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Zugänge zu inklusionspädagogischen, sonderpädagogischen
und schulpädagogischen Themen über Cultural Mapping:
Die Filmserie »Fack ju Göhte«, Teile 1-3 (2013, 2015, 2017)
Joachim Bröcher >
Europa-Universität Flensburg
Die »Feuerzangenbowle« 4.0 oder auch der »Club der toten Dichter für
die bildungsfernen Schichten«, wie in der ZEIT geschrieben wurde. Wun-
derbar unterhaltsam, geistreich, erfrischend, witzig, sarkastisch, kritisch,
auch systemkritisch, ideologiekritisch, Tabus, Konventionen und derzeiti-
ge Sprechgebote sprengend, direkt, plastisch, drastisch, tiefsinnig ... Über
die Filmserie »Fack ju Göhte« ist schon viel Anerkennendes gesagt wor-
den, zurecht. Aber ist das wirklich eine »Teenagerkomödie«, wie es über
den ansonsten wohlwollenden Besprechungen in der ZEIT steht? Kaum.
Eher ist es eine Schulkomödie, eine Satire über unser Schulsystem, über
die Gesellschaft als Ganzes, ihre Ideologien und Herausforderungen, von
Bildungsgerechtigkeit über Inklusion bis Hochbegabtenförderung, von
Pisa bis Lehrer_innen-Burnout, eine Zuspitzung und Abrechnung, ein
Durcharbeiten und Neu-Entwerfen. Als Pädagoge, der selbst viele Jahre
im Schuldienst tätig war, als Lehrer, als Konrektor und Schulleiter, kann
ich nur sagen: Ich habe mich beim Ansehen aller drei Teile von »Fack ju
Göhte« köstlich amüsiert. Die Filme haben trotz vieler fiktiver Elemente
Realitätsbezug, sie bringen etliche komplexe, symbolträchtige Szenen
und haben insgesamt viel transformatives Potenzial. Natürlich die Story
ist ein wenig zu sehr zusammengebastelt, dass Zeki Müller, überzeugend
gespielt von Elyas M‘Barek, den Job als Aushilfslehrer an der Goethe-
Gesamtschule eher durch ein Missverständnis bekommt, er wollte sich
auf eine Hausmeisterstelle bewerben, und auch den Job nur annimmt, um
durch nächtliche Grabungen an das unter der Turnhalle lagernde Geld zu
kommen, das seine Partnerin, die Prostituierte Charlie, dort, auf dem Ge-
lände hinter der Schule, damals noch eine Baustelle, nach dem gemeinsa-
men Banküberfall, vergraben hat. Oder die Machenschaften des Schiller-
Gymnasiums und die Jagd nach den Diamanten in Thailand. Irgendwie
gehört das alles nun mal dazu, um die nötige Leichtigkeit und den Drive
bei der ganzen Sache zu erzeugen. Die Methoden des Zufalls-Lehrers
Müller sind überaus rabiat und gerade dadurch brechen sie das ganze Bil-
dungsgetue gehörig auf, das wir seit Jahrzehnten zu sehen bekommen. Da
lösen sich endlich die, durch jahrzehntelanges Nachbeten von pädagogi-
schen Konzepten aufgebauten, Spannungen. Zeki Müller, der delinquent
gewordene charmante Underdog, selbst von der Schule nicht adäquat ge-
fördert, ja verkannt, wird von der Chaosklasse, die er schließlich über-
nimmt, anfangs auch ordentlich rangenommen, doch er zahlt doppelt zu-
rück. Auf die verbalen Provokationen der Jugendlichen setzt er immer
noch eins oben drauf. Hier werden sie alle auf die Schippe genommen:
Lehrer_innen, die sich mit ihren überkommenen Rollen überidentifizie-
ren, die nicht wissen, wie sie auf den gesellschaftlichen Wandel reagieren
sollen, aber auch die bildungsfernen Schichten selbst, die »Harzer« Mili-
eus, die rechtsradikalen Milieus, die kriminellen Milieus, die Rotlichtmi-
lieus, die Jugendwelten mit ihren medialen Orientierungen, ihren Sprach-
mustern von Türk-Deutsch bis Hip Hop. Aber auch die Schulbehörden,
die Maschinerie der Leistungstests, das Konkurrieren zwischen den Schu-
len, die politisch bestellten, ideologisch unterfütterten, pädagogischen
Konzepte, all das wird karikiert. Eine Klassenfahrt muss also in ein
Schwellenland, hier nach Thailand, gehen. Kriterium: Es muss da Proble-
me mit Menschenrechten geben. Das bringt der Schule Punkte, Ansehen
und Geld. Auch muss die Fahrt »inklusiv« sein, also muss mindestens ein
Schüler mit Förderbedarf dabei sein. Der deutsch-türkische Drehbuchau-
tor und Regisseur Bora Dagtekin schreckt hier vor keinem Tabu zurück.
