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Grünes Wirtschaftswachstum, Stagnation, Schrumpfung? Hauptsache absolute Reduktion des Umweltverbrauchs!

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Angesichts bestehender Unsicherheiten zur Entkoppelbarkeit von Wirtschaftswachstum und Umweltverbrauch ist eine „vorsorgende Postwachstumsposition“ unterstützenswert. Befürworter/innen und Kritiker/innen von Wachstum sollten stärker auf Maßnahmen dringen, die eine absolute Reduktion des Umweltverbrauchs sicherstellen. Full text: https://www.oekologisches-wirtschaften.de/index.php/oew/article/view/1688
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Z ur Frage, inwieweit Wirtschaftswachstum und ernsthaf-
ter Umweltschutz vereinbar sind, gibt es in weiten Teilen
der wissenschaftlichen wie auch politisch engagierten Umwelt-
szene eine starke Polarisierung zwischen Vertreter/innen von
Postwachstums- und Degrowth-Konzepten (z.
B. Paech 2012)
und solchen von Green-Economy- und Green-Growth-Konzep-
ten (z.
B. Fücks 2013). Wieder andere Akteure vermeiden eine
Positionierung zum Wachstumsthema („Agnostiker“)– nicht
ganz zu Unrecht, denn weder theoretisch noch empirisch ba-
siert lassen sich gesicherte Aussagen zum Verhältnis von Wirt-
schaftswachstum und Umweltverbrauch in der Zukunft treffen.
Ich möchte hierbei die kürzlich auch in dieser Zeitschrift
vorgestellte Arbeit der Kolleg/innen von IÖW, RWI und Wup-
pertal-Institut aufgreifen, in der sie quasi „lagerübergreifend“
und überzeugend für eine „vorsorgende Postwachstumspo-
sition“ argumentieren (Petschow etal. 2018, Petschow 2019).
Während dort das gemeinsame Interesse an einer präventiven
Reduktion der gesellschaftlichen Wachstumsabhängigkeit im
Mittelpunkt steht, möchte ich hier argumentieren, dass sich
beide Seiten auch auf Gemeinsamkeiten bezüglich ambitio-
nierter umweltpolitischer Ziele und Maßnahmen besinnen
müssen– und zwar mit einem klaren Fokus auf die absolute
Reduktion des Umweltverbrauchs. [1]
Gemeinsamer ökologischer Zielhorizont–
unterschiedliche Lösungsprämissen
Beiden Seiten der Wachstumsdebatte ist grundsätzlich das
Ziel gemein, die biologische Leistungs- und Regenerationsfä-
higkeit der Erde (WWF 2016) nicht dauerhaft zu überschreiten
beziehungsweise die „planetaren Grenzen“ einzuhalten (Rock-
ström etal. 2009, Steffen etal. 2015). Beiden Seiten ist dabei
auch das Ausmaß der Herausforderung klar. Wenn man aus
ethischen Gründen einen weltweit ausgeglichenen Umweltver-
brauch anstrebt, dann sind vor allem die Industrieländer gefor-
dert, ihren Verbrauch zu reduzieren, da sie pro Kopf viel mehr
Ressourcen in Anspruch nehmen als andere Länder (WWF
2016). Für Industrieländer werden im Hinblick auf Treibhaus-
gasemissionen, aber auch auf viele Ressourcenverbräuche üb-
licherweise Reduktionsraten von 80 bis 95 % gegenüber 1990
oder Anfang des 21.
Jahrhunderts gefordert, um auf ein global
nachhaltiges Niveau zu gelangen.
So gelten beispielsweise rund ein bis zwei Tonnen CO2-Äqui-
valente (CO2 e) pro Kopf und Jahr im Durchschnitt bis 2050
als klimaverträglich. In Deutschland lagen die produzierten
Pro-Kopf-Emissionen zuletzt aber bei 11,8Tonnen CO2 e pro
Jahr (BMUB 2015). Die Ausgangslage verschärft sich noch bei
einer konsumseitigen Berechnung, also der Emissionen, die
mit den (auch im Ausland hergestellten) konsumierten Gütern
verbunden sind– hier liegen die Werte für die meisten Indus-
trieländer höher (Steininger etal. 2015).
