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Pädagogische Hochschule Ludwigsburg
Institut für Erziehungswissenschaft
Seminar: Lernen und Arbeiten in Gruppen; WiSe 18/19
Dozent: Tanja Scherer M.A.
Hausarbeit:
Working Out Loud – eine neue Gruppenlerntechnik als
zeitgeschichtliches Phänomen
Name: Claus Wilcke
Adresse: Schwaikheimer Straße 13
71686 Remseck am Neckar
claus.wilcke@stud.ph-ludwigsburg.de
BA Bildungswissenschaften / Lebenslanges Lernen
5. Fachsemester
Matrikelnr.: 4670039
Abgegeben am: 25.03.2019
Inhalt:
1. Einführung...................................................................................1
1.1 Geschichte der Methode........................................................1
1.2 Struktur und Vorgehensweisen..............................................1
1.3 Ebenen & Effekte...................................................................2
2. Gruppenprozesse bei WOL.........................................................4
3. Geschichte und Verbreitung im „Big Business“...........................5
4. Zeitgeschichtliche Einpassung...................................................7
5. Kritik der Methode.......................................................................9
5.1 Potenziell exklusiv.................................................................9
5.2 Sind abweichende Ziele möglich?.........................................9
5.3 Marginalisierung des mittleren Managements......................10
5.4 Paradoxon der Hierarchien...................................................10
6. Zusammenfassung.....................................................................11
Literatur & Ressourcen:...................................................................I
I
1. Einführung
Dieser Text stellt zunächst die Gruppenarbeitsmethode „Working Out Loud“ (WOL)
vor, die der Amerikaner John Stepper in den Jahren von 2011 bis 2015 entwickelt hat
und die seitdem weltweit eingesetzt wird. Dann soll gezeigt werden, warum WOL ge-
rade jetzt Karriere macht, also inwieweit WOL als Phänomen einer sich entwickeln-
den Wissensgesellschaft verstanden werden kann. Schlussendlich sollen die mögli-
chen Nachteile bzw. Limitationen der Methode diskutiert werden. Dies scheint gebo-
ten, weil der gesamte auffindbare Diskurs ein positiver ist. WOL scheint nur Sonnen-
seiten zu besitzen, was per se unmöglich ist.
1.1 Geschichte der Methode
John Stepper arbeitete nach seinem Informatikstudium und verschiedenen Karriere-
stufen lange als Geschäftsführer der Deutschen Bank in New York. Dort frustrierte ihn
zunehmend die Kluft zwischen den Möglichkeiten, die das Internet zur Zusammenar-
beit von Menschen und Gruppen bot, und welche Realität der Abschottung und der
Konkurrenz – das sogenannten „Silodenken“ – ihm in der Arbeitsrealität begegnete.
Er begann dazu einen Blog, in dem er über neue Ideen und Formen der Zusammen-
arbeit schrieb [URL 1]. 2010 begegnete ihm der Begriff „Working Out Loud“, den Bry-
ce Willimas geschaffen hatte und so erläuterte: „Working Out Loud = Observable
Work + Narrating Your Work“. Ab 2013 entwickelte sich aus Steppers Blog ein Buch,
das 2015 erschien (Stepper 2015). Zwei Jahre später kündigte Stepper und wurde
Botschafter seiner neuen Methode [URL 2]. Durch den „Absprung“ Steppers als Ge-
schäftsführer bei der Deutschen Bank vermittelte er seine Methode weithin kostenfrei
und in Deutschland an große Unternehmen wie Daimler-Benz oder Bosch, wo nun
seit 2015 inzwischen die WOL-Methode eine feste Größe im Methodenkoffer der so-
genannten „New Work“ sind, deren Schlagworte auch das sogenannte „agile Arbei-
ten“ sind [URL 3].
