nen stimmten häufig Sprechchöre an. Die Polizei
beschränkte sich darauf, den Verkehr zu regeln
und war ansonsten zumindest nicht mit einem
sichtbaren Aufgebot vor Ort. Für die Abschluss-
kundgebung auf dem Marktplatz galt das Gleiche
wie für die Auftaktkundgebung: Die unterdimen-
sionierte Technik führte dazu, dass nur ein sehr
kleiner Teil der Menge die dort gehaltenen Reden
verstehen konnte. Einsetzender Nieselregen
sorgte dann dafür, dass sich die Demonstration
gegen 13:00 Uhr langsam auflöste. Der Befragung
standen die allermeisten angesprochenen Teil-
nehmer*innen offen und interessiert gegenüber.
Auch hier gab es nur wenig ablehnende Reaktio-
nen.
3. Anlage und Ergebnisse
der Befragung
Mitglieder des Instituts für Protest- und Bewe-
gungsforschung sowie Beteiligte aus früheren
Forschungsgruppen am Wissenschaftszentrum
Berlin (WZB) haben bereits mehrfach in der Ver-
gangenheit Protestierende befragt. Tabelle 1 lie-
fert einige Eckdaten ausgewählter Befragungen
im Vergleich. Es ist erkennbar, dass, nicht zuletzt
abhängig von der Größe der Demonstrationen,
ganz unterschiedliche Anteile der Protestieren-
den durch die Befragung erfasst werden. Daran
sollte allerdings nicht die Aussagekraft der Ergeb-
nisse gemessen werden, kommt es doch darauf
an, bei der Auswahl der Protestierenden deutli-
che Verzerrungen zu vermeiden, also eine strikte
Zufallsauswahl der zur Teilnahme an der Befra-
gung aufgeforderten Personen zu gewährleisten.
Dies erfordert unter anderem, dass beim Einsatz
der Interviewer*innen bzw. Verteiler*innen von
Fragebögen oder Flyern alle Segmente der Men-
schenmenge bzw. des Protestmarsches gleicher-
maßen abgedeckt werden. Das ist schwierig im
Rahmen eines Protestgeschehens, das manchmal
leicht chaotische Züge annimmt, bei dem Leute
kommen und gehen, ein Vordringen zur Bühne
aufgrund der dicht stehenden Menschen verhin-
dert wird oder wenn ein langsamer Umzug plötz-
7
lich im Laufschritt vorangeht, um eine entstan-
dene Lücke zu schließen. Ein weiterer Faktor für
mögliche Verzerrungen ist die Art und Quote des
Rücklaufs. Rein quantitativ verringert sich dieser
mögliche Verzerrungseffekt mit der Höhe der
Quote.
Auch wenn wir bei bisherigen Befragungen
durchaus unterschiedliche Rücklaufquoten erzielt
haben, so handelt es sich doch selbst bei den ver-
gleichsweise niedrigen Werten für die FFF-Befra-
gung um Quoten, die weit über denen von reprä-
sentativen Bevölkerungsumfragen liegen.
Tabelle 1: Übersicht zu Protestbefragungen in Deutschland9
Teilnehmende,
geschätzt
Verteilte
Fragebögen
Rücklauf
Rücklaufquote; %
500.000
1.430
740
51,7
10.700
1.610
783
48,6
17.500
1.500
814
54,3
17.000
670
123
18,4
200.000
3.780
482
14,2
80.000
4.187
1.095
31,0
25.500
2.200
355
16,1
Berlin
20.000
1.202
204
17,0
Bremen
5.500
998
151
15,1
3.1 Methodik und Repräsentativität
Auch wenn methodische Detailfragen als Angele-
genheit von Expert*innen gesehen werden und
für das breite Publikum kaum von Interesse sind,
so legen wir doch großen Wert darauf, unser me-
thodisches Vorgehen eingehend zu beschreiben
und auch dessen Schwächen und Grenzen aufzu-
zeigen. Das erscheint uns gerade im Untersu-
chungsfeld der quantitativen Befragung von Pro-
testteilnehmer*innen notwendig einem Feld,
das erst seit den früher 2000er Jahren Konturen
gewonnen hat und in dem noch viel experimen-
tiert wird (siehe z. B. Andretta und della Porta
2014; Teune und Ullrich 2015). Im Unterschied zu
repräsentativen Bevölkerungsumfragen ist bei
_____
9 Tabelle 1 zeigt eine Auswahl der Studien, die unter
Beteiligung von Wissenschaftler*innen des Instituts
für Protest- und Bewegungsforschung entstanden sind.
Befragungen von Demonstrierenden ein anderes
Vorgehen geboten. Darauf wird noch einzugehen
sein.
Tabelle 2 zeigt die Eckdaten der europäischen
Befragungsaktion zu FFF in neun Ländern. Die
Rücklaufquoten sind insgesamt zufriedenstel-
lend. Sie schwanken zwischen 12 Prozent (Ams-
terdam) und 30 Prozent (Stockholm). Mit unseren
Befragungen in Berlin und Bremen (mit 17 % bzw.
15 %) liegen wir damit im unteren Bereich. Auch
die von den Berliner Organisator*innen auf der
Bühne ausgesprochene Ermunterung, sich an der
Umfrage zu beteiligen, hat offenbar nicht zu einer
markanten Steigerung der Rücklaufquote ge-
führt, wie der Vergleich mit Bremen zeigt.
* Während des G20-Gipfels in Hamburg wurden zwei
Demonstrationen untersucht. Siehe: Haunss et al.
2017.
8
Tabelle 2: Eckdaten der internationalen Befragung in neun Ländern
Stadt
Teilnehmende,
geschätzt
Kurz-
interviews
Verteilte
Fragebögen
Rücklauf
Rücklauf-
quote; %
Amsterdam
5.500
118
609
72
12
Berlin
15.000 - 25.000
257
1.202
204
17
Bremen
5.000 - 6.000
100
998
151
15
Brüssel
30.000 - 35.000
140
733
166
23
Florenz
10.000 - 30.000
0
1.000
195
20
Genf
5.000 - 6.000
103
1.000
154
15
Lausanne
12.000 - 15.000
152
1.000
183
18
Malm
600 - 650
95
528
114
22
Manchester
800
76
398
100
25
Stockholm
3.000 - 5.000
108
588
174
30
Truro (UK)
300
62
260
38
15
Wien
15.000 - 25.000
180
930
154
17
Warschau
6.700
170
916
220
24
Quelle: Wahlström et al. 2019b, übersetzt ins Deutsche
Das Problem der Repräsentativität
Die Frage der Repräsentativität ist für die quanti-
fizierende empirische Sozialforschung eine
Schlüsselfrage, der wir große Aufmerksamkeit
und Energie widmen. Nicht immer gelingt es, das
Ziel der (annähernden) Repräsentativität zu errei-
chen. Zum Beispiel sind wir bei unserer Befragung
von Teilnehmer*innen an einer Pegida-Demonst-
ration im Januar 2015 zu dem Schluss gekommen,
dass wir aus einer Reihe von Gründen keinerlei
Repräsentativität beanspruchen können (Daphi
et al. 2015b).
Im Unterschied zu repräsentativen Bevölke-
rungsumfragen sind bei den vor Ort Demonstrie-
renden die Merkmale der Grundgesamtheit un-
bekannt. Man kann also nicht aufgrund bereits
vorhandener Daten eine relativ kleine und den-
noch repräsentative Stichprobe ziehen, sondern
muss versuchen, durch eine Reihe von Vorkeh-
rungen möglichst nahe an das Repräsentativitäts-
kriterium heranzukommen, wobei bestenfalls Re-
präsentativität für die jeweilige Demonstration,
nicht aber für ähnliche Veranstaltungen an ande-
ren Orten herzustellen ist. Grundprinzip bei der
Befragung von Protestierenden ist die Sicherung
einer Zufallsstichprobe bei der Kontaktierung von
Personen vor Ort. Dafür wurden in unserem kon-
kreten Fall den Befragungsteams (jeweils zwei
Personen) bestimmte Sektoren während der sta-
tionären Kundgebung bzw. Abschnitte innerhalb
des Demonstrationszuges zugewiesen, um dann
nach einer festen Quote jede x-te Person für ein
Kurzinterview anzusprechen bzw. einen Flyer zu
verteilen. Dabei ist die Arbeitsteilung im Team
zentral: Während eine Person im Team, der soge-
nannte Pointer, die Zielperson nach dem genann-
ten Schema auswählt, ist die zweite Person für die
9
Kontaktaufnahme und das Gespräch bzw. Inter-
view mit der Zielperson verantwortlich. So sollen
Verzerrungen (selection bias) vermieden werden,
die z. B. durch eine (unbewusste) Auswahl nach
Sympathie, ähnlicher Altersgruppe oder erhoff-
ten Erfolgschancen bei der Ansprache der Ziel-
person entstehen können. Die Interviews und die
Verteilung der Flyer erfolgen also nach einem an-
deren Prinzip als die Verteilung von Flugblättern
oder Werbezetteln in einer Fußgängerzone, wo
die Verteiler*innen bemüht sind, möglichst
schnell möglichst viele ihre Zettel loszuwerden.
Der von uns verteilte Flyer wurde zunächst in
englischer Sprache unter den verschiedenen nati-
onalen Teams in seinem Wortlaut abgestimmt
und dann ebenso wie der ausführliche Online-
Fragebogen in die jeweilige Landessprache
übersetzt. Er enthält die Aufforderung, sich an
der Online-Befragung zu beteiligen. Zudem ist auf
jedem Flyer ein individueller ID-Code vermerkt,
der einmalig den Zugang zum Online-Fragebogen
ermöglicht, aber danach nicht erneut nutzbar ist.
Dadurch wird sichergestellt, dass im Prinzip nur
Teilnehmer*innen an der Demonstration (abge-
sehen von der Möglichkeit, den Flyer an jeman-
den weiterzureichen), vor allem aber nicht ganze
Gruppen, zum Beispiel Schulklassen, an der Befra-
gung teilnehmen und damit das Zufallsprinzip der
Beteiligung verletzen. Auch aufgrund der positi-
ven Grundstimmung während den Demonstratio-
nen war die Ablehnungsquote für die Verteilung
der Flyer sehr gering. Sie betrug in Berlin 5,3 Pro-
zent und in Bremen 5,4 Prozent. Auch dies ist ein
wichtiger Indikator dafür, dass nicht bereits bei
der Verteilung der Flyer ein möglicher Verzer-
rungseffekt entsteht, insofern sich eine größere
Personengruppe der Beteiligung an der Befra-
gung verweigert.
Besondere Aufmerksamkeit widmeten wir der
Durchführung von direkten Interviews vor Ort,
die elf Fragen enthielten und durchschnittlich
fünf Minuten beanspruchten. Hier und bei der ge-
samten Befragungsaktion wurden aus for-
schungsethischen und juristischen Gründen nur
mindestens 14-Jährige einbezogen, nachdem das
Alter durch eine Eingangsfrage geklärt worden
war. Alle elf Interviewfragen sind auch im Online-
Fragebogen enthalten und somit in ihren Ergeb-
nissen direkt vergleichbar. In Berlin wurden die
Antworten von den Interviewer*innen in ein Pa-
pierformular eingetragen, in Bremen dagegen auf
einem Tablet registriert, was sich als deutlich ef-
fizienter erwies. Zweck der Interviews war nicht,
die Rücklaufquote zu erhöhen oder vertiefende
Informationen zu gewinnen. Vielmehr sollte mit
dieser zusätzlichen Erhebung einzig und allein ge-
prüft werden, ob die nach der Zufallsauswahl er-
haltenen direkten Interviews vor Ort, für die wir
eine annähernde Repräsentativität beanspru-
chen können, mit Blick auf die entsprechenden
Fragen des Online-Instruments ähnliche Ergeb-
nisse zeitigen würden. Abweichungen könnten
sich z. B. dadurch ergeben, dass netzaffine und
junge Teilnehmer*innen eher als andere Gruppen
an der Online-Umfrage teilnehmen und damit das
Durchschnittsalter der an der Online-Umfrage Be-
teiligten geringer ausfällt als das Durchschnittsal-
ter der Demonstrierenden vor Ort.
Der Vergleich der Antworten aus den direkten
Interviews und der Online-Befragung förderte ein
Ergebnis zutage, dass wir in dieser Deutlichkeit
nicht erwartet hatten. Zusammengefasst: Die
durch beide Instrumente ermittelten Merkmals-
verteilungen sind annähernd gleich. Das soll
nachfolgend lediglich für einige Fragen belegt
werden:
Der Frauenanteil betrug bei den direkten In-
terviews vor Ort 57,6 Prozent, bei der Online-Be-
fragung 59,6 Prozent. Der Anteil von Schüler*in-
nen und Student*innen betrug bei den direkten
Interviews 76,7 Prozent und war bei den Online-
Interviews mit 71,4 Prozent nur etwas geringer.
Auch bei der Altersverteilung der Befragten lie-
gen die Werte aus beiden Befragungen in einer
ähnlichen Größenordnung (siehe Tabelle 3).
10
Tabelle 3: Altersverteilung im Vergleich beider Befragungsmethoden; in %
Altersgruppe
Kurzfragebogen
Online-Survey
14-19
58,0
51,5
20-25
17,0
18,9
26-35
11,3
11,3
36-45
7,1
5,1
46-55
3,6
6,5
56-65
1,5
3,4
Über 65
1,5
3,4
Gesamt %
N
100,0
336
100,0
355
Tabelle 4: Demonstrationserfahrung im Vergleich beider Befragungsmethoden; in %
Demonstrationserfahrung
Kurzfragebogen
Online-Survey
Keine Teilnahme
24,4
25,1
1 bis 5 mal
35,7
33,2
6 bis 10 mal
15,5
18,2
11 bis 20 mal
12,2
9,2
Mehr als 20 mal
12,2
14,2
Gesamt %
N
100,0
336
100,0
346
Und auch der Vergleich der Antworten auf die
Frage nach früheren Demonstrationsteilnahmen
in Tabelle 4 liefert ein sehr hohes Maß an Über-
einstimmung.
Aufgrund der sehr ähnlichen Ergebnisse bei-
der Befragungsmethoden, können wir davon aus-
gehen, dass die annähernde Repräsentativität,
die wir aufgrund der Zufallsauswahl für die 336
Direktinterviews beanspruchen, auch für die On-
line-Befragung gilt, auf die sich alle folgenden
Analysen beziehen. Auch wenn der Aufwand für
die Direktinterviews erheblich war und naturge-
mäß auch die Kapazitäten bei der Verteilung der
Flyer und damit die Rücklaufquote reduzierte,
so sehen wir doch diesen rein methodisch moti-
vierten Aufwand als sinnvoll an. Wir sprechen
zum ersten Mal in unserer Serie von Demonstra-
tionsbefragungen von einer annähernden Reprä-
sentativität.
11
3.2 Wer sind die Teilnehmer*innen?
Eine ganze Reihe von Fragen diente der Ermitt-
lung des sozio-demografischen Profils der Protes-
tierenden. Bei der Darstellung der Ergebnisse gilt
es zu beachten, dass die Ausübung von Protest als
Artikulationsform von verschiedenen sozio-struk-
turellen Merkmalen geprägt ist und Demonstrie-
rende in den wenigsten Fällen ein repräsentatives
Abbild der Gesamtbevölkerung darstellen. So zei-
gen zahlreiche Studien für Deutschland und viele
andere westeuropäische Länder, dass vor allem
formal höher Gebildete, Menschen mit über-
durchschnittlichem Einkommen und die Altersko-
horte der 30-50-Jährigen auf die Straße gehen (z.
B. van Aelst/Walgrave 2001). Während Demonst-
rationen lange stark von Männern geprägt waren,
zeigen jüngere Untersuchungen eine annähernd
paritätische Verteilung der Geschlechter. Im Fol-
genden wird das Profil der FFF-Protestierenden
im Hinblick auf einige der genannten Merkmale
genauer in den Blick genommen.
Verteilung der Geschlechter: Auffällig an der
Geschlechterverteilung, zumal im Vergleich mit
den meisten sonstigen Demonstrationen, ist der
hohe Frauenanteil bei den FFF-Protesten. Bei der
Befragung von Demonstrierenden gegen Stutt-
gart 21 betrug der Frauenanteil 40 Prozent
(Baumgarten und Rucht 2014), unter den Pegida-
Demonstrierenden lag er lediglich bei 18 Prozent
(Daphi et al. 2015b). Bei den Protesten gegen den
G20-Gipfel 2017 (Haunss et al. 2017) und gegen
die Freihandelsabkommen TTIP und CETA 2015
(Daphi et al. 2015a) war das Verhältnis der Ge-
schlechter nahezu ausgeglichen. Im Falle der FFF-
Proteste in Berlin und Bremen betrug der Frauen-
anteil zusammengenommen 59,6 Prozent. In der
Gruppe der Schüler*innen lag er mit 64,6 Prozent
sogar noch höher.
