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Abstract

Degrowth oder Postwachstum ist ein dynamisches Forschungsfeld und Bezugspunkt vielfältiger sozial-ökologischer Bewegungen. Postwachstum ist nicht nur eine grundlegende Kritik an der Hegemonie des Wirtschaftswachstums. Es ist auch eine Vision für eine andere Gesellschaft, die angesichts von Klimawandel und globaler Ungleichheit Pfade für grundlegende Gesellschaftsveränderung skizziert. Dieser Band macht erstmals den Versuch einer systematischen Einführung. Er diskutiert die Geschichte von Wachstum und Wirtschaftsstatistiken und rekonstruiert die zentralen Formen der Wachstumskritik: ökologische, soziale, kulturelle, Kapitalismus-, feministische, Industrialismus- sowie Süd-Nord-Kritik. Und er gibt einen Überblick zu den wichtigsten Vorschlägen, Konzepten und Praktiken, die er zugleich politisch einordnet. »Souverän, aber bündig, breit gefächert, aber nuanciert – eine solche Einführung in das Postwachstumsdenken hat gefehlt! Konkrete Utopien haben ihre heimlichen Schlüsselwörter: Obergrenze und selektives Wachstum, Gemeinwohl und Solidarität, Commons und Konvivalität. Es ist an der Zeit, sie auszuprobieren und einzuüben, bevor sie unversehens in aller Munde sind!« Wolfgang Sachs, Herausgeber des Development Dictionary. A Guide to Knowledge as Power »Kompakt, sorgfältig, inspirierend. Degrowth/Postwachstum zur Einführung bietet sowohl einen spannenden und differenzierten Einstieg für Anfänger_innen, als auch eine systematische, tiefgreifende und kritische Analyse der verschiedenen Strömungen, die auch Expert_innen überraschen wird. Von Kritik und Utopie bis hin zu aktivistischen Interventionen geben die Autor_innen einen umfassenden Überblick über die internationale Degrowth-Debatte in ihren Differenzen, Widersprüchen und Potentialen für eine radikale sozial-ökologische Transformation.« Barbara Muraca, Autorin von Gut Leben: Eine Gesellschaft jenseits des Wachstums
zur Einführung
Degrowth/Postwachstum
Matthias Schmelzer/Andrea Vetter
Matthias Schmelzer/
Andrea Vetter
Degrowth/Postwachstum
zur Einführung
Junius Verlag GmbH
Stresemannstraße 375
22761 Hamburg
www.junius-verlag.de
© 2019 by Junius Verlag GmbH
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Florian Zietz
Titelbild: picture alliance/
Everett Collection/Derek Storm
Satz: Junius Verlag GmbH
Printed in the EU 2019
ISBN 978-3-96060-307-8
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
Wissenschaftlicher Beirat
Michael Hagner, Zürich
Ina Kerner, Koblenz
Dieter Thomä, St. Gallen
Zur Einführung ...
... hat diese Taschenbuchreihe seit ihrer Gründung 1977 gedient.
Zunächst als sozialistische Initiative gestartet, die philosophisches
Wissen allgemein zugänglich machen und so den Marsch durch
die Institutionen theoretisch ausrüsten sollte, wurden die Bände
in den achtziger Jahren zu einem verlässlichen Leitfaden durch
das Labyrinth der neuen Unübersichtlichkeit. Mit der Kombi-
nation von Wissensvermittlung und kritischer Analyse haben die
Junius-Bände stilbildend gewirkt.
Seit den neunziger Jahren reformierten sich Teile der Geistes-
wissenschaften als Kulturwissenschaften und brachten neue Fä-
cher und Schwerpunkte wie Medienwissenschaften, Wissenschafts-
geschichte oder Bildwissenschaften hervor. Auch im Verhältnis zu
den Naturwissenschaften sahen sich die traditionellen Kernfächer
der Geisteswissenschaften neuen Herausforderungen ausgesetzt.
Diesen Veränderungen trug eine Neuausrichtung der Junius-Rei-
he Rechnung, die seit 2003 von der verstorbenen Cornelia Vis-
mann und zwei der Unterzeichnenden (M.H. und D.T.) verant-
wortet wurde.
Ein Jahrzehnt später erweisen sich die Kulturwissenschaften
eher als notwendige Erweiterung denn als Neubegründung der
Geisteswissenschaften. In den Fokus sind neue, nicht zuletzt po-
litik- und sozialwissenschaftliche Fragen gerückt, die sich pro-
duktiv mit den geistes- und kulturwissenschaftlichen Problem-
stellungen vermengt haben. So scheint eine erneute Inventur der
Reihe sinnvoll, deren Aufgabe unverändert darin besteht, kom-
Junius Verlag GmbH
Stresemannstraße 375
22761 Hamburg
www.junius-verlag.de
© 2019 by Junius Verlag GmbH
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Florian Zietz
Titelbild: picture alliance/
Everett Collection/Derek Storm
Satz: Junius Verlag GmbH
Printed in the EU 2019
ISBN 978-3-96060-307-8
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
Wissenschaftlicher Beirat
Michael Hagner, Zürich
Ina Kerner, Koblenz
Dieter Thomä, St. Gallen
Zur Einführung ...
... hat diese Taschenbuchreihe seit ihrer Gründung 1977 gedient.
Zunächst als sozialistische Initiative gestartet, die philosophisches
Wissen allgemein zugänglich machen und so den Marsch durch
die Institutionen theoretisch ausrüsten sollte, wurden die Bände
in den achtziger Jahren zu einem verlässlichen Leitfaden durch
das Labyrinth der neuen Unübersichtlichkeit. Mit der Kombi-
nation von Wissensvermittlung und kritischer Analyse haben die
Junius-Bände stilbildend gewirkt.
Seit den neunziger Jahren reformierten sich Teile der Geistes-
wissenschaften als Kulturwissenschaften und brachten neue Fä-
cher und Schwerpunkte wie Medienwissenschaften, Wissenschafts-
geschichte oder Bildwissenschaften hervor. Auch im Verhältnis zu
den Naturwissenschaften sahen sich die traditionellen Kernfächer
der Geisteswissenschaften neuen Herausforderungen ausgesetzt.
Diesen Veränderungen trug eine Neuausrichtung der Junius-Rei-
he Rechnung, die seit 2003 von der verstorbenen Cornelia Vis-
mann und zwei der Unterzeichnenden (M.H. und D.T.) verant-
wortet wurde.
Ein Jahrzehnt später erweisen sich die Kulturwissenschaften
eher als notwendige Erweiterung denn als Neubegründung der
Geisteswissenschaften. In den Fokus sind neue, nicht zuletzt po-
litik- und sozialwissenschaftliche Fragen gerückt, die sich pro-
duktiv mit den geistes- und kulturwissenschaftlichen Problem-
stellungen vermengt haben. So scheint eine erneute Inventur der
Reihe sinnvoll, deren Aufgabe unverändert darin besteht, kom-
petent und anschaulich zu vermitteln, was kritisches Denken und
Forschen jenseits naturwissenschaftlicher Zugänge heute zu leis-
ten vermag.
Zur Einführung ist für Leute geschrieben, denen daran gele-
gen ist, sich über bekannte und manchmal weniger bekannte Au-
tor(inn)en und Themen zu orientieren. Sie wollen klassische Fra-
gen in neuem Licht und neue Forschungsfelder in gültiger Form
dargestellt sehen.
Zur Einführung ist von Leuten geschrieben, die nicht nur einen
souveränen Überblick geben, sondern ihren eigenen Standpunkt
markieren. Vermittlung heißt nicht Verwässerung, Repräsentati-
vität nicht Vollständigkeit. Die Autorinnen und Autoren der Rei-
he haben eine eigene Perspektive auf ihren Gegenstand, und ihre
Handschrift ist in den einzelnen Bänden deutlich erkennbar.
Zur Einführung ist in der Hinsicht traditionell, dass es den
Stärken des gedruckten Buchs – die Darstellung baut auf Über-
sichtlichkeit, Sorgfalt und reflexive Distanz, das Medium auf
Handhabbarkeit und Haltbarkeit – auch in Zeiten liquider Netz-
publikationen vertraut.
Zur Einführung bleibt seinem ursprünglichen Konzept treu,
indem es die Zirkulation von Ideen, Erkenntnissen und Wissen
befördert.
Michael Hagner
Ina Kerner
Dieter Thomä
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
2. Wachstum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
3. Wachstumskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
3.1 Ökologische Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
3.2 Sozial-ökonomische Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
3.3 Kulturelle Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
3.4 Kapitalismuskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
3.5 Feministische Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
3.6 Industrialismuskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
3.7 Süd-Nord-Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130
3.8 Wachstumskritik außerhalb der
Postwachstumsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
4. Postwachstum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146
4.1 Definitionen und Strömungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
4.2 Zieldimensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
4.3 Vorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
4.4 Transformationsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206
5. Postwachstum kritisch betrachtet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229
petent und anschaulich zu vermitteln, was kritisches Denken und
Forschen jenseits naturwissenschaftlicher Zugänge heute zu leis-
ten vermag.
Zur Einführung ist für Leute geschrieben, denen daran gele-
gen ist, sich über bekannte und manchmal weniger bekannte Au-
tor(inn)en und Themen zu orientieren. Sie wollen klassische Fra-
gen in neuem Licht und neue Forschungsfelder in gültiger Form
dargestellt sehen.
Zur Einführung ist von Leuten geschrieben, die nicht nur einen
souveränen Überblick geben, sondern ihren eigenen Standpunkt
markieren. Vermittlung heißt nicht Verwässerung, Repräsentati-
vität nicht Vollständigkeit. Die Autorinnen und Autoren der Rei-
he haben eine eigene Perspektive auf ihren Gegenstand, und ihre
Handschrift ist in den einzelnen Bänden deutlich erkennbar.
Zur Einführung ist in der Hinsicht traditionell, dass es den
Stärken des gedruckten Buchs – die Darstellung baut auf Über-
sichtlichkeit, Sorgfalt und reflexive Distanz, das Medium auf
Handhabbarkeit und Haltbarkeit – auch in Zeiten liquider Netz-
publikationen vertraut.
Zur Einführung bleibt seinem ursprünglichen Konzept treu,
indem es die Zirkulation von Ideen, Erkenntnissen und Wissen
befördert.
Michael Hagner
Ina Kerner
Dieter Thomä
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
2. Wachstum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
3. Wachstumskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
3.1 Ökologische Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
3.2 Sozial-ökonomische Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
3.3 Kulturelle Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
3.4 Kapitalismuskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
3.5 Feministische Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
3.6 Industrialismuskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
3.7 Süd-Nord-Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130
3.8 Wachstumskritik außerhalb der
Postwachstumsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
4. Postwachstum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146
4.1 Definitionen und Strömungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
4.2 Zieldimensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
4.3 Vorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
4.4 Transformationsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206
5. Postwachstum kritisch betrachtet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229
sehr interdisziplinär ausgerichtet – wich tige Argumente und De-
batten kommen neben vielen anderen Disziplinen aus der Öko-
nomik, den Umwelt-, aber auch den So zial- und Geisteswissen-
schaften.
Das französische »Décroissance«, mit dem die Debatte eröff-
net wurde, ist wie die Übersetzungsversuche »Degrowth« oder
»Postwachstum« aber auch ein provokanter politischer Slogan.
Er stellt die Selbstverständlichkeit von Wachstum als politischem
Ziel infrage und macht Vorschläge für theoretische und prakti-
sche Alternativen. Postwachstum führt dabei vielfältige und teils
widersprüchliche Strömungen und Positionen zusammen. Es ist
ein begrifflicher Rahmen, der in den letzten Jahren wesentlich
dazu beigetragen hat, Nachhaltigkeits- und Entwicklungsdiskus -
sionen zu politisieren sowie wachstums- und technikfokussierte
Zukunftsnarrative zu hinterfragen, die Suche nach grundlegen-
den und systemischen Alternativen zu stärken und vielfältige
Akteure aus sozialen Bewegungen und alternativ-ökonomischen
Strömungen zusammenzuführen.
In diesem Band wagen wir erstmals den Versuch einer syste-
matischen Einführung in dieses dynamische Feld. Es ist eine
Ein führung in die inter- und transdisziplinäre wissenschaftliche
De batte um Wachstumskritik, Postwachstum und Degrowth,
die aufgrund der Besonderheit des Feldes jedoch nicht von der
da mit zusammenhängenden politischen Debatte zu trennen ist.
