Thematisierungsweisen von Geschlecht und Geschlechterfragen bei Studierenden der Erziehungswissenschaft. Dabei geraten zum einen die akademische Sozialisation und zum anderen gesellschaftliche Transformationsprozesse und Diskurse in den Blick. Auch wenn davon auszugehen ist, dass das Studium für die Studierenden einen „konjunktiven Erfahrungsraum“ (Bohnsack 2006: 280f.; Mannheim 1980) darstellt,
... [Show full abstract] bleibt die Frage offen, inwieweit dieser den sozialisatorischen Horizont für das Reden über Geschlecht bildet und inwiefern er gleichzeitig von gesellschaftlichen Transformationen und Modernisierungsprozessen überlagert wird. Diese Überlegungen basieren auf einer empirischen Studie zu den Fragen, wie Studierende der Erziehungswissenschaft Geschlecht thematisieren und wie diese Thematisierungen durch gemeinsame Erfahrungen im Studium und durch gesellschaftliche Geschlechterdiskurse geprägt sind. Als Referenzrahmen für die Analyse der sprachlichen Artikulationen der
Studierenden fungieren Überlegungen zu rhetorischen modernisierungsprozessen (Wetterer 2003) und zu einem neuen neoliberalen Geschlechtervertrag (McRobbie 2010). Angelika Wetterer merkt hinsichtlich der Fragen nach der Modernisierung und der Relevanz des Geschlechterverhältnisses in der heutigen westlichen Gesellschaft an, dass die gegenwärtige Situation vor allem durch Widersprüche, Brüche und Ungleichzeitigkeiten gekennzeichnet sei
(vgl. 2003: 288). Sie beschreibt ein Nebeneinander von Gleichheit und Ungleichheit und die Diskrepanz zwischen den Überzeugungen und dem Handeln der Individuen. Angela McRobbie (2010) konstatiert, dass junge Frauen heute mit „neuen Gender-Diskursen“ konfrontiert seien und ihnen ein „neuer Geschlechtervertrag“ angeboten werde.
Im Folgenden wird als Einstieg die im Zentrum stehende qualitativ-rekonstruktive Analyse studentischer Gruppendiskussionen dargestellt (Kapitel 2), auf deren Basis vier Thematisierungsweisen von Geschlecht und Geschlechterfragen (3.1 Numerische Feminisierung des Studiums, 3.2 Geschlecht als curriculares Querschnittsthema, 3.3 Geschlechtergerechte Sprache, 3.4 Gleichberechtigung und Emanzipation) rekonstruierbar sind. Hierbei wird die Frage diskutiert, inwiefern neben dem Studium auch gesellschaftliche ransformations-
und Modernisierungsprozesse als wichtiger konjunktiver Erfahrungsraum fungieren. In der anschließenden Verknüpfung mit den theoretischen Referenzpunkten (Kapitel 4) lässt sich nachzeichnen, dass bei der studentischen Auseinandersetzung mit Geschlecht und Geschlechterfragen auf den von Angela McRobbie konstatierten „neuen Geschlechtervertrag“ (2010) sowie die „rhetorische Modernisierung“ (Wetterer 2003) Bezug genommen wird und diese als Orientierungsrahmen rekonstruiert werden. Auch wenn mit diesem Beitrag weder klassische Sozialisationsfragen, wie z.B. die Genese von Identität (Maihofer 2002), noch Fragen nach Geschlechtsgebundener Sozialisation (Dausien 1996), fokussiert werden, ist es Ziel dieses Artikels, die Sozialisationsdebatte auf Basis der empirischen Befunde weiter anzuregen und die Frage zu diskutieren, welche Herausforderungen sich daraus für diese Debatte ergeben (Kapitel 5).