Altersstruktur: Entgegen dem medial gezeich-
neten Bild, FFF würde ganz überwiegend von sehr
jungen Schüler*innen getragen, zeigt unsere Be-
fragung ein differenzierteres Bild. Dabei ist zu be-
rücksichtigen, dass unsere Befragung aus juristi-
schen und forschungsethischen Gründen nur Teil-
nehmer*innen ab 14 Jahren einschließt. Unter
den Befragten ist der Anteil der Schüler*innen
(49,3 %) und der Gruppe der Erwachsenen, die
nicht mehr zur Schule gehen (50,7 %) nahezu
gleich groß. Dieses Verhältnis spiegelt sich auch in
der Altersstruktur der Befragten wider (siehe Ab-
bildung 1). So ist die Gruppe der 14-19-Jährigen
mit 51,5 Prozent am stärksten vertreten, gefolgt
von der Gruppe der 20-25-Jährigen mit knapp 19
Prozent und jetzt in Zehn-Jahres-Schritten der
Gruppe der 26-35-Jährigen mit 11,3 Prozent. Ab-
bildung 3 zeigt auch, dass die FFF-Demonstrieren-
den in Bremen mit einem Anteil der 14-19-Jähri-
gen von mehr als 60 Prozent etwas jünger sind als
in Berlin, wo sich Studierende stärker an den Pro-
testen beteiligten.
Abbildung 1: Altersstruktur der Demonstrierenden in Bremen und Berlin; in %
0
10
20
30
40
50
60
14-19 20-25 26-35 36-45 46-55 56-65 über 65
Berlin (N=204) Bremen (N=151) Gesamt (N=355)
12
Die Daten verdeutlichen, dass der Protest im
Wesentlichen von jungen Menschen getragen
wird, dass sich aber auch Erwachsene und ältere
Menschen beteiligen und solidarisch zeigen. Ins-
gesamt handelt es sich bei FFF aber um eine au-
ßergewöhnlich junge Protestbewegung, wie der
Vergleich mit anderen von uns untersuchten De-
monstrationen zeigt (siehe Abbildung 2).
Diesen anderen Demonstrationen von
Pegida bis zu den G20-Protesten werden in ers-
ter Linie durch die mittleren Alterskategorien ge-
prägt. Der Mittelwert der Gruppe der unter 25-
Jährigen liegt für diese Proteste zusammen bei
nur 14 Prozent, während er bei den FFF-Protesten
mehr als 70 Prozent beträgt.
Abbildung 2: Altersstruktur, Vergleich ausgewählter Demonstrationen; in %
Ein beachtlicher Anteil der Befragten bei FFF
sind Schüler*innen oder Student*innen (71,8 %).
Hinzu kommen kleinere Anteile von Vollzeitbe-
schäftigten (21,1 %) und Teilzeitbeschäftigten.
Arbeitslose sind, gemessen an der Gesamtbevöl-
kerung, unterdurchschnittlich vertreten (2,9 %).
Gleiches gilt für Rentner*innen (6,9 %) und Haus-
frauen bzw. Hausmänner (1,7 %).10
Tabelle 5 zum angestrebten bzw. erworbenen
Ausbildungsgrad signalisiert die starke soziale Se-
lektion der Demonstrierenden. Diese sind in der
Gesamttendenz dem Bildungsbürgertum zugehö-
rig. Dies zeigt sich noch deutlicher, wenn die Er-
_____
10 Mehrfachantworten mglich.
11 Die Quote der Personen mit Hochschulabschluss un-
terscheidet sich stark nach Altersgruppen. Laut einer
Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes vom
werbstätigkeit und der Bildungsgrad der Eltern-
teile herangezogen werden. 39,2 Prozent der
Mütter sind vollerwerbstätig, weitere 31,4 Pro-
zent sind teilzeitbeschäftigt. Bei den Vätern lie-
gen die entsprechenden Anteile bei 62,9 Prozent
und 5,2 Prozent. Bei 57,5 Prozent der erwachse-
nen Befragten ab 20 Jahren hat die Mutter einen
Hochschulabschluss bei den Vätern sind es 58,8
Prozent; bei den Schüler*innen beträgt der Anteil
45,8 bzw. 49,4 Prozent. Das sind Werte, die etwa
doppelt so hoch sind wie in der Gesamtbevölke-
rung.11
6. September 2018 „verfügten 29 % der 30- bis 34-Jäh-
rigen über einen Hochschulabschluss, während der An-
teil unter den 60- bis 64-Jährigen bei 19 % lag“. Siehe:
https://www.destatis.de/DE/Presse/Presse-mitteilun-
gen/2018/09/PD18_332_217.html [04.08.2019].
70,4
13,8 12,1
3,7
0
10
20
30
40
50
60
70
80
unter 25 25-39 40-64 über 64
Pegida
Stuttgart 21
Hartz IV
Irakkrieg
TTIP
G20*
FFF
13
Tabelle 5: Ausbildungsgrad (bei Schüler*innen: angestrebter Abschluss); in %
Abbildung 3: Schichteinstufung von Schüler*innen und Erwachsenen; in %
Von Interesse ist auch die subjektive Schicht-
einstufung der Befragten. Hier wurde die im briti-
schen Sprachraum und weiteren europäischen
Ländern durchaus gebräuchliche und wenig
schambesetzte Kategorie working class im deut-
schen Fragebogen mit dem Begriff Arbeiter-
schicht übersetzt. Erwartungsgemäß ist diese
Kategorie mit 4,3 Prozent schwach besetzt,
würde aber vermutlich auch bei einer anderen
Benennung in Deutschland nicht wesentlich hö-
her ausfallen. Bei den Befragten ist, wie in der Ge-
samtbevölkerung, der Anteil derer, die sich der
Oberschicht zuordnen, mit 1,8 Prozent ver-
schwindend gering. Am stärksten präsent sind die
Ausbildungsgrad
Online-Survey
Keinen Schulabschluss
0,9
Grundschule
0,6
Hauptschulabschluss
0,9
Realschulabschluss / POS / mittlerer Schulabschluss
4,5
Fachhochschulreife / Abitur
55,1
Abgeschlossenes Studium
32,1
Doktor / PhD
4,8
Sonstiges
1,2
Gesamt %
N
100,0
366
2,0
63,3
27,6
7,1
2,6
53,6
39,1
4,6
0
10
20
30
40
50
60
70
Oberschicht Obere Mittelschicht Untere Mittelschicht Arbeiterschicht
Schüler*innen (N=98) Erwachsene (N=151)
14
Obere Mittelschicht mit 43,6 Prozent und die un-
tere Mittelschicht (26,2 %). Weitere 7,9 Prozent
wollten sich keiner dieser Kategorien zuordnen.
Insbesondere unter den Schüler*innen ist der An-
teil derjenigen, die sich keiner Schicht zuordnen
(9,2 %) oder die keine klare Meinung zu dieser
Frage haben (26,8 %) relativ hoch. Klammern wir
diese Antworten aus und vergleichen die Gruppe
der Schüler*innen mit der der Erwachsenen, so
nehmen mehr Schüler*innen als Erwachsene eine
subjektive Schichtzuordnung in der oberen Mit-
telschicht vor (siehe Abbildung 3).
Die Demonstrierenden wurden auch nach ih-
ren Herkunftsländern befragt. Das Bild ist eindeu-
tig. Die weitaus meisten Befragten (97,6 %) sind
in Deutschland geboren. Weitere 2,1 Prozent
kommen aus dem europäischen Ausland und 0,9
Prozent aus Ländern außerhalb Europas. Neben
den Angaben zum eigenen Geburtsland wurden
die Befragten auch gebeten, das Geburtsland ih-
rer Eltern anzugeben. Daraus lässt sich der indivi-
duelle Migrationshintergrund rekonstruieren und
mit der Gesamtbevölkerung vergleichen (Abbil-
dung 4). Dabei zeigt sich, dass Personen mit eige-
ner Migrationserfahrung zwar im Vergleich zur
Gesamtbevölkerung unterrepräsentiert sind,
aber die Gruppe derjenigen, die mindestens ei-
nen im Ausland geborenen Elternteil haben, ins-
besondere in Berlin relativ stark vertreten ist.
Abbildung 4: Migrationsgeschichte der Demonstrierenden, im Vergleich; in %
3.3 Anliegen der Protestierenden
Ein zentrales Ziel der Umfrage war es, mehr über
die Motive der Demonstrant*innen zu erfahren.
Dafür haben wir sowohl geschlossene Fragen mit
festen Antwortmöglichkeiten als auch drei offene
Fragen gestellt. Einige Ergebnisse bezüglich die-
ser Fragen sollen im Folgenden dargestellt wer-
den. Dabei haben wir eine quantitative und gra-
phisch visualisierte Auswertung der in den Ant-
_____
12
Die nachfolgenden Zitate werden im Original inklu-
sive sprachlicher Fehler zitiert.
worten enthaltenen Schlüsselbegriffe vorgenom-
men und auch exemplarisch einige Statements im
Wortlaut
12
herausgegriffen.
Aus den optisch quantifizierten Antworten auf
die offene Frage nach den Gründen für die Teil-
nahme an der Demonstration (Abbildung 5) wird
deutlich, dass insbesondere von den Schüler*in-
nen Klimawandel und die Sicherung der Zukunft
als langfristiges und dringendes Problem gesehen
wird.
80,7
83,2
87,7
79,9
020 40 60 80 100
ALLBUS 2016
FFF Gesamt (N=327)
FFF Bremen (N=138)
FFF Berlin (N=189)
Direkte Migrationserfahrung / Eigene Geburt im Ausland
Mindestens ein Elternteil im Ausland geboren / Eigene Geburt in Deutschland
Kein unmittelbarer Migrationshintergrund / Eigene Geburt und Geburt der Eltern in Deutschland
15
Abbildung 5: Zentrale Motive der Demonstrierenden
Q6: „Bitte sagen Sie uns kurz, warum Sie an diesem Protest teilgenommen haben“
Aus Statements wie beispielsweise dem fol-
genden: „Weil sich in der Politik etwas ändern
muss und wenn die das nicht angehen oder mer-
ken müssen wir halt für unsere Zukunft kämpfen!
Die notwendigen Maßnahmen müssen umgesetzt
werden“ spricht eine Sorge um die eigene Zu-
kunft, dem am häufigsten genannten Motiv. Viel-
fach wird dabei die besondere Rolle von Jugend-
lichen betont: Um zu zeigen, dass wir Schüler
eine große Gruppe sind die sich für ihre Zukunft
interessiert und auch eine politische Meinung ha-
ben“. Oder: „Ich finde es wichtig, dass gerade
junge Menschen auf die Straße gehen und für ihre
Zukunft eintreten um wirklich etwas zu ändern.“
Vereinzelt werden auch spezifischere Motive
genannt: „Um eine Rede zu halten und gegen den
Kapitalismus zu demonstrieren.“ Ein anderer Teil-
nehmer nennt an erster Stelle eine berufsbezo-
gene Motivation: „Mein Arbeitsplatz hängt vom
Klima ab (Forstwirtschaft). Außerdem bin ich sehr
naturverbunden, das Aussterben von Tier-, Insek-
ten und Pflanzenarten erschreckt mich, ich halte
dies für grausam und unnötig. Die Politik tut
nichts, hält eigene Klimaziele nicht ein, greift nicht
durch“. In manchen Antworten kommt auch der
tragende Einfluss der sozialen Umgebung zum
Ausdruck: „Wir wurden in der Schule darauf auf-
merksam gemacht und haben uns dann ent-
schlossen teilzunehmen“.
Ältere Befragte erklären sich solidarisch mit
den Jungen: „Ich finde es wichtig, dass gerade
junge Menschen auf die Straße gehen und für ihre
Zukunft eintreten um wirklich etwas zu ändern.“
Oder: „Ich finde den Protest der Jugendlichen
großartig und möchte meinen Enkeln eine be-
wohnbare Erde hinterlassen. War dort zusammen
mit meiner Tochter und Enkelin (8).
In den Antworten auf die offene Frage nach
den Schuldigen des Klimawandels lassen sich grob
zwei Perspektiven unterscheiden (Abbildung 6,
nächste Seite). Bei einem Teil der Protestieren-
den steht individuelles Handeln im Vordergrund.
Sie betonen, dass alle Menschen durch ihren Kon-
sum und Lebensstil die Schuld am Klimawandel
tragen: der mensch und seine gier nach mehr.
Ähnlich die Antwort: Die Menschheit im Ganzen.
Man kann die Schuld nicht einer Person zuschie-
ben, da wir alle unseren Teil dazu beigetragen ha-
ben, wenn auch manchmal unbewusst. Es ist der
Bequemlichkeit zuzutragen, die wir alle so lieben,
und der Profitgier, die meiner Meinung nach doch
in jedem steckt.“ In einem Fall wird auch den Ju-
gendlichen ausdrücklich eine Mitschuld zugewie-
sen: Schule (sic! - gemeint ist Schuld) ist Egois-
mus und Kurzsichtigkeit vorrangegangener und
teilweise auch der jungen Generation.
Zuweilen werden solche Aussagen aber auch
weiter differenziert, indem beispielsweise auf die
Schuldfrage geantwortet wird: Der unverant-
wortliche Konsum des normalen Bürgers sowie
die großen Firmen die nichts ändern wollen“.
Eine andere Gruppe der Befragten sieht in ers-
ter Linie die Wirtschaft bzw. Industrie oder Unter-
nehmen und Politik in der Verantwortung. So
heißt es: Untätigkeit der Regierungen, dubiose
16
Wirtschaftskonzerne“ und „100 Konzerne welt-
weit emittieren 71% des gesamten co2 und die
Regierungen (unter anderem die deutsche) die
diese Konzerne regulieren könnten sind zu korrupt
um etwas zu ändern.“ Ein anderer Befragter
meint:
Die Schuld am Klimawandel tragen für
mich die Regierung und die Industrie. Ich
habe das Gefühl, dass viele Industriebe-
triebe auf den Umweltschutz scheißen. Es
geht nur darum so wenig Kosten wie mög-
lich zu haben und so viel Geld wie möglich
zu scheffeln. Da wird im Einkauf zum Bei-
spiel lieber der Rohstoff genommen der
günstig, aber überhaupt nicht gut für die
Umwelt ist, anstatt den Rohstoff, der um-
weltschonender abgebaut wird und des-
halb ein bisschen teurer ist. Vor allem
wenn man nach China schaut, sieht man ja
wie stark die Industriebetriebe die Umwelt
verschmutzen... Und bei der Politik habe
ich öfters das Gefühl, dass die Politiker jaja
machen wir sagen, um uns zu besänftigen,
aber die Umsetzung erst in 10 oder 20 Jah-
ren planen. Ich finde diese Umsetzungszei-
ten so oft viel zu lange. Viele Sachen müs-
sen viel schneller umgesetzt werden.“
Viele Statements verbinden die Perspektiven
einer Kollektivschuld und der Schuld spezifischer
Institutionen und Akteursgruppen nach folgen-
dem Muster „Wir alle, ganz besonders aber die In-
dustrie und einige Unternehmen“. In einigen we-
nigen Aussagen wird explizit eine systembezo-
gene Schuldzuweisung vorgenommen. Zwei
exemplarische Antworten dazu: die kapitalisti-
sche Wirtschaftsweise, der endloser Wachstum
und Raubbau an der Natur inhärent sind“ und
Marktversagen da Externalitäten nicht einge-
preist sind. Eine kapitalistische Kultur nach der
"mehr mehr ist".
Bei den Handlungsoptionen (Abbildung 6) gibt
es einen weniger klar ausgeprägten Fokus als bei
den Protestmotiven und der Schuld am Klima-
wandel.
Abbildung 6: Schuldzuschreibungen und Lösungswege
Q7 „Wer oder was trägt Ihrer Meinung nach
die Schuld am Klimawandel / an der globalen
Erwärmung?“
Q8 „Was sollte getan werden um diese Probleme
anzugehen?“
17
Neben allgemein gehaltenen Voten für „Bil-
dung und Aufklärung“ werden konkrete Maßnah-
men wie auch globale Handlungsoptionen ge-
nannt. Gelegentlich finden sich Vorschläge zu Ein-
zelmaßnahmen auf individueller Ebene, darunter
„Fleischkonsum reduzieren“, „weniger Plastik“,
„mit Fahrrad fahren“, „Kohleausstieg“ oder
„keine Massentierhaltung“. Häufiger werden in
Form einer Liste mehrere konkrete Maßnahmen
angeführt, z. B.: Wir müssen bei uns selber an-
fangen. Zug fahren statt zu fliegen, weniger Plas-
tik verbrauchen, weniger Fleisch bzw. Tierpro-
dukte essen, Mehr Fahrrad fahren statt SUV's , öf-
ters second hand shoppen gehen , unsern Konsum
minimieren usw.“
In vielen Antworten werden sowohl die be-
reits zitierten individuellen Verhaltensänderun-
gen als auch strukturelle Maßnahmen (z. B. Koh-
leausstieg, strenge Auflagen für die Industrie, Er-
schwerung der Massentierhaltung) angemahnt.