Das bekannteste internationale Einführungswerk zu Degrowth,
das 2016 erschienene Degrowth-Handbuch, ist durch seinen Cha-
rakter einer Sammlung unverbundener Einzeleinträge keine sys -
tematische Einführung, sondern ein vielschichtiger und lexikon-
artiger Einblick in laufende Kontroversen (D’Alisa et al. 2016).
Daneben gibt es kurze Einführungen aus länderspezifischen
Blickwinkeln (Bayon et al. 2010; Flipo 2017; Latouche 2015; Pal-
lante 2011). In Deutschland erschienene einführende Werke be-
13
1. Einleitung
Warum ist Wirtschaftswachstum, selbst »grünes Wachstum«, öko -
logisch nicht nachhaltig? Wie können Gesellschaften gedacht
werden, in denen mit weniger Rohstoffverbrauch ein gutes Le -
ben für alle Menschen erreicht wird? Sind die Volkswirtschaften
in Ländern des globalen Nordens zu groß? Wie können die Grund -
strukturen moderner Gesellschaften so verändert werden, dass
sie ohne Wirtschaftswachstum stabil sind? Ist weiteres Wirt-
schaftswachstum in reichen Ländern überhaupt wünschenswert?
Und was bedeuten diese Fragen für unsere Vorstellungen eines
guten Lebens?
Unter dem Stichwort »Degrowth« oder »Postwachstum« hat
sich seit 2008 ein neues internationales Feld der Debatte und
Forschung etabliert, das sich mit diesen Fragen beschäftigt. Seit-
her sind hunderte Artikel und eine Vielzahl an Themenheften
und Sammelbänden publiziert worden. Als wissenschaftliches
Feld weist Postwachstum einige Besonderheiten auf. Wissen-
schaftliche und gesellschaftspolitische Debatten sind in diesem
Feld eng verzahnt, wissenschaftliche Beiträge beziehen sich di-
rekt auf gesellschaftspolitische Kontroversen. Daher zeichnen
sich auch die großen internationalen Degrowth-Konferenzen,
bei denen seit 2008 alle zwei Jahre der Stand der Debatte sicht-
bar wird, durch starke aktivistische Elemente und eine enge
Verbindung zu sozialen Bewegungen und konkreten Projekten
aus. Die wissenschaftliche Diskussion selbst ist darüber hinaus
12
sehr interdisziplinär ausgerichtet – wich tige Argumente und De-
batten kommen neben vielen anderen Disziplinen aus der Öko-
nomik, den Umwelt-, aber auch den So zial- und Geisteswissen-
schaften.
Das französische »Décroissance«, mit dem die Debatte eröff-
net wurde, ist wie die Übersetzungsversuche »Degrowth« oder
»Postwachstum« aber auch ein provokanter politischer Slogan.
Er stellt die Selbstverständlichkeit von Wachstum als politischem
Ziel infrage und macht Vorschläge für theoretische und prakti-
sche Alternativen. Postwachstum führt dabei vielfältige und teils
widersprüchliche Strömungen und Positionen zusammen. Es ist
ein begrifflicher Rahmen, der in den letzten Jahren wesentlich
dazu beigetragen hat, Nachhaltigkeits- und Entwicklungsdiskus -
sionen zu politisieren sowie wachstums- und technikfokussierte
Zukunftsnarrative zu hinterfragen, die Suche nach grundlegen-
den und systemischen Alternativen zu stärken und vielfältige
Akteure aus sozialen Bewegungen und alternativ-ökonomischen
Strömungen zusammenzuführen.
In diesem Band wagen wir erstmals den Versuch einer syste-
matischen Einführung in dieses dynamische Feld. Es ist eine
Ein führung in die inter- und transdisziplinäre wissenschaftliche
De batte um Wachstumskritik, Postwachstum und Degrowth,
die aufgrund der Besonderheit des Feldes jedoch nicht von der
da mit zusammenhängenden politischen Debatte zu trennen ist.
Das bekannteste internationale Einführungswerk zu Degrowth,
das 2016 erschienene Degrowth-Handbuch, ist durch seinen Cha-
rakter einer Sammlung unverbundener Einzeleinträge keine sys -
tematische Einführung, sondern ein vielschichtiger und lexikon-
artiger Einblick in laufende Kontroversen (D’Alisa et al. 2016).
Daneben gibt es kurze Einführungen aus länderspezifischen
Blickwinkeln (Bayon et al. 2010; Flipo 2017; Latouche 2015; Pal-
lante 2011). In Deutschland erschienene einführende Werke be-
13
1. Einleitung
Warum ist Wirtschaftswachstum, selbst »grünes Wachstum«, öko -
logisch nicht nachhaltig? Wie können Gesellschaften gedacht
werden, in denen mit weniger Rohstoffverbrauch ein gutes Le -
ben für alle Menschen erreicht wird? Sind die Volkswirtschaften
in Ländern des globalen Nordens zu groß? Wie können die Grund -
strukturen moderner Gesellschaften so verändert werden, dass
sie ohne Wirtschaftswachstum stabil sind? Ist weiteres Wirt-
schaftswachstum in reichen Ländern überhaupt wünschenswert?
Und was bedeuten diese Fragen für unsere Vorstellungen eines
guten Lebens?
Unter dem Stichwort »Degrowth« oder »Postwachstum« hat
sich seit 2008 ein neues internationales Feld der Debatte und
Forschung etabliert, das sich mit diesen Fragen beschäftigt. Seit-
her sind hunderte Artikel und eine Vielzahl an Themenheften
und Sammelbänden publiziert worden. Als wissenschaftliches
Feld weist Postwachstum einige Besonderheiten auf. Wissen-
schaftliche und gesellschaftspolitische Debatten sind in diesem
Feld eng verzahnt, wissenschaftliche Beiträge beziehen sich di-
rekt auf gesellschaftspolitische Kontroversen. Daher zeichnen
sich auch die großen internationalen Degrowth-Konferenzen,
bei denen seit 2008 alle zwei Jahre der Stand der Debatte sicht-
bar wird, durch starke aktivistische Elemente und eine enge
Verbindung zu sozialen Bewegungen und konkreten Projekten
aus. Die wissenschaftliche Diskussion selbst ist darüber hinaus
12
der bewegungspolitischen Diskussion. Durch verschiedene Sys -
tematisierungen – mit Blick auf Stränge und Traditionen der
Wachstumskritik, politisch-strategische Strömungen des Post-
wachstumsspektrums, Zieldimensionen von Postwachstum, Vor -
schläge für eine Postwachstumsgesellschaft und in Bezug auf
Ansätze für die Transformation – hoffen wir, dazu beitragen zu
können, die Diskussion als ganze besser miteinander zu ver-
schränken und so voranzubringen.
Wir denken, dass es für ein gründliches Verständnis von De-
growth oder Postwachstum unabdingbar ist, diese verschiede-
nen Traditionsstränge und Strömungen im Blick zu behalten,
um einerseits zu einer eigenen Position im Diskurs zu finden
und andererseits der Gefahr verkürzter Wachstumskritik zu
entgehen. Die Besonderheit der Postwachstumsdiskussion ist
es, soziale, kulturelle und ökologische Fragen zusammenzuden-
ken und auf diese Weise zu neuen Gesellschaftsvorstellungen zu
kommen, die Antworten auf die drängenden Fragen des 21.
Jahrhunderts geben könnten.
Im Folgenden werden wir in dieser Einleitung nach einer
kur zen Begriffsklärung zunächst ausführen, was Postwachstum
einerseits als Kritik und andererseits als Vision und Transforma-
tion bedeutet. Dabei umreißen wir einige der zentralen Argu-
mente dieses Buches. Danach geben wir einen kurzen Überblick
über die aktuellen Forschungen zu Postwachstum und Degrowth
und skizzieren abschließend die Entwicklung der Postwachstums-
debatte und -bewegung.
Begriffliche Eingrenzungen
In dieser Einführung benutzen wir den deutschen Begriff »Post-
wachstum« so, dass er die internationale Diskussion um »De-
growth« mit einschließt. Daher verwenden wir beide Begriffe
15
schäftigen sich entweder vor allem mit der Wachstumskritik
(Ax/Hinterberger 2013; Lorenz 2014; Nicoll 2016), mit spezifi-
schen Debatten wie dem guten Leben, der imperialen Lebens-
weise oder mit bestimmten Aspekten von Degrowth oder Post-
wachstumspolitiken (z.B. Acosta/Brand 2018; Adler/Schacht-
schneider 2017; AK Postwachstum 2016; Brand/Wissen 2017;
Diefenbacher et al. 2016; Muraca 2014; Paech 2012; Schmel -
zer/Passadakis 2011; Schneidewind/Zahrnt 2013; Seidl/Zahrnt
2010). Allerdings weisen diese deutschen Veröffentlichungen
meist nur wenige Bezüge zur internationalen, vor allem eng-
lischsprachigen Degrowth-Debatte auf. Ein etwas umfassende-
res Einführungswerk in die internationale Diskussion hat erst
Giorgos Kallis 2018 vorgelegt. Er bezieht sich darin aber wie-
derum nicht auf deutschsprachige Veröffentlichungen und bie-
tet keine Systematisierung der verschiedenen Strömungen und
Positionen der gesamten Post wachs tums diskussion. In diesem
Buch haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, diese Diskussions-
stränge für die Leserin1zu verweben, um so einen umfassenden
Debatteneinblick zu erhalten.
Postwachstum bzw. Degrowth – so unsere Argumentation
ist zum einen eine grundlegende Kritik an der Hegemonie des
Wirtschaftswachstums, in der sich auf produktive Art und Wei -
se unterschiedliche Stränge der Wachstums- und Gesellschafts-
kritik verbinden. Andererseits ist Postwachstum ein Vorschlag –
eine Vision oder Utopie – für eine andere Gesellschaft und die
systemische Transformation, die diese voraussetzt. Dabei machen
wir insbesondere die historische Einbettung von Wirtschafts-
wachstum als auch Wachstumskritik deutlich. Explizit betonen
wir auch die enge Verbindung zwischen Postwachstumsdiskus-
sionen und marxistischen und ökofeministischen Debatten, die
in anderen Überblicken verschwiegen oder unzureichend be-
leuchtet werden. Und wir verzahnen die wissenschaftliche mit
14
der bewegungspolitischen Diskussion. Durch verschiedene Sys -
tematisierungen – mit Blick auf Stränge und Traditionen der
Wachstumskritik, politisch-strategische Strömungen des Post-
wachstumsspektrums, Zieldimensionen von Postwachstum, Vor -
schläge für eine Postwachstumsgesellschaft und in Bezug auf
Ansätze für die Transformation – hoffen wir, dazu beitragen zu
können, die Diskussion als ganze besser miteinander zu ver-
schränken und so voranzubringen.
Wir denken, dass es für ein gründliches Verständnis von De-
growth oder Postwachstum unabdingbar ist, diese verschiede-
nen Traditionsstränge und Strömungen im Blick zu behalten,
um einerseits zu einer eigenen Position im Diskurs zu finden
und andererseits der Gefahr verkürzter Wachstumskritik zu
entgehen. Die Besonderheit der Postwachstumsdiskussion ist
es, soziale, kulturelle und ökologische Fragen zusammenzuden-
ken und auf diese Weise zu neuen Gesellschaftsvorstellungen zu
kommen, die Antworten auf die drängenden Fragen des 21.
Jahrhunderts geben könnten.
Im Folgenden werden wir in dieser Einleitung nach einer
kur zen Begriffsklärung zunächst ausführen, was Postwachstum
einerseits als Kritik und andererseits als Vision und Transforma-
tion bedeutet. Dabei umreißen wir einige der zentralen Argu-
mente dieses Buches. Danach geben wir einen kurzen Überblick
über die aktuellen Forschungen zu Postwachstum und Degrowth
und skizzieren abschließend die Entwicklung der Postwachstums-
debatte und -bewegung.
Begriffliche Eingrenzungen
In dieser Einführung benutzen wir den deutschen Begriff »Post-
wachstum« so, dass er die internationale Diskussion um »De-
growth« mit einschließt. Daher verwenden wir beide Begriffe
15
schäftigen sich entweder vor allem mit der Wachstumskritik
(Ax/Hinterberger 2013; Lorenz 2014; Nicoll 2016), mit spezifi-
schen Debatten wie dem guten Leben, der imperialen Lebens-
weise oder mit bestimmten Aspekten von Degrowth oder Post-
wachstumspolitiken (z.B. Acosta/Brand 2018; Adler/Schacht-
schneider 2017; AK Postwachstum 2016; Brand/Wissen 2017;
Diefenbacher et al. 2016; Muraca 2014; Paech 2012; Schmel -
zer/Passadakis 2011; Schneidewind/Zahrnt 2013; Seidl/Zahrnt
2010). Allerdings weisen diese deutschen Veröffentlichungen
meist nur wenige Bezüge zur internationalen, vor allem eng-
lischsprachigen Degrowth-Debatte auf. Ein etwas umfassende-
res Einführungswerk in die internationale Diskussion hat erst
Giorgos Kallis 2018 vorgelegt. Er bezieht sich darin aber wie-
derum nicht auf deutschsprachige Veröffentlichungen und bie-
tet keine Systematisierung der verschiedenen Strömungen und
Positionen der gesamten Post wachs tums diskussion. In diesem
Buch haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, diese Diskussions-
stränge für die Leserin1zu verweben, um so einen umfassenden
Debatteneinblick zu erhalten.