Wir brauchen in jedem Fall eine erhebliche absolute Reduk-
tion des Ressourcenverbrauchs und der Emissionen. Dies er-
kennen auch beide Seiten der ökologisch orientierten Wachs-
tumsdebatte an.
Vertreter/innen von Green Economy und Green Growth set-
zen dabei auf Effizienzgewinne und neue umweltverträgliche
Technologien. Sie argumentieren, dass sich Umweltverbrauch
und volkswirtschaftliches Wachstum, üblicherweise gemessen
am Bruttoinlandsprodukt (BIP), entkoppeln lassen (IRP 2011;
OECD 2011 a). Ressourcenschonende Technologien, produkt-
ersetzende oder personalintensive Dienstleistungen und de-
ren höhere monetäre Bewertung könnten für „grünes Wachs-
tum“ sorgen.
Die Vertreter/innen von Postwachstum und Degrowth ent-
gegnen dem, dass höchstens eine relative Entkopplung mög-
lich sei, also der Umweltverbrauch nur langsamer wächst
als das BIP (somit pro BIP-Einheit sinkt). Die für eine abso-
lute Reduktion des Umweltverbrauchs erforderliche absolute
Entkopplung von steigendem Wirtschaftswachstum sei dage-
gen nicht möglich. Effizienzgewinne würden durch diverse
Rebound- und induzierte Wachstumseffekte gemindert und
auch „grüne Technologien“ seien nicht zu „ökologischen Null-
kosten“ zu haben (Santarius 2015). Zudem kämen diese oft ad-
ditiv zu bestehenden hinzu, statt sie zu ersetzen (Paech 2012).
Aus dieser Perspektive ist eine Abkehr vom Wirtschaftswachs-
tum (in Industrieländern) notwendig. Dafür wird primär auf
die Strategien Suffizienz (die Reduktion bzw. erhebliche Verän-
derung von Konsum) und Subsistenz (lokale Eigenversorgung)
gesetzt.
Grünes Wirtschaftswachstum, Stagnation, Schrumpfung?
Hauptsache absolute Reduktion
des Umweltverbrauchs!
Angesichts bestehender Unsicherheiten zur
Entkoppelbarkeit von Wirtschaftswachstum und
Umweltverbrauch ist eine „vorsorgende Post-
wachstumsposition“ unterstützenswert. Befür-
worter/innen und Kritiker/innen von Wachs-
tum sollten stärker auf Maßnahmen dringen,
die eine absolute Reduktion des Umwelt-
verbrauchs sicherstellen. Von Dirk Arne Heyen
 ÖkologischesWirtschaften . ()
NEUE KONZEPTE
DOI ./OEW 
ÖkologischesWirtschaften .
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©  D. A. Heyen; licensee IÖW and o ekomverlag. This is an ar ticle distributed
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Keine eindeutige Beweislage zur Stimmigkeit
der Prämissen
Die eher theoretische, wirtschaftswissenschaftliche Litera-
tur zu Annahmen und Behauptungen in der Wachstumsde-
batte haben bereits Petschow etal. (2018) kritisch reflektiert.
Im Folgenden beschränke ich mich auf einen kurzen Abriss
der empirischen Evidenz, insbesondere zur absoluten Entkop-
pelbarkeit, unter anderem mit einigen bei Petschow etal. nicht
enthaltenen Zahlen und Befunden.
Der Blick in die Geschichte, insbesondere seit der Indust-
rialisierung, zeigt, dass Wirtschaftswachstum und Umweltver-
brauch tatsächlich lange stark korrelierten– also die meiste
Zeit gemeinsam anstiegen und während ökonomischer Krisen
zurückgingen (Petschow etal. 2018; Sommer 2013).