In der Kritik steht vor allem die Orientierung am
Wirtschaftswachstum, teilweise verbunden mit
dem expliziten Plädoyer für eine „Postwachs-
tumskonomie“ und „Zeitwohlstand als neue im-
materielle Wohlstandsorientierung“. In mindes-
tens einem Fall wird angenommen, der Umwelt-
und Klimaproblematik sei mit marktwirtschaftli-
chen Mitteln beizukommen: Die Marktwirt-
schaft könnte das Problem schnell lösen. Es muss
finanziell lukrativ werden, umweltfreundlich zu
sein. Eine CO2 Steuer wäre ein Schritt in diese
Richtung.“ In einigen anderen Fällen wird dage-
gen ein grundlegender Wechsel der Wirtschafts-
ordnung für erforderlich gehalten: „Der Kapitalis-
mus muss abgeschafft werden und ersetzt wer-
den durch ein System das das Wohl des planeten
und Menschen über das der Konzerne stellt“.
Neben der dokumentierten Differenziertheit
vieler Statements ist auch bemerkenswert, dass
fast alle Befragten die drei offenen Fragen beant-
wortet haben. Dies ist ein weiteres Indiz für die
hohe Motivation der Protestierenden.
Bei der mit vorgegebenen Antwortkategorien
gestellten Frage, auf welche Akteure man sich
verlassen könne, um die Umweltprobleme zu lö-
sen und den Klimawandel zu stoppen, zeigt sich
bei den beiden Demonstrationen in Berlin und
Bremen ein sehr klares Bild (Abbildung 7, nächste
Seite). Unternehmen und Regierung wird im
Grunde keine Lösungskompetenz zugetraut. Nur
13,5 Prozent der Demonstrant*innen stimmen
zumindest teilweise der Aussage zu, „Bei der L-
sung unserer Umweltprobleme können wir uns
auf Unternehmen und den Markt verlassen“. Der
Regierung wird mit 13,8 Prozent nur minimal
mehr Kompetenz zugebilligt. Große Zustimmung
finden dagegen die Aussagen „Bei der Lsung un-
serer Umweltprobleme kann man sich auf die
moderne Wissenschaft verlassen“: 50,7 Prozent
der Befragten stimmen dieser Aussage zu; wei-
tere 38,2 Prozent stimmen der Aussage zumin-
dest teilweise zu.
Da die Wissenschaft nur Lösungswege aufzei-
gen, diese Lösungen aber nicht umsetzen kann,
kommt bei den Demonstrierenden eine ganz an-
dere Akteursgruppe ins Spiel: sie selbst. Eine
große Mehrheit (83,7 %) stimmt mindestens teil-
weise zu der Aussage zu „Um den Klimawandel zu
stoppen bedarf es in erster Linie freiwilliger Än-
derungen des individuellen Lebensstils“. Knapp
die Hälfte (47,8 %) stimmt der Aussage explizit zu.
Bemerkenswert ist, dass die erwachsenen
Teilnehmer*innen der Demonstration vor allem
die Unternehmen noch skeptischer sehen als die
Schüler*innen. Diese wiederum sind deutlich zu-
versichtlicher, durch einen Wandel ihres Lebens-
stils den Klimawandel stoppen zu können. Wäh-
rend bei den Erwachsenen nur ein gutes Drittel
(36,3 %) davon überzeugt ist, dass der Wandel
des (eigenen) Lebensstils zur Lösung der Prob-
leme des Klimawandels beitragen könne, trifft
dies bei den Schüler*innen auf mehr als die Hälfte
zu (59,4 %). Weniger als 10 Prozent sehen darin
keine wünschenswerte oder realistische Option.
18
Abbildung 7: Zuschreibung Lösungskompetenz, Schüler*innen und Erwachsene; in %
Neben den offenen Fragen nach den zentralen
Motiven der Demonstrierenden haben wir diese
zusätzlich anhand von vorgegebenen Antwortka-
tegorien abgefragt. Dabei sollten die Befragten
auf einer 5er-Skala angeben, inwiefern sie zentra-
len Aussagen zustimmen. Die höchsten Zustim-
mungswerte
13
von fast 90 Prozent erzielte die
Aussage „Ich habe an der Demonstration teilge-
nommen, um Politiker*innen unter Druck zu set-
zen etwas zu ändern“. Die Befragten demonstrie-
ren zudem, um die eigenen Ansichten auszudrü-
cken (85,6 % Zustimmung) und die Öffentlichkeit
zu sensibilisieren (82,1 % Zustimmung). Der
Gruppe der Erwachsenen geht es auch darum,
ihre Solidarität auszudrücken (91,4 %; Schüler*in-
nen: 67,8 %). Insgesamt ist die intrinsische Moti-
vation hoch. Nur vier Prozent der Befragten ge-
ben an, dass sie in erster Linie an der Demonstra-
tion teilnehmen, weil sie von anderen darum ge-
beten wurden. Zusammenfassend dokumentie-
ren diese Ergebnisse, dass die Demonstrierenden
über verschiedene Wege versuchen, die gesell-
schaftliche und politische Debatte um den Klima-
wandel nachhaltig zu beeinflussen.
_____
13
Zusammenfassung von 4 = „stimme überwiegend
zuund 5 = „stimme voll und ganz zu“.
3.4 Wege der Mobilisierung
Wie wurden die Teilnehmer*innen mobilisiert
und wie gelang es, so viele Schüler*innen auf die
Straße zu bringen? Der individuelle Mobilisie-
rungsprozess und die Entscheidung, an einer De-
monstration teilzunehmen, basieren auf Informa-
tionen und Kommunikation. Potenzielle Teilneh-
mer*innen erfahren von Demonstrationen in den
Medien oder in Gesprächen mit Gleichgesinnten,
Kolleg*innen oder Mitschüler*innen. Andere
werden durch Organisationen zum Protest aufge-
rufen. Um die Mobilisierungswege der Demonst-
rierenden nachzuzeichnen, haben wir folgende
Themenbereiche abgefragt: Zunächst ging es um
die Informationswege, über die die Teilneh-
mer*innen von der Demonstration erfahren ha-
ben. Darüber hinaus baten wir die Befragten an-
zugeben, ob sie allein oder in Begleitung auf der
Demonstration seien. Schließlich fragten wir, ob
Greta Thunberg eine wesentliche Rolle für die
Entscheidung zur Teilnahme am Protest gespielt
hat.
19
Betrachten wir zunächst die Informationsquel-
len14 (Abbildung 8). Für fast alle Demonstrieren-
den spielen persönliche Gespräche mit Freunden
und Bekannten eine zentrale Rolle: 92 Prozent
der Schüler*innen und 79 Prozent der Erwachse-
nen geben an, auf diese Weise vom Klimastreik
erfahren zu haben. Die Sozialen Medien (62 %
bzw. 52 %) folgen, werden aber kaum häufiger ge-
nannt als die traditionellen Massenmedien (50 %
bzw. 54 %). Die interne Kommunikation im Rah-
men von Organisationen oder Initiativen spielt
mit 30 Prozent unter den Schüler*innen und 39
Prozent unter den Erwachsenen eine relativ ge-
ringe Rolle dies auch im Vergleich zu den Anti-
G20-Protesten in Hamburg 2017 (Haunss et al.
2017) und den Anti-TTIP/CETA-Protesten in Berlin
2015 (Daphi et al. 2015a).
Abbildung 8: Informationsquellen (Mehrfachantworten möglich); in %
Die Unterschiede zwischen befragten Schü-
ler*innen und Erwachsenen werden mit Blick auf
den als am wichtigsten erachteten Informations-
kanal noch deutlicher (siehe Abbildung 9,
nächste Seite). Direkte soziale Kontakte sind für
den Mobilisierungsprozess von Schüler*innen
bedeutsamer als für Erwachsene. Für fast die
Hälfte der Schüler*innen sind Gespräche mit
Freund*innen und Mitschüler*innen die primäre
Informationsquelle. Der Austausch mit Familien-
mitgliedern spielt in dieser Kategorie keine Rolle
(0,7 %; nicht abgebildet). Vor dem Hintergrund
der Annahme, dass persönliche Gespräche ein
höheres Maß an Verbindlichkeit mit sich bringen,
könnte die zentrale Rolle dieser Informations-
quelle auch die hohe Beteiligung von Erstprotes-
tierenden unter den Schüler*innen erklären.
Wenig überraschend ist indes, dass sich die
Gruppe der Schüler*innen eher in den Sozialen
_____
14 Frage im Wortlaut: „Wie haben Sie von der De-
monstration erfahren? (Bitte wählen Sie alle zutreffen-
den Antworten aus)“. Für die Darstellung wurden ei-
nige Antwortmöglichkeiten zusammengefasst.
Medien informiert als die Gruppe der Erwachse-
nen, die sich wiederum eher in den kommerziel-
len Massenmedien informiert als die Schüler*in-
nen. Immerhin haben sich fast 27 Prozent der be-
fragten Erwachsenen primär in den Sozialen Me-
dien informiert ein Wert, der allerdings nicht
zuletzt auf den hohen Anteil von Studierenden in
dieser Gruppe zurückzuführen sein dürfte.
Organisationen, Initiativen oder Vereine spie-
len bei der Mobilisierung von Erwachsenen (17,5
%) eine wesentlich größere Rolle als bei Schü-
ler*innen. Von diesen haben sich nicht einmal
fünf Prozent primär über diese Wege informiert.
Dies ist ein Hinweis darauf, dass die medial ver-
breitete These von der Manipulation der De-
monstrierenden durch Parteien oder Umwelt-
schutzorganisationen nicht zutrifft.
010 20 30 40 50 60 70 80 90 100
Alternative Onlinemedien
Werbung, Flyer und/oder Poster
Interne Kommunikation einer Organisation
Kommerzielle Massenmedien
Soziale Medien
Persönliche Gespräche
Schüler*innen (N=173) Erwachsene (N=178)
20
Abbildung 9: Wichtigster Informationskanal (keine Mehrfachantworten möglich); in %
Der Eindruck, dass direkte soziale Kontakte
und Peers für die Mobilisierung von Schüler*in-
nen wichtiger waren als für Erwachsene, wird
durch den zweiten Themenkomplex in diesem
Abschnitt, nämlich der Frage nach der Demonst-
rationsbegleitung, bestätigt.
Für die Schüler*innen sind die FFF-Demonst-
rationen soziale Events. Nur knapp zwei Prozent
geben an, allein zur Demonstration gekommen zu
sein; unter den Erwachsenen sind es mit 16 Pro-
zent deutlich mehr (Abbildung 10, nächste Seite).
Für diejenigen Schüler*innen, die mit Anderen
gemeinsam unterwegs sind, sind Freund*innen
und Mitschüler*innen die mit Abstand wichtigs-
ten Begleiter*innen. Erneut bestätigt sich der Ein-
druck, dass die Familie nur eine nachgeordnete
Rolle spielt und auch die Begleitung durch Mit-
streiter*innen aus gemeinsamer Organisations-
zugehörigkeit in der Gruppe der Schüler*innen
kaum bedeutsam ist. Auch die älteren Befragten
gehen in erster Linie mit Freund*innen zur De-
monstration, doch ist im Vergleich zu den Schü-
ler*innen diese soziale Dimension des Protests
weniger bedeutsam.
Die Befunde zu den Informationskanälen und
der Demonstrationsbegleitung legen somit nahe,
dass insbesondere soziale Kontakte im direkten
Umfeld der Schüler*innen (nicht aber in der Fa-
milie) der wesentliche Faktor im Mobilisierungs-
prozess waren. Dieser Befund ist per se nicht un-
gewöhnlich und bestätigt vielmehr die zentrale
Rolle persönlicher Beziehungen im Mobilisie-
rungsprozess von Demonstrationen, die wir auch
für andere Proteste feststellen konnten. Die Be-
deutung dieser sozialen Dimension des Protests
unter den Schüler*innen und auch die geringe
Rolle von Organisationen sind dennoch bemer-
kenswert; sie sprechen gegen die These der
Fremdsteuerung durch externe Organisationen o-
der auch durch die Eltern. Deutlich wird zudem,
dass digitale Soziale Medien auch für Schüler*in-
nen eine zwar wichtige, aber nicht eben die zent-
rale Informationsquelle für die Demonstration
sind.
Eine weitere Vermutung, die immer wieder
geäußert wurde, um die hohe Anziehungskraft
von FFF für junge Menschen zu erklären, ist die
Person Greta Thunberg. Thunberg wirke, so die
These, mit ihrem selbstbewussten Auftreten, ih-
rer Handlungskonsequenz und ihren kompro-
misslosen Forderungen als Rollenmodell. Ihre
medienwirksamen Auftritte auf dem Parkett der
nationalen und internationalen Politik zeigten das
Potential jugendlichen Engagements und moti-
vierten damit auch diejenigen, die sich bisher we-
nig für Politik und Klimaschutz interessierten.
Auch wenn der genaue Einfluss Thunbergs
schwer zu bestimmen ist, zeigen unsere Daten
doch, dass sie Spuren hinterlassen hat und als ein
Mobilisierungsfaktor wirkte: Rund 45 Prozent der
Schüler*innen geben an, dass Thunberg die Ent-
scheidung, am 15. März 2019 am Klimastreik teil-
zunehmen, beeinflusst habe. Weitere 20 Prozent
stimmen dem zumindest teilweise zu. Interessant
ist der Unterschied zwischen den Geschlechtern:
Während deutlich über die Hälfte der Schülerin-
nen die Aussage bejahen, liegt der Wert bei den
010 20 30 40 50 60
Alternative Onlinemedien
Werbung, Flyer und/oder Poster
Interne Kommunikation einer Organisation
Kommerzielle Massenmedien
Soziale Medien
Persönliche Gespräche
Schüler*innen (N=144) Erwachsene (N=120)
21
Schülern unter einem Drittel. Vor allem auf Mäd-
chen und junge Frauen wirkt Thunberg also inspi-
rierend und motivierend. Aber auch unter den Er-
wachsenen scheint Thunberg Eindruck zu hinter-
lassen. In dieser Gruppe gibt fast ein Drittel an,
durch Thunberg in der Entscheidung, am Protest
teilzunehmen, beeinflusst worden zu sein.
Abbildung 10: Begleitung auf der Demonstration15 (Mehrfachantworten möglich); in %
3.5 Politisches Interesse und
Engagement
Im Vergleich zu anderen Protesten sind bei FFF
überdurchschnittlich viele Erstdemonstrierende
bzw. Protestneulinge dabei (Abbildung 11,
nächste Seite). Dies trifft insbesondere auf die
Schüler*innen zu. Knapp 40 Prozent hatten noch
nie demonstriert; weitere 42,8 Prozent waren bis-
her nur auf einigen wenigen Demonstrationen.
Bei den Erwachsenen besteht eine weitaus grö-
ßere Protesterfahrung; lediglich 10,4 Prozent sind
Protestneulinge.
_____
15 Die Mehrfachantworten rechts der gestrichelten
Linie standen für diejenigen, die in der vorgelagerten
Frage angaben, ohne Begleitung auf der Demonstration
zu sein, nicht zur Verfügung.
Die Teilnahme an Protest ist immer auch eine
Ausdrucksform politischen Interesses und politi-
schen Handelns. Dies wurde allerdings für die
protestierenden Schüler*innen in den medialen
Debatten um die FFF Aktivitäten häufig in Frage
gestellt. So wurde ihnen vorgehalten, dass sie po-
litisch wenig interessiert seien und in erster Linie
auf die Straße gehen, um die Schule zu schwän-
zen. Unsere Befragung liefert ein anderes Bild.
Insgesamt bekunden 82 Prozent der Befragten
ein großes bis sehr großes Interesse an Politik. Da-
bei gibt es einen kleinen Unterschied zwischen Er-
wachsenen (85,5 % interessieren sich ziemlich
oder sehr für Politik) und Schüler*innen, von
2,3
90,3 84,0
34,9
8,6 7,4 6,3 3,4 1,7
16,4
55,6
17,2
24,4
1,1
17,8 14,4 19,4
2,2 8,3
Schüler*innen (N=175) Erwachsene (N=180)
22
denen sich 77,9 Prozent ziemlich oder sehr für Po-
litik interessieren.