Postwachstum bzw. Degrowth – so unsere Argumentation
ist zum einen eine grundlegende Kritik an der Hegemonie des
Wirtschaftswachstums, in der sich auf produktive Art und Wei -
se unterschiedliche Stränge der Wachstums- und Gesellschafts-
kritik verbinden. Andererseits ist Postwachstum ein Vorschlag –
eine Vision oder Utopie – für eine andere Gesellschaft und die
systemische Transformation, die diese voraussetzt. Dabei machen
wir insbesondere die historische Einbettung von Wirtschafts-
wachstum als auch Wachstumskritik deutlich. Explizit betonen
wir auch die enge Verbindung zwischen Postwachstumsdiskus-
sionen und marxistischen und ökofeministischen Debatten, die
in anderen Überblicken verschwiegen oder unzureichend be-
leuchtet werden. Und wir verzahnen die wissenschaftliche mit
14
schen Transformationsprozesses. Zur spezifischen Form der an-
zustrebenden Gesellschaftstransformation gibt es sehr unterschied-
liche Vorschläge und Debatten, aber auch zentrale Gemeinsam-
keiten, die wir in diesem Buch herauszuarbeiten versuchen.
In dieser Einführung konzentrieren wir uns auf die Kernde-
batte zu Postwachstum, wie sie sich im Wesentlichen auf den in-
ternationalen Degrowth-Konferenzen zeigt. Um den Gegenstand
dieser Einführung deutlicher zu umreißen, weisen wir an dieser
Stelle auf die Ränder der hier behandelten Postwachstumsdis-
kussion hin. Besonders in der englischsprachigen Debatte wird
»post-growth« teilweise als Gegenkonzept zu »degrowth« dis-
kutiert: »Postgrowth« nehme demnach eine agnostische Hal-
tung gegenüber dem Bruttoinlandsprodukt ein (teilweise wird
auch in Anlehnung an A-theismus von »a-growth« gesprochen),
während »degrowth« die Notwendigkeit der Reduktion der Wirt -
schaftsgröße in den Vordergrund stelle. Diese Debatte ist aus-
führlich geführt worden (van den Bergh/Kallis 2012; siehe auch
Kap. 4). Die dem zugrunde liegende begriffliche Unterscheidung
macht im deutschsprachigen Kontext jedoch wenig Sinn, wo von
Anfang an sowohl a-growth-nahe (Seidl/Zahrnt 2010) als auch
stark suffizienzorientierte (Paech 2012) sowie Degrowth-nahe
Positionen (Schmelzer/Passadakis 2011) sämtlich mit dem Be-
griff »Postwachstum« gearbeitet haben. Wir verstehen Post-
wachstum hier nicht als Gegensatz zu Degrowth, sondern Post-
wachstum schließt die Forderung nach einer Reduktion der
materiellen Größe der Wirtschaft mit ein.
Postwachstum ist nicht gleich Wachstumskritik, die sehr viele
verschiedene Formen annehmen kann. Wachstumskritische Po-
sitionen tauchen nicht nur in den Postwachstumsdiskussionen
auf, die wir in diesem Buch vorstellen, sondern reichen von eher
regierungsnaher und reformorientierter Wachstumsskepsis über
konservative Wachstumskritik bis hin zu ökofaschistischen Po-
1716
weitgehend synonym. Wir tun dies einerseits, weil es keine deut -
sche Übersetzung für »Degrowth« gibt – Begriffe wie »Wachs-
tumsrücknahme« oder »Entwachstum« sind sperrig und haben
sich nicht durchgesetzt. Und wir denken, dass es wenig Sinn er-
gibt, dauerhaft mit einem englischen Begriff zu arbeiten. In eini-
gen deutschsprachigen Buchveröffentlichungen der letzten
Jahre wurde mit »Degrowth« statt »Postwachstum« gearbeitet,
um sich von bestimmten Konzepten der »Postwachstums -
gesellschaft« (Zahrnt/Seidl 2010) oder »Postwachstumsökonomi
(Paech 2012) abzusetzen und die Verankerung in internationa-
len und kapitalismuskritischen Debatten zu betonen (Acosta/
Brand 2018; Eversberg/Schmelzer 2018; Kallis et al. 2016; Kon-
zeptwerk et al. 2017). Da es in diesem Buch aber um eine Ein-
führung in den breiteren Diskurs geht, nutzen wir beide Begriff-
lichkeiten. Außerdem bietet der Begriff »Postwachstum« auch
in haltlich gewisse Vorteile. Er ist etwas offener als Degrowth,
weil er keine Dichotomie zu »Wachstum« aufmacht, sondern
auf eine Zukunft jenseits von Wirtschaftswachstum und Steige-
rung fokussiert.
Postwachstum und Degrowth sind keine deskriptiven Kon-
zepte, die einfach nur Gesellschaften beschreiben, die nicht
(mehr) wachsen. Sie sind nicht dazu da, die Stagnationstenden-
zen in spätkapitalistischen Industrieländern zu beschreiben
das, was in der Ökonomie als »säkulare Stagnation« oder in der
Soziologie als »regressive Moderne«, »Abstiegsgesellschaften«
oder eben als real existierende, krisengeschüttelte und zu neo-
feudaler Ausbeutung tendierende »Postwachstumsgesellschaften«
charak terisiert wurde (Dörre et al. 2009; Gordon 2016; Nacht-
wey 2016; Zinn 2015). Postwachstum, wie es in der internationa-
len und deutschsprachigen Degrowth- bzw. Postwachstumsdis-
kussion eingeführt wurde, ist ein explizit normatives Konzept –
es geht um die Konturen eines wünschenswerten, demokrati-
schen Transformationsprozesses. Zur spezifischen Form der an-
zustrebenden Gesellschaftstransformation gibt es sehr unterschied-
liche Vorschläge und Debatten, aber auch zentrale Gemeinsam-
keiten, die wir in diesem Buch herauszuarbeiten versuchen.
In dieser Einführung konzentrieren wir uns auf die Kernde-
batte zu Postwachstum, wie sie sich im Wesentlichen auf den in-
ternationalen Degrowth-Konferenzen zeigt. Um den Gegenstand
dieser Einführung deutlicher zu umreißen, weisen wir an dieser
Stelle auf die Ränder der hier behandelten Postwachstumsdis-
kussion hin. Besonders in der englischsprachigen Debatte wird
»post-growth« teilweise als Gegenkonzept zu »degrowth« dis-
kutiert: »Postgrowth« nehme demnach eine agnostische Hal-
tung gegenüber dem Bruttoinlandsprodukt ein (teilweise wird
auch in Anlehnung an A-theismus von »a-growth« gesprochen),
während »degrowth« die Notwendigkeit der Reduktion der Wirt -
schaftsgröße in den Vordergrund stelle. Diese Debatte ist aus-
führlich geführt worden (van den Bergh/Kallis 2012; siehe auch
Kap. 4). Die dem zugrunde liegende begriffliche Unterscheidung
macht im deutschsprachigen Kontext jedoch wenig Sinn, wo von
Anfang an sowohl a-growth-nahe (Seidl/Zahrnt 2010) als auch
stark suffizienzorientierte (Paech 2012) sowie Degrowth-nahe
Positionen (Schmelzer/Passadakis 2011) sämtlich mit dem Be-
griff »Postwachstum« gearbeitet haben. Wir verstehen Post-
wachstum hier nicht als Gegensatz zu Degrowth, sondern Post-
wachstum schließt die Forderung nach einer Reduktion der
materiellen Größe der Wirtschaft mit ein.
Postwachstum ist nicht gleich Wachstumskritik, die sehr viele
verschiedene Formen annehmen kann. Wachstumskritische Po-
sitionen tauchen nicht nur in den Postwachstumsdiskussionen
auf, die wir in diesem Buch vorstellen, sondern reichen von eher
regierungsnaher und reformorientierter Wachstumsskepsis über
konservative Wachstumskritik bis hin zu ökofaschistischen Po-
1716
weitgehend synonym. Wir tun dies einerseits, weil es keine deut -
sche Übersetzung für »Degrowth« gibt – Begriffe wie »Wachs-
tumsrücknahme« oder »Entwachstum« sind sperrig und haben
sich nicht durchgesetzt. Und wir denken, dass es wenig Sinn er-
gibt, dauerhaft mit einem englischen Begriff zu arbeiten. In eini-
gen deutschsprachigen Buchveröffentlichungen der letzten
Jahre wurde mit »Degrowth« statt »Postwachstum« gearbeitet,
um sich von bestimmten Konzepten der »Postwachstums -
gesellschaft« (Zahrnt/Seidl 2010) oder »Postwachstumsökonomi
(Paech 2012) abzusetzen und die Verankerung in internationa-
len und kapitalismuskritischen Debatten zu betonen (Acosta/
Brand 2018; Eversberg/Schmelzer 2018; Kallis et al. 2016; Kon-
zeptwerk et al. 2017). Da es in diesem Buch aber um eine Ein-
führung in den breiteren Diskurs geht, nutzen wir beide Begriff-
lichkeiten. Außerdem bietet der Begriff »Postwachstum« auch
in haltlich gewisse Vorteile. Er ist etwas offener als Degrowth,
weil er keine Dichotomie zu »Wachstum« aufmacht, sondern
auf eine Zukunft jenseits von Wirtschaftswachstum und Steige-
rung fokussiert.
Postwachstum und Degrowth sind keine deskriptiven Kon-
zepte, die einfach nur Gesellschaften beschreiben, die nicht
(mehr) wachsen. Sie sind nicht dazu da, die Stagnationstenden-
zen in spätkapitalistischen Industrieländern zu beschreiben
das, was in der Ökonomie als »säkulare Stagnation« oder in der
Soziologie als »regressive Moderne«, »Abstiegsgesellschaften«
oder eben als real existierende, krisengeschüttelte und zu neo-
feudaler Ausbeutung tendierende »Postwachstumsgesellschaften«
charak terisiert wurde (Dörre et al. 2009; Gordon 2016; Nacht-
wey 2016; Zinn 2015). Postwachstum, wie es in der internationa-
len und deutschsprachigen Degrowth- bzw. Postwachstumsdis-
kussion eingeführt wurde, ist ein explizit normatives Konzept –
es geht um die Konturen eines wünschenswerten, demokrati-
19
sitionen, wie wir im dritten Kapitel darstellen (für Überblicke
siehe Muraca 2014; Muraca/Schmelzer 2017). Das liegt nicht zu-
letzt daran, dass »Wachstum« inhaltlich und politisch unterbe-
stimmt ist und das diffuse Unbehagen an gefühlt zunehmenden
Steigerungszwängen mit fast allen politischen Grundhaltungen
verknüpft werden kann. So erklärt sich auch, warum laut einer
re präsentativen Umfrage 78 Prozent der Bevölkerung in
Deutschland davon ausgehen, dass es natürliche Grenzen des
Wachstums gibt, die die industrialisierte Welt längst erreicht
oder schon überschritten hat. 91 Prozent stimmen gar der Aus-
sage zu: »Wir müssen Wege finden, wie wir unabhängig vom
Wirtschaftswachstum gut leben können.« (Eversberg 2018) Die
politischen Haltungen und Motive hinter diesen Aussagen sind
aber sehr unterschiedlich – und können fundamental von den
Grund gedanken der Postwachstumsdebatte abweichen.
Postwachstum als Fluchtpunkt verschiedener Wachstumskritiken
Postwachstum lässt sich verstehen als der Versuch, unterschiedli-
che Stränge der Wachstums- und Gesellschaftskritik zusammen-
zudenken und nach Alternativen zu suchen, die sich hieraus erge-
ben. Die vielfältigen wachstumskritischen Argumente, die in der
Postwachstumsdiskussion eine Rolle spielen, lassen sich analy-
tisch in sieben Stränge der Gesellschafts- und Wachstumskritik unter-
scheiden: 1. ökologische, 2. sozial-ökonomische, 3. kultu relle, 4.