1.2 Struktur und Vorgehensweisen
WOL ist formal ein auf drei Monate begrenzter Kurs für Kleingruppen – so genannte
Circles – die sich ohne von außen organisierende Verwaltungseinheit selbst zusam-
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menfinden. In den Circles arbeiten die zwei bis fünf Gruppenmitglieder im Zeitraum
von drei Monaten in wöchentlichen, einstündigen Treffen daran, dass jedes Mitglied in
dieser Zeit ein jeweils selbst gestecktes Ziel erreicht. Dieses Ziel sollte persönlich,
bedeutsam und eher kognitiver Natur sein, d.h. man soll ein Wissen aufbauen oder
eine Fähigkeit entwickeln, die man bislang noch nicht besaß. Auch Karriereschritte
werden ausdrücklich genannt. Das Besondere ist, dass dieses Ziel weniger über „stil-
les Selbststudium“ erreicht werden soll, sondern mehr über den Kontakt zu externen
Experten oder Vorbildern, die dieses Ziel bereits erreicht haben oder bei der Zielerrei-
chung behilflich sein könnten. Fortschritte und die Schwierigkeiten dieser Bemühun-
gen werden dann im Circle berichtet. Damit zeigt sich WOL als strukturierter Kurs
zum aktiven Networken hinsichtlich eigener Ziele.
Gleichzeitig soll das Gruppenfeedback des Circle über Schwächen oder blinde Stel-
len einzelner Teilnehmer hinweg helfen und die Zielerreichung unterstützen.
Zusätzlich erteilt Stepper per Studienbrief für jedes der zwölf Treffen zusätzliche
Strukturierung in Form von persönlichen oder teamgebundenen Aufgaben [URL 04].
Nach den drei Kursmonaten endet der einzelne Kreislauf mit einer möglichen inter-
nen Feier aber ohne weitere Abschlussdokumente oder Assessments durch die Grup-
pe oder Dritte.
Der Name „Working Out Loud“ scheint insgesamt glücklich gewählt, weil die Sichtbar-
machung, Besprechung und Vernetzung eigener Ziele tatsächlich und in mehreren
sozialen Dimensionen stattfindet und dies einen markanten Gegensatz zu bisherigen
Routinen bedeutet, bei denen persönliche Zielerreichung entweder an der stillen, ein-
samen Insel eines Schreibtisches oder in strategischen Treffen statfindet. Allerdings
bleibt die Frage, welche Art von Zielen bzw. Aufgaben zulässig sind, wenn WOL in ei-
nem beruflichen Umfeld eingesetzt wird. Diese Frage soll in Abschnitt Fünf erneut
aufgegriffen werden.
1.3 Ebenen & E!ekte
Mindestens drei psychosoziale Ebenen werden durch die Methode berührt. Erstens
findet ein persönliches Lernen statt, das sowohl kognitiv wie sozial geprägt ist. Zwei-
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tens erfährt sich jede Lernerin als Teil einer engen unterstützenden Peer-Group. Zum
dritten bauen sich Teilnehmer ein Netzwerk von Kontakten und Beziehungen auf,
dessen Struktur nicht organisational, sondern durch die Suche nach anschlussfähi-
gem Wissen und Können geprägt ist.
Diese ineinander greifenden Erfahrungsbereiche ergeben deutlich positive Effekte,
die zwar noch nicht wissenschaftlich validiert und, aber pragmatisch die weithin posi-
tive Rezeption der Methode erklären können.
Zu vermuten ist zunächst eine deutliche Stärkung der Selbstwirksamkeitserfahrung
der Teilnehmer. Sie verwirklichen rasch und vielfältig sachorientierte Beziehungen
hinsichtlich eines als erreichbar eingeschätzten Zieles. Weil diese Kontakte rein nach
Neigung und über organisationale Grenzen hinweg erfolgen, sind sie einerseits ein
effektives Mittel gegen das bereits angesprochene Silodenken in Unternehmen. Wei-
ter steigert erfahrene Selbstwirksamkeit – über Kontakte, Lerngewinne, Zielerrei-
chung – auch ganzheitlich und nachhaltig das Wohlbefinden. Die Beschränkung des
Kurses auf drei Monate erlaubt Teilnehmern die Planung von überschaubaren Zyklen.
Damit wird ein offener, „permanenter“ Verbesserungsprozess vermieden – wie ihn
etwa spirituelle Bewegungen kennen – dessen Unabgeschlossenheit notwendiger-
weise Rückschläge enthalten muss, die potenziell demotivieren.