Gleichzeitig trägt das Demonstrieren selbst zu
einem weiteren Politisierungseffekt bei. Darauf
deuten die Unterschiede zwischen Neulingen und
erfahreneren Demonstrierenden hin. Unter den-
jenigen, die angeben, ein sehr großes Interesse an
Politik zu haben, sind 34 Prozent der Protester-
fahrenen, aber lediglich 17,4 Prozent der Erstde-
monstrierenden. Das gilt für beide Geschlechter,
auch wenn Männer insgesamt ein leicht höheres
Interesse an Politik bekunden.
Die Unterschiede zwischen Schüler*innen und
Erwachsenen treten noch etwas klarer hervor,
wenn man nach der Häufigkeit der Diskussionen
über Politik fragt (Abbildung 12, nächste Seite).
Über die Hälfte der Erwachsenen gibt an, sehr
häufig über Politik zu diskutieren (51,4 %). Bei den
Schüler*innen sind es 36,1 Prozent. Die Unter-
schiede sind jedoch am größten zwischen Pro-
testerfahrenen von ihnen diskutieren 50,8 Pro-
zent sehr häufig über Politik und Protestneulin-
gen (23,3 %; Werte nicht abgebildet). Das zeigt,
dass Protestieren eine lebensweltliche Erfahrung
ist, die wiederum die Auseinandersetzung mit der
Politik erhöht. Nicht nur, aber besonders für
Schüler*innen bedeutet das: Die Teilnahme am
Protest ist ein Akt des politischen Lernens.
Abbildung 11: Demonstrationserfahrung, Schüler*innen und Erwachsene; in %
Abbildung 13 (nächste Seite) zeigt zudem, dass
die Schüler*innen zu Hause nicht nur über Politik
im Allgemeinen, sondern insbesondere auch über
den Klimawandel diskutieren. 53,5 Prozent der
Schüler*innen sprechen mit ihren Eltern oft oder
sehr oft über dieses Thema. Hier wird die Bedeu-
tung der politischen Sozialisation im Elternhaus
ersichtlich. Dabei stehen die Schüler*innen ihren
Eltern durchaus kritisch gegenüber. Obwohl über
zwei Drittel der Befragten angeben, dass sich ihre
Eltern mit dem Thema beschäftigen, sind lediglich
18 Prozent der Ansicht, dass sich ihre Eltern auch
ausreichend gegen den Klimawandel engagieren.
Das wurde in der medialen Berichterstattung
häufig als Generationenkonflikt bezeichnet. Auch
wenn dies übertrieben erscheint, so darf die Be-
deutung solcher Auseinandersetzungen für die
Entwicklung eigener Positionen und politischer
Handlungsmotivation von Kindern und Jugendli-
chen nicht vergessen werden.
39,9 42,8
9,8
5,2 2,3
10,4
23,7 26,6
13,3
26,0
0
10
20
30
40
50
Keine Teilnahme 1 bis 5 mal 6 bis 10 mal 11 bis 20 mal mehr als 20 mal
Schüler*innen (N=173) Erwachsene (N=173)
23
Abbildung 12: Diskussionen über Politik, Schüler*innen und Erwachsene
16
; in %
Abbildung 13: Klimadiskussionen mit den Eltern, Schüler*innen (N=172)
17
; in %
Die politische Informiertheit der Protestieren-
den spiegelt sich auch in ihrer Einschätzung der
eigenen Wirkmächtigkeit wider. Auch im Ver-
gleich zu anderen Demonstrationen besitzen die
Befragten eine ausgeprägte Wahrnehmung der
eigenen Gestaltungsmöglichkeiten. Sie sind sehr
optimistisch, etwas bewegen zu können. Über 55
Prozent der Schüler*innen sind der Ansicht, mit
ihrem Engagement die Politik in Deutschland be-
einflussen zu können (Abbildung 14, nächste
_____
16
Frage im Wortlaut: „Wenn Sie sich mit Ihren
Freund*innen, Verwandten oder Kolleg*innen treffen,
wie oft diskutieren Sie über Politik?“
17
Frage im Wortlaut: „Wie oft diskutieren Sie mit
Ihren Eltern über den Klimawandel?“
Seite). Damit schätzen sie ihr Gestaltungspoten-
tial höher ein als die Erwachsenen (47,3 %). Noch
grßere Zustimmung erhält die Aussage „Wenn
sich Bürger*innen zusammenschließen, können
sie viel Einfluss auf politische Entscheidungen in
diesem Land nehmen“ (Abbildung 15). 77,6 Pro-
zent der Schüler*innen stimmen der Aussage zu.
Kollektives Handeln wird somit als ein zentraler
Weg der Beeinflussung der Politik angesehen.
4,1
14,8
38,5 36,1
6,5
0,6 4,5
29,4
51,4
14,1
0
10
20
30
40
50
60
Nie Selten Manchmal Oft Sehr oft
Schüler*innen (N=169) Erwachsene (N=177)
7,6
14,5
24,4
31,4
22,1
0
10
20
30
40
Nie Selten Manchmal Oft Sehr oft
24
Abbildung 14: Zustimmung zur Frage Mit meinem Engagement kann ich die Politik in diesem Land beeinflus-
sen“; Schüler*innen und Erwachsene; in %
Abbildung 15: Zustimmung zur Frage „Wenn sich Bürger*innen zusammenschließen, können sie viel Einfluss
auf politische Entscheidungen in diesem Land nehmen“; Schüler*innen und Erwachsene; in %
Dieser Zukunfts- und Gestaltungsoptimismus
findet sich auch dann, wenn die Protestierenden
mit spezifischen Aussagen zum Klimawandel kon-
frontiert werden. Ein hoher Anteil der Befragten
ist zuversichtlich, dass politische Entscheidungen
den Klimawandel eindämmen können (Abbildung
16, nächste Seite). Selbst wenn die Dinge düster
aussehen, verlieren sie nicht die Hoffnung (Abbil-
dung 17, nächste Seite). Dieser Optimismus ist im
_____
18
Mit dem aus dem angloamerikanischen Sprachraum
entlehnten Begriff präfigurativ (prefigurative) wird die
Vorwegnahme gesamtgesellschaftlicher Visionen in
Kontext der öffentlich diskutierten Schreckens-
szenarios besonders erstaunlich. Hier wird ein
weiteres Moment präfigurativen Handelns
18
er-
sichtlich. Die Jugendlichen glauben fest an die Ge-
staltbarkeit ihrer Zukunft. Und genau dieser
Glaube versetzt sie in die Lage, im Hier und Jetzt
zu handeln und sich selbst als wirkmächtig zu er-
fahren.
der konkreten Lebenspraxis von kleinen Gruppen be-
zeichnet.
14,3
22,7
32,0
33,1
48,6
28,8
3,4
14,1
0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%
Erwachsene (N=175)
Schüler*innen (N=163)
stimme voll und ganz zu stimme zu teilweise stimme nicht zu stimme überhaupt nicht zu
32,6
30,9
38,9
46,3
26,9
21,6
0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%
Erwachsene (N=175)
Schüler*innen (N=162)
stimme voll und ganz zu stimme zu teilweise stimme nicht zu stimme überhaupt nicht zu
25
Abbildung 16: Zustimmung zur Aussage „Ich bin zuversichtlich, dass politische Entscheidungen den Klimawan-
del eindämmen können“, Schüler*innen und Erwachsene; in %
Abbildung 17: Zustimmung zur Aussage „Auch wenn die Dinge düster aussehen, verliere ich nicht die Hoff-
nung, dass wir den Klimawandel eindämmen können“, Schüler*innen und Erwachsene; in %
Den generellen Eindruck besorgter, aber ent-
schlossener und keineswegs resignierter De-
monstrierender bestätigen die Antworten auf
eine weitere Fragenbatterie: So baten wir die Be-
fragten anzugeben, wie sie sich fühlen, wenn sie
an den Klimawandel denken. Für die Emotionen
wütend, hoffnungslos, besorgt, beunruhigt,
ängstlich, frustriert und machtlos konnten auf ei-
ner 5er-Skala von überhaupt nicht bis sehr
die Zustimmung angegeben werden. Unter allen
Emotionen erhält hoffnungslos die geringsten
Zustimmungswerte; nur rund 25 Prozent sehen
ihre Gefühle damit ziemlich oder sehr gut be-
schrieben.
Ein großer Teil der Protestierenden ist auch
über das Demonstrieren hinaus politisch aktiv.
Insgesamt sind zwei Drittel der Befragten in min-
destens einer Organisation tätig. Unter den Er-
wachsenen liegt der Anteil bei rund 75 Prozent,
unter den Schüler*innen bei 60 Prozent. Abbil-
dung 18 (nächste Seite) weist die Mitgliedschaft
in Parteien (bzw. deren Jugendorganisationen)
sowie in Umweltorganisationen aus. Über zehn
Prozent der Erwachsenen und knapp fünf Prozent
der Schüler*innen sind aktives oder passives Mit-
glied in Parteien bzw. ihrer Jugendorganisatio-
nen. Die passive oder aktive Mitgliedschaft in
Umweltorganisationen ist weiter verbreitet.
1,1
8,0
26,3
43,4
21,1
3,4
13,1
27,8
38,1
17,6
0
10
20
30
40
50
überhaupt nicht eher nicht teils/teils überwiegend voll und ganz
Schüler*innen (N=173) Erwachsene (N=178)
0,6
5,1
28,6
43,4
22,3
1,1
12,5
31,3
39,2
15,9
0
10
20
30
40
50
überhaupt nicht eher nicht teils/teils überwiegend voll und ganz
Schüler*innen (N=173) Erwachsene (N=178)
26
Über 30 Prozent der Erwachsenen und knapp
zehn Prozent der Schüler*innen sind dort passi-
ves oder aktives Mitglied. Die verhältnismäßig ge-
ringe Bedeutung der Umweltorganisationen in
der Gruppe der Schüler*innen zeigt, dass bei FFF
die Schule und nicht andere Organisationen
der zentrale Mobilisierungsort der Selbstorgani-
sierung ist. Auch diese Zahlen sprechen gegen
den Verdacht der Kooptation durch Interessen-
gruppen. Tatsächlich sind Schüler*innenvertre-
tungen in eben jener Gruppe der nach Sportver-
einen zentrale Ort des bürgerschaftlichen Enga-
gements: 6,9 Prozent der Schüler*innen sind ak-
tives Mitglied und 17,9 Prozent passives Mitglied
in Schüler*innenvertretungen.
Abbildung 18: Mitgliedschaft in Organisationen, Schüler*innen und Erwachsene; in %
3.6 Politische Einstellungen
Proteste sind ein wesentlicher Bestandteil der
Demokratie. Insbesondere für diejenigen, die ihre
Anliegen nicht ausreichend oder nicht länger
durch die politischen Parteien und andere Ak-
teure des institutionalisierten Politikbetriebs ver-
treten sehen, sind sie ein Modus der Artikulation
und Behauptung von Interessen. Die Teilneh-
mer*innen der FFF-Demonstration am 15. März
2019 geben an, mit dem Protest ihre Interessen
verteidigen und ihre Ansichten ausdrücken zu
wollen (siehe Teil 3.3). Sie sind unzufrieden mit
der derzeitigen Politik. Insbesondere ist ihr Ver-
trauen in die Lösungskompetenz der Regierung
gering. Gleichzeitig haben die Analysen gezeigt,
dass die Demonstrierenden keineswegs politik-
verdrossen und resignativ sind. Es herrscht Zuver-
sicht, dass der drohende Klimawandel durch poli-
tische Entscheidungen bekämpft werden kann.
Die Demonstrierenden sehen ihre Rolle darin,
eben diese Entscheidungen herbeizuführen, in-
dem sie Politiker*innen unter Druck setzen, be-
reits gemachte Versprechen einzuhalten.
Die Ergebnisse zu politischen Einstellungen
bestätigen diesen Eindruck. Im ersten Teil des fol-
genden Abschnitts betrachten wir die Zufrieden-
heit mit der Demokratie in Deutschland und das
Vertrauen in zentrale Institutionen derselben. Im
zweiten Teil behandeln wir Fragen zur politischen
Positionierung.
Ein zentraler Ausgangspunkt politischer Ein-
schätzungen und eine Grundlage für die Beurtei-
lung spezifischer Institutionen und politischer
Praxen ist die allgemeine Zufriedenheit mit dem
Funktionieren der Demokratie. Im Hinblick darauf
sollten die Befragten auf einer 11-stufigen Skala
ihre Zufriedenheit oder Unzufriedenheit ange-
0,6
4,0 4,0 4,6
3,9
7,2
23,5
8,9
0
5
10
15
20
25
Passives Mitglied Aktives Mitglied Passives Mitglied Aktives Mitglied
Politische Partei oder ihre Jugendorganisation Umweltorganisation
Schüler*innen (N=175) Erwachsene (N=180)
27
ben. Die Ergebnisse (Abbildung 19) verdeutli-
chen, dass die Demonstrierenden eher zufrieden
als unzufrieden sind; insgesamt geben rund 23
Prozent der Befragten an, (eher) unzufrieden zu
sein, 38 Prozent der Befragten sind (eher) zufrie-
den. Im Durchschnitt sind die demonstrierenden
Schüler*innen etwas zufriedener als die Erwach-
senen, wobei die Verteilung insgesamt recht ähn-
lich ist. Die Zufriedenheitswerte liegen zwar unter
denen der Gesamtbevölkerung von rund 55 Pro-
zent (Decker, Kiess und Brähler 2014, 53) bzw.
53,2 Prozent (Decker und Brähler 2018, 97), aber
deutlich über denen anderer von uns untersuch-
ten Demonstrationen. Unter den Befragten der
Anti-TTIP/CETA-Proteste 2015 gab nur jede*r
Vierte*r an, (eher) zufrieden zu sein; bei den G20-
Demonstrationen 2017 waren es noch etwas we-
niger und bei beiden Demonstrationen von
PEGIDA (Daphi et al. 2015b) und den Montags-
mahnwachen für den Frieden (Daphi et al. 2014)
gar nur knapp über fünf Prozent.
Diese Werte verweisen auf einen generellen
Unterschied zwischen diversen Protesten: Wäh-
rend die Forderung nach demokratischer Teil-
habe und Transparenz ein wesentliches Anliegen
sowohl der TTIP/CETA- als auch der G20-Proteste
war, ist das Thema Demokratie und Demokrati-
sierung in öffentlichen Äußerungen der FFF-Be-
wegung bislang (noch) eher randständig. Ob das
so bleibt oder ob die Demokratiefrage im Ver-
laufe der Proteste ähnlich wie bei den Stuttgart
21-Protesten stärker virulent wird und die rela-
tiv hohe Zufriedenheit mit der demokratischen
Praxis abnimmt, hängt nicht zuletzt davon ab, ob
die etablierte Politik die Anliegen der Demonst-
rierenden in ihrer Kommunikation und Politikge-
staltung aufgreifen wird.
Abbildung 19: Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie, Schüler*innen und Erwachsene; in %
Das Vertrauen in gesellschaftliche und politische
Institutionen wurde ermittelt, indem die Befrag-
ten auf einer 5-stufigen Skala den jeweiligen
Grad ihres Vertrauens angeben konnten, von 1
(überhaupt nicht) über 3 (teilweise) bis 5
(voll und ganz). Abbildung 20 vergleicht das In-
stitutionenvertrauen von Schüler*innen und Er-
wachsenen anhand des arithmetischen Mittels.
5,0
16,8
40,4
29,2
8,7
4,5
19,3
38,1 34,7
3,4
0
10
20
30
40
50
unzufrieden eher unzufrieden teils/teils eher zufrieden zufrieden
Schüler*innen (N=161) Erwachsene (N=176)
28
Abbildung 20: Institutionenvertrauen, Schüler*innen und Erwachsene, Mittelwerte19
Beide Gruppen weisen recht ähnliche Vertrau-
enswerte auf; allein das relativ höhere Vertrauen
in die Polizei und das relativ geringere Vertrauen
in die Massenmedien unter den Schüler*innen ist
auffällig. Insgesamt ist das Vertrauen in die politi-
schen Parteien und die Bundesregierung am ge-
ringsten ausgeprägt. Nur 11 Prozent geben an,
den Parteien eher zu vertrauen. Bei der Bundes-
regierung liegt der entsprechende Wert bei rund
19 Prozent (Werte nicht abgebildet). Die mit Ab-
stand höchsten Vertrauenswerte genießen Um-
weltgruppen (rund 80 Prozent der Befragten ge-
ben an, diesen Gruppen weitgehend oder voll
und ganz zu vertrauen). Aber auch der Europäi-
schen Union wird relativ viel Vertrauen entgegen-
gebracht; hier liegt der Anteil bei rund 45 Prozent.