Seit einiger Zeit findet global immerhin– aber immer noch
unzureichend – eine relative Entkopplung statt. Treibhaus-
gasemissionen und Ressourcenverbrauch stiegen also– mit
Ausnahme einiger Roh- und Baustoffe (Jackson 2017) – we-
niger stark als das Sozialprodukt, insbesondere auch in den
Industrieländern (OECD 2011 b). Dies gilt verstärkt bei einer
Pro-Kopf-Betrachtung, also unter Vernachlässigung des Bevöl-
kerungswachstums. In den Jahren 2014 und 2015 blieben die
globalen (energiebedingten) CO2-Emissionen trotz Wirtschafts-
und Bevölkerungswachstums sogar auch in absoluten Zahlen
in etwa konstant (IEA 2016), stiegen zuletzt aber wieder an.
In einigen Ländern zeigen einige Indikatoren sogar eine ab-
solute Entkopplung an, etwa im Hinblick auf Luftschadstoffe
(Binswanger et al. 2005) sowie inländische Treibhausgasemis-
sionen. Laut World Resources Institute haben insgesamt 21 Län-
der (Aden 2016; Abbildung1) beziehungsweise in einer umfas-
senderen Betrachtung von Carbon Brief sogar 35 Länder (Yeo/
Evans et al. 2016) zwischen 2000 und 2014 ihre nationalen
CO2-Emissionen gesenkt, bei steigendem BIP. Die CO2-Emis-
sionen in Großbritannien erreichten 2016 durch eine deutliche
Reduktion der Kohleverbrennung sogar den niedrigsten Stand
seit Ende des 19.
Jahrhunderts (Evans 2017).
Auch im Ressourcenbereich gibt es Tendenzen absoluter
Entkopplung. Unter den G7/G8-Staaten gab es zwischen 1980
und 2008 trotz Wirtschaftswachstums eine absolute Reduktion
des Materialverbrauchs in Deutschland, Italien, Japan und Ka-
nada und immerhin einen stagnierenden Materialverbrauch
in Frankreich und Großbritannien (OECD 2011 b). In Deutsch-
land sank der Einsatz von abiotischem Primärmaterial konkret
um rund 15 % zwischen 1994 und 2015 (UBA 2018).
Postwachstums-Vertreter/innen weisen darauf hin, dass
diese Zahlen aus Industrieländern nur aufgrund der Verlage-
rung von emissions- und ressourcenintensiven Produktions-
prozessen ins Ausland zustande kommen und somit beschö-
nigen (Jackson 2017; Santarius 2015; Sommer 2013).
Doch auch hier gibt es gegenteilige statistische Befunde. So
haben Yeo und Evans (2016) ebenso die konsumseitigen Treib-
hausgasemissionen betrachtet und festgestellt, dass zwar bei
einem Drittel der oben erwähnten 35 Länder tatsächlich nur
die produktionsseitigen Emissionen gesunken sind; bei zwei
Dritteln der Länder– einschließlich Deutschland, Frankreich,
Großbritannien und USA– aber eben auch die konsumseiti-
gen Emissionen, wenngleich in der Regel weniger stark.
Was wiederum den Ressourcenverbrauch betrifft, so sank
im deutschen Fall die inländische Entnahme, während die di-
rekte Einfuhr sowohl von abiotischen Rohstoffen als auch von
Halb- und Fertigwaren („indirekte Importe“) anstieg. Doch so-
gar unter Berücksichtigung der indirekten Importe ging der
Rohstoffverbrauch zurück, wenngleich in deutlich geringerem
Ausmaß (UBA 2018; Abbildung2). Zwischenzeitlich war der
entsprechende Wert stärker gestiegen als das BIP.
So kann man einerseits festhalten, dass es entgegen der üb-
lichen Postwachstumsposition sehr wohl Tendenzen absolu-
ter Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Umweltver-
brauch gibt, insbesondere bei Treibhausgasemissionen. Man
Abbildung: Zwischen den Jahren  und  haben mehr als  Länder
beim gleich zeitigen Wachstum ihrer Volkswirtschaften ihre Treibhausgas-
emissionen reduziert. (Quelle: Nate Aden 2016, wri.org)
ÖkologischesWirtschaften . ()
NEUE KONZEPTE
muss jedoch ebenso festhalten, dass diese Trends in Ausmaß
und Geschwindigkeit bisher bei Weitem nicht ausreichen
auch nicht in umweltpolitisch halbwegs ambitionierten Staa-
ten wie Deutschland. Dies gilt bereits im Hinblick auf einige
offizielle Nachhaltigkeitsziele der Bundesregierung, etwa zu
Rohstoffproduktivität und Flächenverbrauch. Noch anspruchs-
voller erscheint die Lage, wenn man statt offizieller Ziele glo-
bal gerechte Pro-Kopf-Werte und entsprechende Reduktions-
ziele von 80 bis 95 % beim Ressourcenverbrauch zugrunde legt.