Kapitalismus-, 5. feministische, 6. Industrialismus- sowie 7. Süd-
Nord-Kritik. Sie tauchen in der Literatur und in Diskussionen
nicht immer alle zusammen auf. Sich auf jeweils spezifische
Stränge und Traditionen der Wachstumskritik zu berufen ermög-
licht es, unterschiedliche Strömungen von Postwachstum vonei-
nander zu unterscheiden. Das dritte Kapitel dieses Buches ist der
ausführlichen Darstellung der Wachstumskritiken gewidmet.
18
Wirtschaftswachstum zerstört menschliche Lebensgrundla-
gen und kann nicht ökologisch nachhaltig gestaltet werden, das
ist die Kernaussage der ökologischen Wachstumskritik, die in allen
Strömungen der Postwachstumsdebatte eine zentrale Rolle spielt.
Sie kritisiert einen Technikoptimismus, der mit dem Verspre-
chen, Wachstum und Umweltverbrauch zu entkoppeln, seit den
1990er Jahren den Nachhaltigkeitsdiskurs beherrscht. Die öko-
logisch notwendige absolute Reduktion des Ressourcen- und
Materialverbrauchs, so ein Kernargument dieser grundlegenden
Kritik am »grünen Wachstum«, sei nicht möglich, wenn gleich-
zeitig die Wirtschaft weiter wächst. Deshalb setze Nachhaltig-
keit neben technologischem Fortschritt auch eine Verringerung
der biophysikalischen »Größe« der Wirtschaft und daher ein
Ende weiteren Wirtschaftswachstums in den Industrieländern
voraus.
Die sozial-ökonomische Kritik, die zweite der sieben Formen
der Gesellschafts- und Wachstumskritik, argumentiert mit einem
anderen Fokus: Weiteres Wirtschaftswachstum im globalen Nor -
den steigere die Lebensqualität nicht mehr, sondern stehe sogar
dem Wohlergehen und der Gleichheit aller entgegen. Die sozia-
len und ökologischen Kosten von Wachstum seien ab einem be-
stimmten individuellen oder gesellschaftlichen Einkommensni-
veau höher als dessen Vorteile. Diese These wird vor allem durch
wirtschaftswissenschaftliche Untersuchungen gestützt und ist
damit sehr anschlussfähig an internationale politik- und wirt-
schaftswissenschaftliche Debatten um Wohlstand und Lebens-
qualität.
Die dritte Kritikform, die kulturelle Kritik, beschäftigt sich
mit Entfremdung und den Steigerungslogiken, die Menschen
verinnerlicht haben. Die kulturelle Kritik fragt danach, inwie-
fern Menschen durch Wachstumsgesellschaften entfremdet ar-
beiten oder leben müssen und ob es subjektive Wachstumsgren-
19
sitionen, wie wir im dritten Kapitel darstellen (für Überblicke
siehe Muraca 2014; Muraca/Schmelzer 2017). Das liegt nicht zu-
letzt daran, dass »Wachstum« inhaltlich und politisch unterbe-
stimmt ist und das diffuse Unbehagen an gefühlt zunehmenden
Steigerungszwängen mit fast allen politischen Grundhaltungen
verknüpft werden kann. So erklärt sich auch, warum laut einer
re präsentativen Umfrage 78 Prozent der Bevölkerung in
Deutschland davon ausgehen, dass es natürliche Grenzen des
Wachstums gibt, die die industrialisierte Welt längst erreicht
oder schon überschritten hat. 91 Prozent stimmen gar der Aus-
sage zu: »Wir müssen Wege finden, wie wir unabhängig vom
Wirtschaftswachstum gut leben können.« (Eversberg 2018) Die
politischen Haltungen und Motive hinter diesen Aussagen sind
aber sehr unterschiedlich – und können fundamental von den
Grund gedanken der Postwachstumsdebatte abweichen.
Postwachstum als Fluchtpunkt verschiedener Wachstumskritiken
Postwachstum lässt sich verstehen als der Versuch, unterschiedli-
che Stränge der Wachstums- und Gesellschaftskritik zusammen-
zudenken und nach Alternativen zu suchen, die sich hieraus erge-
ben. Die vielfältigen wachstumskritischen Argumente, die in der
Postwachstumsdiskussion eine Rolle spielen, lassen sich analy-
tisch in sieben Stränge der Gesellschafts- und Wachstumskritik unter-
scheiden: 1. ökologische, 2. sozial-ökonomische, 3. kultu relle, 4.
Kapitalismus-, 5. feministische, 6. Industrialismus- sowie 7. Süd-
Nord-Kritik. Sie tauchen in der Literatur und in Diskussionen
nicht immer alle zusammen auf. Sich auf jeweils spezifische
Stränge und Traditionen der Wachstumskritik zu berufen ermög-
licht es, unterschiedliche Strömungen von Postwachstum vonei-
nander zu unterscheiden. Das dritte Kapitel dieses Buches ist der
ausführlichen Darstellung der Wachstumskritiken gewidmet.
18
Wirtschaftswachstum zerstört menschliche Lebensgrundla-
gen und kann nicht ökologisch nachhaltig gestaltet werden, das
ist die Kernaussage der ökologischen Wachstumskritik, die in allen
Strömungen der Postwachstumsdebatte eine zentrale Rolle spielt.
Sie kritisiert einen Technikoptimismus, der mit dem Verspre-
chen, Wachstum und Umweltverbrauch zu entkoppeln, seit den
1990er Jahren den Nachhaltigkeitsdiskurs beherrscht. Die öko-
logisch notwendige absolute Reduktion des Ressourcen- und
Materialverbrauchs, so ein Kernargument dieser grundlegenden
Kritik am »grünen Wachstum«, sei nicht möglich, wenn gleich-
zeitig die Wirtschaft weiter wächst. Deshalb setze Nachhaltig-
keit neben technologischem Fortschritt auch eine Verringerung
der biophysikalischen »Größe« der Wirtschaft und daher ein
Ende weiteren Wirtschaftswachstums in den Industrieländern
voraus.
Die sozial-ökonomische Kritik, die zweite der sieben Formen
der Gesellschafts- und Wachstumskritik, argumentiert mit einem
anderen Fokus: Weiteres Wirtschaftswachstum im globalen Nor -
den steigere die Lebensqualität nicht mehr, sondern stehe sogar
dem Wohlergehen und der Gleichheit aller entgegen. Die sozia-
len und ökologischen Kosten von Wachstum seien ab einem be-
stimmten individuellen oder gesellschaftlichen Einkommensni-
veau höher als dessen Vorteile. Diese These wird vor allem durch
wirtschaftswissenschaftliche Untersuchungen gestützt und ist
damit sehr anschlussfähig an internationale politik- und wirt-
schaftswissenschaftliche Debatten um Wohlstand und Lebens-
qualität.
Die dritte Kritikform, die kulturelle Kritik, beschäftigt sich
mit Entfremdung und den Steigerungslogiken, die Menschen
verinnerlicht haben. Die kulturelle Kritik fragt danach, inwie-
fern Menschen durch Wachstumsgesellschaften entfremdet ar-
beiten oder leben müssen und ob es subjektive Wachstumsgren-
2120
fig von anderen linken und emanzipatorischen Gesellschaftsent-
würfen unterscheidet.
Die Süd-Nord-Kritik schließlich verdeutlicht siebtens, dass
Wirtschaftswachstum in den Ländern des globalen Nordens not -
wendig mit einem peripheren Status der Länder des globalen Sü -
dens zusammenhängt – als abhängige Rohstofflieferanten und
zur Ausbeutung billiger Arbeitskräfte. Daher, so das Argument,
könne die imperiale Lebensweise der Wachstumsgesellschaften
auch nicht verallgemeinert werden. In ihrer radikalsten Form
hinterfragt diese Kritik Begriffe wie »Zivilisation«, »Entwick-
lung« und »Fortschritt« selbst. Die Süd-Nord-Kritik hat zentral
die Anfänge der Décroissance-Bewegung in Frankreich inspiriert
und ist in verschiedenen Ausprägungen bestimmend für viele
aktivistische Formen von Postwachstum über Ländergrenzen
hinweg.
Die Besonderheit und das teilweise noch weiter zu entwi -
ckelnde Potenzial der Postwachstumsdiskussion bestehen darin,
diese diversen Kritikformen aufzugreifen, anzuerkennen, in ge-
genseitigen produktiven Austausch zu bringen und als Teile eines
gemeinsamen Diskursraums zu begreifen. Dieses Buch ist daher
nicht nur eine Einführung in die Vision von Postwachstum und
Degrowth, son dern notwendigerweise auch eine Einführung in
die Kritiken des Wachstums und der Steigerungsdynamiken
moderner Gesellschaften.
Postwachstum als Vision
Auch wenn die verschiedenen Formen der Wachstumskritik eine
zentrale Basis der Postwachstumsdiskussion darstellen, geht diese
deutlich über sie hinaus. Es geht jenseits der Kritik um den Ver-
such, »konkrete Utopien« (Muraca 2015) zu entwerfen und diese
mit widerständigen Praktiken und alternativen Lebensweisen im
zen geben kann. Sie vollzieht nach, wie Menschen von Stei -
gerungslogiken geformt werden und wie sie als Subjekte selbst
zu Wachstumstreibern werden. Diese Motive sind – mit etwas
unterschiedlichem Fokus – vor allem in den romanisch- und
deutschsprachigen Diskussionen prominent, sowohl in den So-
zialwissenschaften als auch in den öffentlichen Medien.
Viertens argumentiert die Kapitalismuskritik, dass Wachstum
von kapitalistischer Ausbeutung und Akkumulation abhänge
und nicht unabhängig von diesen verstanden und verändert
werden kann. Deshalb müsse eine emanzipatorische Postwachs-
tumsgesellschaft eine postkapitalistische Gesellschaft sein. Diese
Sichtweise gewinnt in den internationalen Degrowth-Diskussio-
nen zunehmend an Prominenz und vereint akademische Strö-
mungen mit aktivistischen linken Bewegungen.
Fünftens hebt die feministische Wachstumskritik hervor, dass
das bisherige Wachstumsregime auf einer Abwertung und Aus-
beutung von Reproduktionsarbeit wie Pflege, Erziehung, Haus-
und Gartenarbeit basiere, die meist »weiblich« konnotiert ist
und vor allem von Frauen2erledigt wird. Wachstum profitiere
von ungleichen Geschlechterverhältnissen und bringe diese
immer wieder neu hervor. Dabei sind vor allem (öko-)feministi-
sche Diskussionen, die sich mit dem Zusammenhang zwischen
der Ausbeutung von »weiblicher« Arbeit und jener von »Natur«
beschäf tigen, für Postwachstum besonders einschlägig. Diese Kri-
tikform wurde und wird trotz ihrer Bedeutung für die Debatte
in vielen Darstellungen bislang nur unzureichend rezipiert.
Die Industrialismuskritik zeigt sechstens, dass Wirtschafts-
wachstum auf Infrastrukturen und Techniken basiert, die nicht
»neutral« für ein anderes Gesellschaftssystem übernommen wer -
den können, sondern selbst bestimmte Formen von Herrschaft
bedingen. Sie ist eine für viele Formen der Postwachstumsdis-
kussion grundlegende Kritik, die Postwachstumsentwürfe häu-
2120
fig von anderen linken und emanzipatorischen Gesellschaftsent-
würfen unterscheidet.
Die Süd-Nord-Kritik schließlich verdeutlicht siebtens, dass
Wirtschaftswachstum in den Ländern des globalen Nordens not -
wendig mit einem peripheren Status der Länder des globalen Sü -
dens zusammenhängt – als abhängige Rohstofflieferanten und
zur Ausbeutung billiger Arbeitskräfte. Daher, so das Argument,
könne die imperiale Lebensweise der Wachstumsgesellschaften
auch nicht verallgemeinert werden. In ihrer radikalsten Form
hinterfragt diese Kritik Begriffe wie »Zivilisation«, »Entwick-
lung« und »Fortschritt« selbst. Die Süd-Nord-Kritik hat zentral
die Anfänge der Décroissance-Bewegung in Frankreich inspiriert
und ist in verschiedenen Ausprägungen bestimmend für viele
aktivistische Formen von Postwachstum über Ländergrenzen
hinweg.