Sämtliche dieser Werte, und damit auch die
vergleichsweise niedrigen Werte für Bundesre-
gierung und Parteien, sprechen für ein relativ aus-
gewogenes Vertrauen in die politischen Instituti-
onen des Landes und gegen eine strukturelle Ver-
_____
19 Frage im Wortlaut: „Hier sehen Sie eine Reihe von
ffentlichen Einrichtungen und Institutionen. Geben
Sie bitte jeweils an, inwieweit Sie der Einrichtung bzw.
der Institution vertrauen“. (1 = „überhaupt nicht“; 5 =
„voll und ganz“).
trauenskrise. Das Vertrauensniveau der FFF-De-
monstrierenden liegt zum Teil erheblich höher als
unter den Befragten früherer und anderer De-
monstrationen. Ganz besonders trifft dies auf das
Vertrauen in die EU zu. Dagegen lagen bei den
Anti-TTIP/CETA- und den G20-Protesten die Ver-
trauenswerte in die EU lediglich zwischen 10 und
15 Prozent.
Das Thema Klimaschutz ist in weiten Teilen
des politischen Spektrums von ganz links bis ins
konservative Milieu anschlussfähig. Um mehr
über die politische Positionierung der der FFF-De-
monstrierenden zu erfahren, haben wir zunächst
die Selbsteinschätzung auf der Links-Rechts-Skala
erfragt. Demnach positionieren sich die Demonst-
rierenden überwiegend links der Mitte. Auf einer
Skala von 1 (links) bis 10 (rechts) ordnen sich
72 Prozent der Befragten links der Mitte ein. Die-
ser Wert liegt unter dem Wert für dezidiert linke
Demonstrationen wie den G20-Protesten 2017
mit rund 90 Prozent und auch den TTIP/CETA-Pro-
testen mit rund 77 Prozent, aber weit über dem
1,0
1,5
2,0
2,5
3,0
3,5
4,0
4,5
5,0
Schüler*innen Erwachsene
29
Wert für die Gesamtbevölkerung. Die teilneh-
menden Erwachsenen sind mit 78 Prozent links
der Mitte stärker vertreten als die Schüler*innen
mit 67 Prozent. In dieser Gruppe wiederum posi-
tionieren sich die Protestneulinge am deutlichs-
ten in der Mitte der Skala.
Abbildung 21 verdeutlicht die überwiegend
linke politische Positionierung der Demonst-
rant*innen im Vergleich zum Durchschnitt der Be-
völkerung in Deutschland (Allbus 2016).
Abbildung 21: Vergleich Links-Rechts-Positionierung mit dem Bevölkerungsdurchschnitt
Wie spiegelt sich diese dominant linke Positio-
nierung
20
der Demonstrierenden in der Parteien-
präferenz wider? Wir haben gefragt, mit welcher
politischen Partei sich die Protestierenden am
stärksten identifizieren.
21
Zunächst geben 35 Prozent der Erwachsenen
und etwas mehr als 50 Prozent der Schüler*innen
an, keine klare Parteipräferenz zu haben (Abbil-
dung 22 und 23). Unter den Protestneulingen sind
es gar über 63 Prozent. Diese Ergebnisse widerle-
gen die These, dass es sich bei FFF in erster Linie
um eine der grünen Partei auf das Engste verbun-
dene Bewegung handelt. Angesichts der jahr-
zehntelangen Allianz der Grünen mit der deut-
schen Klima- und Umweltschutzbewegung ist es
allerdings wenig erstaunlich, dass sich die De-
monstrierenden am ehesten mit dieser Partei
identifizieren. Rund 41 Prozent der Erwachsenen
und 31 Prozent der Schüler*innen präferieren die
Grünen (insgesamt: 35,9 %). Klammern wir dieje-
nigen ohne klare Parteipräferenz aus, so errei-
chen die Grünen in beiden Gruppen Zustim-
mungswerte von rund 63 Prozent. Unter den Pro-
testneulingen mit Parteiidentifikation tendieren
gar drei Viertel der Befragten zu den Grünen. Von
den anderen Parteien spielt allein die Partei Die
Linke mit zusammen rund 12 Prozent bzw. nach
Ausklammern derjenigen ohne Parteipräferenz
mit rund 21 Prozent eine wesentliche Rolle. Die
Regierungsparteien CDU/CSU und SPD liegen un-
ter, bzw. nach erneutem Ausklammern derjeni-
gen ohne Parteiidentifikation, knapp über fünf
Prozent.
_____
20
Die linke Positionierung wird auch durch einige Ein-
stellungsfragen bestätigt, die hier nicht in ihrer Gänze
ausgewertet werden. So stimmen beispielsweise rund
86 Prozent der Befragten der Aussage zu „Menschen
aus anderen Ländern sollte es erlaubt sein, in mein
Land zu kommen und dort dauerhaft zu leben“.
21
Da es sich um eine europaweit koordinierte Umfrage
handelt, konnten wir nicht die klassische Sonntags-
frage stellen.
30
Abbildung 22: Parteiidentifikation Schüler*innen
(N=175); in %
Abbildung 23: Parteiidentifikation Erwachsene
(N=180); in %
Die hohe Sympathie unter den Demonstrie-
renden für die Grünen ist nicht unbedingt auf
neue Entwicklungen zurückzuführen. Dies zeigen
die Ergebnisse zu der Frage nach der Wahlent-
scheidung bei der letzten Bundestagswahl. Von
den 147 Befragten, die angaben, im Jahr 2017 ge-
wählt zu haben, favorisierten fast 50 Prozent die
Grünen. Die Linke war 2017 mit rund 31 Prozent
noch etwas stärker vertreten als zum Zeitpunkt
der Demonstrationsbefragung.
Insbesondere die hohen Zustimmungswerte
von über 60 Prozent unter den einer Partei zunei-
genden Schüler*innen und Protestneulingen
(siehe oben) zeigen das Unterstützungspotential,
das FFF für die Grünen beinhaltet. Diese Werte le-
gen nahe, dass insbesondere diese Partei von ei-
ner weiteren Ausdehnung der Kampagne profitie-
ren könnte. CDU/CSU und SPD hingegen müssen
bei einer weiterhin zurückhaltenden Klima- und
Umweltschutzpolitik befürchten, die durch die
Klimafrage politisierten Jugendlichen langfristig
zu verlieren.
_____
22
https://www.youtube.com/watch?v=EhdfxYILjt4
[17.06.2019].
23
Eine ausführlichere Darstellung der Ergebnisse der
anderen Länder und weitere Informationen zu den be-
teiligten Wissenschaftler*innen bieten Wahlström et
3.7 Befunde des Ländervergleichs
FFF ist nicht auf Schweden dem Heimatland
Greta Thunbergs oder Deutschland beschränkt.
Vielmehr liegt die Bedeutung dieser Mobilisie-
rung nicht zuletzt in ihrer Ausbreitung in ganz Eu-
ropa und weit darüber hinaus. Der weltweite Kli-
mastreik am 15. März 2019 mobilisierte laut der
ARD-Tagesschau
22
Schüler*innen und andere
Protestierende in mehr als 120 Ländern.
Inwieweit entsprechen die in den vorangehen-
den Abschnitten präsentierten Ergebnisse für die
Protestierenden in Bremen und Berlin denen in
anderen Ländern? Welche Unterschiede zeigen
sich im Ländergleich?
Wie bereits eingangs erwähnt, haben zeit-
gleich zu unserer Befragung in Berlin und Bremen
Forscher*innen in acht weiteren Ländern De-
monstrationsbefragungen der FFF-Proteste am
15. März 2019 durchgeführt.
23
Die im Folgenden
präsentierten Daten vermitteln einen unvollstän-
digen Eindruck aus dem Ländervergleich.
Zuvor haben wir festgehalten, dass sich unge-
wöhnlich viele Frauen und Mädchen an den Pro-
testen in Deutschland beteiligen. Dies bestätigt
al. 2019b. Wir bedanken uns bei den verantwortlichen
Länderteams dafür, die Daten nutzen zu können. Ins-
besondere gilt unser Dank den Koordinatoren Joost de
Moor, Mattias Wahlström und Michiel de Vydt.
keine
Präferenz
/ k.A.;
50,9
Grüne;
30,9
Die Linke;
7,4
CDU; 1,7
SPD; 3,4
andere; 5,7
keine
Präferenz
/ k.A.;
35,8
Grüne;
40,9
Die Linke;
15,9
CDU; 1,1
SPD; 2,8
andere; 3,4
31
sich auch im europäischen Vergleich (Abbildung
24). Mit einem Frauenanteil von rund 60 Prozent
liegt Deutschland sogar in der unteren Hälfte der
Ländergruppe. Polen und die Niederlande errei-
chen Werte von über 70 Prozent. Allein in Belgien
beteiligen sich etwas mehr Männer als Frauen an
den Protesten.
Abbildung 24: Geschlechterverteilung Frauen und Männer, europäischer Vergleich; in %
Die Verteilung der Geschlechter zeigt auf der
einen Seite ein dominantes Muster hoher Frauen-
beteiligung. Auf der anderen Seite verweist der
Ländervergleich auch darauf, dass innerhalb die-
ses Musters eine große Bandbreite besteht. Bei
der Altersverteilung der Demonstrierenden ist es
ähnlich: In allen neun Ländern ist die Gruppe der
14-19-Jährigen am stärksten vertreten. Das Aus-
maß dieser Dominanz variiert aber sehr stark
(siehe Abbildung 25).
Abbildung 25: Beteiligung der Gruppe der 14-19-Jährigen, europäischer Vergleich; in %
Die Befragten in Polen und den Niederlanden
weisen nicht nur im Durchschnitt einen höheren
Frauenanteil auf, sondern sind auch deutlich jün-
ger als ihre europäischen Mitstreiter*innen.
95,8
88,6
51,5
40,6 38,3 32,8 29,0 28,0 21,5
44,8
Niederlande
(N=47)
Medianalter:
16
Polen
(N=171)
Medianalter:
18
Deutschland
(N=332)
Medianalter:
26
Schweden
(N=244)
Medianalter:
35
Österreich
(N=123)
Medianalter:
28
Italien
(N=168)
Medianalter:
32
Schweiz
(N=315)
Medianalter:
34
UK
(N=85)
Medianalter:
33
Belgien
(N=153)
Medianalter:
40
Insgesamt
(N=1897)
Medianalter:
21
59,5
74,5
70,2
63,9
63,5
63,1
59,6
56,9
52,4
46,4
Insgesamt (N=1638)
Niederlande (N=47)
Polen (N=171)
Schweden (N=244)
UK (N=85)
Italien (N=168)
Deutschland (N=332)
Österreich (N=123)
Schweiz (N=315)
Belgien (N=153)
Frauen Männer
32
Knapp 90 Prozent der Befragten in Polen bzw.
über 95 Prozent der Befragten in den Niederlan-
den sind 19 Jahre alt oder jünger24. Das Median-
alter25 liegt bei 16 bzw. 18 Jahren. Deutschland
folgt mit weitem Abstand mit einer Beteiligung
dieser jüngsten Altersgruppe von knapp über 50
Prozent. In Italien, der Schweiz, Großbritannien
und Belgien liegen die Werte bei weniger als ei-
nem Drittel. In diesen Ländern ist die Beteiligung
verschiedener Altersgruppen gleichmäßiger, wo-
rauf auch das Medianalter von über 30 Jahren
hinweist. Erwähnenswert ist zudem der Fall
Schweden mit einer außergewöhnlichen Allianz
von ganz jung und ganz alt: Hier ist die Gruppe der
über 65-Jährigen mit knapp 15 Prozent nach der
Gruppe der 14-19-Jährigen am zweitstärksten
vertreten; kein anderes Land erreicht einen annä-
hernd hohen Wert in dieser Alterskategorie. Aus
den großen Diskrepanzen ist zu schließen, dass in
den einzelnen Ländern nicht nur unterschiedliche
Protestkulturen und Wahrnehmungen der Pro-
testträger als einer reinen Jugend- oder gar Kin-
derbewegung oder einer breiteren gesamtgesell-
schaftlichen Bewegung bestehen, sondern dass
vermutlich auch die Mobilisierungswege in den
Niederlanden und in Polen sich ganz überwiegend
auf die Schulen konzentrieren, während in
Deutschland auch andere Kanäle, zum Beispiel
herkömmliche Umweltverbände, Elternverbände
und Wissenschaftler*innengruppen, eine nen-
nenswerte Rolle spielen.
Diese knappe Darstellung der Verteilungen
von Geschlecht und Alter zeigt, dass die FFF-Pro-
teste im europäischen Vergleich heterogener sind
als es das Bild einer grenzüberschreitenden Kam-
pagne vermuten lässt. Diese Erkenntnis bestätigt
_____
24 An dieser Stelle sei erneut darauf hingewiesen, dass
wir aus forschungsethischen Gründen keine unter 14-
Jährigen befragt haben.
25 Der Medianwert teilt eine Gruppe so in zwei Hälften,
dass die Werte in der einen Hälfte grßer und in der
anderen Hälfte kleiner sind als der Medianwert.
26 Bei den unter 25-Jährigen variiert der Anteil zwi-
schen 60 Prozent in Schweden und rund 88 Prozent in
den Niederlanden.
27 Für alle vier Variablen ergibt sich ein signifikanter (p
< .001) negativer Zusammenhang mit dem Alter, der in
diesem Fall bedeutet, dass die Zustimmung zur Lö-
sungskompetenz der vier Auswahlmöglichkeiten mit
zunehmendem Alter abnimmt. Am stärksten ist der
sich auch in Bezug auf die politischen Einstellun-
gen und Einstellungsfragen zum Klimawandel.
So gibt es beispielsweise bei der politischen
Positionierung der Teilnehmer*innen erhebliche
Unterschiede zwischen den Ländern. Das zeigt
unter anderem der Blick auf die Selbsteinstufung
auf der Links-Rechts-Achse. In allen Ländern posi-
tioniert sich die Mehrheit der Befragten links der
Mitte. Während dieser Anteil in Polen und Schwe-
den aber nurrund 65 Prozent beträgt, liegt er
in Italien und den Niederlanden rund 20 Prozent-
punkte höher.26
Noch größer sind die Unterschiede bei Einstel-
lungsfragen zur Bekämpfung des Klimawandels.
Abbildung 26 (nächste Seite) vergleicht die Beur-
teilung der Lösungskompetenzen für Umwelt-
probleme (siehe Teil 3.3 für Deutschland). Auf
Grund der starken Unterschiede in der Alters-
struktur in den verschiedenen Ländern und der
gleichzeitig engen Korrelation von Alter und Ein-
schätzung der Lösungskompetenz berücksichti-
gen wir nur die Gruppe der unter 25-Jährigen.27
Die Länder sind sortiert nach dem Item mit der
größten Streuung, in diesem Fall die Frage nach
der Rolle des Individuums. Abgebildet ist der An-
teil derjenigen, die den vorgelegten Aussagen
überwiegend oder voll und ganz zustim-
men.28 Es zeigen sich erhebliche Unterschiede
zwischen den Ländern, die auf unterschiedliche
nationale Lösungsansätze innerhalb der internati-
onal ausgerichteten Klimaschutzbewegung
schließen lassen.
Das Vertrauen in die Lösungskompetenz der
Wissenschaft variiert von rund 51 Prozent Zustim-
statistische Zusammenhang für die Frage nach der frei-
willigen Änderung des Lebensstils (β=-0,16). Während
insgesamt rund 60 Prozent der unter 25-Jährigen die-
ser Aussagen „überwiegend” oder „voll und ganz“ zu-
stimmen, sind es bei den Älteren nur rund 36 Prozent.
28 Fragen und Aussagen in der deutschen Übersetzung
im Wortlaut: „Inwiefern stimmen Sie den folgenden
Aussagen zu? Bei der Lösung unserer Umweltprob-
leme können wir uns auf die moderne Wissen-
schaft/die Regierungen/Unternehmen und den Markt
verlassen“. „Um den Klimawandel zu stoppen bedarf
es in erster Linie freiwilliger Änderungen des individu-
ellen Lebensstils“. Antwortmglichkeiten auf einer
5er-Skala von „überhaupt nicht“ bis „voll und ganz“.
33
mung in Schweden bis zu über 70 Prozent in Po-
len, Italien, Belgien und Großbritannien. Die deut-
schen Protestierenden setzen europaweit am we-
nigsten Hoffnung in die Lösungskompetenz der
Regierungen, wobei sich diese negative Einschät-
zung insbesondere auf die Rolle der deutschen
Bundesregierung beziehen dürfte. Ähnlich niedrig
sind diese Werte nur in Österreich, Polen und den
Niederlanden; die Schwed*innen (25,0 %),
Schweizer*innen (16,9 %) und etwas überra-
schend auch die Italiener*innen (17,6 %) hoffen
vergleichsweise stärker, aber insgesamt immer
noch wenig, auf eine produktive Rolle der Regie-
rungen.