Hier wird nichts mehr mit der nötigen Andacht weihevoll ausbuchsta-
biert. 21 Millionen Zuschauer gingen in die Kinos, um die drei Folgen zu
sehen und ihren Spaß zu haben. Knallbunt das Ganze, viel Rhythmus und
Abwechslung in der Handlung aller drei Teile. Gedreht in München und
in Berlin, teils in Plattenbauvierteln in Neukölln, teils in einer Schwimm-
halle in Schöneberg. Reichlich nervig die Rolle der Lehrerin Schnabel-
stedt, zu weinerlich, zu angepasst, zu sehr »Opfer«, um es im Jugendjar-
gon zu sagen. Pragmatisch, abgebrüht die Schulleiterin, gespielt von
Katja Riemann. Sie beschafft Zeki Müller, der zum Starpädagogen der
Schule und der Kampagne des Ministeriums geworden ist, das fehlende
Abiturzeugnis, kommentiert mit dem Satz: »Wir werden hier den ganzen
Tag verarscht. Jetzt verarschen wir mal zurück«. Eine vielsagende Szene,
als Chantal, gespielt von Jella Haase, die ansonsten »Influencerin« wer-
den will und von Thailand aus ihre Follower auf YouTube mit dem Neu-
esten versorgt, mit ihren silbernen High Heels die Leiter in der Bibliothek
nach oben steigt, jetzt wo die Kids erkannt haben, dass Bücher relevantes
Wissen enthalten, ganz oben, im Fokus der Kamera, Bände von Foucault.
Chantal wird schwindlig. Sie fällt mit dem staubigen und schweren Buch
in der Hand nach hinten. Zum Glück fällt sie Danger, dem männlichen
Enfant Terrible der Klasse, in die Arme. Wer selbst lange Jahre im schu-
lischen Förderschwerpunkt der emotionalen und sozialen Entwicklung
gearbeitet hat, wird Danger und die anderen Jugendlichen allerdings eher
niedlich finden. Sehr schnell schwenken sie um, nach anfänglicher Re-
bellion, in Anbetracht der raubeinig verpackten Beziehungs– und Bin-
dungspädagogik von Zeki Müller. Sie werden schnell anhänglich, auch
wenn es noch mal ein paar Vertrauenskrisen und Verhaltensrückschritte
bei dem Ganzen gibt. So heldenhaft das ja alles ist, auch die Kids aus
den dargestellten Milieus zum Abitur zu bringen, dadurch dass man als
Lehrer an sie glaubt, all diese Bildungsträume aus den 1970er Jahren,
aber muss wirklich jeder mit pädagogisch-didaktischen Kopfständen von
Lehrerseite zum Abitur gebracht werden, um dann mit einer 4,0 oder 3,7
in welche Zukunft zu starten? Im Massenbetrieb staatlicher Universitäten
kann das sicherlich noch nicht in der Art fortgesetzt werden. Oder bald
doch? Und wie weit kommt so ein quereinsteigender Lehrer im Schul-
system wirklich, ohne soziologische, philosophische Reflexionshinter-
gründe und ohne didaktische und systematische Fachkenntnisse? Letzt-
lich sind das aber die falschen Fragen an diese Film-Reihe. Gegen Jo-
hann Wolfang von Goethe und die von ihm verkörperten Bildungsideale,
geht das hier alles aber keineswegs. Ganz im Gegenteil. Die Filme füh-
ren eher neu zu Goethe hin, machen ihn neu lebendig, aber wir müssen
die Erarbeitung der traditionellen Bildungsinhalte jetzt eben ein wenig
anders kommunikativ und didaktisch einrahmen. Das Ganze muss eben
zeitgemäß übersetzt und neu verknüpft werden. »Fack ju Göthe 1-3«, das
ist im Grunde ein großer Bildungsroman, aber schelmisch, subversiv,
und darum geistreicher und lebensnäher als die allermeisten erziehungs-
wissenschaftlichen Diskurse. Das Beste an dem Film ist, dass das ganze