Ein weiterer Effekt der Methode, der durch Stepper ausdrücklich erwähnt wird, und
sogar den Buchtitel schmückt, nämlich die „Karrierebeschleunigung“ ist erstaunlicher-
weise in der vorliegenden Literatur nirgends zu finden. Kein einziger Bericht erwähnt
eine Beförderung oder neue Positionen der Teilnehmenden – ganz im Gegensatz zu
den vielen positiven Aussagen zu gesteigerten fachlich-personalen Kompetenzen und
sozialer Reichweite. Liegt dies am der kurzen Historie der Methode oder ist es ein
Versprechen, das letztlich nicht eingelöst wird? Nur eine begleitende Forschung
könnte dies klären.
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2. Gruppenprozesse bei WOL
Die Gruppenprozesse realisieren sich auf verschiedenen, ineinander verschränkten
Ebenen. Da ist zunächst das intime Arbeitsteam des WOL-Circle selbst. Diese Grup-
pe basiert auf Werten, die man etwa aus der Humanistischen Psychologie kennt: Of-
fenheit, Empathie, Akzeptanz, Verschwiegenheit, etc. Hier stattfindende Gruppenpro-
zesse dürften analog zu den Erkenntnissen über Arbeitsteams bekannt sein.
Als nächste umschließende Gruppenebene fungiert das jeweilige Unternehmen. Hier
sondert sich das WOL-Team in einem Schutzraum von je einer Stunde pro Woche
von der restlichen Belegschaft ab, um sich der Erreichung zunächst privater Ziele zu
widmen. Diese Dynamik, d.h. der WOL-Circle als privilegierte Gruppe im Gegensatz
zum sonstigen Arbeitsalltag, wird in der aktuellen Literatur bislang noch gar nicht the-
matisiert. Doch während sich verständlicherweise Befürworter, Teilnehmer und Jour-
nalisten vorwiegend für die Erfolgsgeschichten der Circle interessieren, wäre ein For-
schungsdesiderat inwieweit diese Kurse tatsächlich breitenwirksam sind bzw. welche
Veränderungen oder Reaktionen sie bei den übrigen, deutlich mehrheitlichen, Nicht-
Teilnehmern erzeugen.
Eine weitere Gruppendynamik ist die Aufgabe der Teilnehmer, über die Beschränkun-
gen und Strukturen des Unternehmens hinaus neue Beziehungen aufzubauen. Vom
zentralen Knotenpunkt des lernenden Teilnehmers aus soll ein neues soziales Ge-
flecht, eine wissensbezogene, offene, wohl meist auch virtuelle Gruppe entstehen.
Sie stellt – auch nach den Studienbriefen von John Stepper – letztlich das zweite
zentrale Ziel des gesamten Kurses dar (neben dem persönlichen Wissensaufbau).
Dieses Geflecht ist in Aufbau, Wirksamkeit, Stärke und Dauerhaftigkeit notwendiger-
weise schwach und kontingent. Welche Art von Beziehungen, Dynamiken und Mög-
lichkeiten hier entstehen, ist ebenfalls ein Forschungsdesiderat.
Nicht zuletzt wirkt diese letzte Dynamik auch über das Feedback der jeweiligen Teil-
nehmer in ihren Circle zurück. Die anderen Circle-Mitglieder erleben so eine Auswei-
tung des eigenen Informationsraumes, der wiederum zur Gruppenbildung bzw. zur
Kontaktaufnahme genutzt werden kann.
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3. Geschichte und Verbreitung im „Big Business“
Es lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen, wie und wo WOL bei den großen Unter-
nehmen eingeführt wurde, die jetzt in Deutschland gleichsam eine eigene Allianz bil -
den [URL 05]. Stepper selber hat nach seiner Buchpublikation die Inhalte der Metho-
de frei online gestellt und nur die Namensrechte selbst behalten. Nach etwa vier Jah-
ren seit der Publikation fällt aber auf, dass es vor allem große bis sehr große Unter-
nehmen sind, die WOL einsetzen bzw. zulassen. Aktive WOL-Circle bzw. Berichte
darüber finden sich bei Daimler, Audi, BMW, Bosch, Siemens, Continental oder auch
der Techniker Krankenkasse. Als typisches Beispiel wurde etwa bei der Robert Bosch
GmbH WOL als „Graswurzelbewegung“ zunächst durch Mitarbeiter initiiert und konn-
te sich dann über den Geschäftsführer der Robert Bosch Stiftung als offizielles Ent-
wicklungstool des digitalen Wandels des Unternehmens etablieren [URL 06].