Die Lösungskompetenz von Unternehmen und
dem Markt wird gänzlich unterschiedlich bewer-
tet. Die Spannweite beträgt mehr als 40 Prozent-
punkte. Insbesondere die Demonstrierenden in
Polen (42,2 %) zeigen sich stark marktgläubig.
Damit vertrauen die Pol*innen der kapitalisti-
schen Selbstregulierung im Schnitt fünfmal eher
als der Steuerung des Staates. Noch größere Un-
terschiede gibt es bei der Frage nach der Rolle ei-
nes jeden Individuums. Nur rund 34 Prozent der
Befragten unter 25 Jahren in den Niederlanden
glauben, dass es in erster Linie einer Änderung
des individuellen Lebensstils bedarf, um die Um-
weltprobleme in den Griff zu bekommen. In Ita-
lien, der Schweiz und Polen liegen die entspre-
chenden Werte oberhalb von 75 Prozent.
Deutschland nimmt mit einer Zustimmungsrate
von knapp 56 Prozent zusammen mit Schweden
eine mittlere Position ein.
Abbildung 26: Beurteilung der Lösungskompetenz für Umweltprobleme29, Alter < 25 Jahre; in %
Aufschlussreich ist auch der Blick auf die Un-
terschiede zwischen den Altersgruppen. Abbil-
dung 27 vergleicht die Zustimmungswerte zur
_____
29 Aussagen im Wortlaut: Siehe Online-Fragebogen.
Frage Q5, Seite 3, sowie siehe Fußnote 28. Abgebildet
sind die addierten Anteile für „überwiegendeoder
Notwendigkeit freiwilliger Änderungen des Le-
bensstils für die Gruppe der unter 25-Jährigen mit
älteren Kohorten.
„voll und ganzeZustimmung zu den jeweiligen Aussa-
gen.
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
Wissenschaft Regierungen Unternehmen / den Markt freiwillige Änderungen des
Lebensstils
Niederlande UK Belgien Deutschland Schweden Österreich Polen Schweiz Italien
34
Abbildung 27: Zustimmung zur Aussage: „Um den Klimawandel zu stoppen bedarf es in erster Linie freiwilli-
ger Änderungen des individuellen Lebensstils“, europäischer Vergleich alt-jung; in %
In allen Ländern sind die Zustimmungswerte
der unter 25-Jährigen zum Teil sehr deutlich hö-
her als bei den älteren Generationen. Mit Ab-
stand am größten ist dieser Unterschied in Polen
(76,2 % Zustimmung vs. 12,5 % Zustimmung), am
geringsten in der Schweiz. Auf Grund der niedri-
gen Fallzahlen wurde für die Niederlande auf den
Vergleich mit den Älteren verzichtet.
Während sich die wahrgenommenen Lösungs-
ansätze zwischen den Ländern stark unterschei-
den, sind die Protestierenden insgesamt dennoch
ähnlich zuversichtlich, dass die Umweltprobleme
mit grundlegenden Weichenstellungen und kon-
sequentem Handeln gelöst werden können. Der
Aussage Auch wenn die Dinge düster aussehen,
verliere ich nicht die Hoffnung, dass wir den Kli-
mawandel eindämmen können stimmt die
Mehrheit in allen Ländern „überwiegend” oder
voll und ganz zu. Hier sind sich die Demonstrie-
renden weitgehend einig: Polen rangiert mit 56
Prozent Zustimmung am Ende; Belgien liegt mit
66 Prozent ganz vorne. Mit 60 Prozent Zustim-
mung belegt Deutschland erneut eine mittlere
Position. Die Zuversicht der jungen Demonstrie-
renden ist etwas stärker als die der Älteren. Im
Gegensatz zur Einschätzung der Lösungskompe-
tenzen unterscheiden sich die Altersgruppen aber
kaum.
Insgesamt verdeutlicht dieser länderverglei-
chende Ausschnitt, dass die Protestierenden in
den neun untersuchten Ländern vieles gemein-
sam haben. Innerhalb dieser Gemeinsamkeiten
wie der starken weiblichen Mobilisierung, der ho-
hen Beteiligung von Jugendlichen und dem domi-
nant linken Selbstverständnis existiert allerdings
eine große Bandbreite. Außergewöhnlich ist zu-
dem die zum Teil grundsätzlich unterschiedliche
Beurteilung der Lösungskompetenz von Markt,
Regierung und Wissenschaft und der Rolle des In-
dividuums. Diese Unterschiede verweisen trotz
des gemeinsamen Banners, unter dem die De-
monstrierenden der internationalen FFF-Kam-
pagne für Klimaschutz eintreten, auf durchaus
unterschiedliche Lösungsansätze und strategi-
schen Präferenzen in den nationalen Klimabewe-
gungen. FFF ist somit heterogener, als es der ge-
meinsame Aktionsrahmen, gemeinsame Forde-
rungen und Slogans suggerieren.
3.8 Zusammenfassung
Was sagen die Ergebnisse der Demonstrati-
onsbefragungen in Bremen und Berlin über die
FFF-Protestierenden in Deutschland aus? Zusam-
mengefasst ergibt sich folgendes Bild: Die FFF-De-
monstrationen werden in erster Linie von jungen,
relativ gut gebildeten Menschen und überra-
schend stark von jungen Frauen getragen. Viele
der demonstrierenden Schüler*innen sind pro-
testunerfahren und zum ersten Mal auf der
Straße. Eine deutliche Mehrheit verortet sich im
linken Spektrum; die Grünen bieten mit Abstand
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Polen Schweden Österreich NiederlandeDeutschland Italien Belgien UK Schweiz
Zustimmung >= 25 Jahre Zustimmung < 25 Jahre
35
die stärkste parteipolitische Identifikation. Per-
sönliche Kontakte mit Freund*innen oder Mit-
schüler*innen sind sowohl für die Gruppe der
Schüler*innen als auch für die etwa gleich große
Gruppe der Erwachsenen der zentrale Weg der
Mobilisierung. Umweltorganisationen oder politi-
sche Parteien spielen insgesamt eine ebenso eher
nebensächliche Rolle wie die eigenen Eltern oder
Lehrer*innen. Mit ihrem Protest wollen die De-
monstrierenden die Bundesregierung, der insge-
samt allerdings sehr wenig Vertrauen und Lö-
sungskompetenz entgegengebracht wird, unter
Druck setzen, den Klimawandel zu bekämpfen. Ei-
nen wichtigen Weg der Veränderung sehen ins-
besondere die demonstrierenden Schüler*innen
zudem in der Veränderung der eigenen Lebens-
und Konsumpraxis.
Während die Demonstrationsbefragungen in
Bremen und Berlin sehr ähnliche Ergebnisse lie-
fern, ergibt sich im europäischen Vergleich ein
deutlich komplexeres Bild. Insgesamt ist die Kam-
pagne hinsichtlich der Altersstruktur, der Vertei-
lung der Geschlechter und insbesondere hinsicht-
lich der Einschätzung von Lösungswegen hetero-
gener als der gemeinsame Rahmen vermuten
lässt. Für fast alle Vergleichsdimensionen befin-
det sich Deutschland im Mittelfeld der neun un-
tersuchten Länder.
Für alle Proteste, in Deutschland und darüber
hinaus, bleibt festzuhalten, dass die Demonstrie-
renden keineswegs hoffnungslos und entmutigt
sind, sondern vielmehr handlungsbereit, politi-
siert und trotz aller Umstände zuversichtlich sind,
dass ihr Protest gesellschaftliche und politische
Veränderungen hervorrufen kann. Bei mangeln-
der Anerkennung und ausbleibender Umsetzung
der klimapolitischen Forderungen ist allerdings
nicht auszuschließen, dass diese politische Ent-
schlossenheit und Hoffnung in Resignation und
Politikverdrossenheit umschlagen.
_____
30 Kommentar von Rudi Wais. Siehe:
https://www.augsburger-allgemeine.de/poli-
tik/Kontra-Fridays-for-Future-ist-eine-grosse-Inszenie-
rung-id53282256.html [04.08.2019].
4. Die Resonanz auf FFF
Anders als die oben präsentierten Befunde aus
der Befragung beruhen die nachfolgenden Aus-
führungen zur öffentlichen Resonanz auf FFF in
Deutschland nicht auf einer systematischen und
quantifizierenden Analyse, sondern lediglich auf
einer kursorischen Sammlung und Sichtung öf-
fentlich zugänglicher Äußerungen. Diese werden
hier nur selektiv und in illustrativer Absicht ohne
Anspruch auf Repräsentativität vorgestellt.
Nachdem in Schweden die ersten Zeitungsbe-
richte über Greta Thunbergs Streik erschienen
waren und diese Aktion schnell nationale Auf-
merksamkeit erlangte, griffen auch Medien in an-
deren Ländern das Thema auf. In Deutschland
setzte eine breitere Medienberichterstattung mit
den ersten größeren Schüler*innenstreiks im Ja-
nuar 2019 ein. Dabei standen zunächst vor allem
die demonstrative Verletzung der Schulpflicht
und weniger die inhaltlichen Forderungen der
FFF-Kampagne im Mittelpunkt. Die Frage des
Sinns, der Legitimität sowie der möglichen und
angemessenen Sanktionen der Streikenden be-
schäftigte nicht nur die unmittelbar Betroffenen,
also Schüler*innen, Lehrer*innen, Schulleitun-
gen, Kultusbehörden und Eltern, sondern auch
Kommentator*innen aus den Medien und der
etablierten Politik.
Erwartungsgemäß waren die Meinungen ge-
teilt so teilweise auch innerhalb einzelner Pres-
seorgane. Zum Beispiel präsentierte die Augsbur-
ger Allgemeine Zeitung am 24. Januar 2019 einen
Pro- und einen Contra-Kommentar. In Letzterem
wurde ohne Beleg behauptet, es ginge „zumin-
dest einem Teil der Teilnehmer nur ums Schwän-
zen der Schule.“30 Bei der Mehrzahl der Medien
sind jedoch über längere Zeit hinweg redaktio-
nelle Linien in der Haltung zu FFF erkennbar. In
der Gesamttendenz neigten konservative Medien
zur Verurteilung des Schulstreiks und wollten
teilweise die Regelverletzung konsequent geahn-
det wissen. Eine überwiegend kritische Haltung
bezogen Presseorgane wie Bild, Die Welt, Focus
36
und auch das Magazin Cicero. Vielfach ist die
Kommentierung von Sarkasmus geprägt, wenn es
etwa heißt: „Und so ein Protestevent mit Greta
Thunberg in Berlin und dem engagierten Nach-
wuchs gibt auch ein super Handyfilmchen ab. Ein
bisschen Woodstock-Feeling für die Familien-
chronik. Zeigen, dass man dabei war.“31
Andere Printmedien, darunter FR, SZ und mit
Ausnahmen auch DIE ZEIT, äußerten dagegen
eher Verständnis für die Aktionen der Schüler*in-
nen. In diesen Organen wurde meist für einen
großzügigen Umgang mit den Streikenden plä-
diert. In etlichen Fällen verwischte sich im Zuge
der Begeisterung für FFF die Trennlinie zwischen
Berichterstattung und Kommentar. Beispielhaft
dafür ist ein Essay, den DIE ZEIT auf ihrer Schrift-
stellerplattform Freitext am 26. Juli 2019 unter
dem Titel Die Weltherrschaft der Mädchen prä-
sentierte. Dort schwärmt die Autorin Stefanie de
Velasco von einem „Sommer der Freiheit“ und er-
lebt den Aufstieg der Protestbewegung um
Greta Thunberg gleich als zweifachen Triumph:
Erstens den meiner eigenen jugendlichen Ideale
und zweitens als Sieg der Erzählungen junger
Frauen und Mädchen, die wenn schon nicht in
der Literatur, zumindest in der Wirklichkeit
durch Figuren wie Greta Thunberg, Alexandria O-
casio-Cortez, Luisa Neubauer, Genesis Butler,
Carola Rackete (allein der Name!) und Emma
González einen neuen Stellenwert erlangen.32
Jene Medien, die von Anfang an die Berechti-
gung des Schulstreiks in Zweifel zogen, neigten
auch dazu, die Protestkampagne als solche sowie
deren Sprecher*innen und Forderungen kritisch
zu beurteilen. Vorwürfe zielten u. a. auf die Show-
effekte der Aktionen, mangelnde Sachkenntnis
_____
31 Aus einem Kommentar von Caroline Strbele auf Zeit
Online: https://www.zeit.de/kultur/2019-03/fridays-
for-future-schulstreik-klima-eltern-kinder
[04.08.2019].
32 https://www.zeit.de/kultur/literatur/frei-
text/fridays-for-future-klimademonstrationen-greta-
thunberg-jugend-maedchen-ideale [04.08.2019].
33 https://www.welt.de/regionales/hamburg/ar-
ticle190784003/Fridays-for-Future-Wie-ein-moderner-
Kinderkreuzzug.html [04.08.2019].
34 https://www.welt.de/politik/deutsch-
land/plus188125577/Fridays-for-Future-Wie-ticken-
die-Schulstreikenden.html [04.08.2019].
und die hohen moralischen Ansprüche. So titu-
lierte z. B. Welt-Herausgeber Stefan Aust die
Kampagne als „Kinderkreuzzug“33. In diesem
Blatt, das fast durchgängig eine distanzierte oder
sehr kritische Haltung zu FFF einnahm, war auch
pauschal von einem Treiben der „Wohlstandskin-
der“34 die Rede. Insbesondere rechts-gerichtete
Blogs und Organe, darunter Tichys Einblick, ein
„liberal-konservatives Meinungsmagazin“(Selbst-
bezeichnung), widmeten sich in mehreren im Ent-
hüllungsgestus verfassten Beiträgen einzelnen
(vermeintlichen) Schwachpunkten der Bewe-
gung, etwa die Unklarheit ihrer Entscheidungs-
strukturen, die Delegation der Spendenabwick-
lung an die Stiftung Plant-for-the-Planet und die
kampagnenintern geäußerte Kritik an den Medi-
enauftritten mehr oder weniger selbst ernannter
Sprecher*innen der Kampagne. Ähnliche Berichte
aus dem rechten Spektrum zielten durch Falsch-
meldungen und haltlose Verschwörungstheorien
auf eine Diffamierung der Kampagne.
Etwa ab März 2019 rückten sowohl die inhalt-
liche Frage der Dringlichkeit des Klimawandels
und entsprechender Maßnahmen als auch das
Phänomen einer überwiegend von Schüler*innen
oder gar Kindern getragenen nationalen und in-
ternationalen Protestbewegung in den Mittel-
punkt öffentlicher Debatten. Während der Klima-
wandel als eine reale Bedrohung von den Medien
wie der etablierten Politik fast durchwegs aner-
kannt wurde (eine markante Ausnahme unter
den institutionellen politischen Akteuren bildet
die AfD35), blieben Einschätzungen der Protest-
kampagne im Allgemeinen, ihrer konkreten Er-
scheinungsformen und einzelner Protagonist*in-
nen höchst kontrovers. Manche Politiker*innen
beurteilten das Auftreten der Schüler*innen als
35 Nach wie vor leugnet die AfD-Führung, dass der Kli-
mawandel von Menschen gemacht ist. Siehe
https://www.tagesschau.de/faktenfinder/weidel-kli-
mawandel-101.html [04.08.2019]. Damit bewegt sich
die AfD im Einklang mit den meisten rechten und
rechtspopulistischen Parteien in Europa. Siehe:
https://www.sueddeutsche.de/politik/afd-rechtspo-
pulisten-klimawandel-1.4341697 [04.08.2019].