Bisherige Fortschritte machen also eher skeptisch im Hin-
blick auf eine ausreichende absolute Entkopplung in der Zu-
kunft, zumal in der benötigten Geschwindigkeit– sie ist je-
doch auch nicht auszuschließen. Auch aus der eher theoreti-
schen wirtschaftswissenschaftlichen Literatur lässt sich keine
sichere Prognose ableiten (Petschow etal. 2018). Ob eine öko-
logisch hinreichende Schrumpfung ressourcen- und emissi-
onsintensiver Prozesse durch Wachstum und höhere mone-
täre Bewertung ressourcenleichter Bereiche in der Summe, also
volkswirtschaftlich ausgeglichen werden könnte, ist eine offene
und wohl nur empirisch in der Zukunft zu beantwortende Frage.
Angesichts der gewaltigen gesellschaftlichen Herausforde-
rungen, die volkswirtschaftliche Schrumpfungsprozesse mit
sich bringen könnten, etwa im Hinblick auf die Sozialversi-
cherungssysteme (Seidl/Zahrnt 2010; Petschow etal. 2018),
sollte man mit normativen Forderungen nach Wachstumsrück-
nahme vorsichtig sein. So wie Wirtschaftswachstum sollte auch
Schrumpfung oder Stagnation des BIP kein Ziel als solches
sein, sondern nur eine mögliche Folge der Einhaltung plane-
tarer Grenzen.
Stärkere Fokussierung auf Gemeinsamkeiten
Die beiden „Lager“ in der ökologisch orientierten Wachs-
tumsdebatte brauchen ihre Positionen und Argumente keines-
wegs zu unterdrücken, sondern sollen, insbesondere vor dem
Hintergrund künftiger Entwicklungen und Evidenzen in Sa-
chen Entkopplung, weiter fundiert streiten. Sie sollten dabei
jedoch die aktuell bestehenden Grenzen der Belastbarkeit ih-
rer Positionen anerkennen.
Zudem sollten sie stärker ihre Gemeinsamkeiten heraus-
arbeiten und diese gegenüber denjenigen vertreten, die in ei-
nem ökologisch unsensiblen Wachstumsglauben verharren.
Zu den Gemeinsamkeiten gehört bereits jetzt weitgehend, dass
das BIP (pro Kopf ) aus vielerlei Gründen ein unzulänglicher
Indikator für gesellschaftliches Wohlergehen ist (Seidl/Zahrnt
2010; Petschow etal. 2018).
Es erscheint zudem „lagerübergreifend“ sinnvoll, sich mit
Postwachstumsszenarien zu beschäftigen– und der Frage, wie
unsere Gesellschaft unabhängiger vom Wirtschaftswachstum
werden kann, ohne das gesellschaftliche Wohlergehen wesent-
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Rohstoproduktivität (abiotisch) Bruttoinlandsprodukt (preisbereinigt)
Rohstoentnahme und Importe (abiotischer Direkter Materialeinsatz) Rohstoentnahme und direkte und indirekte Importe**
Quelle Rohstoffentnahme und Importe: eigene Berechnung auf Basis Statistisches Bundesamt , Umweltnutzung
und Wirtschaft, Tabellen zu den Umweltökonomischen Gesamtrechnungen , Teil , Tabellen . und .;
Quelle Indirekte Rohstoffnutzung: Statistisches Bundesamt , Aufkommen und Verwendung in Rohstoäquivalenten,
Lange Reihen  bis , Tabelle 
* Werte ,  und  teilweise vorläufig
Ziel:

** Kurve der Kennzahl beginnt im Jahr  bei Wert ,
(Wert der Kennzahl „Rohstoentnahme und Importe“ im Jahr );
für  bis  liegen keine Werte für indirekte Importe vor
Abbildung: Rohstoffentnahme und Importe im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt
* (Quelle: UBA 2018)
 ÖkologischesWirtschaften . ()
NEUE KONZEPTE
lich zu beeinträchtigen. Dies ist sowohl sinnvoll für den Fall,
dass Maßnahmen zur Einhaltung planetarer Grenzen tatsäch-
lich zu einer volkswirtschaftlichen Schrumpfung führen soll-
ten. Weniger Wachstumsabhängigkeit würde auch den „Wachs-
tumsvorbehalt“ abschwächen, auf den ambitionierte umwelt-
politische Vorschläge heutzutage oft treffen. Es ist darüber
hinaus aber auch aus sozioökonomischen Gründen sinnvoll–
und zwar in Anbetracht künftig womöglich zunehmender
Wachstumsdämpfer durch weltwirtschaftliche Verschiebungen
oder auch von Sättigungseffekten in Industrie- und Schwellen-
ländern. Schon heute wird wirtschaftliches Wachstum schließ-
lich vielfach durch staatliche Konjunkturprogramme und Nied-
rigzinspolitik „künstlich“ stimuliert.