Die Abwesenheit von unbekannten Namen und die starke Verbreitung in den „Ökoto-
pen von Großunternehmen“ lässt sich in drei Punkten pragmatisch erklären:
Erstens erlauben diese Unternehmensgröße durch ihre hohe Arbeitsteiligkeit und
Redundanz von Stellen auch Abwesenheitszeiten, die sich über die drei Kursmonate
eben auch auf anderthalb Werktage pro Teilnehmer summiert. Zweitens findet sich
hier sehr gut ausgebildetes Personal, das mit autonomer Wissensarbeit und digitalen
Tools vertraut ist. Drittens verfügen diese Unternehmen über einen ausreichend lan-
gen Planungshorizont, um solch „sozial-technischen Zukunftstechniken“ zu integrie-
ren, sie in ausreichender Anzahl durchzuführen und zu evaluieren, um schließlich
daraus allgemeine Handlungsempfehlungen bzw. Strategien abzuleiten.
Deutlich zu sehen ist jedenfalls, dass die Ressourcen für WOL meist von der obers-
ten Leitungsebene freigegeben werden, die eine permanente Innovation als Überle-
bensstrategie des digitalen Zeitalters erkannt hat. Daraus wiederum ergeben sich
mindestens zwei Schlussfolgerungen.
Die erste Folgerung ist, dass die treibenden Kräfte von WOL in großen Unternehmen
anscheinend vorwiegend aus zwei Unternehmensebenen stammen. Das ist zum ei-
nen die Ebene der einfachen, oder zumindest nicht führenden Mitarbeiter, die die all-
gemeine Arbeitslast tragen und in deren sozialem Stratum der Druck am höchsten ist
und das Silodenken am meisten schmerzt. Und es ist eben die oberste Führungsebe -
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ne, die den weitesten Planungshorizont zu überblicken und zu verantworten hat. Was
hier fehlt, ist das mittlere Management und hier dürften tatsächlich die Verlierer von
agilen Methoden wie WOL sitzen. Das mittlere Management wird in großem Umfang
bedeutungslos, wenn die selbst gesteuerte Projektarbeit zunimmt, also bislang feste
Strukturen aufgeweicht werden und so Wissens- oder Machtvorsprüngen schwinden,
weil in diesen Kontexten nicht mehr derjenige Macht hat, der Wissen besitzt, sondern
derjenige, der Wissen teilt.
Die zweite Folgerung ist, dass in Unternehmen, in denen eine solch ausreichend
weitsichtige Führungsschicht nicht vorhanden ist – wie die vielen KMU's, bei den „der
Chef noch mitarbeitet“ - die Notwendigkeit einer solchermaßen nicht unmittelbar
zweckgebundenen Mitarbeiterentwicklung nicht erkannt wird bzw. dafür keine Res-
sourcen freigegeben werden. Denkbar wäre aber auch, dass – organisationstheore-
tisch gedacht – mittelständische Unternehmen weniger starr und träge sind als Groß-
unternehmen, mithin flexibler auf wechselnde Marktanforderungen reagieren können,
und folglich weniger angewiesen sind auf „hierarchie-aufweichende“, agile Techniken
wie WOL.
Es bleibt daher ein weiteres Forschungsdesiderat, die zeitlich-räumliche Verbreitung
von WOL entlang von Unternehmensgrößen zu beobachten, um damit eventuell Hin-
weise auf eine für die Methode mehr oder weniger geeignete Unternehmensgröße zu
erhalten
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4. Zeitgeschichtliche Einpassung
Wir können die Entstehung und Verbreitung von spezialisierten Techniken des Ler-
nens, des Arbeitens und der Gruppenbildung gar nicht ungeschichtlich denken. Wenn
die Methode WOL seit 2015 bevorzugt in umfassend digitalisierten Großunternehmen
Fuß fasst, dann geschieht dies genauso auf einem zeitgeschichtlichen Substrat und
im Dialog mit den darin herrschenden Bedingungen, wie etwa die Verbreitung der En-
countergruppen von Carl Rogers in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts (Ro-
gers 1970) oder die Bologna-Reform der Europäischen Union.