37
anmaßend, sprachen ihnen die Sachkompetenz in
Fragen des Klimaschutzes und die Einsicht in Be-
dingungen politischer Entscheidungsfindung
rundweg ab. Vielzitiert unter den negativen Stel-
lungnahmen ist insbesondere die Äußerung des
FDP-Vorsitzenden Christian Lindner, der mit Blick
auf die Protestierenden meinte, man solle das An-
liegen des Klimaschutzes besser den „Profis“
überlassen36, dabei allerdings übersah, dass die
Protestierenden sich auf eben diese Profis, also
die Klimaschutzexperten, berufen. Diese erklär-
ten in einer späteren Phase zu Tausenden ihre ex-
plizite Unterstützung für die Protestbewegung als
Scientists for Future.37 Eine vielzitierte Abwer-
tung speziell der Person von Greta Thunberg er-
folgte durch den CDU-Generalsekretär Paul
Ziemiak, der Thunberg in einem Tweet ein Han-
deln aus „purer Ideologie“ bescheinigte und sei-
nen abschließenden Seufzer über die „arme
Greta“ mit dem Bild eines Affen illustrierte, der
sich beide Augen zuhält.38 Der parlamentarische
Geschäftsführer der CSU im Bundestag, Stefan
Müller, attackierte ebenfalls auf Twitter die ver-
meintliche „Doppelmoral“ Luisa Neubauers, die
Regierung und Politiker für angeblich fehlendes
Engagement beim #Klimaschutz attackiere[…],
aber mit 23 mehr Kontinente bereist haben als
die meisten Deutschen.39 Eine strikt ablehnende
Haltung bezogen auch Ex-Politiker wie Klaus von
Dohnanyi, welcher in paternalistischer Manier
auftrat und der Protestbewegung pauschal ihre
Glaubwürdigkeit absprach.40
_____
36 https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/fridays-for-
future-lindner-nennt-klimaschutz-profi-sache-
16292575.html [04.08.2019].
37 https://www.zeit.de/2019/12/scientists-for-future-
schueler-klimawandel-proteste-petition [04.08.2019].
38 https://www.sueddeutsche.de/politik/fridays-for-
future-parteien-position-spd-cdu-afd-gruene-linke-
csu-fdp-1.4417558 [04.08.2019].
39 https://twitter.com/smuellermdb/sta-
tus/1152145337097715713?s=03 [04.08.2019].
40 Dohnanyi am 13. März 2019 in der Talkshow von
Markus Lanz: „Also wenn Sie mich ehrlich fragen, halte
ich gar nichts davon. Und zwar erstens deswegen, weil
diese jungen Leute ja gar keine Opfer bringen …Zwei-
tens bin ich auch der Meinung, dass diese jungen Men-
schen sich in dieser Beziehung viel zu leicht machen.
Also, es ist ja richtig, dass wir den Klimawandel (sic!)
brauchen. Aber dann müssen die selber bei sich anfan-
Verschiedentlich wurde auch die Vermutung
geäußert, die Bewegung, die angeblich überwie-
gend von Kindern getragen werde, sei wohl in
Wahrheit von außen gelenkt. In diese Richtung
zielte auch die frühe Äußerung der Bundeskanz-
lerin, die anlässlich des Auftritts von Greta Thun-
berg auf dem Weltwirtschaftsforum im Januar
2019 in Davos meinte, es sei schwer vorstellbar,
dass eine von so jungen Leuten getragene Bewe-
gung aus eigener Kraft handele. In nachfolgenden
Kommentaren äußerte sich Angela Merkel aller-
dings grundsätzlich positiv zu Anliegen und Auf-
tritten der Kampagne, damit dem mehrheitlichen
Trend in den Medien wie der etablierten Politik
folgend. In einer Diskussion an einem Berliner
Gymnasium meinte die Kanzlerin, es sei richtig,
„dass ihr uns Dampf macht“.41 Bei anderer Gele-
genheiten bescheinigte sie den jungen Kli-
maschützer*innen, deren Ernsthaftigkeit habe
„uns schon nochmal dazu gebracht, auch sicher
entschlossener an die Sache heranzugehen“.42
Im Rampenlicht von FFF suchte sich eine Reihe
von Politiker*innen zu sonnen, sei es der eher
missglückte Versuch von Wirtschaftsminister Pe-
ter Altmeier, der vergeblich die Protestbühne
nutzen wollte, um seine Dialogbereitschaft zu be-
kunden, seien es andere Politiker*innen insbe-
sondere aus der Partei der Grünen, die dank FFF
nun für ihre Forderungen nach der konsequenten
Umsetzung klimapolitischer Pläne ganz unver-
hofft kräftigen Rückenwind durch FFF verspüren.
Doch selbst in diesem Lager werden, wenngleich
gen…“ (Lanz: Es ist nur ein Verdacht. Wir wissen es na-
türlich nicht). Dohnanyi: „Nein, ich weiß es genau. Das
ist ja gar keine Frage. Die große Mehrheit, Tausende,
oder Zehntausende usw., die werden doch nicht auf
das Auto verzichten, wenn sie am Nachmittag von den
Eltern zum Ballett gefahren werden.
Siehe: https://www.youtube.com/watch?v=6haG-
Zpplqmk [04.08.2019].
41 https://www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/an-
gela-merkel-bekraeftigt-lob-fuer-fridays-for-future-a-
1260875.html [04.08.2019].
42 https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/auto-ver-
kehr/fridays-for-future-merkel-lobt-greta-als-klima-
aktivistin-16292864.html [04.08.2019].
38
nur in Einzelfällen, Bedenken mit Blick auf die
Form des Schulstreiks geäußert. Der baden-
württembergische Ministerpräsident Winfried
Kretschmann (Die Grünen), der schon mehrfach
auf drohende Sanktionen für den Schulstreik
hingewiesen hatte, meinte Anfang April 2019:
„Vor allem kann das nicht ewig so weiterge-
hen.“43
Wie im medialen Bereich lassen sich mit Blick
auf FFF auch die meisten Bewertungen von Seiten
der etablierten Politik entlang der Differenz von
eher linken und eher konservativen Positionen
sortieren. Allerdings scheint die überwiegend po-
sitive Resonanz, die FFF nicht nur in den Medien,
sondern auch in der Wahrnehmung der Bevölke-
rung, die zeitweise dem Umwelt- und Klimaschutz
Priorität vor anderen politischen Aufgaben wie
der sozialen Sicherheit, der Friedenssicherung
und der Zuwanderung einräumte44, auch auf das
konservative Lager abzufärben. Zumindest rheto-
risch sehen sich nun auch viele Vertreter*innen
der Unionsparteien, zuletzt auch der bayerische
Ministerpräsident Markus Söder, als Anwält*in-
nen des Klimaschutzes. Einzelne unter ihnen be-
haupten sogar eine durchgehende Kontinuitätsli-
nie: „Es war schon immer ein Herzensanliegen
der Union, auch Klimaschutz voranzutreiben.“45
Die Protestkampagne, so lässt sich zusammen-
fassend konstatieren, fand und findet in der Ge-
samttendenz nicht nur eine breite, sondern auch
eine überwiegend positive Resonanz.46 „Wir sind
schon fast zu beliebt“, äußerte Luisa Neubauer,
das „deutsche Gesicht der Bewegung“ (Bild)
halb klagend, halb stolz, gegenüber der Presse.47
Vielfach wird, angefangen von nationalen Leit-
medien bis hin zur Lokalpresse, detailliert über
_____
43 https://www.welt.de/politik/deutschland/ar-
ticle191245663/Fridays-for-Future-Gruener-Kretsch-
mann-hat-genug-von-den-Schulstreiks.html
[04.08.2019].
44 So im Vorfeld der Europawahl 2019:
https://www.tagesschau.de/inland/europatrend-
101.html [04.08.2019].
45 So der saarländische CDU-Ministerpräsident Tobias
Hans. Siehe: die tageszeitung vom 26. Juli 2019, S. 9.
46 Die breite Resonanz spiegelt sich auch in einer –
auch im Vergleich zu anderen Protestbewegungen
sehr großen Zahl an Medienanfragen an die Mitglieder
des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung wi-
der. Für einen unvollständigen Überblick siehe:
einzelne Veranstaltungen und Auftritte berichtet,
werden vorzugsweise junge Leute mit ihren
Wahrnehmungen und Forderungen zitiert, wird
einzelnen Sprecher*innen Raum für Interviews
unterschiedlicher Länge gewährt. Offensichtlich
gelingt es den Organisator*innen immer wieder,
jenseits der inzwischen weitgehend ritualisierten
Freitagsdemonstrationen neue Anlässe für eine
Berichterstattung, meist verbunden mit einer
wohlwollenden Kommentierung, zu finden, seien
es Besuche von Greta Thunberg in Deutschland,
internationale Aktionstage, den Sonderfall eines
mehrtägigen Schulstreiks in Köln, eine Protestak-
tion am Stuttgarter Flughafen, das Sommercamp
in Dortmund oder auch die Formierung von Un-
terstützergruppen, zu denen neben Parents for
Future und Artists for Future inzwischen auch
Entrepreneurs for Future, einzelne Wirtschafts-
unternehmen, Banken und Beratungsagenturen
zählen.
Anders als viele Protestbewegungen in der
Vergangenheit, die in der Regel darauf bedacht
waren, scharfe Grenzen zu ziehen, Konflikte zuzu-
spitzen und konkrete Forderungen mit einer Fun-
damentalkritik an der Gesellschaft zu verbinden,
tritt FFF eher freundlich, offen, integrativ und ge-
mäßigt auf. Entgegen manchen Beobachter*in-
nen, die hinter der Kampagne einen neuen Gene-
rationenkonflikt heraufziehen sahen, haben Ver-
treter*innen von FFF ausdrücklich im Juli 2019 an
die Gesamtheit der Erwachsenen appelliert, die
Kampagne zu unterstützen: „Bitte helft uns. Al-
leine schaffen wir es nicht, das Klima zu retten.“48
Das integrative Bemühen von FFF wird beispiels-
weise auch daran deutlich, dass in Aufrufen zu
https://protestinstitut.eu/das-ipb-in-den-medien-
fridays-for-future/ [04.08.2019].
47 https://www.welt.de/politik/deutsch-
land/plus194975835/Luisa-Neubauer-Wir-sind-schon-
fast-zu-beliebt.html [04.08.2019].
48 Greta Thunberg bei ihrem Auftritt am 19. Juli 2019
in Berlin: https://www.morgenpost.de/berlin/ar-
ticle226529007/Fridays-for-Future-Greta-Thunberg-
haelt-flammende-Rede-in-Berlin.html [04.08.2019].
39
Protestaktionen symbolisch ganze Städte verein-
nahmt werden, indem etwa eine lokale Aktion, im
konkreten Fall an einem Sonntag statt einem Frei-
tag, unter dem Motto Munich for Future ange-
kündigt wird.49
Gemessen an der Reichweite seiner Forderun-
gen und der Größenordnung der Protestmobili-
sierung, die nur einen relativ kleinen Teil der
Schüler*innenschaft und eine verschwindende
Minderheit der Studierenden umfasst, erfährt
FFF eine große und bis heute anhaltende öffentli-
che Resonanz. Selbst eine freitägliche Routine-
veranstaltung am 19. Juli 2019 in Berlin, mit ei-
ner vergleichsweise bescheidenen Zahl von Teil-
nehmer*innen, ist Medien wie der ARD und Spie-
gel Online eine Meldung wert, wenn sie von ei-
nem lediglich mehrere Minuten dauernden Auf-
tritt Greta Thunbergs begleitet wird. Als Ersatz für
fehlende inhaltliche Neuigkeiten dienen dann in
etlichen Berichten Hinweise auf die Körperhal-
tung und Sprechweise Thunbergs, die begeister-
ten Reaktionen der Zuschauer*innen und die Vo-
rausschau auf anstehende Reisepläne und Auf-
tritte des jungen Medienstars. Offensichtlich be-
dient FFF in außerordentlicher Weise mediale
Nachrichtenwerte. Die Bewegung profitiert von
einer geradezu symbiotischen Beziehung zum
medialen Mainstream und kann vorerst ihren Hö-
henflug fortsetzen. Allerdings lehrt die Erfahrung
mit medialen Routinen aber auch, dass sich eine
derart hohe Aufmerksamkeitsspanne nicht auf
Dauer stellen lässt (siehe z. B. Teune und Sommer
2017). Dann wird sich erst zeigen, ob FFF sich aus
eigener Kraft weiterhin vorwärtsbewegen kann
und ob der bisherig noch weitgehend vorhandene
interne Konsens Bestand haben kann.
_____
49 https://munichforfuture.de/ [04.08.2019].
50 Diesbezügliche Aussagen der Vertreter*innen von
FFF sind widersprüchlich. Während manche die Not-
wendigkeit eines tiefgreifenden gesellschaftlichen
Strukturwandels auch jenseits von Fragen des Klima-
schutzes betonen, meint Maximilian Reimers, nach
Medienangaben „einer der Cheforganisatoren von
FFF, sie sei „wohl die konservativste Bewegung, die
man sich vorstellen kann“. Siehe:
https://www.welt.de/debatte/kommentare/ar-
ticle195056495/Fridays-for-Future-Diese-Bewegung-
ist-nicht-konservativ.html [04.08.2019].
5. Fazit
FFF bietet in mancherlei Hinsicht Überra-
schungen. Wer hätte im Herbst 2018 den Aufstieg
einer derart breiten, druckvollen und geschickt
agierenden Kampagne vorhergesagt? Auch die
Protest- und Bewegungsforschung, die sich mit
Prognosen generell schwertut, hat diese Entwick-
lung nicht kommen sehen.
5.1 Ist FFF eine soziale Bewegung?
Die Antwort auf diese Frage steht und fällt mit
der Definition von sozialer Bewegung. Legt man
eine eher formale Definition zugrunde (della
Porta und Diani 1999: 16), dann erfüllt FFF zwei-
fellos die Kriterien ein informelles Netzwerk, ge-
meinsam geteilte Überzeugungen, Konfliktorien-
tierung und die Nutzung verschiedener Protest-
formen , mit denen soziale Bewegungen von
einzelnen Protesten auf der einen Seite und Or-
ganisationen auf der anderen abgegrenzt werden
können. Nimmt man allerdings in einem weiter-
gehenden Verständnis noch das Kriterium hinzu,
dass soziale Bewegungen tief greifenden sozialen
Wandel herbeiführen wollen (oder zu verhindern
suchen), dann fällt das Urteil weniger eindeutig
aus. FFF erfüllt zwar die Kriterien der weichen De-
finition, aber zielt die Bewegung auf grundlegen-
den sozialen Wandel, also auch auf gesellschaftli-
che Machtkonstellationen und Verteilungsfra-
gen?
Die bisherigen Aussagen und Forderungen le-
gen dies nicht unbedingt nahe.50 Stellt man zu-
dem die Fokussierung auf ein von den politischen
Entscheidungsträger*innen selbst gesetztes Ziel
in Rechnung, das es einzuhalten gelte, so ist FFF
derzeit eher als eine politische Protestkampagne
Bezogen auf die intern konsentierte Kernforderung von
FFF, die Vorgaben des Pariser Klimagipfels einzuhalten,
kann jedenfalls nicht von einem tiefgreifenden gesell-
schaftlichen Strukturwandel gesprochen werden. Ob
sich FFF in seiner Mehrheit oder Gesamtheit auf einen
systemischen Wandel einigen kann, bleibt abzuwarten.
40
mit begrenzter sachlicher und zeitlicher Reich-
weite denn als eine soziale Bewegung anzuspre-
chen. Das werden Vertreter*innen der Kam-
pagne, die nicht weniger als das Klima oder gar
die Welt retten wollen, vermutlich anders se-
hen, weil sie die vielfältigen Dimensionen der
Klimaproblematik betonen und für tiefgreifende
Änderungen unseres Alltagsverhaltens eintreten.
Schlussendlich hängt die zukünftige Beantwor-
tung der Frage von der weiteren Konsolidierung
und (inhaltlichen) Weiterentwicklung von FFF ab.
5.2 Faktoren des (medialen) Erfolgs
Erfolge bzw. Wirkungen einer Bewegung oder
Kampagne bemessen sich nicht nur an deren er-
klärten Politikzielen, sondern zeigen sich auch in
weiteren Dimensionen, darunter der Verände-
rung politischer Strukturen und Regeln, dem Ein-
fluss auf das Parteienspektrum und die Zusam-
mensetzung der Regierung, dem Agenda-Setting
in den Medien und der breiten Öffentlichkeit,
dem Einstellungs- und Verhaltenswandel in der
Bevölkerung (einschließlich Bereitschaft zum po-
litischen Engagement und verändertem Konsum-
verhalten), schließlich den Rückwirkungen auf die
Bewegung selbst (Infrastruktur, Erfahrungen,
Lerneffekte, politische Sozialisation der Beteilig-
ten usw.). Es ist zu früh, um all dies im Einzelnen
für die deutsche oder gar die internationale FFF-
Kampagne bilanzieren zu können. Es ist auch zu
früh für eine Antwort auf die Frage, ob sich FFF zu
einer sozialen Bewegung im Sinne weitergehen-
den Definition entwickeln könnte.
