Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser? Eine Analyse der Ressourcen und Anforderungen bei Vertrauensarbeitszeit
Abstract
Die Vor- und Nachteile von Vertrauensarbeitszeit werden sehr kontrovers
diskutiert. Vertrauensarbeitszeit bietet den Beschäftigten eine hoch ausgeprägte
Autonomie bezüglich der Arbeitszeitgestaltung. Gleichzeitig
verlangt sie ihnen in Bezug auf die eigenständige Planung und Steuerung
der Arbeit einiges ab; die Verantwortung für den Arbeitsprozess und
die Arbeitsergebnisse ist erhöht. Es bestehe die Gefahr der unbezahlten
Mehrarbeit und selbstausbeutenden Verhaltens, so die Kritiker. Unter
dem Schlagwort Vertrauensarbeitszeit finden sich in der Unternehmenspraxis
jedoch sehr unterschiedliche Formen und Ausprägungen. Es
lohnt sich daher, einen differenzierten Blick auf Rahmenbedingungen
der Vertrauensarbeitszeit zu werfen: Welche Rolle spielen etwa Kollegen,
Führungskräfte und die Gestaltung von Grenzen zwischen Beruf und
Privatleben?
Soziologische Perspektiven werden mit arbeitspsychologischen Konzepten
und Theorien verknüpft, um in theoriegeleiteten Auswertungen
die empirische Evidenz zu unterschiedlichen Effekten der Vertrauensarbeitszeit
zu erweitern. Im Fokus steht dabei die Aufrechterhaltung
und Förderung der Gesundheit von Beschäftigten und damit auch ihre
Leistungsfähigkeit im Unternehmen. Auswertungen in einer repräsentativen
Panel-Befragung sowie einer Beschäftigtenbefragung weisen
sowohl auf Chancen als auch auf Risiken von Vertrauensarbeitszeit
hin. Für Praktiker, die im eigenen Unternehmen Vertrauensarbeitszeit
einführen möchten oder bereits eingeführt haben, werden Gestaltungsempfehlungen
hinsichtlich einer gesundheitsförderlichen Gestaltung
von Vertrauensarbeitszeit gegeben.
In der Schweizer Finanzdienstleistungsbranche können Beschäftigte unter bestimmten Bedingungen auf die Arbeitszeiterfassung verzichten. Eine qualitative Untersuchung mit 24 Interviews analysierte, ob und in welcher Form sich systematische Unterschiede in der Selbstregulation und den Arbeitsbedingungen beim Verzicht auf Zeiterfassung zeigen. Drei Konstellationen wurden identifiziert, von denen zwei den theoretischen Vorannahmen entsprachen: In einer Risikokonstellation dominierten ausgeprägte Stressoren, die eine negative Qualität der ergebnisorientierten Leistungssteuerung kennzeichneten und mit selbstgefährdendem Verhalten einhergingen. In einer Ressourcenkonstellation zeigte sich mehr Selbstsorge, verbunden mit günstigen Arbeitsbedingungen.
Die Ergebnisse legen nahe, dass der Verzicht auf Zeiterfassung als Verstärker betrachtet werden kann, der je nach Arbeitsbedingungen selbstgefährdendes oder selbstsorgendes Verhalten (mit entsprechenden Wirkungen auf die Gesundheit) begünstigt.
Between self-care and self-endangering work behavior: A qualitative study on potential effects of not recording working hours in the Swiss financial services sector
Abstract:
In the Swiss financial services sector, employees can waive the recording of working hours under certain conditions. A qualitative study with 24 interviews analyzed systematic differences in self-regulation and working conditions when not recording working hours. Three constellations were identified, two of which corresponded to the theoretical assumptions: In a risk constellation, pronounced stressors dominated, which characterized a negative quality of result-oriented performance management and were accompanied by self-endangering behavior. In a resource constellation, there was more self-care, combined with favorable working conditions. The results suggest that not recording working hours can be seen as an amplifier that, depending on the working conditions, favors self-endangering or self-caring behavior (with corresponding effects on health).
A qualitative study by the School of Applied Psychology FHNW on the health consequences of waiving working time recording in banks yields interesting results: depending on the quality of the working conditions, waiving working time recording has either a positive or negative reinforcing effect.
Une étude qualitative de la Haute école spécialisée du Nord-Ouest de la Suisse à Olten sur les conséquences pour la santé du renoncement à l'enregistrement du temps de travail dans les banques donne des résultats intéressants : Selon la qualité des conditions de travail, cette renonciation a un effet renforçateur positif – ou négatif.
Risultati interessanti sono emersi da uno studio qualitativo condotto dalla Scuola universitaria professionale di psicologia applicata di Olten sulle conseguenze della rinuncia alla registrazione del tempo di lavoro nelle banche: in base alla qualità delle condizioni di lavoro tale rinuncia ha un’azione di amplificazione positiva o negativa.
Eine qualitative Studie der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW zu den gesundheitlichen Folgen des Verzichts auf Arbeitszeiterfassung in Banken ergibt interessante Resultate: Je nach Qualität der Arbeitsbedingungen hat dieser Verzicht eine positive - oder aber eine negative Verstärkerwirkung.
Die vorliegende Studie untersucht die Rolle von Arbeitszeitautonomie und Leader-Member-Exchange in der Vertrauensarbeitszeit. Sie stellt die Frage, ob diese beiden als Ressourcen den Effekt von hohen Arbeitsanforderungen und Selbstorganisation auf Beanspruchung moderieren können. Anhand einer Stichprobe von in Vertrauensarbeitszeit Tätigen wurde in Strukturgleichungsmodellen überprüft, ob gemäß des Job Demands-Resources Modells (JD-R) diese Ressourcen in den Stressentstehungsprozess eingreifen. Die Ergebnisse zeigen, dass Leader-Member-Exchange, also eine vertrauensvolle Beziehung zur Führungskraft, die Anforderungen innerhalb der Vertrauensarbeitszeit bewältigen helfen kann. Dies bezieht sich sowohl auf hohe Arbeitsanforderungen als auch auf Anforderungen, die sich auf die Eigeninitiative der Mitarbeiter beziehen. Arbeitszeitautonomie kann hier nicht als Moderator wirken, sie mildert lediglich die Arbeitszufriedenheit mindernde Effekte von hohen Arbeitsanforderungen ab. Arbeitszeitautonomie und Leader-Member-Exchange können also als wichtige Ressourcen innerhalb der Vertrauensarbeitszeit gelten. Die Rolle der Arbeitszeitautonomie sollte jedoch nicht überschätzt werden.
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