Jede ausreichend populäre Sozial- und Wirtschaftstechnik erfüllt die Tatsache dass
“das Bewegende selbst bewegt wird“, dass also nicht mehr trennbar ist, inwieweit die-
se Techniken Ausdruck des Zeitgeistes sind, oder ihn selbst vorantreiben. Meist ist es
beides und in dieser Doppelfunktion kann WOL als kognitiv-sozialer Ausdruck der Di-
gitalisierung gesehen werden. Dies insofern als dass beispielsweise das ganze Kon-
zept mit seinen ausgreifenden Sozialbeziehungen („Networking“) in einer nicht digita-
lisierten Welt nur schwer in der kurzen Kurszeit und ohne weitere Hilfsmittel denkbar
wäre. Und andererseits treibt die Methode insofern die Modernisierung voran, als
dass nun einfach Wissensarbeiter weitgreifende Kommunikationslinien aufbauen, und
dies ohne das explizite Wissen und die Erlaubnis ihrer Vorgesetzten pflegen. Wenn
Wissen Macht ist, dann werden so diese Projektarbeiter durch den Kommunikations-
fluss mächtig, indem sie Wissen neu (ver-)teilen und damit konservative Strukturen
der Information und damit der Herrschaft auflösen.
Das auflösende Potenzial von WOL in der Zusammenschau
Zunächst geschieht die Zusammensetzung der Teilnehme autonom, selbstbestimmt
und über Abteilungsgrenzen hinweg. Zweitens können die in den Circles gewählten
Ziele ohne Rücksprache hinsichtlich den Vorgaben des Arbeitsprozesses und/oder
der Hierarchie gewählt und angestrebt werden (Zu vermuten ist, dass man an die Ei-
genverantwortung der Beteiligten setzt, die ein Prozessziel wählen, dass organisatio-
nale Ziele stützt oder zumindest nicht sabotiert.). Auch eine Ergebnispräsentation der
verwirklichten Ziele – als Rapport an Vorgesetzte – ist in der Methode nicht vorgese-
hen. Drittens können die persönlichen Expertenkontakte frei von bisherigen organisa-
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tionalen Mustern gewählt werden. Es bildet sich eine Gruppenstruktur, die sich zwar
innerhalb einer angestammten Organisationsstruktur befinden kann, dies aber kei-
neswegs muss. Auch unterliegen Kommunikation und Verhandlungen beim Aufbau
dieser neuen Lerngruppe keinen Vorgaben der traditionellen Organisationshierarchie.
Und nicht zuletzt wird der Austausch in dieser informellen Wissensgruppe sich nicht
an traditionellen Hierarchieebenen orientieren.
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5. Kritik der Methode
Liest man die Stimmen zu WOL im Internet oder redet man mit Personalverantwortli-
chen, so scheint diese Methode keinerlei Schattenseiten zu besitzen. Das äußert sich
u.a. darin, dass fast hundert Prozent aller Teilnehmer nach Beendigung eines Circles
einen weiteren Circle besuchen möchten. Oder in Stimmen, dass es WOL nunmehr
wirklich schafft sowohl für Unternehmen wie deren Mitarbeiter einen Mehrwert zu stif-
ten (vgl. Thomas 2018). Andererseits gibt es keine Methode, die nur gut ist. Welche
Kritiken wären also denkbar bzw. angebracht?
5.1 Potenziell exklusiv
Die einstündige Abwesenheit von Arbeitsprozessen, um in dieser Zeit einem WOL-
Circle mitzuarbeiten, wird nicht jedem Arbeitnehmer erlaubt (lt. Interview Disterfeldt,
2019). Doch selbst wenn diese Erlaubnis erteilt wird, ist mit der Circle-Größe von 2-5
Teilnehmern die potenzielle Breitenwirkung doch eher begrenzt. So beschreiben
zwei Verantwortliche von Bosch in einem Magazinbeitrag von 2018 enthusiastisch,
dass von 2015 bis 2018 „über 1000 Mitarbeiter aus mehr als 40 Ländern“ im Konzern
an einem WOL-Circle teilgenommen hätten (vgl. Struzek & Krenz 2018 [URL 03]).
Bedenkt man aber, dass Bosch seine Mitarbeiterzahl für Ende 2018 mit 410.000 an-
gibt, kamen also rechnerisch 0,24% der Mitarbeiter mit der Methode in Berührung. Es
ist fraglich, ob mit dieser Durchdringung wirklich ein breites Umschwenken oder Um-
denken in einem Unternehmen möglich wird.