Die diese Überlegungen bereits beinhaltende „vorsorgeori-
entierte Postwachstumsposition“ (Petschow etal. 2018) ist so-
mit sehr zu unterstützen.
Während in der entsprechenden Studie der Fokus der poli-
tischen Schlussfolgerungen schließlich vor allem auf Maßnah-
men zur Reduzierung der Wachstumsabhängigkeit liegt, fal-
len die umweltpolitischen Schlussfolgerungen eher dünn und
einseitig aus. Zwecks Internalisierung externer Kosten wird
die Bedeutung ökonomischer Politikinstrumente als Gemein-
samkeit betont, obwohl diese in der Postwachstumsszene häu-
fig kritisch gesehen werden. Anscheinend war im heteroge-
nen Projektteam kein Konsens über nicht marktbasierte In-
strumente erzielbar, wie in einer Fußnote angedeutet wird.
Vor dem Hintergrund der zentral gestellten Entkopplungs-
frage und der auch von der Green-Economy-Seite angestrebten
Einhaltung planetarer Grenzen müsste die wesentliche um-
weltpolitische Schlussfolgerung meines Erachtens eine an-
dere, unabhängig von Instrumententypen sein– nämlich ein
gemeinsamer Fokus auf solche Maßnahmen, die insbesondere
in Industrieländern dezidiert auf eine absolute Reduktion des
Umweltverbrauchs auf ein nachhaltiges, global gerechtes Ni-
veau abzielen. Selbstverständlich gehören hierzu auch ökono-
mische Politikinstrumente, aber nicht nur. Denn neben ökono-
mischer Effizienz sind auch andere Kriterien zur Bewertung
und Auswahl von Politikinstrumenten wichtig, insbesondere
die Effektivität in der Zielerreichung (unter Berücksichtigung
von Reboundeffekten), aber auch sozioökonomische Vertei-
lungswirkungen und andere Gerechtigkeitserwägungen.
