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Viele Sprachen sprechen. Bedeutung von Mehrsprachigkeit für die Sprachentwicklung

Authors:
  • Hochschule Bremen - City University of Applied Sciences

Abstract

Bedeutung von Mehrsprachigkeit für die Sprachentwicklung
16 kindergarten heute / 6/7_2018
mein beruf.
fachwissen
FOTO: Harald Neumann, Freiburg
Mehrsprachige Kinder verfügen meist über sehr unterschiedliche Kenntnisse in ihren jeweiligen Sprachen das gilt auch für Erwachsene
17kindergarten heute / 6/7_2018
VITAFOTO: Sabrina Peters/HSB, Bremen
Dr. Wiebke
Scharff Rethfeldt
Professorin für Logopädie
an der Hochschule Bremen.
Sie leitet den Bachelor-
studiengang Angewandte
erapiewissenschaften,
Logopädie und Physiothe-
rapie. Ihre Arbeitsschwer-
punkte sind die kindliche
Sprach-, Sprech- und Kom-
munikationsentwicklung
sowie deren Störungen,
insbesondere bei kulturell
und linguistisch diversen
Kindern.
V O N Wiebke Scharff Rethfeldt
Mehrere Sprachen bereichern
die kindliche Entwicklung. Denn
sie bieten mehr als eine Möglich-
keit, in Kontakt zu treten, sich
aktiv zu beteiligen und anhand
dessen zu lernen.
Bedeutung von
Mehrsprachigkeit
für die Sprachent-
wicklung
Viele Sprachen
sprechen
A
ls mehrsprachig gilt in der internationa-
len Fachliteratur, wer mehr als eine Spra-
che versteht und verwendet.
1
Erwirbt al-
so ein Kind kommunikative Fähigkeiten in mehr
als einer Sprache bzw. verwendet es mehr als eine
Sprache regelmäßig in natürlichen Sprachsituati-
onen– und hierzu reicht es, wenn es mehr als ei-
ne Sprache versteht–, dann ist es mehrsprachig.
Unterschiedliche Fähigkeiten in den
einzelnen Sprachen sind normal
Mehrsprachig aufwachsende Kinder erwerben in
ihren jeweiligen Sprachen Sprachfähigkeiten in
unterschiedlichem Ausmaß– unabhängig davon,
ob sie von Geburt an oder später mit einer weite-
ren Sprache aufwachsen. Daher bedeutet Mehr-
sprachigkeit nicht Gleichsprachigkeit.
Mehrsprachigkeit ist ein komplexer und dyna-
mischer Prozess, der vorrangig dem Einuss des
sozialen Umfelds, der Interaktionspartner*innen
und dem individuellen Lebensentwurf sowie der
Zeit unterliegt.2 Dies zeigt sich u. a. darin, dass
eine mehrsprachige Person meist über sehr unter-
schiedliche Kenntnisse in ihren jeweiligen Spra-
chen verfügt. Dies gilt auch bereits für die kindli-
che Mehrsprachigkeit. So ist es für einen gelingen-
den Spracherwerb auch weniger entscheidend, wie
ausgewogen oder „wie gut“ ein Kind seine Spra-
chen beherrscht (Kompetenz), sondern es ist viel-
mehr von Bedeutung, „wie sehr“ es eine weitere
Sprache für seine unterschiedlichen sozialen In-
teraktionen „braucht“ (Funktion). Dies bedeutet,
dass den Bezugspersonen bzw. dem unmittelbaren
Umfeld eines Kindes eine besondere Bedeutung,
Aufgabe und Verantwortung zukommt.
Mehrsprachigkeit ist vielfältig und
individuell
Wenn Kinder mehr als eine Sprache zur Bewälti-
gung ihres Alltags in ihrer persönlichen Lebenswelt
brauchen, werden viele mehrsprachig. Dies kann
sich u. a. aufgrund mehrsprachiger und/oder bi-
nationaler Eltern und/oder Mitglieder einer Patch-
workfamilie, durch einsprachige Eltern und mehr-
sprachige Geschwister, in gemischt-sprachlichen
oder grenznahen Wohngegenden oder aufgrund
von Migration entwickeln. Auch Kinder Alleiner-
ziehender können mehrsprachig aufwachsen, vor
allem, wenn sie eine weitere Sprache außerhalb der
Familie nutzen. Wächst ein mehrsprachiges
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mein beruf.
fachwissen
Kind mit älteren Geschwistern auf, erwirbt es die
deutsche Sprache meist früh. Der Einuss von Ge-
schwistern auf den Spracherwerb der Kinder wur-
de lange Zeit unterschätzt.
Viele Familien mit Migrationshintergrund, die in
der zweiten oder dritten Generation in Deutsch-
land leben, verwenden in der Familie nicht unbe-
dingt (überwiegend) die Sprache des Herkunfts-
landes. So ist es typisch, dass sich der Gebrauch
von Sprache häug mit der Dauer des Aufenthalts
in einem Land, mit dem Alter der Kinder sowie
mit dem Lebensentwurf einer Familie verändert.
In Anbetracht vielfältiger
individueller Lebensent-
würfe und verschiedener
Bezugspersonen ergeben
sich auch vielfältige Kon-
stellationen und Verläu-
fe für den Spracherwerb.
Diese können sich mit
der Zeit bzw. mit zuneh-
mendem Alter des Kin-
des und somit auch sei-
ner Nutzung der jeweili-
gen Sprache immer wie-
der ändern. So kann ein
Kind nicht nur eine wei-
tere Sprache erwerben