Gleich wie lange FFF das Momentum halten
kann (was mit zunehmender Dauer immer
schwieriger wird) und ob die Kampagne eine
Kurswende in der Klimapolitik und darüber hin-
aus herbeiführen kann wohl unbestritten ist die
öffentliche Resonanz, die sie in den etablierten
Massenmedien, den digitalen Communities, in
Kreisen der etablierten Politik und im Spektrum
von umweltpolitisch aufgeschlossenen Interes-
sengruppen, Verbänden und informellen Grup-
pierungen erzielt hat. Für dieses Ergebnis ist ein
Zusammenwirken mehrerer Faktoren verant-
wortlich:
Ein wichtiger, in der öffentlichen Wahrneh-
mung zuweilen übersehener Faktor besteht da-
rin, dass der Boden für die klimapolitische Kam-
pagne von FFF durch vorausgegangene Entwick-
lungen schon bereitet war. Klimapolitik war nach
Jahrzehnten wissenschaftsinterner Debatten und
Mahnungen auch zu einem Spitzenthema der in-
ternationalen Politik geworden nicht nur seit
dem Pariser Klimagipfel im Jahr 2015. In Deutsch-
land war das Thema offensiv von einer Reihe von
Umweltverbänden aufgegriffen worden. Seit Jah-
ren hatten zudem nicht verbandsförmig organi-
sierte Klimagruppen gegen den weiteren Abbau
der hochgradig umweltschädlichen Braunkohle in
mehreren Revieren, vor allem aber im Raum
Hambach, Stellung bezogen und neben konventi-
onellen Protestkundgebungen auch Aktionen zi-
vilen Ungehorsams durchgeführt. Zur weiteren
Aktualisierung des Klimathemas hatten zudem
der ungewöhnlich trockene Sommer im Jahr 2018
und die Einsetzung der sogenannten Kohlekom-
mission durch die Bundesregierung beigetragen.
Vor diesem Hintergrund ist die Resonanz für FFF
zu sehen, die durch eine Reihe spezifischerer Fak-
toren verstärkt wurde.
Ein für die breite Öffentlichkeit wichtiger Be-
zugspunkt ist die Selbstpräsentation und mediale
Präsentation von Greta Thunberg, für Deutsch-
land auch die Person von Luisa Neubauer. Auf ei-
nige Merkmale Thunbergs ist bereits im Abschnitt
1 hingewiesen worden. Thunberg on tour, mal
auf der Klimakonferenz in Polen, mal mit dem
Papst, mal mit Spitzenpolitiker*innen, mal vor
der versammelten Wirtschaftselite in Davos:
Diese Auftritte liefern fortlaufend Bilder und Ge-
sprächsstoff. Hinzu kommen die Reden bei einzel-
nen Demonstrationen, mal in Kopenhagen, mal in
Hamburg, mal in Berlin. Ergänzt wird diese Kom-
ponente durch die diversen Preise, mit denen
Thunberg bedacht wird und mit denen sich auch
die sie ehrenden Institutionen ins rechte Licht
setzen können.
Ein dritter Aspekt ist die demonstrative Ju-
gendlichkeit von FFF, die durch eine geschickte
Protestinszenierung befördert und von den meis-
ten Medien dankbar aufgegriffen wird. Kinder
und Schüler*innen wirken unschuldig. Mit Blick
auf FFF wird auch das Bild von David gegen Goli-
ath evoziert. Das jugendliche Image kann aller-
dings auch gegen die Bewegung gewendet wer-
den, indem den Aktivist*innen Ahnungslosigkeit
in der Sachmaterie, Ignoranz gegenüber der Kom-
41
plexität des auf Kompromisse angelegten politi-
schen Entscheidungssystems und darüber hinaus
eine überhöhte moralische Tonlage vorgehalten
wird, wie es etwa die Charakterisierung von FFF
als eines Kinderkreuzzugszum Ausdruck brin-
gen soll (siehe fünftens).
Ein vierter, von Anfang an wirksamer Faktor
für die große Resonanz von FFF ist die Kopplung
der inhaltlichen Forderungen zum Klimaschutz an
die Idee und Praxis des Schulstreiks, wie er von
Greta Thunberg vorexerziert worden war. Diese
Verknüpfung rief in Deutschland eine Fülle von
ablehnenden wie auch von zustimmenden Kom-
mentaren hervor, sorgte für Diskussionsstoff in
Schulklassen und Gruppen außerhalb der Schulen
und Universitäten. Die von meist konservativer
Seite vorgebrachte Empfehlung, die Schüler*in-
nen sollten doch am Freitagnachmittag oder am
Wochenende streiken, konterten die Akti-
vist*innen stoisch mit dem Hinweis, dass ein
Streik in der Freizeit eben kein Streik sei, weil er
nirgends anecke. Ob allerdings die Kategorie des
Streiks, der im Idealfall die Produktionsmittel des
Arbeitgebers lahmlegt und damit Zugeständnisse
erzwingen soll, für einen Schulstreik oder Uni-
Streik taugt, sei hier dahingestellt. Festzuhalten
ist jedenfalls, dass Studierende, die ja durchaus
auf eine längere Geschichte von meist wenig er-
folgreichen Unistreiks zurückblicken können,
bislang an keiner Hochschule in Deutschland eine
nennenswerte disruptive Aktion im Kontext von
FFF durchgeführt haben. Dagegen sorgte der auf
Freitage bezogene Schulstreik, der sich im Falle
einer Kölner Schule sogar auf eine ganze Woche
erstreckte51, jenseits der Frage des Klimaschutzes
für hitzige innerschulische und öffentliche Debat-
ten, die bis heute anhalten.
Fünftens bewirkte nicht zuletzt die öffentliche
Kritik an FFF, exemplarisch sei nochmals auf die
Aussage von Christian Lindner erinnert, der
meinte, das Klimathema solle den „Profis“ über-
lassen werden52, dass sich externe und autonom
organisierte Gruppen zur Unterstützung von FFF
_____
51 https://www.welt.de/regionales/nrw/ar-
ticle196538577/Fridays-for-Future-demonstriert-erst-
mals-die-ganze-Schulwoche.html [04.08.2019].
52 https://www.focus.de/wissen/klima/klimaerwaer-
mung/plaene-der-umweltministerin-seien-weltfremd-
formierten, darunter Scientists for Future und Pa-
rents for Future. Weitere Unterstützung kam von
Seiten der etablierten Umweltverbände, die
dankbar den Impuls von FFF aufgriffen und ver-
stärkten.
Sechstens vermied es FFF, sich organisatorisch
eng an eine externe Gruppierung oder einen fest
gefügten Verband anzulehnen. Damit blieb die
Marke FFF immer im Zentrum öffentlicher Dar-
stellungen. In strategischer Hinsicht behielt FFF
seine freundlich-friedfertige Ausrichtung. Ver-
mieden wurde allerdings keine harte Grenzzie-
hung gegenüber offensiveren Aktionen zivilen
Ungehorsams, wie sie beispielsweise der deut-
schen Ableger der britischen Gruppe Extinction
Rebellion praktiziert. Der viele Bewegungen
kennzeichnende ideologische und strategische
Richtungsstreit hat im Falle von FFF abgesehen
von den Diskussionen während des Sommerkon-
gresses in Dortmund bisher keine zentrale Be-
deutung erlangt, was nicht nur auf die relativ ge-
ringe Ausprägung tiefer interner Differenzen,
sondern auch auf eine geschickte Selbstdarstel-
lung zurückgehen dürfte.
Ein siebter Faktor für die breite öffentliche Zu-
stimmung ist die Bescheidenheit der Kernforde-
rung von FFF die Einhaltung der gesetzlich ver-
ankerten Klimaziele des Pariser Abkommens. Auf
diesen Minimalkonsens können sich nicht nur die
Aktivist*innen der Kampagne, sondern auch ein
inzwischen deutlich gestiegener Anteil der Ge-
samtbevölkerung einigen. Die Ausgangssituation
unterscheidet sich damit deutlich von anderen
Bewegungen, die oft viel Aufwand treiben muss-
ten, um die Bevölkerung erst einmal von der Legi-
timität ihrer Forderungen zu überzeugen. Noch
spielen Fragen der konkreten Umsetzung der Kli-
maziele, nicht gerade eine zwingende Aufgabe für
eine Protestbewegung, bei FFF keine große Rolle.
Gegen konkrete Maßnahmen wird sich sicherlich
Widerstand regen, wie es sich bereits bei den Ent-
würfen zur Umsetzung des Klimaschutzplans
lindner-kanzelt-streikende-schueler-ab-klimawandel-
ist-eine-sache-fuer-profis_id_10430856.html
[04.08.2019].
42
2050 zeigte, bei denen das SPD-geführte Wirt-
schaftsministerium das SPD-geführte Umweltmi-
nisterium ausbremste.
Schließlich ist achtens auf die insgesamt ge-
schickten Deutungsstrategien von FFF hinzuwei-
sen, die an anderer Stelle detaillierter beleuchtet
wurden (Rucht und Sommer 2019). FFF bietet ein
kompaktes und wirksames Framing (Snow et al.
1986), gegen das die bisherigen Versuche des Ge-
genframing nicht angekommen sind. Das prog-
nostic framing warnt vor den dramatischen Fol-
gen eines irreversiblen Klimawandels. Das diag-
nostic framing zielt auf das Versagen politischer
Eliten. Das motivational framing betont die ei-
gene Verantwortung der jungen Generation,
Druck auf die Politik auszuüben, aber auch die
Notwendigkeit, Lebensstil und Konsumverhalten
umweltpolitischen Geboten anzupassen.
Im Unterschied zu anderen Bewegungen,
etwa Occupy, Pulse of Europe und Gilets Jaunes,
deren Niedergang halbwegs vorhersehbar war,
nehmen wir mit Blick auf FFF eine abwartende
Haltung ein. Noch spricht nichts für einen Nieder-
gang. Der mittelfristige Verlauf der Kampagne
hängt nicht nur von ihrer Fähigkeit ab, das hohe
Mobilisierungsniveau unter jungen Menschen
aufrechtzuerhalten, sondern auch von der Bil-
dung strategischer Allianzen und der Diffusion
des Protests in bislang passive Teile der Gesell-
schaft. Der Erfolg oder Misserfolg der über die
Schulen und Universitäten hinausgehenden Mo-
bilisierung für einen weltweiten Klimastreik am
20. September 2019 wird in dieser Hinsicht von
entscheidender Bedeutung sein. Die lose Verbin-
dung zu Aktionsgruppen wie Ende Gelände
könnte für die Bewegung einen zusätzlichen, aber
gleichzeitig nicht unproblematischen Stimulus
bedeuten, finden doch Aktionen zivilen Ungehor-
sams selten eine breite gesellschaftliche Unter-
stützung.
Eine absehbare Herausforderung für FFF
ergibt sich daraus, dass die Kampagne, über das
Klimathema hinausgehend, einen Klärungsbedarf
hat, was mit Forderungen gemeint ist wie „Wir
_____
53 https://www.bild.de/politik/inland/politik-in-
land/klima-talk-fridays-for-future-aktivistin-und-axel-
springer-chef-63067980.bild.html [04.08.2019].
müssen Demokratie neu denken“ und „Wir müs-
sen weg vom quantitativen Wachstum und Kon-
sum, hin zu einem qualitativen Wachstum mit
Glück, Freiheit und Liebe“.53 Mit der Konkretisie-
rung solcher Formeln wird auch Streit um und
möglicherweise innerhalb von FFF an Bedeutung
gewinnen.
Unabhängig von der Frage nach der unmittel-
baren Zukunft der Kampagne und der Durchsetz-
barkeit ihrer Ziele ist die gesellschaftliche Wir-
kung von FFF nicht zu unterschätzen; nie zuvor
wurde die international vernetzte Klimabewe-
gung in so hohem Maße von Schüler*innen und
Jugendlichen getragen. Und selten waren insbe-
sondere junge Frauen derart prägend für den Pro-
test. FFF politisiert und mobilisiert auch viele
junge Menschen, die bisher wenig mit Politik zu
tun hatten. Ob wir es hier mit einer neuen Pro-
testgeneration zu tun haben, sei dahingestellt
(dazu Rucht, im Erscheinen). Festzuhalten aber
bleibt, dass ein derartiges Engagement in jungen
Lebensjahren einen starken Einfluss auf das gene-
relle Interesse an gesellschaftlichen und politi-
schen Fragestellungen und auf das spätere Enga-
gement im Lebensverlauf hat (Oesterle et al.
2004). FFF wird also Spuren hinterlassen in der
Klimabewegung und darüber hinaus.
43
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de Moor, 517. https://osf.io/yr5h4 [04.08.2019].
Wahlström, Mattias, Piotr Kocyba, Michiel de Vydt und
Joost de Moor, Hg. 2019a. „Protest for a future. Com-
position, mobilization and motives of the participants
in Fridays For Future climate protests on 15 March,
2019 in 13 European cities.“ https://osf.io/yr5h4/
[04.08.2019].
36
Zuletzt sind die folgenden ipb working paper erschienen:
Die Gelbwestenbewegung. Stand und Perspektiven
Autor: Dieter Rucht
Veröffentlicht: Januar 2019
Online unter: https://protestinstitut.eu/wp-content/uploads/2019/02/dieter-
rucht-gelbwesten.pdf
#Sitzenbleiben, #aufstehen oder aufstehen? Über den Versuch einer
linken Sammlungsbewegung
Autor: Dieter Rucht
Veröffentlicht: November 2018
Online unter: https://protestinstitut.eu/wp-
content/uploads/2018/11/ipb_working-paper_2.2018_Rucht-Dieter.pdf
Researching Police in/under Protest. Police Research as a Journey of
Discovery with Obstacles
Autor: Peter Ullrich
Veröffentlicht: März 2018
Projektkontext: Videoüberwachung von Versammlungen und
Demonstrationen (ViDemo)
Online unter: https://protestinstitut.eu/wp-
content/uploads/2018/03/Researching-Police_ipb-working-paper_1-18.pdf
Weitere Texte der Reihe sind abrufbar unter: https://protestinstitut.eu/ipb-working-papers/
Alle bisher erschienenen Texte aus der Reihe sind online abrufbar unter:
https://protestinstitut.eu/ipb-working-papers/
36
Institut für Protest- und Bewegungsforschung (ipb)
https://protestinstitut.eu/
... Exemplarisch kann dies daran verdeutlicht werden, welche Gruppen sich für die Bekämpfung des Klimawandels engagieren (können). Das Institut für Protest-und Bewegungsforschung zeigt, dass sich in Deutschland überwiegend gut ausgebildete, weiße junge Menschen und überraschend stark Frauen den Klimaprotesten von Fridays for Future anschließen (Sommer, Rucht, Haunss & Zajak, 2019). Hingegen sind z.B. ...
... Hingegen sind z.B. Menschen mit sogenannten Migrationshintergrund bei den Protesten sowie auch in Jugendumweltverbänden unterdurchschnittlich repräsentiert (Sommer et al., 2019 (Clark, Auerbach & Longo, 2018). Um die individualistische, konsum-und stadtorientiere Entwicklung einer im weltweiten Vergleich kleinen globalen Elite zu schützen (Gore, Alestig & Ratcliff, 2020), werden ökologische Folgen und soziale Ungleichheiten in den Produktionsländern in Kauf genommen, die wiederum durch die Klimakrise weiter verschärft werden. ...
Chapter
Full-text available
Climate Justice now! – Der Ruf nach Klimagerechtigkeit verdeutlicht, dass die Klimakrise nicht allein mittels ökologischer Modernisierung gelöst werden kann. An diesen Ausruf knüpfen Klimagerechtigkeitsbewegungen an, die den Klimawandel nicht nur als eine ökologische, son- dern auch als eine soziale Krise begreifen. Um eine sozial-ökologische Transformation und ein gutes Leben für alle zu ermöglichen, ist unserem Verständnis zufolge das Wechselspiel gesellschaftspolitischer Entwicklungen und individueller Bildungsprozesse unter einer globa- len Gerechtigkeitsperspektive in den Blick zu nehmen. Der in der Klimaschutzdebatte oft vor- herrschende Fokus auf die Veränderung von individuellen Konsum- und Lebensweisen lenkt von den notwendigen systemischen und damit politischen Nachhaltigkeitsbemühungen ab. Die Bedeutung postkolonialer Strukturen in der (Re-)Produktion von globalen Ungerechtig- keiten wurde lange Zeit ignoriert. Die Klimakrise ist Ausdruck und Ergebnis von kapitalisti- schen, rassistischen und kolonialen Macht- und Herrschaftsverhältnissen, Ausbeutungsprak- tiken sowie imperialen Lebensweisen. Klimaschutz, globale Gerechtigkeit und Frieden ver- stehen wir deshalb als eng miteinander verwoben. Das Ziel dieses Kapitels ist es, zentrale Begriffe und Konzepte vorzustellen, die zum Verständnis der Zusammenhänge von Klima- krise, Kolonialismus und sozial-ökologischer Transformation beitragen. Vor diesem Hinter- grund befassen wir uns zuerst mit den ökologischen und dann mit den sozialen sowie den politisc