5.2 Sind abweichende Ziele möglich?
Wie John Stepper klar herausstellt, ist WOL eine Methode für ein verbessertes Ar-
beitsumfeld. Die Durchführung der Circle-Treffen geschieht in der Arbeitszeit mit Kol-
legen. Es ist kaum anzunehmen, dass in diesem Setting grundsätzlich deviante oder
unternehmenskritische Wünsche realisiert werden können bzw. sollen. Damit bleiben
aber grundsätzliche Unternehmensziele wie Gewinnmaximierung unangetastet. Auch
grundsätzliche Verbesserungen der Arbeitsorganisation wie Senkung der Arbeitslast
oder höhere Solidarität innerhalb der Belegschaft sind über WOL nicht zu erreichen
bzw. intendiert.
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5.3 Marginalisierung des mittleren Managements
Die Arbeitsweise und Organisation von WOL stellt – jedenfalls in längerer Hinsicht -
die Daseinsbegründung des mittleren Managements in größeren Unternehmen struk-
turell in Frage. Wofür benötigt man einen Teamleiter, wenn Angestellte ihre Teams je
nach Problem selbst und flexibel zusammenstellen? Selbst wenn man annimmt, dass
dieser Prozess derzeit durch die Digitalisierung ohnehin geschieht und sich hinter
dem positiven Begriff der „flachen Hierarchien“ verbirgt, so ist doch interessant zu se-
hen, dass die Stimmen im Netz, die WOL feiern entweder aus dem Top-Management
oder aus der Schicht der Angestellten kommen. John Stepper war Geschäftsführer
der Deutschen Bank. Die Erwartungshaltung des Top Managements bei Bosch zu
neuen Formen von Führung und Zusammenarbeit brachte Katharina Krentz von der
Angestellten in einer traditionellen Unit zum Posten einer „Projektleiterin Enterprise
2.0“ - wohlgemerkt ein Projekt neben den traditionellen Organigrammen.
Damit soll keine Lanze für die Privilegien und Domänen des mittleren Managements
gebrochen werden. Aber es scheint, dass diese Berufsgruppe sich in einer ähnlichen
Position befindet wie die Kutschenmacher ab 1918 und sich wie diese (noch nicht?)
am Gespräch beteiligt.
5.4 Paradoxon der Hierarchien
Es ist eine Binsenweisheit, dass die Komplexität von Unternehmen mit ihrer Größe
zunimmt. Große Unternehmen benötigen mehr Hierarchiestufen und ausgefeiltere
Strukturen, um ihre Dienste, Produkte und Mitarbeiter intern und extern zu koordinie-
ren. Diese Größe und Komplexität kann stabilisierend wirken, allerdings geraten sol-
che „steil organisierten“ Großunternehmen seit den 90er Jahren zunehmend unter
Druck und Unternehmen mit „flachen“ Hierarchien bestimmen den Arbeitsmarkt mehr
und mehr (vgl. Schulte-Zurhausen 2014: 252-254) Nun sind alle jene Unternehmen,
die aktuell bekannt geben WOL zu verwenden, so groß, dass sie über viele Hierar-
chiestufen hinweg „steil“ organisiert sind. Es steht also zu vermuten, dass hier das
Paradox vorliegt, dass die Hierarchie eines Unternehmens erst eine ausreichend
komplexe bzw. vielgeschossige Struktur aufweisen muss, damit sich darin eine struk-
turauflösende Technik wie WOL überhaupt erst etablieren kann.
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6. Zusammenfassung
Das Konzept WOL passt hervorragend in die digitalisierte Welt, die traditionelle Struk-
turen auflöst, individuelle Verantwortung betont und deren grundlegender Betriebs-
stoff Wissen ist. Gleichzeitig erhöht die Methode Wissen und Selbstwirksamkeit und
schafft neue zwischenmenschliche Beziehungen. WOL scheint so auch eine vorher
schwer vorstellbare Flexibilität vor allem in große Unternehmen zu tragen.