und damit mehrsprachig
werden, sondern unter Umständen auch eine von
zwei oder mehreren Sprachen wieder verlieren,
wenn diese Sprache/n in seinem Alltag keine Be-
deutung mehr hat/haben.
Warum Kinder mehrsprachig werden
Deutschland ist ein Einwanderungsland. Mehr-
sprachigkeit ist daher weniger das Ergebnis ei-
nes erfolgreichen Fremdsprachenlernens als viel-
mehr eine notwendige Konsequenz, z.B. als Fol-
ge von Migration. Vereinfacht lassen sich jedoch
zwei zentrale Voraussetzungen des Mehrspracher-
werbs unterscheiden: Einige Kinder werden frei-
willig mehrsprachig, während der überwiegende
Anteil der Kinder keine Wahl hat. Insofern stellt
sich den meisten erst gar nicht die Frage, ob sie
eine weitere Sprache erwerben sollten oder nicht
ein Großteil der Kinder muss eine weitere Spra-
che erwerben. So werden bei in Deutschland le-
benden Kindern häug ihrem Alter entsprechen-
de Deutschkenntnisse einfach vorausgesetzt. Die
Frage danach, welche zeitlichen und insbesondere
qualitativen Kontaktmöglichkeiten zur deutschen
Sprache ein Kind bislang hatte, wird dabei aber
noch zu selten gestellt.
„Je früher, desto besser“ – stimmt das?
Mit Verweis auf die natürliche Art des Spracher-
werbs bei Kleinkindern wird Eltern häug der
Rat „je früher, desto besser“ gegeben. Dass jünge-
re Kinder spielerisch in eine weitere Sprache n-
den, heißt jedoch nicht, dass sie auch nachhaltige
und/oder spätere bildungssprachliche Kompeten-
zen in dieser Sprache zeigen. So bestätigen wissen-
schaftliche Untersuchungen, dass der Erfolg des
Erwerbs einer weiteren Sprache weniger vom Al-
ter zum Zeitpunkt des Erwerbsbeginns, sondern
vielmehr von den jeweiligen Lebensbedingungen
und den individuellen Anforderungen sowie der
Motivation abhängt.3 Auch belegen dies Beispie-
le von Menschen, die erst im Erwachsenenalter
begannen, eine „neue“ Sprache zu erwerben und
nach wenigen Jahren über nahezu Native-Spea-
ker-Qualitäten in dieser
Sprache verfügten. Da-
her ist anzunehmen, dass
je älter eine Person ist, sie
nicht nur über mehr Le-
bens-, sondern auch Lern-
erfahrungen verfügt. So
kann beispielsweise ein
Teenager intellektuel-
le Spracherwerbsstrate-
gien einsetzen, über die
ein 4-jähriges Kind noch
nicht verfügte.
Der erfolgreiche Erwerb
einer weiteren Sprache
ist demnach weniger vom
Alter abhängig als viel-
mehr von einem Zusammenwirken mehrerer Fak-
toren. Zu ihnen gehören u. a. auch Motivation,
kommunikative Notwendigkeit, Sprachbegabung
und Lernbedingungen. Allein das Alter lässt somit
keine Prognose über spätere Fähigkeiten in dieser
Sprache zu– es kommt vor allem auf die Rahmen-
bedingungen und Formen der Aneignung einer
weiteren Sprache an.
Mit dem Ziel einer adäquaten Sprachförderung
ist den Bezugspersonen von ein- und mehrspra-
chigen Kindern gleichermaßen zu empfehlen,
dass es am wichtigsten ist, ein Kind sprachlich
anzuregen. Dies sollte möglichst vielfältig und im
zwischenmenschlichen Kontakt geschehen. Die-
se auch für den (späteren) deutschsprachigen
Schulbesuch wichtige Sprachförderung können
Bezugspersonen am besten in der/den Sprache/n
leisten, die sie selbst am besten beherrschen
d.h. sie sollten nicht Deutsch verwenden, wenn
Deutsch nicht ihre bestbeherrschte, vor allem
aber authentische Sprache ist.4
Den vollständigen Beitrag nden Sie auf www.
kindergarten-heute.de
Lesen Sie außerdem auf den folgenden Seiten, wie
Sie ein- und mehrsprachige Kinder in Sprache und
Sprechen interaktiv fördern können.
Zum
Weiterlesen
Wichtige Fragen im
Kontext Mehrsprachigkeit,
wie z.B. „Wie beeinusst
Mehrsprachigkeit die
kognitive Entwicklung?“
beantwortet Fehlings de
Acurio, R. (2016): Mehr
Sprachen– mehr Chancen.
Über Zwei- und Mehr-
sprachigkeit von Kindern.
Berlin: dohrmannVerlag.
berlin.
QUELLEN:
1 Royal College of Speech
and Language Therapists
(RCSLT) (2006): Commu-
nicating quality (3rd ed.).
London: RCSLT, S. 268.
2 Scharff Rethfeldt, W.
(2013): Kindliche Mehrspra-
chigkeit. Grundlagen und
Praxis der sprachtherapeu-
tischen Intervention. Stutt-
gart: Thieme, S. 125.
3 Baker, C. (2011): Founda-
tions of bilingual Education
and Bilingualism. 5th ed.
Bristol: Multilingual Matters.
4 Scharff Rethfeldt, W.
(2016): Sprachförderung für
ein- und mehrsprachige Kin-
der. Ein entwicklungsorien-
tiertes Konzept. München:
EV Reinhardt.
Einige Kinder
werden freiwillig
mehrsprachig,
während der
überwiegende Anteil
der Kinder keine
Wahl hat.
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