Die Besonderheit und das teilweise noch weiter zu entwi -
ckelnde Potenzial der Postwachstumsdiskussion bestehen darin,
diese diversen Kritikformen aufzugreifen, anzuerkennen, in ge-
genseitigen produktiven Austausch zu bringen und als Teile eines
gemeinsamen Diskursraums zu begreifen. Dieses Buch ist daher
nicht nur eine Einführung in die Vision von Postwachstum und
Degrowth, son dern notwendigerweise auch eine Einführung in
die Kritiken des Wachstums und der Steigerungsdynamiken
moderner Gesellschaften.
Postwachstum als Vision
Auch wenn die verschiedenen Formen der Wachstumskritik eine
zentrale Basis der Postwachstumsdiskussion darstellen, geht diese
deutlich über sie hinaus. Es geht jenseits der Kritik um den Ver-
such, »konkrete Utopien« (Muraca 2015) zu entwerfen und diese
mit widerständigen Praktiken und alternativen Lebensweisen im
zen geben kann. Sie vollzieht nach, wie Menschen von Stei -
gerungslogiken geformt werden und wie sie als Subjekte selbst
zu Wachstumstreibern werden. Diese Motive sind – mit etwas
unterschiedlichem Fokus – vor allem in den romanisch- und
deutschsprachigen Diskussionen prominent, sowohl in den So-
zialwissenschaften als auch in den öffentlichen Medien.
Viertens argumentiert die Kapitalismuskritik, dass Wachstum
von kapitalistischer Ausbeutung und Akkumulation abhänge
und nicht unabhängig von diesen verstanden und verändert
werden kann. Deshalb müsse eine emanzipatorische Postwachs-
tumsgesellschaft eine postkapitalistische Gesellschaft sein. Diese
Sichtweise gewinnt in den internationalen Degrowth-Diskussio-
nen zunehmend an Prominenz und vereint akademische Strö-
mungen mit aktivistischen linken Bewegungen.
Fünftens hebt die feministische Wachstumskritik hervor, dass
das bisherige Wachstumsregime auf einer Abwertung und Aus-
beutung von Reproduktionsarbeit wie Pflege, Erziehung, Haus-
und Gartenarbeit basiere, die meist »weiblich« konnotiert ist
und vor allem von Frauen2erledigt wird. Wachstum profitiere
von ungleichen Geschlechterverhältnissen und bringe diese
immer wieder neu hervor. Dabei sind vor allem (öko-)feministi-
sche Diskussionen, die sich mit dem Zusammenhang zwischen
der Ausbeutung von »weiblicher« Arbeit und jener von »Natur«
beschäf tigen, für Postwachstum besonders einschlägig. Diese Kri-
tikform wurde und wird trotz ihrer Bedeutung für die Debatte
in vielen Darstellungen bislang nur unzureichend rezipiert.
Die Industrialismuskritik zeigt sechstens, dass Wirtschafts-
wachstum auf Infrastrukturen und Techniken basiert, die nicht
»neutral« für ein anderes Gesellschaftssystem übernommen wer -
den können, sondern selbst bestimmte Formen von Herrschaft
bedingen. Sie ist eine für viele Formen der Postwachstumsdis-
kussion grundlegende Kritik, die Postwachstumsentwürfe häu-
als Strömungen. Wir unterscheiden fünf Strömungen der
Postwachs tumsdiskussion. Diese basieren jeweils auf bestimm-
ten Kritikformen, haben unterschiedliche praktische und gesell-
schaftliche Verankerungen und stellen je eine spezifische
Schwerpunktsetzung in den Vordergrund. In vielem allerdings
überschneiden sie sich auch stark unsere Einteilung ist also
nützlich für eine erste Übersicht, aber nicht als absolute Ab-
grenzung zu verstehen.
Die erste dieser fünf Strömungen, die institutionenorientierte,
zielt vor allem auf die Überwindung der politischen Wachs-
tumsfixierung und die Umgestaltung bisher wachstumsabhängi-
ger und -treibender Institutionen durch politische Reformen
und Suffizienzpolitiken, aber auch auf eine grundlegend andere
Makroökonomie ab. Zweitens fokussiert die suffizienzorientier-
ten Strömung vor allem auf individuelle Verhaltensänderungen.
Ziel ist es, durch das Vorleben von Alternativen wie die Etablie-
rung lokaler Selbstversorgung, durch Reparieren und Selberma-
chen und »freiwillige Einfachheit« den individuellen Ressour-
cenverbrauch radikal zu reduzieren. Die commonsorientierte
oder alternativökonomische Strömung zielt drittens ebenfalls auf
Suffizienz, also Selbstgenügsamkeit. Sie fokussiert dabei jedoch
stärker auf kollektive Organisationsformen wie den Aufbau al-
ternativer Infrastrukturen, solidarischer Kooperativen und
nicht-kapitalistischer Formen des gemeinschaftlichen Produzie-
rens und Auskommens. Viertens setzt sich die feministische
Strömung, vor allem der Ökofeminismus, besonders mit dem
Zusam menhang zwischen kapitalistischer Ausbeutung von
(»weiblicher«) Reproduktionsarbeit, »Natur« und der (postkolo-
nialen) Ökono mien des globalen Südens auseinander. Sie stellt
Sorgearbeit und das Lebensnotwendige ins Zentrum ihrer Kri-
tik. Die kapitalismus- und globalisierungskritische Strömung be-
tont ausgehend von der Notwendigkeit der Überwindung kapi-
23
Hier und Jetzt zu verbinden. Postwachstum ist dabei ein Dach -
begriff, der einen Rahmen bietet für Menschen, die sich mit dem
Zusammenspiel der oben vorgestellten sieben Kritikformen und
möglichen Antworten darauf auseinandersetzen – sowohl theore-
tisch als auch praktisch (Demaria et al. 2013). Das vierte Kapitel
dieses Buches ist daher einem Überblick zu zentralen Zieldimen-
sionen, politischen Vorschlägen und Transformationsstrategien für
eine Postwachstumsgesellschaft gewidmet.
Im Kern geht es bei Postwachstumsvorschlägen darum, die
dominante ökonomische Logik und das ökonomische Kalkül –
also die Frage, ob es sich in Geld rechnet – als in vielen Kontex-
ten alleinige Entscheidungsgrundlage zurückzudrängen. Ziel ist
damit ebenso die Repolitisierung und Demokratisierung von
gesellschaftlichen Institutionen wie von Macht- und Eigentums-
verhältnissen und die Erkämpfung von selbstbestimmten Frei-
räumen, um dadurch die gesellschaftliche Dominanz und Logik
»der Ökonomie« zu verlassen (Fournier 2008).
Dabei bezieht sich Postwachstum ausdrücklich auf die frühin-
dustrialisierten Länder des globalen Nor dens, da dort der Um-
weltverbrauch – der stark von Vermögen und Einkommen ab-
hängt mit Abstand am größten ist und weil die früh-
industrialisierten Länder auch historisch den größten Teil der
ökologischen Zerstörung zu verantworten und gleichzeitig am
meisten durch Wirtschaftswachstum profitiert haben. Soziale
Bewegungen aus dem globalen Süden sind dabei jedoch wich-
tige Bündnispartner (siehe auch Kap. 3.7).
In der Postwachstumsdiskussion gibt es unterschiedliche po-
litisch-strategische Strömungen. Während wir bei der Wachs-
tums kritik, der einen Seite der Postwachstumsdiskussion, von
unterschiedlichen Strängen sprechen, die in der Postwachstums-
diskussion zusammenfließen, beschreiben wir die Unterschiede
im Hinblick auf die Visionen und Transformationsvorstellungen
22
als Strömungen. Wir unterscheiden fünf Strömungen der
Postwachs tumsdiskussion. Diese basieren jeweils auf bestimm-
ten Kritikformen, haben unterschiedliche praktische und gesell-
schaftliche Verankerungen und stellen je eine spezifische
Schwerpunktsetzung in den Vordergrund. In vielem allerdings
überschneiden sie sich auch stark unsere Einteilung ist also
nützlich für eine erste Übersicht, aber nicht als absolute Ab-
grenzung zu verstehen.
Die erste dieser fünf Strömungen, die institutionenorientierte,
zielt vor allem auf die Überwindung der politischen Wachs-
tumsfixierung und die Umgestaltung bisher wachstumsabhängi-
ger und -treibender Institutionen durch politische Reformen
und Suffizienzpolitiken, aber auch auf eine grundlegend andere
Makroökonomie ab. Zweitens fokussiert die suffizienzorientier-
ten Strömung vor allem auf individuelle Verhaltensänderungen.
Ziel ist es, durch das Vorleben von Alternativen wie die Etablie-
rung lokaler Selbstversorgung, durch Reparieren und Selberma-
chen und »freiwillige Einfachheit« den individuellen Ressour-
cenverbrauch radikal zu reduzieren. Die commonsorientierte
oder alternativökonomische Strömung zielt drittens ebenfalls auf
Suffizienz, also Selbstgenügsamkeit. Sie fokussiert dabei jedoch
stärker auf kollektive Organisationsformen wie den Aufbau al-
ternativer Infrastrukturen, solidarischer Kooperativen und
nicht-kapitalistischer Formen des gemeinschaftlichen Produzie-
rens und Auskommens. Viertens setzt sich die feministische
Strömung, vor allem der Ökofeminismus, besonders mit dem
Zusam menhang zwischen kapitalistischer Ausbeutung von
(»weiblicher«) Reproduktionsarbeit, »Natur« und der (postkolo-
nialen) Ökono mien des globalen Südens auseinander. Sie stellt
Sorgearbeit und das Lebensnotwendige ins Zentrum ihrer Kri-
tik. Die kapitalismus- und globalisierungskritische Strömung be-
tont ausgehend von der Notwendigkeit der Überwindung kapi-
23
Hier und Jetzt zu verbinden. Postwachstum ist dabei ein Dach -
begriff, der einen Rahmen bietet für Menschen, die sich mit dem
Zusammenspiel der oben vorgestellten sieben Kritikformen und
möglichen Antworten darauf auseinandersetzen – sowohl theore-
tisch als auch praktisch (Demaria et al. 2013). Das vierte Kapitel
dieses Buches ist daher einem Überblick zu zentralen Zieldimen-
sionen, politischen Vorschlägen und Transformationsstrategien für
eine Postwachstumsgesellschaft gewidmet.
Im Kern geht es bei Postwachstumsvorschlägen darum, die
dominante ökonomische Logik und das ökonomische Kalkül –
also die Frage, ob es sich in Geld rechnet – als in vielen Kontex-
ten alleinige Entscheidungsgrundlage zurückzudrängen. Ziel ist
damit ebenso die Repolitisierung und Demokratisierung von
gesellschaftlichen Institutionen wie von Macht- und Eigentums-
verhältnissen und die Erkämpfung von selbstbestimmten Frei-
räumen, um dadurch die gesellschaftliche Dominanz und Logik
»der Ökonomie« zu verlassen (Fournier 2008).
Dabei bezieht sich Postwachstum ausdrücklich auf die frühin-
dustrialisierten Länder des globalen Nor dens, da dort der Um-
weltverbrauch – der stark von Vermögen und Einkommen ab-
hängt mit Abstand am größten ist und weil die früh-
industrialisierten Länder auch historisch den größten Teil der
ökologischen Zerstörung zu verantworten und gleichzeitig am
meisten durch Wirtschaftswachstum profitiert haben. Soziale
Bewegungen aus dem globalen Süden sind dabei jedoch wich-
tige Bündnispartner (siehe auch Kap. 3.7).
In der Postwachstumsdiskussion gibt es unterschiedliche po-
litisch-strategische Strömungen. Während wir bei der Wachs-
tums kritik, der einen Seite der Postwachstumsdiskussion, von
unterschiedlichen Strängen sprechen, die in der Postwachstums-
diskussion zusammenfließen, beschreiben wir die Unterschiede
im Hinblick auf die Visionen und Transformationsvorstellungen
22
also dem Verbrauch von Rohstoffen und Energie – ausreichend
zu entkoppeln. Die Wachstumsrücknahme muss dabei differen-
ziert geschehen: Es geht um das selektive Wachstum – einige sa -
gen lieber das Prosperieren oder »Blühen« – bestimmter zukunfts -
fähiger, sozialer und ökologischer Sektoren sowie Aktivitäten
und den gleichzeitigen Rückbau jener Bereiche gesellschaftlicher
Aktivität, die dies nicht sind (D’Alisa et al. 2016). Insgesamt
zielt Postwachstum damit auf eine Deprivilegierung derjenigen
ab, seien dies Menschen im globalen Norden oder die zuneh-
mend an solchen Lebensweisen teilnehmenden Eliten des glo-
balen Südens, die aufgrund der imperialen und nicht verallge-
meinerbaren Lebensweise aktuell auf Kosten anderer leben.