Gleichzeitig ist zu bezweifeln, ob WOL traditionelle Wissensvermittlung mit festgeleg-
ten Inhalten und organisierten Strukturen ersetzen kann. Dies scheint zweifelhaft,
weil die Methode WOL eine gewisse Zufälligkeit und Exklusivität enthält, die kaum
geeignet scheint, eine strukturelle Sicherung von Wissen und Können im betriebli-
chen Umfeld sicherzustellen. Nicht zuletzt scheint auch das inhärente Versprechen,
dass WOL ein „Karrierebeschleuniger“ sei, auf wenig festem Grund gebaut und
müsste seine Wahrheit erst noch beweisen.
Und vielleicht ist auch gerade die aktuelle Exklusivität von WOL mit ein Grund für die
offensichtliche Beliebtheit der Methode. Vielleicht wäre es auch so, würde diese Ex-
klusivität schwinden, dass dann WOL zu einem ganz gewöhnlichen - und nun viel-
leicht auch nicht mehr freiwilligen – Bestandteil des Methodenkoffers der betriebli-
chen Bildung würde. Mit nur wenigen Jahren des Einsatzes ist es aber zu früh, eine
Entwicklungsgeschichte von WOL zeichnen zu wollen. Dass die Methode sich als be-
triebliche Wissensarbeit etabliert hat, kann aber als sicher angenommen werden. Da-
mit bleiben auch die im Text genannten Forschungsdesiderate virulent. Vielleicht
könnten Wissenschaftlerinnen der PH hier Pionierarbeit leisten und so für mehr wis-
senschaftliche Fundierung dieser Methode und ihrer Auswirkungen sorgen.
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Literatur & Ressourcen:
Rogers, Carl (1970): Encounter-Gruppen. Das Erlebnis der menschlichen Begegnung. Verlag: Kindler, Mün-
chen.
Schulte-Zurhausen, Manfred (2014): Organisation. Verlag: Vahlen, München
Stepper, John (2015): Working Out Loud: For a better career and life. Verlag: Ikigai Press, New York.
Thomas, Sebastian (2018): Was kommt nach dem #WOL-Hype? Eine Replik auf den Beitrag von Lars Voll-
mer. In: hashtaghr.blog. URL: https://hashtaghr.blog/2018/03/05/working-out-loud-verbreitet-sich-rasant-was-
kommt-nach-dem-wol-hype-eine-replik-auf-den-beitrag-von-lars-vollmer/ [03.03.2019]
Winter, Martin (2015):Bologna – vom politischen Prozess in Europa zur Studienreform in Deutschland. In:
Bundeszentrale für politische Bildung: Webseite. URL: https://www.bpb.de/gesellschaft/bildung/zukunft-bil-
dung/204059/bologna-politischer-prozess
Zitierte Online-Quellen
URL 01: https://johnstepper.wordpress.com
URL 02: https://www.youtube.com/watch?v=yOpgtC1JEzY&feature=youtu.be
https://www.haufe.de/personal/hr-management/working-out-loud-die-methode_80_443618.html
URL 03: Struzek, Monika/Krentz, Katharina (2018): So funktioniert "Working out Loud" bei Bosch.
In: Haufe Personalmagazin. URL: https://www.haufe.de/personal/hr-management/bosch-working-
out-loud-in-der-praxis_80_444782.html [03.03.2019]
URL 04: https://workingoutloud.com/en/circle-guides
URL 05: https://twitter.com/hashtag/wolc17?src=hash
URL 06: https://www.bosch-presse.de/pressportal/de/de/interview-working-out-loud-bei-bosch-
137280.html
Weitere Einzelnachweise:
Bosch – Vorstellung der WOL-Verbreitung im Unternehmen: https://www.haufe.de/personal/hr-ma-
nagement/bosch-working-out-loud-in-der-praxis_80_444782.html
Bosch – Kompaktplakat der Methode: http://wol.relatris.ch/wp-
content/uploads/sites/16/2017/11/wol_bosch.png
https://digitaler-mittelstand.de/business/ratgeber/agiles-arbeiten-was-ist-das-49878
https://www.wiwo.de/erfolg/management/agiles-arbeiten-je-agiler-das-unternehmen-desto-groes-
ser-der-erfolg/19988386-2.html
https://www.tandemploy.com/de/blog/mach-deine-arbeit-sichtbar-working-out-loud/
Durchgeführte Interviews:
Telefoninterview mit Michael Disterfeldt, Stabsstelle Unternehmenskommunikation Techniker Kran-
kenkasse, Hamburg [22.02.2019]
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