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit können folgende, sich
teilweise überschneidende Elemente zu einem Maßnahmenpa-
ket für eine absolute Reduktion des Umweltverbrauchs zählen:
] absolute Reduktionsziele zum Umweltverbrauch statt (nur)
Effizienz- und Produktivitätsziele,
] Zertifikate-Instrumente, wie der EU-Emissionshandel, mit
einem absoluten und über die Zeit ökologisch hinreichend
sinkenden „Deckel“ (cap) an zu verteilenden Emissions-
oder Ressourcennutzungsrechten,
] vollständige „Exnovation“ besonders schädlicher Technolo-
gien und Produkte, im Sinne einer besseren Ziel- und Pla-
nungssicherheit auch ordnungsrechtlich vollzogen (Heyen
2016; 2017),
] Maßnahmen speziell zur Eindämmung unternehmerischer
und gesamtwirtschaftlicher Reboundeffekte in Folge von Ef-
fizienzgewinnen durch eben genannte sinkende caps oder
aber durch regelmäßig steigende Energie- oder sonstige
Ökosteuern, die in dem Umfang der zuletzt erzielten ge-
samtwirtschaftlichen Effizienzgewinne angehoben werden
könnten (Weizsäcker etal. 2010),
] suffizienzpolitische Maßnahmen zur Reduktion umwelt-
schädlichen Konsums und zur Eindämmung produkt- und
verhaltensbezogener Reboundeffekte– zum Beispiel (pro-
gressive) Ökosteuern mit verstärkter Lenkungswirkung,
Produktstandards mit absoluten Verbrauchsobergrenzen,
Produktkennzeichnungen mit Fokus auf den absoluten Ver-
brauch statt auf größenabhängige Effizienz und punktuell
auch Verbote (Fischer et al. 2016; Heyen etal. 2013; Schnei-
dewind etal. 2013),
] Anerkennung und Unterstützung für zivilgesellschaftliche
und unternehmerische („Postwachstums“-)Initiativen, die
alternative, ressourcenschonende Wirtschafts- und Lebens-
formen entwickeln und ausprobieren.
Womöglich müssen manche Vertreter/innen grünen Wirt-
schaftens sich überwinden, einige dieser Maßnahmen zu ver-
treten. Doch zu einer „vorsorgeorientierten“ Position gehört
auch anzuerkennen, dass eine überwiegend auf Effizienz und
Förderung neuer Technologien fokussierte Politik, oftmals mit-
hilfe von Anreizen und besserer Informationsbereitstellung,
bei den meisten Umweltproblemen bislang nicht auf einen
ausreichenden Reduktionspfad geführt haben.
Anmerkungen
[] Der Text basiert auf einer Literaturanalyse, die der Autor  bis 
am Öko-Institut durchgeführt und nun vor dem Hintergrund der
Ver öffentlichungen zur „vorsorgeorientierten Postwachstumsposition“
wieder aufgegriffen hat. Die Schlussfolgerungen stellen die persönliche
Position des Autors dar.
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„Beide Seiten der Wachstums -
debatte sollten gemeinsam
auf Maßnahmen dringen,
die eine absolute Reduktion des
Umweltverbrauchs sicherstellen.“
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Dirk Arne Heyen ist Senior Researcher im Bereich
Umweltrecht
&
Governance am Öko-Institut
(Büro Berlin) mit Schwerpunkt auf der Rolle von Politik
in gesellschaftlichen Transformationsprozessen.
Öko-Institut e.
V., Schicklerstr.
–,  Berlin.
Tel.: +-, E-Mail: d.heyen@oeko.de,
Website: https://www.oeko.de/
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NEUE KONZEPTE
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Welche Argumente und Positionen spielen in dem Diskurs zu Wirtschaftswachstum und Umwelt eine Rolle? Der folgende Beitrag stellt Ergebnisse aus der aktuellen Studie des Umweltbundesamtes zum Thema vor und skizziert den Ansatz einer vorsorgeorientierten Postwachstumsposition.
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Negotiating reductions in greenhouse gas emission involves the allocation of emissions and of emission reductions to specific agents, and notably, within the current UN framework, to associated countries. As production takes place in supply chains, increasingly extending over several countries, there are various options available in which emissions originating from one and the same activity may be attributed to different agents along the supply chain and thus to different countries. In this way, several distinct types of national carbon accounts can be constructed. We argue that these accounts will typically differ in the information they provide to individual countries on the effects their actions have on global emissions; and they may also, to varying degrees, prove useful in supporting the pursuit of an effective and just climate policy. None of the accounting systems, however, prove 'best' in achieving these aims under real-world circumstances; we thus suggest compiling reliable data to aid in the consistent calculation of multiple carbon accounts on a global level.
UK Carbon Emissions Fell 6 % in 2016 after Record Drop in Coal Use. Carbon Brief
  • S Evans
Evans, S. (2017): UK Carbon Emissions Fell 6 % in 2016 after Record Drop in Coal Use. Carbon Brief. www.carbonbrief.org/analysis-uk-cuts-carbonrecord-coal-drop
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Der Rebound Effekt. Ökonomische, psychische und soziale Herausforderungen für die Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch
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