Content uploaded by Doris Gräber
Author content
All content in this area was uploaded by Doris Gräber on Aug 19, 2019
Content may be subject to copyright.
Was machen Sozialarbeitende und was
machen Theorien Sozialer Arbeit daraus?
Paper für die Jahrestagung des Netzwerks Rekonstruktive Soziale Arbeit, 22./23.11.2019 an der
Hochschule Hannover mit dem Titel: „Was Soziale Arbeit (aus)macht. Beiträge rekonstruktiver
Forschung zur Theoriebildung“
Eingereicht von Doris Gräber, Humboldt Universität zu Berlin, doris.graeber@hu-berlin.de
Soziale Arbeit auf der Suche nach Identität
Die Frage danach, was Soziale Arbeit ausmacht, ist nicht neu. So wird einerseits danach gefragt, was
Sozialarbeitende tatsächlich machen und welche Eigenart sich daraus für die Profession der Sozialen
Arbeit ablesen lässt, andererseits wird diskutiert, was Soziale Arbeit als Institution oder
Funktionssystem in der oder für die Gesellschaft macht – oder was sie machen und bewirken sollte.
Antworten wurden viele gefunden, doch unterscheiden sie sich wesentlich. In Bezug auf die Praxis
weisen jedoch alle Ergebnisse darauf hin, dass es in der Sozialen Arbeit keine kollektive
Berufsidentität über Arbeitsfelder und berufliche Positionen hinweg gibt und dass Alltagstheorien
und persönliche Erfahrungen eine größere Rolle spielen als eine wissenschaftlich fundierte
Fachlichkeit.
Wie kann das sein? Und gibt es Erklärungen für das Auseinanderklaffen zwischen den
theoriegeleiteten Entwürfen Sozialer Arbeit und der Alltagspraxis?
Vergleich metaphorischer Konzepte aus zwei Arbeitsfeldern
Der Vergleich zweier metaphernanalytisch orientierter Studien zur Praxis der Einzelfallhilfe (Schmitt
1995) und zur Sozialen Arbeit in Flüchtlingswohnheimen (Gräber, unveröffentlicht) zeigt
grundlegende Unterschiede in der Wahrnehmung und Präsentation der befragten
Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter bezüglich ihrer täglichen Handlungspraxis. Gleichzeitig finden
sich auch Gemeinsamkeiten in der alltagssprachlichen Metaphorisierung des Auftrags und des
täglichen Tuns, die Aufschluss über die berufliche Selbstwahrnehmung von Sozialarbeitenden geben.
Explizite Bezugnahmen auf Theorien Sozialer Arbeit oder wissenschaftlich fundierte
Handlungsmethoden fehlen fast gänzlich. Diskurse der Fachdisziplin werden aber implizit
aufgegriffen, wenn Sozialarbeitende sich z.B. als advokatorische Kämpfer gegen Diskriminierung
präsentieren. Wie lässt sich das interpretieren? Können daraus Perspektiven für eine stärkere
Verknüpfung von wissenschaftlicher Disziplin und professioneller Praxis abgeleitet werden?
Metaphern als Bindeglied zwischen Theorie und Praxis
Werden metaphorische Konzepte wie in den o.g. Arbeiten nicht als rhetorisches Stilmittel, sondern
(mit Lakoff und Johnson) als grundlegende Struktur unseres Denkens, das sich eben auch in Sprache
niederschlägt, aufgefasst, so ergeben sich neue Möglichkeiten für die Annäherung von Theorien
Sozialer Arbeit und dem (Er-) Leben der sozialarbeiterischen Praxis. Wenn wir metaphorische
Konzepte benutzen, übertragen wir Konkretes aus einem Quellbereich (Q) auf einen abstrakten
Zielbereich (Z). Da auch „Soziale Arbeit“ (Z) ein Abstraktum ist, werden zur Beschreibung und
Diskussion dieser oft Metaphorisierungen verwendet – und zwar von WissenschaftlerInnen und
PraktikerInnen gleichermaßen. Welche konkreten Quellbereiche (Q) ausgewählt werden, hängt
allerdings davon ab, welche der vielfältigen Aspekte des Abstraktums beleuchtet und hervorgehoben
werden sollen und welche vernachlässig werden können oder sogar versteckt werden sollen.
Sind also Theorien nichts anderes als terminologisierte Metaphern-Architekturen, die in ihren
Konkretionen auf allgemeine Orientierungsmuster und alltagssprachliche Bilder zurückgreifen? Eine
derartige – zugegebenermaßen provokante – Sichtweise könnte neue Potentiale für die Verbindung
von wissenschaftlichen Theorien und Alltagstheorien erschließen und Möglichkeiten für eine
anschlussfähige Vermittlung von Theorien eröffnen.
Literatur
Gräber, Doris (o. J.): Das professionelle Verständnis von Flüchtlingssozialarbeitenden im Kontext von
Krankheit und Behinderung – Versorgen, Begleiten, Kämpfen. Dissertation and der Kultur-, Sozial-
und Bildungswissenschaftlichen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin; eingereicht am
03.05.2018
Lakoff, George/ Johnson, Mark (1980): Metaphors we live by. Chicago [u.a.]: Univ. of Chicago Press
Schmitt, Rudolf (1995): Metaphern des Helfens. Weinheim: Beltz, PsychologieVerlagsUnion