2. Gutes Leben: Ziel einer Postwachstumsgesellschaft ist es, so-
ziale Gerechtigkeit, Demokratie und Selbstbestimmung zu stär-
ken und unter Bedingungen eines veränderten Stoffwechsels ein
gutes Leben für alle Menschen zu ermöglichen. Unter welchen
Bedingungen kann Reduktion so gelingen, dass die wirtschaftli-
chen, sozialen und kulturellen Rechte, die in den letzten Jahr-
hunderten erkämpft worden sind, erhalten und ausgebaut wer-
den? Dass diese Frage nach den Möglichkeiten einer »reduktiven
Moderne« (Sommer/Welzer 2014) ausgesprochen komplex ist
und weitreichende Auswirkungen hat, liegt auf der Hand. Dies
gilt vor allem, wenn man berücksichtigt, wie umfassend die Pro-
duktions- und Lebensweise, die derzeit in den Industrieländern
auch den sozialen Errungenschaften von der Demokratie bis
hin zum Sozialstaat zugrunde liegt, mit Wirtschaftswachstum,
mit gewaltförmiger Expansion, Herrschaft und Naturzerstörung
verwoben und daher strukturell nicht-nachhaltig ist (Kap. 2 und
3). Postwachstumsvorschläge beschäftigen sich daher zum einen
damit, wie ohne Wachstum soziale Gerechtigkeit gestärkt werden
kann – durch Politiken der radikalen Umverteilung von Einkom -
2524
talistischer Wachstumszwänge und der damit zusammenhän-
genden Machtdynamiken schließlich fünftens, dass eine emanzi-
patorische Post wachstumsgesellschaft grundlegende strukturelle
Veränderungen nach sich zieht – von der Arbeitsgesellschaft bis
hin zu den vorherrschenden Eigentumsformen. Diese seien
nicht ohne heftige gesellschaftliche Konflikte und Auseinander-
setzungen möglich.
Trotz dieser verschiedenen Ausrichtungen der Strömungen gibt
es zentrale Gemeinsamkeiten, die so etwas wie den Kern der
Postwachstumsperspektive darstellen. Ausgehend von bisheri-
gen Definitionen (siehe Kap. 4.1.) und unserer eigenen systema-
tisierenden Analyse existierender Strömungen schlagen wir vor,
diese als drei Zieldimensionen von Postwachstum zu fassen, die
es in einem demokratischen Transformationsprozess zu errei-
chen gilt:
1. Globale ökologische Gerechtigkeit: Eine Postwachstumsgesell-
schaft sorgt langfristig weltweit für den Erhalt der ökologischen
Grundlagen für ein gutes Leben. Sie externalisiert nicht ihre Kos-
ten in Raum und Zeit sie ist nachhaltig und global verallge-
meinerbar. Dabei wird in der Postwachstumsdebatte davon aus-
gegangen, dass die dafür notwendige radikale Verringerung des
Durchsatzes an Materie, Energie und Emissionen in Gesell-
schaften des globalen Nordens nur durch eine Reduktion der
Wirtschaftsleistung und einen tiefgreifenden Umbau von Pro-
duktion und Konsum möglich ist. Auch wenn es oft so verstan-
den wird: Wirtschaftliche Schrumpfung ist nicht das Ziel von
Postwachstum, und ebenso wenig ist Postwachstum das Gegen-
teil von Wachstum. Die Reduktion von Produktion und Konsum
ist vielmehr eine notwendige Konsequenz der Tatsache, dass es
unmöglich ist, Wirtschaftswachstum von Materialdurchsatz –
also dem Verbrauch von Rohstoffen und Energie – ausreichend
zu entkoppeln. Die Wachstumsrücknahme muss dabei differen-
ziert geschehen: Es geht um das selektive Wachstum – einige sa -
gen lieber das Prosperieren oder »Blühen« – bestimmter zukunfts -
fähiger, sozialer und ökologischer Sektoren sowie Aktivitäten
und den gleichzeitigen Rückbau jener Bereiche gesellschaftlicher
Aktivität, die dies nicht sind (D’Alisa et al. 2016). Insgesamt
zielt Postwachstum damit auf eine Deprivilegierung derjenigen
ab, seien dies Menschen im globalen Norden oder die zuneh-
mend an solchen Lebensweisen teilnehmenden Eliten des glo-
balen Südens, die aufgrund der imperialen und nicht verallge-
meinerbaren Lebensweise aktuell auf Kosten anderer leben.
2. Gutes Leben: Ziel einer Postwachstumsgesellschaft ist es, so-
ziale Gerechtigkeit, Demokratie und Selbstbestimmung zu stär-
ken und unter Bedingungen eines veränderten Stoffwechsels ein
gutes Leben für alle Menschen zu ermöglichen. Unter welchen
Bedingungen kann Reduktion so gelingen, dass die wirtschaftli-
chen, sozialen und kulturellen Rechte, die in den letzten Jahr-
hunderten erkämpft worden sind, erhalten und ausgebaut wer-
den? Dass diese Frage nach den Möglichkeiten einer »reduktiven
Moderne« (Sommer/Welzer 2014) ausgesprochen komplex ist
und weitreichende Auswirkungen hat, liegt auf der Hand. Dies
gilt vor allem, wenn man berücksichtigt, wie umfassend die Pro-
duktions- und Lebensweise, die derzeit in den Industrieländern
auch den sozialen Errungenschaften von der Demokratie bis
hin zum Sozialstaat zugrunde liegt, mit Wirtschaftswachstum,
mit gewaltförmiger Expansion, Herrschaft und Naturzerstörung
verwoben und daher strukturell nicht-nachhaltig ist (Kap. 2 und
3). Postwachstumsvorschläge beschäftigen sich daher zum einen
damit, wie ohne Wachstum soziale Gerechtigkeit gestärkt werden
kann – durch Politiken der radikalen Umverteilung von Einkom -
2524
talistischer Wachstumszwänge und der damit zusammenhän-
genden Machtdynamiken schließlich fünftens, dass eine emanzi-
patorische Post wachstumsgesellschaft grundlegende strukturelle
Veränderungen nach sich zieht – von der Arbeitsgesellschaft bis
hin zu den vorherrschenden Eigentumsformen. Diese seien
nicht ohne heftige gesellschaftliche Konflikte und Auseinander-
setzungen möglich.
Trotz dieser verschiedenen Ausrichtungen der Strömungen gibt
es zentrale Gemeinsamkeiten, die so etwas wie den Kern der
Postwachstumsperspektive darstellen. Ausgehend von bisheri-
gen Definitionen (siehe Kap. 4.1.) und unserer eigenen systema-
tisierenden Analyse existierender Strömungen schlagen wir vor,
diese als drei Zieldimensionen von Postwachstum zu fassen, die
es in einem demokratischen Transformationsprozess zu errei-
chen gilt:
1. Globale ökologische Gerechtigkeit: Eine Postwachstumsgesell-
schaft sorgt langfristig weltweit für den Erhalt der ökologischen
Grundlagen für ein gutes Leben. Sie externalisiert nicht ihre Kos-
ten in Raum und Zeit sie ist nachhaltig und global verallge-
meinerbar. Dabei wird in der Postwachstumsdebatte davon aus-
gegangen, dass die dafür notwendige radikale Verringerung des
Durchsatzes an Materie, Energie und Emissionen in Gesell-
schaften des globalen Nordens nur durch eine Reduktion der
Wirtschaftsleistung und einen tiefgreifenden Umbau von Pro-
duktion und Konsum möglich ist. Auch wenn es oft so verstan-
den wird: Wirtschaftliche Schrumpfung ist nicht das Ziel von
Postwachstum, und ebenso wenig ist Postwachstum das Gegen-
teil von Wachstum. Die Reduktion von Produktion und Konsum
ist vielmehr eine notwendige Konsequenz der Tatsache, dass es
unmöglich ist, Wirtschaftswachstum von Materialdurchsatz –
2726
dass die Gesellschaft nicht auf Wachstum und Steigerung ange-
wiesen ist, um ihre zentralen Strukturen und ihre Funktionswei se
zu reproduzieren. Wachstumsunabhängigkeit ist damit eine
grundlegende Bedingung für gesellschaftliche Autonomie.
Dies, so unser Vorschlag, sind die drei Kernanliegen der Post-
wachstumsperspektive. Sie ermöglichen es auch, unterschiedli-
che Postwachstumsströmungen danach zu unterscheiden, wie
stark sie einen oder mehrere dieser Punkte betonen oder eher
vernachlässigen. Wir halten alle drei für zentral.
Postwachstumspolitiken und Transformationswege
Zahlreiche politische Vorschläge beschäftigen sich mit den vielfäl-
tigen Fragen, die sich aus diesen drei Zieldimensionen ergeben.
Neben abstrakteren Zielbestimmungen zeichnet sich die Post-
wachstumsdiskussion durch vielfältige konkrete Vorschläge für
»nicht-reformistische Reformen« (André Gorz) oder eine »revo-
lutionäre Realpolitik« (Rosa Luxemburg) aus. Gemeint sind da -
mit Politiken, die zwar an bereits bestehende Strukturen, Instru -
mente und Regelungen anknüpfen, aber besonders in ihrem
Zusammenspiel über die kapitalistische, wachstumsorientierte
Produktionsweise hinausweisen und Räume für deren Überwin-
dung verteidigen und erweitern. Wir fokussieren auf politische
Vorschläge in fünf Bereichen: Abwicklung, Demokratisierung
der Wirtschaft, Technik, Arbeit und soziale Sicherung (Kap. 4.3).
1. Abwicklung: Zum einen geht es um Vorschläge zur gerechten
Gestaltung des notwendigen Rück- und Umbaus weiter Berei-
che von Produktion und Konsum. Aus Postwachstumsperspek-
tive reicht es nicht aus, gemeinwohlorientierte, grüne und sozia -
le Wirtschaftsakteure, -produkte oder -bereiche zu unterstützen.
men, Vermögen und Arbeit sowie durch eine für alle zugängli-
che umfassende Daseinsvorsorge. Zum anderen wird die Vertie-
fung demokratischer Prozesse angestrebt und die Ausweitung
des Raums demokratischer Mitbestimmung in Richtung einer
Vergesellschaftung zentraler Wirtschaftsbereiche und Wirtschafts -
demokratie angesprochen. Und schließlich geht es um die Suche
nach einem umfassenden Verständnis eines guten und gelingen-
den Lebens, von dem das materielle Wohlbefinden nur ein Teil
ist. Konzepte aus Postwachstumsdiskussionen dazu sind Zeit-
wohlstand, Konvivialität als positives Aufeinander-bezogen-Sein
und Resonanz als »antworten de« Selbst- und Weltbeziehung.
3. Wachstumsunabhängigkeit: Die Institutionen und Infrastruk-
turen einer Postwachstumsgesellschaft werden so umgestaltet,
dass sie nicht auf Wirtschaftswachstum und Steigerung angewie -
sen sind und diese auch nicht erzeugen. Denn Wachstumsgesell-
schaften sind strukturell wachstumsabhängig. Innerhalb von
Wachstumsgesellschaften führt die Reduktion der Wirtschafts-
aktivität – diskutiert als Rezession, Stagnation oder Depression
zu sozialen Kürzungen, Verarmung und weiteren Begleiter-
scheinungen kapitalistischer Krisen. Aber Postwachstum heißt
gerade nicht – auch wenn dies oft missverständlich so interpre-
tiert wird, die Wirtschaft innerhalb der bestehenden wachstums -
abhängigen Strukturen und Verteilungsverhältnisse zu schrumpfen.
Vielmehr geht es um strukturelle gesellschaftliche Veränderun-
gen, um die Überwindung der Wachstumsgesellschaft. Wachs-
tumsabhängigkeiten wurden dabei in der Postwachstumsdiskus-
sion der letzten Jahre vor allem auf vier Ebenen identifiziert und
entsprechende Vorschläge zu deren Überwindung diskutiert:
materielle Infrastrukturen und technische Systeme; gesellschaft-
liche Institutionen; mentale Infrastrukturen; und schließlich das
Wirtschaftssystem als ganzes. Wachstumsunabhängigkeit heißt,
2726
dass die Gesellschaft nicht auf Wachstum und Steigerung ange-
wiesen ist, um ihre zentralen Strukturen und ihre Funktionswei se
zu reproduzieren. Wachstumsunabhängigkeit ist damit eine
grundlegende Bedingung für gesellschaftliche Autonomie.
Dies, so unser Vorschlag, sind die drei Kernanliegen der Post-
wachstumsperspektive. Sie ermöglichen es auch, unterschiedli-
che Postwachstumsströmungen danach zu unterscheiden, wie
stark sie einen oder mehrere dieser Punkte betonen oder eher
vernachlässigen. Wir halten alle drei für zentral.