verknöcherte Konzeptzeug, das über den auf Chancengleichheit und In-
klusion getrimmten staatlichen Schulen aufgetürmt worden ist, so richtig
schön durchgeschüttelt und aufgemischt wird. Zeki sei für die Schüler_
innen sowas wie »ein Arsch mit Herz«, meint Charlie, die Freundin aus
dem Rotlichtmilieu. Sollen wir diese Filmserie nun in der Lehrer_innen-
bildung an Universitäten thematisieren? Ja unbedingt, denn das schafft
Gesprächsanlässe, beschleunigt Reflexion, bringt Viel in Bewegung. An
der Universität Köln, so ist in einem der genannten ZEIT-Artikel (Seifert
2015) zu lesen, haben die Filme schon Eingang in die Seminare gefun-
den, in der Pädagogischen Psychologie (E. Aschermann et al.). Da wer-
den die Filme nun in Szenen zerlegt und dann Querverbindungen etwa
zur, bis zum Überdruss zitierten, Hattie-Studie hergestellt, zum Beispiel
bezüglich des »Lehrer-Schüler-Verhältnisses« oder der »aktiven Lern-
zeit«. Auch wird festgestellt, dass es optimal sei, den motivierenden Stil
von Zeki Müller mit der planenden Systematik der Lehrerin Schnabel-
stedt zu verbinden. Dabei wird so getan, als handle es sich bei den Dreh-
büchern um ein Fallmaterial aus der schulischen Praxis. Doch die Filme
sind Kunstwerke und wollen mit Sicherheit keine Anleitung für die schu-
lische Praxis sein. Natürlich können wir nicht mit Gewehren mit kleinen
Farbbeuteln auf unterrichtsverweigernde Schüler zielen. Natürlich kön-
nen wir ihnen keine Chips unter die Haut schießen, um ab sofort ihren
Aufenthaltsort zu bestimmen und sie vom Stehlen von Lippenstiften in
Drogerien abzuhalten und sie hinten ans Auto binden und zur Schule
schleifen. Das sind symbolhafte Filmbilder. Das hochschuldidaktische
Aufgreifen muss folglich ein wenig anders geschehen als in Köln, mehr
in übergeordneten Zusammenhängen. Die Filme müssen dabei als Kunst-
werke gesehen werden. Es müssen sich jetzt auch nicht Lehrer_innen be-
mühen darzulegen, wie im Magazin Spiegel geschehen, dass sie aber viel
mehr Zeit für die Vor– und Nachbereitung des Unterrichts am Schreib-
tisch verbringen, als das bei Zeki Müller sichtbar wird. Irgendwas wurde
hier falsch verstanden, Kunst und Realität sollen zwar aufeinander bezo-
gen werden, aber nicht im 1:1 Abgleich. Kunstwerke wie diese Filme
wollen Impulse geben, zum Nachdenken anregen, verfestigte Wahrneh-
mungs– und Denkmuster, natürlich auch Handlungsmuster, irritieren und
nebenher auch noch unterhalten. Als nächstes brauchen wir sowas über
die Universität, Titelvorschlag: »Humbollt ju bitsch«.
Haas, D. (2017). Wie der Faust aufs Auge. Laut, schrill und schlau: »Fack ju Göhte 3« mischt die Bildungsdebatte auf,
dass es wehtut. Die ZEIT Nr. 44, 25.10.2017, Link
Lühmann, H. (2014). Voll frontal ins Klischee gehauen: »Fack ju Göhte« erklärt, FAZ 23.1.2014, Link
Seifert, L. (2015). »Chantal, du bist hochbegabt!« Die Teenagerkomödie »Fack ju Göhte 2« läuft derzeit in den Kinos.
Der erste Teil wird inzwischen in der Lehrerausbildung eingesetzt. Lernt man da was? Die ZEIT Nr. 36, 3.9.2015, Link
Uslar, M. von (2013). »Geisterkranker!« Die Teenagerkomödie »Fack ju Göhte« ist der erfolgreichste deutsche Film des
Jahres. Eine Sprachkritik. Die ZEIT Nr. 50, 5.12.2013, Link