Postwachstumspolitiken und Transformationswege
Zahlreiche politische Vorschläge beschäftigen sich mit den vielfäl-
tigen Fragen, die sich aus diesen drei Zieldimensionen ergeben.
Neben abstrakteren Zielbestimmungen zeichnet sich die Post-
wachstumsdiskussion durch vielfältige konkrete Vorschläge für
»nicht-reformistische Reformen« (André Gorz) oder eine »revo-
lutionäre Realpolitik« (Rosa Luxemburg) aus. Gemeint sind da -
mit Politiken, die zwar an bereits bestehende Strukturen, Instru -
mente und Regelungen anknüpfen, aber besonders in ihrem
Zusammenspiel über die kapitalistische, wachstumsorientierte
Produktionsweise hinausweisen und Räume für deren Überwin-
dung verteidigen und erweitern. Wir fokussieren auf politische
Vorschläge in fünf Bereichen: Abwicklung, Demokratisierung
der Wirtschaft, Technik, Arbeit und soziale Sicherung (Kap. 4.3).
1. Abwicklung: Zum einen geht es um Vorschläge zur gerechten
Gestaltung des notwendigen Rück- und Umbaus weiter Berei-
che von Produktion und Konsum. Aus Postwachstumsperspek-
tive reicht es nicht aus, gemeinwohlorientierte, grüne und sozia -
le Wirtschaftsakteure, -produkte oder -bereiche zu unterstützen.
men, Vermögen und Arbeit sowie durch eine für alle zugängli-
che umfassende Daseinsvorsorge. Zum anderen wird die Vertie-
fung demokratischer Prozesse angestrebt und die Ausweitung
des Raums demokratischer Mitbestimmung in Richtung einer
Vergesellschaftung zentraler Wirtschaftsbereiche und Wirtschafts -
demokratie angesprochen. Und schließlich geht es um die Suche
nach einem umfassenden Verständnis eines guten und gelingen-
den Lebens, von dem das materielle Wohlbefinden nur ein Teil
ist. Konzepte aus Postwachstumsdiskussionen dazu sind Zeit-
wohlstand, Konvivialität als positives Aufeinander-bezogen-Sein
und Resonanz als »antworten de« Selbst- und Weltbeziehung.
3. Wachstumsunabhängigkeit: Die Institutionen und Infrastruk-
turen einer Postwachstumsgesellschaft werden so umgestaltet,
dass sie nicht auf Wirtschaftswachstum und Steigerung angewie -
sen sind und diese auch nicht erzeugen. Denn Wachstumsgesell-
schaften sind strukturell wachstumsabhängig. Innerhalb von
Wachstumsgesellschaften führt die Reduktion der Wirtschafts-
aktivität – diskutiert als Rezession, Stagnation oder Depression
zu sozialen Kürzungen, Verarmung und weiteren Begleiter-
scheinungen kapitalistischer Krisen. Aber Postwachstum heißt
gerade nicht – auch wenn dies oft missverständlich so interpre-
tiert wird, die Wirtschaft innerhalb der bestehenden wachstums -
abhängigen Strukturen und Verteilungsverhältnisse zu schrumpfen.
Vielmehr geht es um strukturelle gesellschaftliche Veränderun-
gen, um die Überwindung der Wachstumsgesellschaft. Wachs-
tumsabhängigkeiten wurden dabei in der Postwachstumsdiskus-
sion der letzten Jahre vor allem auf vier Ebenen identifiziert und
entsprechende Vorschläge zu deren Überwindung diskutiert:
materielle Infrastrukturen und technische Systeme; gesellschaft-
liche Institutionen; mentale Infrastrukturen; und schließlich das
Wirtschaftssystem als ganzes. Wachstumsunabhängigkeit heißt,
2928
Kooperativen, als Gemeingüter bzw. Commons oder als ge-
meinwohlorientierte Unternehmen wirtschaften, zu verteidi-
gen, auszubauen und politisch-rechtlich zu stärken. Wirtschaft-
liche Aktivitäten sollen an konkreten Bedürfnissen und am
Gemeinwohl orientiert, wachstumsunabhängig, ohne Ausbeu-
tung von Menschen und auf Basis herrschaftsarmer gesellschaft-
licher Naturverhältnisse gestaltet werden. Und dies geht nur,
wenn ökonomische Entscheidungen als grundlegend politische
Entscheidungen verstanden werden, bei denen alle Betroffenen
demokratische Mitspracherechte haben. Ein Weg dorthin ist die
Ausweitung der Produk tionsweisen, die auf Commons, also Ge-
meineigentum, beruhen. Um kleine und genossenschaftlich or-
ganisierte Betriebe und Kollektive der solidarischen Ökonomie
zu stärken, sollen die Konkurrenzverhältnisse am Markt durch
geänderte steuerrechtliche oder subventionsrechtliche Rahmen-
bedingungen verändert werden, wie das beispielsweise die Ge-
meinwohlökonomie fordert. Das Konzept der Wirtschaftsde-
mokratie formuliert den Anspruch auf grundsätzliche
Mitbestimmung der Arbeiterinnen über ihre Produkte. Vor-
schläge sind weiter eine demokratische Investitionslenkung und
demokratische und kooperative Banken.
3. Konviviale Technik und demokratische Technikentwicklung:
Auch wenn Postwachstum oft als technikfeindlich interpretiert
wird (und es tatsächlich eine starke Technikskepsis im Postwachs -
tumsspektrum gibt, siehe Eversberg/Schmelzer 2018), richten
sich die konkreten Forderungen doch meist nicht gegen Technik
per se. Gefordert werden vielmehr ein differenzierter Blick auf
Technik und eine Demokratisierung der Technikentwicklung.
Angesprochen ist hier die öffentliche Finanzierung von offenen,
sozialen und ökologisch verträglichen Technologien. Dezentrale
und verteilte Produktionsweisen können durch digitale Unter-
Es muss zusätzlich darum gehen, sich der Herausforderung zu
stellen, jene Wirtschaftsaktivitäten, die nicht sozial und ökolo-
gisch verträglich umgebaut werden können, zurückzudrängen
und abzuwickeln. Statt es dem Markt zu überlassen, welche Ge-
sellschaftsbereiche expandieren und welche reduziert werden,
soll diese Frage repolitisiert und demokratisch entschieden wer-
den. So soll es beispielsweise zwar selektives Wachstum im Be-
reich der sozialen Infrastrukturen (z.B. öffentlicher Nahverkehr,
Pfle ge oder Bildung) geben, ebenso den Ausbau einer ökologi-
schen Kreislaufwirtschaft, dezentraler und erneuerbarer Energie-
quellen in Gemeineigentum sowie die Stärkung der Solidari-
schen Ökonomie. Gleichzeitig wird aber auch vorgeschlagen,
jene Teile der globalisierten, profitorientierten, fossilistisch-indus-
triellen Wirtschaft zurückzudrängen, die nicht dem Gemeinwohl
dienen und nicht nachhaltig umgebaut werden können, z.B. die
fossile Ener giewirtschaft, der motorisierte Individualverkehr
(vor allem in Städten), Flugverkehr, industrialisierte Landwirt-
schaft und Tier haltung, Rüstungsindustrie, Werbung, Gentech-
nik sowie große Teile des globalisierten Handels und der Fi-
nanzindustrie. Als Mittel dafür werden unter anderem globale
und nationale Obergrenzen für Ressourcen- und Landverbrauch
sowie Emissionen diskutiert; aber auch Moratorien für neu ge-
plante Megaprojekte oder Infrastrukturen; Konversion, ge-
rechte Übergänge sowie Vergesellschaftung in Industriesekto-
ren, die reduziert werden sollen; eine sozial-ökologische
Steuerreform, die eher Naturverbrauch statt Arbeit besteuert;
eine »offene Relokalisierung« oder Deglobalisierung der Wirt-
schaft.
2. Demokratisierung der Wirtschaft, Commoning und solidarische
Ökonomie: Weitere Postwachstumspolitiken zielen darauf ab,
die Formen des solidarischen Wirtschaftens, die schon heute als
2928
Kooperativen, als Gemeingüter bzw. Commons oder als ge-
meinwohlorientierte Unternehmen wirtschaften, zu verteidi-
gen, auszubauen und politisch-rechtlich zu stärken. Wirtschaft-
liche Aktivitäten sollen an konkreten Bedürfnissen und am
Gemeinwohl orientiert, wachstumsunabhängig, ohne Ausbeu-
tung von Menschen und auf Basis herrschaftsarmer gesellschaft-
licher Naturverhältnisse gestaltet werden. Und dies geht nur,
wenn ökonomische Entscheidungen als grundlegend politische
Entscheidungen verstanden werden, bei denen alle Betroffenen
demokratische Mitspracherechte haben. Ein Weg dorthin ist die
Ausweitung der Produk tionsweisen, die auf Commons, also Ge-
meineigentum, beruhen. Um kleine und genossenschaftlich or-
ganisierte Betriebe und Kollektive der solidarischen Ökonomie
zu stärken, sollen die Konkurrenzverhältnisse am Markt durch
geänderte steuerrechtliche oder subventionsrechtliche Rahmen-
bedingungen verändert werden, wie das beispielsweise die Ge-
meinwohlökonomie fordert. Das Konzept der Wirtschaftsde-
mokratie formuliert den Anspruch auf grundsätzliche
Mitbestimmung der Arbeiterinnen über ihre Produkte. Vor-
schläge sind weiter eine demokratische Investitionslenkung und
demokratische und kooperative Banken.
3. Konviviale Technik und demokratische Technikentwicklung:
Auch wenn Postwachstum oft als technikfeindlich interpretiert
wird (und es tatsächlich eine starke Technikskepsis im Postwachs -
tumsspektrum gibt, siehe Eversberg/Schmelzer 2018), richten
sich die konkreten Forderungen doch meist nicht gegen Technik
per se. Gefordert werden vielmehr ein differenzierter Blick auf
Technik und eine Demokratisierung der Technikentwicklung.
Angesprochen ist hier die öffentliche Finanzierung von offenen,
sozialen und ökologisch verträglichen Technologien. Dezentrale
und verteilte Produktionsweisen können durch digitale Unter-
Es muss zusätzlich darum gehen, sich der Herausforderung zu
stellen, jene Wirtschaftsaktivitäten, die nicht sozial und ökolo-
gisch verträglich umgebaut werden können, zurückzudrängen
und abzuwickeln. Statt es dem Markt zu überlassen, welche Ge-
sellschaftsbereiche expandieren und welche reduziert werden,
soll diese Frage repolitisiert und demokratisch entschieden wer-
den. So soll es beispielsweise zwar selektives Wachstum im Be-
reich der sozialen Infrastrukturen (z.B. öffentlicher Nahverkehr,
Pfle ge oder Bildung) geben, ebenso den Ausbau einer ökologi-
schen Kreislaufwirtschaft, dezentraler und erneuerbarer Energie-
quellen in Gemeineigentum sowie die Stärkung der Solidari-
schen Ökonomie. Gleichzeitig wird aber auch vorgeschlagen,
jene Teile der globalisierten, profitorientierten, fossilistisch-indus-
triellen Wirtschaft zurückzudrängen, die nicht dem Gemeinwohl
dienen und nicht nachhaltig umgebaut werden können, z.B. die
fossile Ener giewirtschaft, der motorisierte Individualverkehr
(vor allem in Städten), Flugverkehr, industrialisierte Landwirt-
schaft und Tier haltung, Rüstungsindustrie, Werbung, Gentech-
nik sowie große Teile des globalisierten Handels und der Fi-
nanzindustrie. Als Mittel dafür werden unter anderem globale
und nationale Obergrenzen für Ressourcen- und Landverbrauch
sowie Emissionen diskutiert; aber auch Moratorien für neu ge-
plante Megaprojekte oder Infrastrukturen; Konversion, ge-
rechte Übergänge sowie Vergesellschaftung in Industriesekto-
ren, die reduziert werden sollen; eine sozial-ökologische
Steuerreform, die eher Naturverbrauch statt Arbeit besteuert;
eine »offene Relokalisierung« oder Deglobalisierung der Wirt-
schaft.
2. Demokratisierung der Wirtschaft, Commoning und solidarische
Ökonomie: Weitere Postwachstumspolitiken zielen darauf ab,
die Formen des solidarischen Wirtschaftens, die schon heute als
... The relevancy of degrowth to deal with the crises becomes evident when understanding that the notion of green growth, meaning that continued economic expansion can be pursued without infringing the ecological stability of this planet, has no empirical basis, as Hickel & Kallis (2020) find. Thus, addressing the growth paradigm is an essential component of addressing the multiple crises, as it is counterintuitive to discuss the preservation of the ES' stability and, ultimately, a good life for all without engaging in a fundamental critique of the existing growth paradigm (Blauwhof, 2012;Brand et al., 2021;Brand & Wissen, 2017;Schmelzer & Vetter, 2021). ...
... The two samples a heterogenous and vary significantly in their quality and quantity of sources. While degrowth has become an established research field in pluralist and heterodox discussions, Democratic Confederalism can still be considered a niche topic (Clark, 2019;Schmelzer & Vetter, 2021). ...
... As a concept that partly defines itself as what it is not, understanding the adjacent thesis also helps to understand what degrowth is. Hence the two subchapters follow the approach by Schmelzer & Vetter (2021) and Kallis et al. (2018) by elaborating on how this thesis understands growth and how it became the incumbent paradigm. ...
Thesis
Full-text available
Degrowth, as a broad spectrum of proposals and advocacies, is united in the demand that economic activity must undergo a 'right-sizing' to a level that respects socio-ecological boundaries and the minimum social foundations that ensure a dignified and good life for all. From the demand to establishing societies and economies that stay within those boundaries, the question arises of what role the state has and to what extent particular political formats are suited to facilitate that. With the insight that the liberal state is incompatible with degrowth, the search for alternatives references the Kurdish Freedom Movement and the associated political format of Democratic Confederalism. Democratic Confederalism is a political format that calls for the abolition of the state and an inclusion of environmental protection and feminism. This thesis aims to determine whether Democratic Confederalism is a viable political format for degrowth societies. To fulfill the goals, a theory synthesis is used as the methodology to combine two different theories to generate knowledge that goes beyond the two theories on their own. The compatibility is determined by utilizing the Gramscian analysis and understanding of the state. This thesis examines whether Democratic Confederalism edits and handles actors and elements within the integral model sufficiently to allow the implementation of degrowth to measure their compatibility. The results of this thesis show that Democratic Confederalism and degrowth are compatible with each other and, thus, that Democratic Confederalism is a suitable political format for degrowth societies. Because Democratic Confederalism aims at dismantling hierarchical and centralized state structures, the material conditions, as well as actors and structures within the civil and political society, are sufficiently addressed to foster the advocacies that degrowth proposes. Those results further expanded the societal boundaries framework and suggested that Democratic Confederalism should continuously aim to manifest counter-hegemonies to facilitate the transformation and advocate consensus-based decision-making processes in their advocated councils.
... the need to bring the principles, values, and practices of sustainability into all fields of education. Its aim is to encourage the behavioral changes necessary to advance toward a sustainable model for development (United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization, 2005), although set within the viability of a capitalist economy (Schmelzer & Vetter, 2019). UNESCO's Global Action Program on Education for Sustainable Development (ESD) (UNESCO, 2014) has prioritized the establishment of these changes in university institutions to expedite making them into facilitators of ESD. ...
... This entails adjusting the economy to that of nature, supporting and ensuring the supply of basic necessities, replacing competition with cooperation, living frugally, making do with less, and keeping the common good in mind (Hickel, 2020). It means putting the spotlight on social justice, local relationships, cooperation, democratic participation, solidarity, humanist education on values, care for life, and so forth (Schmelzer & Vetter, 2019). ...
Article
Full-text available
Constant growth is untenable on a finite planet. Not only we are destroying the planet at a rapid rate, but we are also condemning future generations to inherit a ravaged planet depleted of its natural resources. The only alternative is to reverse growth (Degrowth), learning to live better with less. This implies not only a paradigm shift but also an effort to open our minds and liberate ourselves from the dominant world view. This would require teaching a voluntarily frugal lifestyle which can be generalised across the entire planet, and the formulation of educational policies consistent with this model which break with the productivist approach that permeates all educational reforms worldwide. Teaching future and practicing teachers how to shake off the dominant capitalist doctrine, fostering emancipatory educational research on their own practice, would constitute an emancipatory educational intervention which has become more urgent and necessary than ever before.
... Jevons Paradox, Alcott, 2005). Ungenutzte Energie wird verbraucht, indem sich Konsumwünsche anpassen, sich das Nutzungsverhalten durch die eingesparten Ressourcen ändert und damit die Einspareffekte teilweise oder sogar vollständig kompensiert werden (Santarius & Soland, 2018 Suffizienz-Maßnahmen zielen hingegen darauf ab, den absoluten Ressourcen-und Naturverbrauch durch andere Verhaltensmuster und Lebensweisen radikal zu reduzieren und an einem global verträglichen Maß auszurichten (Schmelzer & Vetter, 2019). Ziel ist es dabei, ein gutes Leben für alle zu ermöglichen. ...
... Die Suffizienzstrategie gilt aufgrund ihrer stärker an gesellschaftlicher und sozialer Veränderung ausgerichteten wachstumskritischen Perspektive auch als Teilströmung der Postwachstumsbewegung (Schmelzer & Vetter, 2019). Postwachstum versteht sich als konzeptionell offene und weitreichende Kritik an gegenwärtigen Konsum-und Lebensvorstellungen sowie an den ökonomischen Leitprinzipien des unbegrenzten Wachstums als Voraussetzung für gesellschaftlichen Wohlstand. ...
Article
Suffizienz wurde im öffentlichen und politischen Nachhaltigkeitsdiskurs lange Zeit marginalisiert. Da Versuche, CO2-Emissionen langfristig zu senken, bisher hinter den Erwartungen zurückblieben, rückt die Suffizienz jüngst stärker in den Vordergrund wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Auseinandersetzungen um ein »gutes Leben«. Die Suffizienzstrategie verspricht neben einem strikten Reduktionsziel auch psychologisches Wohlbefinden und globale, sozial-ökologische Gerechtigkeit. Ziel dieses Textes ist es, Suffizienz und Suffizienzorientierung als Konzepte einzuführen und praktische Implikationen für die Förderung einer sozial-ökologischen Transformation im Sinne der Suffizienz aufzuzeigen. Zu Beginn skizzieren wir, wie der Suffizienzbegriff in der Nachhaltigkeitsdiskussion einzuordnen ist und welche psychologischen Anknüpfungspunkte sich daraus ergeben können. Anschließend schildern wir in Form eines Exkurses, inwiefern der Minimalismus als populäres Pendant zur Suffizienz gelten kann, welche Grenzen Minimalismus hinsichtlich ökologischer Fragen aktuell aufzeigt und inwiefern sich beide Konzepte durch ihre Bezüge zu subjektivem Wohlbefinden und als Strömungen gegen Überkonsum gegenseitig befruchten könnten. Danach werden aktuelle Forschungsbeiträge zu Materialismus, Wohlbefinden, Zeitwohlstand und psychologischen Grundbedürfnissen vorgestellt, die offensichtliche Querverbindungen zur Suffizienz schlagen. Abschließend stellen wir konkrete Ansätze zur Förderung von Suffizienz und Suffizienzorientierung dar, die über Interaktionen mit strukturellen, gesellschaftlichen Ebenen eine sozial-ökologische Transformation anvisieren.
... One example is the de-/post-growth movement, which challenges the predominant growth paradigm by scrutinizing the feasibility of decoupling GDP growth from resource consumption. Instead, it is called for new understandings of welfare independent of economic growth (D'Alisa et al., 2015;Demaria et al., 2013;Jackson, 2009;Schmelzer & Vetter, 2019). Degrowth concepts also show links with indigenous concepts such as Buen Vivir (also known as Sumak Kawsay). ...
Thesis
Full-text available
As ecosystems around the world continue to degrade, the implementation of ecologically effective and socially just conservation instruments is critical. Payments for ecosystem services (PES) are an increasingly popular tool. PES are voluntary and conditional incentives for the provision of ecosystem services, rewarding landowners for their conservation efforts. Some PES programs target local communities that collectively meet contractual obligations (collective PES, C-PES). Proponents see C-PES as a promising tool for successful nature conservation, while critics argue that the introduction of market principles into areas not previously characterized by them can have negative effects, such as the erosion and replacement of well-functioning local community institutions and the crowding out of intrinsic conservation motivations. Against the background of these controversies, this dissertation aims to contribute to answering the question of how paying local communities for their conservation efforts supports or hinders the social-ecological transformation towards sustainability. Paper I reviews definitions and systematizations of program-related commodification processes and local land tenure structures, and their links to social-ecological program outcomes. Based on a framework developed in the first paper, Paper II examines 29 C-PES programs worldwide regarding their ES-related degree of commodification. Paper III focuses on human-environment conflicts in the context of conservation performance payments for wolverines and lynxes in Sweden, which are made to indigenous Sámi communities. Overall, the findings of the three papers suggest that C-PES programs do not in themselves address leverage points for a sustainability transformation, but can only be fully effective when implemented in a careful and inclusive manner, ensuring that they contribute to a larger institutional change across scales and when they support closer connections between people and nature.
Article
Full-text available
The Planetary Health (PH) approach addresses health risks resulting from anthropogenic climate change. It offers an integrative understanding of nature, whereby humans and their health are regarded as part of nature, and individual concerns are situated in relation to the interactions between society and the environment. However, this approach has not yet been incorporated into educational practice. Thus, this article presents the potential of PH for secondary educational measures from the perspective of Geography. Using the concept of system competence, this contribution illustrates how PH can be integrated into the established concept of Education for Sustainable Development. While previous concepts in the context of climate change have focused on mitigation, the examples presented are dedicated to adaptation.
Chapter
Full-text available
Zusammenfassung Die Gesellschaft-Natur-Perspektive beschäftigt sich mit historisch entstandenen, tiefenwirksamen Treibern der Klimakrise. Ihr Fokus liegt auf klimaschädlichen Merkmalen von Natur-Mensch-Beziehungen, die für die westliche Moderne typisch und auch in Österreich wirksam sind. Dazu zählen Wachstumszwang, Kapitalakkumulation, dualistische Verständnisse von Natur und Mensch, Vorstellungen und Praktiken der Naturbeherrschung, sozial-ökologische Ungleichheit und disziplinäre Wissensproduktion.
Chapter
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Unter dem Titel »Transforming our World« verabschiedeten die Vereinten Nationen 2015 ihre Agenda 2030 mit 17 Nachhaltigkeitszielen. Diese Vision auf globaler Ebene gilt es vor allem auf regionaler Ebene zu realisieren. Verantwortung, Vernetzung und Vertrauen sind dabei wesentliche Prinzipien. Vor dem Hintergrund der Fridays for Future-Bewegung fokussieren die Zukunftsdiskurse der Beiträger*innen zentrale »Agents for Future«: Kommunen hinsichtlich politischer Maßnahmen und Änderungen, Bildung als Schlüssel für einen kulturellen Wandel, ein lebensdienliches, am Gemeinwohl orientiertes Wirtschaftsparadigma sowie nachhaltigkeitsbewusste Konsumierende – und zeigen Denkpfade in eine lebenswerte Zukunft auf.
Article
Full-text available
This paper contributes to an emerging discussion about transformative enterprises, which are increasingly seen as change agents in sustainability transformations. Some scholars have hitherto described them as pioneering enterprises that strive for fundamental changes towards sustainability at different scales. Economic geography has, however, so far glossed over a micro-perspective on such enterprises. In this paper, we define transformative enterprises in detail by systematically identifying and elaborating their characteristics and actions. We ask: What operationalizable characteristics that refer to transformative enterprises are discussed in the literature? How can we define transformative enterprises? Starting from a comprehensive literature review, we identify nine key dimensions of transformative enterprises that we specify with a set of indicators, and we then synthesize our finding with a definition. With this contribution, we further develop the concept of transformative enterprise in economic geography and show how it complements current conceptualizations of firm-level agency and system-level agency. K E Y W O R D S change agent, definition, economic geography, indicators, key dimensions, sustainability transformation, transformative enterprise
Chapter
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In diesem Beitrag wird zunächst die Relevanz des Themenfelds »Economics for Future« dargelegt, bevor Reflexionen zu einer Podiumsdiskussion erfolgen, die am 29. April 2021 digital stattgefunden hat. Abschließend werden im Sinne eines Ausblicks Impulse, die sich aus der Relevanz und den Reflexionen ergeben, abgeleitet. Die Schwerpunkte der Argumentation liegen im Bereich einer Kritik am ökonomischen Wachstumsparadigma sowie einer Charakterisierung alternativer Ansätze aus dem Feld der Postwachstumsökonomien.
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